Lustfaktor - Julia Henchen - E-Book

Lustfaktor E-Book

Julia Henchen

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Beschreibung

Man sollte nur den Sex haben, den man wirklich will. Klingt einfach, doch wie findet man heraus, was einem gefällt? Die Sexualtherapeutin Julia Henchen weiß, dass es für viele gar nicht so einfach ist, die eigene Lust zu entdecken, und zeigt, woran das liegen kann: Ein kleines Gefühl der Scham aus der Kindheit, die Schwierigkeit, die eigenen Bedürfnisse an erste Stelle zu setzen oder zu hohe Erwartungen an einen Megaorgasmus, die Lust wieder in Luft auflösen können. Mit lockeren Übungen und unkomplizierten Anleitungen hilft sie dir, deinen Körper auf unbeschwerte Weise und ohne Scham kennenzulernen. Damit du ein entspanntes Verhältnis zu deiner Sexualität schaffen und deinen Sex genießen kannst!

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Julia Henchen

LUST faktor

Julia Henchen

LUST faktor

Wie du Solosex so richtig genießen kannst

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2022

© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Illustrationen: Daniel Reyle

Redaktion: Ariane Novel

Umschlaggestaltung: Maria Verdorfer

Umschlagabbildung: Shutterstock/pernsanitfoto

Layout und Satz: Ortrud Müller, Die Buchmacher – Atelier für Buchgestaltung, Köln

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0425-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-813-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-814-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

HALLO!

Disclaimer

1. SEX, LUST UND SELBSTBEFRIEDIGUNG – WAS ALLES BESTIMMT DEINEN LUSTFAKTOR?

Mein Weg

Was ist eigentlich Sex?

Selbstbefriedigung ist Teil deiner Sexualität!

Selbstbefriedigung ist gesund!

Warum es sich lohnt, sich mit Solosex auseinanderzusetzen

Die Geschichte der Lust und Sexualität

Sex, Sex, Sex – wo stehen wir heute?

2. VULVA, VAGINA & CO.: EINE KLEINE BIOLOGIESTUNDE

Das Geschlecht – oder: Wir sind alle gleich!

Die Vulva

Groß, größer, Vagina!

Die Zervix

Der Beckenboden

Der Penis

Penis, Vagina und Vulva nach geschlechtsangleichenden Operationen

Wie Vulva und Vagina gepflegt werden

3. WAS UNSERE LUST BEEINFLUSST

Die Libido

Der Orgasmus

Zyklus und Lust

Bedürfnisse und Lust

4. DEINE SEXUELLE ENTWICKLUNG

Sexuelle Biografie

Erste Beziehungen und Herzschmerz

Wie ist deine Sexualität heute?

5. SOLOSEX

Erogene Zonen und Lustpunkte finden

Erotisches Gedankenspiel – wie uns Fantasien helfen

Lust lernen

Entdecke deine Sinnlichkeit

Alles Porno, oder was?

Toys! Toys! Toys! Die Spielwiese für Erwachsene

Dein sexuelles Skript

6. SEX MIT ANDEREN MENSCHEN

Intime Momente

Gemeinsam zum Höhepunkt

Gefällt dir das? Kommuniziere deine Bedürfnisse!

DAS ENDE IST DER ANFANG

DANKE

ANHANG

Meine Empfehlungen

ANMERKUNGEN

ÜBER DIE AUTORIN

HALLO!

Schön, dass du dich für dieses Buch entschieden hast. Ich freue mich, dass du deinen Körper und deine Lust entdecken möchtest. Sich selbst zu befriedigen, sich um seine Sexualität zu kümmern, ist ein Akt der Selbstliebe. Wir alle, jeder Mensch, hat ein Recht auf eine freie Sexualität und auf den Sex, den er wirklich haben möchte. Ich helfe dir in diesem Buch, deinen Körper und dich besser zu verstehen, sodass du deinen Solosex genießen wirst und deinen Körper auf eine liebevolle Art einbeziehen kannst. Dafür arbeiten wir auf allen Ebenen: Wir lernen im Laufe des Buches alle Körper- und Geschlechtsteile kennen, befassen uns mit unseren mentalen Voraussetzungen für unsere Lust. Unsere verinnerlichten Glaubenssätze können zum Beispiel verhindern, dass du deine Sexualität lustvoll ausleben kannst. Wir befassen uns mit weitverbreiteten Mythen und natürlich mit der Frage, wie du deine Sexualität positiv verändern kannst. Ich habe einige Übungen aus meiner Praxis zusammengestellt und werde dir anhand von Geschichten aus meiner Praxis und meinem Privatleben erzählen, welche Lösungen bereits funktioniert haben. Zu unserer Sexualität gehört so viel mehr als nur der Sex mit anderen Menschen – Sexualität ist ein Grundbedürfnis und gehört elementar zu uns. Diesen Unterschied zu verstehen und die eigene Lust zu erfassen, wird dir dabei helfen, deinen Solosex zu genießen und die Sexualität in dein Leben zu lassen.

Mein Name ist Julia Henchen, ich bin Sexualpädagogin, systemische Beziehungs-, Paar- und Sexualtherapeutin und neben meiner Arbeit kläre ich auf meinem Instagram-Account Lustfaktor über falsche Vorstellungen und Mythen über Sexualität auf. Ich möchte, dass du dich und deine Sexualität besser verstehen lernst, damit du dich beim Sex wohlfühlen kannst. In meiner Praxis sehe ich vor allem Menschen mit Fragen zur sexuellen Unlust, Problemen beim Orgasmus, Bindungsthemen oder Verlustängsten. Ich sehe Paare und Einzelpersonen, die sich selbst und ihre Partner*innen verstehen wollen und etwas über ihre Sexualität lernen möchten, und ich treffe Schüler*innen in Schulen, um über Sexualität aufzuklären. Alle eint die Angst, dass etwas mit ihrem Sexleben nicht stimmt.

Meine Mission ist, dass du dich wohlfühlst mit dir und deinem Körper und das tun kannst, was gut für dich ist. Dazu gehört auch, nicht alles zu glauben, was du über dich und deine Sexualität denkst. Das Wichtigste ist, dass es immer darum geht, was du willst. Vielleicht fühlst du dich nicht immer bei allem wohl, was du hier liest, oder du hast eine andere Meinung? Damit habe ich kein Problem, das ist gut und wichtig. Ich möchte dir meine Haltung zum Thema Sexualität zeigen, und die ist eine Meinung. Das heißt nicht, dass diese immer richtig oder für dich passend ist. Ich möchte dich dazu einladen, immer zu prüfen, was du für dich mitnehmen möchtest. Für Fakten oder Hypothesen findest du am Ende des Buches ein Quellenverzeichnis.

Auf Instagram spreche ich offen über Sex und viele Menschen teilen ihre Erfahrungen öffentlich zu diesem Thema. Das heißt aber nicht, dass du das auch tun musst – deine Sexualität gehört nur dir! Das gilt auch für die Frage, ob du Sex haben willst. Sex kann zu einem gesunden Leben beitragen, das liest man häufig und es stimmt auch, zumindest meistens. Denn Sex kann uns auch traurig machen oder uns nicht guttun. Vor allem aber definiert dich Sex nicht, schon gar nicht deinen Wert als Menschen. Frei entscheiden kannst du dich nur, wenn du das ohne Zwang und Druck machst. Du möchtest gerade keinen Sex? Schön, dass du das so klar für dich weißt. Du findest Selbstbefriedigung eher unangenehm? Hey, dann finde andere Wege, um dich gut zu fühlen. Du möchtest mit fünf verschiedenen Menschen an einem Abend Sex haben und für alle ist es cool? Viel Spaß. Sex ist etwas, das in erster Linie Spaß machen soll, keinen Druck verursachen. Nur du definierst deine Lust für dich – sonst niemand.

Es gibt viele falschen Vorstellungen von Sex und Selbstbefriedigung. Ich möchte damit aufräumen und Klarheit verschaffen, da diese viele Menschen begleiten und Sorgen bereiten. Auch dafür ist es wichtig, dass du für dich entscheidest, was du willst. Selbstbefriedigung definiert nicht deinen Wert. Es kann bereichernd sein, sich auf eine Reise zur eigenen Sexualität und zu eigenen Wünschen, Fantasien und zur eigenen Lust zu machen, wenn du dich dazu bereit fühlst. Dafür möchte ich dir hier ein paar Hilfestellungen geben, dafür ist es auch vollkommen egal, wie oft du dich selbst befriedigst. Ich möchte dir in diesem Buch erklären, wie Selbstbefriedigung aus meiner Sicht für die eigene Sexualität wichtig sein kann, was dir helfen kann, dich selbst zu entdecken, und dir Tipps und Anregungen für dein Sexleben mitgeben.

Ich wünsche dir superviel Spaß und freue mich jederzeit über dein Feedback.

Deine Julia

DISCLAIMER

Ich schreibe in diesem Buch von Menschen und Genitalien, denn die Vorstellung, es gäbe nur die Kategorie Mann und Frau, ist einfach falsch. Ich möchte dieses Buch nutzen, um alle Menschen und ihre Lust sichtbar zu machen. Ich nutze daher Begriffe wie »Menschen mit Vulva« oder »Menschen mit Penis«, wenn ich das Genital in den Mittelpunkt stellen möchte, und nicht die Tatsache, wie wir sozialisiert wurden – Menschen identifizieren sich nicht automatisch als Frau oder Mann, nur weil wir Merkmale wie Penis oder Vulva wahrnehmen. Natürlich lerne auch ich und mir passieren Fehler. Sollte dich etwas verletzen, schreibe mir bitte eine Nachricht, denn ich möchte niemanden unsichtbar machen. Du kannst mich über [email protected] kontaktieren.

1. SEX, LUST UND SELBSTBEFRIEDIGUNG – WAS ALLES BESTIMMT DEINEN LUSTFAKTOR?

Sex ist heiß, leidenschaftlich und alles andere als langweilig – so ist die Idealvorstellung vieler Menschen. Wir sollten immer Lust haben, bitte nicht prüde sein und neben gutem wifey Material am besten noch fuckable. Klar, gerne doch! Aber was, wenn der Sex eher mittelgut, das kleine Schamgefühl ständig anwesend ist und sich Solosex komisch anfühlt? Was, wenn das mit dem Orgasmus nicht klappen will, die scheinbar »normalen« ein- bis zweimal Sex pro Woche schon sehr lange her sind und du dich nun fragst, ob das alles normal ist?

Als Sexualtherapeutin habe ich vor allem das gelernt: Alle Menschen stellen sich diese Fragen. Sie denken darüber nach, ob mit ihnen und ihrem Sex alles okay ist, mit ihrer Partnerschaft, mit ihren sexuellen Fantasien. Ist es normal, dass sie beim penetrativen Sex keinen Orgasmus bekommen? Oder dass Sex vor allem Penetration ist? Was ist denn nun normal und was nicht? Und wer – verdammt noch mal – bestimmt das eigentlich?

Allein das Wort »Sex« löst so einiges in uns aus, Druck zum Beispiel, denn, mal ganz ehrlich, sollten wir nicht jederzeit bereit sein? Zumindest bekommen wir das häufig genug durch Werbung, Filme oder Podcasts vermittelt. Sex – ein Kribbeln, Fantasien, Lust. Aber auch: Stress, unangenehme Gefühle, Scham oder gar Schuld.

Ich möchte mit einer Szene aus dem Film Was Frauen wollen starten, um zu zeigen, wie unsere Vorstellung von Sex geprägt ist: Ein Mann legt sich ins Bett, seine Hände wandern unter der Decke hinüber zu seiner Frau. Sie berühren ihren Rücken und streichen zwar vorsichtig, aber fordernd an ihrer Hüfte entlang zu ihrem Bauch. Die Hände wandern unter ihr Nachthemd. Er rutscht näher an sie heran und sie kann seinen Atem in ihrem Nacken spüren. Sie dreht sich um, sieht ihn an und sagt: »Heute nicht, Schatz, ich habe Kopfschmerzen und brauche eine Advil.« Mel Gibson, der den Junggesellen Nick Marshall spielt, hält die amerikanische Version von Ibuprofen in den Händen und antwortet: »Advil – so mild und gut verträglich. Es wirkt sogar, wenn Sie eine Migräne vortäuschen.« Witzig? Nicht wirklich. Ein Klischee? Auf jeden Fall. Und doch ist es eine gängige Vorstellung von Sexualität, vor allem die von weiblich gelesenen Menschen. Diese Geschichte aus diesem Film ist eine Szene, die wir vielleicht auch aus anderen Erzählungen kennen. Sie vermittelt, dass Frauen weniger Lust auf Sex haben. Obwohl wir heute in vielen Filmen diversere Darstellungen sehen, ist das gesellschaftliche Bild von diesem Narrativ geprägt. In Serien wie Sex and the City werden wiederum andere Rollen und Bilder von Frauen und ihrer Sexualität aufgezeigt, aber auch hier sehen wir toxische Beziehungsmuster und die ständige Bewertung der weiblichen Sexualität. In vielen Filmen, in denen die »weibliche Lust« so dargestellt wird, wie wir die »männliche« Lust meinen zu kennen, geht es häufig um dieselben Themen: viel Sex mit vielen Menschen. Wir erzählen dieselbe Geschichte, nur ist es nun eben die Frau, die viel Sex will. Gleichzeitig entsteht bei den Zuschauer*innen das Gefühl, nicht so sexy zu sein wie im Film, nicht so cool und lässig über Sex reden zu können, generell nicht gut genug zu sein. Es vermittelt das Bild, dass du geliebt wirst, wenn du viel Sex möchtest. Oral-, Anal- und Vaginalsex. Sei cooler als andere Frauen, sei willenlos, aber nicht zu offenherzig, sei sexuell verfügbar. Sex and the City war zur damaligen Zeit aber auch eine Serie, die neue Perspektiven auf die weibliche Sexualität eröffnete und mit falschen Vorstellungen aufräumte.

So entstehen vor allem Unsicherheit und ambivalente Gefühle bezogen auf den eigenen Körper, die eigene Sexualität, die eigenen sexuellen Fantasien, und das hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung sexueller Lust. Es führt zu Vergleichen mit anderen Frauen, anderen Menschen, die besseren Sex haben, cooler und schöner sind. Sexy und willenlos. Die gesellschaftliche Darstellung von weiblicher Sexualität ist nicht nur durchzogen von Klischees, sie ist auch darauf ausgerichtet, was Männer wollen. Was sie toll finden, wie sich Frauen im Bett bewegen, stöhnen sollen und wie sie sich selbst berühren – was sie natürlich müssen, alles andere ist prüde. Ich will damit zeigen, dass auch unsere Vorstellungen von Sex und wie er abläuft, von Fantasien anderer geprägt ist. Meist sind es die Fantasien von alten, weißen Männern. Na, vielen Dank auch!

Dieses Bild verändert sich. Das ist gut, und doch leben viele ihren Sex und ihre Sexualität nicht aus. Und am Ende bleiben häufig existenzielle Fragen: Sind meine Fantasien normal? Sind meine Wünsche normal? Ist es okay, dass ich keinen Sex will? Oder nur Sex ohne Liebe? Bin ich wirklich normal? So, let’s talk about Sex, Baby!

MEIN WEG

Eigentlich kam ich per Zufall zum Thema Sexualität – oder vielleicht auch nicht. Auch wenn ich als Sexualtherapeutin arbeite und mich intensiv damit beschäftige, ist meine Reise zu meiner Sexualität noch lange nicht abgeschlossen. Das liegt in der Natur der Sache, Sexualität verändert sich im Laufe des Lebens, genauso wie ich mich verändere, deshalb bin ich mir sicher, dass wir diesen Weg ein Leben lang gehen.

Als Jugendliche habe ich durch Beobachtungen und Erzählungen gelernt, sexy und wilder als andere Frauen zu sein, cooler, nicht eifersüchtig – dann wirst du gemocht. Als junge Frau habe ich gemerkt, sexy gekleidet zu sein, fällt auf, gefällt aber nicht jedem, vor allem nicht immer dem eigenen Freund. Ein bisschen eifersüchtig solltest du schon sein – sonst macht dich das verdächtig. Als Studentin begriff ich, beim Sex solltest du willenlos sein, aber nicht zu leicht zu haben. Heute weiß ich, dass ich und meine Sexualität ständig bewertet wurden. Und endlich begriff ich, dass ich gar nicht weiß, was ich wirklich will. Danke, Mel Gibson.

Es war also auch nicht verwunderlich, dass ich, als ich mit Mitte 20 zum ersten Mal eine Abbildung der Klitoris in ihrer vollen Größe sah, auch erst verstand, wo mein eigener Orgasmus herkommt. Alles, was ich bis dahin über Sexualität und Sex gelernt hatte, betraf nicht meinen Körper, sondern nur die Wirkung auf andere. Ich entdeckte das Kunstprojekt von Sophia Wallace, einer amerikanische Konzeptkünstlerin und Fotografin. Sie wurde durch ihr Projekt Cliteracy bekannt, unter anderem zeigt sie die Klitoris als Skulptur. Ich starrte auf mein Handy und konnte es kaum glauben: Das soll meine Klitoris sein? Wieso hatte ich diese Abbildung noch nie zuvor gesehen? Ich wurde wütend auf diese sexualisierte Gesellschaft, die mir nichts beibrachte, außer wie ich den perfekten Blowjob zu geben habe. Ich beschäftigte mich zum ersten Mal mit der Anatomie meiner Klitoris, und plötzlich wurde Biologie spannend. Die Eindrücke faszinierten mich so, dass ich immer mehr über meinen eigenen Körper lernte. Wie unglaublich und großartig dieser funktionierte. Ich recherchierte, las und betrat eine neue Welt. Ich wollte mehr wissen, mehr darüber sprechen und dieses Wissen weitergeben. Das hat mich so beeindruckt, dass ich entschied, das zu meinem Beruf zu machen: Anderen Menschen erzählen, wie Geschlechtsteile wirklich aussehen und wie sie funktionieren. Denn das wurde mir bei den ganzen Recherchen klar: Wir lernen nicht in der Schule und nicht einmal im Porno, wie die Klitoris aussieht, schon gar nicht, was sie alles kann. Vor allem lernen wir nicht, wie die Selbstbefriedigung der Vulva funktioniert.

Diese Recherchen haben mir geholfen, meinen Körper anzunehmen und ihn zu lieben, wie er ist. Das waren wichtige Schritte zu meiner eigenen Sexualität und zu meiner Lust. Als ich verstanden habe, dass ich nichts wollen muss, was andere wollen, und alles wollen kann, was ich wirklich will, ist der Knoten geplatzt, und das hatte Auswirkungen auf meine mentale, körperliche und psychische Gesundheit. Alles ist okay. Merke dir: Niemand darf dir deine Lust oder deine Gefühle absprechen. Aber genau das passiert, gerade beim Thema Sexualität, immer noch sehr häufig.

WAS IST EIGENTLICH SEX?

Wenn wir über Sex sprechen, ist nicht immer klar, was wir damit eigentlich wirklich meinen. Sprechen wir über Sexualität, so sprechen wir über Bedürfnisse, sprechen wir hingegen über Sex, so sprechen wir häufig über Penetration, Oralverkehr oder andere sexuelle Praktiken. Ich möchte dir einmal den Unterschied erklären, da er für viele Menschen eine wichtige Bedeutung hat. Dafür möchte ich dir Annika1 vorstellen, die mit einer wichtigen Frage in meine Praxis kam. Annika hat gerne Sex mit ihrer Freundin oder mit anderen Menschen. Sex ist für sie ein Ausdruck ihrer sexuellen Identität, ihrer Lust, und sie hat Spaß an Sex. Sex bedeutet für sie aber mehr: Verbundenheit und Nähe. Seit einiger Zeit ist sie nun in einer Beziehung und der Sex wurde immer weniger. Sie fragt sich, ob sie ein sexloses Leben führen möchte oder ob der Zeitpunkt gekommen ist, »weiterzuziehen«. Annika und ich trafen uns für eine Sitzung und wir konnten in dieser Stunde herausarbeiten, welche Bedürfnisse sie mit Sex befriedigen möchte: nämlich ihre Sexualität. Hä?

Aber beginnen wir von vorn. Kennst du die Maslow’sche Bedürfnispyramide? Meistens begegnet sie uns einmal im Leben – in der Schule –, doch eigentlich sind wir täglich mit ihr konfrontiert. Die Bedürfnispyramide ist ein sozialpsychologisches Modell des amerikanischen Psychologen Abraham Maslow (1908–1970). Das Modell beschreibt auf sehr anschauliche Art, wie die menschlichen Bedürfnisse durch ihre Motivation funktionieren. Die Bedürfnispyramide wird in fünf Bereiche eingeteilt. Auf der ersten Stufe vermerkt Maslow die physiologischen Grundbedürfnisse, worunter alle Bedürfnisse fallen, die zum Erhalt des Lebens notwendig sind. Auf der ersten und wichtigsten Stufe befinden sich Bedürfnisse wie zum Beispiel Hunger, Durst, Schlaf und ja, auch Sexualität.2 Momentan mal? Was? Wir müssen SEX haben, sonst sterben wir? Natürlich nicht, aber genau das bleibt häufig im Kopf hängen, wenn Lehrer*innen diese Pyramide nicht im Gesamten erklären. Denn ja, Sexualität ist für unser (Über-)Leben wichtig, Sex hingegen nicht. Es bedeutet allerdings nicht – das wird häufig missverstanden –, dass Sex ein Trieb und für das Überleben notwendig ist.

Was bedeutet das genau? Sexualität umfasst zum Beispiel Nähe, Berührungen und Zärtlichkeit, auch im Wunsch der Zugehörigkeit und Bindung steckt Sexualität. Kurzum: Unter Sexualität wird all das zusammengefasst. Auf der nächsten Stufe befindet sich das Bedürfnis nach Sicherheit, dazu zählt zum Beispiel der Schutz der eigenen Person durch eine Wohnung. Die Stufen darüber sprechen soziale Bedürfnisse an, wie zum Beispiel Freundschaft, und die Wertschätzung der eigenen Person, worunter Anerkennung und Status fällt. An der Spitze steht die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Sex hingegen ist erst einmal genau das, was erwachsene Menschen unter Sex verstehen: Zwei oder mehrere Menschen haben Sex. Für Sex nutzen wir dabei meist unterschiedliche Möglichkeiten, laut der Allgemeinbevölkerung bedeutet Sex meist Penetration, also wenn der Penis von der Vagina aufgenommen wird. Dieses Bild von Sex engt uns jedoch super ein, denn wäre Sex nur Penetration, wäre das ja ganz schön langweilig.

Warum haben wir denn überhaupt Sex? Jetzt wird es spannend: Erwachsene haben häufig Sex, um ihre Bedürfnisse nach Sexualität zu befriedigen. Aha! Menschen, die keine Liebe, keine Nähe oder Berührungen erleben, werden vereinsamen, haben Bindungsschwierigkeiten und können sogar sterben. Dafür beobachtete im Jahr 1946 René Spitz, ein amerikanischer Psychoanalytiker, der sich mit der Erforschung und Psychologie von Säuglingen befasste, wie sich Säuglinge in Waisenhäusern verhalten, die ohne Bindung zu ihren Eltern (oder einer anderen Bezugsperson) aufwachsen. Er beobachtete, wie eine Krankenschwester meist bis zu acht Säuglinge versorgte, die in einem großen Saal untergebracht wurden und nur Nahrung sowie eine hygienische Grundversorgung bekamen. Es wurde also nur zur Fütterung sowie zur Körperpflege mit ihnen interagiert. Spitz beobachtet, wie diese Kinder mehr und mehr vereinsamten, abnahmen, weinten und depressive Verhaltensweisen zeigten. Viele Untersuchungen, die später in Waisenhäusern folgten, zeigten ähnliche Ergebnisse. Der britische Psychologe John Bowlby, der im Auftrag der WHO arbeitete, fand im Anschluss an die Erkenntnisse von Spitz heraus, dass die Bindung zwischen Eltern und Kindern, vor allem im Säuglingsalter, entscheidend für die spätere Bindung ist. Seine Mitarbeiterin Mary Ainsworth konnte außerdem aufzeigen, dass Muster unsere Bindungen prägen. Sie war die erste Psychologin, die von »unsicheren« und »sicheren« Bindungsstilen sprach. Diese Theorie wird bis heute unterrichtet und in der Praxis genutzt.3 Das bedeutet also, dass wir sehr wohl ohne Sex, nicht aber ohne Sexualität leben können.

Kommen wir zurück zu Annika. Annika verstand in unserer Sitzung, dass der Wunsch nach Nähe, Liebe, Zugehörigkeit nicht mit Sex befriedigt werden kann. Sie hatte so viel Sex, und doch blieb ihr eine Leere – das Bedürfnis nach Sexualität wurde nicht befriedigt. Sex mit vielen verschiedenen Menschen gab ihr kein Gefühl von Sicherheit, Liebe und Zugehörigkeit, sondern verunsicherte sie sogar deutlich mehr. Gleichzeitig fragte sie sich zum ersten Mal, wie sie darauf kam, viel Sex haben zu müssen, um als sexueller Mensch zu gelten. Annika konnte in einer Sitzung ihr Thema verstehen.

Es kann also durchaus sein, dass du keinen Sex brauchst, um deine Bedürfnisse nach Sexualität zu stillen. Warum haben wir also Sex? Sex ist eine Form der Kommunikation, der Begegnung, wir können damit die Bedürfnisse nach Geborgenheit, Nähe, Berührungen ausleben und bekommen Bestätigung und natürlich die Befriedigung von Erregung. Wir haben gelernt, dass wir über Geschlechtsverkehr unsere Bedürfnisse nach Sexualität stillen, doch es gibt auch so viele andere Wege: Solosex, Streicheln, Zusammenhalt, Anschauen, Anfassen, Im-Arm-Halten, Jemanden-Halten, Berührt-Werden, Gesehen-Werden. Vielen Menschen, die zu mir in die Beratung kommen, fehlt ihre Sexualität, nicht ihren Sex. Sobald wir das verstanden haben, können wir uns vom Druck befreien und selber bestimmen, wie wir Sex leben wollen.

Daran schließen sich die Fragen an: Wie wurdest du geliebt und wie zeigst du Liebe? Häufig haben wir eine starke innere Stimme, die sehr streng mit uns ist. Eine wichtige Aufgabe in der Therapie ist es, dieser Stimme einen Raum zu geben und zu hören, was sie da eigentlich sagt. Nicht selten vermittelt diese Stimme negative Botschaften, die wir von unseren ersten Bezugspersonen als Säugling und Kleinkind gehört haben. Wie damals mit dir umgegangen wurde, hat viel damit zu tun, wie du heute Sexualität lebst und welchen Zugang du zu ihr hast. Zum Beispiel kannst du dich einmal fragen, ob du deinen Körper generell gut spüren kannst, deine Gedanken eher damit beschäftigt sind, dich und andere zu bewerten, oder du dir liebevoll gegenüberstehst.

Auch unsere Körperhaltung hat viel damit zu tun, wie wir Sexualität erlebt haben. Manchmal nehmen Menschen eine Körperhaltung ein, die »Bleib mir bloß vom Leib« vermittelt. Dann stellt sich die Frage, ob dieser Mensch durch diese Körperhaltung andere Menschen von sich und seinen Bedürfnissen abhalten möchte oder gar muss und ob es ihm unangenehm ist, wenn ihm Menschen nahe sind. Vielleicht hat dieser Mensch als Kind erlebt, dass Bindung etwas Zerbrechliches ist und sie jederzeit wegfallen kann. Diese große Sorge kann sich in der Sexualität zeigen, indem er Sex mit vielen unterschiedlichen Menschen hat, aber keine Nähe aufbauen kann. Oder gar keinen Sex. Ich habe viele Übungen für dich erarbeitet, anhand derer du mehr über deine eigene Bindungserfahrung nachdenken kannst. Du findest sie im Kapitel 3, »Was unsere Lust beeinflusst«, ab Seite 93. Häufig erlebe ich Paare, deren Thema Unlust ist. Es heißt dann: »Sie/Er lässt mich nicht ran, ich sehne mich so sehr nach Liebe.« Machst du auch deine Sexualität und deine Befriedigung davon abhängig, ob andere Menschen sie dir befriedigen, oder sorgst du dich selbst für deine Sexualität? Natürlich ist es auch vollkommen legitim, wenn wir uns in einer Partnerschaft wünschen, Sex mit dieser Person haben zu wollen. Letztlich ist aber jeder Mensch für seine eigene Sexualität verantwortlich. Dies kann zum Beispiel auch bedeuten, dass Solosex ein wichtiger Teil deiner Sexualität ist, ebenso wie partnerschaftlicher Sex.

Es kann also viele neue Erkenntnisse für dich bereithalten, wenn du dich mit deinen Erfahrungen aus der Kindheit befasst. Ich erlebe es nicht selten, dass Menschen davor große Angst haben und sich Sorgen machen: »Was, wenn ich etwas Schlimmes über mich oder meine Vergangenheit herausfinde?« In der Praxis erlebe ich immer wieder, dass Menschen befürchten, dass sie vielleicht schlimme Erfahrungen gemacht haben könnten, die sie verdrängt haben und die in der Therapie zum Vorschein kommen. Eine andere weitverbreitete Angst ist, dass sie befürchten, etwas über ihre Fantasien herauszufinden, das abnormal sein könnte.

Ich möchte euch diese Angst ein wenig nehmen, wenn ihr beginnt, euch mit euch selbst und eurer Sexualität zu beschäftigen, oder gar überlegt, eine Therapie in Angriff zu nehmen. Es kann sein, dass ihr etwas Neues über euch erfahrt, das vielleicht Angst macht. In der Regel ist es aber gar nicht so, dass man etwas Neues erfährt, weil man es verdrängt hat oder gar »im Unterbewusstsein begraben hat«. Für viele Menschen ist das Unterbewusstsein wie eine verschlossene Truhe, worauf wir keinen Zugriff haben – bis uns ein*e Therapeut*in danach fragt.4 Dieser Mythos, der dafür sorgt, dass viele Menschen Angst vor ihrer Vergangenheit haben, kann dazu führen, dass wir keine Gedanken an Sexualität oder Sex teilen möchten.5 Nicht selten sind diese Ängste unbegründet, vielmehr sind die Gefühle, die uns in Zusammenhang mit Sexualität beschäftigen – Scham oder Sorge –, unerwünschte Gefühle, die wir nicht zuordnen können. Unsere Sexualität ist eng mit unseren Bezugspersonen verknüpft und viele Gedanken in diesem Bezug sind uns peinlich. Sex, Sexualität und Eltern? Passt einfach nicht zusammen.

Wow – Sex und Sexualität hat uns nun tief in deine Bindungserlebnisse gebracht. Das ist ziemlich spannend, oder? Und gleichzeitig ergibt es so viel Sinn. Vielleicht ergeht es dir wie Annika und du hast das Gefühl, dass du durch Sex deine Bedürfnisse nicht so recht befriedigen kannst. Dann darfst du dich einmal fragen, wie dein Sex momentan aussieht und wie er aussehen müsste, damit du dein Bedürfnis nach Sexualität vollkommen befriedigen kannst. Vielleicht fehlen dir Berührungen? Vielleicht fehlt dir auch generell ein Zugang zu deiner Sexualität in deinem Alltag und der Sex mit anderen Menschen ist gar nicht so wichtig. Vielleicht hast du Sex, um deine Lust auszuleben, für Sexualität brauchst du aber viel mehr Vertrauen? Es kann spannend sein, sich diese Gedanken in Bezug auf deine Selbstbefriedigung zu machen. Ist es für dich schön, deine Sexualität und deine Bedürfnisse durch Solosex zu befriedigen?

SELBSTBEFRIEDIGUNG IST TEIL DEINER SEXUALITÄT!

Ich kenne Frauen, die tun es nicht, ich kenne Frauen, die machen es ständig, ich kenne Frauen, die entdecken es erst mit 30 und andere bereits im Jugendalter. Das alles spielt überhaupt keine Rolle, doch was eine Rolle spielt und was viele vereint, ist, dass sie nicht immer wissen, wie groß die Klitoris ist und wo sie eigentlich genau sitzt. Hinzu kommt, dass viele es schnell tun, als ob Selbstbefriedigung etwas ist, das man rasch hinter sich bringen müsste. Das ist kein weibliches Phänomen, nein, die meisten Menschen, egal, welches Genital sie haben, versuchen, während der Selbstbefriedigung schnell zum Orgasmus zu kommen. Das geschieht nicht unbedingt bewusst. Viele tun es schnell, leise und fühlen sich nicht immer gut danach. »Was habe ich denn da gemacht, das gehört sich aber nicht«, meldet sich der Kopf beschämt und schüchtern. Wenn ich meine Klient*innen oder Freund*innen frage, warum sie sich selbst befriedigen und welches Ziel sie dabei haben, höre ich häufig: »Ich komme unter zwei Minuten.« Ja, das ist toll, aber was ist das Ziel? Die Befriedigung wird mit viel Druck und unter Anspannung durchgezogen und viele meiner Klient*innen haben sich in ihrem Leben noch keine großen Gedanken darüber gemacht. »Das gehört sich aber nicht«, »So was tun nur Schlampen oder Menschen, die keine Beziehung haben, weil ihnen etwas fehlt« – diese Glaubenssätze können tief verankert sein und sind der Grund für die Schamgefühle. Hinzu kommt die Sorge, erwischt zu werden und was der- oder diejenige dann denkt – wie peinlich.

»Selbstbefriedigung ist mir ehrlich gesagt total unangenehm und ich kann mich überhaupt nicht drauf einlassen. Ich habe ständig das Gefühl, als ob mich jemand beobachtet oder ich etwas mache, was ich nicht sollte«, erklärte mir meine Freundin Lena aufgebracht, als ich ihr erzählte, dass ich mit meinen Klient*innen viel über Solosex sprechen würde. »Gleichzeitig habe ich immer das Gefühl, ich muss es wollen, ansonsten gelte ich als langweilig. Langweilig im Bett.« Lena klang traurig und ich höre ihr zu und nickte bestätigend. »Warum hast du Sex?«, fragte ich sie. Sie sah mich verdutzt an. Forscher*innen haben herausgefunden, dass es mehr als 200 Gründe für Sex gibt.6 Zum Beispiel aus Langeweile, aus Lust, aber auch ganz gewöhnliche, zum Beispiel um sich davor zu drücken, die Spülmaschine einzuräumen. Sex wird aber auch als Vermeidungsstrategie eingesetzt, zum Beispiel um Streit zu verhindern.

Meine Freundin dachte nach, bevor sie antwortete: »Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Ich dachte aus der Lust heraus, aber ich habe häufig das Gefühl, einfach Lust haben zu müssen, und danach fühle ich mich komisch. Beim Sex mit Tim ist das auch so, wenn ich jetzt darüber nachdenke.« Ich finde es schön, dass Lena ihren Solosex als »richtigen Sex« bezeichnet und wertet, viele Menschen tun das nicht. Oft wird nur die Penetration als ernsthafter, richtiger, erwachsener Sex gewertet und in dieser Vorstellung gehört Solosex, oder Sex zwischen zwei Frauen, häufig nicht dazu.

»Glaubst du denn, du musst Sex haben?«, fragte ich Lena interessiert. Wieder überlegte sie, diesmal etwas länger. Ich sah ihr an, dass sie nach einer Antwort suchte und sie nicht fand. »Ich habe absolut keine Ahnung. Wahrscheinlich ja«, sagte sie schließlich. Ich merkte, dass sie gerade Widerstände überwinden musste, um das laut auszusprechen. Während ich zu einer nächsten Frage ansetze, hält Lena die Luft an. »Angenommen, dein Sex wäre begehrenswert, was wäre anders?«, fragte ich sie, inzwischen mit dem Anliegen, meiner Freundin dabei zu helfen, sich selbst und ihre Lust besser kennenzulernen. Lena seufzte. Sie flüsterte: »Denkst du denn, dass Sex immer gut sein muss?« Ich hörte ihre Sorge und wieder die Frage aller Fragen: »Bin ich normal?« Ich wusste genau, wie sich Lena fühlte. Ich sah sie an und nahm sie in den Arm.

In einer Gesellschaft, in der sich alles um Sex dreht und gleichzeitig so viele Mythen über unseren Körper und unsere Sexualität existieren, sind diese Fragen eben genau das: normal. Sei sexy, aber keine Schlampe. Sei hemmungslos, aber bitte nicht zu sehr. Schäm dich für deinen Ausfluss, deine Menstruation und deinen Geruch. Wir lernen, wie wir stöhnen sollen, wie wir dabei aussehen müssen oder was wir sagen dürfen. Wir lernen leider aber kaum, wie wir Zugang zu unserer Lust finden, wie wir uns beim Sex gut fühlen und wie wir unsere Sinnlichkeit genießen können. Wir lernen nicht, dass jeder Mensch seine Lust anders lebt, fühlt und auch nicht, dass es nicht nur »weibliche« und »männliche« Lust gibt.

»Nein, das denke ich nicht«, antwortete ich. »Es ist kaum möglich, immer Lust zu haben, wenn wir ständig darüber nachdenken, ob wir nun sexy daliegen, hemmungslos stöhnen müssen, unsere Menstruation verstecken oder wie Angst haben, er könnte nun gleich meine Falten am Po sehen. Wir alle vergleichen uns beim Sex und beobachten uns selbst. Ständig überprüfen wir uns und unseren Sex, da ist es nicht einfach, den Sex zu genießen. Hinzu kommt, dass es in Beziehung oft schwierig ist, immer den Zeitpunkt zu finden, wo beide Partner*innen Lust empfinden und Sex möchten«, antwortete ich. Lena wirkte erleichtert. »Aber ich denke, dass es sich lohnt, mehr von dem Sex zu haben, den du wirklich willst«, fügte ich hinzu. Das saß. Wenn wir nämlich konsequent nur noch den Sex hätten, den wir wirklich wollen und fühlen, hätten wir vermutlich weniger häufig Sex oder aber viel mehr – vielleicht aber auch nur noch mit uns selbst! Es ist aber ebenso Realität, dass wir in Partnerschaften manchmal Sex haben, obwohl wir eben keine Lust haben. Auch das ist in Ordnung, wenn es dir damit gut geht.

»Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht wirklich, was ich will und was mir gefällt. Ich habe das Gefühl, ich ahme das nach, was ich im Porno sehe«, gab sie zu. Und auch damit ist Lena nicht alleine. Wir lernen durch Pornos – doch ein Porno ist nun mal keine Dokumentation, vielmehr ein Actionfilm, und wir sehen eben auch dort nicht immer, wie Sex sein könnte, der uns gefällt. Sex ist so viel mehr als Penetration. Sex ist vor allem auch Solosex – Selbstliebe und Selbstfürsorge. Und leider lernen wir weder im Porno noch in der Schule, wie das gut gelingen kann. Pornos können toll sein, die Frage ist, für was du sie nutzt.

Menschen sind sexuelle Wesen, und das bereits vor der Geburt. Bereits ungeborene Babys stimulieren ihre Genitalien im Bauch der gebärenden Person und auch im hohen Alter haben Menschen noch Lust – auch auf Sex.7 Es ist also ein Mythos, dass Frauen mit ihrer Menopause Lust auf Sex verlieren. In Seniorenheimen wird beispielsweise immer wieder mal ein Anstieg von Geschlechtskrankheiten vermerkt.

Lena sah mich nun mit großen Augen an. »Woher weiß ich denn, was mit gefällt? Und wie ich mich selbst richtig befriedige?«, fragte sie mich. Viele meiner Klient*innen haben dieselben Fragen und die meisten beschreiben sich selbst als weiblich. Ich bewerte es nicht, es zeigt vielmehr, dass sich Frauen häufiger um ihre Gesundheit kümmern. Wie wir mit unserer Sexualität umgehen, sagt viel über unser Wohlbefinden aus. Und das kann beim Ausprobieren gelingen, wenn man sich mit den Schamgefühlen auseinandersetzt, Fehler in Kauf nimmt, den Mut aufbringt, sich zu zeigen – nicht nur anderen, auch sich selbst –, und es schafft, wirklich ehrlich zu sich selber zu sein. Also los geht’s!

SELBSTBEFRIEDIGUNG IST GESUND!

Solosex ist gesund. Aber auch, wenn du keinen Solosex hast, kannst du gesund leben und schon gar nicht definiert diese Tatsache deinen Wert als sexuellen Menschen. Du kannst dich damit beschäftigen und ergründen, warum du es nicht machst, und ich helfe dir gerne dabei, aber du solltest dich nicht zu etwas zwingen, was dir vollkommen fremd ist. Nur du entscheidest, ob du dich selbst befriedigen möchtest.

Was Solosex aber ganz bestimmt ist: ein Akt der Selbstermächtigung. Wir könnten sogar sagen, Solosex ist politisch. Es ist ein Akt der Befreiung. Es erfüllt damit ein wichtiges Bedürfnis. Durch Solosex spürst du, dass deinSex und deine Sexualität