Baccara Collection Band 471 - Anne Marsh - E-Book

Baccara Collection Band 471 E-Book

Anne Marsh

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Beschreibung

COOLER DEAL – HEIßE NACHT? von ANNE MARSH Milliardär Nash begleitet seine gute Freundin Wren zu einer Hochzeitsfeier – wenn sie ihn bei einer Junggesellenauktion ersteigert. Der perfekte Deal! Bis ihr falsches Spiel echtes Begehren entfacht. Aber für eine heiße Nacht darf Nash nicht ihre Freundschaft riskieren! DIE NANNY UND DER PLAYBOY-BOSS von ZURI DAY Ein Findelbaby stellt das sorglose Playboyleben von Unternehmer Desmond auf den Kopf. Zwar engagiert er spontan die schöne Studentin Ivy als Nanny. Doch ausgerechnet Ivy weckt zum ersten Mal nicht nur sinnliche, sondern auch gefährlich romantische Sehnsüchte in ihm … DU BIST EINFACH ZU SEXY! von CYNTHIA ST. AUBIN Die Doku-Serie über Remy Renauds Destillerie soll TV-Produzentin Cosima vor dem Ruin retten! Aber Vorsicht: Remy ist einfach viel zu sexy! Mit jedem Tag verzehrt Cosima sich mehr nach ihm. Doch wenn sie ihm zu nahekommt, entdeckt er womöglich ihr Geheimnis …

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Seitenzahl: 570

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Anne Marsh, Zuri Day, Cynthia St. Aubin

BACCARA COLLECTION BAND 471

IMPRESSUM

BACCARA COLLECTION erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe BACCARA COLLECTION, Band 471

© 2023 by Anne Marsh Originaltitel: „The True Love Experiment“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Pola Gardner

© 2022 by Zuri Day Originaltitel: „The Nanny Game“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein

© 2023 by Cynthia St. Aubin Originaltitel: „Blue Blood Meets Blue Collar“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Simone Fischer

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751523097

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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Cooler Deal – heiße Nacht?

1. KAPITEL

Was die Liebe anging, war Wren Wilson ein hoffnungsloser Fall.

Dass Beziehungen endeten, war ganz normal, aber irgendwie bedeuteten Wrens Trennungen jedes Mal, dass für eine andere Frau die ewige Romantik begann. Es war, als brächte Wren allen Menschen außer sich selbst Glück in der Liebe.

Den Beweis dafür hatte sie gerade eben auf ihrem Laptop geöffnet – eine Save-the-Date-Karte von ihrem neuesten Ex-Freund. Kurz nachdem sie und Noah sich vor sechs Monaten getrennt hatten, hatte Wrens Cousine May ihn gefragt, ob er mit ihr ausgehen würde. Dass die beiden sich nur sechs Monate später verloben würde, hatte Wren nicht erwartet.

Noah war nie Wrens große Liebe gewesen, aber ein Teil von ihr bedauerte trotzdem, dass nicht sie die Frau auf der Karte war – auf einer Sandbank in den Malediven stehend, während ihr sie vergötternder Freund mit einem spektakulären Ring vor ihr kniete.

Der Typ hat dir nicht mal Blumen geschenkt …

„Aller guten Dinge sind drei“, kicherte ihre Zoompartnerin Emily. Wren sah auf dem Bildschirm, wie das Sonnenlicht die Küche des wunderschönen Hauses, das Emily mit ihrer Frau gebaut hatte, durchflutete.

„Du solltest vielleicht eine Partnervermittlung gründen“, meldete sich jetzt Amelia aus ihrem Büro in San Francisco zu Wort. „Der USP könnte sein: Qualitätsgeprüfte Singlemänner aus zweiter Hand.“

Wren liebte ihre älteren Schwestern, aber wenn es um Wrens Liebesleben ging, waren sie erbarmungslos. Jetzt schaute auch ihre Mutter stirnrunzelnd in die Kamera. „Bist du aktuell mit jemandem zusammen?“

Amelia mischte sich ein. „Es gibt da eine wirklich tolle neue Dating-App, Wren. Ich schick dir den Link.“

„Nein danke, Amelia“, sagte Wren. „Ich bin versorgt.“

Emily machte ein verächtliches Geräusch. „Kein Mensch findet den perfekten Mann über eine Dating-App. Aufdringliche Typen, ja. Aber bestimmt keine Romantik.“

Die Neckereien ihrer Familie waren nicht böse gemeint, und Wren witzelte selbst gern herum. Aber es tat weh zu sehen, dass ein weiterer ihrer Ex-Freunde die wahre Liebe gefunden hatte. Es war, als liege ein Fluch auf ihr. Wie schwer konnte es sein, jemanden zu finden, in den man sich verliebte und der einen auch liebte?

Schwer, sagte die unerträglich ehrliche Stimme in ihrem Kopf. Du solltest dir vielleicht eine Katze anschaffen, wenn du nicht mehr allein sein willst.

„Also, Wren“, begann Emily, so unverblümt wie immer, „wen bringst du mit zur Hochzeit? Lola?“

Lola war toll, aber da sie Wrens beste Freundin war, hatte sie sich damals auf ziemlich kreative Weise über Noahs Unzulänglichkeiten ausgelassen – und zwar in dessen Anwesenheit. Wren konnte sie auf keinen Fall mit zur Hochzeit nehmen. Sie suchte krampfhaft nach irgendeinem Namen … Nach der Trennung von Noah hatte sie sich einige Male mit Männern zum Kaffeetrinken oder auf einen Drink verabredet. Tatsächlich nahm der Konsum von koffeinhaltigen und alkoholischen Getränken einen viel zu großen Teil ihres sozialen Lebens ein. Sie hatte sich mit dem Cousin des Buchhalters des Zahnarztes eines Freundes … oder so … auf einen Drink getroffen. Sie hatte mit einer Handvoll von Männern gechattet. Aber keine dieser kurzen Begegnungen war aufregend gewesen, und keiner der Männer hatte sich richtig angefühlt. Schließlich kam es ihr vor, als absolviere sie das Dating wie ein pflichtbewusster Roboter, und sowohl sie selbst als auch die Männer hatten etwas Besseres verdient. Also hatte sie aufgehört zu daten. Zumindest vorübergehend.

„Ich werde schon jemanden für dich finden.“ Amelia zwinkerte ihr zu. „Jemand, der charmant, groß und erfolgreich genug ist, dass es Noah einen Stich versetzt. Vielleicht eine bessere Art von Arzt.“

Das war ziemlich unfair gegenüber dem armen Noah. Er war Urologe, und obwohl das natürlich ein wichtiger und ehrenwerter Beruf war, war sein Job bei Familientreffen meist ein ziemlicher Gesprächskiller.

Ihr Telefon vibrierte, und sie warf einen kurzen, schuldbewussten Blick darauf. Eine Reihe von Cowboyhut-Emojis war aufgeblinkt. Das hieß, dass Nash ihr eine Nachricht geschickt hatte. Obwohl es absolut nicht zu ihm passte, hatte er einen richtigen Western-Namen, und so hatte sie ihn in ihren Kontakten mit einer Reihe von Cowboyhüten gespeichert. Sein Kontaktfoto war ein Schnappschuss, den sie vor acht Jahren im Chemieunterricht am College von ihm gemacht hatte. Sie hatte dem Foto Hörner und einen gezwirbelten Schnurrbart verpasst, denn ihrer Meinung nach war er viel zu ernst – was sie ihm auch jeden Dienstag bei ihren freundschaftlichen Taco-Treffen sagte.

Hoffentlich hatte er nicht vor, ihr heute abzusagen.

Nash war gerade dabei, die Welt der Chemietechnik zu erobern. Es schien, als wolle ständig jemand mit ihm sprechen, und er hatte oft in letzter Minute wichtige Termine.

Seine Nachricht war noch kürzer und prägnanter als sonst: SOS.

Was bedeutete …?

Vielleicht waren Außerirdische in Kalifornien gelandet und hatten ihn auf ihr Mutterschiff gebeamt … Nash war nicht der Typ, dem auf der Autobahn das Benzin ausging oder der sich bei IKEA verirrte.

Dass er eine dermaßen kryptische Nachricht schickte, war allerdings typisch für ihn – und unglaublich nervig. Nash war wortkarg und kurz angebunden, und als Antwort auf ihr verspieltes Herumalbern setzte er meistens einen sehr gekonnten grüblerisch-strengen Blick auf. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er sie jemals um Hilfe gebeten hatte. Es war eine schöne Abwechslung, dass er es jetzt tat, und es verursachte ihr ein überraschend angenehmes Gefühl. Sie kannten sich seit acht Jahren, doch Nash war extrem zurückhaltend, wenn es um Freundschaften ging. Es hatte drei Jahre gedauert, bis aus ihrer Bekanntschaft ein wöchentliches gemeinsames Mittagessen geworden war.

Vielleicht könnte sie Nash bitten, mit ihr zur Hochzeit zu gehen. Er war Single, sie war Single, und er würde ihr bestimmt helfen. Aber sie wollte nicht von einem platonischen Freund begleitet werden. Sie wollte ein echtes Date und nicht das mitleidige Lächeln ihrer Freunde und Familie, wenn sie realisierten, dass sie einen Mann mitgebracht hatte, der sie vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an nur als guten Kumpel gesehen hatte.

Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch, das ihre Schwestern und ihre Mutter – ohne sie, na toll! – über Wrens Liebesleben weitergeführt hatten. Die drei hatten scheinbar alte Geschichten hervorgekramt, darunter auch die, wie sie als Fünfjährige geschworen hatte, sie würde nur den König von England heiraten und auf keinen Fall irgendeinen zweitklassigen europäischen Prinzen.

„Also“, fragte ihre Mutter, „bringst du nun jemanden zu Noahs und Mays Hochzeit mit? Falls nicht, könnten wir beide doch unsere jeweilige Begleitung sein.“ Sie schenkte Wren ein aufmunterndes Lächeln.

Amelia zeigte mit dem Zeigefinger auf Wren. „Konzentrieren wir uns auf das Wichtige. Wren. Hast du nun einen Freund oder nicht?“

Wrens Mund war trocken, und ihr Herz schlug zu schnell. Ohne nachzudenken, platzte sie heraus: „Ja, ich hab einen.“

Autsch. Das Schweigen, das folgte, war nicht direkt ungläubig. Es fühlte sich eher so an, als würden alle denken: Oh Gott, jetzt geht das wieder von vorne los. Wren würde aus dem riesigen Meer von Singlemännern einfach einen für die Hochzeit herauspicken müssen. Aber das war schließlich keine große Sache. Sie hatte immerhin Übung im Daten.

„Du hast einen Freund?“, wiederholte Emily. „Ernsthaft?“

„Ist das nicht etwas schnell, Wren?“, murmelte ihre Mutter.

„Spielt doch keine Rolle“, warf Amelia ein. „Die Hochzeit ist erst in sechs Wochen. Bis dahin ist Wren längst wieder Single.“

„Das werden wir ja sehen.“

„Besser nichts überstürzen“, warf Emily ein. „Du denkst immer so schnell, dass der neue Typ der Richtige ist. Nur um nach ein paar Tagen oder Wochen wieder aufzugeben. Beziehungen sind keine Farben, die man mal eben an die Wand klatscht, um auszuprobieren, ob sie passen.“

Plötzlich war Wren schrecklich verlegen. War sie wirklich so? Überstürzte sie es immer wieder? Oder ließ sie sich vielleicht eher mit vollem Herzen auf den Moment ein? Und wenn ja, war das so schlimm?

Amelia seufzte. „Ich mache mir auch Sorgen, Wren. Du bist neunundzwanzig Jahre alt, nett, klug und eine Juniorprofessorin. Aber du behauptest, dass du auf der Suche nach dem Richtigen bist – und benimmst dich wie eine Dating-Süchtige. Du gibst nie jemandem Zeit zu beweisen, dass er der Richtige sein könnte.“

„Das ist nicht wahr.“ Oder doch?

„Du langweilst dich so schnell, Wren“, schob Emily nach. „Klar, es ist alles lustig und verspielt am Anfang. Aber bevor sich wirklich etwas Ernstes entwickeln kann, bist du schon wieder woanders. Du willst eine ernsthafte Beziehung, aber das braucht Zeit. Du bist zu ungeduldig.“

Aber sie hatte es ja versucht! Sie hatte es wirklich versucht. Na ja, mit Noah vielleicht nicht so richtig – sie beide waren einfach nichts füreinander gewesen –, aber all die anderen Male. Also war alles mal wieder ihre Schuld! Sie war nicht gut genug, hatte nicht genug getan. Sie blinzelte wütende Tränen zurück. Klar, dass sie alle dachten, dass sie zu sprunghaft war, dass sie sich schon vor Jahren für jemanden hätte entscheiden sollen.

„Lass uns doch einfach wetten“, platzte sie ohne nachzudenken heraus. „Ich wette, dass ich noch in einer glücklichen, ernsthaften Beziehung bin, wenn Noah und May heiraten.“

„Und du bringst deinen geheimnisvollen Freund mit zur Hochzeit?“, fragte Emily.

„Auf jeden Fall.“

Emily nickte. „Gut. Ich wette dagegen.“

„Emily, ich wünschte, das würdest du nicht tun“, stellte sich ihre Mutter schützend vor Wren.

„Zu spät“, sagte Wren.

Emily fragte: „Worum wetten wir?“

„Den üblichen Fünfer?“

Wren und ihre Schwester hatten schon als Teenager einen gerahmten Fünf-Dollar-Schein gehabt, der bei ihren zahlreichen Wetten die Besitzerinnen gewechselt hatte.

„Nee, nee. Diesmal nicht.“ Emilys Grinsen verhieß nichts Gutes. „Wenn du verlierst, darf ich bestimmen, wen du als Nächstes datest.“

Oje, das ist gefährlich!

„Und wenn du verlierst, bestimme ich, welchen Namen dein erstes Kind bekommt. Tiger Blue steht zurzeit ganz oben auf meiner Liste.“

Den Rest des Gesprächs bestimmten liebevolle Beleidigungen. Erst wurden Emilys Vorstellungen von einem richtigen Freund genüsslich durch den Kakao gezogen, und dann stand Wrens zweifelhafter Geschmack, wenn es um Babynamen ging, in der Schusslinie.

Wren hoffte die ganze Zeit, dass niemand nach dem Namen ihres heimlichen Freundes fragen würde. Sie hatte Angst, dass sie weinend zusammenbrechen und zugeben würde, dass es niemanden gab. Und dann würde Emily verlangen, dass sie ihre Wette jetzt einlöste. Um anschließend Wrens Liebesleben mit der wohlmeinenden Hartnäckigkeit zu managen, mit der sie ihre kleine Schwester durch die Schulzeit und durchs College gebracht hatte.

„Ich muss los“, sagte Wren schließlich. „Nash braucht meine Hilfe.“

Amelia stöhnte. „Der mürrische Eisberg?“

„Er ist überhaupt nicht mürrisch“, log Wren. Nash war ein gewöhnungsbedürftiger Geschmack, etwa wie Blauschimmelkäse oder die Früchte des Durianbaums. Genau wie das stachelige südostasiatische Obst war Nash wundervoll, wenn man seine kalte, harte Schale abzog. Plötzlich fühlte sie sich schuldig, weil sie ihre Mutter und ihre Schwestern angelogen hatte. Sie würde einfach wirklich einen tollen Mann finden müssen, der sie begleitete.

Und ihn dann überzeugen, dass er so tut, als wäre er verrückt vor Liebe.

„Schick mir einen Lebensbeweis“, rief Emily, bevor Wren den Deckel ihres Laptops zuklappte. „Ich will ein Foto von diesem wunderbaren, geheimnisvollen Mann, mit dem du zusammen bist.“

Wren war dem Untergang geweiht.

2. KAPITEL

„Ziemlich heißer Typ, oder?“ Das kam von einer rundlichen, fröhlichen Frau in einem weißen Laborkittel, die grinsend auf etwas auf ihrem Schreibtisch starrte.

„Wenn du sie groß, dunkel und ungestüm magst vielleicht.“ Der Wren unbekannte Mann in den Zwanzigern klang nicht überzeugt. Er musste der neueste persönliche Assistent sein – ein Posten, dessen Besetzung fast monatlich wechselte, was, wie Wren wusste, allein an Nash lag.

Das dritte Mitglied des Trios, das sich um den Schreibtisch versammelt hatte, runzelte die Stirn. „Sehr düster. Ob er überhaupt weiß, wie man lächelt?“

Neugierig schlich sich Wren näher heran, was durch das Quietschen ihrer Flip-Flops auf dem Linoleumboden erheblich erschwert wurde. Als sie auf ihre quietschrosa lackierten Zehen hinunterblickte, realisierte sie, dass sie gerade gegen Laborregel Nummer eins verstieß: Du sollst nur geschlossene Schuhe tragen. Dr. Nash Masterson, der Leiter des Chemielabors, nahm es mit den Regeln sehr genau. Es war schon vorgekommen, dass Leute weinten, wenn er ihnen ihre Verstöße erklärte – was daran liegen konnte, dass ein ärgerlicher Nash es schaffte, Dschingis Khan wie eine gutmütige Hausfrau aussehen zu lassen. Da er außerdem der Gründer und CEO des erfolgreichen Unternehmens Masterson Chemicals und dazu noch stinkreich war, kam er damit durch.

Wren jedoch kam nicht mal mit ihrem Anschleichversuch durch, wie es schien. Alle drei Angestellten schauten ihr jetzt erwartungsvoll entgegen, und sie winkte ertappt. Zumindest zwei von ihnen erkannte sie, jetzt, da sie nicht mehr über den Schreibtisch gebeugt waren. Martha war die stellvertretende Leitung der Produktentwicklung, und Jenn war im Marketing tätig.

Das Labor selbst befand sich hinter einer Glastür hinter dem Schreibtisch. In ihm erstreckten sich mit Messbechern gefüllte Tische, hohe Chromregale und geheimnisvolle, glänzende Geräte, die in sterilen weißen Reihen hinter raumhohen Glasfenstern untergebracht waren. Es sah aus wie der nördliche Polarkreis, allerdings mit einer Menge Edelstahl anstelle von niedlichen Pinguinen. Nash selbst war nirgends zu sehen, aber er würde pünktlich auftauchen. Auch Unpünktlichkeit war gegen die Laborregeln.

„Ist heute Dienstag?“, fragte Martha.

„Bitte sag mir, dass du hier bist, um unseren bösen Milliardärsboss zum Mittagessen zu entführen.“ Jenn sagte das in scherzhaftem Ton, aber die verkrampften Finger, mit denen sie ihr Laptop an die Brust drückte, verrieten ihre Anspannung.

„Ja, ich nehme ihn euch gleich weg“, antwortete Wren fröhlich. Sie wusste wirklich nicht, warum niemand sonst mit Nash auskam. Sicher, er konnte arrogant und rechthaberisch sein, und sein Standard-Gesichtsausdruck war ein starrer Blick. Und ja, er hatte die schlechte Angewohnheit, jede noch so kleine Lücke in der eigenen Logik – und auch in der eigenen Präsentation, dem eigenen Experiment oder der eigenen Patentanmeldung – zu entdecken und dann vor Publikum auf ebendiese Lücke hinzuweisen. Darüber hinaus war er verschlossen und wirkte auf verblüffende Weise wie ein hungriger, auf einer Eisscholle festsitzender Eisbär. Außerdem hatte er Wrens Bemühungen, ihn besser kennenzulernen, jahrelang hartnäckig zurückgewiesen.

„Ist Nash im Labor?“ Sie näherte sich dem Schreibtisch. Ihr Tag konnte nur besser werden, wenn sie sah, wer dieser düstere Typ, der nicht lächeln konnte, war.

„Ja, der Unhold ist in seiner Höhle“, berichtete der junge Mann nervös.

„Seit sechsunddreißig Stunden“, fügte Jenn hinzu. „Wenn du ihn da mal rausholen könntest, würdest du uns allen einen Gefallen tun. Ist beschäftigt mit extrem wichtiger Forschung und bla, bla, bla.“

„Was ist das hier eigentlich?“ Bevor einer der drei sie aufhalten konnte, hatte Wren sich das Kartenset geschnappt, das auf dem Schreibtisch lag. Auf den laminierten Karten waren ein paar äußerst attraktive Menschen abgebildet. Von jeder Karte lächelte sie ein wunderschönes Gesicht an, kombiniert mit einer kurzen Beschreibung.

„Junggesellen“, sagte Martha.

„Und Junggesellinnen“, fügte Jenn hinzu.

„Alle single und zu haben. Natürlich für einen Preis.“ Die drei begannen zu kichern.

„Soll das heißen, diese Leute sind … äh, käuflich?“ Vielleicht waren diese hübschen Menschen ja auch für sie erschwinglich? Denn wenn ja … hallo? Das wäre vielleicht die Lösung für ihr Hochzeitsdilemma. Sie würde einfach einen von ihnen kaufen und sich verlieben.

„Es ist ein Junggesellenmenü“, sagte der junge Typ, als ob man Singles bestellen könnte wie chinesisches Essen.

„Okay …?“

„Für eine Junggesellen-Versteigerung. Du bietest für ein heißes Date, und das Geld geht an eine gemeinnützige Organisation auf Martha’s Vineyard. Und unter denen hier kannst du wählen.“

Das hörte sich lustig an, auch wenn es vielleicht ein paar Fragen zum Thema Konsens und Macht aufwarf. Andererseits ging Wren davon aus, dass diese Junggesellen sich alle freiwillig zur Verfügung gestellt hatten.

Hätte sie doch nur ein kleines Vermögen für einen guten Zweck zur Verfügung gehabt – dann hätte sie vielleicht wirklich einen dieser gutaussehenden Typen als Begleitung für Mays Hochzeit ersteigern können. Sie blätterte in dem Kartenstapel, bis ihr Blick auf einer Karte in der Mitte hängen blieb. Im Gegensatz zu den anderen Menschen, die charmant in die Kamera lächelten, hatte sich dieser Junggeselle halb abgewandt. Die Teile, die sie sehen konnte, waren allerdings beeindruckend. Er war breitschultrig und muskulös wie ein Holzfäller. Mit seinen dunklen Haaren sah er aus wie Mr. Rochester aus dem Buch Jane Eyre – allerdings ein Mr. Rochester, der jeden Tag ins Fitnessstudio ging.

Irgendwie fand Wren es plötzlich schrecklich heiß in Nashs Büro. Er sollte vielleicht mal die Klimaanlage überprüfen lassen.

„Und? Glaubst du, dass jemand auf Mr. Masterson bieten wird?“ Martha tippte auf das Foto mit dem Typen, der Wrens Körpertemperatur so schnell nach oben katapultiert hatte.

Moment mal … Wie bitte?

Offenbar war das Universum noch nicht fertig damit, sie in Aufruhr zu versetzen. Wren starrte verwirrt auf die Karte in ihrer Hand und stellte fest, dass der sexy, grüblerische Typ tatsächlich Nash war. Das war … Total schräg, meldete sich ihr Verstand zu Wort. Geht gar nicht! Sofort löschen!

Nash hatte seine Laborregeln, und Wren hatte ihre Freundschaftsregeln – zu denen es gehörte, dass sie nie, niemals einen Freund heiß finden durfte. Auch nicht, wenn sie in Collegezeiten möglicherweise ein klitzekleines bisschen verknallt in ihn gewesen sein sollte. Zum Glück war diese Schwärmerei schnell einen tragischen Tod gestorben.

„Meine Damen und Herren. Findet hier eine außerplanmäßige Teambesprechung statt?“

Wren blickte entsetzt auf und ließ das Junggesellenmenü schuldbewusst auf den Tisch fallen. Nash stand in der Tür zum Labor und ließ seinen eisigen Blick über die kleine Menschenansammlung gleiten. Es wurde merklich kühler, und seine Angestellten flüchteten an ihre jeweiligen Arbeitsplätze wie Enten vor einer Gewitterwolke.

„Dr. Masterson“, krächzte Wren.

„Dr. Wilson.“

Er umarmte sie auf seine übliche flüchtige Art, und sie verdrehte automatisch die Augen. Eines Tages würde sie den Mann und sein gesamtes Laborteam schocken, indem sie ihn in eine richtige Umarmung zog.

Er drehte sich um und ging auf die Tür zum Treppenhaus zu. Sie folgte ihm mit einem verstohlenen Winken in Richtung ihrer Mitverschwörer.

„Wer ist der neue Typ?“

Nash zuckte mit den Achseln. „Nur temporär da, bis ich einen neuen Assistenten finde.“

„Wie kommt es, dass du an einer Junggesellen-Versteigerung teilnimmst?“ Sie musste traben, um mit ihm Schritt zu halten, weil er so lange Beine hatte.

„Declan“, murmelte er, als ob das alles erklären würde.

Und das tat es. Declan war Nashs älterer Bruder, und er war sehr, sehr gut darin, seinen kleinen Bruder zu quälen. Wren hatte mal angedeutet, dass das brüderliche Necken wahrscheinlich ein männlicher Code für Ich liebe dich war, aber Nash hatte nur geknurrt, dass ihm da sogar Blumen lieber wären. Und das sollte etwas heißen, denn Nash hielt Schnittblumen erstens für eine Verschwendung natürlicher Ressourcen und zweitens für eine bedeutungslose Geste. Seiner Meinung nach sprachen Worte, chemische Symbole oder auch ein netter schriftlicher Laborbericht eine weitaus deutlichere Sprache als ein Strauß Dahlien oder gar Rosen.

Wren grinste ihn begeistert an. Das hier versprach eine wahnsinnig unterhaltsame Geschichte zu werden.

„Er hasst dich also so sehr, dass er dich an den oder die Meistbietende verkauft?“

Nash antwortete nicht, sondern strich sich nur mit der Hand über das Gesicht – für ihn das Äquivalent zu einer Panikattacke.

Doch Wren ließ nicht locker. „Huhu! Wie wäre es mit ein paar erklärenden Worten?“

„Nicht hier.“

Als sie ein paar Minuten später in den butterweichen Sitz seines luxuriösen Sportwagens sank, hoffte sie, dass er sich dieses eine Mal vielleicht dazu durchringen würde, sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten – vergeblich natürlich. Es dauerte gut dreißig Minuten, bis sie sich endlich bei einem mexikanischen Take-Away eine Papiertüte mit Tacos gekauft und am Strand geparkt hatten. Während Wren schnell ihre Flip-Flops auszog und sie nachlässig auf den Beifahrersitz warf, zog Nash seine labortauglichen Sicherheitsschuhe mit systematischer Gründlichkeit aus, steckte seine Socken ordentlich gefaltet hinein und krempelte seine Anzughose hoch.

„Wie war dein Tag?“, fragte sie, als sie mit ihren Tacos in der Hand zum Wasser spazierten.

„Später.“ Er legte den Kopf schief und schaute sie prüfend an. „Erzähl mir zuerst von deinem.“

Sie gab ihm ihr Handy, um ihm das Bild von Noahs Heiratsantrag an May zu zeigen. „Romantisch, oder? Der Typ macht per Messenger-App mit mir Schluss, weil er nicht bereit für eine Beziehung ist, und sechs Monate später ist er auf den Malediven und muss unbedingt diesen Diamantring loswerden. Mein Fluch hat wieder zugeschlagen. Mein Ex ist unsterblich verliebt in die Frau nach mir.“

Sie setzten sich in den Sand. Nash zuckte mit den Schultern und begann, sich seinem Taco zu widmen.

Wren tat es ihm nach. Derart köstliche Tacos verdienten es, genüsslich verschlungen zu werden.

„Der Typ ist eine Null“, brummte Nash. „Ich meine, wir sprechen von dem Mann, der dir gerade von irgendwo am Indischen Ozean geschrieben hat, ob du seinen Hund füttern kannst? Weil er davon ausging, dass du sowieso ja sagen würdest, und er zu faul war, vor seinem Abflug jemanden zu organisieren?“

„Genau der.“

„Ich …“ Nash unterbrach sich selbst. „Möchtest du, dass ich nur zuhöre, oder willst du eine Lösung?“

Die Regel, dass er sie das fragte, hatten sie schon früh aufgestellt. Nash war ein Macher, der Probleme so lange methodisch auseinandernahm, bis er eine Lösung fand, und Wren hatte ihm schon mehrere Male erklären müssen, dass ihr Leben nicht sein persönlicher Zauberwürfel war. Manchmal wollte sie einfach nur erzählen – und gehört werden. Und obwohl ein kleiner Teil von ihr sich gerade neugierig fragte, wie er das Problem Noah wohl lösen würde, wollte sie sich auch jetzt vor allem Luft machen.

„Nur zuhören“, bat sie. „Es ist so … Ich bin dreißig, ich wechsle meine Partner schneller als du deine Assistenten, alle meine Ex-Freunde entdecken mit der Frau nach mir die wahre Liebe … Und jetzt muss ich schon wieder eine Hochzeit allein besuchen und die peinlichen Versuche meiner Familie, mich mit dem Zahnarzt oder dem UPS-Fahrer zu verkuppeln, ertragen.“

Mit diesen Worten zerknüllte sie ihr leeres Taco-Papier und mache Anstalten, sich in den Sand fallen zu lassen. Doch eine große Hand hielt sie zurück. Nash schüttelte den Kopf und wies auf ihr Haar. Dann legte er seine Anzugjacke in den Sand, damit sie sich darauf legen konnte.

„So sieht es also bei mir aus“, seufzte sie und streckte sich aus. „Aber ich habe heute Morgen eine sehr geheimnisvolle Nachricht von jemandem in Not bekommen.“ Sie schaute ihn fragend an.

„Ach ja?“

„Ja. Die Person hat nur SOS geschrieben.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Könntest du mir erklären, wovor du gerettet werden musst? Und was für eine schrecklich peinliche Sache dein Bruder da ausgeheckt hat? Meinst du, er ist vielleicht mit meinen Schwestern verwandt? Vielleicht sind wir ja alle eine einzige glücklich-gestörte Familie.“

Sie wartete eine Minute. Dann eine weitere. Aber Nash schien es nicht eilig zu haben. Sie schaute ihn erwartungsvoll an. Nichts. Er hatte diesen vertrauten, stahlharten Blick, der verriet, dass er mit irgendjemandem sehr unzufrieden war und dass Köpfe rollen würden. Eine seiner Aufgaben als Chemietutor an ihrem College war es gewesen, die Prüfungsergebnisse bereitzustellen. Er hatte die Hälfte ihres Studentenwohnheims durchfallen lassen und im Alleingang Hunderte von Träumen von einem Medizinstudium zunichte gemacht.

Einmal, zu Beginn des Semesters, hatte sie sich in sein Labor geschlichen, um ihn um ein Date zu bitten, weil er ein begnadeter Wissenschaftler war und sie sein grimmiges Starren romantisch fand. Vielleicht war da auch eine heiße Professorenfantasie im Spiel gewesen. Jedenfalls war sie mit dem Vorschlag herausgeplatzt, mal einen Kaffee trinken zu gehen, und er hatte nur den Kopf gehoben und ihre Illusionen mit einem Wort zerstört. „Nein“, hatte er gesagt. Gefolgt von: „Kenne ich Sie?“ Dann hatte er ihr erklärt, wo sich die Chemie-Nachhilfegruppe traf. Ihre kurze Schwärmerei für ihn war einen traurigen, schnellen Tod gestorben.

„Ich warte noch immer“, sagte sie jetzt.

Er runzelte die Stirn. „Ich fliege dieses Wochenende nach Martha’s Vineyard.“

„Wie schön. Es sei denn, du hast einen dieser Flüge erwischt, die in sechs verschiedenen Städten zwischenlanden.“

„Privatjet“, brummte er.

„Oh, die Annehmlichkeiten des Daseins als Milliardär.“

„Hat definitiv seine angenehmen Seiten“, sagte er trocken. „Nicht alle von uns arbeiten gern für ein Taschengeld, indem sie den jungen Köpfen am College die Freuden der englischen Literatur nahebringen.“

„Hey, du Kapitalist!“, sagte sie. „Lesen und Schreiben sind wichtig, und ich liebe Jane Austen über alles. Wenn du die Bücher gelesen hättest, die ich dir gegeben habe, wüsstest du, warum Mr. Darcy am Ende das Mädchen bekommt.“

Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Du hast mich gezwungen, den Film zu sehen. Der Mann war ein Bauer und hatte zu viele Antiquitäten. Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas für manche Menschen Sexappeal hat.“

„Mr. Darcy ist der Beste“, sagte sie fröhlich. „Aber wir waren woanders … Also, Privatjet?“

„Die Verlobte meines Bruders sammelt Geld für ihre gemeinnützige Organisation, und ich habe mich bereit erklärt, daran teilzunehmen, obwohl ich gerade mitten in einer sehr wichtigen Akquisephase stecke.“

Nash kaufte ständig andere Chemieunternehmen. Eigentlich war er fast immer am Arbeiten.

„Aha. Aus lauter Herzensgüte fliegst du also in einem Privatjet quer durchs Land, um das Wochenende im Haus deines Bruders – der zufällig ein berühmter Filmstar ist – auf Martha’s Vineyard zu verbringen. Ich verstehe immer noch nicht, woher das SOS kommt.“

Er warf ihr einen schlechtgelaunten Blick zu. „Es gibt da diese Veranstaltung.“

„Okay …“ Moment mal. Er sprach von der Junggesellen-Versteigerung. „Oooh … kann es sein, dass deine schöne Schwägerin dich für einen guten Zweck versteigern will?“

„Ich habe keine Ahnung, warum Charlotte nicht einfach Bargeld von mir annehmen will.“

Sie brach in Gelächter aus. „Weil es so viel mehr Spaß macht natürlich!“

„Für dich vielleicht.“

„Bitte sag mir, dass es einen Livestream gibt. Die Welt muss unbedingt sehen, wie Nash Masterson sich auf der Bühne präsentiert. Hast du vor zu lächeln? Oder willst du irgendeine Frau so lange finster anstarren, bis sie dich aus Angst ersteigert? Nein, warte! Ich hab das in einem Buch gelesen! Zwei Damen mittleren Alters werden sich erbittert um deinen schönen Körper streiten, doch dann wirst du von einem unschuldigen Mauerblümchen ersteigert werden, das seine Auktionskarte nur kurz gehoben hat, um eine Fliege zu verscheuchen. Man hat doch diese Auktionskarten, oder? Und musst du dich ausziehen? Wie wäre es mit einem Wet-T-Shirt-Contest? Meinst du, deine zukünftige Schwägerin ließe sich überzeugen, dass weniger Klasse mehr Geld bringt?“

Der leiseste Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen, kaum vorhanden und nur für sie erkennbar. „Du bist so ein Witzbold. Man kommt in Abendgarderobe, und es gibt ein elegantes Dinner.“

„Dinner und Show.“ Sie grinste ihn an. „Du wirst also deinen Smoking tragen und …“

„Genau. Und du dein Abendkleid“, unterbrach er sie. „Weil du nämlich im Publikum sitzen wirst, um mich zu ersteigern.“

3. KAPITEL

Nash verfluchte den Tag, an dem er zugestimmt hatte, bei Charlottes Junggesellen-Versteigerung mitzumachen. Aber er konnte nicht mehr zurücktreten. Er wollte unbedingt Durant Family Chemicals aufkaufen, und Durant Senior war ein altmodischer Mann, der der Meinung war, dass jeder Mensch eine glückliche Familie haben sollte. Und ausgerechnet dieser Mann hatte ihm erzählt, dass er es liebte, sich für wohltätige Zwecke einzusetzen, und dass er mit seinen drei jungen, alleinstehenden Töchtern zu der Versteigerung kommen würde.

Wren hatte ihren Kopf in den Nacken gelegt und musterte ihn noch immer ungläubig. Ihre Augen waren haselnussbraun, die zweithäufigste Augenfarbe von allen, ein sattes Braun mit grünen und goldenen Sprenkeln. Wren selbst hatte mal gesagt, dass es eine uneindeutige Augenfarbe war, aber er mochte sie. Die Farbe schien sich mit ihrer Stimmung zu verändern, auch wenn er wusste, dass das nur ein Lichteffekt war.

Sie hatte Sand an der Wange. Er wischte ihn vorsichtig mit einem Finger ab und ignorierte, dass sie die Nase rümpfte und die Hand hob, um ihn abzuwehren.

Er sollte einen Witz über kostenlose Urlaube oder die Freigetränke bei der Versteigerung machen. Doch er war nicht so charismatisch wie sein Bruder Declan, den alle Lightning nannten – den Blitz. Nash dagegen war Thunder – der Donner. Während Declan von ganzen Heerscharen von Menschen umworben wurde und das auch genoss, war Nash derjenige, der schon allein bei der Vorstellung begann, düster zu grummeln.

Als er Wren heute Morgen sein SOS geschickt hatte, damit sie ihm bei seinen sozialen Verpflichtungen half, hatte er sich schlecht gefühlt. Aber sie war einfach die perfekte Lösung für sein Dilemma. Und sie waren Freunde, das hatte sie ihm mehr als einmal versichert. Trotz ihrer romantischen Ader würde sie sicher nichts hineininterpretieren, und er war gern mit ihr zusammen. Trotzdem war es eine große Bitte, auch wenn Sommerferien waren und sie gerade nicht am College unterrichten musste. Gut möglich, dass sie Forschungsarbeiten schreiben oder Vorlesungen planen musste.

Was seiner Ansicht nach definitiv etwas Angenehmeres wäre als ein ungeplanter Ausflug nach Martha’s Vineyard. Er würde es irgendwie wieder gutmachen müssen.

Sie blinzelte, offensichtlich noch immer verwirrt. „Hast du mich gerade gebeten, dich zu ersteigern?“

„Yup.“

Der Ausdruck auf Wrens Gesicht kam ihm … seltsam vor. Ihre Stirn hatte sich in Falten gelegt, und sie hatte die Lippen gespitzt, als hätte sie etwas sagen wollen und dann in ihrer Überraschung den Gedanken verloren. Sie sah teils verblüfft aus und teils … Er versuchte vergeblich, schlau zu werden aus ihrem Gesichtsausdruck.

„Und du meinst das absolut, total, tausendprozentig ernst?“

„Ja.“ Er hielt inne. „Hundertprozentig ernst.“

„Oh Mann. Du bist echt die Krönung!“

Und dann sprudelte Wrens fröhliches Lachen aus ihr hervor, warm und perlend, so lebendig wie Backpulver, wenn es auf Zitronensäure traf. An seinen Mundwinkeln zerrte eine widerwillige Belustigung, und er konnte fast sehen, wie ihre Gedanken einander jagten. Er hatte keine Ahnung, wie Wrens merkwürdiger Verstand funktionierte, aber sie war ein guter Mensch. Loyal. Lustig. Ungeheuer klug. Sie unterschätzte sich permanent, und es war ihm ein Rätsel, warum die Dating-Welt so unerfreulich für sie lief. Ihr Ex Noah war ein Idiot, dass er mit ihr Schluss gemacht hatte.

Er legte den Kopf schief. „Lehnst du ab?“

Sie rollte sich auf den Bauch, verschränkte die Hände unter dem Kinn und grinste ihn an. Sie hatte schon wieder Sand auf der Wange.

„Bitte, Nash. Wiederhol das nochmal. Das ist das Beste, was ich die ganze Woche gehört habe.“

Er kämpfte gegen den Impuls, die Hand auszustrecken und ihr wieder die Sandkörner von der Haut zu wischen. Es war sinnlos – sie würde sowieso innerhalb von Minuten neuen Sand im Gesicht haben.

„Komm mit mir nach Martha’s Vineyard. Nimm an der Junggesellen-Versteigerung teil, und ersteigere mich. Bitte.“

Sie streckte sich auf seiner Jacke aus und grinste zu ihm hoch. „Verstößt das nicht gegen die Regeln? Wenn du ein Fake-Date einfliegst, das dich bei der Versteigerung ergattert?“

Nash analysierte gern Dinge, und er hatte mehr als einmal versucht herauszufinden, was es war, das den Klang ihrer Stimme so angenehm machte. Bis jetzt vergeblich. Alles was er wusste, war, dass sie vollkommen natürlich klang – und sehr selbstbewusst.

„Es ist eine Junggesellen-Versteigerung“, sagte er trocken. „Da gibt es kaum Regeln.“

„Oh.“ Sie lachte wieder, ihr lautes Bauchlachen, das glückliche Falten rund um ihre Augen zeichnete. Und es war ja auch wirklich eine lachhafte Situation, in der er sich befand. Er wünschte, Charlotte wäre nicht auf diese lächerliche Fundraising-Idee gekommen. So wie er wünschte, dass sein Job es nicht mit sich brachte, dass er Networken und Smoking tragen und bei Vorträgen ein Publikum beeindrucken musste, das sich nicht die Bohne für Chemie interessierte.

„Aber warum?“, fragte Wren jetzt.

„Warum nicht?“

Sie verzog das Gesicht. „Komm schon. Spuck es aus. Tu einfach so, als wäre ich eine brandneue wissenschaftliche Assistentin, der du alles ganz genau erklären musst.“

„Wren.“ Jetzt streckte er doch seine Hand aus und strich ihr den Sand aus dem Gesicht. „Wir wissen beide, dass ich dich nie als wissenschaftliche Mitarbeiterin einstellen würde. Ich weiß, wie deine Chemienoten auf dem College waren.“

Sie streckte ihm die Zunge heraus. „Ja, weil du sie mir gegeben hast. Und du warst ein unglaublicher Geizhals, was das betraf.“

Sie drehte sich um und klatschte energisch in die Hände. „Also los, ich brauche ein paar Infos. Das Ganze ist doch keine Hochzeitszeremonie, ich meine, du gehst schließlich keine lebenslange Bindung mit der glücklichen Gewinnerin ein.“

Er seufzte. Leider hatte Durant es nicht lassen können, Nash die romantische Geschichte zu erzählen, wie er seine Frau bei einem Wohltätigkeits-Picknick kennengelernt und sich sofort in sie verliebt hatte. Und direkt im Anschluss war er auf die Versteigerung und seine reizenden Töchter zu sprechen gekommen. Nash hatte dazu geschwiegen, aber es war eine sehr ungemütliche Situation für ihn gewesen.

„Ich muss auf ein Date mit der Gewinnerin gehen.“

„Hm. Und weiß deine zukünftige Schwägerin, dass du nicht gerade Mr. Romantik bist?“

Er starrte sie finster an. „Was soll denn das heißen? Ich weiß immer noch, wie ein Date funktioniert.“

„Aha, und wann hattest du das letzte Mal eins?“, fragte sie trocken.

Er zuckte mit den Achseln. „Ist nicht so lange her wie bei dir.“

Sie stöhnte gequält. „Ganz schlechtes Thema. Ich bin fast so weit, mir ein Fake-Date im Internet zu kaufen.“

Das war neu. „Wie bitte?“

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich zu dieser Hochzeit eingeladen bin“, sagte sie. „Noah und May. Es wird eine große Familienfeier werden. Sie heiraten im September – auf einem superromantischen Weingut im Napa Valley.“

„Vielleicht solltest du vorher daran arbeiten, besser Grenzen gegenüber deiner Familie zu setzen.“

„Ja, klar.“ Sie schnaubte. „Sagt der Mann, der sich von seiner zukünftigen Schwägerin für Geld versteigern lässt.“

„Du wirst mich ersteigern. Und ich verstehe noch immer nicht so genau, warum diese Hochzeit so ein Problem ist.“

„Weil ich es hasse, da ohne Begleitung hinzugehen. Und mich den Witzeleien und dem Mitleid meiner Mutter und meiner Schwestern auszusetzen.“

„Verstehe“, sagte er langsam. „Das ist der perfekte Deal. Du ersteigerst mich, und ich bin dein Fake-Date. Du kannst mit mir auf die Hochzeit gehen.“

Mit Nash auf die Hochzeit gehen?

Wrens altes College-Ich hätte vor Begeisterung gequietscht über die Vorstellung, mit Nash als Fake-Date ihre Wette zu gewinnen. Und das nicht nur, weil der Nash von heute eine ganze Reihe von dunklen, maßgeschneiderten Anzügen besaß, die ein Vermögen kosteten, sich unverschämt gut an seine muskulöse Gestalt anschmiegten und unter seinen Laborkitteln völlig verschwendet waren.

Selbst jetzt, wo er barfuß und mit hochgekrempelten Hemdsärmeln neben ihr saß, sah er unglaublich … souverän aus. Er war einfach so groß. Und so ruhig. Wie machte er das nur? Er hatte ihr die lächerlichste Idee unterbreitet, die sie je gehört hatte, und er wirkte kein Stück aufgeregt. Oder besorgt. Oder irgendetwas, das normale Menschen in so einer Situation empfinden würden. Vielleicht war das alles nur ein Scherz? Hatte er an seinem Sinn für Humor gearbeitet?

„Deine nächsten Worte werden sein: Reingefallen!“, versuchte sie es.

„Das ist nur ein Wort.“ Er zuckte mit den Achseln. „Und nein.“

„Es ist dein voller Ernst?“

Er nickte und musterte sie ruhig. „Es ist ein guter Plan, Wren. Gib es zu.“

„Ist es nicht! Deine Definition von Plan beinhaltet in der Regel eine zwölfstündige Strategiesitzung mit Whiteboards und gebundenen Handouts. Niemand wird uns glauben, dass wir ein Paar sind.“

„Warum nicht?“

„Okay. Sag mir, warum das funktionieren sollte.“

„Die Leute daten sich, um nicht allein zu sein. Um für eine längere Beziehung zu üben. Und natürlich für Sex.“ Er zuckte mit den Achseln. „Aber meistens sehen die Leute nur, was sie sehen wollen. Wir beide sind schon so lange befreundet, dass sich manche Menschen fragen, warum wir keine romantische Beziehung haben. Andere wissen genau, dass wir die letzten beiden Personen sind, die sich jemals zueinander hingezogen fühlen würden. Mein Bruder wird weder zu den einen noch zu den anderen gehören und sich einfach für uns freuen. Und deine Familie wird es über alle Maßen genießen, dir zu erzählen, warum ich der absolut Falsche für dich bin. Außerdem erwarte ich einige Interessentinnen auf der Versteigerung, und unser Deal wäre eine effiziente Methode, sie abzuschrecken.“

„Interessentinnen? Wer denn?“

„Die Familie Durant“.

„Eine ganze Familie will auf ein Date mit dir gehen?“

„Ich will Durant Family Chemicals kaufen. Und Durant Senior möchte nur an einen Familienmenschen wie ihn selbst verkaufen. Er nimmt zusammen mit seiner Frau – und seinen drei alleinstehenden Töchtern – an der Versteigerung teil.“

Sie seufzte. „Und du willst sie nicht daten? Es könnte doch durchaus passieren, dass du von Amors Pfeil getroffen wirst und dich in eine von ihnen verliebst – oder sie dir zumindest sympathisch ist.“

Er hatte diesen ausdruckslosen Gesichtsausdruck, aber sie wusste genau, was der bedeutete. Drei konkurrierende Kandidatinnen hießen für Nash nur, dass es zwei Verliererinnen geben würde. Und möglicherweise eine Menge verletzter Gefühle, etwas, mit dem er absolut nicht umzugehen wusste.

„Warum suchst du dir nicht eine richtige Freundin?“ Sie stupste seinen Oberschenkel mit ihrem Zeigefinger an. „Du könntest echten Sex haben. Deine sozialen Fähigkeiten üben für später. Vielleicht wäre ja eine der anderen Bietenden perfekt für dich.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein.“

Dann beugte er sich zu ihr hinunter. Ein riesiger, stirnrunzelnder, warmer Felsen, der die kalifornische Sonne verdunkelte, seine Hand nur Zentimeter von ihrem Arm entfernt.

„Suchst du denn einen richtigen Freund?“ Seine Stimme war ein tiefes Grollen. „Stell dir vor, wie viel einfacher es wäre, wenn du dich auf dieser Hochzeit nicht verstellen müsstest.“

„Die Realität wird stark überschätzt“, sagte sie hastig.

Nichts würde die mitleidigen Blicke ihrer Schwestern effektiver verhindern, als einen großen, dunklen und gut aussehenden Milliardär mit zur Hochzeit zu bringen … Sie sollte es zumindest in Erwägung ziehen.

„Würdest du denn so tun, als wärst du wenigstens halbwegs verliebt in mich? Oder wirst du um die Hochzeitstorte herumschleichen und mürrisch und unglücklich aussehen?“ Sie berührte spielerisch seinen Mundwinkel. „Lächle mal!“

„So?“ Plötzlich schenkte er ihr ein völlig verknalltes Lächeln, ein wenig schief, die Mundwinkel weich und eindeutig nach oben gezogen. Es war umwerfend, auch wenn völlig klar war, dass es nicht echt war. Irgendwie machte diese Tatsache es plötzlich schwer aushaltbar für Wren – es führte ihr vor Augen, was sie all die Jahre verpasst hatte.

„Gute Arbeit“, sagte sie hastig und unterbrach damit ihre sinnlosen Gedankengänge. „Du hast bestanden.“

„Ist das ein Ja?“

Was war das Schlimmste, was passieren konnte?

„Ja“, sagte sie.

In den folgenden Minuten legten sie die Details ihres Plans fest. Wren würde am Freitagabend mit Nash nach Martha’s Vineyard fliegen, um ihn am Samstag zu ersteigern. Die folgenden zwei Wochen würden sie dort miteinander verbringen und so tun, als ob sie ein Paar wären. Das, meinte Nash, würde ihnen genug Zeit geben, für die Hochzeit zu üben.

„Wirst du wahnsinnig teuer sein?“

Er runzelte die Stirn. „Ich bezahle für das Wochenende. Und die nächsten zwei Wochen.“

„Klingt wie ein Pretty-Woman-Drehbuch … Und ich bin die ausgehaltene Frau?“

Er zog eine Augenbraue hoch, ein Talent, um das sie ihn wahnsinnig beneidete. „Genau. Nur dass es keine Romantik, keinen Sex und ganz sicher keine Ständchen aus einer Limousine geben wird.“

Sie hatte ihn auch gezwungen, diesen Film mit ihr anzuschauen.

„Okay. Also ein rein geschäftlicher Vertrag unter Freunden. Friends without Benefits sozusagen.“

Irgendetwas … ein winziger Stich … machte ihr zu schaffen. Es war lang vorbei, dass sie hinter Nash her gewesen war. Aber sie fühlte sich, als wolle kein Mann sie haben. Sie, die superschlaue Akademikerin, die lustig und witzig war und die wahrscheinlich (definitiv) zu viele Backwaren aß. Sie war offenbar die Art von Person, die man bat, den Hund zu füttern, während man mit der Frau seiner Träume ein romantisches Wochenende verbrachte.

„So“, sagte er entschieden, „und jetzt schicken wir deiner Familie eine Nachricht. Handy bitte.“

Zögernd gab sie ihm ihr Handy. Ohne Vorwarnung zog er sie in seinen Arm und presste sie an sich. Sie hing halb auf seinem Schoß und versuchte zu ignorieren, wie muskulös sich seine Oberschenkel anfühlten.

„Lächeln“, befahl er und hielt ihnen das Telefon vor die Nase.

Wie bitte?

„So.“ Er gab ihr das Telefon zurück und stellte damit den Abstand zwischen ihnen wieder her. „Schick ihnen das.“

Er hatte ein Selfie von ihnen beiden gemacht. Sie sah erschrocken aus auf dem Foto, was sie nicht überraschte. Ihre Wangen waren etwas erhitzt von der Sonne, ihre Lippen halb geöffnet – eigentlich ein ziemlich gutes Foto. Was auch daran liegen konnte, dass Nash sein Gesicht an ihres gepresst hatte und mit festem Blick und fast schon lächelnd in die Kamera schaute.

Sie schickte das Selfie an ihren Familienchat. Warum auch nicht? Schließlich liebte sie es, Wetten zu gewinnen.

Er fing an, die Überreste ihres Mittagessens einzusammeln. „Ich finde, du solltest keinen Freund vortäuschen müssen, um deine Familie glücklich zu machen.“

Wren überlegte ernsthaft, ob sie ihr zusammengeknülltes Taco-Papier nach ihm werfen sollte. „Es geht nicht darum, sie glücklich zu machen. Ich habe nur keinen Bock auf ihre Fragerei und ihr Mitleid.“

„Es ist vollkommen okay, Single zu sein“, fuhr er fort. „Vor allem, wenn man glücklich ist. Nicht jeder muss in einer Partnerschaft leben.“

Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Willst du ernsthaft vorschlagen, dass ich mich selbst date? Denn das ist genau das, was ich zurzeit tue, und glaub mir, der Stromverbrauch meines Vibrators wird langsam zu einem finanziellen Problem.“

Seine Wangen färbten sich rosa, aber seine Stimme war fest. „Wenn du glücklich bist, bist du glücklich. Die können dich mal.“

„Wow.“ Sie starrte ihn an. „Du bist wirklich Mr. Romantik, oder?“

Er stand auf und reichte ihr die Hand, um ihr hochzuhelfen. „Ich glaube nicht an Romantik. Haben wir einen Deal?“

„Den haben wir!“ Sie nahm seine Hand und ließ sich von ihm hochziehen.

Sie konnte es noch immer nicht ganz fassen – sie würde sich ein Date mit einem Milliardär kaufen.

4. KAPITEL

Wren hatte mit Nash vereinbart, dass sie sich am Freitagabend an dem Terminal des John Wayne Airports trafen, an dem die Privatjets starteten. Er musste sich bis zuletzt um Geschäfte kümmern – Chemieimperien aufkaufen, die Träume seiner Untergebenen zerstören; sein ganz normaler Alltag als CEO eben. Sie selbst musste einen Artikel für eine Fachzeitschrift überarbeiten, den maximal zweihundert Leute lesen würden – und fünfzig von ihnen würden Wren eine E-Mail schicken, um sie auf die Fehler in ihrer Arbeit hinzuweisen.

Nach einem solchen typischen Nachmittag im Land von Jane Austen und Co war es ein Kulturschock für Wren, sich in dem modernen und eleganten Terminal mit den riesigen Glasfenstern und dem Blick auf die kleinen Privatjets wiederzufinden. Wren konnte das Geld praktisch riechen. Es war eine Sache, zu wissen, dass Nash reich war, aber eine ganz andere, zu realisieren, dass sie einen zehn Jahre alten MINI Cooper besaß und er ein Flugzeug. Sie hatten, wie sie jetzt feststellte, noch nie einen gemeinsamen Ausflug unternommen. Nash war ein Workaholic, und da niemand einen Doktortitel ohne eine obszöne Menge an Arbeit erlangte, hatte auch sie selbst nicht viel Freizeit gehabt in den letzten Jahren.

Selbst die Wartehalle war wunderschön, in geschmackvollen Beige- und Schwarztönen gehalten. Es gab dort eine Menge Leute, die aussahen, als hätten sie milliardenschwere Technologie-Start-Ups gegründet (sie trugen alle Jeans und Birkenstocks und arbeiteten an ultraleichten, weltraumtauglichen Laptops), aber sie entdeckte keine Filmstars. Schade.

Fake it until you make it, erinnerte sie sich selbst, um nicht in Komplexen zu versinken.

Doch in diesem Moment tauchte Nash wie aus dem Nichts hinter ihr auf und rettete sie vor drohenden Selbstzweifeln aufgrund der fehlenden Millionen auf ihrem Konto. Er sah aus wie eine düstere, Anzug tragende Gewitterwolke. Er zog eine Rolltasche hinter sich her, die wahrscheinlich mehr wert war als Wrens gesamtes Monatsgehalt, aber ansonsten sah er vertraut aus. Und vertraut war gut.

„Wren.“ Er nahm ihr das Handgepäck ab und warf es sich selbst über die Schulter.

Sie überlegte, ob sie protestieren sollte, aber warum? Es war schließlich nicht so, dass sie gern Gepäck schleppte, und er war groß und stark.

Kurz darauf saßen sie in seinem Privatjet und wurden von der Kapitänin und dem Copiloten begrüßt. Der Flieger war ein Luxuskokon aus cremefarbenem Leder und Chrom. Würde irgendjemand außer ihrer Familie und ihren Freunden ihrem Instagram-Account folgen, hätte sie sofort ein Bild gepostet – Hashtags: #livingthelife und #bossgirl.

Nach dem Start begann Nash sofort, sich mit seinem Laptop zu beschäftigen, während sie selbst jeden Anschein von Produktivität aufgab und sich in den Stapel Hochglanzmagazine vertiefte, den sie nur für den Fall mitgenommen hatte, dass sie sich eine Vierhundert-Dollar-Hose kaufen oder perfekte Katzenaugen schminken wollte. Das hier war schließlich eine Art Fake-Urlaub! Zeit, sich ein bisschen zu verwöhnen.

Nicht viel später servierte der Steward ihnen Hummer-Tacos und Champagner-Margaritas. Oh ja, ein Fake-Date mit einem Milliardär zu haben, hatte definitiv seine Vorteile. Nash klappte sein Laptop zu und sah sie an. Seine ausgestreckten Beine gaben ihr das Gefühl, ein kleiner Hügel neben einem Berg in den Alpen zu sein.

„Also“, sagte er. „Wir sollten den Zeitplan besprechen.“

„Den Zeitplan“, wiederholte sie wie ein schlechtes Echo.

„Die Versteigerung ist am Samstagabend. Ich habe unser Date für Sonntag geplant.“

„Unser Date?“

„Der Gewinn ist ein Date mit dem Junggesellen.“ Er runzelte die Stirn. „Haben wir doch längst besprochen.“

„Ich habe also zwei Events mit dir, aber du musst nur eine Hochzeit mit mir besuchen?“

„Du bekommst zwei Wochen in einem schicken, romantischen Hotel“, betonte er. „Völlig kostenlos.“

„Abgesehen von der Versteigerung und dem Date. Und ich muss so tun, als würde ich dich mögen.“ Sie seufzte theatralisch.

Er blinzelte. Seine Lippen öffneten sich. Es wirkte fast, als wolle er auf ihre Ironie eingehen – aber nein. Das war einfach nicht sein Ding.

„Ich bin sicher, dass du sehr überzeugend sein wirst“, sagte er vorsichtig.

„Na ja … Wir sollten es auf jeden Fall langsam angehen. Du würdest auch keinen Marathon laufen, bevor du es schaffst, um den Block zu joggen.“

Er ignorierte ihre Witzeleien. „Wir sind uns also einig, was Martha’s Vineyard angeht?“

Sie schlang ihre Hände um ihr Glas und überlegte.

„Über uns“, stellte er klar.

Uns. Das Wort fühlte sich seltsam an. Irgendwie unpassend.

„Gibt es ein Problem?“, hakte er nach.

Sie riss ihre Gedanken aus dem Abseits, in das sie sich verirrt hatten.

„Niemand wird glauben, dass wir wirklich ein Paar sind, wenn wir uns nicht wie ein Paar verhalten.“

„Ja. Und?“ Sein Stirnrunzeln kehrte zurück. „Ich verstehe nicht, wo das Problem sein soll.“

„Wir sind Freunde“, sagte sie.

„Na und? Freundschaft wird im Allgemeinen als eine ausgezeichnete Grundlage für eine romantische Beziehung angesehen.“

„Ja, aber …“ Sie machte eine unbestimmte Geste. „Es gibt da noch ein paar andere Dinge.“

„Andere Dinge.“

„Na ja, Zeit miteinander verbringen, gemeinsame Interessen haben. Über Dinge reden, die wichtig sind … die eigenen Träume und so. Und …“, sie spürte, wie sich ihr Gesicht verfärbte, „… Sex.“

„Sex.“

Es war ihr ein Rätsel, wie er das Wort so ruhig aussprechen konnte. Er war Wissenschaftler durch und durch, klar … Aber für sie war es etwas ganz anderes, dass das S-Wort jetzt in dieser winzigen Flugzeugkabine im Raum stand. Natürlich stellte sie sich jetzt Nash vor. Und Sex. Vielleicht sogar, wie sie Sex mit Nash hatte. Zumindest aber, wie er mit einer namenlosen, aber wunderschönen Frau schlief – und ehrlich gesagt, hatte sie keine Ahnung, wie sie sich damit fühlte. Sie war komplett überfordert.

„Die Leute werden erwarten, dass wir Sex haben“, schnappte sie. „Dass wir uns berühren. Händchen halten. Du weißt schon, Eindringen in die persönliche Distanzzone und so.“

Er zuckte mit den Achseln. „In Ordnung.“

„In Ordnung?!“

Nash hob seinen Arm, doch dann hielt er inne.

„Was ist denn jetzt?“, blaffte sie ihn an.

Er bewegte seinen Arm über ihrer Sitzlehne hin und her. „Darf ich?“

Womit hatte sie das verdient? Vielleicht bestrafte das Schicksal sie dafür, dass sie jahrelang Kekse und Liebesromane von der Steuer abgesetzt hatte.

Sie holte tief Luft. Sei stark, sagte sie sich. „Okay?“

Ohne zu zögern, streichelte Nash zart ihren Nacken. „Siehst du? Berühren. Erledigt. Ist ganz einfach.“

Sie sah gar nichts. Aber sie fühlte … Ein vollkommen bescheuertes, sexy Erschauern.

Also ging sie wieder in die Defensive. „Jetzt verstehe ich, warum du seit Ewigkeiten kein Date mehr hattest.“

Stirnrunzelnd zog Nash seinen Arm zurück. „Ich bin sehr gut bei Dates.“

Sie lächelte. „Du, mein Freund, musst an deiner Technik arbeiten. Und an deiner Annäherungsstrategie.“

Nash funkelte sie an. „Muss ich nicht.“

Jetzt war es an ihr, mit den Achseln zu zucken. „Ein hübsches Gesicht reicht halt nicht.“

„Hübsches Gesicht?“ Sein Blick vertiefte sich.

„Klar.“ Sie grinste ihn an. Es stimmte. Außerdem war er groß, dunkel und gut gebaut. Warum war er überhaupt single?

„Deine Wangenknochen, diese sexy Strenge, dazu noch Unmengen Geld. Du hast fast alles.“

„Fast?“

„Ein Adelstitel würde es komplett machen.“

„Ich kümmere mich sofort darum.“

„Was dir fehlt, ist Romantik“, seufzte sie. „Es ist, als hättest du noch nie von diesem Konzept gehört.“ Sie hielt inne. Verzog das Gesicht. „Oder du hast davon gehört und es aus deinem Leben verbannt.“

„Romantik ist Zeitverschwendung.“

Okay, so erstaunlich war es doch nicht, dass der Mann single war. Es ergab durchaus Sinn. Nash besaß keinen Funken Charme, und er hatte keine einzige romantische Zelle in diesem großen, muskulösen Körper. Seine stählernen Unterarme und sein noch stählernerer Blick waren wie Warnschilder: Achtung! Kein Herz!

„Hmm“, machte sie. „Falls du mal in einer sexuellen Dürrezeit steckst, solltest du das auf jeden Fall im Kopf behalten.“

Er nickte wie ein Fechter, der anerkennt, dass sein Gegner einen Treffer gelandet hatte. Dann schwang er seine Waffe zum Gegenangriff. „Okay, Wren, und wie lange ist es her, dass du ein Gefühl von Romantik verspürt hast, das länger anhielt als die erste Nacht?“

„Nash Masterson, fragst du mich etwa nach meinem Sexleben?“

Seine herrlichen Wangenknochen erröten. „Schien mir ein wichtiger Punkt.“

„Atemberaubender Sex fällt nicht einfach so vom Himmel.“ Und falls doch, hätte sie wirklich gern die genauen GPS-Koordinaten der Einschlagstelle.

„Aha! Vielleicht bist du diejenige, die nicht mehr weiß, wie ein befriedigendes Date abläuft.“

Er hatte einen wunden Punkt erwischt. Ihre sexuellen Begegnungen mit Noah waren ihr nur im Gedächtnis geblieben, weil sie so unglaublich langweilig gewesen waren.

„Wahrscheinlich würde dir etwas Übung guttun“, ergänzte Nash.

„Weißt du was?“, sagte sie düster. „Es kann wirklich gut sein, dass mir Übung fehlt. Nicht die Romantik, nicht der Sex … Einfach Übung.“

Einen Moment lang saßen sie beide schweigend und in Gedanken verloren da. Es wäre der perfekte Moment für Turbulenzen oder zumindest Snacks gewesen. Stattdessen musste sie sich der Analyse ihres sehr unbefriedigenden Dating-Lebens widmen.

Sie seufzte. „Oh Mann, wir sind erbärmlich. Ungeküsst, ungeliebt.“

„Ja“, sagte er. „Also werden wir üben.“

Das war total lächerlich. Romantik und Dating waren nicht wie Yoga oder tägliche Achtsamkeitsübungen. Oder … wie gesammelte Meilen beim Fliegen, wo die geflogenen Stunden attraktive Vergünstigungen einbrachten.

Wenn es so wäre, hättest du bisher null erfolgreiche Dating-Meilen gesammelt.

Es musste dieser Gedanke gewesen sein, der zu ihren nächsten – unsagbar idiotischen – Worten führte.

„Du willst also üben, wie man küsst?“

Die Frage hallte einen Moment in der sehr kleinen Kabine des Privatjets nach. Wahrscheinlich hatte die gesamte Crew sie gehört. Doch das war noch nicht das Schlimmste. Irgendwie schienen die Lippen ihres platonischen Freundes plötzlich eine ganz eigene Anziehungskraft entwickelt zu haben, und Wren konnte einfach nicht aufhören, sie anzuschauen. Nashs feste, sehr männliche und möglicherweise supersexy Lippen. Hatte sie ihn gerade gebeten, sie zu küssen? Was war eigentlich wirklich in diesen Champagner-Margaritas? Sie riss ihren Blick von seinem Gesicht los und starrte auf das halbleere Glas auf ihrem Tischchen.

„Wohl nicht“, sagte sie hastig zu dem traurigen, einsamen Eiswürfel, der auf dem Boden ihres Glases einen langsamen, kalten Tod starb. „Nicht küssen.“

Er gab einen Laut von sich. Sein Gesicht war unergründlich und verriet nichts – so war er meistens. Falls sie sich gelegentlich – höchstens einmal die Woche – fragte, was nötig wäre, um ihm eine stärkere Reaktion zu entlocken, schob sie diesen widerspenstigen Gedanken meistens weit von sich.

Wie gesagt, meistens.

„Du willst küssen.“ Er blinzelte. „Mich.“

„Nun …“ Sie beschloss, in die Vollen zu gehen und zu ihrem Ausrutscher zu stehen. „Ja. Auf keinen Fall den Steward. Das wäre Belästigung am Arbeitsplatz.“

„Mich.“

„Ja.“ Sie wartete darauf, dass Nashs Gehirn ihren Worten hinterherkam.

Und dann zuckte er mit den Achseln und drehte sich zu ihr. Seine großen Hände berührten ihr Gesicht, und sein eigenes Gesicht kam näher und näher. Sie realisierte plötzlich, dass sie das Ganze nicht wirklich durchdacht hatte – also, überhaupt nicht durchdacht! Denn er ging einfach drauflos, mit der gleichen Direktheit, die er in allen anderen Lebensbereichen an den Tag legte, und küsste sie.

Ihr Gehirn setzte aus – eher aus Panik als aus irgendeinem anderen Grund –, und als es nach einem kompletten Neustart wieder zu arbeiten begann, war sie sich nur noch seiner Lippen bewusst, die sich auf die ihren pressten. Und seiner warmen Finger, die sanft ihre Wangen umfassten. Er musste sich hinunterbeugen, und sie musste sich ihm entgegenstrecken, weil sie so viel kleiner war als er. Seine Hände zogen sie an sich heran, und ihre eigenen Hände … Nun ja, irgendwie umfassten ihre Finger seinen Unterarm, spürten seinen Bizeps unter dem Anzugstoff und versuchten, dort Halt zu finden, denn entweder stürzte das Flugzeug gerade ab, oder Nashs Mund auf dem ihrem verursachte die Turbulenzen in ihrem Bauch.

Der Mann konnte küssen.

Er fühlte sich so fest an. So stark. Nicht auf diese überwältigende, höhlenmenschenartige Weise, sondern einfach präsent.

Der Kuss war fast schon jugendfrei, da waren nur seine Lippen auf den ihren und die Stellen, an denen ihre Hände den jeweils anderen ziemlich keusch berührten.

Gleichzeitig war dieser Kuss ein absolutes Rätsel. Sie hatte nicht geahnt, dass Nash sich so anfühlen würde, so warm und fest, so absolut verlässlich und gefährlich sicher.

Und … so hemmungslos. Falls sie jemals überlegt hätte, wie er wohl küsste (was sie natürlich nie getan hatte, denn so etwas taten Freunde nicht), dann hätte sie erwartet, dass Nash beim Küssen die volle Kontrolle behielt. Dass er einer dieser sexuell dominanten Typen war, der genau wusste, wie man ein Feuer entfacht. Aber dieser Nash, dieser küssende Nash, war eine absolute Überraschung. Er küsste sie völlig unkontrolliert, sein Mund verschlang den ihren, fest, fordernd … und bedingungslos gebend.

Sie spürte, wie sich die Röte auf ihren Wangen ausbreitete, wie die Hitze in ihren Unterleib wanderte und wie ihr ganzer Körper warm wurde und sich vor Verlangen anspannte. Ein Verlangen, das aus dem Nichts gekommen war und einen schnellen Trommelschlag in ihrer Brust auslöste.

Er öffnete die Lippen, und ihre eigenen waren mehr als willig, bei diesem nächsten Schritt in ihrem Kussplan mitzugehen. Ihre Zunge glitt sanft über seine Unterlippe, zeichnete die überraschend weiche Kurve nach und bahnte sich einen Weg in …

Sie wich zurück.

Wow, ihr Gehirn schien wieder zu funktionieren!

Sie brachte mehr Abstand zwischen sich und Nash. Genug Platz, um wieder richtig atmen zu können. Einen kurzen Moment lang machte Nashs Körper Anstalten, ihr zu folgen. Seine lächerlich langen, weichen Wimpern über den geschlossenen Augen waren so nah …

Dann ließ er die Hände sinken und öffnete die Augen. Er starrte sie an. Er sah aus, als ob er …

Sie hatte …

Das war ganz schlecht.

„Nun“, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. „Das war … interessant.“

„War es das?“ Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und faltete seinen Körper zurück in sein ordentliches Milliardärs-Origami.

„Aufschlussreich“, korrigierte sie sich selbst. Er warf ihr einen fragenden Blick zu, und sie ergänzte: „Nicht romantisch oder heiß wie in … alle-richtigen-Knöpfe-gedrückt-heiß.“

„Alle-richtigen-Knöpfe-gedrückt-heiß …“, sagte er nachdenklich. „Gibt es den Ausdruck wirklich?“

„Klar gibt’s den.“ Sie zwinkerte ihm zu und segnete im Stillen die Kapitänin, die jetzt den Beginn des Landeanflugs ankündigte. „Und in die Kategorie fiel der Kuss definitiv nicht. Kein Wunder, dass du Single bist.“

5. KAPITEL

Nachdem Wren sich aus dem Kuss mit einer spektakulären Bruchlandung gerettet hatte, landete der Privatjet sicher auf dem Flughafen von Martha’s Vineyard. Kurz darauf waren sie in einem hübschen kleinen Luxushotel angekommen, in dem alles schrie: Romantik pur!

Wren hatte versucht, sich nicht daran zu erinnern, wie sich Nashs Mund bei ihrem fehlgeleiteten Versuch, das Küssen zu üben, angefühlt hatte, und war mit offener Balkontür eingeschlafen. Sie wollte keinen einzigen Moment ihrer Zeit auf der Insel verlieren – auch, wenn sie wohl oder übel schlafen musste. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war ihr erster Gedanke: Wenn Frieden einen Geruch hätte, dann wäre es der des Meeres. Die Schreie der Seevögel drangen durch die offene Tür, ein heller Gegensatz zu den leisen Tönen der Wellen, die über den Sand heranrauschten. Und was das Beste war: Es gab keinen kalifornischen Verkehrslärm, keine Menschen, die von A nach B und wieder zurück eilten. Die Insel hatte ihren eigenen Rhythmus, und der war wundervoll – fast schon köstlich – langsam.

Als Kind war sie in den Sommermonaten oft an den Strand gegangen, aber diese Ausflüge waren weniger geworden, als sie älter wurde. Schließlich hatten sie sich auf ein paar geschwänzte Unterrichtsstunden beschränkt, in denen sie und ihre Freunde sich zu sechst in ein altes Auto gequetscht hatten, um ans Meer zu fahren. Die Strände von Los Angeles waren nicht mit denen von Martha’s Vineyard zu vergleichen, sie waren breiter, voller Menschen und von Volleyballfeldern und Rollerbladern dominiert. Und dann gab es da noch das Problem mit den fehlenden Parkmöglichkeiten. Die schwer zu findenden, enorm teuren Parkplätze machten kalifornische Strände zu einer größeren Herausforderung als die Besteigung des Mount Everest.

Wren krabbelte benommen aus dem Bett und versuchte, ihren Jetlag abzuschütteln. Doch als sie auf den Balkon trat und das Meer zum Greifen nah vor sich sah, war sie plötzlich hellwach. Vor ihr erstreckte sich der Atlantik in einer scheinbar unendlichen Weite aus blaugrauen Wellen. Eine starke Brise bog das Seegras und wehte den Sand von den Spitzen der Dünen. Sie sah vereinzelte Menschen, die sich am Strand tummelten, in der Brandung plantschten oder nach Treibgut suchten.

Einen Moment lang tat sie so, als wäre sie eine Heldin aus einem ihrer geliebten Romane von Jane Austen. Vielleicht war das hier der fiktive Ort Sanditon und vor ihr breitete sich ihr ganzes zukünftiges Leben mit all den möglichen Abenteuern voller Liebe und Romantik aus.

Nein.

Das hier war kein Urlaub. Nicht wirklich.

Sie warf einen Blick in das Wohnzimmer, das ihr Schlafzimmer mit dem von Nash verband, aber er war nicht da. Dann schnappte sie sich ihr Handy und rief ihre beste Freundin über Face-Time an. Lola arbeitete in der Abteilung für vergleichende Literaturwissenschaft und war umwerfend schön, was sie als schwere berufliche Belastung empfand, da die Leute dazu tendierten, sie anzustarren, statt ihr zuzuhören.

Als Lola jetzt ans Telefon ging, sah ihr schönes Gesicht ziemlich zerknittert und sehr verschlafen aus. „Wren!“ Lola blinzelte, als wäre sie geblendet. „Warum ist es da, wo du bist, taghell?“

So ein Mist. Sie hatte die drei Stunden Zeitunterschied vergessen.

„Oh nein, Lola! Bei dir ist es erst halb sechs! Ich flehe dich an, verzeih mir!“

„Wie wäre es, wenn du mir einfach sagst, wo du bist?“ Lolas Gesicht verzog sich zu einem Stirnrunzeln, das Nash ernsthafte Konkurrenz gemacht hätte.

„Ich bin in Martha’s Vineyard. Mit Nash. Ich helfe ihm aus.“

„Wow.“ Lola zögerte, was ungewöhnlich für sie war. „Ihr zwei seid einfach so quer durchs Land geflogen?“