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Dieses Buch ist eine Sammlung von Gedichten und Kurzgeschichten, die sich gegenseitig ergänzen. Die Poesie fängt die flüchtigen Momente des Lebens ein, während die Kurzgeschichten die Gedanken dahinter vertiefen.
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Seitenzahl: 64
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Vorwort
Singen ist wie Staubwischen auf der Seele
In Memoriam
Führerschein für die Ewigkeit
Der letzte Einsatz
Dicke
Die Magie des Tanzes
Am Weg entlang mit meinen Kindern
Kleine Entdecker
Der Generalschlüssel oder: Ode an einen kleinen, metallenen Gegenstand, der mir anvertraut wurde
Perlmutt (ein kurzes Märchen)
Anders
Geburtstagsüberraschung
Der Mann mit dem Schraubenschlüssel
Tabak
Nachwort
"Stell dir vor, ein Gedicht wäre ein Puzzle und eine Kurzgeschichte das Bild, das am Ende entsteht. In diesem Büchlein findest du eine Sammlung von Fragmenten, die sich zu einem größeren Ganzen zusammensetzen. Tauche ein in die Welt der Worte und entdecke, wie sich die verschiedenen Teile zu einem faszinierenden Mosaik verbinden."
Eine kleine alte Dame
saß stets allein,
bei uns im Heim.
Ich bot ihr einen Besuch
in unserem Haus-Chor an.
Sie sagte: „Schwester, ich kann da nicht hin,
weil ich nicht singen kann.“
Ich sagte, dass das dort so ziemlich
in Wirklichkeit keiner kann,
und klingt es auch schief
nach Brummen und Quietsch,
es hört sich doch fröhlich an.
Da sagte sie ernst: „Ich kanns halt nicht,
mein Herz ist von Trauer durchdrungen.
Mein einziges Kind hat den Freitod gewählt.
Seitdem hab ich nicht mehr gesungen.“
Es war ein grauer Nachmittag, als Doris in ihrem Zimmer im Pflegeheim am Fenster saß. Das Licht der Sonne fiel schüchtern durch das Glas und malte zaghaft schwache Schatten auf die weiß getünchten Wände. Der Raum war spärlich eingerichtet: ein Bett, einfach mit geblümter Bettwäsche und hellgrünem Laken. Ein Tisch mit einer Blume, die schon längst ihre Blütenblätter verloren hatte und deren Namen sie nicht kannte. Und ein weiterer, hölzerner Stuhl ohne Sitzpolster. Der leer blieb.
Doris sah, wie die Bäume im Wind draußen schwankten. Da begann sie mit einem Mal leise zu sprechen, als ob sie sich selbst zuhören wollte.
„Es ist so still“, begann sie. „Es ist merkwürdig, wie langsam die Zeit vergeht, wenn man allein ist. Früher war ich umgeben von Menschen. Familie, Freunde… das Lachen der Kinder. Jetzt… jetzt ist es so still.“ Sie seufzte. „Manchmal höre ich das Rauschen der Blätter. Ich frage mich, ob sie auch mich manchmal hören können. Und ob sie wissen, dass ich hier alleine bin.“ Sie atmete tief ein und fuhr fort: „Ich hätte so viele Geschichten zu erzählen. Erinnerungen, die ich gern mit jemandem teilen würde. An die Sommerferien am See, die ich oft mit meinem Mann verbracht habe. An die Winterabende, an denen wir zusammen vor dem Kamin gesessen sind und Bratäpfel gegessen haben.“ Eine Träne stahl sich über ihr Gesicht, bahnte sich ihren eigenen Weg über Falten und Altersflecke. Dünne Haut. Leicht aschfahl. „Wo sind sie alle?“, fragte sie etwas lauter. Die weiß getünchten Wände blieben ihr eine Antwort schuldig. „Wo sind sie alle hin? Warum kommen sie nicht?“ Leicht nickte sie. „Sie leben ihr eigenes Leben. Ich habe immer gedacht, dass die Familie zusammenhält. Dass wir füreinander da sein werden. Aber hier sitze ich nun, Tag für Tag. Und niemand fragt nach mir.“
Doris sah auf ihre Hände, die gleich ihrem Gesicht von der Zeit gezeichnet waren. Sie lächelte bitter: „Ich hab nie Wert auf Materielles gelegt. Aber jetzt, wo ich fast nichts mehr habe, vermisse ich die kleinen Dinge. Ein gemaltes Bild von den Enkeln. Selbst gebackene Kekse zu Weihnachten. Einen Kuss. Ein gutes Wort. Ein Lächeln! Ein einfaches Lächeln von dir, mein Kind, das würde mir genügen. Wie geht es dir überhaupt, Paul? Wie geht es dir? Und deiner Frau? Ich lebe in der Erinnerung. Ein Raum voller Menschen, durch die mein Schatten schleicht. Ich bin ein Flüstern. Ein Flüstern im Wind. Und es verweht.“
Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf und sie sprach weiter zu sich selbst: „Manchmal hoffe ich, dass die Post mir einen Brief bringt. Einen kleinen Gruß von jemandem, den ich kenne. Der mich gekannt hat. Aber Briefe kommen nur für die anderen. Ich habe gelernt, die Einsamkeit zu akzeptieren. Die Stille. Sie sind meine ständigen Begleiter geworden. Sie sind immer hier. Und manchmal, wenn die Dunkelheit hereinbricht, wünsche ich mir, beides würde gebrochen werden. Doch ich bin verloren. Vergessen. Selbst gebrochen. Allein.“
Sie hielt inne und schaute weiter durch das Fenster, wo die letzten Sonnenstrahlen hinter den Häusern der Nachbarschaft verschwanden. Hinter Häusern, in denen Menschen wohnten. Familien zu Abend aßen. Spielten. Fern sahen. „Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die so empfindet. Aber es ist so schwer, wenn man in der eigenen Einsamkeit gefangen ist, das anzunehmen. Ich wünschte mir, dass die Menschen lernen zu verstehen, wie wichtig es ist, füreinander da zu sein. Nur ein kleines Lächeln. Ein kurzer Besuch. Das kann die Welt für jemanden verändern.“
Doris lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die müden Augen. „Vielleicht gibt es da draußen ja jemanden, der an mich denkt. Nur ab und zu. Jemand, der mir einen Besuch abstattet, nur um mir zu zeigen, dass ich nicht vergessen bin. Vielleicht traut er sich nicht. Vielleicht denkt derjenige, ich brauche ihn nicht. Paul? Ich warte auf dich. Komm zu mir heim. Ich brauche dich!“ Sie räusperte sich, denn ihre Worte klangen mit einem Mal kehlig in ihren Ohren.
„So lange werde ich hier sitzen und auf die Stimmen meiner Vergangenheit hören. Die einzige Gesellschaft, die mir noch bleibt, bevor ich ins Dunkel hinüber gehe. Obwohl ich noch auf eine Zukunft hoffe. Auf eine Zukunft, in der sich die Tür öffnet und jemand kommt.
Oder ich aus dem Nichts ins Licht gerufen werde. Ich bleibe hier in meinem Zimmer. Stille. Stille im Herzen. Voller Erinnerung und dem unerschütterlichen Wunsch nach Verbindung.“
Die Blätter rauschten vor dem Fenster und die Nacht senkte sich nieder. Doris schloss die Augen.
Kaum haben sie den Rouven zu Grabe getragen,
mussten sie auch schon den nächsten Polizisten,
den Tom, begraben.
Diesmal war es kein Mord aus Fremdenhass,
nein, eine ältere Dame trat auf das Gas,
weil für sie offenbar
die Sperrung der Straße nicht offensichtlich war.
Sie fuhr auf das Motorrad des Beamten auf.
Ich frag mich: Wieviel Sachen hatte sie drauf,
dass selbst noch ein zweiter Mann der Eskorte
schwer verletzt wurde?
Mir fehlen die Worte!
Ich frage mich ebenso: wann ist es soweit,
dass man den Senioren zu gegebener Zeit,
vielleicht bei der Ausgabe des Rentenbescheid,
den Nah- und den Fernverkehr kostenlos zu Verfügung stellt?
Das kostet den Staat doch gewiss nicht die Welt.
Würde es so eine Vereinbarung geben,
könnte manch Unfallopfer noch leben.