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Auf den ersten Blick ist Sex in unserem Alltag sehr präsent, in Filmen, Serien und Werbespots reißen sich zwei meistens heterosexuelle, extrem attraktive Menschen stürmisch die Klamotten vom Leib, und es geht leidenschaftlich zur Sache – nur haben diese Bilder oft wenig mit der Realität zu tun. Denn guter Sex ist viel mehr als das, was uns von außen vorgegeben wird, und vor allem: Er ist vollkommen individuell. Manchen geht es dabei um das Gefühl von Nähe und Verbindung, anderen um die Freude an einem Orgasmus, wieder anderen um die Lust am Experimentieren. Wichtig ist, herauszufinden, was für einen selbst der beste Sex ist und wie man dahin kommt. Gianna Bacio zeigt in diesem Buch Schritt für Schritt Wege auf, wie Sex ganz ohne Leistungsdruck zur Priorität in deinem Leben wird und wie du dein Liebesleben für dich allein oder in einer Partnerschaft zur Entfaltung bringen kannst.
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Seitenzahl: 239
Gianna Bacio
Für ein entspanntes Liebesleben
Wie kann ich verhindern, dass ich zu früh komme? Wie schaffe ich es, überhaupt zu kommen? Warum habe ich so selten Lust? Gianna Bacio bekommt diese Fragen täglich gestellt und stellt fest, dass Sex für viele ein Stressfaktor ist. Etwas zu leisten und darin gut zu sein wiegt oft schwerer als der Genuss und die Freude – wie paradox! Denn die meisten wünschen sich ein leichtes und unbeschwertes Liebesleben. Wie Sex überraschend einfach zu einem lustvollen Erlebnis werden kann, zeigt Gianna auf ihre typische Art: ehrlich, direkt und auf Augenhöhe.
Gianna Bacio ist Sexualpädagogin, Podcasterin und Autorin. Sie lebt in Hamburg.
Vorwort
Zum Einstieg
Guter Sex ist lernbar
Was ist Sex?
Die liebevolle Haltung
Guter Sex ist «Arbeit, Arbeit, Arbeit»
Einige Mythen zum Warmwerden
Das Game verstehen
Die Spielregeln des Körpers
Das Modell sexueller Gesundheit
Das Game spielen
Dein sexuelles Profil
Konkrete Lernschritte
Zum Abschluss
Stöhnen
Geheimnisse
Zwiegespräch
Sexout
Konsens
Deine sexuellen Rechte
Nachwort
Dank
Literaturliste
«Wie schaffst du es bloß, so locker über Sex zu sprechen?», werde ich von meinem beruflichen und privaten Umfeld häufig gefragt. Viele berichten mir, dass sie sich einen entspannteren Umgang mit dem Thema wünschen. Eigentlich paradox, wenn wir uns die Fülle an verfügbarem Material rund um Sex vergegenwärtigen. Es gibt unzählige Filme, Serien und Songs darüber, und auch Werbung und Magazine sind voll davon. Trotzdem sind da bestimmte Vorstellungen und Sehnsüchte, Unsicherheiten und offene Fragen. Meiner Meinung nach ist es mehr als verständlich, dass der Wunsch nach mehr Gelassenheit so häufig vorgebracht wird. Mit diesem Buch zeige ich dir, warum das so ist und wie du dir selbst ein entspanntes Liebesleben kreieren kannst.
Und um die Frage von oben gleich zu beantworten: Das war nicht immer so. Ich mache das aber jetzt seit über zehn Jahren hauptberuflich. Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, so locker mit Sex umzugehen. Spoiler: Und du kannst das auch! Aber damit du ein Gefühl dafür bekommst, wer dir hier so holde Versprechungen macht, möchte ich mich nun kurz vorstellen: Gestatten, mein Name ist Gianna, und ich bin 34 Jahre alt. Sex hat für mich auf der Videoplattform YouTube angefangen. Okay, das klingt zweideutig und ist auch nicht ganz korrekt. Privat habe ich mich schon viel früher dafür interessiert. Mit 16 hatte ich mein erstes Mal, by the way. Aber zurück zu YouTube. Dort fing es eben beruflich für mich an. Damals war ich Anfang zwanzig und wollte eigentlich Grundschullehrerin werden. Ich studierte auf Lehramt und drehte nebenbei Aufklärungsvideos, weil ich fand, dass es wenig brauchbares Material gab, das Menschen das Thema Sex informativ und zugleich unverkrampft näherbringt. Ganz harmlos also! Aber hey, Grundschullehrerin, ich weiß bis heute nicht, was mich da geritten hat. Ich meine, no front an die Lehrenden, ihr macht einen wundervollen Job. Aber ich hinterfragte nach Abschluss meines ersten Staatsexamens das System Schule immer mehr, bis ich schließlich beschloss, umzusatteln und meine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Ich ließ mich zur Sexualpädagogin ausbilden und erstelle seitdem hauptberuflich Inhalte und gebe Beratungen, um über Sex aufzuklären.
Ja, ich lese, schreibe und spreche seitdem nahezu jeden Tag über alles, was mit Sex zu tun hat. Und es macht mir riesigen Spaß. Der lockere Umgang mit Sex ist mir also im Laufe der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen. Was für einige wie der Traumjob klingt, mag für andere der absolute Horror sein. Das ist wahrscheinlich in jedem Beruf so. Die größte Herausforderung ist, all die Dinge, mit denen man täglich zu tun hat, selbst in seinem eigenen Leben umzusetzen. Auf mich und meine Arbeit bezogen, ist es eine funktionierende Partnerschaft inklusive einer erfüllenden Sexualität. Das ist eine Lebensaufgabe. Auch für mich. Das jahrelange Auseinandersetzen mit dem Thema macht vielleicht einige Dinge leichter, aber dafür andere Dinge umso komplexer. Mein Partner und ich sind nun seit sechs Jahren ein Paar, drei Jahre davon als Eltern. Sex während der Schwangerschaft, nach der Geburt und als Eltern sind also Themen, welche uns noch relativ frisch begleiten. Mehr denn je ist mir am eigenen Leben bewusst geworden, was Sex alles sein oder eben auch nicht sein kann. Mehr denn je habe ich gelernt, welche Haltung gegenüber Sex auch zur Qualität einer Beziehung beitragen kann.
Unser Therapeut sagte neulich, Beziehung und Sex seien nach seiner Auffassung untrennbar, als mein Freund ihn fragte, ob wir jetzt eigentlich eine Paar- oder Sexualtherapie machen. Dem stimme ich voll und ganz zu, vorausgesetzt, ein Paar möchte miteinander Sexualität erleben. Ach, und ja, wir gehen in Therapie, weil sie uns neue Perspektiven und Einsichten in einem moderierten Rahmen ermöglicht. Auch wenn wir bereits seit Beginn unserer Beziehung durch regelmäßige «Zwiegespräche» (dazu später noch mehr) ganz gut miteinander kommunizieren, haben uns die Sitzungen auf ein neues Level gebracht. Da wir beide als Coach arbeiten, hat diese Art der Beziehungsarbeit auch unseren Blick für bestimmte Themen, Bindungsmuster und Kommunikationsprobleme unserer Klient:innen geschärft. Aber genug der Lobhudelei auf Therapiesitzungen, hier soll es ja nun um anwendbare Tipps und Lösungsansätze für den alltäglichen Gebrauch gehen.
Und so komme ich zurück zu meiner Passion und der damit verbundenen Vision, die mich nun seit mehr als einem Jahrzehnt vorantreibt: Ich will so vielen Menschen wie möglich das Thema Sex entspannt und lustbetont näherbringen. Die positive Resonanz auf meine Arbeit und das erste Buch «Hand drauf!» haben mir gezeigt, dass diese Vision allmählich näher rückt. Im Laufe der Zeit wurde ich immer häufiger darum gebeten, ein Buch über gelingende Paarsexualität zu schreiben. Meine Antwort hältst du nun in den Händen. Du bekommst hier Erklärungen, Denkanstöße und konkrete Übungen. Dieses Buch beinhaltet mein gesammeltes Wissen als Sexualpädagogin, -beraterin, Partnerin und Mutter. Denn der hintergründige Wunsch, den ich aus all den Fragen heraushöre, die mich im Laufe der Zeit erreichten, ist: «Ich möchte ein erfülltes Sexleben führen, das sich leicht anfühlt.» Die erste gute Nachricht ist: Dieser Wunsch kann erfüllt werden. Die zweite Nachricht ist ebenfalls gut: Dieses Sexleben kannst du dir gestalten, und ich zeige dir, wie. Selbst, wenn du «nur» diese eine Haltung mitnimmst, die für mich und meine Arbeit essenziell ist, hat es sich schon gelohnt: Guter Sex ist lernbar.
In den folgenden Kapiteln werde ich immer wieder von Frauen und Männern schreiben. Wenn ich Frauen schreibe, sind aufgrund der Angabe von Übungen Menschen mit Vulva und Vagina gemeint. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur Frauen eine Vagina oder Vulva haben und es auch Frauen mit anderen Geschlechtsmerkmalen gibt. Wenn ich Männer schreibe, sind in diesem Kontext Menschen mit Penis gemeint. Auch hier der Hinweis, dass nicht nur Männer einen Penis haben und es auch Männer mit anderen Geschlechtsmerkmalen gibt. Grundsätzlich definiert sich jede Person selbst, nach ihrem eigenen Gefühl von stimmig und unstimmig, als Frau, Mann oder nicht binär. Weder Genitalien noch andere äußerliche Merkmale sagen zuverlässig etwas darüber aus, wer wir sind.
Die Fallbeispiele in diesem Buch sind exemplarisch formulierte, teils aus verschiedenen Fällen zusammengezogene und verfremdete Aussagen. Alle Namens- und Altersangaben wurden geändert.
In meiner Arbeit als öffentlich wirksame Sexualpädagogin schätze ich den engen Austausch mit meiner Community sehr. Er ermöglicht mir oft intime Einblicke in die Lebensrealitäten und Herausforderungen von vielen Tausend Menschen. Dadurch kann ich Ableitungen über Schwerpunkte treffen und welche Themen von besonderer Brisanz sind. Eine kürzlich erstellte Umfrage war dabei besonders ergiebig, weshalb ich sie hier gerne mit dir teilen möchte. Ich habe die Frage gestellt, was Menschen in ihrem Liebesleben am dringendsten verändern würden, wenn sie nur könnten. Das waren ihre Antworten, viele davon wurden mehrfach genannt:
Mehr Lust haben
Länger durchhalten
Ohne Spielzeug kommen
In anderen Stellungen kommen
Mehr Abwechslung
Fallen lassen können
Über Bedürfnisse sprechen
Mehr Romantik
Dass Partner mehr auf meine Wünsche eingehen
Mehr Sex
Selbstbewusst beim Sex sein
Mehr Leidenschaft
Längeres Vorspiel
Spontaner, wilder, härter
Vertrauen, dass das, was ich will, o.k. ist
Weniger zaghaft sein
Meine Einstellung
Unbeschwertheit
Mehr Gefühl und erogene Zonen und dadurch hoffentlich richtig Spaß mit Höhepunkt
Dass ich keinen Porno gesehen hätte
Selbst mehr Spaß haben und nicht so sehr an den Partner denken
Kopf ausschalten zu können und mehr zu genießen
Mehr Offenheit
Mehr Zeit
Mehr Mut, Dinge auszuprobieren
Mit meinem Mann mehr reden, was ich mir wünsche
Die Intensität und Quantität
Selbstbewusster zu sein. Einfach machen anstatt denken
Herauszufinden, wie ich kommen kann
Das Durchhaltevermögen meines Freundes
Mehr Orgasmen
Schneller kommen können
Dass ich Sex nicht mehr als ein To-do sehe
Dabei abschalten zu können
Mich mehr trauen und sagen, was mir gefällt
Selbstliebe zu meinem Körper zu finden
Scham und Gehemmtheit ablegen
Als Mann begehrt zu werden, anstatt immer der Begehrende sein zu müssen
Mehr Seelen-Sex
Wieder unbeschwert darüber reden können
Schneller auf Touren kommen
Mehr beim Penetrationssex zu spüren und dabei zu kommen
Ein Orgasmus beim Hauptakt und nicht nur durchs Vorspiel
Mehr Fokus auf mich und meinen Körper
Endlich sagen, was mir wirklich gefällt
Mehr trauen, den ersten Schritt zu machen
Qualität statt Quantität
Mehr aus mir herauskommen und Fantasien aussprechen und ausleben
Das Licht beim Sex anlassen zu können
Dass mein Mann auch mal die Zügel in die Hand nimmt
Mich 100 % auf meine Bedürfnisse/Befriedigung zu konzentrieren und nicht auf seine
Mich selbst zu akzeptieren und nicht zu denken, dass ich schlecht bin
Mich vom Alltagsstress besser lösen zu können
Interessant, oder? Vielleicht hast du dich ja auch in der ein oder anderen Antwort wiedergefunden. Das würde mich nicht wundern, denn was mir aufgefallen ist: Viele Aussagen ähneln und wiederholen sich (ich habe weitaus mehr Antworten bekommen als hier dargestellt), was nur zeigt, dass wir die gleichen Wünsche und Unsicherheiten in uns tragen. Ich höre sie seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit immer und immer wieder. Es mag erleichternd und bestärkend zugleich sein zu wissen, dass man mit seinen Sorgen, Ängsten und Problemen nicht allein ist. Die Lösungen für all diese Fragen und Herausforderungen sind umso individueller. Schließlich sind wir zwar alle menschlich, aber eben mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten. Die Anforderungen, die du an Beziehung oder Sex knüpfst, können bei mir oder deinen Mitmenschen ganz anders aussehen. Sie sind abhängig davon, was wir bislang erlebt und als gut oder schlecht abgespeichert haben. Da das Leben vorangeht, auch wenn wir uns manchmal wünschen, die Zeit würde stillstehen, entwickelt sich die Sexualität, als ein Teil davon, ebenfalls mit. Deine heute gelebte Sexualität ist also keineswegs festgelegt oder unveränderbar. Im Gegenteil: Sie ist ein flexibles, sich veränderndes Phänomen, und wir tragen entscheidend zu ihrer erlebten Qualität bei. Die Frage «Wie?» soll mithilfe dieses Buches beantwortet werden. Es geht darum zu verstehen, sich selbst näherzukommen und so eine Sexualität zu gestalten, die den eigenen Wünschen und Bedürfnissen entspricht.
Lebenslanges Lernen ist zu einem Leitsatz unserer modernen Gesellschaft geworden. Richtig, außer in der Sexualität. Was, wieso? Zu den Gründen komme ich später. Bis hierhin fällt auf, dass der Sex von Erwachsenen tendenziell als gegeben und feststehend gesehen wird.[1] In einer Beziehung bringt dann jede und jeder von uns ein eigenes Päckchen aus sexuellen Vorlieben, Wünschen und Bedürfnissen mit, und wenn es gut läuft, ergibt sich daraus eine passable Schnittmenge. Die ist dann zwar aufgrund ihrer Beschränkung störanfälliger, aber hey, wozu haben wir denn Klischees, Ideale und Moralvorstellungen? Die werden es wohl regeln … *Ironie off.
Dennoch existieren sie. Zum Beispiel:
Frauen, die keinen Orgasmus bekommen? Ja, die sollen halt einfach ihren Kopf ausschalten und sich entspannen, dann funktioniert es auch.
Männer, die mal keinen hochbekommen? Och nee, die sollen schon omnipotent und gute Liebhaber sein, sonst gelten sie halt als Versager oder Schlappschwänze.
Last, but not least: Paare, die unregelmäßig oder selten Sex haben? Sorry, das geht ja gar nicht, die sollen sich echt mal locker machen.
Es scheint, als wiege die Frage danach, die eigene Performance zu optimieren, schwerer als die nach dem eigenen Gefühl und Wohlbefinden. Mit dem Effekt, dass sich viele gestresst, überfordert, unzureichend fühlen. Kein Wunder, dass immer weniger Menschen bei all dem «Sollen» der Sinn nach Lust, Genuss und Leidenschaft steht, oder? Den Weg aus dieser limitierenden Position habe ich bereits benannt: das Erlernen bzw. Entwickeln der eigenen Sexualität, und das bedeutet im ersten Schritt ein Umdenken:
Ersetzen wir Sollen durch Können
Ersetzen wir Vorlieben durch Möglichkeiten
Ersetzen wir Probleme durch Herausforderungen
Dadurch übernehmen wir selbst die Verantwortung, aber auch das Steuerrad für unsere Sexualität. Mit diesem Buch bekommst du ein Konzept an die Hand, welches Sex als lebenslangen Lernprozess beschreibt. Darüber hinaus erhältst du die einzelnen Lernschritte nachvollziehbar erklärt mit passenden Übungen. Und keine Angst: Eine Abhandlung von (Achtung, Wortwitz) trockener Theorie und alltagsfremden Formulierungen wirst du hier vergebens suchen. Ich nenne die Dinge beim Namen und liebe den Bezug zur praktischen Realität. Über die sozialen Netzwerke bekomme ich täglich unzählige Nachrichten und Anfragen, die den Wunsch ausdrücken nach unkomplizierter, verständlicher Aufklärung auf Augenhöhe.
Nichtsdestotrotz darf an dieser Stelle betont werden, dass auch dieses Buch weder einen Arztbesuch noch eine Therapie ersetzt. Es soll der Inspiration und Anregung dienen, dem eigenen Liebesleben einen leichteren oder bunteren Anstrich zu verpassen. Und so viel sei gesagt: All die eingangs aufgeführten Bedürfnisse können durchaus gestillt werden. Und ich möchte dir nun Wege aufzeigen, wie es gelingen kann.
Während ich diese Zeilen schreibe, befinden wir uns in Deutschland gerade in der vierten Pandemie-Welle. Immer noch beeinflusst das Coronavirus unser Denken, Fühlen und Handeln. Immer wieder sind wir auf uns selbst zurückgeworfen, da wir gezwungenermaßen mehr Zeit allein bzw. getrennt verbringen. Die größere Distanz zu anderen bringt ein wachsendes Bewusstsein für sich selbst mit, und unsere psychische Gesundheit ist in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Eine, so finde ich, positive Auswirkung dieser andauernden Ausnahmesituation. Auch mich erreichen gerade in dieser Zeit so viele Anfragen wie nie zuvor, und meine Arbeit und die meiner Kolleg:innen scheint gefragter denn je.
Menschen in meinem Umfeld und in meiner (Online-)Praxis fragen sich vermehrt: Was will ich für mich und in diesem Leben erreichen? Bin ich zufrieden, oder was könnte mich dabei unterstützen, es zu werden? Funktioniert oder bereichert mich meine Beziehung? Wie fühle ich mich in der (nunmehr ständigen) Gegenwart meines Partners oder meiner Partnerin?
Die meisten von uns werden sich diese Fragen immer mal wieder im Laufe ihres Lebens gestellt haben. In dieser speziellen Zeit aber vielleicht umso häufiger, einfach deshalb, weil ein Raum dafür entstand.
Bei all den Einschränkungen und Herausforderungen, die diese Pandemie mit sich bringt, begrüße ich dieses genaue Hinschauen sehr. Für mich bedeutet es eine Hinwendung zu mehr Bewusstsein, Achtsamkeit und Sensibilität für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche.
Nach Jahrhunderten, die über das Thema Sex hinaus von Angst, Unsicherheiten und Scham geprägt waren, ist es nach meiner Auffassung mehr als an der Zeit für positivere Gefühle. Wir haben jetzt, im gefühlten Stillstand, die Möglichkeit, Umstände zu verändern. Ja, und damit meine ich nicht nur die eigene Innen-, sondern auch Außenwelt. Naturgemäß folgt ja das eine dem anderen automatisch. Du darfst dich also um die Erfüllung deiner eigenen Bedürfnisse kümmern, und die äußeren Umstände werden mitziehen. Glaubst du nicht? Dann frage ich dich: Gab es Situationen in deinem Leben, in denen du auffällig vielen boshaften oder argwöhnischen Menschen auf einmal begegnet bist? Vielleicht kennst du aber auch andere Tage, an denen du nur freundliche und fröhliche Menschen getroffen hast? Zufall? Mag sein, schließlich gibt es einfach unangenehmere und freundlichere Menschen auf der Welt. Aber vielleicht wird dir im Rückblick dennoch aufgefallen sein, dass dein innerer Zustand in den jeweiligen Situationen ein anderer war. Du warst mit hoher Wahrscheinlichkeit in der ersten Situation selbst argwöhnisch oder ärgerlich. Genauso warst du vermutlich in der zweiten Situation ausgeglichener und fröhlicher. Deine Innenwelt spiegelt nämlich deine erlebte Außenwelt wider und umgekehrt.
Was hat das jetzt mit Sex zu tun? Nun, eine ganze Menge, denn kaum ein Lebensbereich ist so körperlich wie dieser. Und hier greift das gleiche Prinzip: Durch meine Gedanken und Gefühle (innen) kann ich meinen Körper (außen) bewegen. Durch meinen Körper (außen) lassen sich aber auch meine Gedanken und eben auch Gefühle (innen) bewegen. Und Bewegung ist der erste Schritt einer Veränderung.
Oft genug liegt in unserer Gesellschaft und auch in den meisten Lebensläufen der Fokus auf der mentalen Arbeit. Versteh mich bitte nicht falsch: Überlegen und Analysieren ist wichtig. Auch und vor allem in Paarbeziehungen. Aber machen wir uns nichts vor: Der Körper ist die Basis unserer Sexualität. Umstände und Herausforderungen der eigenen Sexualität lassen sich also erst dann gestalten und verändern, wenn wir den Körper als unser einzigartiges Instrument begreifen. Ein Instrument, auf dem wir unterschiedliche Melodien erzeugen können, je nachdem, wie viele Tasten zur Verfügung stehen und welche davon gespielt werden.[2]
Genauso ist dieses Buch zu verstehen und anzuwenden. Ich halte viel davon, nicht nur den Kopf, sondern den gesamten Körper lernen zu lassen. Und dabei wünsche ich dir jetzt viel Spaß!
Sex ist, ja … was denn eigentlich? Intimität? Fortpflanzung? Entladung? Pflichtprogramm? Die schönste Nebensache der Welt? Fakt ist: Wir alle sind daraus entstanden. Doch anders als bei einem «Tisch», für den es eine klare Definition gibt, ist die von «Sex» schwammiger. Sie ist emotional aufgeladen. Mit Sex sind nämlich immer individuelle Erfahrungen, Sehnsüchte und Fantasien verbunden. Jeder Mensch hat seine ganz eigene sexuelle Biografie, die ihn zu dem sexuellen Wesen macht, das er heute ist. So kommt es, dass eine Befragung von fünf Personen zu ihrem Verständnis von Sex mit großer Sicherheit fünf verschiedene Antworten ergeben würde. Manche assoziieren damit Nähe, Verbindung oder Zweisamkeit, andere Ekstase, Wildheit oder Orgasmen.
Eine Frage schließt sich direkt daran an: «Wozu habe ich Sex?» Du kannst ja mal kurz deine eigene Antwort im Kopf formulieren und wirst vermutlich feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, die Frage eindeutig zu beantworten. Manchmal hast du vielleicht Sex, um Nähe herzustellen, manchmal, um dich zu entspannen, je nachdem. Es kommt wahrscheinlich ganz auf die Situation an. Genau, denn Sex ist eine Momentaufnahme. «Panta rhei» sagte schon in der Antike der Philosoph Heraklit. Alles fließt, alles im Leben verändert sich. Auch die Sexualität. Sie ist eben nicht statisch, sondern kann sich wandeln. Trotzdem höre ich immer wieder von der Annahme, dass Sex etwas ist, was man eben kann oder nicht kann. Jemand ist «gut» oder eben «nicht gut» im Bett. Dabei wäre doch der Gedanke von Sex als Lernprozess nicht nur entspannend, sondern auch hoffnungsvoll, oder?
Woran liegt es, dass wir einen so eingeschränkten Blick auf die Dinge haben, wo es uns doch in anderen Lebensbereichen auch gelingt, die «Entwicklungsbrille» aufzusetzen? Sie erlaubt uns nämlich Sanftmut, Verständnis und Toleranz für den Lauf des Lebens. Mit ihr begleiten wir Fortschritte, wie beispielsweise das Radfahren, mit Förderung und Zuspruch. Niemand würde erwarten, dass wir beim ersten Mal auf dem Sattel auf Anhieb Fahrrad fahren könnten. Nur durch Übung, Hinfallen und wieder Aufstehen werden wir es lernen. Je regelmäßiger und häufiger wir trainieren, umso besser werden wir es können. Ist das Rad kaputt, bringen wir es in die Werkstatt. Logisch! Dann ist es doch unlogisch, dass wir es im Bereich Sexualität so anders sehen, oder?
Nun ja, schauen wir uns das Gros der familiären und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an, wundert es einen nicht. In der Schule werden Heranwachsenden Themen wie Lust und Spaß am Sex vorenthalten. Vorrangig werden Menstruation, die Entstehung und Vermeidung von Schwangerschaft und sexuell übertragbare Infektionen thematisiert. Immer noch werden Körperbereiche tabuisiert oder sexualisiert, sodass ein vorurteilsfreier Zugang kaum möglich ist. Medien und Pornos übernehmen mittlerweile schon früh die Rolle der Aufklärung. An späterer Stelle werde ich noch genauer auf die Gründe und Folgen davon eingehen. Bis hierhin fällt auf, dass Abgleiche mit der echten, gelebten Realität fehlen, denn häufig werden auch innerhalb von Familien lustfremde oder gar -feindliche Beziehungen gelebt. Später in Partnerschaften erwarten wir dann, dass Sex halt irgendwie funktioniert, und schweigen, wenn das nicht der Fall ist bzw. wenn es sich alles nicht so gut anfühlt, wie wir gehofft haben. Wir koppeln eine gute Sexualität an den richtigen Partner oder die richtige Partnerin. So haben wir es schließlich bei zig anderen «Vorbildern» in Serien, Filmen oder Geschichten gesehen. Viele verlieren irgendwann die Lust an Sex, bekommen sexuelle Funktionsstörungen oder haken das Thema generell ab.
Es gibt sicherlich eine ganze Reihe plausibler Gründe für diese, zugegeben, eher düsteren Aussichten. Zum Beispiel, dass Religionen das Thema Sex seit Jahrhunderten tabuisieren und ein Staatsgeheimnis aus Lust und Erregung machen. Stichwort «unbefleckte Empfängnis». Oder dass unsere Industrie an der Vermarktung scheinbar makelloser Körper viel Geld verdient und dadurch eine wertfreie, positive Sicht auf den eigenen Körper erschwert wird.
Ich werde immer wieder die Scheinwerfer auf besagte dunkle Ecken unserer Vergangenheit und Gegenwart richten. Doch möchte ich den Hauptfokus auf die positiven und aussichtsreichen Momente legen. Deshalb möchte ich zurückkommen auf die eingangs gestellte Frage, was Sex ist, und stelle fest, dass es zwar keine eindeutige, zumindest aber eine individuelle, flexible und emotional gefärbte Antwort darauf geben kann. Du könntest zum Beispiel sagen, «Sex ist Intimität und Verbindung», und damit entweder deine gelebte Realität oder einen idealisierten Traum wiedergeben. Die Wahrheit kennst nur du allein, und ich wünsche dir von Herzen, dass du dir selbst (irgendwann) eine ehrliche und stimmige Antwort geben kannst. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Ehrlichkeit und Kongruenz (Übereinstimmung) durch eine innere Haltung unterstützt werden können. Und das ist die liebevolle Haltung zu dir selbst und zu diesem Prozess. Nicht umsonst trägt dieses Buch den Titel «Love your sex».
Ja, es geht darum, den Sex, den du hast, zu lieben. Ich kann dir versprechen, dass es dir mit dieser Haltung nicht nur mehr Spaß machen wird, sondern dass die Veränderungen auch sehr viel schneller geschehen werden.
Mögen tut man weil …
lieben obwohl …
(unbekannt)
Liebst du deinen Sex?
Ja
Nein
Vielleicht
Ohne dich zu kennen, vermute ich einfach mal, dass du «Vielleicht» angekreuzt hast, stimmt’s? Weißt du, woran es liegt, oder anders gefragt, was müsste sich verändern, damit du mit voller Inbrunst «Ja» ankreuzen würdest?
Dein Aussehen?
Das Aussehen deines Partners oder deiner Partnerin?
Die Techniken?
Mehr Zeit?
Andere Stellungen?
Oder liegt es daran, dass Sex halt nicht immer gut ist, sondern hin und wieder auch langweilig oder sogar schlecht? Was hindert dich daran, deinen Sex trotzdem (oder gerade deshalb) zu lieben?
Warum soll ich denn überhaupt Sex lieben?, wirst du dich vielleicht fragen. Es gibt doch auch andere wichtige Dinge im Leben. Reicht es nicht aus, Sex nur zu mögen? Dass du Sex vollkommen überflüssig oder fürchterlich findest, davon gehe ich jetzt mal nicht aus, sonst würdest du kaum dieses Buch lesen.
Wenn wir etwas oder jemanden mögen, dann haben wir eine positive Beziehung zu ihm WEGEN bestimmter Eigenschaften oder Merkmale. Beispiel: Ich mag Schokolade, weil sie so gut schmeckt und ich nach dem Genuss einfach gut drauf bin. Wenn wir hingegen etwas oder jemanden lieben, dann haben wir eine Bindung zu ihm TROTZ bestimmter Eigenschaften. Wir haben also eine starke Beziehung zu ihm aufgebaut und lieben ihn auch dann, wenn einige Dinge dagegensprechen. Bis hierhin klingt das zugegebenermaßen ganz schön unromantisch. Deshalb sei ergänzt: Etwas oder jemanden zu lieben, ist eine Haltung von inniger Verbundenheit und Zuneigung. Wir brauchen nichts zu tun, außer uns dafür zu öffnen, denn Liebe kann man nicht wollen, sondern sie stellt sich ein.
Bezogen auf Sex, würde das ja bedeuten, dass wir ihn auch dann lieben, wenn einige Dinge daran langweilig, nervig, anstrengend (gerne hier alternative oder ergänzende Worte einfügen) sind. Und wenn ich mich Sex gegenüber öffne, dann würde sich eine Haltung von Liebe automatisch einstellen. Moment mal, dann hätte aber Sex einen ganz anderen Stellenwert in meinem Leben …
Pause
… Ja!
Denn wenn ich meinen Sex liebe, dann verändert sich auch die Bedeutung, die ich meinem Sexleben beimesse. Es macht ihn zu etwas Wichtigem, einem Teil von mir, dem ich bereit bin Aufmerksamkeit zu schenken und ihn zur Priorität zu machen. Genau! Und jetzt alle zusammen: «Ich liebe meinen Sex.» Kommt dir dieser Satz eher schwer über die Lippen? Nun, die Liebe zu Sex, oder sagen wir die liebevolle Haltung dazu, kann auch schwächer werden oder ganz erlöschen, und vielleicht fühlt es sich bei dir zurzeit genau so an. Vielleicht ist Sex auf deiner Prioritätenliste momentan ganz weit unten. Das ist völlig fein! Niemand, weder ich noch irgendjemand sonst, kann dir sagen, was sich für dich richtig und stimmig anfühlt. Vorausgesetzt, das tut es, dann kann es eine legitime Entscheidung sein zu sagen: «Sex spielt momentan in meinem Leben keine Rolle.» Kommt dir auch dieser Satz schwer über die Lippen? Dann hast du nun die Möglichkeit, dich für den ersten Satz zu entscheiden. «Ich liebe meinen Sex.» Mit allem, was dazugehört: den Höhen und eben auch den Tiefen. Willst du etwas verändern, dann tu es genau mit dieser liebevollen Haltung. Nicht umsonst besagt eine englische Lebensweisheit: «Love it, leave it or change it.» Es obliegt also deiner eigenen Entscheidung, eine schwindende Liebe (egal ob zum Sex, einer Sache oder einer Person) so zu belassen, etwas zu verändern oder sie komplett zu beenden.
Wie in der Liebe zu einem Menschen, so auch bei der Liebe zu Sex kennzeichnet sich die Qualität dieser Bindung durch die gute Zeit, die miteinander verbracht wird. Im Fall von Sex ist es also der gute Sex, der erlebt wird. Aber was ist guter Sex? Guter Sex ist der, der einem selbst gefällt, stimmt’s?
Und wie kommst du dahin? Durch Lernen und Erfahrung.
Bums! Bist du gerade auf dem Boden der Tatsachen angekommen, oder war dir das ohnehin klar? Viele Menschen denken nämlich, dass guter Sex eine Frage des Partners oder der Partnerin ist. Eine Art Automatismus, der sich einstellt, sobald du den oder die Richtige gefunden hast. Auch Filme bedienen sich dieser Vorstellung und kreieren romantische Geschichten um perfekte Paare, bei denen es von Anfang an klappt im Bett. Da gibt es keine Gespräche darüber, was gefällt und was nicht, geschweige denn über Konsens. Nein, das Paar ist scharf aufeinander, und das muss ausreichen für guten Sex. Die Romantik endet, sobald Schwierigkeiten auftauchen. Sobald eine Person beispielsweise weniger oder keine Lust mehr auf Sex hat, scheint das eine Rechtfertigung dafür zu sein, warum auch die gesamte Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Die beiden waren halt einfach zu unterschiedlich … Nebenbei bemerkt: als ob auch die Libido (Begierde) eine determinierte Größe wäre. Womöglich hätte ein Gespräch aufgedeckt, dass in Wirklichkeit die Art, Sex miteinander zu haben, nicht mehr gefällt. Oder die Angst davor, die Erektion zu verlieren. Oder die körperliche Veränderung nach einer Geburt. Oder, oder, oder.
Was ich sagen will, ist, dass konstruktive (!) Gespräche und die Bereitschaft, etwas zu verändern, Gold wert sind und dass die Vorstellung, guter Sex ergäbe sich von allein, utopisch ist. Meine Beobachtungen und wissenschaftliche Studien kommen demnach zu einem anderen Ergebnis: Menschen, die davon ausgehen, dass Sex auch mit einer gewissen Arbeit und Bemühung, also mit aktivem Dazutun, verbunden ist, sind sexuell zufriedener.[1] Diese Menschen wissen, dass sexuelle Probleme durch die Zuwendung und Hingabe überwunden werden können.
Guter Sex ist also keine Frage des Zufalls, sondern der inneren Einstellung und der Bereitschaft, etwas dafür zu tun. «Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit!», sagt die holländische Paartherapeutin Evje van Dampen, hinter der niemand Geringeres als der Entertainer Hape Kerkeling steckt. Auch wenn Kerkeling in dieser Rolle Beziehungen persifliert, behält dieser Satz meiner Meinung und Beobachtung nach recht. Es klingt für viele wahrscheinlich nicht so schön, wenn sie hören, Liebe oder Sex sei Arbeit. Das liegt wohl zum einen an der negativen Konnotation des Begriffs «Arbeit» und zum anderen an der romantischen Vorstellung, eine funktionierende Beziehung samt intaktem Sexleben zu führen, sei ein Klacks. Treffender wäre wohl, es eine Lebensaufgabe zu nennen, die durchaus Spaß machen kann.
Aber ganz ehrlich: Woher sollen wir das denn wissen? Weder wird es uns als jungen Menschen beigebracht, noch sehen wir realistische «Vorbilder». Korrigiert mich, aber in meiner Schulzeit habe ich mehr über Zyklus, Schwangerschaft und Verhütung gelernt als über Lust, Gefühle und die eigenen Bedürfnisse. Abgesehen von der BRAVO, die ich mir regelmäßig am Kiosk kaufte und dann zu Hause versteckte, wurde es dann schon mau mit der Aufklärung. Ja gut, irgendwann habe ich einige Pornos geschaut und ab dann nachgeturnt und -gestöhnt, was die Filme halt so zeigten.