Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nach ihrer turbulenten Rettungsaktion auf dem Saturnmond Titan stellen sich Lukas und seinen Freunden neue Rätsel: Ist Kawetts Befreiung tatsächlich unentdeckt geblieben? Wird Max das Geheimnis bewahren? Und welche unheilvollen Pläne haben die Mohaks mit der Erde? Ein spannendes Versteckspiel beginnt, das die gefährlichen Panzerwesen bis nach Neuendorf und sie selbst bis zum Planeten Uranus führt. Es kommt zu einem dramatischem Wettlauf mit der Zeit ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 567
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
In der Geisterwald-Trilogie sind erschienen:
Band 1: Lukas und das Geheimnis des Geisterwaldes
Band 2: Lukas und der Notruf vom Jupiter
Band 3: Lukas und die Gefahr von der Venus
Unter der Erde
Wieder wach
Eine unerwartete Einladung zum Tee
Auf dem Weg zum Morgenstern
Ein Besuch in der Hölle
Da kommt ’was angeflogen!
Ausgrabung mit Hindernissen
Der Plan der Mohaks
Eine Idee? Eine Idee!
Ein Abstecher in die Antike
Die Jagd hat begonnen!
Diese Sternschnuppe bringt kein Glück
Die Beratung unter Tage
Die Verfolgung
Tag Zwei
Die Belagerung dauert an
Eine ›zufällige‹ Entdeckung
Entdecken und Verstecken
Wettlauf gegen die Zeit
Ein etwas anderer Landeplatz
Energie und Licht
Der Kahn ist doch nur noch Schrott!
Das Geheimnis kommt ans Licht
Alarm!
Heiß! Heiß! Heiß!
Hat es geklappt?
Ostern einmal anders
Auf der Flucht
Der Abschied
Danksagungen
»Hey, pass doch auf! Du schaufelst mir ja alles in die Socken«, beschwerte sich Nico. Lukas’ Füße hatten ein paar Steinchen gelöst, die gegen Nicos Schuhe gekullert waren.
»Memme!«, konterte Lukas und gluckste leise. Die beiden kletterten gerade in gebückter Haltung einen steilen Abhang hinunter. Unten angekommen richtete sich Lukas auf und knallte prompt mit dem Kopf gegen die viel zu niedrige Höhlendecke.
»Au!«, rief er und rieb sich den Schädel.
Dieses Mal lachte Nico. »Jetzt wärst du auch gerne so klein wie ich, oder?«, fragte er. In der Tat war der Junge mit den blonden Wuschelhaaren fast einen halben Kopf kleiner als alle seine Mitschüler. Deswegen wurde er auch oft gehänselt. Da tat es richtig gut, wenn seine Größe einmal von Vorteil war.
Die beiden Freunde steckten gerade in einer Höhle. Dreihundert Meter Fels türmten sich über ihnen auf. Sie kamen sich fast wie auf einem anderen Planeten vor.
Was aber nicht der Fall war. Nico und Lukas befanden sich auf der Erde. Genauer gesagt unter der Erde. Noch genauer gesagt kletterten sie gerade durch eine Tropfsteinhöhle, zusammen mit der gesamten Klasse 6b aus Neuendorf.
In diesen letzten, kalten Februartagen hatte sich die Klasse zu einem mehrtägigen Schulausflug ins Mittelgebirge aufgemacht. Heute besuchten sie die Kotta-Grotten. Ein weitverzweigtes Gängesystem erstreckte sich tief unter dem Berg; über mehrere Kilometer zogen sich die Tropfsteinhöhlen dahin.
Vorneweg marschierte Jörg, ihr Höhlenführer. Er zeigte ihnen die Grotten. Dahinter liefen oder stolperten dreißig elf- und zwölfjährige Jungen und Mädchen mit Lukas und Nico in der Mitte. Ganz zum Schluss ging Frau Siebald, die Klassenlehrerin, und trieb die Langsamsten unter ihnen an.
Die Kinder marschierten über gut beleuchtete und meist befestigte Wege und Gänge von einem Höhlenraum zum nächsten. Jede Nische und jede Stufe war über und über mit großen und kleinen Tropfsteinen bedeckt. Manche wuchsen vom Boden nach oben, andere hingen von der Decke herab.
In einer besonders großen Halle hielt Jörg an und wartete, bis auch die letzten Nachzügler angekommen waren.
»So!«, rief er, um das Geplapper zu übertönen. »Wir sind jetzt im Herzen der Kotta-Grotten, im sogenannten Großen Saal. Schaut bitte einmal hinter euch, dort erhebt sich unser größter Tropfstein. Vom Boden bis zur Spitze misst er über vier Meter. Wenn man bedenkt, dass Tropfsteine im Durchschnitt nur etwa einen viertel Millimeter pro Jahr wachsen, kann man sich ausrechnen, wie alt dieser Stein ist.«
»Der Stalaktit ist echt irre!«, posaunte jemand heraus.
»Ja, das ist wahr«, sagte Jörg. »Allerdings handelt es sich dabei um einen Stalagmit.«
»Wie kann man die beiden Arten denn auseinanderhalten?«, fragte Lukas. Er hatte bisher noch keinen Unterschied zwischen den Steinsäulen bemerkt, die Jörg Stalaktit oder Stalagmit genannt hatte.
»Das ist ganz einfach«, antwortete ihr Höhlenführer. »Es kommt darauf an, wie der Tropfstein wächst. Die Stalaktiten wachsen von der Decke nach unten. Zusammen mit der Höhlendecke sieht das übrigens aus wie ein großes T. Tropfsteine, die vom Boden nach oben wachsen, heißen Stalagmiten. Wenn man sich zwei davon nebeneinander vorstellt, sieht das einem großen M ähnlich. So kann man sich die Namen merken.«
Das ist ja wirklich einfach, dachte Lukas.
Nachdem sich die Klasse gebührend umgeschaut hatte, rief Jörg alle wieder zusammen. In geheimnisvollem Tonfall sagte er: »Jetzt dürft ihr euch einmal als echte Höhlenforscher versuchen. Habt ihr alle eure Taschenlampen dabei?«
Neunundzwanzig Kinder kramten in ihren Rucksäcken oder Umhängetaschen. Leuchtkegel ließen kurz darauf die Höhlenwände erstrahlen. Alle redeten durcheinander.
Nur Lukas blieb stumm.
Oh nein!, dachte er. Er hatte doch tatsächlich seine Taschenlampe in der Jugendherberge liegen lassen. Wie blöd war das denn? Noch heute Morgen hatte Frau Siebald sie daran erinnert. So ein Mist! Hoffentlich hatte Nico seine Lampe dabei.
»Ist ja gut. Beruhigt euch wieder«, rief Jörg. Es dauerte noch eine Weile, dann waren auch die lautesten Kinder wieder still. »Also«, begann er, »da drüben seht ihr vier Gänge. Wir nennen sie unsere Forschergänge. Jeder ist etwa einhundert Meter lang und …«, er machte eine Pause und sagte mit tiefer Stimme: »… nicht beleuchtet.«
Die meisten Jungs johlten vor Freude. Die Reaktionen der Mädchen waren etwas gemischter.
»Aber keine Angst«, fuhr Jörg fort, »es ist völlig ungefährlich.«
Dieses Mal kam ein lautes »Buh!« aus den Reihen der Jungen.
»In Gruppen zu je drei geht ihr jetzt mit euren Taschenlampen durch diese Gänge. Wir treffen uns dann dahinter in der nächsten beleuchteten Halle.« Dann fügte er nachdrücklich hinzu: »Ihr wartet dort!«
Wieder murrten die Jungen, während die meisten Mädchen die Augen verdrehten.
»Auf dem Weg dorthin gibt es eine Menge zu entdecken. Also dann, bildet Dreiergruppen!«, forderte Jörg die Schüler auf.
Überall im Raum fanden sich Kinder zusammen. Auch Lukas und Nico blickten sich einmal kurz an, dann stellten sie sich nebeneinander. Wer würde als Dritter dazukommen?
Ja … wer?
Nico war in der Klasse sehr unbeliebt. Er galt sogar als regelrecht suspekt. Was aber eigentlich gar nicht an ihm selbst lag. Es lag vielmehr am sogenannten Geisterwald, einem Waldstück am Rande von Neuendorf. Dieser Wald war den Dorfbewohnern unheimlich. Sie meinten, dass es darin spuken würde. In manchen Nächten schimmerte nämlich ein rätselhaftes grünes Leuchten durch die Bäume. Die Leute nannten es das Geisterlicht. Und es machte ihnen Angst.
Nico wohnte mit seinem Vater, Professor Sönderborg, direkt am Rand dieses Waldes. Daher misstrauten die Dorfleute den beiden und mieden sie.
In den über einhundert Jahren, seit es diese Erscheinung gab, hatten sich viele Wissenschaftler und Abenteurer die Zähne an diesem Rätsel ausgebissen, niemand konnte die Ursache des Lichtes erklären.
Niemand … außer Lukas und Nico. Nur sie beide – und mittlerweile auch Nicos Vater – wussten, dass sich dort im Wald drei Außerirdische vom Planeten Akano versteckt hielten. Sie waren vor einhundertzweiundzwanzig Jahren bei einer Schulexpedition ins Sonnensystem gekommen und seither auf der Erde gestrandet.
Vor gut einem halben Jahr hatten Lukas und Nico durch Zufall die Akanoden aufgespürt. Nach anfänglichen Missverständnissen waren sie schließlich Freunde geworden. Eine ganze Reihe aufregender und zum Teil auch sehr gefährlicher Abenteuer im Weltraum lag mittlerweile hinter ihnen.
Gerne hätte Nico seinen Klassenkameraden davon erzählt. Die Außerirdischen waren harmlos, niemand musste sich vor ihnen oder vor dem Licht fürchten.
Doch er und Lukas wussten genau, dass sie niemals etwas verraten durften, denn sonst könnten die Fremden nicht mehr in Freiheit leben. Bestimmt würden Biologen und andere Wissenschaftler sie in ein Labor sperren und untersuchen.
Und das kam natürlich überhaupt nicht infrage.
Also würde Nico weiterhin ein Ausgestoßener in seiner Klasse bleiben müssen.
Ganz wie erwartet gesellte sich niemand zu ihnen. Lukas meinte sogar, dass die anderen Kinder sichtbar Abstand zu ihm und Nico hielten, um nicht versehentlich in ihre Gruppe zu geraten. Er seufzte. Das war echt nicht fair!
»Leute, ich sagte Dreiergruppen«, ermahnte Jörg die Klasse leicht ungeduldig. Dabei sah er allerdings nicht Lukas und Nico an, sondern vier Mädchen, die zusammenstanden und lautstark diskutierten. Offensichtlich wollte niemand von ihnen die Gruppe verlassen.
Frau Siebald trat hinzu und bestimmte kurzerhand: »Eine von euch geht zu Nico und Lukas.«
Erwartungsgemäß meldete sich niemand. »Ich warte«, verkündete die Lehrerin ungeduldig. Lukas sah, wie Sophie die Augen verdrehte und stöhnte: »Oh Mann. Dann mach ich’s eben.«
Sie trabte zu den beiden Jungs herüber.
»Hallo Leute«, sagte sie tonlos. Man konnte ihr deutlich ansehen, dass sie lieber bei den anderen geblieben wäre. »Ich hoffe, ihr habt ’ne gute Lampe. Meine Batterie ist fast alle.«
Als Antwort auf ihre Frage schaltete Nico triumphierend seine Riesenstablampe ein. »Ist die hell genug?«, fragte er.
Ein schiefes Grinsen breitete sich auf Sophies Gesicht aus. »Ja, die wird gehen.«
Sophie war eigentlich ganz in Ordnung. Sie gehörte zu denen, die ihn und Nico meist in Ruhe ließen. Noch lieber wäre es Lukas allerdings gewesen, wenn stattdessen Lisa zu ihnen gekommen wäre. Aber so viel Glück durfte er vermutlich nicht erwarten.
Damit war die Gruppeneinteilung gelöst, und Jörg schickte die Dreiergruppen nacheinander in die vier Forschergänge.
So eine Dunkelheit hatte Lukas selten erlebt, und das trotz Nicos Taschenlampe. Außerhalb des Leuchtkegels war es bestenfalls dämmerig. Sie marschierten ein paar Meter, dann machte der Gang eine scharfe Biegung, und es ging steil bergauf. Wie vorhin war der Weg gut befestigt. Von den Taschenlampen aber nur teilweise ausgeleuchtet, wirkte er viel gruseliger als im hellen Schein der Wandlampen.
Plötzlich stolperte Nico und stieß mit Schwung gegen den Fels.
»Aua!«
Seine Lampe fiel auf den Boden, schlitterte ein paar Meter weit und knallte schließlich gegen einen Tropfstein. Das Licht erlosch augenblicklich.
Lukas hielt den Atem an. Jetzt war es absolut stockfinster. Nicht das kleinste bisschen Licht drang zu ihnen durch. So etwas hatte Lukas noch nie erlebt.
Er wagte es nicht, zu atmen oder sich zu rühren. Wo war der Weg? Wo waren die anderen?
Es war mucksmäuschenstill.
»Nico?«, fragte er zaghaft.
»Hier«, kam es von irgendwoher. Die Stimme klang angespannt.
»Sophie?«, fragte Lukas weiter.
»Moment«, murmelte das Mädchen. Dann hörte man sie in einer Tasche kramen, und mit einem Mal leuchtete eine weitere Lampe auf. »Gut, dass ich auch eine dabei habe, oder?«, fragte Sophie mit einem selbstzufriedenen Grinsen in der Stimme.
»Ja, schon«, erwiderte Nico nachdenklich. »Aber das ist eine ganz schöne Funzel.«
Wie angekündigt war Sophies Lampe bei Weitem nicht so hell wie Nicos.
»Dann hol’ dir doch deine Lampe zurück«, erwiderte Sophie patzig.
»Genau das werde ich auch tun«, sagte Nico. Im Licht von Sophies Lampe fand er seine eigene schnell wieder und hob sie auf. Dabei fiel etwas klappernd zu Boden.
»Oh, oh«, machte Nico. »Die ist hin.«
In der einen Hand hielt er den Griff, in der anderen das vordere Teil mit dem Reflektor und dem Glas. Die Abdeckung war verbogen, das Glas gesplittert, und die Glühlampe darin in tausend Teile zersprungen.
»Dann eben mit meiner Funzel!«, schnappte Sophie und setzte sich in Bewegung. Nico und Lukas folgten ihr.
»Hast du denn keine Lampe dabei?«, fragte Nico im Flüsterton.
»Nee«, gestand Lukas leise.
»Mist!« Nico schüttelte den Kopf.
In dem unzureichenden Licht konnten sie gerade so eben den Weg erkennen. Wenn es besondere Überraschungen in diesem Abschnitt des Forscherganges gab, würden sie einfach daran vorbeilaufen.
Hinter der nächsten Biegung meinte Lukas außerdem, das Licht würde schwächer werden. Und tatsächlich flackerte ein paar Schritte weiter Sophies Lampe ein- oder zweimal, dann war auch sie aus. Wieder wurde es pechschwarz.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, knurrte Nico. Sophie sagte kein Wort. Lukas auch nicht.
Würden sie wirklich ihren Weg im Dunkeln ertasten müssen? In Lukas’ Nacken kribbelte es, wie immer, wenn er Angst hatte. Natürlich war es in diesem Gang nicht gefährlich, aber … so ganz ohne Lampe?
Was würden ihre Klassenkameraden sagen, wenn sie kriechend und tastend aus dem Forschergang herauskämen?
Ich hätte so gerne etwas Licht, flehte Lukas in Gedanken.
Genau in diesem Augenblick kam von irgendwoher ein schwacher Schimmer. Aber von wo? Er sah sich um und entdeckte, dass aus dem Ärmel seiner Winterjacke ein gelbliches Licht drang.
»Hey, du hast ja doch eine Lampe dabei«, freute sich Sophie.
»Hab ich nicht«, sagte Lukas abgelenkt, dann schob er den Ärmel zurück.
An Lukas’ Handgelenk saß ein silbernes Armband und erstrahlte in grün-gelbem Schein. Lukas erstarrte. Nico sog zischend den Atem ein. Das durfte doch nicht wahr sein!
Das Armband hatte Lukas von den Außerirdischen erhalten. Sie nannten es einen Multicom. Es diente dazu, miteinander reden zu können, genau wie mit einem Funkgerät. Ganz offensichtlich besaß ein Multicom aber noch weitere Funktionen. Dass er leuchten konnte, hatte Lukas nicht gewusst.
»Wow«, meinte Sophie, die fasziniert auf das Armband starrte. »Was ist das denn?«
Nico schaltete schnell und erklärte: »Cool, ne? Hat ihm sein Onkel aus Japan mitgebracht. Das ist da jetzt der letzte Schrei.« Er sah Lukas ins Gesicht. »Das hättest du auch früher ’rausholen können. Los jetzt, gehen wir weiter!«
Lukas nickte und stolperte an die Spitze der kleinen Gruppe. Während des weiteren Weges plapperte Nico in einer Tour und wies Sophie immer wieder auf verschiedene tolle Tropfsteine hin. Er wollte das Mädchen um jeden Preis von dem Multicom ablenken.
Schließlich, nach einer letzten Biegung, schimmerte von vorne das Licht der nächsten Halle zu ihnen. Sofort dachte Lukas intensiv: Das Licht bitte aus!
Augenblicklich erlosch der grün-gelbe Schein, und das Armband sah wieder so aus wie immer: silbern, schlicht und ohne jegliche Verzierung.
Mit klopfendem Herzen traten die zwei Jungen aus dem Gang in die Halle, in der sich schon die ersten Mitschüler versammelt hatten. Sobald sie die anderen aus ihrer ehemaligen Vierergruppe sah, verließ Sophie die beiden. Lukas und Nico war das nur Recht.
»Wusstest du, dass die Dinger auch Licht machen können?«, fragte Lukas seinen Freund leise.
Der schüttelte nur den Kopf.
Nico fuhr fort: »Ich bin froh, dass nicht eine dieser fliegenden Scheiben erschienen ist, die unsere Freunde immer benutzen. Das hätten wir bestimmt nicht so einfach erklären können.« Dann grinste er schief und sagte: »Damit bist du sicher der Star auf der Nachtparty.«
»Welche Party?«, fragte Lukas verwirrt.
»Hallo? Wir sind in einer Jugendherberge. Du weißt doch, was man da abends so macht.« Nico verzog das Gesicht und setzte leiser hinzu: »Was die anderen so machen.«
»Ich weiß von keiner Party.« Lukas runzelte die Stirn.
»Na ja«, sagte Nico gedehnt, »die ist ja auch nicht … offiziell.«
»Aber wir dürfen doch nach zehn Uhr die Zimmer gar nicht mehr verlassen.«
Nico warf die Hände in die Luft und stöhnte: »Ich geb’s auf!«
Zum Abendessen saßen sie mit den anderen Kindern zusammen im Speisesaal der Jugendherberge. Alle redeten durcheinander, die Tassen und das Besteck klapperten, und es wurden Teller mit Butter, Käse, Fleischwurst und Salami hin- und hergereicht. Ein ohrenbetäubender Lärm.
Plötzlich zuckte Lukas zusammen. Er spürte, dass ihn jemand sprechen wollte. Lukas runzelte die Stirn. Das konnte doch nicht sein. Die Woche war doch noch gar nicht zu Ende!
Lukas zupfte Nico am Arm und deutete auf seinen Multicom.
»Hä?«, fragte Nico wenig geistreich. Lukas sah seinen Freund eindringlich an und deutete noch einmal auf das Armband. »Da will uns jemand sprechen«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Nicos Augen wurden groß, dann zischte er: »Schnell! Auf unser Zimmer! «
In Windeseile schlangen sie ihre Brote herunter und spülten mit dem unnachahmlichen roten Tee-Etwas hinterher. Dann stahlen sie sich aus dem Saal und huschten durch die langen, leeren Flure und Treppenhäuser.
Das drängende Gefühl in Lukas’ Kopf wurde immer stärker. Da hatte es aber jemand offensichtlich sehr eilig.
Schließlich erreichten sie ihr Vierbettzimmer. Nico knallte die Tür zu, und Lukas aktivierte das Funkarmband.
»Ja? Hallo?«, fragte er.
»Das hat aber lange gedauert! Hier ist Kawett«, hörten sie die Stimme des grünhäutigen Jugendlichen vom Planeten Akano. »Ihr müsst sofort kommen!«
»Was ist denn los?«, fragte Nico.
»Skatt will, dass wir die Geisterwaldstation aufgeben und umziehen.«
»Wieso denn das auf einmal?«, riefen Nico und Lukas wie aus einem Mund.
»Habt ihr das etwa vergessen?«, kam es angespannt zurück. »Nico, er weiß doch jetzt, dass der Astronom, der am Waldrand wohnt und uns immer so viel Ärger macht, dein Vater ist. Er traut ihm nicht. Er traut dir nicht. Er befürchtet, dass du uns an deinen Vater verrätst. Dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis unser Geheimnis keines mehr ist.«
»Aber … Dad weiß doch mittlerweile sowieso schon alles. Du hast dich ihm sogar selbst gezeigt, Kawett.« Nico schüttelte verwirrt den Kopf.
»Ja, aber das wissen Skatt und Luwa nicht. Sie hatten doch schon geschlafen, als der ganze Zauber losging. Passt auf: Ihr müsst herkommen, so schnell es geht. Wenn wir den beiden die ganze Geschichte von Anfang bis Ende erzählen, dann wird Skatt bestimmt einsehen, dass vom Professor keine Gefahr droht. Im Gegenteil, dass er uns sogar geholfen hat. Luwa und ich können ihn dann bestimmt davon überzeugen, hier zu bleiben.«
»Wir können jetzt nicht einfach so kommen«, sagte Lukas verzweifelt. »Wir sind gar nicht in Neuendorf. Wir kommen erst morgen Nachmittag von unserem Schulausflug zurück.«
Einen Moment lang war es still, dann sagte Kawett zögernd: »Dann muss ich ihm wohl die Geschichte alleine erzählen.«
»Nicht ohne uns!«, rief Nico entschieden. »Du hast es versprochen, Kawett. Wir möchten dabei sein!«
Und Lukas fügte hinzu: »Du musst Skatt aufhalten, bis wir wieder bei euch sind. Nur bis morgen.«
»Ob ich ihn so lange hinhalten kann?« Kawett klang nicht gerade glücklich dabei.
Nico versuchte, ihn zu beruhigen: »Sag ihm, dass wir den Beweis haben, dass mein Dad euch nicht gefährlich werden kann. Er soll sich bis morgen gedulden. Das schaffst du schon!«
Sie hörten, wie Kawett seufzte.
»Nur bis morgen«, wiederholte Nico noch einmal. »Ich möchte Skatts Gesicht nicht verpassen, wenn er von unserem kleinen Abenteuer erfährt.«
Es gab eine Pause, dann seufzte Kawett noch einmal schwer. »Na schön. Ich versuche es. Aber nur bis morgen. Ihr kommt, so schnell ihr könnt, ja?«
»Versprochen«, riefen Lukas und Nico einstimmig.
In diesem Moment hörten sie Stimmen vor der Tür. Lukas flüsterte noch ein leises: »Wir müssen auflegen. Tschö!«, dann beendete er die Verbindung.
Keinen Moment zu früh, denn schon flog die Tür auf, und Fritz und Paul, ihre beiden Zimmergenossen, kamen herein. Im Schlepptau hatten sie – wie so oft – Philipp und Leon. Und alle hatten natürlich schon wieder ihre Tablets gezückt. Die vier würden den ganzen Abend vor den Bildschirmen hängen und sich die virtuellen Köpfe einschlagen. ›Warrior Quest‹ war gerade der große Renner.
Nico und Lukas nickten sich kurz zu, dann verschwanden sie wortlos aus dem Zimmer.
Die Sonne war bereits untergegangen und der Himmel fast schwarz. Zu zweit liefen die Freunde durch den Garten der Jugendherberge. Niedrige Lampen beleuchteten die verschlungenen Wege.
Lukas fühlte sich elend. »Meinst du, Skatt setzt sich durch?« Um nichts in der Welt wollte er seine drei außerirdischen Freunde verlieren – schon gar nicht wegen einer unbegründeten Angst.
»Niemals«, gab Nico bestimmt zurück. »Der meckert zwar immer gerne rum, aber ich glaube, dass er mehr bellt, als er beißt.«
»Ich hoffe, du hast recht. Die drei hatten schließlich einen Mordsrespekt vor deinem Dad.«
Nico lachte auf. »Das kann ich gut verstehen. Er hat ja auch hartnäckig versucht, die Ursache des grünen Leuchtens zu finden, und ist ihnen damit ziemlich auf die Pelle gerückt.« Dann sah er Lukas an. »Aber das hat sich jetzt geändert. Mein Dad würde alles tun, um die drei zu beschützen.« Er grinste frech. »Und natürlich, um selber einmal ins All zu fliegen. Der ist ja soooo neidisch!«
Die Jungen kicherten. Die Akanoden hatten ihren unterirdischen Stützpunkt speziell gegen den Professor besonders abgesichert. Es war absolut unmöglich, dass er ihn betrat. Geschweige denn, dass er in das Raumschiff steigen und mitfliegen könnte.
Auf einmal blieb Nico stehen und packte Lukas am Ärmel. »Da!«, zischte er.
Durch die Büsche zu ihrer Rechten hörten sie Schritte und Stimmen. Eine Stimme davon gehörte unverkennbar Max.
»Mensch, das war echt heftig«, tönte der dicke Junge mit seiner lauten und rauen Stimme. »Die Monster kamen immer näher, und ich musste zuseh’n, dass ich da wegkomm’.«
Lukas und Nico schnappten nach Luft.
Max würde doch nicht …
Nein, er würde bestimmt nichts von ihrer gemeinsamen Aktion auf dem Titan erzählen!
Offenbar aber doch!
»Der Typ oben auf dem Hügel konnte mir auch nicht mehr helfen. Ich war allein«, posaunte Max heraus.
»Waren die Monster denn bewaffnet?«, fragte eine andere Stimme. Sie gehörte zu einem der drei Jungs, die immer wie Kletten an Max’ Hosenbeinen hingen und alles toll fanden, was ihr Anführer sagte oder tat. Richtig kleine Bewunderer waren das.
»Und ob!«, rief Max großspurig. »Alle hatt’n se Kanonen dabei. Da wär’s mir fast an den Kragen gegangen.«
Nico ballte vor Wut seine Fäuste und presste die Lippen fest aufeinander. Er zitterte wie ein Rennpferd vor dem Start. Lukas packte ihn an den Schultern und zischte: »Nicht jetzt!«
»Der kann vielleicht was erleben! Er hat versprochen, nichts zu verraten. Das geht ja gar nicht!«
Nicos Flüstern wurde zusehends lauter.
»Aber nicht vor seinen Kumpels.« Lukas legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Pah!«, machte Nico und schüttelte Lukas’ Hand unwirsch ab. Mit funkelnden Augen trat er hinter dem Gebüsch hervor und rief: »Hallo Max! Schöner Abend, was?«
Erstaunlicherweise zeigte Max keinerlei schlechtes Gewissen. Er verzog nur den Mund und knurrte: »Ach, Sönderling. Ham’se dich aus deiner Gummizelle rausgelassen?« Er sah theatralisch auf die Uhr und fuhr fort: »Oh, der Freigang ist beendet. Husch, husch, zurück ins Körbchen.«
Seine drei Kumpanen lachten dreckig.
Nico setzte an, etwas zu erwidern. Doch dann klappte er den Mund wieder zu.
Das war auch besser so! Lukas atmete auf. Egal, was Nico hatte sagen wollen, es hätte die Situation nur noch schlimmer gemacht. Wütend zogen die beiden Jungen ab. Das fiese Lachen von Max und seiner Truppe klang ihnen noch einige Meter hinterher.
Max war der typische Schulrüpel, der sich mit jedem anlegte und immer der Größte und der Tollste sein wollte. Gerade auf Nico hatte er es permanent abgesehen. Allerdings hatten sie vor etwa zwei Wochen gemeinsam eine abenteuerliche und gefährliche Reise unternommen. Sie waren zum Saturnmond Titan geflogen, um Kawett zu befreien, der von gemeinen, gepanzerten Wesen, den sogenannten Mohaks, gefangen genommen worden war. Auf dieser Fahrt hatte sich Max als erstaunlich zuverlässig erwiesen. Ja, er hatte sich sogar selbst in Gefahr gebracht, nur um Lukas und Nico zu helfen.
Lukas hatte so gehofft, dass Max danach netter zu ihnen werden würde. Aber leider war das nicht der Fall. Max ging ihnen seitdem lediglich etwas mehr aus dem Weg.
Was sollten sie jetzt bloß unternehmen? Max durfte die Außerirdischen auf keinen Fall verraten, denn dann würden diese nie wieder nach Hause kommen. Die beiden Jungen sahen sich ratlos an.
Am nächsten Tag besuchte die Klasse ein Bergbaumuseum. Eigentlich hatte sich Lukas auf diesen Besuch gefreut, doch heute war er mit den Gedanken ganz woanders. Er konnte sich einfach nicht auf die Grubenlampen, die Fördertürme und den Stollenvortrieb in den verschiedenen Jahrhunderten konzentrieren.
Max wich ihnen demonstrativ aus. Wann immer Lukas den großen Jungen anfunkelte, sah dieser gezielt in eine andere Richtung.
Dann endlich ging es zurück nach Neuendorf. Die Rückfahrt konnte den beiden gar nicht schnell genug gehen. Sie wollten dringend ihre Freunde im Geisterwald treffen. Warum konnte der Busfahrer nicht schneller fahren?
Auf dem Schulhof von Neuendorf stand schon Lukas’ Mutter zum Abholen bereit, und auch Professor Sönderborg war gekommen. Kaum war Lukas draußen, lief er sofort zu seiner Mutter.
»Na, mein Junge?«, begrüßte sie ihn lächelnd. »Wie war’s?«
»Super«, antwortete Lukas schnell. Dann spulte er die vorbereitete Geschichte ab. »Mama? Kann ich noch mit zu Nico?«
»Jetzt sofort?«, fragte seine Mutter verwundert.
»Wir sollen über den Schulausflug einen Aufsatz schreiben, und Nico und ich möchten das machen, solange die Erinnerung noch frisch ist. Geht das? Zum Abendessen bin ich auch wieder zurück.«
Frau Pohl sah ihren Sohn intensiv an, dann nickte sie. »Na, von mir aus. Aber sei bitte pünktlich! Dein Vater und ich möchten nämlich auch gerne wissen, was ihr erlebt habt.«
»Danke!«, rief Lukas und drückte seiner Mutter das Reisegepäck in die Hand. Frau Pohl seufzte lächelnd und blickte ihrem Sohn hinterher, wie er in den Wagen der Sönderborgs kletterte.
Kurz darauf waren Lukas und Nico auf dem Weg in den Wald.
»Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Kawett! Was hast du dir bloß dabei gedacht?«, brüllte Skatt außer sich.
Nico, Lukas und die drei Außerirdischen standen im Aufenthaltsraum der Geisterwaldstation. Der grünhäutige Skatt hatte zwei seiner vier Arme in die Hüften gestützt, die anderen zwei Hände waren zu Fäusten geballt und zitterten. Seine drei Augen funkelten glühend rot.
»Du hast dich einfach so einem Menschen gezeigt? Bist du denn wahnsinnig? Und dann auch noch ausgerechnet dem Professor!« Er warf sein oberes Armpaar theatralisch gen Himmel und stöhnte.
Lukas und Nico zuckten unter dem Donnerwetter zusammen. Wow! Das übertraf Lukas’ Erwartungen bei Weitem.
Während Skatt sich weiter in Rage redete und fluchte, wurde Kawetts ebenfalls grüne Haut merklich dunkler. »Skatt, hör auf!«, unterbrach er seinen Freund unwirsch. »Es ging nun einmal nicht anders. Was hätte ich denn tun sollen?«
Skatts Wortschwall brach abrupt ab. Er schnaubte abfällig und schüttelte den Kopf. Demonstrativ wandte er Kawett den Rücken zu. Luwa, der Dritte im Bunde, schwieg und wartete ab.
Lukas verkniff sich ein Grinsen. Es war abzusehen gewesen, dass Skatt sich aufregte. Der Kleinste der drei Außerirdischen war meistens schlecht gelaunt. Dieses Mal hatte er aber ausnahmsweise einen guten Grund dafür.
Die Geschichte, die Kawett, Lukas und Nico gerade erzählt hatten, war aber auch ziemlich verrückt: Die drei Außerirdischen verbrachten regelmäßig einige Wochen in einem sogenannten Hyperschlaf, in dem sie nicht alterten. Kurz nachdem Luwa und Skatt sich vor knapp drei Wochen hingelegt hatten, war Kawett auf einen Notruf aufmerksam geworden. Einen Notruf, der von dem Jupitermond Europa ausgestrahlt worden war. Hilfe musste her! Sofort hatte Kawett seinen eigenen Hyperschlaf verschoben. Da er aber Luwa und Skatt nicht einfach so wieder aufwecken konnte, hatte er Nico und Lukas um Unterstützung gebeten. Also waren sie zusammen aufgebrochen, um der dortigen Bevölkerung zu helfen. In der Folge waren sie von einer Gefahr in die nächste gestolpert.
Kawett reckte sich und sagte: »Versteh’ mich doch! Was hättest du denn an meiner Stelle getan? Hättest du den Notruf einfach ignoriert?« Skatt erwiderte nichts. »Oder wärst du ganz alleine hingeflogen?« Das Schweigen hielt an. »Oder hättest du uns etwa aus dem Hyperschlaf aufgeweckt? Vorzeitig? Du weißt, wie gefährlich das ist.«
Da Skatt weiterhin schwieg, sagte Luwa mit seiner sanften Stimme: »Die Antworten lauten: nein, nein und nein. Und das weißt du ganz genau, Skatt.«
Skatt knurrte nur. Dann hob er seine vier Arme und ließ sie direkt wieder fallen. »Aber …«, begann er. Dann stöhnte er: »Ich fasse es einfach nicht.«
Kawett schmunzelte mit seinem seltsamen Mund. Dort, wo bei einem Menschen Mund und Nase sind, wölbte sich der Kopf der Außerirdischen wie zu einem kurzen Schnabel vor.
»Stell dir vor, das Gleiche habe ich mir auch gedacht«, sagte er, immer noch lächelnd. »Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, mich einem Menschen …«, er unterbrach sich und korrigierte mit einem Seitenblick auf Lukas und Nico, »… mich einem weiteren Menschen zu zeigen. Aber ich hatte keine andere Wahl. Der Notruf, den die Bewohner von Europa ausgesandt hatten, klang sehr dringend. Ich war mir sicher, dass wir sofort los müssen. Und so war es dann ja auch.«
»Aber … warum musstest du dich … unbedingt dem Professor zeigen?«, stammelte Skatt.
»Was sollte ich denn sonst tun? Wir brauchten schließlich Zeit für die Rettungsaktion, viel Zeit. Irgendjemand musste dafür sorgen, dass das Verschwinden der Kinder nicht auffiel. Wären sie ohne ein Wort einfach so zwei Tage lang nicht nach Hause gekommen, wäre hier doch der Teufel los gewesen.«
»Außerdem«, fügte Nico hinzu, »wird mein Dad nichts verraten. Das hat er versprochen und das hat er auch gehalten.«
»Bis jetzt«, erwiderte Skatt bissig. »Was nicht ist, kann ja noch werden. Das ist ein Wissenschaftler! Der wird etwas veröffentlichen wollen.«
»Nicht mein Dad!«
Wortlos fixierte Skatt ihn mit seinem mittleren Auge und einem sehr skeptischen Blick. Dann fuhr er unvermittelt fort: »Tja. Und dann hat sich unser feiner Herr Kawett auch noch fangen lassen.«
Kawett kniff seinen Schnabelmund zusammen. Die Erinnerung, wie er in die Falle getappt war, war ihm offenbar unangenehm. Die ganze Aktion war dadurch für alle Beteiligten sehr gefährlich geworden.
Skatt sah Lukas und Nico abfällig an. »Und jetzt weiß zu allem Übel auch noch ein gewisser Max von uns. Sagt mal, ist das etwa der Max, von dem ihr schon so viel erzählt habt? Der euch immer nachspioniert?«
Lukas nickte. »Ja. Max ist ein Klassenkamerad von uns.«
»Hm, Kamerad?«, warf Nico ein.
Lukas korrigierte sich: »Er geht in unsere Klasse. Aber eigentlich ist er total nervig, ärgert uns und pöbelt nur rum.«
»Wieso um alles in der Welt habt ihr dann gerade ihn eingeladen mitzukommen?«, fragte Skatt fassungslos.
»Wir haben ihn nicht eingeladen. Wir mussten ihn mitnehmen«, erklärte Lukas. »Anders wäre es nicht gegangen. Zu zweit hätten wir Kawett nicht aus der Festung herausholen können.«
»Wäre nicht irgendjemand anders eventuell geeigneter gewesen als euer ärgster Feind?« Der drohende Unterton in Skatts Stimme wurde immer deutlicher.
»Absolut! Jeder andere!«, warf Nico ein.
»Na ja«, murmelte Lukas. »Nico hat schon recht. Aber Max hatte sowieso schon alles herausgefunden.«
Skatt riss alle drei Augen auf. »Was? Wie denn das?«
Auch Luwa schaute die beiden Jungen fragend an.
Lukas druckste ein wenig herum: »Als wir alleine, ohne Kawett, zur Erde zurückgeflogen sind, da … war Max im Wald und … er hat die Landung gesehen.«
Skatt stöhnte auf und streckte alle vier Hände zur Zimmerdecke. »Das darf doch nicht wahr sein!«
Lukas sagte schnell: »Wenn wir ihn nicht mitgenommen hätten, dann wäre Kawett noch immer ein Gefangener der Mohaks.« Dann fuhr er kleinlaut fort: »Und Max hätte vielleicht sogar die Presse auf euch gehetzt. Er wollte schließlich unbedingt ins All. Das hat er bekommen. Und im Gegenzug hat er versprochen, niemandem etwas davon zu erzählen.« Lukas wand sich innerlich, als er hinzufügte: »Und er hält dicht.«
»Bis jetzt«, wiederholte sich Skatt mürrisch.
Nico warf Lukas einen fragenden Blick zu. Lukas versuchte, äußerlich ganz ruhig zu bleiben, trotz der Lüge.
Wir wissen ja gar nicht genau, wie viel er seinen Kumpels erzählt hat, versuchte er, sich in Gedanken zu rechtfertigen.
Luwa räusperte sich. »Ganz im Ernst, Kawett. Die ganze Sache war extrem riskant. Wenn euch diese skrupellosen Panzerwesen entdeckt hätten … wenn sie erfahren hätten, wo wir wohnen …«
»Haben sie aber nicht«, unterbrach ihn Kawett. »Sie haben mich immer wieder verhört. Sie wollten wissen, ob noch mehr von uns hier sind. Ich habe ihnen natürlich nichts gesagt. Sie wissen gar nichts! Bei der Rettungsaktion waren die Jungen supervorsichtig und haben sich nicht sehen lassen. Die Mohaks glauben, ich hätte mich alleine befreit. Und sie glauben auch, dass sie mich auf der Flucht erschossen hätten.«
»Wieso denn das?«, fragte Luwa.
»Ich habe einen leeren Raumanzug ferngesteuert und so getan, als würde ich darin fliehen. Den haben sie beschossen und zerstört. In der Zeit sind Lukas und ich dann unerkannt auf das Dach der Station geklettert und in die andere Richtung abgehauen.«
Bei der Erzählung musste Lukas unwillkürlich grinsen. Es war ganz schön knapp gewesen, aber die Täuschung hatte funktioniert.
»Hm!«, brummte Skatt. »Wenn ich also zusammenfassen darf: Du, Kawett, hast dich weiteren Menschen gezeigt, obwohl wir uns geschworen hatten, das niemals zu tun. Danach habt ihr den Mohaks heftig auf die Füße getreten und sie aufgemischt. Und zu guter Letzt hast du dich dann auch noch fangen lassen. Die Mohaks wissen jetzt also von uns. Und das alles in nur einer Woche. Eine tolle Bilanz, das muss ich wirklich sagen!«
Lukas schüttelte den Kopf. Skatt verdrehte alles! Sie hatten die Bevölkerung des Jupitermondes Europa beschützt, die durch die Mine der Mohaks in Gefahr gewesen war. Sie waren den Kampfraumschiffen entkommen. Sie hatten Kawett befreit. Und dafür gesorgt, dass die Panzerkrieger glaubten, sie wären alle tot. War das etwa nichts?
Auf einmal sagte Nico grinsend: »Ach Skatt, gib es doch zu! Du machst dir doch nur im Nachhinein Sorgen um uns.« Er blickte den Außerirdischen frech an. »Aber es ist alles gut ausgegangen. Das ist doch die Hauptsache.«
Skatt lief dunkelgrün an und sah aus, als wollte er Nico fressen. Dann drehte er sich um und stürmte ohne ein weiteres Wort aus dem Raum.
Luwa und Kawett sahen ihrem Mitschüler hinterher. Ein leichtes Schmunzeln erschien auf Luwas Schnabelmund. Nico hatte vermutlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Wiederholt hatte Skatt bewiesen, dass sich hinter seinem schroffen und mürrischen Äußeren jemand verbarg, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Nur leider lag dieser weiche Kern ziemlich tief verborgen.
Nach einer kurzen Pause sagte Luwa zu Kawett und den Jungen: »Nun gut. Das war dann ja eine aufregende Woche. Ich bin froh, dass euch nichts Schlimmeres zugestoßen ist. Aber mit einem hat Skatt durchaus recht. Die Mohaks dürfen niemals erfahren, dass ihr noch lebt. Wenn sie wirklich glauben, dass unser Raumschiff vernichtet ist und dass sie dich, Kawett, bei deinem Ausbruch getötet haben, dann müssen wir sie um jeden Preis in diesem Glauben lassen.«
Ja, die Mohaks. Erst seit ein paar Wochen wussten Lukas, Nico und die anderen, dass sich noch mehr Außerirdische im Sonnensystem herumtrieben. Sie nannten sich Mohaks und hatten Anlagen auf dem Merkur, dem Mars, dem Jupitermond Europa und dem Saturnmond Titan errichtet. Welchem Zweck sie dienten, das wussten Lukas und seine Freunde allerdings nicht. Dummerweise galten die Mohaks bei Kawetts Leuten als ein sehr kriegerisches und rücksichtsloses Volk. Sie verbrachten ihr ganzes Leben in gepanzerten Metallrüstungen und führten sicher nichts Gutes im Schilde.
Luwa sah zu Boden und murmelte wie zu sich selbst: »Das macht unsere Reparaturarbeiten nicht gerade einfacher.«
Kawett presste den Schnabelmund aufeinander und berührte mit zwei Fingern sanft ein Handgelenk seines Freundes. »Ja, Luwa. Das ist leider so.« Dann sah er ihm in die drei Augen und sagte mit fester Stimme: »Aber wir werden unseren Antrieb reparieren. Wir kommen wieder nach Hause. Das verspreche ich dir.«
Luwa zwang sich zu einem Lächeln. Es wirkte allerdings nicht sehr zuversichtlich.
Eine Weile sagte niemand ein Wort. Der erste Ärger war verraucht. Nach und nach setzten sich alle hin, Lukas und Nico so gut es eben ging. Die Hocker, auf denen die Akanoden saßen, waren für Wesen mit drei Beinen gemacht und daher für Menschen ziemlich unbequem.
Wortlos kam auch Skatt wieder herein und ließ sich auf einen Hocker fallen. Sein Gesicht war finster und verschlossen.
Dann reckte sich Kawett und sagte gedehnt: »Die Sache hat aber auch sein Gutes.«
»Na, da bin ich aber neugierig«, knurrte Skatt, ohne aufzublicken.
»Wir können vielleicht herausbekommen, was die Mohaks planen«, eröffnete Kawett den anderen.
Lukas blickte wie elektrisiert auf. »Wie denn das?«, fragte er aufgeregt.
Kawett sah die anderen an und erklärte: »Ich sagte ja, dass mich diese grässlichen Panzerwesen mehrfach verhört haben. Dazu haben sie mich jedes Mal aus meiner Zelle herausgeholt und in einen anderen Raum gebracht. Dort an den Wänden hingen Diagramme und Bilder, mit denen ich allesamt nichts anfangen konnte – ich kann die Sprache der Mohaks leider nicht lesen.« Er sah Lukas an. »Als du mir dann aber meinen Robotron gebracht hast, konnte ich ein paar Aufnahmen machen.«
»Und was bringt uns das?«, fragte Nico. »Wenn du doch kein Mohakisch verstehst.«
»Ich nicht«, grinste Kawett. »Aber unser Übersetzungscomputer. Ich brauche die Daten nur zu überspielen.«
Er tippte leicht auf den silbernen Gürtel, den er trug. Lukas wusste, dass dieser Gürtel in Wirklichkeit eine Art Raumanzug war. Wenn man ihn einschaltete, legte sich ein schwarzes, undurchdringliches Energiefeld um den ganzen Körper. Und ein Robotron konnte noch viel mehr. Fotos machen, zum Beispiel, oder fliegen.
Mit ein paar Handgriffen überspielte Kawett die Daten in den Zentralcomputer der Geisterwaldstation. Auf einem Bildschirm an der Wand erschienen Diagramme und Zeichnungen. Wenig später schwebten akanodische Schriftzeichen über den seltsamen Krakeln, die die Mohaks offenbar ihre Schrift nannten.
Vor einigen Wochen hatten Lukas und Nico in einer Hypnoseschulung die Sprache der Außerirdischen gelernt, daher konnten auch sie die Zeichen entziffern. Alle drängten sich nun vor dem Bildschirm zusammen und redeten wild durcheinander:
»Das gibt’s doch nicht!«
»Was heißt denn das?«
»Verstehe ich das richtig?«
»Neunhundert Raumschiffe?«
»Da steht nicht ›Raumschiffe‹, sondern ›Transporter‹. 864 Stück.«
»Vermutlich sind die ziemlich klein.«
»Nein, die sind riesig.«
»Was denn jetzt?«
»Von der Venus zur Erde?«
»Wann? Wann?«
Das Letzte hatte Skatt gefragt. Er war jetzt wieder Feuer und Flamme. »Sie wollen irgendetwas von der Venus zur Erde transportieren, und zwar in rauen Mengen«, fasste er zusammen. »Aber was? Und wann?«
Lukas blickte von einem zum anderen, und seine Augen wurden immer größer. Bisher waren die Freunde davon ausgegangen, dass sich die Mohaks nicht für die Erde interessierten. Jetzt also doch! Das gefiel Lukas ganz und gar nicht.
»Wozu tun sie das?«, schloss Luwa die Fragerunde ab.
»Das ›Wozu‹ ergibt sich aus ›Wann‹ und ›Was‹ von ganz alleine«, erklärte Skatt. Dann starrte er den Plan an. »Leider finde ich dazu nichts Genaueres.«
»Hier ist eine Zeitangabe.« Luwa deutete auf große Zeichen, die mitten auf dem Diagramm standen. »Da steht, dass die Aktion genau bei 58,123 Zeiteinheiten anläuft.«
»Ja«, knurrte Skatt. »Sehr hilfreich. Kannst du mir vielleicht erklären, von wann an das gerechnet wird? Und wie lang eine Zeiteinheit ist?«
»Das verstehe ich nicht«, warf Nico verwirrt ein. »Wieso versteht ihr die Zeitrechnung der Mohaks nicht? Euer Computer kennt doch auch deren Sprache.«
Kawett drehte sich zu ihm um. »Das ist gar nicht so einfach. Zeit ist, wie ihr vielleicht schon gehört habt, nichts Absolutes. Je schneller man fliegt, desto langsamer vergeht die Zeit – das ist kein Witz«, ergänzte er, als Lukas anfing zu kichern. »Schau mal im Internet unter ›Relativitätstheorie‹ nach. Ihr Menschen wisst das seit etwa einhundert Jahren.«
»Albert Einstein hat das entdeckt«, warf Nico ein.
»Korrekt. Die Zeit vergeht aber auch langsamer, je näher man sich einer großen Schwerkraftquelle nähert, einer Sonne zum Beispiel. Im Normalfall spielen diese Effekte keine große Rolle. Wenn wir mit unserem Raumschiff durch euer Sonnensystem fliegen, dann sind wir immer nur kurze Zeit mit annähernder Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Wenn man aber mit Überlichtgeschwindigkeit zum nächsten System springt, herrschen dort ganz andere Bedingungen. Aus diesem Grund gibt es keine allgemeingültige Zeitrechnung im Universum; bei keinem Volk. Man definiert stattdessen jeweils an dem Ort, an dem man sich gerade befindet, ein eigenes Zeitsystem. Wir haben uns zum Beispiel an die Zeitrechnung der Menschen hier in Neuendorf angepasst.«
»Leider wissen wir nicht, wie die Mohaks die Zeiteinheiten oder den Nullpunkt definiert haben«, ergänzte Luwa.
Skatt starrte weiterhin wie gebannt auf die Zahlen. Dann rieb er sich die vier Hände und sagte: »Na, darum werde ich mich dann mal kümmern.«
Ohne weitere Erklärungen verschwand er wieder.
Lukas runzelte die Stirn und zeigte hinter ihm her. »Wie meint er das denn?«
Luwa lächelte. »Ich glaube, Skatt hat endlich wieder eine Herausforderung gefunden. Er ist von uns dreien mit Abstand der Intelligenteste. Und er hat schon seit Langem keine harte Nuss mehr zu knacken gehabt. Wenn jemand diese Zeitangabe entschlüsseln kann, dann er.«
»Ach so.« Lukas nickte, dann starrte er wieder auf den Plan an der Wand. Er hatte ein ganz mieses Gefühl bei der Sache. »Was haben die Mohaks wohl mit der Erde vor?«, fragte er vorsichtig.
»Keine Ahnung«, antwortete Kawett, »aber ich denke, wir sollten es herausbekommen.«
»Das meine ich auch«, rief Nico und schlug mit einer Faust in die andere Hand. »Und dann legen wir den schleimigen Mohaks das Handwerk!«
»Langsam, langsam!«, bremste Kawett ihn.
Doch Nico rief aufgebracht: »Nix langsam! Mensch, vielleicht wollen die uns was antun! Wir müssen sie aufhalten! Es geht schließlich um unseren Planeten.«
»Da könntest du sogar recht haben«, bestätigte Kawett.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Lukas mit großen Augen. »Glaubst du etwa, sie wollen uns etwas antun?«
Kawett schluckte und versuchte, die Kinder zu beruhigen: »Das wissen wir noch nicht. Aber wir müssen extrem vorsichtig sein. Im Moment denken die Mohaks, dass wir alle tot sind; das Raumschiff auf dem Asteroiden zerschellt, und ich bei meiner Flucht erschossen. Wir müssen alles daran setzen, um zu verhindern, dass sie ihren Irrtum erkennen.«
Lukas atmete tief ein und aus und starrte wieder auf den Plan. Diese unscheinbaren Zeichnungen und Wörter wirkten auf Lukas wie eine schreckliche Bedrohung. So, wie Kawett die Panzerkrieger beschrieben hatte, und so, wie Lukas sie kennengelernt hatte, wollte er sich überhaupt nicht ausmalen, was möglicherweise auf sie zukommen könnte.
Während Lukas noch grübelte, sah Nico auf seine Armbanduhr. »Oh, schon so spät? Ich hatte meinem Dad eigentlich gesagt, dass ich um sechs wieder zu Hause bin.«
Lukas erschrak. »Schon nach sechs?«, rief er mit großen Augen. »Ich sollte pünktlich zum Abendessen zurück sein. Verdammt, jetzt aber flott!« Blitzschnell sprang er auf. »Macht’s gut, wir sprechen uns«, rief er Kawett und Luwa zu.
Die beiden Jungen stürmten aus dem Aufenthaltsraum und rannten durch die große Halle der unterirdischen Station. Lukas warf nur einen flüchtigen Blick auf das Raumschiff, das darin stand. Kreisrund war es und ruhte auf vier silbernen Stahlstützen. Das Schiff sah genauso aus, wie man sich eine fliegende Untertasse aus dem All vorstellte. Ein erwartungsvolles Kribbeln lief über Lukas’ Rücken. Bestimmt flogen sie bald wieder ins All. Diese Milliarden von Sternen zu sehen, fremde Planeten und Monde zu betreten, das war das absolut Größte für ihn!
Doch jetzt hatten sie keine Zeit dafür. Mit langen Schritten hechteten die beiden die Treppe hinauf und traten durch die Falltür auf die Waldlichtung. Hinter ihnen schloss sich lautlos der Eingang. Nichts deutete darauf hin, dass unter diesem unscheinbaren Hügel zu ihrer Rechten die Landebasis von drei außerirdischen Jugendlichen versteckt lag.
Gemeinsam rannten sie den Pfad zurück zu Nicos Haus. Als sie davor ankamen, hörten sie aus der Ferne eine Turmuhr schlagen. »… vier … fünf … sechs«, zählte Lukas mit. Ein siebter Schlag blieb aus.
»Hattest du nicht gesagt, es wäre schon nach sechs?«, fragte Lukas seinen Freund.
»Dann geht dieses Mistding schon wieder vor.« Nico schüttelte sein Handgelenk. »Seit ich sie auf dem Titan bei der Befreiung von Kawett getragen habe, geht das blöde Teil nach dem Mond.« Nico klopfte mit der flachen Hand auf seine Armbanduhr.
»Vielleicht sollte ich mir auch mal eine eigene Uhr zulegen«, überlegte Lukas. »Aber eine, die geht«, fügte er grinsend hinzu.
»Blödmann!«, schnauzte Nico freundschaftlich zurück.
Lachend machte sich Lukas auf den Weg nach Hause.
Beim Abendessen musste Lukas seinen Eltern ausführlich von dem Schulausflug erzählen. Von den Höhlen, dem Museum, der Herberge, und was sie sonst noch so gemacht hatten. Lukas war allerdings nur mit dem halben Herzen dabei. Der Ausflug lag gefühlt schon so lange zurück. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu der Frage ab, was wohl die Mohaks mit dem Zeug vorhatten, das sie von der Venus zur Erde bringen wollten. Was konnte das nur sein? Lukas fiel einfach nichts ein. Das hieß, ihm fiel schon eine ganze Menge ein, aber ein Gedanke war schrecklicher als der andere.
So kam es, dass er schließlich eine Frage seines Vaters gar nicht mitbekam.
»Lukas? Ist alles klar bei dir?«, riss Herr Pohl seinen Sohn aus den Gedanken.
»Ja, ja, natürlich.« Lukas zwang sich zu einem Lächeln. »Sorry, ich hab’ nur nachgedacht. Was hast du gefragt?«
»Ich habe gefragt, ob du … ob dir an Professor Sönderborg … also an dem Wald …«, Herr Pohl räusperte sich. »Die Nachbarn haben gesagt …«
Trotz seiner Sorgen konnte sich Lukas ein Grinsen nicht verkneifen. Seine Eltern hatten also endlich mitbekommen, was man sich im Dorf über den Wald und die Sönderborgs erzählte. Er blickte seinen Vater erwartungsvoll an und fragte betont langsam: »Ja? Was haben die Nachbarn denn gesagt?«
Herr Pohl räusperte sich erneut. »Wir haben so merkwürdige Geschichten gehört«, sagte er und sah unsicher seine Frau an. »Über den Wald. Und … über Nicos Vater.«
»Was habt ihr denn gehört?«, fragte Lukas. Nur mit Mühe hielt er sein Gesicht so ausdruckslos wie möglich.
»Die Leute erzählen so merkwürdige Dinge. Über … den Geisterwald.«
»Und Nico wohnt mit seinem Vater direkt daneben«, fügte Frau Pohl mit ernstem Gesichtsausdruck hinzu. »Ich vermute daher, du weißt sehr genau, wovon wir reden.«
Jetzt hielt es Lukas nicht mehr aus. Er prustete los und stieß hervor: »Meint ihr ernsthaft, dass es im Wald spukt?« Er lachte und hielt sich den Bauch.
»Na ja«, sagte seine Mutter, »die Leute hier …«
Weiter kam sie nicht. »Natürlich nicht«, sagte ihr Mann mit hochrotem Kopf. »Es gibt keine Gespenster. Und das mit dem grünen Licht ist sicher auch totaler Quatsch.«
Oh, oh! Das Licht gab es wirklich, das wusste Lukas nur zu gut. Es gehörte zum Antrieb des Raumschiffs. Seine Eltern durften auf keinen Fall Verdacht schöpfen.
Also bemühte er sich, trotzdem weiter zu lachen. Sie gingen so selten ins Dorf. Das Risiko, dass sie noch mehr Geschichten hörten, war gering.
Schließlich fing sein Vater an, verlegen zu grinsen. »Spukgeschichten … so ein Unsinn«, meinte er, und es sah so aus, als wäre ihm die Sache plötzlich sehr peinlich.
Frau Pohl runzelte die Stirn und murmelte: »Es klang so überzeugt.«
Herr Pohl legte seiner Frau die Hand auf die Schulter. »Schatz, aufwachen! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Außerdem haben wir Nicos Vater selbst kennengelernt. Er ist vollkommen normal.«
»Ich verspreche euch«, sagte Lukas, immer noch lachend, »dass ich euch sofort Bescheid sage, sollte ich einem echten Geist begegnen.«
Damit war das Thema hoffentlich erledigt.
In der nächsten Woche standen Nico und Lukas wie so oft in der Pause an ihrem Stammplatz am Rande des Schulhofes. Sie unterhielten sich im Flüsterton, denn sie wollten nicht, dass jemand ihr Gespräch belauschte.
»Was meinst du?«, raunte Lukas seinem Freund zu. »Was planen die Mohaks?«
»Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Was könnten sie von der Venus holen wollen? Erze, Metalle, Schwefel? Ich weiß es nicht.«
»Das gefällt mir überhaupt nicht«, murmelte Lukas. »Ich habe das Gefühl, wir stecken mitten in einem schlechten Film. Einem Film, den ich nicht bis zu Ende sehen möchte.«
»Heißt der etwa ›Angriff der Panzerkrieger‹?«
Der Spruch klang locker, aber Nicos Gesicht war dabei ungewöhnlich ernst.
Lukas nickte. Ihm war kalt. Und das lag nicht nur an der Jahreszeit. »Wir sollten dringend zusehen, dass wir der Venus einen Besuch abstatten. Wir müssen einfach mehr wissen.«
»Ich bin sicher, dass Kawett und die anderen eine solche Expedition bereits planen. Nur müssen wir dieses Mal noch vorsichtiger sein als ohnehin schon.«
»Schau mal«, sagte Lukas auf einmal und deutete auf einen dicken Jungen, der gerade mit seiner üblichen Begleitung über den Schulhof schlurfte. »Da ist Max.«
»Dieser Idiot!« Nico spuckte die Worte aus, als hätten sie einen schlechten Geschmack.
»Irgendwie kann ich nicht glauben, dass er geplaudert hat«, meinte Lukas nachdenklich. »Das passt doch gar nicht zu ihm.«
Nico sah Lukas schief an und knurrte: »Ich finde, das passt sehr gut.«
»Nein, tut es nicht! Und weißt du auch, warum?«, fragte Lukas. »Wenn ich an Max’ Stelle wäre, würde ich mir die Chance auf einen weiteren Flug auf keinen Fall versauen wollen.«
»Wieso noch ein Flug? Wir haben schließlich nicht versprochen, ihn noch einmal mitzunehmen. Wir sind doch kein Taxiunternehmen!«
»Ja, ich weiß«, erwiderte Lukas, »aber ich bin ziemlich sicher, dass er irgendwann wieder fragen wird. Und … warum auch nicht? Wenn Kawett zustimmt.«
»Da müssen wir aber vorher Skatt einsperren«, sagte Nico und kicherte. Auch Lukas musste bei der Vorstellung grinsen, was Skatt wohl von der Idee halten würde.
In der Zwischenzeit war Max mit seinem Hofstaat näher an die beiden Jungen herangekommen. Lukas hörte einen der drei sagen: »Hey, Boss. Sollen wir den beiden Spinnern mal wieder einen Besuch abstatten?«
»Och, nö«, höhnte Max großspurig. »Die beiden zähl’n nich’. Auf die pfeif’ ich. Geh’n wir woanders hin.«
Als Max verschwunden war, raunte Lukas Nico zu: »Fällt dir eigentlich etwas auf? Er hat uns schon lange nicht mehr geärgert. Seit der Aktion auf dem Titan lässt er uns in Ruhe.«
»Hm«, brummte Nico. »Vielleicht.«
Lukas schaute Max mit gerunzelter Stirn hinterher. Er wurde aus dem großen Jungen einfach nicht schlau.
»Treffen wir uns heute Nachmittag?«, riss ihn Nico aus seinen Gedanken.
»Äh, nein. Das geht nicht. Ich bin bei Lisa«, rutschte es ihm heraus. Nico runzelte die Stirn. Er mochte es nicht, wenn sich Lukas mit Lisa traf. Daher beeilte sich Lukas zu sagen: »Du weißt doch. Sie hatte mich gefragt, ob ich mit ihr Mathe übe.«
Nico schaute Lukas immer noch schweigend und mürrisch an.
»Aber morgen!«, stieß Lukas gehetzt hervor. »Morgen geht. Da können wir uns treffen. Okay?«
Nico nickte, sagte aber kein Wort mehr.
Also stand Lukas am Nachmittag mit zittrigen Knien vor der Haustür seiner Klassenkameradin. Das letzte Mal hatte er hier zu Lisas Geburtstagsparty gestanden. Eine Party mit einem eher katastrophalen Ausgang, wenn er ehrlich war. Er hatte sich nämlich mit Max gestritten, und sie hatten sich geschubst. Dabei waren Schüsseln umgekippt und ein Glas zu Bruch gegangen. Das Ganze war ihm immer noch total unangenehm.
Um es irgendwie wieder gut zu machen, hatte Lukas extra einen kleinen Strauß Blumen besorgt, sozusagen als Entschuldigung. Nicht zu groß, Lisa sollte ja nicht auf falsche Gedanken kommen. Obwohl, wenn er manchmal an Lisa dachte … ach, warum musste das immer so schrecklich kompliziert sein?
Beherzt trat er an die Tür und drückte den Klingelknopf. Seine Klassenkameradin öffnete ihm schon nach kurzer Zeit und lächelte ihn an. Ein guter Anfang. Etwas unbeholfen hielt Lukas ihr den Blumenstrauß entgegen. Ein fröhliches Glitzern erschien in Lisas Augen. Hoffnung keimte in ihm auf. Vielleicht könnte sie ihm den dämlichen Zwischenfall ja verzeihen.
Kurz darauf saßen beide in Lisas Zimmer. Es war vollkommen anders als die Kinderzimmer, die er kannte. Hier hingen zwar auch Poster an den Wänden, aber nicht von Sternen, Galaxien und kosmischen Nebeln wie bei Nico, sondern von … Pferden. Und von Jungs. Genauer gesagt hingen da Poster einer bekannten Boygroup. Lukas fragte sich verzweifelt, warum man sich so etwas an die Wände hängen sollte. In den Regalen standen niedliche Plüschfiguren, und auch das Bett war gut mit Stofftieren gepolstert. Lukas verkniff sich ein Grinsen.
Mädchen!
»Möchtest du Tee?«, fragte Lisa unvermittelt. Lukas drehte sich erstaunt um. Sie deckte gerade ein Teeservice auf ein kleines, rundes Tischchen. Eine Kanne stand bereits auf einem Stövchen und zischte leise vor sich hin. Der Geruch von Vanille zog durch den Raum. »Ich habe uns Rooibos-Tee gekocht.«
Was ging denn hier ab?
»Ich dachte, wir lernen Mathe«, stammelte Lukas etwas unbeholfen.
»Und ich dachte, wir trinken vorher erst noch Tee«, meinte das Mädchen mit dem blonden Pferdeschwanz und lächelte Lukas an.
Eigentlich mochte Lukas gar keinen Tee. Aber Lisas Lächeln … machte etwas, dass er nicht Nein sagen wollte … konnte … was auch immer. Also nickte er nur stumm und setzte sich auf einen der Korbsessel vor dem Tischchen.
Lisa goss ein, und Lukas nahm einen Schluck. Hm, schmeckte gar nicht so übel. Seine Mutter machte nur schwarzen Tee, da musste er immer ordentlich Zucker oder Honig reintun, damit er wenigstens halbwegs schmeckte. Aber dieser Rooibos-Tee – was immer das auch sein mochte – brauchte das nicht. Außerdem war er nicht so schrecklich heiß. Lukas nahm einen zweiten Schluck, und schneller als er gedacht hatte, war die Tasse leer.
»Oh, das ging ja fix. Möchtest du noch mehr?«, fragte Lisa. Lukas nickte. Er zwang sich, die zweite Tasse nicht ganz so schnell herunterzukippen. Macht sicher keinen guten Eindruck.
Und Lukas wollte ja unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen.
Jetzt oder nie, kommandierte er sich selbst. Er nahm seinen Mut zusammen und sagte mit etwas zittriger Stimme: »Du, Lisa … ich wollte mich noch entschuldigen. Für … mein Benehmen bei deiner Party.«
Lisa seufzte, dann lächelte sie ihn an. »Ist schon okay. Ja, ich habe mich geärgert. Aber dann … Max kann schon ziemlich unausstehlich sein. Wahrscheinlich hat er dich provoziert, nicht wahr?«
Lukas neigte den Kopf hin und her. Das konnte sowohl Ja als auch Nein heißen. Denn genau genommen war es Lukas gewesen, der den Streit angefangen hatte. Aber das wollte er Lisa nicht unbedingt auf die Nase binden.
»Wie auch immer, ist schon vergessen«, sprach Lisa weiter. Dann hielt sie inne und sagte wie zu sich selbst: »Was nur komisch ist: In letzter Zeit hat sich Max verändert.«
»Was meinst du damit?«, fragte Lukas alarmiert. Hatte Max etwa doch geplaudert? Eigentlich wollte Lukas nicht unbedingt über den Klassenrüpel sprechen, schon gar nicht mit Lisa. Allerdings bot sich hier eine einmalige Gelegenheit, denn Max war Lisas Cousin. Wenn jemand etwas wusste, dann sie.
»Na ja«, sprach sie weiter, »er ist nachdenklicher als früher. Gestern zum Beispiel ist er mit Onkel Rolf bei uns gewesen. Normalerweise vergeht nicht eine Stunde, in der er nicht irgendeinen Blödsinn macht. Dieses Mal aber: gar nichts. Er war – wie soll ich sagen? – in sich gekehrt.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Das habe ich bei ihm noch nie erlebt.«
»Hat er irgendetwas erzählt? Etwas, das sich wie … wie ein verrückter Traum anhörte?«, fragte Lukas vorsichtig.
»Verstehe ich nicht.«
»Irgendwas?«, fragte Lukas noch einmal.
»Ich weiß nicht, was du meinst. Er hat gar nichts erzählt. Weißt du etwa, was mit ihm passiert ist?« Dann blickte sie Lukas fest ins Gesicht und fragte: »Habt ihr irgendetwas mit Max angestellt?«
»Nein!«, rief er erschrocken. Wie kam sie denn darauf? Seine Gedanken rasten wie wild. Was konnte er Lisa sagen, damit sie nicht nachbohrte? Schnell fügte er deshalb hinzu: »Nein, wirklich. Max ist wie immer.« Er räusperte sich. »Sollen wir jetzt Mathe machen?«
Lisa saß da und kaute auf ihrer Unterlippe. Dann fragte sie unvermittelt: »Hast du dein Armband dabei?«
»Mein Armband?«, fragte Lukas verwirrt. Was war das denn jetzt für ein Themenwechsel?
»Sophie hat mir erzählt, dass du ein Leuchtarmband aus Japan hast.«
»Ach das«, sagte Lukas. »Ja, das habe ich meistens dabei.«
»Zeig’ doch mal«, forderte Lisa ihn auf. Sie hatte offensichtlich nur sehr wenig Lust, sich mit Bruchrechnung zu beschäftigen.
Lukas schob den linken Ärmel hoch und präsentierte ihr den Multicom. Das Gerät bestand aus vielen kleinen, quadratischen Plättchen aus einem unbekannten Metall. Zum Glück konnte man dem außerirdischen Gerät nicht ansehen, woher es stammte.
»Schalt ein!«, forderte ihn das Mädchen auf.
Oh Mann, dachte Lukas und seufzte. Um nicht aufzufallen, drückte er auf ein Plättchen, während er in Gedanken befahl: Licht an!
Sofort verbreitete das Funkarmband einen sanften grün-gelben Lichtschein.
»Wow«, hauchte Lisa beeindruckt. Lukas lächelte, ohne es zu merken.
Das seltsame Licht wirkte ganz anders als alles, was Lukas jemals zuvor gesehen hatte. Auf dem Armband waren keine Glühlämpchen oder LEDs zu sehen. Vielmehr erstrahlte jedes einzelne Metallplättchen in einem fast überirdischen Glanz. Einen Moment lang starrten beide Kinder wortlos auf den Multicom.
Dann erwachte Lukas wieder aus seiner Starre, drückte erneut auf irgendein Plättchen und schaltete in Gedanken das Licht wieder aus. Der Schein erlosch, und der zauberhafte Moment verging.
»Darf ich auch mal?«, fragte Lisa, immer noch sehr leise.
»Äh … ich finde, wir sollten jetzt Mathe machen«, erwiderte Lukas. Um nichts in der Welt wollte er das Armband in ihrem Beisein ablegen, denn was Lisa dann zu sehen bekäme, könnte er nicht mehr so einfach erklären.
Lisa seufzte und schaute Lukas mit einer sonderbaren Mischung aus Resignation, Verärgerung und Schüchternheit an. Lukas runzelte die Stirn. Was sollte ihm dieser Blick denn nun sagen?
Da er nicht weiter wusste, deutete er mit einer Kopfbewegung zum Schreibtisch. Mit einem beinahe hasserfüllten Blick starrte sie ihren Schreibtisch an, dann zuckte sie mit den Schultern und ergab sich in ihr Schicksal. »Okay«, seufzte sie. »Wenn du es sagst.«
»Ich mein’ ja nur. Darum bin ich doch hier, oder?«, sagte er noch und biss sich auf die Lippen. Er wollte nicht wie ein Streber wirken. Eigentlich war es ja auch schön, nur so bei Lisa zu sein und Tee zu trinken.
Aber Lisa hatte schon ihre Schulsachen hervorgekramt und verkündete: »Ich hasse Bruchrechnung.«
»Ach, so schwer ist das doch gar nicht«, meinte Lukas. Er erntete einen zweifelnden Blick. »Wirklich! Man darf sich nur nicht verrückt machen. Eigentlich ist es ganz einfach, wenn man ein paar Regeln beachtet.«
Eine gute Stunde später schlug Lisa erschöpft ihr Buch zu. Sie lehnte sich zurück und verkündete ächzend: »Ich kann nicht mehr.«
Alle Aufgaben waren gelöst. Bisher hatte Lisa die Begriffe ›Zähler‹ und ›Nenner‹ ständig verwechselt. Nachdem Lukas ihr erklärt hatte, dass man auch mit ›Oben‹ und ›Unten‹ arbeiten konnte, ging es plötzlich voran.
Stolz schaute Lisa auf das fertig bearbeitete Arbeitsblatt. »Kaum zu glauben!«
Lukas strahlte. Es war das erste Mal, dass er jemandem Nachhilfe gegeben hatte – und es hatte geklappt. Ein tolles Gefühl.
Doch andererseits war damit auch sein Besuch bei Lisa zu Ende. Viel zu schnell standen sie an der Haustür, Lukas schon in Jacke und Schuhen. »Mach’s gut«, sagte er und drehte sich um.
»Lukas!«, rief Lisa. Lukas blieb stehen und drehte sich langsam wieder zur Tür.
Das Mädchen stand da und lächelte ihn an. In Lukas’ Bauch begann es zu kribbeln. Lisas Blick ging ihm durch und durch. Verlegen lächelte er zurück. »Ja?«
»Danke!«, sagte sie. Dann wurde aus ihrem Lächeln übergangslos ein freches Grinsen. Sie wandte sich ab und verschwand im Haus. Lukas blieb noch einen kurzen Moment vor der geschlossenen Tür stehen und lächelte gedankenverloren vor sich hin.
Ein wohliges, warmes Gefühl breitete sich in seiner Bauchgegend aus.
Was war das denn? Er wusste es nicht. Aber es gefiel ihm.
Als Lukas am selben Abend im Bett lag, griff er noch einmal zu dem silbernen Armband, das auf seinem Nachttisch lag. So, wie es dalag, war es viel zu lang für ihn. Doch kaum hielt Lukas die beiden Enden aneinander, schnappten sie zusammen, und das Band verkürzte sich, bis es genau um sein Handgelenk passte. Lukas schmunzelte kurz, als er sich vorstellte, was Lisa wohl zu diesem Anblick gesagt hätte. Nein, aus Japan kam das Armband wahrhaftig nicht.
»Lukas an Nico«, sagte er. Keine Minute später kam die Antwort. »Hier Nico. Was gibt’s, Kumpel?«
Dann berichtete Lukas, was Lisa ihm über ihren Cousin erzählt hatte.
»Das ist ja rasend spannend«, antwortete Nico. Seine Stimme drückte das genaue Gegenteil aus. »Willst du ihn jetzt heiraten?«
»Quatsch«, stieß Lukas hervor und bemühte sich, nicht ärgerlich zu werden. »Ich finde es interessant, dass er offenbar im Kreise der Familie nichts von seiner Reise erzählt hat. Und Lisa ist aufgefallen, dass er sich verändert hat. Das haben wir ja auch schon gemerkt.«
»Du hast das bemerkt. Ich finde, er ist genauso blöd wie immer.« Nicos Stimme klang, als würde er seine Arme vor der Brust verschränken. »Und vergiss nicht, was wir in der Jugendherberge gehört haben. Da hat er definitiv geplaudert.«
»Vielleicht.«
»Ganz bestimmt! Wie auch immer, der kann mich gerne das nächste Jahrtausend in Ruhe lassen. Er soll nur seine dämliche Klappe halten.«
Am nächsten Tag im Unterricht beobachtete Lukas den dicklichen Mitschüler argwöhnisch. Eigentlich verhielt sich Max wie immer – wenn man einmal davon absah, dass er weniger nervte. Deutlich weniger sogar! Nicht, dass er sich plötzlich am Unterricht beteiligt hätte, aber Lukas vermisste die üblichen Zwischenrufe und blöden Bemerkungen.
Außerdem schaute keiner der drei Jungs, die ihn immer begleiteten, zu Lukas oder Nico herüber. Doch wie konnte das sein, wenn Max ihnen von der Reise zum Saturnmond erzählt hatte? Das müsste man doch an irgendetwas feststellen können. Lukas war ratlos. Was hatte Max wem erzählt?
Als er am Mittag nach Hause kam, fand er im Flur einen Briefumschlag, der an ihn adressiert war. Ohne Briefmarke und ohne Absender. Lukas riss ihn auf und fand darin den Ausdruck einer Internetseite. Offenbar ein Artikel der NASA, denn ganz oben stand:
https://www.nasa.gov
Darunter sah er ein schwarz-weißes Bild des Saturn mit seinen Ringen und dazu einen englischsprachigen Artikel. Jemand hatte mit Kugelschreiber die Übersetzung darunter geschrieben:
CASSINI entdeckt rätselhafte Lücke in den Saturnringen
Wieder einmal macht die Raumsonde Cassini spektakuläre Bilder vom Ringsystem des sechsten Planeten. Vor knapp einem Jahr hatte die Sonde einen Meteoritendurchstoß durch die Saturnringe entdeckt (siehe Artikel vom 25. April). Jetzt fotografierte sie erneut eine nie zuvor gesehene Anomalie: Im B-Ring (Foto oben) zeigt sich deutlich eine fast 100 Kilometer lange Lücke, in der offenbar das Ringmaterial fehlt. Experten der NASA und der ESA haben derzeit noch kein Erklärungsmodell dafür.
Cassini umkreist seit Juli 2004 zu Forschungszwecken den Saturn und seine Monde.