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Auf der Privatinsel Fox Cavern ist Ruhe eingekehrt. Die Ex-Kommissare Wolf und Steinmann leben dort zurückgezogen mit ihren Mündel. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als Steinmann im Internet auf einen Nachrichtenartikel aus der alten Heimat stößt. In diesem wird vom Mord an dem Jungpolizisten Jörg Münzner und von dem Verschwinden seines Kollegen Jens Bäumler berichtet. Wolf und Steinmann bieten ihrem ehemaligen Vorgesetzten Johannes Caspari daraufhin ihre Hilfe an. Mit schrecklichen Folgen. Du führst mich aus dem Kerker der Finsternis, denn du willst meine Seele nicht in der Hölle lassen.
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Seitenzahl: 276
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Für Rouven, Harald, Peter, Yasmin, Alex, Michéle u.v.a
Wer so gewirkt im Leben,
wer so erfüllte seine Pflicht
und stets sein Bestes hat gegeben,
der bleibt für immer uns ein Licht.
-unbek. Verfasser-
Prolog
Der heimliche Freund
Fox Cavern
Trouble vor der Hochzeit
Festgesetzt
Adel verpflichtet
Das Loch im Boden
Diverse Operationen
Unwegsames Gelände
Angriff ist die beste Verteidigung
Sehr viel Intensives
Ich bin Anwalt! Ich darf das!
Piss off
Sonja
Epilog
Nachwort
Karlheinz Steinmann brachte seinen ersten Menschen um, da war er noch nicht trocken hinter den Ohren. Da war er zehn. Ohne Witz. Erst danach fing er an, teure Anzüge zu tragen. Bevorzugt maßgeschneidert. Aber dazu später. Karlheinz war ein cholerisches Kind. Doch das allein war nicht der Grund für den Ausraster, der zum ersten Mord führte. Das war eher der bohrende Hass, als der Jähzorn gewesen, sowie seine Verzweiflung und sein Hang zur Agnostik. Er glaubte noch nie so recht an den lieben Gott und an dessen himmlischen Richterspruch, an eine bessere Welt nach dem Tod und dass dann alles gerächt werden würde. Was hatte man auch davon, hier unten auf Erden zu Lebzeiten? Und schon gar nicht mehr glaubte er an die Wahrhaftigkeit des Herren da oben, seit er den Dienst bei der Polizei angetreten hatte. Von da ab mordete er nur noch mehr. Der Grund dafür war simpel: so viele Arschlöcher und nur ein Sensenmann. Und dem gelobte er Unterstützung. Den Mann, den Steinmann als erstes getötet hatte, war so ein Arschloch gewesen. Er hatte sich mehrfach an seiner Tochter vergangen. Kein Mensch hatte das Recht, sich an einem wehrlosen Kind zu vergreifen. Oder an einer Frau. Oder an einem Tier. Es war so einfach seine Macht auszuspielen, wenn der andere kleiner oder schwächer war. Obendrein hatte der Kerl Steinmanns besten Freund erschreckt. Nein, nicht nur erschreckt: Roland war total verängstigt gewesen. Und einem Roland Wolf machte so schnell nichts Angst. Karlheinz war genauso wenig ängstlich. Er war auch nicht schwach. Er war viel eher besessen. Und vielleicht auch ein klein wenig verrückt. Ja, er war verrückt. Verrückt wie ein Hutmacher. Aber auch cool bis ins Mark. Selbst Roland war cool. Ganz besonders cool sogar. Und das mit Neun! Darum, wenn Roland etwas Angst machte, dann war da schon was dahinter. Und so hatten sie den Mord zusammen begangen. Fifty-fifty. Und auch für Roland war es das erste Mal gewesen. Jeder der beiden Jungs hatte sich von dem Mann ein Bein geschnappt, spontan und ohne darüber nachzudenken, dann hatten sie ihn vom Dach des Krankenhauses geworfen. Abflug und… auf Nimmerwiedersehen! War es damals schon stumme Übereinkunft gewesen? Telepathie? Oder beidseitig kindlicher Übermut? Wer weiß? Nach der Tat waren sie über sich selbst erschrocken. Schockiert über das, wozu sie fähig waren. Aber sie hatten es getan. Sie hatten einen Menschen getötet, waren dann davongeschlichen und in einem nahen Hinterhof, nur zwei Querstraßen weiter, hatten sie sich übergeben und fasst in die Hosen gepisst. Gott würde sie hierfür bestrafen! Aber der göttliche Zorn blieb fern. Wahrscheinlich war das damals der Grund gewesen, warum Karlheinz endgültig seinen Glauben verlor. Oder fühlte er sich bestärkt, weil nichts geschah? Weil Gott sie nicht richtete? Keiner sie verhaftete? Keiner sie verdächtigte? Als Kind ist es schwer, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Aber wie gesagt: sie hatten es getan. Kurze Zeit später fing das mit den Anzügen an. Zwei Monate später begann Karlheinz, sich wie Roland zu kleiden. In teuren Zwirn. Wie er seine Eltern dazu brachte, ihm die exquisiten Dinger zu finanzieren, ist nicht überliefert. Das ist auch nicht wichtig. Er war, wie er war. Und jetzt war Karlheinz Steinmann tot. Tot und begraben. Und, wie könnte es auch anders sein? In seinem besten Anzug. Wie es dazu kam? Tja, das hängt mit einem anderen Loch zusammen. Einem Loch im Boden, in dem ein Jungpolizist steckte. Ein Jungpolizist, der Wolf und Steinmann gleichermaßen ans Herzen gewachsen war, obwohl sie sich auf Fox Cavern fast gegenseitig getötet hätten. Doch sie verschonten einander und beide Parteien schworen, sich in Zukunft aus dem Weg zu gehen. Wolf und Steinmann beschlossen, ihr Rentnerdasein zu genießen und Stuttgart fern zu bleiben; Jens beschloss dafür, sie ihrer Wege gehen zu lassen. Doch dann kam alles anders. Steinmann musste ja auch per se aus Heimweh rumschnüffeln. Tja… das hatte er nun davon. Vom Einmischen in den Polizeidienst.
Das kleine Mädchen spielte im Sandkasten vor dem Haus einer mehrstöckigen Wohnanlage. Es war kalt. Der Sand war nass, patschig und steinhart. Dennoch fuhr das kleine Mädchen unermüdlich mit den Fingern durch den Dreckhaufen, der sich den Winter über an der Oberfläche des Kastens angesammelt hatte. Ein Gebilde aus altem Laub, Schneeresten und Betonsand. Trostlos. Auch die einsame Schaukel, das Klettergerüst und das Hoppelpferdchen waren alt, verrostet und trostlos. Ihr war langweilig. Es war Anfang März. Keiner wollte zu dieser Jahreszeit mit ihr draußen spielen. Alles Weichlinge. Alles Stubenhocker. Alles verfrorene, kleine Doofmänner. Typisch Stadtfräcke. Sie wäre lieber draußen auf dem Land geblieben, wo es noch normale Kinder gab, die sich auch mal dreckig machen durften. Blöde neue Arbeit vom Papa. Sie hasste das hier. Nur einen Jungen hatte sie hier kennengelernt, der anders war als die anderen. Aber ausgerechnet mit dem durfte sie nicht spielen. Der wohnte zu weit weg. Fast im Wald. Und man musste einen Bach überqueren. Nicht dass der Mama das früher was ausgemacht hätte. Aber in der Stadt war eben alles anders. Die Leute waren anders. So misstrauisch. Und nicht immer kannten die Leute einander. Eben anders als auf dem Land, wo jeder mit jedem irgendwie verbandelt war, sei es beruflich, sei es privat. Genau das hatte ihr gefallen. Aber das hier? Trostlos war es in der Stadt. Öde, wie auch der Spielplatz. Leise begann sie zu Singen. Etwas wehmütiges, denn so war ihr zumute.
„Sandmännchen kommt geschlichen und guckt durchs Fensterlein…“
Bald Zeit fürs Abendessen, dann ab ins Bett. Morgen war Schule. Eine Schule, in der sie noch kaum Freunde gefunden hatte. Schade, dass Gustav so nah am Wald wohnte. Mit ihm konnte sie so toll spielen. Gut, er war ein Junge und darum oft ein bisschen grob und tollpatschig, aber wenn man es ihm sagte, riss er sich immer gleich zusammen. Er hatte auch nie wen zum Spielen. Genau wie sie. Er mochte auch so gern Spielfiguren. Genau wie sie. Nicht die dummen Prinzessinnen und Könige. Die fanden sie beide blöd. Nein, am liebsten spielten sie mit Polizeimännchen. Er hatte ganz viele davon. Mehr als sie. Duzend so viele! Dafür hatte sie eine kleine Polizeiwache und Streifenwägen. Vielleicht könnte sie ja einen davon mitnehmen, wenn es wärmer wurde. Den Gefangenentransporter! Den hatte sie ganz neu. Zu Weihnachten gekriegt. Bestimmt hatte er sowas nicht. Vielleicht konnte sie sich ja von der Mama hinbringen lassen, als Begleitung. Aber… nein, das war nicht so gut. Dann wusste Mama ja, dass sie sich schon weggeschlichen und alleine den Bach überquert hatte und in den Wald gegangen war, wo sie den Gustav kennengelernt hatte. Nein, das war wohl keine so gute Idee. Mama würde sicher schimpfen. Seit sie hier in Stuttgart waren, war eben alles anders.
„Katharina!!“
Das Mädchen legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben zum Balkon im sechsten Stock.
„Jaaa?!“
Ihre Mutter hatte schon den Mantel an.
„Ich muss gleich nochmal los. Möchtest du trotzdem unten bleiben?“
„Ja, bitte. Ist doch noch nicht spät!“
„Gut. Hast du deinen Schlüssel mit?“
„Nein. Bringst du ihn mir runter? Und meinen Transporter?“
„Aber der ist ganz neu! Muss der denn gleich dreckig sein?“
Das Mädchen schmollte gekonnt.
„Brauch was zum Spielen unten, Mama. Mir ist langweilig.“
Die Mutter verschwand vom Balkon. Ein paar Minuten später erschien sie im Zugang des Hochhauses. Mit Katharinas Wolljacke, dem Schlüssel und dem Transporter. Das Kind strahlte und zog sich die pinkfarbene Jacke über. „Danke Mama!“
Nun hatte sie doch noch Gelegenheit, in den Wald zu verschwinden, wenn auch nur kurz.
„Gern geschehen. Aber nicht gleich kaputt machen.“ Sie reichte ihr den Transporter.
„Niemals!“, versprach das Mädchen und stellte ihn vor sich in den schmoddrigen Sandkasten. Sie schob die Seitentür auf. Zwei Polizisten und ein Räuber fielen heraus. Ihre Mutter ging neben ihr in die Hocke.
„So ich geh kurz was Einkaufen. In spätestens einer Stunde bin ich wieder da. Dann können wir zusammen was spielen, bis Papa Feierabend hat.“
„Prima“, sagte das Mädchen. Sie hatte nur noch Augen für das Spielzeug.
„Und Kati, ich möchte nicht, dass du in den Wald gehst, hörst du? Es wird bald dunkel und wir kennen uns hier noch nicht so gut aus. Auch in einem kleinen Wald kann viel passieren.“
„Ich weiß, Mama. Bis später.“
„Bis später.“
Sie strich ihrem kleinen Mädchen über die blonden Haare und ging zum Supermarkt, keine zwanzig Minuten von der Wohneinheit entfernt, den Hügel hinauf. Kaum war sie um die Ecke verschwunden, raffte das kleine Mädchen die Figuren zusammen, steckte sie in den Transporter zurück und nahm den Wagen unter den Arm. Sie sauste den Hügel hinab, zur Brücke am Bach hinunter. Ihre Haare wehten wie Goldfäden hinter ihr drein, ihre Wildlederstiefel polterten über das morsche Holz. In der Mitte der kurzen Brücke stoppte sie voll Hoffnung, blickte übers Geländer und spuckte dann enttäuscht ins trübe Wasser. Wieder keine Fische. Nicht mal ne Plötze! In ihrem Heimatdorf hatten sie sogar Forellen gehabt. Elende Plörre! Sie ließ sich davon nicht die gute Laune verderben, hüpfte munter weiter und hielt an den Schrebergärten entlang direkt auf den immer mehr im Dunklen versinkenden Waldrand zu. Der letzte eisige Atemzug des Winters hauchte ihr sterbend von dort entgegen, doch der Frühling lag schon in den Presswehen. Schade, sie hatte nur knapp eine Stunde, bis Mama wieder kam. Viel mit Gustav spielen konnte sie also nicht. Aber ihm den Transporter wenigstens zeigen. Das war doch auch schon was. Der würde Augen machen! Bestimmt würde er vor Neid ganz grün im Gesicht werden! Er mochte die Polizeisachen doch so gern. Sie begann erneut zu singen, diesmal etwas Fröhlicheres.
„Blüht ein Blümlein, blüht ein Blümlein, blüht im Märzenwald. Kommt der helle, der helle Frühling, kommt der Frühling bald.“
Und wieder einmal lief sie fort. Das zigste Mal schon, seit sie hier wohnten. Katharina war eben ein aufgewecktes, sehr abenteuerlustiges Kind. Keine Lusche. Dann musste sie kichern, denn eine Zeile aus ihrem Lieblingsmärchen fiel ihr ein: `Wenn das deine Mutter wüsste, das Herz im Leib tät ihr zerspringen! ´
Was Mama gesagt hatte, stimmte. Es wurde wirklich schnell dunkel. Im aschgrauen Himmel fand Katharina den ersten Stern. Bis zu Gustav war es aber nicht mehr weit. Sie musste einfach schneller laufen. Sie hastete den schmalen Trampelpfad entlang, der voll von verwelkten Stängeln war. Im Sommer waren das sicher alles Brennnesseln. Kati kannte sich mit Pflanzen aus. Wenn sie da den Gustav würde besuchen wollen, brauchte sie fast ein Buschmesser. Aber bis dahin war noch Zeit und da fiel ihr schon was passendes ein. Wo ein Wille ist, sagte Papa immer, da ist auch ein Weg. Und Katis Weg war fast geschafft. Der Trampelpfad stieg leicht an und führte dann steil nach unten. Ihre Stiefel rutschten kurz, dann hatten sie wieder Griff und sie sprang den Weg bis zu einem riesigen stachligen Gebüsch. Neben dem Gebüsch erstreckten sich dichte Tannen. Mitten darin befand sich, unscheinbar und verborgen, ein rostiges Tor, dessen oberer Rand mit Stacheldraht versehen war. Kati stoppte an dem Tor. Schade, dass der Garten so verwildert war. Bestimmt war er einmal schön gewesen. Aber die Mutter von Gustav war krank und einen Papa hatte er nicht mehr. Auch ein Grund, warum sie fand, dass sie ihn öfter besuchen sollte. Sie rüttelte am Knauf des Tores.
„Guuustav!!“, schrie sie. „Gustav! Ich bin´s, Kati!“
Zuerst blieb alles still. Dann hörte sie Laub rascheln und er kam über die Wiese. Er öffnete das Tor und ließ sie hindurch schlüpfen.
„Hallo, Gustav!“, begrüßte sie ihn aufgeregt. „Schau mal, was ich hier hab! Einen echten Transporter, mit Polizei drin und einem Räuber!“
„Bollizei?“, fragte er neugierig und öffnete die hintere Klappe des Plastikfahrzeugs. Die drei Insassen fielen heraus und vor ihm ins Gras. Er sah sich den Transporter genau an.
„Der ist toll, was Gustav?“
Er nickte anerkennend.
„Tauschen!“, sagte er bestimmt. Dann wollte er sich damit in den Garten zurückziehen. Er winkte ihr, ihm zu folgen, doch Katharina schüttelte schnell den Kopf.
„Ich kann nicht. Meine Mama! Du weißt doch, wie sie ist. Außerdem tausch ich den nicht. Hallo, der ist so gut wie NEU!“
Gustav schmollte traurig. „Tauschen nicht?“
„Nein“, sagte Kati störrisch mit vorgerecktem Kinn. „Und wenn, dann nur gegen was ganz Tolles! Ich muss wieder nach Hause.“
„Schon Hause?“
„Ja, leider. Es wird langsam Dunkel. Aber bald ist es Frühling. Dann komm ich öfter. Dann können wir spielen. Ich wollte dir den Transporter nur erstmal zeigen. Gibst du ihn mir bitte wieder?“
Widerstrebend reichte Gustav ihr den Wagen.
„Also, sei nicht traurig, Gustav. Ich komm sobald ich kann zurück. Tschüss.“
Sie drehte sich um und wollte gehen, da hielt er sie grob am Arm fest.
„Au, du tust mir weh!“
Er zerrte sie ein Stück auf die Wiese, bückte sich dann und hob die aus dem Transporter gefallenen Figuren auf. Er reichte sie ihr.
„Oh, danke“, nuschelte Kati. Ihr Herz hatte fast einen Sprung gemacht. Gustav war eben ein Junge. Und er sprach nicht viel. Er konnte nicht richtig sprechen. Wahrscheinlich hatte er darum keine Freunde. Kati war das egal. Sie verstand ihn auch ohne viele Worte. Sie steckte die Figuren in ihre Jackentasche. „Die hätte ich jetzt ganz vergessen.“
Sie drückte sich wieder durch das Tor, das Gustav sofort hinter ihr verschloss.
„Wenn ich das nächste Mal komm, bring ich dir was mit. Butterbrote. Und warmen Tee. Dann machen wir ein Picknick, ja?“
„Bicknigg?“, wiederholte er fragend. „Bollizei auch?“
Kati nickte. „Klar, den Transporter bring ich natürlich mit. Tschüss, Gustav.“
Sie winkte. Gustav winkte zurück. Sie machte sich schnell auf den Heimweg. Im Wald wurden die Schatten lang. Eine Kröte hüpfte über den Trampelpfad auf dem Weg zum Bach hinunter. Der erste Stern, den Kati vorhin am Himmel bemerkt hatte, hatte längst Gesellschaft bekommen. Jetzt war Eile geboten. Wenn sie nach ihrer Mutter zuhause ankommen würde, gab es sicher richtig Ärger. Sie sauste über die kleine Brücke, ihre Stiefel polterten wieder, aber diesmal machte sie nicht Halt, um ins Wasser zu spucken. Keine Zeit. Keine Zeit! Sie kam gerade oben am Sandkasten an, da bog ihre Mutter mit den Einkaufstaschen um die Ecke. Geschafft! Gerade noch! Kati versuchte, ihre Atmung in den Griff zu kriegen, und sich das Seitenstechen nicht anmerken zu lassen.
„Hallo Mama, wollte grade hoch.“
„Hallo, Kati. Toll, dann können wir ja zusammen gehen.“
Kati nahm ihrer Mutter eine nicht ganz so volle Tüte ab und stellte ihren Transporter hinein, damit sie alles tragen konnte. Ihre Mutter lächelte stolz. Was hatte sie doch für ein liebes, wohlerzogenes Kind. Am Himmel erschien die bleiche Sichel des Mondes.
Toby stand an der Steilklippe und sog tief die frische Brise in die Lungen, die vom Meer herauf wehte. Er stand verdammt nah am Rand der Klippe. Trotzdem schwindelte ihn nicht. Sein Blick ging hinaus aufs Meer, wo erst vor wenigen Minuten die Sonne aufgegangen war. Das prächtige Orangerot des Morgens war zu einem strahlenden Gelb verblasst. Es versprach wieder ein herrlicher Tag im Paradies zu werden. Der Junge seufzte zufrieden. Er liebte es über die Insel zu streifen, wenn alle anderen Bewohner noch schliefen. Das heißt alle, bis auf einen. Nur Roland schaffte es in der Regel noch früher als Toby aus den Federn. Doch der ließ ihn in Ruhe. Keiner wusste besser als Roland, wie sehr Toby den Schutz dieser Insel genoss. Den Schutz, die Ruhe, den Frieden. Schon einmal hatten Toby Campell und seine Familie sich in Sicherheit gewiegt. In eine trügerische Sicherheit, die dann jäh zerstört worden war. Hier auf Fox Cavern gab es eine solche Störung nicht. Fox Cavern war für die Außenwelt tabu. Die Insel war das Kleinod von Roland Wolf, und der teilte es gern mit seinen Freunden und seiner Familie. Auch Roland war, wie Toby, auf charmante Art ein Einzelgänger, obwohl die beiden vieles Gemeinsam hatten. Oft schafften sie es stundenlang, sich aus dem Weg zu gehen, bis Tobys Pflicht begann. Seine Pflicht als Schüler von Roland, der ihn unter seine Fittiche genommen hatte. Von ihm lernte der Junge einfach alles: Etikette, Klasse, Stil. Und das ohne dabei wie ein billiger Abklatsch seines Mentors zu wirken. Toby blieb er selbst. Er wollte Roland nicht imitieren, er wollte können, was der konnte, um möglichst glaubwürdig in seiner neuen Rolle als Neffe des Earls von Fox Cavern zu wirken. Und um möglichst viel Zeit mit dem Ex-Kommissar verbringen zu können. Dazu fühlte er sich mehr als verpflichtet. Das war er ihm schuldig. Für den Schutz, die Ruhe, den Frieden. Toby fasste in die Brusttasche seines Jeanshemdes und fingerte eine Zigarette heraus. Er zündete sie an und rauchte bedächtig ein paar Züge. Eine Unart, die er sich einfach nicht ganz abgewöhnen konnte. Aber warum sollte er? Vor knapp zwei Jahren wäre er fast an etwas anderem gestorben, schlimmer als jedes Karzinom. An Walter P. McIntosh. Wer den zum Feind hatte, brauchte an Lungenkrebs keinen Gedanken zu verschwenden. Ein plötzlicher Schauer ließ ihn frösteln. War es die Erinnerung, oder hatte der Wind aufgefrischt? Unwichtig. Toby widerstand dem Drang, sich über die Schulter blicken zu müssen. Hier verfolgte ihn garantiert niemand. Die Kälte wich. Seine Nackenhaare kehrten in ihre Ausgangsposition zurück. Ein lauer Wind strich ihm über Stirn und Wangen. Auf der Insel gab es das ganze Jahr lang kaum weniger als zwanzig Grad plus. Und was McIntosh anging…. nun, der war Vergangenheit. Nicht viel mehr als eine dunkle Gestalt in den Windungen seines Gehirns. Ein Spuk in der Seele. Kaum ein Schaudern wert. Toby dankte Roland für die Sicherheit, die Ruhe und den Frieden seiner Ansicht nach noch viel zu wenig. Hinter Toby erklang ein leises Geräusch. Ein Schnuffeln, ein vorsichtiges Tapsen. Noch vor wenigen Wochen wäre Toby beim Rascheln eines Unkrautbüschels kopfüber hinter dem nächsten Felsen verschwunden. Inzwischen war er nicht mehr so ängstlich. Selbst wenn ihn hier auf der Insel jemand angreifen würde, was utopisch war, wusste er sich inzwischen zu verteidigen, Rolands Unterricht sei Dank. Ja, er schuldete ihm mehr als ein paar Minuten seiner Aufmerksamkeit….er verdankte ihm sein Leben, nebst seiner Lebensqualität! Das Schnuffeln wurde lauter, hielt dann inne und wurde zu einem heiseren Niesen. Dicht hinter Toby gab der Hund ein dumpfes kratziges Bellen von sich. Toby drehte sich um.
„Prima, du hast mich gefunden, Herr Schlunski“, lobte er den riesigen, schwarzen Neufundländer. Schlunski kam schwanzwedelnd heran und ließ sich von dem Jungen streicheln. Klar hatte er ihn gefunden. Schlunski hatte nicht lange nach seiner Spur suchen müssen. Die Turnschuhe der Jungs gaben für seine Hundenase nur zu genüge Duftstoffe ab. Manchmal fragte er sich, ob die das nicht selber riechen konnten. Nun, was scherte es ihn? Er hatte getan, worum sein Herrchen ihn gebeten hatte. `Such Toby, Junge. Such! ´
Ein Befehl, den Schlunski mochte.
„Will Roland mich sehen, hm?“, fragte der Aufgestöberte ihn kraulend und Schlunski bellte erneut sein heiseres Bellen. „Dann los.“
Schlunski ging voran und Toby folgte ihm den steilen Klippenweg hinauf und über die große Wiese bis hinter das elegante Herrenhaus, wo auf der Terrasse Roland Wolf am Frühstückstisch saß. Sein Butler und Leibwächter Hendrik Trabe, alias Joseph Fletcher, stand in Habachtstellung hinter ihm, stets auf Befehl und Order harrend. Seinem wachen Blick entging nicht die geringste Kleinigkeit. Er war Rolands zweites Paar Augen. So war auch er es, der Toby als erster entgegen blickte. Er schmunzelte, als er den Hund mit seiner Beute im Schlepptau herankommen sah.
„Braver Hund!“, würdigte er Schlunskis nasale Künste, und gab dem Tier ein Leckerchen aus der Hosentasche, das sofort schmatzend verputzt wurde. Dann deutete er auf den Stuhl neben Roland und Toby nahm Platz, während Herr Schlunski sich bei seinem Herren auf den Boden sinken ließ. Noch bevor sein Kopf auf den Pfoten gebettet war, schlief der Hund schnarchend ein. Ach ja, den Toby-Jungen suchen, das war ja ganz nett. Aber im Übrigen war ihm recht langweilig auf diesem Steinhaufen namens Fox Cavern. Hier gab es ja nicht mal Kaninchen.
„Kaffee?“, fragte Roland und Toby nickte.
„Gern. Gibt´s was Bestimmtes, oder hattest du nur Sehnsucht nach mir?“
Während Hendrik schweigend Kaffee einschenkte, bemerkte Toby die heitere Miene Rolands und er erwartete neugierig dessen Bericht.
„In der Tat, ich habe Neuigkeiten. Hendrik war heute schon unterwegs, die Kinder mit dem Helikopter nach Jersey in die Schule fliegen. Bei der Gelegenheit war er im Postamt, meine Korrespondenz abholen, und du rätst nicht, was da unter den Umschlägen war. Eine Bekanntmachung.“
Toby nahm Roland einen hellblauen Umschlag aus der Hand und warf zuerst einen Blick auf den Absender. Vertrauen war gut, Kontrolle besser. Doch dann lächelte er. „Jens? Jens Bäumler? Was hat der denn bekannt zugeben?“
Seit Jens seinen Ex-Polizeikollegen Roland Wolf auf der Insel aufgespürt hatte, etwas, was vor ihm noch keinem anderen geglückt war, hatte er nichts mehr von sich hören lassen. Er hatte auch allen Grund dem Clan aus dem Weg zu gehen, wenn ihm sein Leben lieb war. Hendrik hatte dem Jungbullen unmissverständlich klar gemacht, dass er um nichts auf der Welt den Aufenthaltsort der Familie preisgeben durfte, wenn er nicht eines grausamen Todes sterben wollte. Zu Recht hatte Jens eine Heidenangst vor Rolands Butler, der zwar leicht unter paranormaler Einsilbigkeit litt und eine Kurzwortbausteineritis an den Tag legte, dem es jedoch fern lag, wenn er schon mal redete, leere Drohungen zu machen. Hendrik Trabe war ein Bär von einem Mann, der kaltschnäuzig und ohne zu zögern mit einem Quija-Brett unter dem Arm über einen verlassenen Friedhof schlendern und dabei den Text vom Titellied von `Das Omen´ vor sich hin brabbeln würde. Aber vom bedrohlichen Grusel-Butler abgesehen schwieg Jens auch, weil Roland noch immer ein Mensch war, der ihm etwas bedeutete. Hin und hergerissen zwischen Pflichtbewusstsein und alter Freundschaft, hatte Jens sich schließlich durchgerungen, seinen Chef Hauptkommissar Caspari zu bitten, dass die Akte im Mordfall McIntosh fallen gelassen wurde. Seither herrschte eisernes Schweigen zwischen Stuttgart und Fox Cavern. Da Jens Roland nun doch kontaktierte, musste es einen triftigen Grund geben, der sich Toby noch nicht erschloss.
Nun lies!“, drängte Roland und Toby zog eine Karte heraus, die noch eine Nuance hellblauer war als der Umschlag und klappte sie auf. Da stand: `Bekanntmachung: Herr Polizeimeister Jens Bäumler heiratet am 30. April diesen Jahres seine Verlobte Jasmin Degenkolb. Toby grinste und nuschelte: „Na, das ist ja ein Ding. Das Küken wird Flügge.“
„So ist es“, nickte Roland. Hinter dem Butler entstand im Herrenhaus lautes Gepolter, jedoch keiner der Männer schenkte dem Beachtung.
„Cool!“, sagte Toby. „Hafen der Ehe in Sicht. Nicht alle heiraten so spät wie du.“
Roland lehnte sich augenrollend gelassen zurück, während im Haus der Tumult wuchs und zu einem lauten Streit anschwoll, bei dem ein Mann und eine Frau sich anschrien und immer heftiger in Fahrt gerieten.
„Das war fällig!“, meinte der Ex-Kommissar und Toby deutete hinter Roland auf das Herrenhaus.
„Das Gerangel?“
„Nein. Obwohl das auch, ja. Ich meinte Jens und Jasmin. Ich weiß von der Liaison durch….nun, sagen wir: ich weiß es einfach.“
„Und dieser…nun, nennen wir ihn einfach mal: Spitzel im Kommissariat…“, führte Toby unüberrascht aus, „hat dir gezwitschert…“
Ebenso kühl meinte Roland: „Ich habe noch Kontakte. Nicht dass ich fürchte, Jens könnte etwas ausplaudern, was ihm hinterher leidtun müsste, aber Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Nicht nur im Hinblick auf ihn bezogen.“
Jaaa, das war Toby selbst zum Lebensstil geworden.
„Und dieser Spitzel hat Kontrollmöglichkeiten, die sich bestimmt nicht nur zu Jens ins Schreibstübchen erstrecken, richtig?“
Rolands Fundus an Untergebenen und Mittelsmännern war Toby ein Buch mit sieben Siegeln. Der Ex-Kommissar hatte Adressen und Nummern von Informanten im Kopf gespeichert, die den CIA neidisch machen würden. Und offenbar hatte er noch immer Freunde in seinem alten Büro.
„Glaub mir Toby, ich habe Mittel und Wege.“
„Ahja“, nickte Toby und glaubte Roland unbesehen. Auch Rolands Cousin Phillip, zwar körperlich gehandicapt, geistig allerdings voll auf der Höhe, war ein wahres Genie an Schach- und Winkelzügen wenn es darum ging, sich und anderen aus der Patsche zu helfen. Bei Gott, Phillip durfte man nicht unterschätzen. Seine Connections reichten allerdings sogar bis in die Top-Reihen der Justiz und in die Parlamente einiger Regierungen. Toby hatte aufgehört, nach Hintergründen zu fragen. War ihm zu dubios. Er nippte vom Kaffee, da zerbarst plötzlich ein Fenster im ersten Stock des Herrenhauses und ein Koffer flog auf die Terrasse, der Herr Schlunski nur um Haaresbreite verfehlte. Das Tier hob lässig den Kopf und gähnte ausgiebig. Oh, Knatsch im Hause Steinmann! Nichts Besonderes, aber unabsehbar. Darum stand er rasch auf, streckte seine Pfoten und trottete aus der Gefahrenzone, derweil Roland griesgrämig auf das neben ihm gelandete Gepäckstück sah, welches den Hund fast an der Flanke getroffen hätte.
„Also, ich finde jetzt übertreiben sie. Das war noch ein Fenster aus dem Barock, an dessen Originalität mein Herz ein wenig hing. Und natürlich hängt es auch an diesem Köter.“
Fast so schnell wie der Koffer sauste Karlheinz Steinmann auf die Terrasse, allerdings auf dem regulären Weg. Er nahm die Tür.
„Roooland!“, rief er. „Sie hat nen Koller! Du musst mir helfen! Ich hab doch gar nicht….“
Seine Kontrahentin folgte ihm auf dem Fuß.
„Wag es nicht, Karlheinz!! Bettle nicht um Beistand bei deinem Freund, das rate ich dir!! Dass ich wütend bin ist allein deine Schuld! Und wenn du deinen Koffer nebst Habseligkeiten wieder in mein Schlafzimmer schleppen willst, dann wirst du dich gefälligst entschuldigen, wie es sich für einen anständigen Mann gehört!“
„Aber Maud, ich….“
Madame Maud, Haushälterin von Fox Cavern und inzwischen sehr enge Vertraute von Karlheinz Steinmann, stemmte die Fäuste in die üppigen Hüften.
„Papperlapapp, Steinmann!! Und fall mir nicht ins Wort! Du brauchst nicht zu glauben, dass ich vor dir kusche!! Ich bin nicht deine Ex-Frau!!“
Damit wirbelte sie herum und stapfte ins Haus zurück. Hendrik schob Steinmann einen Stuhl zurecht und drückte ihn darauf. Dieser schüttelte voll kindlichem Unverständnis den Kopf.
„Was sagt man denn dazu? Schmeißt die rabiate Furie mich einfach raus!“
„Sie wird schon einen Grund haben“, meinte Roland lapidar und nahm dem hämisch grinsenden Toby die Karte mit der Bekanntmachung aus der Hand, während Trabe die Scherben des Fensters zusammenkehrte. Dass es ausnahmsweise mal nicht Karlheinz war, der mehr oder weniger mit Absicht etwas im Haus zerschlagen hatte, schien keinen sonderlich zu bekümmern. Früher waren es immer Steinmanns emotional geschwungene Fäuste gewesen, unter denen das Mobiliar zu leiden gehabt hatte. Dass eine Frau ihm jetzt derart die Stirn bot, war neu für ihn. Und beschämend.
„Ich hab nur gesagt, der bestickte Stuhl am Fußende vom Bett sieht bescheuert aus, da hat sie losgelegt!“
„Den hat sie selber bestickt“, gab Roland Auskunft. „Zwei Jahre hat sie daran gearbeitet. Sicher hegt sie die Befürchtung, du könntest ihn zu Kleinholz machen, wie du es so gerne mit allerlei hölzernen Gegenständen in deiner Freizeit tust. Und nun lies. Das wird dich aufheitern.“
Roland hielt die Karte Steinmann auffordernd unter die Nase. Steinmann sah sie lange traumwandlerisch an, dann griff er endlich danach.
„Was ist das? Ein blauer Brief von der Schule? Vom Rektor? Warst du unartig, Toby?“
„Nein“, kokettierte der. „Ich hab den Lehrern nur Gutes beschert.“
„In der Umkleidekabine der Schwimmhalle?“
„Nein, damals war ich so noch nicht drauf.“
„Wer hat dich dann versaut?“
„Albert natürlich!“, gab Toby sofort den Schwarzen Peter an seinen Lover weiter und Steinmann sah ihn streng an.
„Ja, ja. Schieb es nur schön auf den kleinen Alby. Der Knuffelschatz kann doch kein Wässerchen trüben.“
Toby wiegte mit dem Kopf. „Stille Wasser sind tief.“
„Dann ist Hendrik ein Kratersee!“, mutmaßte Steinmann, ignorierte den leicht säuerlichen Brummton des Butlers, las die Bekanntmachung und lachte schallend. „Jens!! Der Bengel heiratet!! Roland, er heiratet! Und was sagt uns das?“
Roland, über den Heiterkeitsausbruch seines Busenfreundes höchst erstaunt, hob die Schultern.
„Was dir das sagt, übersteigt meine Vorstellungskraft, alter Kumpane. Kläre mich gefälligst auf.“
Steinmann wischte sich eine Träne unter der Nickelbrille hervor, fasste sich kurz um herauszurufen: „Seine Zukünftige bläst gut!“, Dann lachte er mit Roland synchron weiter.
„Häh?“, machte Toby und sah hilfesuchend zu Hendrik Trabe, nur um festzustellen, dass auch der Butler sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte.
„Klärt mich mal einer auf?“, fragte er deswegen eingeschnappt-dümmlich, bloß um neue Lachsalven in den Männern hervorzurufen.
„Aufklären!“, gackerte Steinmann, „ich fass es nicht! Roland, dein Job!“
„Blow Job?! Nein, danke!“
Toby schmollte. „He, ich weiß was Blasen ist, verstanden?! Wenn das einer weiß, dann ich. Nur was hat das mit der Zukünftigen von Jens zu tun? Insiderwitze sind unfair.“
Roland beruhigte sich als erster, straffte seine Haltung und tröstete Toby: „Entschuldige, das kannst du ja nicht wissen. Das hängt mit einer unbedachten Aussage zusammen, die Jens damals unten am Strand getätigt hat, kurz nachdem er auf der Insel gelandet war und kurz bevor ich ihn niedergeschlagen hab. Es hing mit seinen ehemaligen Freundinnen und deren Verweigerung eben dieser bestimmten Sexualpraktik zusammen. Im Grunde nicht von Belang, aber jetzt und hier vortrefflich komisch.“
„Ja, das hat was!“, stimmte Steinmann ihm zu. „Und jetzt? Willst du ihm antworten?“
Roland nickte.
„Natürlich. Mut gehört belohnt, was meinst du, Toby?“
„Und ob. Von Jens droht uns keine Gefahr mehr. Im Gegenteil. Ich bin froh, dass es ihn noch gibt.“
„Jaaa“, sagte Roland ernst, „es war für ihn sehr knapp.“
„Genauso knapp solltest du antworten“, empfahl Steinmann und Roland winkte Hendrik näher zu sich.
„Das ist jetzt deine Aufgabe. Schick dem Jungen Grüße und alles nur erdenklich Gute von uns. Und zur Hochzeit etwas Passendes.“
Trabe nickte, schien aber verunsichert. Roland verstand ihn sofort.
„Nun, dir wird schon was einfallen. Nur nicht so etwas niveauloses wie Blumen und Konfekt. Etwas mit mehr Pepp, ja? Das sind junge Leute. Hier stoße ich, der ich mich quasi im Herbst des Lebens befinde, phantasiemäßig an meine Grenzen. Vielleicht hilft dir Toby?“
„Lass mich da lieber raus. Ich such doch nur das Falsche aus.“
Trabe schmunzelte nun schräg. „Ich mach das schon.“
„Danke.“
Hendrik verneigte sich leicht und zog sich dann ins Haus zurück.
„Und nichts zum Abstauben!“, rief Roland ihm noch hinterher.
„Jens heiratet!“, freute sich Steinmann aufrichtig für den jungen Beamten und seufzte tief. „Tja, mein alter Freund, die Zeit verrinnt. Wir alten Säcke welken dahin.“
„Das brauchst du mir nicht unter die Nase zu reiben“, lächelte Roland Wolf und schenkte sich Kaffee nach. „Ich frage mich nur, was Jens seine Mama wohl davon hält.“
„Ooohh, seine Mama!“, machte Steinmann und nickte. „Das wird allerdings hart!“
Von drinnen erklang plötzlich ein jämmerliches Weinen. Gekonnt theatralisch, aber doch jämmerlich genug, um ernstgenommen zu werden. Roland deutete über die Schulter.
„Maud. Du brauchst ihr zu lange!“
Steinmann seufzte noch tiefer und stand schwerfällig auf.
„Ich pflück ihr ein paar Blumen.“
Roland kopfschüttelnd: „Niveaulos.“
Karlheinz pissig: „Mach nen besseren Vorschlag!“
Vor dem großen Schlafzimmerspiegel kämmte sich Jens die Ponyfransen aus dem Gesicht. Neben ihm aus dem Bad, als ob sie es gesehen hätte, tadelte ihn Jasmin: „Nicht wieder zurückstriegeln, Schutzmann. Nach vorn.“
„Och, Jasi!“, trötete Jens ertappt und genervt. „Da seh ich aus wie ne abgeleckte Spitzmaus!“
„Deiner Mama gefällt´s.“
„Deiner Mama gefällt´s“, äffte Jens. "Meiner Mama gefallen auch die `Kastelruther Spatzen´. Soll ich deswegen jetzt anfangen, Volkslieder zu trällern?“
Jasmin trippelte hinter ihn, kämmte ihm die Fransen in die Stirn und küsste die Sommersprossen auf seiner Nasenspitze.
„Nein, das nun auch wieder nicht. Aber du bist ihr jüngster Bub. Was glaubst du geht in ihr vor? Tu der alten Dame doch einfach den Gefallen und lauf an unsrer Hochzeit sauber rum. Tut doch nicht weh.“
Nachsichtig schüttelte Jens den Kopf. Im Prinzip war er froh, dass Jasmin mit seiner Mutter so gut umgehen konnte. Mit Helene kam man nur schwer aus. Sie war nervig und neigte dazu, andere zu bevormunden. Nur selten war ihr etwas recht. Und das betraf vor allem Jasmin. Dabei fielen manchmal Sätze, die zielten deutlich unter die Gürtellinie. Jasmin ließ es sich nicht anmerken, aber ihre Gefühle waren in letzter Zeit immer öfter verletzt worden, je näher der Termin für die Hochzeit rückte. Bei allem Respekt, aber wenn seine Mutter Jasmin wehtat, tat sie auch ihm weh. Jens wunderte sich, wie locker seine Verlobte das dramatische Getue seiner alten Herrin wegzustecken schien. Offenbar hoffte sie, dass sich nach der Trauung alles ändern würde. Dass Helene sich ändern würde. Nun, Jens zweifelte daran. Er fürchtete, genau das Gegenteil war der Fall und er hoffte insgeheim, Jasmin würde seiner Mama mal die Stirn bieten, dass es nur so rauchte. Ansonsten würde das nie aufhören, dieses Gemotze. Vorläufig sah er noch zu und meuterte still vor sich hin, zum Beispiel dadurch, dass er sich die Fransen wieder aus dem Gesicht striegelte, als Jasmin sich umgedreht hatte. Wenn seine geliebte Jasi sich nicht wehren wollte, würde er das früher oder später tun müssen. Vielleicht erwartete sie das ja sogar von ihm. Wie gesagt, nach