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Eve und dem Team der Timer-Force ist es gelungen, König Ludwig II. von Bayern zu retten. In einer weiteren atemraubenden Reise nicht nur durch die Jahrhunderte, sondern auch durch halb Europa, versuchen sie nun, seinem Sohn einen Platz in der Zeit zu sichern. Wird es ihnen gelingen, dem drohenden Schatten, der ihnen aus der Vergangenheit gefolgt ist, zu entkommen?
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Timer Two
Myriam Werner
&
Oliver Buck-Werner
Das Buch:
Im zweiten Teil der Timer-Reihe helfen Eve und ihr Team nicht nur Ludwig II. von Bayern, sondern auch seinem Sohn Lennart. Erneut überwindet die Timer-Force die Grenzen der Zeit und reist durch die Jahrhunderte. Doch welcher Schatten verfolgt den König?
Die Autoren:
leben in NRW und wollen mit ihren Leser*innen durch die Zeit reisen, um die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel zu erleben.
Timer Two
Myriam Werner
&
Oliver Buck-Werner
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
1. Edition, 2023
© Myriam Werner &
Oliver Buck-Werner 2023
All rights reserved.
Umschlaggestaltung: Werner & Buck-Werner
Korrektorat: Oliver Buck-Werner
Lektorat: Oliver Buck-Werner
Independently published
M. Werner & O. Buck-Werner
Bessemerstr. 85
44793 Bochum
ISBN 9783757941246
Aus Gründen der Rechtssicherheit weisen wir darauf hin, dass, gleichwohl sich dieses Buch an historischen Fakten orientiert, es ein Roman bleibt, dessen Charaktere und Handlung der Fantasie entsprungen sind. Die Interpretation bleibt den Leser*innen überlassen.
Nichts, wirklich gar nichts ist für immer.
Nicht einmal der Tod.
MW
»Wir haben ein Problem?«
Entgeistert blickte Eve Ludwig an.
»Wir?«
Auf der Stirn des Königs bildeten sich bereits feine Schweißperlen.
»Ja also ... Marie, also Marie und ... Wir haben einander in tiefer Seele verbunden.«
Eve deutete vorwurfsvoll auf das Neugeborene in seinen Armen.
»Wie mir scheint, haben sich nicht nur eure Seelen verbunden ...«
Die Gesichtsfarbe des Königs wurde noch ein wenig dunkler. Aus den kleinen Schweißperlen wurden Tropfen.
»Also ... Ihr müsst uns helfen! Unser Sohn ...«
Unglücklich streckte er Eve das Baby entgegen. Die grünen Augen des Kleinen blinzelten Eve an, der Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Seufzend übernahm Eve den Säugling und schaute ihm noch einmal prüfend in die Augen. Kein Zweifel – das war Lennart Heinrich, der mittlerweile vierzigjährige Juniorchef des Bayerischen Adelsfonds (BAF). Sie hielt tatsächlich ihren eigenen Chef auf dem Arm.
»Ich habe dich doch extra gewarnt! Was war an Du darfst nichts tun, was die Vergangenheit verändert nicht zu verstehen?! Wie alt ist Len – äh, der Kleine? Und was sagt Marie dazu? Du hast sie doch wohl nicht eingeweiht?«
»Nein! Wir haben doch Unser Wort gegeben! Sie hält Uns für den deutschen Grafen von Berg.«
Immer, wenn Ludwig aufgeregt war, fiel er wieder in seine alte Sprechweise, den majestätischen Plural, zurück.
»Ach Eve, es ist so schrecklich! Sie wird genauso hintergangen, wie man es mit Uns, also mit mir, gemacht hat! Die Intrigen am Hofe Ludwigs XVI. stehen denen in München 1886 in nichts nach. Und die Damen untereinander – mon dieu! Ich musste sie einfach trösten. Ihre zarte Seele ist so furchtbar einsam und unverstanden, sie hat kaum Freunde. Wer könnte das besser nachvollziehen als ich?« Erregt schritt der König auf und ab.
Die Verschwörung des bayerischen Adels und der Politiker, die zu einem Mordkomplott gegen Ludwig II. von Bayern und seinem vermeintlichen Tod geführt hatte, war Eve selbstverständlich gegenwärtig. Immerhin hatte sie dieses Komplott aufgedeckt und nicht unwesentlich dazu beigetragen, den König zu retten. Gott sei Dank war er ein Timer, genau wie Eve. Kinder, die zwischen null und ein Uhr morgens geboren wurden, hatten in späteren Lebensjahren nachweislich ein auffälliges Energiespektrum. Verbunden mit einem extrem stark ausgebildeten Empathievermögen, führte das bei einigen von ihnen zu der Fähigkeit, in der Zeit springen zu können. Die exakten Zusammenhänge hatte Eve erst durch das Team der Timer-Force am CERN erfahren. Deren Leiter, Lukas Pelz, war der Bruder ihrer Freundin Lucy. Ludwig riss Eve aus ihren Gedanken.
»Eve? Was machen wir denn jetzt? Der Kleine kann auf keinen Fall bei Marie bleiben. Es war schon schwer genug für sie, das, hm, Ganze geheimzuhalten. Es könnte sie den Kopf kosten!«
Wie makaber, dachte Eve, angesichts der Tatsache, dass Marie Antoinette durch die Guillotine sterben würde.
»Ich fürchte, wir müssen sehr schnell dafür sorgen, dass Lennart zu seiner Familie kommt. Ausnahmsweise habe ich keine Ahnung, wie wir das anstellen sollen«, seufzte Eve.
»Wieso Lennart?«, wollte Ludwig verdutzt wissen.
»Am besten, du setzt dich erst einmal und ich koche uns einen Kaffee. Es gibt da etwas, das ich dir erklären muss ...«
Der Kleine quengelte leise vor sich hin. Eve bastelte auf dem Sofa einen sicheren Liegeplatz zwischen zwei Kissen und legte das Baby vorsichtig hinein. Sofort holte Ludwig die Spieluhr, die sie ihm in Bayern geschenkt hatte, aus der Tasche und zog sie auf. Die kleinen Figuren drehten sich zu den Klängen des Ave Maria von Bach. Der König summte die Melodie mit und streichelte zärtlich das Köpfchen seines Neugeborenen. Bald darauf wurden dem die Augenlider schwer und er schlief ein. Betont vorsichtig und leise brachte Eve die Kaffeekanne an den Tisch und schenkte zwei große Tassen ein. Sie atmete noch einmal tief durch.
»Ich habe dir doch von meinem Boss erzählt, dem Juniorchef des BAF, Lennart Heinrich. Er hat mir erst vor kurzem verraten, dass er nicht das leibliche Kind seiner Eltern ist. Von denen wisse er gar nichts, außer, dass sie ihm eine Spieluhr in die Babytasche gelegt hätten, die er bis heute wie einen Schatz hüte.«
»Aber wie kann das sein?«, unterbrach der König Eve verwirrt. »Er ist doch ein Säugling. Wie kann er dann gleichzeitig erwachsen sein? Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Ich habe die grünen Augen deines Sohnes sofort erkannt. Diese kleinen schwarzen Sprenkel in der Iris, dieses ungewöhnlich changierende Grün. Solche Augen kann es nicht zweimal geben. Außerdem sieht er aus wie du. Er wurde sein Leben lang wegen dieser Ähnlichkeit aufgezogen. Wir müssen unbedingt einen Weg finden, ihn in die Vergangenheit zu bringen, also in das Jahr 1982. Dazu werden wir die Hilfe von Lukas und dem Team brauchen. Eigentlich muss ich in der Zwischenzeit auch mal wieder arbeiten. Die sind verständlicherweise ohnehin schon sauer auf mich. Oh Gott, wie um Himmels willen bringen wir das deinem Sohn bei? Bringen wir es ihm überhaupt bei? Er holt mich am Wochenende ab – wir wollen zusammen zurück nach München.« Erregt lief Ludwig im Zimmer auf und ab. »Hast du eine Fotografie von ihm? Und warum nennst du ihn Lennart? Er soll Maximilian Ludwig Franz Karl Philipp heißen!«, ereiferte sich der König.
Eve gönnte sich einen ordentlichen Schluck aus der Kaffeetasse und griff nach ihrem Handy. Im Handumdrehen suchte sie eine Porträt-Aufnahme von Lennart heraus: Verschmitzt lächelnd funkelten seine außergewöhnlichen Augen in die Kamera.
»Nun setz dich doch endlich mal hin, du weckst sonst noch den Kleinen auf. Wenn du mit dem Finger nach links streichst, siehst du weitere Bilder von ihm. Er ist nett, aufgeschlossen und sehr charmant. Allerdings auch ein wenig geheimnisvoll. Und was den Vornamen betrifft: Ich gehe mal ganz stark davon aus, dass deine Wahl den Pflegeeltern etwas zu opulent erschienen wäre. Vermutlich fanden sie Lennart einfach schön, oder es befindet sich ein Lennart der Langmütige in ihrer erlauchten Ahnenreihe ...«
Misstrauisch sah Ludwig sie an. »Sie macht sich lustig über Uns, nicht wahr?«
Eve verbiss sich das Lachen. Die Bedeutung von Ironie musste er sich wohl noch erschließen. So ganz konnte er den König doch nicht ablegen. Mit treuherzigem Blick und ernster Stimme antwortete sie deshalb: »Aber nein, Majestät. Es ist eine wohlüberlegte Möglichkeit bezüglich der Namenswahl.«
Ludwig musterte prüfend ihren Gesichtsausdruck, dann lachte er und hob mahnend den Zeigefinger. »So leicht lasse ich mich nicht einseifen. Aber Max ..., Lennart ist ein stattlicher, gutaussehender Prinz. Ich finde auch, dass er mir ähnlich sieht.« Stolz deutete Ludwig auf das letzte Foto und machte Anstalten, das Handy einzustecken. »Ich würde die Bilder gerne behalten, Eve.«
Eve lachte. »Kein Problem, ich besorge dir ein eigenes, äh, Album. Mein Handy kannst du leider nicht haben. Wir können auch Aufnahmen von euch beiden hinzufügen, dann hast du eine schöne Erinnerung an seine ersten Tage. Aber jetzt müssen wir schauen, dass wir den Rest des Teams herbekommen. Dein Sohn wird bestimmt bald hungrig sein und das Bedürfnis nach einer frischen Windel verspüren.«
Während der König ob dieses Gedankens die Nase rümpfte, tippte Eve rasch eine SOS-Nachricht an die Mitglieder der Timer-Force.
»Können wir nicht eine Amme kommen lassen?« Ludwig sah Eve fragend an.
Die hob die Augenbrauen. »Nee. So etwas gibt es nicht mehr. Wir müssen ihm Ersatzmilch, Windeln und vermutlich noch einige weitere Sachen besorgen. Aber vor allen Dingen müssen wir ihm eine Betreuung verschaffen.«
»Ich kann mich doch um ihn kümmern. Vielleicht mit einigen Dienern?«
Eve schüttelte den Kopf. Es gab nun leider doch den einen oder anderen Unterschied zwischen dem neunzehnten und dem einundzwanzigsten Jahrhundert.
»Ludwig, es gibt keine Diener mehr. Es gibt zwar Betreuer, die sich gegen Bezahlung um Kinder kümmern, aber das geht in diesem Fall so gar nicht. Und so sehr ich dich auch schätze, aber das Versorgen eines Neugeborenen – ich weiß nicht. Du könntest auch nicht mehr deine Zielpersonen besuchen. Außerdem wäre es nicht gut, wenn du eine zu enge Bindung zu ihm aufbaust. Das würde die zwangsweise notwendige Trennung zusätzlich erschweren.«
Unglücklich sah der König Eve an. »Aber er ist doch mein Sohn. Ich liebe ihn! Was soll er denn denken, wenn er erfährt, dass ich ihn weggegeben habe? Wird er mir das je verzeihen?«
Eve nickte verständnisvoll. »Du musst das Beste für ihn tun. Seine Pflegeeltern scheinen sich gut um ihn gekümmert zu haben. Er ist mit vielen Geschwistern aufgewachsen und vermögend ist er auch. Himmel, was für ein zeitliches Durcheinander. Also, was ich sagen will: Du darfst jetzt nicht an dich denken. Hauptsache, deinem Sohn geht es gut. Vielleicht könnt ihr ja Freunde werden. Zunächst müssen wir die Teammitglieder informieren, sonst reißt Lukas uns den Kopf ab.«
Bei dem Gedanken an den durchaus zur Strenge fähigen Teamleiter Lukas Pelz traten erneut Schweißperlen auf Ludwigs Stirn. »Eigentlich müsste ich jetzt dringend noch einmal zu Marie ...«
»Nö mit ö. Das vergiss mal ganz fix. König hin oder her, diese Verbindung der Seelen kannst du Lukas schön selbst beibringen. Von mir erwartet er ja nicht allzu viel. Besser, du machst das selbst. Immerhin kannst du dich wenigstens herausreden. Am besten erwähnst du eure großen Gefühle, das dürfte seinen Unmut etwas bremsen. Und laut werden darf ja ohnehin keiner aus Rücksicht auf das Baby.«
Ludwig seufzte tief. »Er wird mich wieder so vorwurfsvoll und enttäuscht ansehen. Dann fühle ich mich wie früher, wenn unsere Kinderfrau Otto und mich bei etwas Verbotenem erwischt hat. Könnte ich nicht vielleicht später dazu ...?« Hoffnungsvoll sah er sie an.
Energisch schüttelte Eve ihren Kopf. »Und noch einmal nö mit ö. Mir läuft es auch immer kalt den Rücken herunter, wenn er so guckt. Aber er hat es ja auch nicht leicht mit uns. Was wir natürlich nie zugeben werden. Zusammen schaffen wir das. Wir haben doch schon ganz andere Hürden genommen, Majestät.«
»Das ist wahr. Oft meine ich, den eisigen Hauch der Vergangenheit zu verspüren. Als wenn sie ihre klammen Finger nach mir ausstreckt, um mich zurückzuholen.«
Ein kalter Schauer rann Eve über den Rücken und stellte ihr die Nackenhaare auf. Besorgt sah sie ihn an. Vielleicht sollte sie noch einmal mit David darüber reden. Das Trauma des Mordversuchs und der immense Zeitunterschied schienen Ludwig doch mehr zuzusetzen, als es ihm bewusst war. David, der für die psychologische Betreuung der Timer zuständig war, würde das sicher wissen wollen.
Das Klopfen an der Tür unterbrach Eves Gedanken. Lukas Pelz und Dr. David Reimer betraten den Raum und sahen Ludwig verblüfft an.
»Sollten Majestät jetzt nicht eigentlich bei Doc Tom sein?«
Ludwig zuckte verlegen mit den Achseln und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Baby Lennart anfing, vor sich hin zu quengeln. Mit schnellen Schritten erreichten Lukas und David das Sofa. Das Baby zog weinerliche Grimassen und war offensichtlich angestrengt damit beschäftigt, seine Windel zu füllen. Ein großes Fragezeichen schien über Davids Kopf zu schweben. Über Lukas‘ Kopf bildete sich eine fast sichtbare Unwetter-Wolke. Anklagend sah er Eve an.
»Eve?! Was ist das? Und was macht es hier? Was hast du, um Himmels willen, jetzt bloß wieder angestellt?«
»Von einem hochdekorierten Physiker hätte ich mehr erwartet! Das, mein lieber Lukas, ist ein Baby. Ein süßes, kleines Neugeborenes. Möchtest du ihn mal halten?«
Augenblicklich trat Lukas vom Sofa zurück.
»Eve ...?!« Der drohende Unterton war nicht zu überhören.
Tapfer straffte sich der König und trat heldenhaft zwischen Eve und Lukas.
»Ich möchte euch gerne Maximilian Ludwig Franz Karl Philipp Prinz von Bayern vorstellen.«
Sprachlos starrte Lukas ihn an. Bei David schien der Ton das Gehirn mit Verzögerung erreicht zu haben.
»Maximilian Ludwig Franz Karl Philipp«, echote er. Dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Eve zischte ihn missfallend an. »Pssst! Reg Lennart nicht auf, sonst weint er gleich.«
»Lennart?! Was soll der Schei ... Soll das ein Scherz sein? Könnte mich bitte mal jemand aufklären. Ich hoffe, ihr wollt mich verulken?!« Lukas raufte sich die Haare.
»Ja, also Marie, Marie und ich ...«
Eve zog warnend Grimassen und gab ihm versteckte Handzeichen, indem sie aus Daumen und Zeigefingern ein Herz formte.
»Ja, also Marie und ich, wir lieben einander wie zwei Seelengefährten. Sie ist so schrecklich einsam und unglücklich. Wer könnte das besser verstehen als ich? Wir haben Trost ineinander gefunden.«
David gluckste. »Nicht nur Trost, wie man sieht.«
Lukas sah ihn mit seinen dunkelblauen Augen strafend an. »Du hast tatsächlich ein Kind mit der Königin Marie Antoinette? Was denkst du dir bloß? Das geht nicht. Auf gar keinen Fall! Und warum muss ich schon wieder den Namen Lennart hören? Was hat er damit zu tun? Ist der eigentlich überall?«
Jetzt schaltete Eve sich ein. »Das geht nicht? Du bist ja putzig. Soll er es rückgängig machen? Das ist doch keine Amazon-Bestellung: Bei Nichtgefallen vier Wochen Rückgabe möglich. Also wirklich. Lennart ist übrigens der Rufname des Kleinen. Jedenfalls wird er demnächst dann so heißen. Wenn alles gut geht. Aber dafür werden wir schon sorgen, nicht wahr? Wir werden unseren leidgeprüften Freund Ludwig doch nicht im Stich lassen. Ich habe gleich gesagt, wenn jemand eine Lösung findet, dann ist es Lukas.« Vertrauensvoll lächelte sie Lukas zuckersüß an.
Der sank langsam auf einen Sessel. Schwer atmend deutete er auf das Baby.
»Das ist ... Das ist also Lennart Heinrich? Dein Lennart Heinrich? Der Traum aller Frauen und Prinz Charming? Ich fasse es nicht. Wie konnte... Nein, bitte nicht. Ich weiß schon wie, aber warum? Kann sich denn hier niemand an die Regeln halten? Das wird Ärger geben, sage ich euch. Der Uhrich dreht durch. Und das kann ich ihm nicht mal verübeln. Eve, koch mal bitte Kaffee. Schön stark – den brauche ich jetzt.«
Darum musste er Eve nicht lange bitten.
Wenige Minuten später erfüllte aromatischer Kaffeeduft den Raum. David nahm Baby Lennart auf den Arm und schaukelte ihn sanft, was ihm sehr zu gefallen schien. Sein Gequengel wurde leiser und er grunzte vor sich hin.
»Martin und seine Frau haben doch erst vor kurzem Nachwuchs bekommen. Wir sollten ihn um Hilfe bitten. Amelie ist wirklich sehr nett. Sie hilft bestimmt und wird auch keine Fragen stellen. Was meinst du dazu, Lukas? Majestät?«
Ludwig nickte dankbar und sah hoffnungsvoll zu Lukas hinüber. Der strich sich mit den Händen die Haare von vorne nach hinten und wieder zurück.
»Ja, das ist eine gute Idee. Fragst du bei ihm nach? Niemand außer dem Team der Timer-Force darf das Kind zu Gesicht bekommen. Keiner von euch darf auch nur einen Ton darüber verlieren. Uhrich muss das von mir hören. Und zwar fix.«
Bei dem Gedanken an seinen Chef wurde Lukas ganz mulmig zumute. Walther Uhrich war immer ein Vorbild an Korrektheit und hatte eine sehr enge Auffassung über das Einhalten von Regeln und Vorgaben. Ein Aus-der-Reihe-Tanzen gab es bei ihm nicht. Das würde auf jeden Fall Konsequenzen haben, da war sich Lukas ganz sicher.
Keine zehn Minuten später klopfte Martin Gröger an die Tür. Eigentlich durch und durch ein Technikfreak, hatte er während der Schwangerschaft seiner Frau nicht nur unzählige Elternratgeber gelesen, sondern auch ein wenig an Gewicht zugelegt. Seine leicht untersetzte Figur und das etwas vollere Gesicht ließen ihn wie einen freundlichen Teddybären wirken.
»Eve hat ein Baby? Oh, wie süß!«
Begeistert nahm er David den Kleinen ab und begann sofort in Babysprache mit ihm zu reden. Baby Lennart krähte vergnügt und wedelte mit seinen kleinen Ärmchen durch die Luft.
Eve schüttelte empört den Kopf. »Hallo?! Eve hat kein Baby! Obwohl Eve manchmal denkt, sie hätte vier Babys!«
Lukas stöhnte gequält auf. »Gib Len ..., das Baby bitte wieder David und hör mir zu. Die Lage ist verdammt ernst!«
Martin, der sofort errötete, reichte David den Kleinen mit bedauernden Glucksgeräuschen zurück. Nachdem Lukas ihn aufgeklärt hatte, rief er umgehend seine Frau an. Amelie versprach sofort, zu helfen. Sie war von jeher der pragmatische Typ und hatte von Anfang an akzeptiert, dass Martins Job als Gesprächsthema tabu war. Gott sei Dank wohnten die beiden ganz in der Nähe und so würde sie innerhalb der nächsten halben Stunde eintreffen.
Während alle wie wild durcheinanderredeten, nahm Ludwig seinen Sohn wieder zu sich und streichelte über seinen weichen Haarflaum. Mit großen, traurigen Augen sah er Eve fragend an.
»Es ist wirklich das Beste für ihn, Ludwig. Wenn mich nicht alles täuscht, müsste er gleich gefüttert und gewindelt werden. Und dass er sofort eine kleine Freundin bekommt, ist doch super. Eine bessere Übergangslösung könnten wir uns gar nicht wünschen«, sprach sie dem König Mut zu.
»Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich Marie davon unterrichte, dass Maximilian in Sicherheit ist?«, fragte der König hoffnungsvoll. Langsam setzten ihm die vielen Leute im Raum zu. Noch immer war es für ihn ungewohnt und anstrengend, mit so vielen Menschen zusammen zu sein.
Lukas sah genervt zu Eve, die ihn wortlos aus ihren hellblauen Augen anblitzte. Aufseufzend wandte er sich Ludwig zu.
»Nein, das ist schon in Ordnung. Solange du nicht mit seinem Bruder oder seiner Schwester zurückkommst, wenn ich bitten darf!«
Ludwig nickte, lächelte Eve schwach an und zog sich zurück.
»Das ist ja ein schöner Schlamassel. Also, gleich heute Abend noch eine Team-Besprechung! Und niemand drückt sich! Eve hat dafür gesorgt, dass unser Feierabend heute später anfängt«, kommandierte Lukas.
David sah Eve an und hob die Augenbrauen. Sie zuckte nur mit den Achseln.
»Ich kann mir eben keine schönere Abendunterhaltung vorstellen, als mit meinen Männern zusammen zu sein.«
Walther Uhrich lehnte sich in seinem leise knarzenden Ledersessel zurück und sah Lukas lange an, ehe er das Schweigen brach.
»Ich bin sehr enttäuscht von ihnen, Lukas. Sie weisen immer wieder Schwächen in ihren Führungskompetenzen auf. Zuerst gelingt es ihren Mitarbeitern nicht, Jeanne d’Arc von Eve Linden fernzuhalten. Als nächstes erreichen sie nur mit Glück, dass sie in ihre Zeit zurückkehrt und den Timer dort freigibt, der wiederum kurz danach einen Selbstmordversuch unternimmt. Und nun dieses Debakel. Dass eine gestandene Persönlichkeit wie Eve Linden nicht leicht zu führen ist, verstehe ich. Dass sie zuerst König Ludwig II. von Bayern mitbringt und der dann seinen Sohn – nein, das führt zu weit. Es verstößt gegen alle Regeln und die Ordnung des Zeitkontinuums. Was wird als nächstes geschehen? Wird der König Marie Antoinette nachholen? Undenkbar, welches Ausmaß das angenommen hat. Können sie mir verraten, wie ich noch Vertrauen in ihre Fähigkeiten haben soll?«
Ruhig ließ Lukas die Strafpredigt über sich ergehen und hörte dem Vorgesetzten aufmerksam zu. Dann sah er seinem Chef entschlossen in die Augen.
»Keiner bedauert diese Zwischenfälle mehr als ich. Wir sind alle Neulinge auf dem Gebiet der Timer-Forschung und es kann nicht ohne Fehler und Schwankungen in den Lernprozessen ablaufen. Wir forschen mit und an Menschen, da sind solche Unwägbarkeiten nicht auszuschließen. Selbstverständlich bemühen wir uns, diese Vorfälle in den Team-Sitzungen zu analysieren, um zukünftige Vorgehensweisen zu optimieren.«
Seufzend verschränkte Walther Uhrich die Hände ineinander.
»Mag sein. Trotzdem halte ich es für angebracht, wenn wir hier ein wenig frischen Wind hineinbringen. Ihr Kollege Pierre Creuse hat dieses Projekt von Anfang an mit Interesse verfolgt. Sie wissen ja, dass er ebenfalls für die Teamleitung zur Disposition stand. Er hat mich frühzeitig vor dieser Entwicklung gewarnt und leider recht behalten. Ab sofort wird er die Leitung der Timer-Force übernehmen. Sie werden ihn in der Funktion des Stellvertreters unterstützen. Im Idealfall schauen sie sich bei ihm ab, wie er die Führungsposition handhabt. Ich weiß, dass sie bei ihrem Team überaus beliebt sind, aber genau das ist leider ein Bestandteil des Problems. Creuse besitzt die notwendige Distanz und kann so auch die Timer wieder einspuren. Es ist doch sehr kollegial von ihm, so spontan einzuspringen, nicht wahr?«
Lukas schluckte. Von wegen spontan. Ausgerechnet Creuse, die falsche Kröte. Sie hatten gleichzeitig beim CERN angefangen und bisher war Lukas ihm immer eine gute Nasenlänge voraus. Das setzte seinem schärfsten Konkurrenten mächtig zu. Er hatte es von Anfang an auf die Leitung der Timer-Force abgesehen. Am liebsten würde Lukas seine Meinung über den ach so vorbildlichen Kollegen laut hinausposaunen. Aber dann könnte er wohl seinen Hut nehmen. Er schluckte zweimal hart, ehe er antwortete.
»Wenn sie das für die beste Lösung halten, werde ich das Meine tun, um Pierre Creuse zu unterstützen. Ich werde das Team sofort über die Veränderung informieren.«
»Hervorragend. Pierre war so freundlich, ebenfalls länger zu bleiben. So können sie ihn gleich mit einbeziehen. Ich erwarte laufend Fortschrittsberichte und alle fünf Tage möchte ich sie und Creuse zum persönlichen Rapport sehen.« Uhrich erhob sich, um anzudeuten, dass alles gesagt war.
Niedergeschlagen verließ Lukas das Büro. Freundlich, pah. Creuse wollte seinen Erfolg auskosten. Das gesamte Team sollte dabei sein, wenn er über Lukas triumphierte. Hatte er wirklich versagt? Nein, so konnte und wollte er das nicht sehen. Sicher, König Ludwig gehörte nicht in diese Zeit. Aber da er auch nicht mehr in seiner war, konnte doch nichts durcheinandergeraten. Selbst das Universum schien ja der Meinung zu sein, dass dieses Leben zu Unrecht so früh geendet hatte. Immer noch grübelnd betrat er den Raum, in dem die Teamsitzungen stattfanden. Pierre Creuse fläzte sich bereits in dem Stuhl, der dem Leiter der Besprechung vorbehalten war und grinste breit, als er Lukas sah.
»Ah, da kommt ja mein Stellvertreter! Dann können wir ja gleich loslegen. Wird Zeit, dass der Schlendrian ein Ende findet und wieder Ordnung einzieht. Mit ein wenig mehr Kandare wird es bald wieder reibungslos laufen.« Selbstgefällig rieb er sich die Hände. Als passionierter Reiter liebte er Begriffe aus dem Reitsport.
Unterdessen kamen Martin und Tom zeitgleich mit David an. Raven Geretz, der Analytiker, der oft teamübergreifend eingesetzt wurde, folgte nur wenige Sekunden später. Alle sahen erstaunt von Lukas zu Pierre. Natürlich wusste die ganze Abteilung von der Konkurrenz zwischen den beiden. Der immer freundliche und kompetente Lukas wurde allseits geschätzt und war bei fast allen Kollegen sehr beliebt. Den arroganten Pierre Creuse hingegen mochten die meisten nicht oder fürchteten seinen Hang, jedweden Fehler in die höheren Etagen weiterzutragen. Schweigend nahmen die Männer ihre üblichen Sitzplätze ein. David, der registrierte, dass Creuse auf Lukas‘ Stuhl saß, schwante Übles. Der neue Teamleiter schaute demonstrativ auf seine Cartier-Armbanduhr und runzelte die Stirn. Er öffnete gerade den Mund, als Eve, gefolgt von Ludwig, hereinstürmte. »Ich hab uns noch ein Tablett mit Kaffee besorgt, es ...«
Als sie Pierre Creuse sah, brach sie ab und blieb abrupt stehen. Ludwig, der damit nicht gerechnet hatte, lief auf und gab ihr so einen kräftigen Schubs. Ungebremst und mit einem satten Knall schlug das Tablett mit den Kaffeebechern auf der Tischplatte auf. Von einem der Becher flog in hohem Bogen der Deckel ab und der heiße Kaffee spritzte auf Pierres Hemd. Mit einem Aufschrei sprang er vom Tisch zurück. »Merde!«
Eve, die Pierre Creuse bereits zuvor kennen- und verabscheuen gelernt hatte, wusste von der Konkurrenz zwischen ihm und Lukas. Ihr Bauchgefühl verursachte eine tiefe Abneigung gegen den Falschling. Diese Bezeichnung hatte sie von Ludwig übernommen, der einige der Verräter am königlichen Hof so betitelt hatte. Sie hob bedauernd die Hände. »Der schöne Kaffee!«
Martin Gröger gluckste vor Lachen und auch Tom Thelen prustete los. Raven Geretz guckte peinlich berührt aus dem Fenster. David, der immer noch böse Vorahnungen hatte, griff sofort nach der Küchenrolle von dem kleinen Büfett, das seitlich als Ablage diente und wischte die Bescherung auf.
»Ist doch nicht viel passiert, das kann man doch leicht beseitigen«, versuchte er zu beschwichtigen.
Nachdem der Tisch wieder sauber war, setzte Lukas an, um seinem Team die unangenehmen Neuigkeiten möglichst schonend zu vermitteln. Pierre schnitt ihm jedoch sofort das Wort ab.
»Nun, Team der Timer-Force, in der letzten Zeit habt ihr euch ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Um die Strukturen hier zu straffen und endlich wieder seriöse Arbeit zu leisten, werde ich vorläufig die Teamleitung übernehmen. Bei der Gelegenheit: Was macht er bei einer Teamsitzung und was hat Frau Linden hier zu suchen?«
Sein ausgestreckter Zeigefinger pikste anklagend in Richtung des Königs, der Pierre Creuse bisher noch nicht kennengelernt hatte. Indigniert sah Ludwig mit hochgezogenen Augenbrauen und gerümpfter Nase fragend zu Lukas.
»Was erlaubt er sich?! Er soll sie hinfortnehmen, sonst lassen Wir sie ihm abschlagen! Wer ist dieser Kretin und warum werden Wir mit ihm belästigt?«
Lukas hob entschuldigend die Hände. »Es tut mir wirklich leid, Majestät, aber der Kretin ist im Umgang mit Königen ungeübt und vergreift sich deshalb im Ton. Er ist neu im Team und kennt sich noch nicht aus.«
Ludwig erhob sich. »Das ist nicht tolerabel«, donnerte er. »Wir werden wiederkommen, wenn er entfernt wurde.« Mit diesen Worten verließ der König den Raum.
Wutschnaubend sprang auch Eve auf, um Ludwig zu folgen. »Ja dann viel Erfolg bei der Lösung des Problems ohne Timer, sie .... Kretin!«
Es herrschte Totenstille im Zimmer. Das Gesicht Pierre Creuses ähnelte einer überreifen Tomate. An seiner Stirn pulsierte eine geschwollene Ader im Rhythmus seines Herzschlages. Tom Thelen musterte ihn besorgt.
»Wann hatten sie eigentlich ihren letzten Check-up? Haben sie ein Blutdruck-Problem?«
»Das ist unfassbar, Pelz! Solche Verhaltensweisen sind absolut indiskutabel! Frau Linden ist bis auf weiteres von der aktiven Teilnahme suspendiert! So lasse ich nicht mit mir umgehen!«
David Reimer schüttelte verärgert den Kopf. »SolcheVerhaltensweisen? Sie platzen hier herein wie die Axt im Walde, vergrätzen den Timer, auf den wir zur Problemlösung angewiesen sind, und beleidigen den König von Bayern. Das war eine Verhaltensweise, und zwar eine unangebrachte! Aus psychologischer Sicht absolut unsensibel.«
Die Ader auf Creuses Stirn pulsierte stärker als zuvor. Trotz der Zurechtweisung durch den leitenden psychologischen Arzt wusste Pierre Creuse, dass er es sich nicht mit ihm verderben durfte. Dr. David Reimer war ein hochgelobter und anerkannter Psychiater und seine Reputation war nahezu unantastbar. Der Vorstand hielt große Stücke auf ihn und war sehr stolz, ihn am CERN zu beschäftigen. Creuse atmete tief durch.
»Man muss ja nicht gleich so empfindlich sein! Unter den Umständen war es ein wenig zu übereifrig. Aber diese Empfindlichkeit – typisch Frau. Und von dem ehemaligen König brauchen wir gar nicht erst zu sprechen. Wahrscheinlich weiß er es selbst nicht so genau, ha.«
Beifallheischend sah er in die Runde. Lukas strich sich die Haare von hinten nach vorn. Das tat er immer, wenn er die Situation nicht wegwischen konnte. David schüttelte wortlos den Kopf. Martin Gröger starrte Löcher in den Boden, Raven wieder einmal aus dem Fenster. Tom hingegen sah Creuse an.
»Wirklich? Das haben sie doch jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Sorry, aber das geht gar nicht. Lukas?«
Lukas, der eine Eskalation der Situation befürchtete, sah sich gezwungen, vermittelnd einzugreifen.
»Kommen wir alle mal wieder runter. Vielleicht ist es besser, wir vertagen die Besprechung auf morgen früh. Wenn das Herrn Creuse recht ist.«
»Das wollte ich auch gerade sagen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass alle in diesem Team so mimosenhaft sind und keine Männer-Scherze verstehen. Sei es drum, wir verlegen auf morgen neun Uhr. Und dann bitte mit Fokus auf die Arbeit und nicht auf persönliche Befindlichkeiten. Heute lasse ich das ausnahmsweise noch einmal durchgehen. Einen schönen Abend wünsche ich.«
An der Tür angelangt, drehte Creuse sich um. »Die Besprechung gilt als aufgelöst, also bitte verlassen sie nun ebenfalls den Raum.«
Lukas warf einen Blick in die Runde. »Ich werde jetzt versuchen, meinen Kompass zu reparieren, die Befestigung der Nadel ist locker.« Damit ging er hinaus.
Die anderen sahen sich an und nickten verstohlen. Sie hatten den Hinweis verstanden. Bevor Eve zum letzten Mal in das neunzehnte Jahrhundert gesprungen war, hatte sie einen Kompass geschenkt bekommen, der statt N/O/S/W die Buchstaben D (David), L (Lukas), T (Tom) und M (Martin) zeigte. Die Aufhängung der Nadel bildete ein E (Eve).
Eine Stunde später fanden sich alle in Eves Chalet ein. Auf dem Tisch standen bereits die für Eve typische große Kaffeekanne, Wasser und ein paar Knabbereien. Sie begrüßte jedes Teammitglied mit einer kurzen Umarmung. Durch die aufregende Zeit, die sie miteinander geteilt hatten, waren sie wie eine kleine Familie. Sofort entstand lebhaftes Stimmengewirr, alle redeten durcheinander und wurden dabei immer lauter. Lukas klopfte auf den Tisch.
»Leute, beruhigt euch. Pierre ist eine fiese Kröte, das wissen wir alle. Aber gegen Uhrichs Entscheidung kommen wir vorerst nicht an. Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit Creuse zusammenzuarbeiten.«
Betroffen sahen die anderen ihn an. Schuldbewusst legte Eve ihm eine Hand auf den Oberschenkel.
»Sicher ist es meinetwegen. Soll ich mal mit Uhrich sprechen?«
»Bloß nicht!«, mischte David sich ein. »Uhrich ist nicht der Typ, der sich von einer Frau umstimmen lässt. Schon gar nicht, wenn er sie als renitent empfindet. Lukas hat recht. Wir sollten warten, bis sich die Situation etwas beruhigt hat. Und, habt ihr euch schon etwas überlegt?«
Eve sah Ludwig an. »Bedauerlicherweise gibt es nicht viel zu überlegen. Da uns bekannt ist, dass Lennart kein leibliches Kind seiner Eltern ist, muss es uns gelungen sein, ihn zu seiner Familie in das Jahr 1982 zu bringen. Leider liegt der Baby-Version von ihm keine Gebrauchsanweisung bei. Wir sind also auf uns selbst angewiesen.«
Unruhig sprang Lukas auf und wanderte durch das Zimmer, als Martin sich räusperte.
»Wenn ich mal ganz kurz etwas einwerfen dürfte? Herr König, äh Majestät, es wäre nett, wenn es möglich wäre, also, dass sie nicht so plötzlich bei uns zu Hause auftauchen. Meine Frau hat fast einen Herzinfarkt bekommen, als sie unerwartet an Lennarts Bettchen standen. Vielleicht könnten wir ja Zeiten vereinbaren ...?«
Eve schaute Ludwig vorwurfsvoll an. »Ludwig! Also wirklich, die arme Amelie!«
Ludwig hob entschuldigend die Hände. »Ich habe mich wohl daran gewöhnt, einfach zu springen. Selbstverständlich. Es verlangt mich nur so häufig nach ihm.«
Martin nickte verständnisvoll. Das ging ihm mit seiner kleinen Tochter nicht anders. David, der einen tiefen Schluck aus seiner Kaffeetasse genoss, verschluckte sich und hustete. Eve klopfte ihm mitfühlend auf den Rücken.
»Was ist denn mit Tira Davis? Sie war erst gestern Morgen zum Gespräch bei mir. Ihre Zielperson ist Grace Kelly. Mit ihr hätten wir einen Timer, der zumindest in die richtige Zeit springen kann. Allerdings müsste sie von dort mit dem Baby nach Landsberg reisen.«
Lukas blieb abrupt stehen. »Mensch, David, das stimmt! Grace Kelly ist 1982 verunglückt, das heißt, Tira könnte rechtzeitig am Zielort sein. Natürlich darf sie nicht erfahren, wen sie da bei sich hat. Schade, dass wir mit den Zielsprüngen noch nicht weiter sind. Leider haben die meisten Timer Jobs, in denen sie nicht dauernd fehlen können. Wenn man fast ausschließlich an Wochenenden forscht, sind die Fortschritte eher schleichend. Wir brauchen dringend einen höheren Forschungsetat, dann wäre alles einfacher. Das wiederum ist bei der höchsten Geheimhaltungsstufe nahezu unmöglich. Eigentlich war Eve morgen für eine Zielsprungübung vorgesehen. Sie hat das größte Potenzial, da sie übergroßes Empathievermögen besitzt. Ob und wie Creuse das jetzt weiter vorantreibt – ich habe keine Ahnung. Das andere Problem ist Eves Prinz Charming. Es liegt nicht mehr in unserer Hand, ob er die Wahrheit erfährt. Die Entscheidung darüber liegt jetzt bei der Kröte.«
Nun tigerte auch Eve unruhig auf und ab. »Wir fahren am Samstagmorgen zusammen zurück nach München. Ich weiß nicht, ob ich das für mich behalten kann. Er ist mir ein Freund geworden und es fühlt sich falsch an, ihm vorzuenthalten, wer seine leiblichen Eltern sind.«
Genervt sah Lukas Eve an. »Wie stellst du dir das vor? Willst du auf einer Autobahn-Raststätte zwischen zwei Bissen in eine Stulle sagen: Ach übrigens, du bist der Sohn des bayerischen Königs und deine Mama ist Kopf-ab-Marie?«
Ludwig entfuhr ein Klagelaut.
»Oh, Entschuldigung, Majestät. Ich habe es nicht so gemeint. Das war taktlos. Eve?«
»Herrgott, ich weiß es nicht. Nein, natürlich nicht. Vielleicht beim Abendessen.«
»Wie, du willst mit ihm zu Abend essen? Wenn ihr nicht dauernd aufeinander hocken würdet, wäre es auch nicht so schwer, ihm nichts zu sagen!«
An der Stelle mischte sich der König ein. »Er ist doch Unser Sohn. Wir wünschen, dass er das auch erfährt!« Aufgeregt fiel Ludwig wieder in den majestätischen Plural.
David, der Einzige außer Eve, dem es gestattet war, den König mit Ludwig anzusprechen, schaltete sich ein.
»Natürlich, das soll er auch. Wir müssen nur den optimalen Zeitpunkt dafür finden. Das liegt ja auch in seinem Interesse. Was mich momentan am meisten besorgt, ist allerdings der Geltungsdrang von Pierre Creuse. Uhrich selbst hat keine Ahnung vom praktischen Teil der Forschung. Er ist zwar gutmütig, aber vollkommen überfordert und hat Angst, dass ihm alles entgleitet. Um die Ereignisse zu entschleunigen, hat er sich genau den richtigen Bürokraten ausgesucht. Unter Creuse erwartet er keine unliebsamen Überraschungen, die er dem Vorstand verkaufen muss. Creuse hingegen könnte versucht sein, sich durch eine waghalsige Lösung des Problems zu etablieren. Das trägt ein großes Risiko in sich.«
Raven Geretz, der als einziger von den Snacks naschte, wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Wie wäre es denn, wenn ich morgen mit Pierre frühstücke und ihn dabei ein wenig aushorche? Wir haben morgens ein ähnliches Timing und begegnen uns regelmäßig in der Kantine.«
Eve schaute ihn dankbar an. »Das ist eine gute Idee, Raven. Du hast auch das beste Pokergesicht von uns, da wird er nicht misstrauisch werden. Wenn du ihm ein wenig schmeichelst, rückt er eventuell mit seinen Plänen raus. Aber wie geht es eigentlich Marie, Ludwig?«
»Nicht gut. Sie hält sich überwiegend im Petit Trianon auf. So hat zwar niemand etwas von den, ähm, Umständen mitbekommen, aber geredet wird natürlich immer bei Hofe. Glücklicherweise konzentriert sich das Gerede auf ihren lieben Freund, Axel von Fersen. Und obwohl Marie außergewöhnlich tapfer ist, vermisst sie den kleinen Maximilian ganz furchtbar. Ich glaube, er erinnert sie ein wenig an den kleinen Dauphin Louis, Gott habe ihn selig. Sie spielt oft traurige Melodien auf der Harfe. Nur wenn wir ausreiten, lacht sie und ist glücklich.«
Alle sahen den König mitleidig an.
»Wieso Maximilian?«, fragte Raven.
Oh je, dachte Eve, und wie aus der Pistole geschossen antwortete Ludwig: »Mein Sohn heißt nicht Lennart! Er trägt den stolzen Namen seiner Vorfahren, Maximilian Ludwig Franz Karl Philipp.«
Lukas grinste. »Ein wahrhaft edler Name, Majestät. Und so viel schöner als Lllennart.« Dabei überbetonte er das L am Anfang des Namens. Eve funkelte ihn wütend an.
»Wie auch immer, in unserer Zeit heißt er nun einmal Lennart. Punkt. Ich bin gespannt, mit welchem Lösungsansatz Creuse morgen aufwartet. Wir sollten uns auf jeden Fall anschließend treffen, damit ihr mir Bescheid geben könnt.«
»Da ich den morgigen Ablauf kenne, weiß ich, dass wir auf Tom, Martin und Raven verzichten müssen. Aber David und ich informieren dich, wann wir uns unauffällig verdrücken können.«
In dem erneut einsetzenden Stimmengewirr zog Tom Lukas zur Seite. »Kommt deine Schwester am Wochenende?«
»Lucy? Keine Ahnung, aber ich glaube es nicht. Da Eve zurück nach München fährt und sie ihren alten Bruder nur halb so gern sieht, wenn ihre Freundin nicht ebenfalls da ist, wird sie wohl nicht kommen. Wieso fragst du sie nicht selbst?«
Tom zuckte verlegen mit den Achseln. Da Lukas nichts von dem One-Night-Stand mit Lucy wusste, wunderte er sich natürlich über seine Frage. »Och, ich wollte es ja nur wissen. Hätte ja sein könnten, du weißt etwas.« Rasch drehte er sich zu Martin und ließ sich die neuesten Fotos von Martins kleiner Tochter Nike zeigen.
Lukas schüttelte verständnislos den Kopf und beobachtete, wie Ludwig unauffällig den Raum verließ.
»David, weißt du, wo Ludwig hin will?«
David nickte. »Er sagte, er würde noch einen kleinen Spaziergang machen und anschließend Marie besuchen. Er ist selbst noch ziemlich angeschlagen und ich fürchte, er kompensiert das durch seine Sprünge an den französischen Hof. Es wäre mir lieber, er würde es langsamer angehen lassen. Er hat eine unglaublich schnelle Auffassungsgabe und ist überdurchschnittlich intelligent. Leider ebenfalls überdurchschnittlich emphatisch, ähnlich wie Eve. Die beiden haben enormes Potenzial. Ich bin fest davon überzeugt, dass, sollte es ihnen gelingen, sich auf eine Zielperson zu fokussieren, sie schon sehr bald ihre Ziele frei wählen können.«
Lukas strich sich besorgt durch die Haare. »Das deckt sich mit meinen Beobachtungen und den Messwerten. Du brauchst Eve nur das Bild einer x-beliebigen Person hinzulegen und eine rührende Geschichte zu erzählen, dann baut sie sofort Energie auf. Das müssen wir unbedingt vor Creuse verbergen. Ich traue ihm nicht.«
David runzelte die Stirn. »Magst du ihn nicht oder traust du ihm nicht? Vielleicht liegt das auch an eurer Konkurrenzsituation. Obwohl ich zugeben muss, dass ich ihn auch nicht schätze. Seine Mimik passt meist nicht zu dem, was er sagt. Glaubst du wirklich, er würde dem Projekt schaden?