Lust auf einen Ritt? - Anne Marsh - E-Book
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Lust auf einen Ritt? E-Book

Anne Marsh

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Beschreibung

Lederjacke. Zerrissene Jeans. Tätowierungen auf beiden Armen. Rev verströmt eine Aura der Gefahr, aber er löst in Evie ein herrliches Kribbeln aus, das sie seit Jahren nicht mehr verspürt hat. Wenn sie auf seinem Motorrad durch die Wüste rasen, fühlt sich Evie frei und wild. Ihr Herz hämmert, ihre Knie zittern, und am liebsten würde sie ihn hier und jetzt nehmen. Leider gehört Evies Bruder einer rivalisierenden Rockergang an, und schon bald gerät sie zwischen die Fronten …

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Seitenzahl: 266

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MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2018 by Anne Marsh Originaltitel: „Ruled“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: BLAZE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./SARL Übersetzung: Melanie Koster Coverabbildung: GettyImages_Artem_Furman, Epifantsev

ISBN E-Book 9783955769123

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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Widmung

Für meine Tante Monica.

Für die montagmorgentlichen Skype-Anrufe, die Tipps zur Abwehr von Eichhörnchen und Schnecken, und die schönsten Fotos aller Zeiten von einer kalifornischen Korallenanemone …

Unsere gemeinsame Zeit bedeutet mir so viel!

Danke.

1. KAPITEL

Eve

Sehen Sie das große, rosa Wohnmobil gleich da vorn am Lake Mead? Kaum zu übersehen. Ich habe es an beiden Seiten mit glitzernden Regenbogen und Einhörnern bemalt, und mittendrin prangt mein Geschäftsname. Perfectly Princess Parties. Der ganze Glitzerkram ist tolle Werbung, so als würde ich mit einer mobilen Reklametafel durch Las Vegas fahren.

Die besagte Partyprinzessin, das bin ich – und es gibt kein einziges fünfjähriges Mädchen (und ehrlich gesagt auch keinen Jungen) in Vegas, das in mir nicht die Heldin all seiner Märchenträume sieht. Ich habe mich auf Geburtstagspartys spezialisiert – wir sind das Entertainment vor dem Kuchen. Mit unseren Prinzessinnenkleidern, unserem Glitter und unserer Show schlagen wird unser Publikum dermaßen in den Bann, dass es so werden will wie wir, wenn es groß ist. Irgendwann im Alter zwischen fünf und fünfundzwanzig merken diese Mädchen meistens, dass mehr als Kleid und Krönchen nötig ist, um Herrin über das Universum zu sein, aber solange die Fantasievorstellung andauert, macht sie einen Riesenspaß. Und ja, ich bin zynisch. Man begegnet in meinem Geschäft mehr Fröschen als Prinzen. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es in Märchen vor Amphibien nur so wimmelt – und dass königliche Verehrer eher rar sind?

Wie ein Lottogewinn.

Da heute gefühlte 500 Grad in Vegas herrschen, halten wir unsere monatliche Mitarbeiterbesprechung am See ab. Er ist ebenso künstlich wie die meisten Attraktionen der Stadt, aber trotzdem einfach herrlich. Wir sind unsere Buchungen der nächsten Monate durchgegangen, haben neue Partyideen besprochen und die Arbeit in unserem kurzzeitigen Vorstandsbüro (dem Picknicktisch unter einem besonders knorrigen Joshua Tree) dann gegen ein wohlverdientes Bad im See eingetauscht.

Ich lasse mich im Wasser treiben und versuche so zu tun, als würde ich nicht noch immer über unsere nötige Gewinnmarge und darüber nachdenken, wie wir neue Aufträge an Land ziehen können. Finanziell sind wir noch nicht in trockenen Tüchern. Ich lege den Kopf zurück, und so entspannt und verkehrtherum sieht alles gleich viel besser aus. Meine drei Teilzeitprinzessinnen arbeiten zwar nebenher noch als Showgirls auf dem Strip, aber immerhin können sie ihre Rechnungen bezahlen. Unser singender Drache ist ansonsten Elvis-Imitator. Gerade summt er einer meiner Mitarbeiterinnen in bester King-Manier etwas vor. Wir alle gönnen uns diesen Moment, um auf andere Gedanken zu kommen und Spaß zu haben. Irgendwann erreichen wir sie schon noch – die finanzielle Sicherheit, die gesicherte Rente und die Vollzeittätigkeit.

Der einzige, der nicht hier ist? Rocker. Mein Geschäftspartner und kleiner Bruder, der mir hoch und heilig versprochen hatte, sich hier mit uns zu treffen, aber wieder einmal nicht aufgetaucht ist. Er arbeitet in einer Autowerkstatt und fertigt Wunschlackierungen an. Außerdem ist er Mitglied im Black Dogs Motorradclub. Er schwört, der Club sei grundehrlich und alles, was man im Fernsehen sieht oder im Internet lesen kann, sei zu achtundneunzig Prozent Erfindung.

Was mir Sorgen macht, sind die restlichen zwei Prozent.

Mein kleiner Bruder ist mittlerweile stattliche einsneunzig groß. Ich habe Rocker praktisch großgezogen, nachdem unsere Eltern uns haben sitzen lassen, und ich habe mein Bestes gegeben. Geld und Bildung – diese beiden Dinge geben einem Sicherheit, helfen einem aus einem schlechten Viertel heraus in ein besseres. Das Prinzessinnenparty-Unternehmen ist unser Erste-Klasse-Ticket raus aus East Las Vegas. Irgendwohin, wo es sicher ist. Ich weiß vielleicht nicht viel über Clubs und deren Farben, aber ich weiß, dass Biker und sicher nicht unbedingt verwandte Begriffe sind – und Rocker hat in letzter Zeit ziemlich geheimnisvoll getan.

Es platscht an meinen Füßen, und jemand zieht mir an den Zehen. „Die Kavallerie ist hier.“

Ich richte mich reflexhaft auf und stoße dabei mit dem Hintern auf den Grund des Sees. Carlie lacht, starrt aber bereits mit sehnsüchtigem Blick die Straße hinauf. Mein Bruder hat sich zu einem ziemlich heißen Kerl entwickelt, und das Bad-Boy-Biker-Image ist für einige meiner Angestellten wie das Sahnehäubchen auf dem Eisbecher. Carlie fährt sich mit den Fingern durch die Haare und rückt sich den Busen in ihrem winzigen Bikinioberteil zurecht – eindeutige Rocker-Vorkehrungen.

Und tatsächlich rast da eine große, glänzende, viel zu laute Harley mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf unseren Lagerplatz zu. Rocker fährt zu schnell. Und er bremst auch zu schnell und zu hart, sodass er in einer Staubwolke neben dem Wohnmobil zum Stehen kommt. Ich wate aus dem See, schnappe mir mein Handtuch und wappne mich gegen seine Ausreden. Er ist unglaublich kreativ, wenn es darum geht, seine Abwesenheit zu erklären.

„Ich komme wohl zu spät zur Party.“ Rocker verzieht den Mund zu einem hinreißend reumütigen Grinsen. Objektiv betrachtet sehe ich genau, weshalb Carlie von meinem Bruder schwärmt. Dunkelblonde Bartstoppeln liegen wie ein Schatten unter seinen unglaublich hohen Wangenknochen, und das Haar fällt ihm zerstrubbelt ins Gesicht, was irgendwie verrucht wirkt. In abgewetzten Jeans und beeindruckenden, schwarzen Motorradstiefeln sieht er ganz schön lässig aus.

Er schwingt sich von seinem Bike und zieht mich grinsend in seine Arme. Genau deshalb kann ich ihm nie lange böse sein – egal, was wir in der Zwischenzeit getan haben oder wie unregelmäßig wir uns mittlerweile sehen, er freut sich immer, mich zu sehen. Er liebt mich und scheut sich nicht, das auch zu zeigen. Hinter mir versagen Carlie beinahe die Knie, als er mich zärtlich auf die Stirn küsst. Ein Kerl, der keine Angst hat, seine Gefühle zu zeigen, ist nicht nur ein Märchenprinz, sondern mindestens genauso selten.

„Ist zu spät zu kommen jetzt in, Rocker?“

Er schnippt mir sanft gegen die Nase. „Ich wurde aufgehalten. Club-Angelegenheiten.“

Es sind immer Club-Angelegenheiten. „Ich hätte dich hier gebraucht.“

Er sieht sich demonstrativ um. „Sieht so aus, als hättest du alles im Griff.“

Mhm. Diese Unterhaltung ist weder neu, noch wird sie mit der Zeit besser. „Ich dachte, wir sind Partner.“

„Ich bin der stille Teilhaber, der das Startkapital geliefert hat. Du steuerst den Grips bei.“

Wieder ein unbefangenes Lächeln, aber ich merke, dass das Thema für ihn erledigt ist. Und er hat ja nicht ganz unrecht. Ich brauche vor den Müttern ein blitzsauberes Image – also tut er mir im Grunde sogar einen Gefallen, indem er unter dem Radar bleibt. Außerdem schwingt er sich einfach wieder auf sein Bike und haut ab, wenn ich ihn zu sehr unter Druck setze. Also gebe ich nach.

„Du siehst müde aus.“ Das ist keine Höflichkeitslüge – er hat dunkle Augenringe, und sein hübsches Gesicht sieht etwas mitgenommen aus.

„Der Club hält mich auf Trab.“ Sein Tonfall macht deutlich, dass wir auch diesem Thema nicht weiter auf den Grund gehen werden.

„Du weißt, dass du jederzeit bei mir arbeiten kannst, wenn du willst.“ Darüber haben wir zwar schon ungefähr eine Million Mal geredet, aber ich kann es gar nicht oft genug sagen. Ich werde immer für Rocker da sein.

Er deutet mit dem Kopf auf das Wohnmobil. „Kannst du dir im Ernst vorstellen, dass ich dieses Ding fahre?“

„Was hast du gegen das Prinzessinnenmobil?“ Zugegeben, der Spritverbrauch ist enorm, aber es bringt uns ans Ziel, ist großartige Werbung und hat waschechte Burgtürmchen. Wenn die ausgefahren sind, kann ich glatt Rapunzel spielen. All meine Kostüme und Requisiten passen rein, und es befördert meine Prinzessinnen von einer Party zur nächsten.

Rocker ist gerade dabei, sämtliche Gründe aufzuzählen, weshalb ein fahrbarer Untersatz in Rosa nichts für ihn ist, als sein Handy klingelt. Er sieht aufs Display und verschwindet kurz, um den Anruf entgegenzunehmen.

„Ich muss los“, erklärt er, als er wieder zurückgeschlendert kommt.

Klar. Was für eine Überraschung.

Er drückt mich kurz mit einem Arm an sich. „Sei vorsichtig, Evie, mir zuliebe!“

„Ich bin immer vorsichtig“, erwidere ich, und traurigerweise ist das die Wahrheit. Ich halte mich, sinnbildlich gesprochen, beim Ausmalen immer fein säuberlich an die Linien – er braucht sich keine Sorgen um mich zu machen.

„Versprich’s mir“, beharrt er, und es scheint ihm wirklich ernst zu sein.

„Geht’s auch etwas deutlicher?“

Er flucht. „Evie …“

„Hat es irgendwas mit deinem Club zu tun?“ Ich zeige auf das Abzeichen auf seiner Lederweste. Am liebsten würde ich ihm das Ding von der Brust reißen, aber damit wäre das Problem nicht gelöst.

„Kann sein. Es braut sich Ärger zusammen“, sagt er langsam. „Vertrau mir. Du willst keine Einzelheiten hören, Evie. Aber ich hab alles im Griff. Du musst dir keine Sorgen machen.“

Manche Dinge ändern sich nie: Rocker schwört, er hätte eine Sache unter Kontrolle, ich mache mir Sorgen, und dann schmiede ich ein halbes Dutzend Pläne, um besagte Sache aus der Welt zu schaffen. Ich liebe meinen kleinen Bruder, aber ich halte nichts von dem Lebensstil, den er sich ausgesucht hat. Seine Biker-Kumpel bedeuten Ärger. Heute allerdings will er wirklich nicht über das reden, was auch immer ihn beschäftigt, also nicke ich und verspreche ihm, ganz besonders vorsichtig zu sein. Er schwingt sich auf sein Bike und rast schneller los, als ich ihn je habe fahren sehen. Was auch immer sich da an Ärger zusammenbraut, muss wirklich übel sein.

Sein Abgang kann sich sehen lassen – er ist sogar noch spektakulärer als das Prinzessinnenmobil. Samantha kommt zu mir herüber und fächelt sich Luft zu.

„Meine Güte, ist dein Bruder heiß.“

Ich lächle gezwungen, auch wenn die Attraktivität meines Bruders das Letzte ist, worüber ich mit meinen Co-Prinzessinnen diskutieren will. Ich habe größere Sorgen. „Es gibt Dinge, die ich nicht unbedingt hören will.“

„Wer ist heiß? Und plaudern wir jetzt aus dem Nähkästchen?“ Carlie watet aus dem See und kommt zu uns.

„Rocker hat Ärger.“

Samantha legt mir den Arm um die Schultern und drückt mich sanft. „Du musst aufhören, dir Sorgen um diesen Mann zu machen. Er ist erwachsen und kommt schon klar.“

„Komisch. Genau deshalb mache ich mir ja Sorgen. Alles war viel einfacher, als er noch Angst vor den Monstern im Kleiderschrank hatte.“

„Denk lieber darüber nach, mal wieder auszugehen oder dich zumindest mal wieder flachlegen zu lassen“, entgegnete Samantha. „Frag Rocker doch, ob er dich einem heißen Biker vorstellen kann.“

„Keine Biker“, sage ich mit Nachdruck.

„Echt nicht?“ Carlie klingt skeptisch.

Biker sind faszinierend, aber in der Datingwelt sind sie quasi die Eisbären – ein Nur-gucken-nicht-anfassen-Typ von Mann, dem man lieber im Zoo als in freier Wildbahn begegnet. Von außen verdammt reizvoll, aber im Innern wild und ungezähmt. Ich liebe Bad Boys, aber ich bewundere sie lieber aus sicherer Distanz.

„Biker sind Bad Boys. Auf so was kann ich verzichten.“

„Und wenn du nun einen Bad Boy mit einem Herzen aus Gold finden würdest?“ Samantha, unsere ewige Optimistin.

Bleiben wir realistisch. „Bevor ich so einen finde, bin ich neunzig. Ich will jemand Nettes.“

„Aber stell dir den Sex vor. Laaaaangweilig.“ Samantha schneidet eine Grimasse und watet zurück in den See. Während sie einen spektakulären Bauchklatscher ins kühle Nass macht, werfe ich einen Blick auf mein Handy. In zwanzig Minuten müssen wir unterwegs sein, sonst geraten wir in den Verkehr. Aber fünf Minuten sind noch drin.

Ich wate auch wieder ins Wasser zu meinen Mädels. „Ich hatte so lange keinen Sex mehr, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie es geht.“

Das ist natürlich übertrieben, aber sowohl Carlie als auch Samantha sehen mich an, als hätte ich soeben verkündet, es würde nie wieder eine Episode von Game of Thrones geben. Und keine Schokolade mehr im ganzen Land. Oder Wein. Vielleicht sollte ich auch noch schnell einen Hundewelpen treten und mich zum totalen Loser abstempeln lassen.

„Aber jeder hat doch Sex!“ Carlie schwimmt zu mir herüber. Ich komme mir vor wie in der Highschool, nur dass ich inzwischen ganz legal Margaritas trinken darf. „Hast du irgendwas Ansteckendes? Oder irgendein Gelübde abgelegt, als ich nicht da war, das dich davon abhält?“

„Nicht jeder muss Sex haben. Nicht jeder will Sex haben.“ Meistens bin ich nach der Arbeit eh viel zu müde, um mir überhaupt Gedanken ums Ausziehen zu machen, geschweige denn darum, mich auf sexy Art auszuziehen und dann dafür zu sorgen, dass mein Kerl auf seine Kosten kommt. In den letzten achtzehn Monaten habe ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet, um mein Prinzessinnenparty-Geschäft ins Rollen zu bringen, und langsam zahlt sich die Mühe aus.

„Da müssen wir dringend was tun!“ Carlie wirft Samantha einen Blick zu, den ich problemlos deuten kann. Die beiden haben keinerlei Hemmungen und regelmäßig fantastischen Sex (zumindest klingt es so, wenn sie davon erzählen – und glauben Sie mir, damit halten sie nicht hinterm Berg).

Samantha nickt und geht zu ihrer Handtasche. Ein paar Sekunden später kommt sie mit ihrem Handy in der Hand eilig zurück ins Wasser und tippt wie eine Wahnsinnige darauf herum. Internetsurfen im Wasser – da scheint mir die Katastrophe schon vorprogrammiert zu sein. Vielleicht sollte Apple sich mal was Wasserdichtes einfallen lassen, aber bisher sind sie wohl noch nicht auf diese Idee gekommen.

„Wir besorgen dir einen One-Night-Stand“, verkündet Samantha.

„Wie wär’s mit dem?“ Carlie tippt ein Foto auf dem Smartphone an, aber Samantha schüttelt so energisch den Kopf, dass ich jede Menge Wasser abbekomme (ihr Handy auch – sie lebt echt gefährlich).

„Der Typ ist Renn- und kein Fernfahrer, wenn du verstehst, was ich meine. Eve braucht jemanden mit Ausdauer. Sie hat eine Dürreperiode aufzuarbeiten.“

In Gedanken vergleiche ich die Ausdauer meiner zwei bisherigen festen Freunde (beide wären bei jeder Sprint-Olympiade echt starke Goldmedaillenanwärter), während Carlie und Samantha sich die nächsten Minuten lang verschiedene Single-Männer ansehen und als ungeeignet abtun. Schließlich bleiben sie an einem dunkelhaarigen süßen Typen mit nettem Gesicht und markantem Kinn hängen. Er trägt Anzug und Krawatte, aber das kann genauso gut Zufall sein. Vielleicht hat Samantha ihn bei einem Begräbnis oder einer Hochzeit abgelichtet.

„Jack Turner.“ Samantha tippt aufs Display und Jacks Bild wird größer. „Er ist Vizepräsident von irgendwas in einem Kasino. Achtundzwanzig, zurzeit Single, war nie verheiratet und hat ein eigenes Haus. Er soll echt gut darin sein, seiner Partnerin den Vortritt zu lassen. Ich mag Männer mit Manieren.“

Gut zu wissen, dass der Mann die Lover-Vorkontrolle bestanden hat. Ich sehe mir sein Gesicht an. Er wirkt normal. Andererseits sind Samantha und ich schon seit sechs Uhr auf, weil wir heute eine Prinzessinnenfeier ganz in Lila für die vierjährige Tochter eines Blackjack-Croupiers ausgerichtet haben, der vor zwei Wochen das Trinkgeld seines Lebens bekommen und einen Teil davon in eine Traumparty für seine Tochter investiert hat. Möglicherweise kann ich also nicht mehr klar denken.

„Ist er nett?“

Carlie stupst mir in den Bauch. „Vertrau mir. Du willst Spaß und nichts Nettes.“

Das sagt sie so. „Wieso kann er nicht beides sein? Ihr habt doch gesagt, ihr könntet mir einen Bad Boy mit einem Herzen aus Gold besorgen.“

„Das war eine Notlüge. Das wäre ja, wie im Lotto zu gewinnen. Leg die Messlatte für Jack nicht unerreichbar hoch.“

„Ich kenne nette Typen“, verkündete Samantha. Da sie schon zwei Hochzeiten und Scheidungen hinter sich hat und noch nicht mal dreißig ist, bin ich skeptisch. Ihr erster Eindruck scheint sich auf lange Sicht nicht zu bewähren.

Carlie greift nach dem Smartphone. „Nenn mir einen, bei dem du schon feuchte Höschen bekommst, wenn er bloß den Raum betritt. Evie braucht Feuer, keine Sparflamme.“

Sehen Sie? Sie sieht das wie ich. Nette Typen sind heutzutage stärker vom Aussterben bedroht als Nashörner.

Samantha starrt mit leerem Blick ins Wasser, so dass man meinen könnte, sie warte darauf, dass plötzlich ein Name an die Oberfläche treibt.

Verdammt. Eine von uns muss doch einen Typen kennen, der zu einem Date taugt und nett ist. Oder … vielleicht auch nicht. Vielleicht ist das mit der Suche nach Mr. Nice-Guy ja so, als würde man im Zoo auf ein Einhorn spekulieren. Scheiß auf die Eisbären – wir wollen Fabelwesen.

Samantha wedelt mit ihrem Smartphone vor mir herum. „Ich schreibe Jack gerade eine Nachricht. Wir können ja nächstes Wochenende zusammen ausgehen.“

Wenn heute Samstag ist, bleiben mir also noch mindestens sechs Nächte Zeit, meine Libido aufzuspüren. Irgendwo muss sie ja schließlich sein.

Samanthas Blick ist fest auf ihr Handy gerichtet. „Und erzähl mir nicht, dass du keine Zeit hast. Unsere Kundschaft ist zwischen drei und acht Jahren alt. Die feiert nach zehn Uhr abends keine Geburtstagspartys mehr. Also hast du frei und kannst was trinken gehen. Es gibt keine Ausrede, nicht auszugehen und Spaß zu haben. Lass dich einfach mal gehen und vergiss deine Pflichten für ein paar Stunden.“

Spaß.

Ich würde gern vorgeben, mich nur deshalb nicht mehr daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal Spaß hatte, weil ich so hart arbeite und eine so clevere Geschäftsfrau bin.

Aber das wäre gelogen. Ich weiß genau, wann ich das letzte Mal einen draufgemacht habe, ausgegangen bin, getrunken, getanzt und einen Jungen geküsst habe. Ich war siebzehn und in der Highschool.

Leider hätte ich allerdings zu Hause auf Rocker aufpassen sollen, während unser Dad in „Geschäftsangelegenheiten“ für seinen Motorradclub unterwegs war. Echt ätzend, Teenager zu sein und babysitten zu müssen, während alle anderen ausgehen und feiern. Mein heimlicher Abgang durchs Fenster war richtig cool, bis zu dem Moment, als ich zurückkam und unser Haus in Blaulicht getaucht vorfand. Sie hatten unseren lieben alten Vater beim Waffenschmuggeln erwischt – und mich als Versagerin, die lieber Party macht als auf ihren kleinen Bruder aufzupassen.

Das habe ich mir selbst zuzuschreiben.

Und ja, ich weiß, dass sich in den zehn Jahren seit dieser Nacht einiges geändert hat. Dass Rocker mir nicht die Schuld dafür gibt, dass er sechs Monate lang in Pflegefamilien zurechtkommen musste, bis ich endlich achtzehn war und den Richter überzeugen konnte, Rocker bei mir wohnen zu lassen. Sechs Monate, in denen ich mein Leben umgekrempelt, einen Job gefunden und alles richtig gemacht habe.

Rocker und ich reden nicht über unseren Vater oder die Nacht, die alles verändert hat. Einmal im Monat schicken wir einen Scheck ins Staatsgefängnis, wo unser lieber alter Vater fünfundzwanzig bis fünfzig Jahre absitzt, und er schickt uns eine Postkarte mit einem dahingekritzelten Danke. Auch an Weihnachten und Geburtstagen bekommen wir eine Karte. Im Großen und Ganzen blenden Rocker und ich unsere Kindheit einfach aus. Als etwas, das man nicht groß erwähnen muss – etwas, das wir einfach nur irgendwie durchgestanden haben auf unserem Weg zum einigermaßen zufriedenen, produktiven Erwachsenendasein.

Zumindest ich mache das so. Ich bin Geschäftsinhaberin und habe meinen Abschluss in Finanzwesen an der Universität von Nevada in Las Vegas schon halb in der Tasche. Ich besitze eine Hypothek, ein winziges Rentenkonto und genug Krempel, dass ich mir einen mittelgroßen Umzugswagen mieten musste, als ich in mein neues Haus gezogen bin. Es ist wunderbar und gleichzeitig erschreckend – ich stehe so kurz davor, uns endlich aus der endlosen Abfolge von schlechten Wohngegenden und miesen Straßen herauszuholen, in denen wir unser ganzes Leben lang gelebt haben, und das sollte ich feiern. Ich sollte in der Lage sein, an einem Freitagabend auszugehen und mich mal ein, zwei Songs lang gehenzulassen. Und doch bin ich so müde, dass ich einfach nur ins Bett kriechen und schlafen möchte.

„Jack schreibt, er würde sich liebend gern mit dir treffen“, verkündet Samantha triumphierend.

„Okay“, antworte ich. „Ich mach’s.“

Während Samantha Jack einen halben Roman zurückschreibt und Carlie neben ihr vergnügt gackert, packe ich unsere Sachen zusammen. Ich muss auch die Campingstelle noch mal überprüfen, damit niemand irgendetwas hier vergisst. Ich bin gerade dabei, alles fertigzumachen, als ich vom See her ein leises Plopp höre, gefolgt von Carlies Kichern und Samantha Fluchen. Na prima. Ich schätze, wir machen einen Zwischenstopp beim Apple-Laden.

2. KAPITEL

Rev

Ich bin kein Superheld. Und definitiv kein Traumprinz. Das verrät Ihnen allein schon mein Bike. Für mich gibt es nur die Harley Davidson – kein beschissenes weißes Ross weit und breit. Allerdings hat der Clubpräsident der Hard Riders dieses Memo offenbar ignoriert, als er mir das Kommando für die heutige Mission übertragen hat, denn die Frau vor dem Haus in der Second Street 837 ist wie eine Prinzessin angezogen, bis hin zum Krönchen. Obwohl die Diamanten garantiert falsch sind wie so vieles in Vegas, funkelt die Krone in der untergehenden Sonne. Ein heilloses Durcheinander von kleinen Mädchen in regenbogenfarbenen Kleidern tanzt um sie herum, redet, kreischt und veranstaltet einen Heidenlärm. Sieht aus, als wäre ein verdammter Regenbogen explodiert und hätte überall Glitter versprüht.

„Heilige Scheiße“, ertönt es von Vik über den Auspufflärm hinweg, als er auf seinem Bike an den Bordstein heranfährt. Ich stelle den Motor ab und folge ihm, unser beider Aufmerksamkeit auf den Tumult auf dem Rasen des heruntergekommenen Mietshauses gerichtet. Der Rasen ist nicht gerade eine Augenweide – die Sonne Nevadas hat das Gras zu einer braunen Fläche verdorren lassen, und das Haus hat auch schon seit Jahrzehnten keinen neuen Anstrich mehr gesehen. Zwei Schlafzimmer und ein Bad, der Grundfläche nach zu urteilen, aber heruntergekommen wie eine Nutte auf dem nicht weit entfernten Strip, die noch immer im Geschäft ist, auch wenn sie keine Spitzenpreise mehr erzielt. Es ist überwiegend eine Arbeitergegend, die übliche Mischung aus alleinerziehenden Müttern und Familien, bei denen billige Wohnungen immer heiß begehrt sind. Das Haus steht am Rand des Reviers des Hard Riders Motorradclubs, und vielleicht ist es an der Zeit, unser Gebiet zu vergrößern. Diesen Wohnblock für uns zu beanspruchen, ihn unter unsere Fittiche zu nehmen und wieder für Ordnung zu sorgen.

Verdammt, die Idee gefällt mir.

Die Prinzessin sticht heraus. Die Nachbarn, die über dem Maschendrahtzaun lehnen und der Show zusehen, sind wegen der Hitze ziemlich zwanglos gekleidet, denn im August ist es in East Las Vegas heißer als in so ziemlich jedem anderen Höllenloch, das ich als US Navy SEAL kennengelernt habe. Das heutige Publikum trägt überwiegend Shorts und Tanktops. Die Prinzessin hingegen steckt in einem bauschigen gelben Kleid aus irgendeinem fluffigen Zeug. Der Stoff schwingt wie eine Glocke um ein wirklich hübsches Paar Beine, als sie sich auf einen … ja, was? … Drachen stürzt. Das Vieh ist ungefähr zwei Meter groß, leuchtend lila und besitzt einen Schwanz mit labberigen Stoffstacheln darauf. Die Prinzessin zaubert von irgendwoher ein gigantisches Plastikschwert herbei und geht zum Angriff über. Zwar gefällt mir ihre Entschlossenheit, die ihre Titten hüpfen lässt, aber vom Kämpfen hat sie nicht den geringsten Schimmer.

Vik stöhnt auf. Der Bruder ist eine verdammte Dramaqueen. „Ich hätte diesen Drachen in den ersten zwanzig Sekunden erledigt.“

Als der Drache scheinbar tödlich verwundet auf dem trostlosen Rasen zusammenbricht, wirbelt die Prinzessin herum und trägt irgendetwas vor, das ihr den Applaus ihrer Miniprinzessinnenschar einbringt. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, was schade ist, weil nämlich schon ihre Rückenansicht verdammt spektakulär ist. Weiche, honigfarbene Locken türmen sich auf ihrem Kopf, wo sie irgendwie von der Krone festgehalten werden, und das Kleid ist bis zu ihrem Hintern ausgeschnitten, sodass ihre Wirbelsäule wie ein Küss-mich-genau-hier-Wegweiser aussieht, dem ich sofort folgen würde. Während ich sie beobachte, lösen sich ein paar Locken und wippen ihr um den Kopf und den Hals. Ich würde sie gern noch weiter aus all dem Zeug rausschälen, erst ihre Frisur lösen und dann ihr Kleid. Und nicht aufhören, bis sie meinen Namen schreit und in meinen Armen völlig die Kontrolle verliert.

„Showgirl?“ unterbricht Vik meine ungebetene Fantasie. Bei einem Job irgendwelchen Tagträumen nachzuhängen, ist ein Anfängerfehler. Wir haben schon echt abgefahrenen Scheiß erlebt, aber das hier ist ungewohntes Terrain. Da die Prinzessin nicht mal den Ansatz ihrer Titten zeigt und das Kleid nicht kurz unter ihrem Arsch endet, sondern buchstäblich über das welke Gras schleift, bin ich sicher, dass sie nicht in irgendeiner Vegas-Show auf dem Strip arbeitet. Der zweite Hinweis ist ihr Publikum. Der dritte? Die riesige rosa- und lilafarbene Hüpfburg, die über das Dach des Hauses hinweg im Hinterhof zu sehen ist, und der ebenso übergroße Kuchen mit der Kerze in Form einer Fünf. Wir sind mitten in eine Geburtstagsparty geplatzt.

„Bist du sicher, dass die Adresse stimmt?“ Navis sind nicht unfehlbar, und vielleicht stehen wir hier ja gar nicht vor Eve Kents Arbeitsplatz.

Vik lehnt sich auf seinem Bike zurück und verschränkt die Arme vor der Brust, während er den Vorgarten betrachtet. Ein zufriedenes Grinsen klebt ihm im Gesicht – er genießt die Show ganz eindeutig, denn das erwachsene Publikum ist überwiegend weiblich. Schließlich ist das hier eine Kindergeburtstagsparty, und die kleinen Prinzessinnen werden selbstverständlich von ihren Müttern begleitet. Vik mag Frauen. Frauen mögen ihn. Was meistens darauf hinausläuft, dass Vik nackt in irgendeinem Bett seine neueste Bekanntschaft vögelt. Er mag zwar der Vizepräsident des Hard Riders Motorradclubs sein, aber wir alle ziehen ihn gehörig mit der Laufleistung seines Schwanzes auf. „Dann wollen wir uns mal vorstellen.“

Vik ist außerdem der Typ, der erst handelt und dann nachdenkt. Das erklärt wahrscheinlich, wieso unser Präsident mir die Verantwortung für diese spezielle Mission übertragen hat. Wenn Muschis beteiligt sind, macht Vik gern erst einen kleinen Umweg, bevor er zum Geschäftlichen kommt. Während er die Frauen auf dem Rasen abcheckt, checke ich mein Smartphone und stelle sicher, dass wir wirklich auf der richtigen Party sind.

„Wir können nicht einfach so da reinmarschieren und Forderungen stellen.“ Ich zähle kurz durch und komme auf fünfzehn potenzielle erwachsene Augenzeugen plus den Drachen und die kreischende, mit Zuckerguss verschmierte Kinderschar. Da ist es auch egal, dass wir gar nichts Gesetzwidriges tun – noch nicht.

Wir sind zwar Arschlöcher, aber wir sind nicht kriminell. Biker zu sein, ist kein Verbrechen, auch wenn die Bullen manchmal so tun, als wär’s das doch. Es gibt keine Freikarten – man verdient sich seinen Platz im Hard Riders Motorradclub. Um mit den Hard Riders fahren zu dürfen, muss man beim Militär gewesen sein. Die meisten von uns sind Ex-SEALs oder waren beim Sondereinsatzkommando, aber es gibt ein paar Ausnahmen. Unser Revier ist East Las Vegas, aber im Gebiet von Vegas gibt es viele Motorradclubs, und die Verhältnisse sind angespannt. Der stetige Drogenfluss, den die in Los Angeles ansässigen Gangs wie die Hells Angels, die Mongols, die Crips und die Vagos kontrollieren, sorgt für zusätzliche Spannungen. Zu viele Spieler, zu kleines Spielfeld. Keine gute Kombination, und offenbar hat der Black Dogs Motorradclub es in letzter Zeit darauf abgesehen, uns auf die Nerven zu gehen.

Die Stadt der Sünde ist der Spielplatz der Nation, aber hier leben und arbeiten auch fast zwei Millionen Menschen, die einfach nur ein schönes Leben mit ihren Kindern führen wollen, was meiner Meinung nach ihr gottverdammtes Recht ist. Vierzigtausend anständige, schwer arbeitende Menschen in East Las Vegas und beinahe achtzehn Quadratkilometer aus Arbeiterwohnblöcken, Bars, Schnapsläden, Wechselstuben und einstöckigen Lehmziegel-Ranches mit Palmen und beschissenen Blumentöpfen mit Geranien im Vorgarten. Amerikanischer geht’s nicht.

Wir haben hier auch jede Menge Leute von der Nellis Air Force Base, Menschen, die es entweder dienstlich hierher verschlagen hat oder die einen Angehörigen auf der Base haben. Was der Hard Riders Motorradclub voll unterstützt. Das macht unsere Nachbarn sozusagen zu Brüdern ehrenhalber, auf die wir aufpassen, eben weil wir selbst gedient haben. Wir sind zwar eher Sünder als Heilige, aber wir halten unser Revier so gut es geht frei von den Drogen und der Gewalt, die den Rest von Las Vegas im Griff haben.

Man wird erst „Prospect“, also Anwärter, und dann vollwertiges Mitglied und bekommt sein Abzeichen, das Club-Patch. Und das Clubtattoo. Unser Clubpräsident nennt es gern unseren Strichcode – Vik bezeichnet es scherzhaft als unser Verfallsdatum. Die Mitgliedschaft gilt, bis man stirbt, und wenn man irgendwas verkackt, räumt der Club den Mist auf. Die Einheimischen respektieren unsere Kluft und das Club-Patch. Wenn sie die Kluft unseres Clubs sehen, wissen sie, dass wir es ernst meinen, und gehen uns für gewöhnlich schleunigst aus dem Weg. Man ist uns gegenüber nicht respektlos.

Außer man ist Rocker Kent, Eve Kents kleiner Bruder, der mit dem Black Dogs Motorradclub fährt und vor Kurzem beschlossen hat, mit seinen Leuten illegale Waffen durch Hard-Riders-Revier zu schmuggeln. Er ist der Grund, weshalb wir hier sind. Der Idiot hat seinem genialen Plan noch eins draufgesetzt, indem er sich mit kolumbianischen Drogenkartellen eingelassen hat (er war diesen Monat verdammt fleißig). Und das sind Probleme, die die Hard Riders im Keim ersticken wollen, sofern wir ihn lange genug zu fassen bekommen, um zu reden. Wir sind ja schließlich reife Erwachsene – wir bereden die Dinge. Erst dann kommen die Fäuste. Für unsere Zurückhaltung hätten wir eigentlich den goldenen Schlüssel der Stadt verdient, aber vielleicht müssen wir uns mit Eve behelfen. Wie es heißt, schaut ihr Bruder regelmäßig nach ihr.

Sie wäre eine echt geile Geisel.

„Glaubst du wirklich, sie weiß, wo Rocker steckt?“

Vik schwingt sich von seinem Bike und lehnt sich dagegen. „Warte noch eine Minute, dann fragen wir sie. Die Show ist gleich vorbei.“

Während die Dreikäsehochs der Lady mit dem Kuchen ins Haus hinterherlaufen, halte ich Ausschau nach Rocker. Laut einer Braut, die für Rockers Schwester arbeitet, hat er sich bei drei ihrer letzten vier Gigs blicken lassen. Er schleicht sich meistens leise rein, weil Eve offenbar ein Biker-Verbot verhängt hat – anscheinend verschrecken wir großen, bösen Biker-Typen ihre Mütterkundschaft. Da Vik der besagten Braut diese Information allerdings entlockt hat, nachdem er ihr den Verstand rausgevögelt hatte, ist es aber auch möglich, dass sie nur Unsinn gefaselt hat. Der Grund für die hohe Laufleistung von Viks Schwanz? Die vielen zufriedenen Kundinnen, die sich gern schon mal einen Nachschlag holen.

Mein Handy summt und lenkt mich von dem sich rasch leerenden Vorgarten ab.

Wie ist die Party?

Dieser Wichser.

„Sachs fragt an, was Sache ist.“

Vik nickt, den Blick fest auf eine Mutter in rosa Jogginghose, weißem Tanktop und Flipflops geheftet. Sie hat Kurven und sieht süßer aus als der Kuchen, den sich ihre Tochter gerade reinstopft, während sie im Haus verschwinden – und Vik hatte schon immer eine Vorliebe für Süßes. Mama sollte sich lieber vorsehen, sonst vernascht er sie.

Was gibt’s?

Gekreische ertönt aus dem Hinterhof, und die lila Burg wackelt vor und zurück, als wolle sie gleich abheben. Die Prinzessin und der Drache verschwinden im Haus. Ich werde langsam ungeduldig, da schreibt Sachs endlich zurück.

Gab wieder nen Drive-by. Bin auf dem Weg dahin. Heb mir ein Stück Kuchen auf.

Seit der Black Dogs Motorradclub mit den Kolumbianern ins Bett gehüpft ist, ist es auf unseren Straßen gefährlicher geworden. Das ist schon die zweite Drive-by-Schießerei in ebenso vielen Wochen, und es sind zwei zu viel. Jetzt muss endlich Schluss mit diesem Scheiß sein, und das lässt sich am besten über Rocker bewerkstelligen. Mir egal, ob er bei seinen Drogendealerkumpanen den Rücktritt einreicht oder ob die ihn für ihre Verluste geradestehen lassen, aber er wird keine Drogen oder Waffen mehr im Hard-Riders-Revier verschieben. Allerdings wird der gesamte Club nötig sein, um ihn kaltzustellen, ohne dass sich der ganze Scheiß zu einem ausgewachsenen Krieg entwickelt – und Sachs ist ziemlich aufbrausend. Er würde wahrscheinlich am liebsten wie Rambo ins Black-Dogs-Clubhaus stürmen und die Verhandlungen mit den Fäusten führen.

Ich schreibe ihm zurück.

Warte auf Verstärkung.

Sachs schickt mir ein Kuss-Emoticon zurück. Eines Tages wird ihm seine Unvorsichtigkeit mal um die Ohren fliegen.

„Machen wir Nägel mit Köpfen.“ Ich steige von meinem Bike. „Auftakt für den Club.“

Vik knurrt und winkt mich vorwärts. Ich mag ja vielleicht Witze über die Kinderparty reißen, aber wir wissen beide, dass ich für den Club alles tun würde. Genau wie Vik. So ist das bei uns – der Club und unsere Brüder kommen an erster Stelle.

Als ich die Einfahrt hinaufmarschiere, starren mich die noch übrigen, am Zaun lehnenden Zuschauer an, denn ein einsdreiundachtzig großer ehemaliger SEAL in Motorradstiefeln und einer Clubweste macht schon Eindruck. Scheiß auf die Typen. Ich verheimliche nicht, was ich bin. Ich bin im Club der Mann fürs Grobe. Ich sorge dafür, dass gewisse Dinge ins Rollen kommen und dass mit anderen Schluss ist. Wenn mein Clubpräsident etwas will, bin ich sein Mann – und im Augenblick will er Rocker dazu bringen, sich verdammt noch mal aus unserem Revier und dem Drogenhandel zurückzuziehen.