Lügen haben schöne Beine - William Crisp - E-Book

Lügen haben schöne Beine E-Book

William Crisp

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Beschreibung

Als er sich in ihre schönen südländischen Augen vernarrt, läuft für Sergej alles durcheinander, Schiebung, Verrat und Mord lassen das Spionage-Karussell immer schneller kreisen. Sergej hat keine Wahl: Er muß den lebensgefährlichen Sprung wagen ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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William Crisp

Lügen haben schöne Beine

Aus dem Englischen von Mechtild Sandberg

FISCHER Digital

Inhalt

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1

Der kalte Regen, der den Wiener Sommer zur Farce machte, hatte wieder eingesetzt. In England gab es einen richtigen Sommer für Erdbeeren mit Sahne und Tennis auf sonnigem Rasen. In Amerika litten die meisten Gegenden schon lange unter subtropischer Schwüle. Wien jedoch fröstelte, während der Regen von den Kastanien vor der amerikanischen Botschaft in der Boltzmanngasse herabtropfte.

»Ihre Gespräche kommen auf unserem Abhörgerät gut durch«, sagte mein Fahrer zu mir.

Er paffte eine Marlboro nach der anderen, und der Qualm vernebelte die Wagenfenster. Mit dem Zipfel meiner Krawatte wischte ich ein rundes Loch frei. Ich wollte die Männer in dem schwarzen Citroën beobachten, der vor der amerikanischen Botschaft parkte. Das waren meine Gegner. Sie wollten sich unseren Kodierfachmann schnappen.

»Stellen Sie’s lauter«, befahl ich dem Fahrer.

Wir hörten zu, während die Männer in dem schwarzen Citroën verschlüsselte Botschaften mit ihrem Nachrichtenwagen austauschten. Ihre Geschwätzigkeit war pubertär.

Mein Fahrer drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.

»Die quasseln viel zuviel.«

»Weil sie sich einbilden, ihr Verzerrer wäre bombensicher.«

»Wir sind ihnen mit unseren geheimen Meldegeräten zwei Generationen voraus.«

»Dafür machen sie gute Farbfernseher«, gab ich zurück.

Wir saßen beide wie auf Kohlen. Die Sache war kitzelig. Wenn die anderen unseren Kodiermann schnappten, würden sie ihn grillen wie eine Bratwurst, hier in Wien, in ihrer Botschaft, und den angeblich neutralen Österreichern, diesen Stümpern, eine lange Nase drehen.

»Kennen Sie den Kerl in dem Citroën?« fragte mein Fahrer.

»Erstklassig geschult. Ein ekliger Bursche. Mit einer Vorliebe für Kung Fu, Judo und Handkantenschläge.«

»Lächerlich!«

»Als ich in Moskau war, beschattete er mal jemanden. Gerade als ich in der Dollarbar saß und was trank, kam er rein. Ich hab mir seine Handkante angesehen.«

»Schwielig?«

»Vom vielen Üben mit Ziegelsteinen und Holzbrettern.«

»Kapieren die denn nie, daß man so nicht weiterkommt?«

»Er denkt, wir sind noch im kalten Krieg.«

»Das denken sie alle. Da können sie mehr Geld verlangen.«

»Vollkommen kindisch. Wir zeigen wenigstens allmählich etwas Finesse.«

Qualm und feuchte Kälte machten das Sitzen im Wagen zunehmend ungemütlicher. Mein Schlips zwickte am Hals. Ich riß den Kragen auf. Mein Anzug fühlte sich zerknittert und ausgebeult an. Am liebsten wäre ich einfach abgehauen und nach Hause gefahren, um zu duschen, den schalen Schweiß und die innere Spannung wegzuspülen. Ich schloß die Augen, atmete sehr langsam und kämpfte gegen das beinahe unkontrollierbare Verlangen, den ganzen Kram hinzuschmeißen. Im Dienst kann man sich nicht erlauben, an körperliche Genüsse zu denken. Weil man nämlich während der Arbeitszeit in diesem Beruf nicht nur viel Langeweile aushalten muß, sondern auch lange Nachtstunden des Wartens in geparkten Autos, Regen, Kälte, verschwitzte Kragen oder unerträgliche Hitze. Man darf gar nicht anfangen, an eine Dusche zu denken. Oder an einen anständigen Scotch. An diesem Abend wäre das eine großartige Sache gewesen. Aber selbstverständlich hatten die Puritaner in meiner Verwaltungsabteilung den Alkoholgenuß im Außendienst strengstens untersagt. Mein Fahrer wies mit dem Kopf auf das Abhörgerät.

»Jetzt geht das Geschwätz wieder los. Sie scheinen beunruhigt zu sein.«

Im wesentlichen teilte der Anführer unserer Gegner seiner Nachrichtenzentrale mit, unser Kodiermann hätte sich mittlerweile so sehr verspätet, daß es gefährlich wäre, länger zu warten. Es gab einen Haufen Hin und Her, gewürzt mit einigen Kraftausdrücken. Ich übersetzte meinem Fahrer einige Kostproben.

»Eine aggressive Bande.«

»Ja, sie bilden sich ein, sie könnten in Wien ungestraft tun, was sie wollen«, antwortete ich. »Sie haben ihre Eroberermentalität nie abgelegt. So wie sie es sehen, hat die österreichische Polizei eine Heidenangst davor, ihnen auch nur ein Härchen zu krümmen –«

»Schauen Sie!« zischte mein Fahrer. »Er kommt.«

Ich wischte die Windschutzscheibe ab. Sehr langsam, wie einer, der sich am Rand der ewigen Verdammnis bewegt, schritt unser Kodiermann auf den Citroën zu. Triumphgeheul aus dem Abhörgerät. Der Karatechampion instruierte seine Mannschaft. Er sagte mir genau, was ich zu erwarten hatte.

Unser Kodiermann bekam plötzlich noch einmal Bammel. Er zögerte, blieb stehen, kramte nach einer Zigarette, warf einen Blick auf den Citroën und kehrte um.

Der Karatechampion war leicht verwirrt. Aufgeregtes Geschwätz.

»Kalte Füße«, bemerkte mein Fahrer. Er war schon bei vielen solchen Operationen dabeigewesen. Er kannte die Anzeichen.

»Sie kriegen immer kalte Füße, bevor sie umfallen. Er wird gleich umkehren.«

Ich hoffte, er würde es bald tun. Dann konnten wir endlich dazwischenfunken und dem albernen Spiel ein Ende machen. Vielleicht kam ich dann noch zu einem späten Abendessen zurecht. Vorausgesetzt, Olga blieb auf, um es zu kochen.

»Sie hatten recht«, flüsterte mein Fahrer. »Da kommt er.«

Der Verräter machte kehrt, rauchte seine Zigarette zu einem Stummel herunter und trottete dann zu dem Citroën zurück.

»Jetzt, Chef?« fragte mein Fahrer begierig.

»Sekunde noch.«

Ich schickte eine Meldung an unsere Zentrale in der Botschaft. Sobald ich die Bestätigung erhalten hatte, daß meine Anweisung befolgt werden würde, öffnete ich die Wagentür.

»Okay, auf sie mit Gebrüll!«

Wieder einmal war es soweit. Wieder einmal sprangen wir in die Bresche. Einfach wird es nie. Ich war noch relativ jung für das Geschäft. Deshalb hatte man mir einen alten Hasen als Fahrer gegeben. Wenn ich Pfusch machen oder weiche Knie bekommen sollte, würde er das Eisen aus dem Feuer holen.

Aber ich hatte nicht die Absicht, weiche Knie zu bekommen.

Ich marschierte die Fahrbahnmitte hinunter auf den Citroën zu. In dem Moment, als ich den hinteren Kotflügel erreichte, rissen die anderen die Wagentür auf. Sie hatten uns offensichtlich bemerkt. Doch wir hatten sie gezwungen, ihre Aufmerksamkeit zu teilen. Sie hatten immer noch vor, den Kodiermann zu packen und auf den Rücksitz zu zerren.

»He, Sie!« brüllte der Anführer des Feindes mir entgegen. »Gehen Sie von der Straße!«

Ohne eine Erwiderung zog ich einen Bic-Kugelschreiber heraus, bückte mich und stieß die Spitze des Schreibers in das Ventil des teuren Michelin-Reifens. Er zischte kurz, dann war der Reifen platt wie eine Flunder.

Jetzt geschahen zwei Dinge. Der Fahrer der anderen riß eine .38er Automatic heraus und richtete sie auf meinen Bauch, während der Anführer der Bande den Kodiermann losließ und um den Citroën herum auf mich zustürzte. Ich wich einfach in die andere Richtung aus und stand neben unserem Kodiermann, ehe der Anführer umkehren und mir einen Karateschlag verpassen konnte.

»Einen Augenblick, bitte«, sagte ich zu ihm.

Er wippte katzenhaft auf den Ballen, hielt seinen Schlag aber zurück. »Dieser Mann« – ich wies mit dem Kopf auf den vor Angst erstarrten Kodiermann – »ist ein Angestellter meiner Botschaft. Er wird sich nicht in Ihren Wagen setzen. Und ich würde Ihnen raten, auf Gewalt zu verzichten. Ein Wagen mit plattem Hinterreifen taugt schlecht zu rascher Flucht.« Ich wandte mich dem Beinaheüberläufer zu. »Man hat Sie wohl aufgrund irgendwelcher Währungstransaktionen oder eines anderen harmlosen Vergehens unter Druck gesetzt?«

»Los, Sie Apparatschik!« brüllte der Karateheld. »Steigen Sie ein.« Der kleine Mann wurde weiß vor Angst. Ich drückte sachte seinen Arm zur Beruhigung.

»Ich kann nicht behaupten, daß man Sie nicht maßregeln wird. Aber wenn Sie in meinen Wagen steigen, garantiere ich Ihnen, daß Sie nicht gerichtlich bestraft werden.«

»Wie kann ich das glauben?« fragte der Mann zitternd.

»Sie kriegen im Keller das Messer ins Kreuz«, zischte der Anführer der andern.

»Sie müssen’s ja wissen.« Ich zuckte die Achseln. »Ich habe das Versprechen unseres Botschafters«, fuhr ich beschwichtigend fort. »Schwarz auf weiß. Man wird Sie in die Heimat versetzen und nicht entlassen. Wir machen alle mal einen Fehler. Sie werden vor diesen … diesen Provokateuren sicher sein. Das Problem wird sich nicht ein zweites Mal ergeben.«

Der Fahrer schrie, er werde schießen. In diesem Augenblick scherte ein weißer Volkswagen hinter uns ein. Mit Blaulicht und der Aufschrift »Polizei«. Die Freunde waren so prompt zur Stelle, weil meine Botschaft sie sofort nach meiner Funkmeldung angerufen hatte.

»Guten Abend, die Herrschaften«, sagte der Polizeibeamte, als er die Wagentür öffnete. »Was gibt’s denn?«

»Grüß Gott«, antwortete ich höflich.

Mein Gegner war der deutschen Sprache offenbar nicht mächtig. Er stand mit offenem Mund da, verdutzt, daß die Polizei ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt erschienen war. Ich wies nickend auf ihn und sagte: »Der Herr braucht anscheinend Hilfe. Er hat eine Reifenpanne.«

»Sind Sie Mitglied im österreichischen Automobilklub?« fragte der Polizist, Bürokrat mit Leib und Seele.

Mein Gegner kochte vor Wut, als er meine List durchschaute. Aber im Beisein der Polizei konnte er den Kodiermann nicht schnappen. Der Polizist gab derweilen gute Ratschläge, an welche Werkstatt er sich wenden sollte.

Ich nutzte, wie geplant, das Ablenkungsmanöver, um unseren Mann beim Arm zu nehmen und zu unserem Auto zu führen. Mein Gegner war fuchsteufelswild, aber er konnte den Polizisten nicht abschütteln. Nachdem wir uns solchermaßen geschickt aus der Affäre gezogen hatten, fuhren wir quer durch die Stadt am strahlend erleuchteten Burgtheater vorbei, wo Männer im Smoking und Frauen in Abendkleidern unter Regenschirmen auf Taxis warteten.

»Alles in Ordnung?« fragte ich den Fahrer.

»Keine Verfolger.«

»Es kommt eben immer darauf an, auf legalem Weg mit Methode und Mäßigung vorzugehen.« Ich seufzte müde. »Ein Glück, daß wir nicht so dumm waren, Waffen zu tragen.«

»Genau. Immer simpel. Keine Gewalt.«

»War das mit der schriftlichen Garantie Ihr Ernst?« erkundigte sich unser Kodiermann schüchtern.

Ich war zu müde für weitere Erklärungen. Ich griff in meine Brusttasche und reichte ihm einen versiegelten Brief vom Botschafter persönlich.

»Behalten Sie ihn als Andenken.«

Ich war wirklich hundemüde. Hätte da draußen auf der Straße nicht die Vernunft gesiegt, so hätte es leicht geschehen können, daß unsere Gegner, diese Barbaren, zu den Waffen gegriffen hätten. Ich versuchte, mich zu entspannen, atmete langsam, spürte, wie meine Muskeln sich lockerten.

Sobald wir innerhalb der Mauern unseres Geländes waren, fuhr ich mit dem Aufzug zur Sicherheitsabteilung hinauf und trug mich ins Register ein. Gorew, der Nachtdienst hatte, legte gerade den Telefonhörer auf.

»Ich höre, es lief alles routinemäßig.«

»Wenn man so was Routine nennen kann.«

»Alle sind erleichtert. Der Botschafter ist eben unterrichtet worden und schickt seine Glückwünsche.«

»Wann fliegt der Kodiermann zurück?« fragte ich.

»Morgen um zehn Uhr zwanzig mit Aeroflot 102 über Kiew. Fahren Sie heim und schlafen Sie sich aus.«

Die Fahrt zu meiner Wohnung im 19. Bezirk dauerte noch einmal zwanzig Minuten. Es war Punkt eins, als ich heimkam. Olga, meine Frau, lag auf der Couch vor dem Fernsehapparat. Sie hatte ihren Morgenrock an und hatte sich das Gesicht eingecremt. Manuskriptseiten ihrer Doktorarbeit waren vom Tisch gefallen und lagen auf dem Teppich verstreut.

Sie küßte mich schläfrig.

»So spät.«

»Ist noch was zu essen da?«

»Kalte Blinis. Soll ich sie dir aufwärmen?«

»Ja, gut.«

»Und heute nachmittag hab ich einen französischen Wein gekauft.« Meine Frau, die aus der Sowjetunion stammt, versteht nicht viel von Wein. Das geht den meisten von uns so. Es liegt am rauhen Klima. »Roten oder weißen?«

»Roten – diesen Beaujolais.«

»Und schottischen Whisky?«

»Ja, auch eine Flasche.«

Es hätte mich interessiert, was der amerikanische Karateheld jetzt seinen Vorgesetzten erzählte. Tut mir leid, Boss, die Russen haben sich ihren Kodiermann wiedergeholt?

»Ich trinke einen Scotch.«

»Komm mit in die Küche«, sagte Olga. »Anatoli hat geschrieben«, berichtete sie.

Anatoli ist unser dreizehnjähriger Sohn, der bei Olgas Eltern in Moskau lebt.

»Was erzählt er von seinem Eishockey?«

»Der Trainer meint, er wäre ein guter Schlittschuhläufer und soll als Stürmer anfangen«, antwortete Olga, während in der Pfanne die Blinis zu brutzeln begannen.

2

Es sollte klargestellt werden, daß mein Arbeitgeber das Komitet Gosudarstwennoy Besopasnosti ist, im allgemeinen KGB genannt. Ich bin ausgebildeter Sicherheitsbeamter.

»… Towarischtschi, nam pridjotka schto to delat«, eröffnete Tscherwenkow, Arbeitsattaché der sowjetischen Botschaft, unsere Besprechung am Morgen nach der mißlungenen Flucht unseres Kodierfachmannes. »Als erstes«, erklärte er in tiefem Baß, »müssen wir feststellen, warum die Amerikaner diese Aktion gegen uns gestartet haben …«

Wir saßen in der Sicherheitszelle im fünften Stock des Botschaftsgebäudes in der Reisnerstraße 45 in Wien. Die Sicherheitszelle ist ein 20 × 10 m großes, schalldichtes Plexiglasgehäuse, das auf Plastikfüßen steht. Beleuchtet wird es durch Neonlicht aus dem es umgebenden Raum. Da es ständig von Radiowellen aus einem Ultraschallsender überflutet ist, können Gespräche im Inneren der Zelle nicht abgehört werden.

Wir befanden uns zu siebt in der Kammer. Der Botschafter, wohlbeleibt und würdig im dunklen Anzug mit Weste, saß schweigend da und konzentrierte sich darauf, diverse Kugelschreiber auf dem grünbespannten Tisch zu geometrischen Figuren anzuordnen.

Rechts von ihm saß Tscherwenkow, der sogenannte KGB-Resident, der oberste Beamte des sowjetischen Nachrichtendienstes in Österreich. Höchstens einmal alle zwei Wochen hatte er mit Dingen zu tun, die mit seiner Deckfunktion als Arbeitsattaché in Zusammenhang standen. Er stammte von der Krim, ein dunkelhäutiger Mann mit buschigen Augenbrauen und schwarzem Haar, das glatt zurückgekämmt einen kantigen Schädel bedeckte.

Neben Tscherwenkow aufgereiht saßen drei weitere KGB-Spezialisten, doch ich richtete mein Augenmerk auf den Mann am anderen Ende des Tischs. Das war mein Feind Rasin.

Stunden habe ich in vergangenen Sicherheitssitzungen damit zugebracht, Rasins Rattenkopf, seine spitzen Zähne und sein schütteres mausbraunes Haar zu skizzieren. Er leidet an einer selten vorkommenden Allergie, die zu einer Entzündung des Kapillarsystems am ganzen Kopf geführt hat. Wimpernlose Lider überschatten stumpfe graue Augen. Obwohl Rasin ohne seine schwarzgeränderte Brille keinen Text lesen kann, trägt er aus Eitelkeit die Brille nicht, wenn der Botschafter oder Tscherwenkow anwesend sind.

Rasin hat sein Leben lang bei der Spionageabwehr des KGB gearbeitet und ist Chef des Sicherheitsdienstes der Botschaft. Den Posten in Wien hatte er erst bekommen, nachdem er sich in der Moskauer Bürokratie mühsam hochgedient hatte. Ich vermute, mich haßte er, weil ich so mühelos – und in so relativ jungen Jahren – meine ersten Berufungen nach London und Washington erhalten hatte. Rasin war von einem einzigen Gedanken besessen: daß es nur ja keinen Zwischenfall gab – sei es Verrat oder sonst etwas –, der seinen Rückruf nach Moskau bewirken würde.

Rasin begleitete den Monolog unseres Chefs mit dem lauten Knacken einer Nagelschere, mit der er sich die Fingernägel stutzte. Mir drehte sich der Magen um beim Anblick der weißen Schnipsel, die auf das grüne Tischtuch fielen.

»… natürlich schwierig, die Strategie der amerikanischen Agenten und ihrer Direktoren in Washington zu analysieren«, sagte Tscherwenkow gerade. »Entlassungen, dauernder Wechsel beim Personal, Veröffentlichungen peinlicher Berichte von verärgerten Agenten, die sich davon finanziellen Gewinn versprechen – die Zentrale des CIA in Langley in Virginia muß ein Morast sein.«

Das war typisch Tscherwenkow. Man male den Feind in den schwärzesten Farben und prangere ihn als inkompetent an. Doch diese Sitzung wäre nicht einberufen worden, hätte Tscherwenkow nicht in den Amerikanern eine Bedrohung sowjetischer Aktivitäten in Österreich gesehen. Ich wartete ab.

»… klar, daß der amerikanische Nachrichtendienst, um von seinen Mißerfolgen abzulenken, eine Offensive gegen uns gestartet hat. Der gestrige Versuch, unseren Kodiermann zum Überlaufen zu verleiten, war nur das letzte Glied in einer ganzen Kette ähnlicher Provokationen.« Tscherwenkow schlug mit der Hand knallend auf einen dicken braunen Hefter. »Paris. London. Bonn. Innerhalb der letzten drei Monate wurden drei Versuche gemacht, sowjetisches Botschaftspersonal zu kompromittieren oder abtrünnig zu machen.«

»Mit anderen Worten«, schaltete sich der Botschafter eilig ein, um seine Vorrangstellung zu wahren, »wir müssen mit einem weiteren Versuch rechnen, das Sicherheitsgefüge an unserer Botschaft in Wien zu erschüttern?«

»Das Sicherheitsgefüge der Botschaft in Wien kann gar nicht erschüttert werden«, bemerkte Rasin höhnisch.

»Ist das Tatsache, Genosse Rasin?« warf ich ein. »Sie garantieren, daß nie wieder einer unserer Kodierexperten die Boltzmanngasse hinunter zu einem wartenden schwarzen Citroën marschiert?«

Wütend knabberte Rasin mit seinen Mausezähnchen an seinen Fingernägeln.

»Hätte ich die Operation gestern abend selbst geleitet –«

»– dann würde man unserem Kodiermann jetzt in der amerikanischen Botschaft großzügige Dosen von LSD und ähnlichem Zeug verabreichen.«

»Ich muß gegen diese Unterstellungen von einem Mitarbeiter protestieren –«

»– der Ihnen Ihren Kodiermann wiedergebracht hat.«

Ich kann diesen kleinen Stalinisten nicht ausstehen. Rasins Vorstellung vom geheimen Nachrichtendienst war seit den Tagen der Kellerverhöre und Massenverhaftungen unverändert geblieben. Solange noch Leute seines Schlags dabei sind, ist es kein Wunder, daß unser Geheimdienst weiterhin in englischen und amerikanischen Spionagefilmen verleumdet wird.

Wir tauschten ein paar gehässige Bemerkungen aus, die schließlich Tscherwenkow zum Eingreifen veranlaßten.

»Sergej! Rasin! Schluß mit diesen gegenseitigen Beschimpfungen!« befahl er. »Genosse Rasin hat weiterhin unser Vertrauen, daß jeder amerikanische Versuch, unser Sicherheitssystem zu durchdringen, entdeckt werden wird. Doch darum geht es bei dieser Besprechung nicht. Ich behaupte nämlich, daß wir es uns nicht leisten können, in der Defensive auf die nächste gegen diese Botschaft gerichtete Intrige zu warten. Ich bin der Meinung, daß die Amerikaner von weiteren Provokationen nur durch direkte, offensive Maßnahmen abgeschreckt werden können.«

Der Botschafter blickte von seinen Kugelschreiber-Sechsecken auf. »Ich warne Sie: Die österreichische Neutralität darf auf keinen Fall verletzt werden.«

»Natürlich nicht. Unsere Aufgabe ist relativ einfach. Erstens müssen wir feststellen, welche amerikanische Nachrichtenorganisation angreifbar ist, und zweitens müssen wir dann diese Angreifbarkeit bestmöglich ausschlachten.«

»Was haben Sie vor?« fragte der Botschafter hastig. »Wollen Sie die Amerikaner in einen Skandal verwickeln? Oder zwingen, ihre Leute zurückzubeordern?«

»Über die genaue Art der Operation müssen wir jetzt entscheiden. Ich habe aber die Absicht, mir eine Aktion einfallen zu lassen, die den Vertretern des amerikanischen Geheimdiensts in Wien mehr als unangenehm sein wird. Wenn die Amerikaner merken, daß wir ihnen ihre gemeinen Praktiken mit Schimpf und Schande heimzahlen, werden sie ihre Ränke gegen uns bald aufgeben.«

»Somit«, fügte ich hinzu, »müssen wir als erstes beschließen, wen wir in Verlegenheit bringen wollen.«

»Richtig«, sagte Tscherwenkow. »Und dann wie.«

3

Drei Stunden später machten wir Teepause. Die verflixte Klimaanlage der Sicherheitszelle, angeblich von den besten sowjetischen Fachleuten hergestellt, spuckte und nieste. Der Botschafter wischte sich den Schweiß vom runden Gesicht und zog das Jackett aus. Wir anderen nahmen es als Signal. Ich schlüpfte aus meinem Jackett und krempelte die Hemdsärmel auf.

Rasin hatte angefangen, seine widerlichen Zigaretten zu rauchen. Der Qualm brannte mir in der Nase. Die Wände unseres Plexiglaskastens beschlugen. In der stickigen Luft roch ich Parfüm. Mich ekelte. Der Duft kam von Rasin, diesem muschik.

Der Sowjetgesellschaft, die sich der Segnungen zentralisierter wirtschaftlicher Steuerung erfreut, ist eine einzige Universalduftnote vergönnt, die als Parfüm für die Damen, After-Shave für die Herren und als Deodorant für praktisch jedermann dient. Das klingt hanebüchen, ist aber wahr. Kein Wunder also, daß ich baff war, als ich die ersten amerikanischen und britischen Werbespots für Dutzende verschiedener Rasierwässer sah.

»… Frage lautet doch: Was ist mit den CIA-Leuten in der amerikanischen Botschaft?« Tscherwenkow schlug mit einem Aluminiumlöffel gegen sein Teeglas.

»Sie haben sich verbarrikadiert«, bemerkte jemand. »Offenbar haben sie nach dem gestrigen Fehlschlag einen Riesenschrecken bekommen.«

»Wo sind die Ehefrauen?«

»Drei Familien wurden in die Staaten evakuiert.«

»Vor dem Anschlag. Sie wollen wenig Angriffsfläche bieten.«

»Der CIA erwartet eine Reaktion von uns«, bemerkte Rasin.

»Ein schwieriges Ziel –«

»Dann suchen wir uns ein anderes. Eine andere amerikanische Geheimdienstgruppe.«

»Wieso sprechen wir von anderen Gruppen?« unterbrach der Botschafter. »Letztendlich werden diese Leute doch alle von Washington bezahlt.«

»Ich beziehe mich hier«, warf Tscherwenkow ein, »auf eine Gruppe, die – äh …« – er blätterte in der dicken Akte –, »unter der Bezeichnung I-Board läuft.«

»I-Board?«

»Das ist eine amerikanische Abkürzung für Joint Intelligence Operations Board, eine Art Sammelstelle der Geheimdienste.« Tscherwenkow nickte mir zu. »Sergej?«

Ich sollte also erklären, was das I-Board war. Ich stand auf und stemmte die Fingerspitzen auf das grüne Tuch.

»Das sogenannte I-Board ist ein Produkt des amerikanischen Verwaltungswirrwarrs. Vor einigen Jahren kam der Präsident zu dem Schluß, es wäre eine Art Sammelstelle nötig, um alle Informationen zu ordnen und zu sichten. Man konnte sich vor Formularen, Computerausdrucken, Berichten und Studien von den verschiedenen Nachrichtendiensten kaum noch retten. Dazu gehören unter anderen der CIA, der Nachrichtendienst des Außenministeriums, das Nationale Sicherheitsbüro in Fort Meade, Maryland, der Nachrichtendienst des Verteidigungsministeriums im Pentagon in Arlington, Virginia.«

»Sie reden, als würden Sie Arlington in Virginia kennen«, bemerkte Rasin giftig.

»Ich kenne Virginia sehr gut, Genosse«, antwortete ich und lächelte über seinen Versuch, mich durcheinanderzubringen. »Das neue Joint Intelligence Operations Board wurde in Roslyn, Virginia gegründet. Es hatte die Aufgabe, den Strom von Geheimdienstdokumenten zum amerikanischen Präsidenten zu kanalisieren.

Es sollte die Berichte aller anderen Organisationen aufeinander abstimmen und so den Konkurrenzkämpfen zwischen den einzelnen Gruppen ein Ende machen. Wie vorauszusehen, wenn man die amerikanische Bürokratie kennt«, fuhr ich fort, »nahm der Papierkrieg daraufhin aber nur noch schlimmere Formen an, und das I-Board stürzte sich unverzüglich auf lockende Tätigkeitsgebiete im Ausland, insbesondere in London, Paris, Bonn und Wien.«

»Wo sitzen sie in Wien?«

»In der Gunoldstraße im 19. Bezirk. Angeblich kümmert man sich um die Handelsbeziehungen zwischen West und Ost. Es geht scheinbar um Leasingverträge und Unternehmensberatungen.«

Weitere Fragen kamen. Wer leitete das I-Board in Wien? Wie hoch war der Etat der Behörde? Was für Autos fuhren die Angestellten? Wieweit kamen sich I-Board und CIA gegenseitig ins Gehege?

»Der Leiter des I-Board in Wien heißt Leslie Stillwater«, erklärte Tscherwenkow. »Er ist aus Texas.«

»Ich habe diesen Mann einmal gesehen«, warf Rasin ein. »Dick und unförmig, unmöglich angezogen« – als wäre Rasin die Eleganz in Person –, »mit Sommersprossen auf der Nase.«

»Zu Ihrer Information, Genosse Rasin, darf ich hinzufügen«, bemerkte ich, »daß Mr. Stillwater am Massachusetts Institute of Technology studiert hat und dann bei der amerikanischen Behörde für Atomenergie tätig war. Er ist nicht ganz der texanische Hinterwäldler, als den Sie ihn gern hinstellen würden.«

Rasin spießte mit der Bleistiftspitze Zigarettenkippen auf.

»Da Sie so glänzend informiert sind, können Sie uns vielleicht darüber aufklären, wie Genosse Tscherwenkows Anweisung, offensiv gegen die Amerikaner vorzugehen, durchgeführt werden soll.« Eine heikle Sache. Tscherwenkow zog die Brauen hoch und sah mich abwartend an.

Ich stand erneut auf, aber nicht so prompt wie zuvor.

»Zunächst einmal müssen wir unsere eigenen Stärken definieren«, begann ich ruhig. »Dann müssen wir die Schwächen des amerikanischen Gegners bestimmen. Im wesentlichen sind wir Russen Leute, die konsequent handeln. Das ist ein wichtiger Punkt bei unserer Ausbildung. Detailplanung darf nicht durch plötzliche Impulse über den Haufen geworfen werden.«

Ich begann absichtlich so; nicht nur, weil ich jedes Wort glaubte, das ich sagte, sondern auch, weil ich diese endlose Sitzung zum Abschluß bringen wollte.

»Die Amerikaner andererseits sind impulsiv. Ihre Geheimdienstleute werden ständig von den wechselnden Launen der Öffentlichkeit bedrängt. Dieses Jahr heben sie vielleicht die Ehrlichkeit in den Himmel. Im nächsten schrecken sie vielleicht nicht einmal vor den widerlichsten und gemeinsten Akten der Verleumdung und des Rufmords zurück. Deshalb sind sie so gefährlich. Weil sie so impulsiv sind, richten sie viel Schaden an, selbst wenn es uns vielleicht nur darum geht, sie in Ruhe zu lassen, nach dem Grundsatz leben und leben lassen.«

»Mir fällt auf«, zischte Rasin, »daß sie konsequent genug waren, um Kosmonauten auf den Mond zu schießen. Vor uns.«

»Das belegt ja gerade meine These. Die Amerikaner setzten ungeheure Emotionen und Gelder ein, um den Weltraum zu erobern. Sie brachten es nicht fertig, ähnliche Emotionen und Mittel freizumachen, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, das ihrer Wirtschaft soviel Geld entzieht, wie ihr Raumfahrtprogramm kostet.«

Rasin versuchte, mich aus dem Konzept zu bringen. Ich bemühte mich, ruhig zu atmen und nicht zu verkrampfen. Bleib locker, sagte ich mir. Sprich langsam und direkt, und bring es hinter dich.

»Der Rest ist einfach. Die CIA-Leute haben sich hinter verschlossenen Türen verkrochen und sind für uns nicht erreichbar. Die Angestellten des I-Board sind zwar erreichbar, aber ihr Chef, Stillwater, ist unbestechlich.«

»Dann treiben Sie einen unter diesen Schweinen auf, der es nicht ist«, knurrte Tscherwenkow.

»Genau das wollte ich vorschlagen.« Aus meiner Aktentasche nahm ich sieben Kopien des I-Board-Dossiers, die ich rund um den Tisch reichte. »Sein Name ist Westfall.«

»Westfall. Kennen Sie ihn?«

»Anweisungsgemäß spiele ich jeden Donnerstagabend Volleyball gegen ihn.«

Tscherwenkow studierte die Unterlagen lange. Müde kroch die Zeit dahin. Schließlich hob er den Kopf und sah mich an.

»Der ist es, Sergej. Der muß ruiniert werden. Fertiggemacht. Sie arbeiten die Taktik in allen Einzelheiten aus und informieren mich dann. Es ist unwesentlich, ob dieser Westfall am Ende im Schmutz kriecht oder von den Österreichern zu zehn Jahren verknackt oder von seinen Landsleuten in ein amerikanisches Zuchthaus abgeschoben wird. Lassen Sie sich Zeit, gehen Sie mit Umsicht und Geduld vor, aber geben Sie es diesem Westfall, damit er den anderen als Beispiel dient. Damit diese Kerle nie wieder einen sowjetischen Beamten in meinem Zuständigkeitsbereich anrühren werden. Können Sie mir das garantieren?«

Rasin lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte mich mit Befriedigung. Er schien erfreut, daß man mir die gesamte Verantwortung für Tscherwenkows Plan aufgebürdet hatte. Vorausgesetzt, ich nahm an. Ein Nein hätte gereicht. Aber nach meinem Glaubensbekenntnis zu sowjetischer Logik und Konsequenz wäre ein solches Nein heuchlerisch gewesen.

»Ja, das garantiere ich.«

Kurz danach wurde die Sitzung aufgehoben.