Lovecrafts Schriften des Grauens 30: Das Kriegspferd - Michael Perkampus - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 30: Das Kriegspferd E-Book

Michael Perkampus

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Beschreibung

… und als er aufblickt, sieht er den Camargue inmitten der Trümmer stehen, den Blick so kühl wie er ihn kennt, aber sein Leib, über und über mit Blut bespritzt, dampft.Ein wilder Ritt über die Grenzen von Dunkler Phantastik, Weird und Science Fiction hinweg. Die hier versammelten Geschichten entführen in grausam-schöne Welten, bestechen mit Poesie, sprachlicher Präzision und surrealistischen Bildern.Michael Perkampus und Sami Salamé sind zwei der interessantesten und eigenständigsten Autoren im deutschsprachigen Raum. Sie bieten eine Phantastik jenseits vielbeschrittener Wege und vertrauter Figurenkonzepte.

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Seitenzahl: 256

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Silke Brandt (Hrsg.)Das KriegspferdErzählungen von Michael Perkampus und Sami Salamé

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett

2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens

2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume

2104 Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl Stolzenstein

2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig

2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde

2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur

2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu

2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts

2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo

2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin

2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows

2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim

2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür

2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo

2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen

2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 2

2118 Alfred Wallon Salzburger Albträume

2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges

2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens

2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 3

2122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang

2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg

2124 Andreas Zwengel Finsternacht

2125 Silke Brandt (Hrsg.) Feuersignale

2126 Markus K. Korb Treibgut

2127 Tobias Reckermann (Hrsg.) Drommetenrot

2128 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 4

2129 Peter Stohl Das Hexenhaus in Arkheim

2130 Silke Brandt (Hrsg.) Das Kriegspferd

2131 Anton Serkalow Berge des Verderbens

2132 Klaus-Peter Walter Sherlock Holmes gegen Cthulhu

Silke Brandt (Hrsg.)

Das Kriegspferd

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Jens WeberUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: Jörg KleudgenSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-940-9

Vorwort

Silke Brandt

Michael Perkampus und Sami Salamé gehören zu den innovativsten, eigenständigsten Autoren im deutschsprachigen Raum. Während Perkampus’ Erzählungen überwiegend zur Dunklen Phantastik gezählt werden können, schreibt Salamé Science-Fiction. Der Schnittpunkt beider liegt im Surrealismus – in einer ganz eigenen Interpretation des vielschichtigen Genres. Das Motto Erwarte das Unerwartete ließe sich auf jeden einzelnen Beitrag anwenden: Die beiden Autoren verwenden starke, kompromisslose Erzählstimmen, idiosynkratische Phantasiewelten, Schauplätze und Figuren jenseits viel begangener Wege. Sie schaffen Realitäten, in denen nur das Seltsame herrscht. Ihre literarischen Spannungsfelder sind keine bunt verkleideten Alltagsprobleme, sondern Konflikte, die ohne den spekulativen Kontext nicht existieren würden.

Wollte man die Autoren auf der literarischen Landkarte des Phantastischen verorten, ließen sich bei Michael Perkampus die rebellischen Poesien eines Villon nennen, Leonora Carringtons subtile Schreckensszenarien, die freidenkerischen Surrealismen aus Heinz Emigholz’ Tagebüchern sowie die dunkle, nihilistische Tragik eines Anatol E. Baconsky. Einige Erzählungen gemahnen an klassischen Horror oder neo-gotische Geistergeschichten, während besonders die titelgebende Geschichte Das Kriegspferd an das Spätwerk der Brüder Strugatzki erinnert – dabei besonders Das Märchen von der Troika (Montag beginnt am Samstag, Troika): Hier wie dort findet sich ein feiner, kritischer Symbolismus, das Absurde als Brücke zwischen politischer Kritik und philoso­phischer Einsicht.

Sami Salamés Kurzgeschichten handeln von surrealistischen, teils beängstigenden Welten und von Gestalten, die Mensch, Maschine, Programm oder eine ungewöhnliche Kombination aus allen Aspekten sein könnten. Die Frage dabei ist weniger Philip K. Dicks Träumen ­Roboter von elektronischen Schafen?, sondern vielmehr: Welche erschreckenden Gedankenlabyrinthe und Albträume eröffnen sich nicht-biologischen, transhumanen Entitäten?

Diese Sammlung präsentiert zum größten Teil aktuelle, unveröffentlichte Werke – auch solche, die exklusiv für diesen Band geschrieben wurden – sowie einige Wiederveröffentlichungen.

Für mich als Herausgeberin ist dieser Band ein sehr persönliches Projekt: Diese Geschichten bieten eine wilde, phantasiesprühende Phantastik und ein sense of wonder, das selten zu finden ist. So hoffe ich, dass das geneigte Publikum ebensolche Freude daran haben wird wie ich, als ich die Erzählungen zum ersten Mal las.

Michael Perkampus

Das Kriegspferd

Ich sah bei der Nacht, und siehe, ein Mann saß auf einem roten Pferde, und er hielt unter den Myrten in der Aue, und hinter ihm waren rote, braune und weiße Pferde. Und ich sprach: Mein HERR, wer sind diese? Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Ich will dir zeigen, wer diese sind. Sacharja 1:8

Während ich das hier niederschreibe, scheine ich in Sicherheit zu sein. Ich habe die Bilder nummeriert, auf deren Rückseite ich zwar nur wenig Platz finde, aber ich habe nichts anderes zur Verfügung. Das Land, das ich beinahe ein ganzes Jahr mit einem Kriegspferd an meiner Seite durchstreifte, wurde zu einer verbotenen Zone erklärt; nicht, weil man jemanden vor den dortigen Gefahren schützen wollte, sondern weil man den wissenschaftlichen Nutzen noch nicht gänzlich erfasst hatte.

Solange man meinen Bericht noch nicht gehört und analysiert hat, wird mir hier nichts geschehen. Ob ich jedoch aus diesem Institut entlassen werden kann, wird erst nach einigen Untersuchungen geklärt werden. So zumindest hat man es mir gesagt. Der Begriff Institut wird hier von mir frei gewählt, das möchte ich noch anmerken, denn diese Leute wirken wenig militärisch, ja sogar wie Ordensleute. Eine seltsame Mischpoke. Bevor ich vor den Untersuchungsausschuss trete, gönnt man mir gerade ein wenig Ruhe, unterbrochen nur von wenigen medizinischen Tests und recht üppigen Speisen. Der Camargue sei gut untergebracht, wurde mir mitgeteilt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er in einen höheren Dienstgrad aufsteigen würde. Also vielleicht doch eine militärische Kommission?

Meinen Namen konnte ich ihnen nicht nennen. Ich habe ihn vergessen. Ob ich meiner Erinnerung ganz generell trauen kann, ist ein Aspekt, der mich nicht wenig beunruhigt. Die Briefe, die ich von den Toten an mich genommen hatte, wurden einbehalten. Von den Bildern, auf deren Rückseite ich jetzt schreibe, hatte ich ihnen nichts gesagt. Durchsucht haben sie mich nicht. Die Briefe jedoch gab ich ihnen gerne, ihr Inhalt steckt nun in meinem Kopf – oder wo immer das Gedächtnis tatsächlich zu verorten ist. Ich erinnere mich an ihrer aller Leben, an ihren Werdegang, ihre Familie, ihre Anekdoten, aber überhaupt nicht an mein eigenes. Was ich zu berichten habe, will ich also schnell niederschreiben, denn es könnte sein, dass ich dazu schon bald nicht mehr in der Lage sein werde. Vielleicht werde ich sie anlügen müssen, denn ich habe ihre ungläubigen Blicke gesehen, die mich nicht nur streiften, sondern förmlich durchbohrten. Außerdem hatten sie mir mit keiner Silbe gesagt, was sie von mir wollten und wer sie wirklich waren. So bleibt für mich vieles nur eine Vermutung. Hatte ich wirklich ein Pferd an meiner Seite? Allerdings. Und solange ich mich daran erinnern kann, werde ich notieren, was ich weiß. Denn es war Krieg. Und plötzlich ... so plötzlich brach über die Höllentore, die wir selbst geöffnet hatten, eine andere, eine stärkere Macht über uns herein, was kaum vorstellbar ist, bedenkt man, dass wir uns in unseren Gräben bereits im finstersten und lautesten Loch wähnten, das es überhaupt nur geben kann.

Eine Erscheinung beugte sich über den Frontabschnitt und erschütterte die Erde mehr als alle Haubitzen, Granaten und Mörser zusammen. Wir lagen im Caures-Wald in der Nähe von Flabas und kamen keinen Meter weiter. Wir schossen und aßen und schliefen und schleppten die Unvorsichtigen zurück in unsere stinkende Grube, wo sie auf der Stelle verbluteten oder zusammengenäht wurden, um erneut mit uns Seite an Seite an diesem mörderischen Feuerwerk teilzunehmen. Der Gestank der Leichen, an denen Ratten fraßen, war kaum auszuhalten.

Herbert stürzte sich neben mich in den Schlick und behauptete, er hätte einen Geist gesehen, drüben beim Donnerbalken. Das war nichts Ungewöhnliches. Wo das Sterben beinahe jeden Atemzug ersetzt, sind die Geister nicht weit. Von einem Augenblick zum nächsten – ich wollte gerade zu einer witzigen Bemerkung ansetzen – endete das Dauertrommeln der Artillerie, das uns den ganzen Tag hungrig mit seiner grauenhaften Melodie zum Tanz aufforderte. Ein neues und größeres Verderben war plötzlich hereingebrochen wie ein Gewitter nie gesehenen Ausmaßes. Es hatte sich über uns gestülpt und alles verändert. Schwarze Schwingen brachen aus einer rotierenden Säule, die sich nach oben hin verjüngte und unten hinter dem Horizont verschwamm. Ich hatte schon Gaswolken und Nebelformationen gesehen, die sich zu unfassbaren Gebilden auftürmten und von einem Bild in ein nächstes flossen. Aber an diesen Schwingen veränderte sich nichts. Sie deckten den größten Teil des sichtbaren Himmels ab, der in diesem Dunst allerdings nur zu erahnen war. Es war unmöglich, die Entfernung zu schätzen, aber das Gebilde zeugte von einer enormen Größe. Der Nebel wurde dichter, bald blieb nur noch ein schwarz geschlitzter Fleck wie das galaktische Auge einer Katze, bevor überhaupt nichts mehr zu sehen war. Ich kann mich noch daran erinnern, dass alle, die um mich herumlagen, auf das Gebilde starrten, ohne sich zu bewegen, bevor sie die Köpfe auf die Erde fallen ließen. Es war der Augenblick ihres Todes. Mich selbst hatte ein eigenartiges Gefühl erfasst, eine Ruhe, die mir Schmerzen bereitete, weil ich sie noch nie erlebt hatte. Ich sah mich um und glaubte mich in einem Gemälde aus dunklen Pastell­tönen, in dem nur die sich kringelnden Dämpfe zur Bewegung fähig waren. Herbert schien neben mir zu schlafen. Jetzt wusste ich, dass der Geist, den er gesehen zu haben glaubte, sein persönlicher Todesbote gewesen sein musste. War es den anderen ebenso ergangen? Vorsichtig rappelte ich mich auf und erblickte eine grenzenlose Leere, in der sich nichts mehr bewegte. Die ­Abwesenheit aller Geräusche ließ mich taub erscheinen, aber zu meiner Erleichterung hörte ich einen tiefen Seufzer aus mir fahren, der mir so fremd erschien wie alles, was ich hier erschaute, mir aber Gewissheit über meinen Zustand gab.

Wäre ich ein gläubiger Mensch gewesen, hätte ich die Erscheinung vermutlich für einen Engel gehalten, auch wenn ich mir die riesigen Ausmaße nicht recht erklären konnte. Die Flügel hatten also den ganzen sichtbaren Bereich des Horizonts umfasst, als könnten sie die Erde zwischen ihrem Gefieder mit Leichtigkeit zerquetschen. Und wenn es kein Engel war, was war es dann?

Ich stand inmitten des größten Friedhofs der Welt und hatte im Augenblick nichts Besseres zu tun, als an unserem Ziel festzuhalten, das jetzt ganz allein mein Ziel zu sein schien: die gegnerische Stellung. Natürlich untersuchte ich einige meiner toten Kameraden, denen man nicht ansah, wie sie aus dem Leben geschieden waren, was mich zu einer Folge von Fragen brachte: Was war mit mir? Warum hatte ich überlebt? War ich der Einzige? Was hatte sie überhaupt getötet? Ich stolperte mehr, als dass ich ging, watete auf einem Mond, der im Morast erstickte. Überall lagen Leichen, manche wie hingesunken, andere wie fallen gelassene Gliederpuppen. Die gegnerische Stellung sah nicht anders aus als unsere eigene.

War man der einzige Überlebende eines Gefechts, war es notwendig, andere Truppenteile ausfindig zu machen, aber solange ich auch suchte, ich fand niemanden, der überlebt hätte. Kein Kompass funktionierte. Sie rotierten alle in der gleichen Geschwindigkeit im Kreis herum und kamen nirgends zum Stillstand. Es gab keine Möglichkeit, die Wanderer-Motorräder zu benutzen, die den Meldern gehörten, weil auf unerklärliche Weise keine Maschine mehr funktionierte.

Den Camargue entdeckte ich eher zufällig. Er war mir nicht unbekannt, schließlich hatte er den Rang eines Sergeanten inne, was zwar nur ein außerordentlicher Dienstgrad war, der dem Ritterschlag entsprach, aber deshalb nicht unbedeutend. Und diese merkwürdige Vereinigung will ihn sogar befördern. Sie müssen ihn also kennen. Sein Name ist Orobas und ich hatte beobachten können, dass er auch unter Beschuss keine Miene verzog. Wie aus dem Nichts gekommen stand er vor mir. Die anderen Pferde, die hauptsächlich Karren zogen, waren offenbar geflohen. Zumindest entdeckte ich keine Spur von ihnen, als ich in den provisorischen Ställen nachsah. Wir standen uns in diesem Rachen der Verderbnis gegenüber und musterten uns. Er mich gleichgültig, wenn auch mit klaren Augen, in dem ein glänzender Schimmer lag, ich ihn mit einer gewissen Neugier.

„Du hast also ebenfalls überlebt“, sagte ich zur Begrüßung. „Ich wünschte, du könntest mir sagen, was hier geschehen ist.“

Vielleicht wusste er es tatsächlich, aber er sagte es mir natürlich nicht.

Da eine Richtung so gut wie die andere war, nahm ich den Camargue an der Kandare und wir machten uns auf, eine Stadt oder ein Dorf zu suchen, um möglichst schnell hinter die Grenze zu gelangen. Das war die einzige Möglichkeit, meinen Standort auch weiterhin zu bestimmen. Ich wollte mich anhand von Wegweisern so weit durchschlagen, bis ich aus dieser Albtraumlandschaft herausgefunden hatte. Nach Creutzwald waren es 120 Kilometer. Und da ich jetzt nicht mehr allein war, befand ich mich in einer etwas besseren Stimmung als kurz nach dem merkwürdigen Ereignis.

Ich kenne deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Munde ausspeien. Das war der Gedanke, der in mir Gestalt annahm wie eine Stimme von außen. Aber es gab ­keinen Urheber ... Ich höre jemanden kommen und muss kurz innehalten. Das trifft sich ausgezeichnet, denn ich habe außerdem ein kleines Geschäft zu verrichten und finde die bisherige Schilderung bei aller Kürze doch so weit in Ordnung, um mir nicht vorwerfen lassen zu müssen, ich würde die Dinge ausschmücken wollen.

Man hat mich verlegt, aber ich hoffe, dass ich noch einen Augenblick der Ruhe haben werde. Ich bin überrascht, dass man mich auch weiterhin ohne Beobachtung lässt. Aber vielleicht ist das auch nur eine Täuschung und sie wissen längst, dass ich mich mit einem Bericht abmühe, den sie mir später eben doch abnehmen werden, um ihn mit meinen offiziellen Aussagen vergleichen zu können. Indes kann ich nicht anders, als mir selbst zu versichern, was ich erlebt habe. Es ist kein Nutzen für mich darin zu erkennen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass alle aufgestaute Energie durch das geschriebene Wort abfließen kann wie ein Eiter. Ich hörte, dass sie mir bereits in einem Punkt widersprachen. Nämlich vertrauten sie meiner Zeitangabe nicht. Während ich von einem Jahr sprach, ließen sie erkennen, dass wir uns viel weiter in der Zukunft befanden, als ich es für möglich gehalten hätte. Das gegenwärtige Jahr wollten sie mir nicht nennen, weil es meiner Gedanken Freiheit stören würde, wie sie sich ausdrückten. Aber der Zweifel ist bereits geschürt, und wenn das Vergessen in dieser atem­beraubenden Geschwindigkeit weiter von mir Besitz ergreift, weiß ich mir wirklich keinen anderen Rat, als auf der Stelle fortzufahren ...

Seit Monaten lebte ich nun mit meinem schimmel­farbigen Kriegspferd in der weiten Ödnis, die sich außerhalb der ummauerten Orte zu etablieren begann. Das war eines dieser weiteren wunderlichen Begebnisse, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. Es schien geradezu, als wären alle alten Stadtbefestigungen wieder errichtet worden und all die Wegweiser und Straßen, auf die ich anfangs meine Hoffnung gesetzt hatte, waren verschwunden. Dass wir gar nicht so alleine waren, wie ich zunächst dachte, war offensichtlich geworden.

Manchmal gerieten wir nämlich in einzelne Scharmützel mit versprengten Banden, deren Mitglieder weitaus verzweifelter waren als wir selbst. Sie waren oft schon von Weitem auszumachen, vor allem, weil sie nicht still sein konnten. Oft stritten sie noch über eine Strategie, während sie bereits anzugreifen versuchten. Eine Gruppe ließ sich in dieser Situation wohl nur schwer aufrecht­erhalten; das andauernde gelbstichige Licht, das vom Himmel stieß, setzte jedem Einzelnen so lange zu, bis sich die Gebrechen eines gestörten Kopfes zeigten, sprich: Der Wahnsinn kam. Oder die Würmer, die zwar nicht unverwundbar waren, denen es aber nichts auszumachen schien, literweise Schleim und Körpermasse einzubüßen, denn davon besaßen sie reichlich, und ihr Fleisch wuchs nach, zumindest dann, wenn man ihnen nicht den ganzen Kopf abschlug. Das Vorderteil mit den Mundwerkzeugen konnte nur dann neu gebildet werden, wenn dort nur sehr wenige Segmente fehlten. Sehr selten waren lebende Hinterteile ohne Kopf zu finden, denn die konnten sich nicht richtig ernähren. Sie hoben sich kaum vom Horizont und den Gesteinsfeldern mit ihren gelb-orangefarbenen Schwefelablagerungen ab und waren schneller als jedes Auge. Ohne die Kenntnis der freien Wege war man verloren.

Es scheint möglicherweise so, als redete ich selbst bereits irr oder zumindest mit einer Distanz, die mich abgeklärt gegenüber den geschilderten Mühen zeigte, doch eine Erklärung auf all die Seltsamkeiten, denen ich hier begegnete, habe ich bis heute nicht gefunden. Von meinem Camargue übernahm ich stattdessen einen gewissen Fatalismus. Mir mag der Zusammenbruch noch bevorstehen, aber im Augenblick befinde ich mich noch in einer Funktion, die es mir unmöglich macht, mich zu wundern.

Es war sehr mühsam, die sicheren Wege zu finden, von denen sich die wurmartigen Geschöpfe fernhielten, aber es gab sie, was möglicherweise an den starken tellurischen Strömen lag. Ich selbst konnte sie nicht wahrnehmen, aber mein Camargue irrte sich diesbezüglich nie. Aus Respekt ritt ich ihn schon seit längerer Zeit nicht mehr und führte ihn nicht einmal mehr an den Zügeln, die sich ohnehin langsam aufzulösen begannen.

Als wir in Richtung Creutzwald losmarschiert waren, hatten wir nach kurzer Zeit einen Weiler entdeckt, der außerhalb der Gefechtszone lag. Wir drehten uns zumindest also nicht im Kreis. Es war das erste Mal, dass keine Leichen zu sehen waren, allerdings war weit und breit auch sonst niemand zu sehen. Ich hoffte darauf, hier meine Vorräte auffüllen und in Ruhe darüber nachdenken zu können, was das alles zu bedeuten hatte, denn bis zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht dazu gekommen. Ich folgte mehr meinem Instinkt als einem Plan. Alles lag sehr hübsch in einer kleinen Senke, in der übersichtliche Felder dominierten, die alle von einem Wiesensaum begrenzt wurden, auf dem wilde Kräuter wuchsen. Wir näherten uns vorsichtig, denn auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt noch kein Anzeichen von Leben entdeckt hatten, seit die eine Katastrophe die andere Katastrophe beendet hatte, wollten wir nicht unbedarft überrascht werden. Zu unvorstellbar schienen das Ereignis und seine Resultate, zu unbekannt diese für uns neue und rätselhafte Welt. Ich ließ den Camargue stehen, wo er war, und nahm mir zunächst die Fenster des ersten Gebäudes vor, eines kleinen Gutshauses, dessen Nordseite von Kletter­pflanzen eingenommen wurde, was ihm einen einladenden Charakter verlieh. Ich ging einmal rings herum und achtete darauf, die schönen Blumen nicht zu zertrampeln, die hier verstreut wuchsen. Durch die etwas staubigen Scheiben hatte ich dennoch einen guten Blick ins Innere, entdeckte aber niemanden, der hier wohnte. Ich warf noch einen schnellen Blick zu Orobas, der wie zumeist desinteressiert dreinblickte und irgendwie gelangweilt wirkte. Er suchte nicht einmal den Boden nach etwas Fressbarem ab, sondern verließ sich darauf, dass ich Äpfel oder Hafer für ihn fand, was bis jetzt auch immer der Fall gewesen war, obwohl ich einräumen muss, dass er in unserer Feldküche auch dem puritanischen Rindfleischeintopf zusprach, wie er überhaupt Fleisch und Wurst nicht abgeneigt war.

Dann betrat ich das Haus vorsichtig durch die Eingangstüre. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nicht ausprobiert, ob mein Karabiner funktionierte, aber das würde ich im Notfall wohl schneller herausfinden, als mir lieb war. In der Küche blieb ich stehen und sah mich um. Es sah aufgeräumt aus, wenn auch ein wenig vernachlässigt. Nichts deutete darauf hin, dass hier niemand mehr lebte, selbst ein Brot lag auf der Anrichte zum Verzehr bereit. Ich wollte gerade in den Schränken nachsehen, als ich das Geräusch hörte. Es war eindeutig ein Reißen, dem ein Schmatzen folgte. Es kam gleich aus dem Nachbarzimmer. Mit meinem Gewehr im Anschlag ging ich nicht etwa dem Geräusch entgegen, sondern zog mich langsam zurück und schlich aus dem Haus. Erneut wollte ich mir durch die Fensterscheibe des entsprechenden Zimmers einen Eindruck verschaffen, ich hatte mir sie vorhin leichtsinnigerweise nicht allesamt angesehen, und Leichtsinn konnte ich mir in meiner Situation einfach nicht leisten. Ich spähte durch die kleinen Scheiben und sah eine Frau über einem Wäschezuber mit einem Messer hantieren. Sie schien ein Tier zu zerlegen, metzelte allerdings derart grob und ungeübt an dem Kadaver herum, dass bereits vom Zusehen Übelkeit in mir aufstieg. Dazu fasste sie mit der freien Hand immer wieder in den Bottich, fischte einen Brocken heraus und schob ihn sich wie halb verhungert in den Mund. Wo war ihre Familie abgeblieben – oder hatte sie gar keine? Unschlüssig ging ich zum Camargue zurück, der teilnahmslos einige Meter abseitsstand. „Wir sind hier fertig“, sagte ich zu ihm.

Es gab keinen Vorwurf von seiner Seite, keine Aufforderung, die fremde Frau anzusprechen. Natürlich nicht.

„Ich würde durchaus gerne wissen, was das alles zu bedeuten hat, aber irgendetwas ... ich versuche es bei einem anderen Haus.“

Da wurde die Haustür aufgerissen und eine blutverschmierte Furie stürzte mit hoch erhobenem Messer auf uns zu. Sie schrie in den höchsten Tönen aus einem tiefen, eingefallenen Loch in ihrem verzerrten, runzeligen Gesicht. Der Camargue wurde zum ersten Mal unruhig. Ich verließ mich nicht auf das Funktionieren des Gewehrs, sondern benutzte es als Kolben, holte aus und traf nur halbherzig ihre blutige Hand, die das Messer hielt. Vor Überraschung hatte ich den richtigen Moment verpasst und geriet durch meinen eigenen Schwung ins Straucheln, während die Furie sich weiter auf mich stürzen wollte. Die Schnelligkeit des Camargue, der gerade noch so ruhig und unerschütterlich gewirkt hatte, war atemberaubend. Statt sich umzudrehen, um mit der Hinter­hand auszuschlagen, stellte er sich auf und riss bei seiner Aufwärtsbewegung der Wahnsinnigen mit dem Vorderhuf den halben Kopf von den Schultern. Ihr Gesicht klappte nach oben und ihr Genick gab einen peitschenden Knall von sich, bevor ihr Körper in wilden Zuckungen über mir zusammenbrach. Ich robbte nach hinten in Richtung des Pferdes, weil ich mir nicht mehr sicher sein konnte, ob das schon alles gewesen war. Der Camargue stand wieder still, als hätte er sich nie bewegt. Vor mir schütterte der zertrümmerte Leib und hackte tatsächlich ganz knapp neben meinem linken Bein mit dem Messer in den Boden. Ich zog mich noch weiter zurück und rappelte mich auf. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis die Messerstöße und das Beben der Furie versiegten.

Wir fanden in einem anderen Haus, was wir brauchten. Merkwürdigerweise schienen auch alle Tiere verschwunden zu sein, aber in einem Stall, aus dem ich Getreide holte, entdeckte ich zum ersten Mal diese seltsamen schleimigen Spuren, die ich mir nicht erklären konnte, von denen ich aber heute weiß, dass es sich um wurmartige Geschöpfe handelt. Es waren ganze Pfützen davon und sie führten ins Dickicht hinter dem Hof. Das war es, was mich augenblicklich dazu verleitete, mein Gewehr zu testen. Ich drückte ab und nichts geschah. Ich versicherte mich seiner Einsatzbereitschaft, aber auch dann hörte ich nur das Klicken von Metall auf Metall. Ein ganz einfacher Mechanismus, der nicht blockieren konnte. Und dennoch. Nichts. Vielleicht lag es an den Patronen? Ich nahm sie heraus und überprüfte sie. Sie waren trocken und sahen aus wie immer. Ladung und Rille waren völlig in Ordnung, aber sie zündeten nicht.

Am Abend richtete ich unser Lager in einiger Entfernung zu einem Bach, damit mich das trügerische Murmeln nicht von anderen Geräuschen ablenken konnte.

Zunehmend wurde das Vergessen zu einem zusätzlichen Problem. Das Vergessen meiner Kenntnisse und Erinnerungen. Dabei hätte ich mich gerne daran erinnert, was vorher gewesen war. Noch wusste ich, warum wir hier waren und was wir zu tun hatten, aber das würde vermutlich nicht mehr lange gelten. Hätte uns jemand beobachtet, wäre er vielleicht zu dem Schluss gelangt, dass wir bereits umherirrten und eine leichte Beute abgäben. Beides war jedoch ein tödlicher Irrtum. Nichts folgte mehr einer bekannten Logik, das war mir bereits klar geworden. Während ich mich an meinen Konserven verging und auch Orobas etwas davon abgab, hörte ich tief in mich hinein und konnte die Veränderung fast mit imaginären Händen greifen. Ich hatte überlebt. Der Camargue hatte überlebt. Überall lagen Leichen herum, während die Zivilbevölkerung und die meisten Tiere verschwunden waren. Bis auf ...

„Einzelne Zivilisten hatten ebenfalls überlebt“, murmelte ich mit vollem Mund und spuckte mir dabei einige Fleischbrocken in den Schoß. Aber sie schienen alle verrückt geworden zu sein, während ich langsam meine Erinnerung verlor.

Der Camargue witterte die Gefahr längst, bevor ich überhaupt nur das kleinste Flirren in der Ferne erkennen konnte. Bisher waren wir auf unserem Weg von Angriffen weitgehend verschont geblieben, aber ich hatte gewusst, dass es nicht immer so bleiben würde. Zahllos lagen die Leichen im Staub und hinter Hecken. Sie lockten die Plünderer ebenso an wie die Fliegen, die im Abendlicht als einziges Rauschen zu vernehmen waren. Sonst hörte ich nichts, der Bach war zu weit entfernt. Der Camargue begann unter der Anspannung zu zittern, aber er schnaubte nicht. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass er sich freute. Im Gegensatz zu mir fehlten ihm die Feuerrituale. Dass sich etwas Entscheidendes verändert hatte, konnte er nicht wissen, und so berief er sich auf seine Aufgabe, seinen Lebenszweck, wie ich vermutete. Ich ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Flanke. Sein Zittern war eher ein Vibrieren, als besäße er eine innere Magie, die sich in Schwung brachte. Legte er zu früh los, war der Überraschungseffekt dahin. Noch hoffte ich darauf, dass die Bande, die uns augenscheinlich entdeckt hatte, kein Interesse an einem einzelnen Mann mit seinem Pferd haben würde. Ein vergeblicher Gedanke, denn natürlich interessierten sie sich hauptsächlich für den Camargue. Er gäbe Fleisch für eine Menge halb verhungerter Schlünde. Ich kramte meine Schlagdornen aus einer meiner Taschen und stieg auf. Das hatte ich lange nicht mehr gemacht, aber bei dem, was folgen sollte, wollte ich dem Camargue nicht in die Quere kommen.

Es waren nur fünf Plünderer, die ich auf uns zukommen sah, was aber nichts heißen musste. Oft genug kamen sich die Grüppchen selbst ins Gehege, und wenn ich es bedachte, unterschied ich mich im Grunde nicht von ihnen. Gerne wäre ich dieser Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen, hätte mit ihnen an einem gemütlichen Feuer gesessen und sie gefragt, was sie denn über diesen denkwürdigen Zustand wussten, der so unvermittelt über die Welt hereingebrochen war. Irgendwo musste es einen Auslöser dafür gegeben haben, dass alle Soldaten tot waren, ohne sich gegenseitig massakriert zu haben.

Der Camargue begann genau zur richtigen Zeit zu zirkulieren. Dabei bewegte er sich so, dass er möglichst viel Erde in Wallung brachte. Seine übertriebenen Bewegungen mochten einen grotesken Eindruck auf die Angreifer gemacht haben, für die diese Bocksprünge mit dem anschließenden Schleifen der Hufe wie pure Verzweiflung ausgesehen haben mussten. Und genau das hatten wir vor. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ich diesmal abgestiegen wäre, um Orobas mit meinen Schlagdornen zu unterstützen, aber die Gefahr, von seinen um sich wirbelnden Hufen getroffen zu werden, war zu groß. Also blieb ich auf dem Feldsattel sitzen, auch wenn die Steigbügelaufhängung sehr weit vorne lag und mich zum Stuhlsitz verleitete. Wir zogen uns in das Auge des aufgewirbelten Erdreichs zurück und warteten, aber sie kamen nicht. Es wäre dann doch zu einfach gewesen. Wie ein Geist näherte sich der Camargue dem Ende der staubigen Tarnung, die nicht mehr lange in der Luft stehen würde. Dann sprengte er so schnell voran, dass ich beinahe den Halt verloren hätte. Zwei nicht weniger überraschte Angreifer tauchten vor uns auf. Der Camargue ritt den ersten um, bremste dann aus vollem Lauf ab und drosch seine Hinterhand frontal in den Leib des anderen, bevor er den ersten noch einmal überlief. Ohne zu zögern, begann er damit, erneut zu zirkulieren, diesmal weiträumiger, weil er ahnte, dass sich der Rest der Bande, durch den Lärm angestachelt, jetzt in der Mitte des ursprünglich gezogenen Kreisels vorgewagt hatte, aber auch genauso schnell wieder hervorkommen würde, orientierungslos, weil der Dunstkreis nun vergrößert worden war. Der Camargue hielt nicht inne, sondern verkleinerte jetzt seine Linien wie in einer Spirale.

Die anderen hatten keine Chance und machten keine Anstalten, die Speere, die sie trugen, auch nur ein einziges Mal zu heben, da war das Schlachtross bereits über sie hinweggedonnert, beschrieb eine schnelle Kehre, kam zurück und trampelte jegliches Leben aus ihnen heraus, bevor es dem Staubkessel gemächlich enteilte und dann abrupt stehen blieb, um abzuwarten, was ich als Nächstes vorhatte. Ich brachte es nicht über mich, mir den Kampfplatz näher anzusehen, stieg allerdings vom Rücken des Pferdes und bedankte mich aufrichtig, bevor ich die Richtung vorgab, in die wir weitermarschieren sollten.

„Wir können das nicht die ganze Zeit machen“, sagte ich. „Irgendwann haben sie sich auf uns eingestellt, dann werden wir ihnen nichts mehr entgegenzusetzen haben. Wir wissen ja nicht einmal sicher, ob nicht doch irgendwelche Feuerwaffen noch funktionieren, auch wenn es nicht so ausgesehen hat.“

Orobas antwortete nicht, aber ich war mir der Tatsache bewusst, dass er jedes Wort verstanden hatte. Es war sogar noch einfacher: Ich war derjenige, der zwar sprach, aber ihn nicht immer verstand. Es mochte am Geheimnis des Schweigens liegen; ob man es sich nun aus freien Stücken auferlegte oder aus anatomischen Gründen nicht dazu fähig war, spielte dabei keine Rolle. Das Schweigen war eine tiefere Kommunikation, das Entscheidende lag an den Feinheiten der Empfindung. Als Sergeant war er von uns beiden der Ranghöhere, aber er befahl mir nichts. Ich glaube, in Anbetracht dieser außergewöhn­lichen Situation waren wir zu Partnern geworden. Welchen Weg hätte er ohne mich eingeschlagen? Ich fragte ihn das, und auf eine gewisse Weise sah es so aus, als gäbe er mir durch ein leises Geräusch, das aus seinen Nüstern strömte, die Zusage, es genauso gemacht zu haben, wie es jetzt war. Wir mussten einen Ausweg finden und möglichst wenig darüber nachdenken, wie es dazu kam.

Ich höre sie wieder kommen, und ich muss zugeben, dass ich mittlerweile sehr müde geworden bin. Nicht im körperlichen Sinn, denn da hatte sich die Müdigkeit dauerhaft in mich eingebrannt. Noch immer weiß ich nicht, wo ich bin, aber – nein, ich muss Schluss machen, die Zeit reicht nicht aus, und was hatte mein Zustand schon zu bedeuten?

Sie holten ihn nach einer weiteren Nacht, die er in einer gemütlichen, von Kerzen beschienenen, aber streng bewachten Zelle verbracht hatte.

„Sie müssen jetzt mit uns kommen“, sagte ein groß gewachsener und hagerer Mann, der in einer merkwürdig schwarzen Uniform steckte, die wie ein Ornat aussah.

Sein Blick war trüb geworden, so als wolle sich sein Geist aus dem Dasein drängen. Hinter dem Uniformierten stand ein kleinerer Mann mit einem kahlen Schädel und einer runden Brille, der ihn neugierig musterte. Auf den ersten Blick schien er einer der Ärzte zu sein, die sich bisher um ihn gekümmert hatten, aber mit Sicherheit wusste er es nicht. Sie hatten ihm vor Tagen schon andere Kleidung zurechtgelegt, die er allerdings nicht angerührt hatte, weil er glaubte, sie könnten die Bilder entdecken, die er den ganzen Tag beschriftete. Natürlich wussten sie Bescheid, sie hatten ihn keinen Augenblick aus den Augen gelassen, schließlich waren er und das seltsame Pferd die einzigen Überlebenden, die es aus der Roten oder Verbotenen Zone herausgeschafft hatten, und das wahrscheinlich auch nur durch Zufall.