Macabros 064: Die Rückkehr (Mirakel 06) - Maria Trasko - E-Book

Macabros 064: Die Rückkehr (Mirakel 06) E-Book

Maria Trasko

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Beschreibung

Frank Morell alias Mirakel ist zurück! Nach dreißig Jahren wird er aus seinem Leben im Mikrokosmos entführt und strandet in Frankfurt. Ohne Freunde, Geld und Papiere versucht er sich durch das Leben im 21. Jahrhundert zu schlagen. Fast zeitgleich opfern Sekten ihre Mitglieder. Haben diese Morde etwas mit seiner Rückkehr zu tun? Mit reichlich Bonus-Material! Letzter Band dieser Serie.

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Band 64

Maria Trasko

DIE RÜCKKEHR

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Fachberatung: Gottfried Marbler

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-764-1

Endlich! Darauf hatte sie gut dreißig Jahre gewartet! Heute trug sie ihren Sieg davon und konnte ihre Rache genießen. Der Mann, der ihr Leben zerstörte, würde bezahlen! Endlich würde er gerächt!

Liebevoll strich Siddha über das Bild ihres geliebten Ajit Lekarim. Ein Stöhnen erklang in dem kargen Kellerraum. Sie warf der Quelle des Geräusches einen wütenden Blick zu. Auf dem Steinboden war eine grausige Gestalt angekettet. Sie hatte acht Beine, wie eine Spinne und einen ebenso fetten Leib, aber der Kopf hatte die Form eines Saurierschädels mit spitzen Zähnen. Die Augen glühten hellrot. Aber so schaurig das Wesen anzuschauen war, so wehrlos war es in diesem Moment. Alle Beine und der lange Hals waren von Eisenketten umschlungen und ohne viel Spielraum an den Boden gefesselt. Durchsichtige Plastikschläuche führten von dem kugeligen Leib zu einem zylinderförmigen Glaskolben, der auf einer Maschine saß. Eine blau-graue schleimige Substanz floss zäh in den Schläuchen, von dem Dämon zu dem Glaskolben. Der Dämon war stark, aber nicht sehr intelligent und leicht zu fangen gewesen.

Siddha wandte sich wieder dem gerahmten Foto zu. Ihr Herz war damals bei dem toten Leib Lekarims im Mikrokosmos geblieben. Als Gegenstück zu Mirakel, von Shab-Sodd, dem Herrscher des Mikrokosmos, erschaffen, hatte er bei dem Versuch Mirakel endgültig zu vernichten sein Leben gelassen. Jetzt konnte sie seine Aufgabe beenden und seinen Tod rächen. Sie würde Mirakel leiden lassen.

Dreißig Jahre hatte sie darauf hingearbeitet. Hatte Lekarims Aufzeichnungen als Grundlage für ihre neue Transportmaschine genommen. Jahrelang feilte sie an Kleinigkeiten. Ursprünglich bestand die Maschine aus zwei Teilen – der Transportrakete und dem Größenwandler. Ihre neue Transportkugel vereinte beide Teile und mit Hilfe eines Autopiloten und Standardsequenzen konnte die Maschine vorprogrammiert werden. Die technischen Details zu ändern fiel ihr leicht. Das wirklich schwierige Problem lag darin, eine Energiequelle zu finden, die stark genug war, um sie anzutreiben. Auch dieses Problem war nun gelöst. Wieder warf sie einen Blick auf den Spinnendämon. Ihr Blick glitt zärtlich über die Schläuche. Ohne das kleine, unfreiwillige Opfer des Dämons würde ihr Plan nicht gelingen. Der widerliche grau-blaue Schleim beförderte dämonische Energie in ihre Maschine.

„Siddha! Wir sollten beginnen.“ Die Worte fielen in den Raum wie Eiswürfel. Siddha sah zu der Gestalt im Türrahmen auf. Unter der Kutte konnte man menschliche Umrisse wahrnehmen, aber nichts an dem Wesen war menschlich. Aber es war Siddhas Verbindung zum Mikrokosmos und somit die Chance auf ihre Rache.

Schweigend folgte sie der Gestalt in den anschließenden Raum.

Eine Explosion zerriss die Stille der Nacht. Mirakel duckte sich hinter einen Mauerrest. Dank seiner schwarzen Uniform verschmolz er mit den Schatten.

Die Armee des Laathoos war auf dem Vormarsch in dem verlassenen Teil von Neo-Tala-Mar. Die Dykten hatten dieses Wohnviertel bereits vor Tagen verlassen. Die ehemals belebten Straßen wiesen Bombenkrater auf und die mehrstöckigen Häuser waren ausgeweidete Ruinen. Wie die Zerstörung so schnell voranschreiten konnte, blieb Mirakel ein Rätsel. Hinter sich spürte er weitere Dykten seiner Einheit. Seit Beginn der Nacht hatten die Angriffe zugenommen. Explosionen zerrissen fast im Sekundentakt die Nacht. Seit geraumer Zeit hörte Mirakel nichts mehr außer den Detonationen. Seine Ohren summten ununterbrochen. Er hoffte nur, das würde sich wieder geben. Eine Hand auf seiner Schulter schreckte ihn auf.

Kroma, der Anführer des kleinen Spähtrupps deutete mit seiner Waffe zu einem Trümmerhaufen in einigen Metern Entfernung. Geduckt liefen sie hinüber und lugten dann über den Geröllberg.

Laathoos warf immer mehr seiner Krieger in die Schlacht, daher wusste man nie, auf was man im Kampf traf. Als die Dykten Tala-Mar vor mehreren Jahrtausenden verlassen mussten, schlossen sie mit Laathoos ein Abkommen: Othh lockte mit seiner telepathischen Fähigkeit Lebewesen aus allen Dimensionen an, im Gegenzug überließ Laathoos ihnen geeigneten Lebensraum. Während die Dykten ihren neuen Lebensraum erblühen ließen, wurde eine Statue erbaut, die Othhs telepathischen Ruf und sein Abbild wie ein überdimensionaler Verstärker in andere Dimensionen übertrug. So lockte Othh Jahrhunderte lang arglose Lebewesen zu Laathoos, der sich an ihrer Verwirrung, Trauer und Angst, in der fremden Burgenlandschaft gestrandet zu sein, ergötzte. Am Ende ihrer Odyssee landeten sie dann in orangefarbenen Tropfen einer Nährflüssigkeit und erweiterten so einen Teil von Laathoos Sammlung bunter Lebewesen.

Vor einigen Jahren dann erklärte Othh Laathoos, die Schuld sei abgetragen, er wolle seine Sammelleidenschaft nicht weiter unterstützen. Laathoos war außer sich. Er sah sich als Herr und Gott über seine Welt, die er Burgenlandschaft nannte. Dass Othh sich ihm widersetzte, war unerträglich. Er schwor, alle Dykten zu vernichten. Seither schickte Laathoos immer neue Krieger gegen die Dykten. All die Lebewesen, die Othh rief und die in der Burgenlandschaft umherirrten oder in den Tropfen seiner Sammlung verharrten, holte Laathoos nun zurück und befahl ihnen zu kämpfen. Täglich starben Dykten und es war kein Ende des Krieges in Sicht.

Eine weitere Detonation erschütterte den Boden. Der Trümmerhaufen, hinter dem Mirakel und Kroma kauerten, kam ins Rutschen. Die zwei Dykten warfen sich einen Blick zu, dann rannten sie gleichzeitig los, um im Eingang eines ausgebombten Hauses Deckung zu suchen.

Nervös sahen sie sich um. Es gab Lebewesen, die sich in Rauch verwandeln konnten oder sich wie Chamäleons ihrer Umgebung anpassten. Und nur die wenigsten bewegten sich aufrecht auf zwei Beinen. Viele waren so winzig, dass man sie leicht übersehen konnte.

Zwei weitere Dykten ihrer kleinen Einheit knieten hinter einer Mauer, die einmal zu einem Vorgarten gehörte, einige Meter zu ihrer Linken. Kroma gab ihnen ein Zeichen und die zwei Männer hasteten weiter. Gerade als sie an einem Geröllhaufen vorbeirannten, schien dieser in Bewegung zu kommen. Faustgroße Steine kullerten vor die zwei Soldaten. Diese achteten nicht darauf, aber Mirakel konnte sehen, dass die vermeintlichen Steine zielsicher auf die Männer zuhielten. Er öffnete den Mund, um ihnen eine Warnung zuzurufen, aber die Warnung kam zu spät. Die faustgroßen Gegenstände berührten die Füße der zwei Männer. Abrupt blieben sie stehen. Weitere Dinge rollten heran und vereinten sich mit denen an den Füßen der Männer. In rasender Geschwindigkeit umgaben diese Dinger die Männer. Kroma schaltete die Lampe an seiner Waffe ein. Im Schein des grellen Lichts erkannte Mirakel, dass die vermeintlichen Steine aus einer gallertartigen Masse bestanden, die sich um die Männer schlang und durch die heranrollenden Klumpen immer weiter anschwoll. Die Soldaten versuchten sich hektisch zu befreien. Mirakel konnte die Panik in ihren Augen sehen. Aber binnen Sekunden umgab die gallertartige Masse sie. Dann schien die Substanz wieder in ihre Einzelbestandteile zu zerfallen. Obwohl er gerade noch die Männer in ihren seltsamen Kokons gesehen hatte, waren sie verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Schockiert starrte Mirakel auf die Klumpen, die nun auf ihn und Kroma zurollten. Er schlug Kroma gegen die Schulter, um ihn aus seiner Schockstarre zu befreien, dann schoss er in den Himmel. Kroma schwebte neben ihm, als sie auf die Gallertklumpen schossen. Die kosmobiologische Energie machte kurzen Prozess mit diesen seltsamen Lebewesen. Sie explodierten in kleinen Fontänen, die Mirakel eine gewisse Befriedigung bereiteten. Als sich nichts mehr bewegte, sahen sich Mirakel und Kroma fieberhaft nach weiteren dieser Lebewesen um. Aber in dem Trümmerfeld konnten sich diese widerlichen Kreaturen überall verstecken. Adrenalin pumpte durch Mirakels Adern und der unbändige Wille den Tod seiner Kameraden zu rächen, pulste mit jedem Schlag seines Herzens durch seinen Körper.

„Du gehst zurück und holst Verstärkung. Wir müssen das Gebiet hier komplett unter Feuer setzen.“ Kroma hatte sich wieder im Griff. Mirakel nickte kurz, bevor er widerwillig zurück in Richtung ihrer Stellung flog. Jedes Mal, wenn er dachte er hätte die schlimmsten Lebewesen bereits gesehen, schaffte es Laathoos immer wieder, noch abscheulichere Kreaturen aus seiner Sammlung einzusetzen.

Vor fast dreißig Jahren war er selbst Othhs Ruf in Laathoos Burgenlandschaft gefolgt. Damals hatte er im Makrokosmos als Frank Morell gelebt. Seine Freundin Alexandra war in den Mikrokosmos entführt worden. Auf der Suche nach ihr war er dem Ruf Othhs in einen orangenen Tropfen gefolgt, der ihn ins mikrokosmische Nirvana brachte, wo er auf Abruf gestanden hätte, bis sich wieder jemand an ihn erinnerte. Aber Othh hatte die Heimkehr eines seiner ältesten Kinder gespürt und ihn nach Neo-Tala-Mar geholt. Was aus Alexandra wurde, konnte er sich nur vorstellen. Jeder Versuch, etwas über ihr Schicksal herauszufinden, war gescheitert. Ihr ungewisses Schicksal beunruhigte ihn nach all den Jahren noch immer.

Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Er drehte den Kopf und konnte gerade noch sehen, wie ein dunkler Schatten durch eine Tür in ein Gebäude am anderen Ende der Straße verschwand.

Einen Augenblick war er hin- und hergerissen zwischen dem Befehl, Verstärkung zu holen oder dem Schatten zu folgen, um Rache an seinen Kameraden zu nehmen und noch Schlimmeres zu verhindern. Zumindest sollte er das Gebäude markieren, damit sie später noch einmal nachsehen konnten. Lautlos landete er vor der Tür. Aber anstatt das Gebäude zu markieren, konnte er dem Impuls nicht widerstehen, in das Gebäude zu treten und diesem Biest eigenhändig den Garaus zu machen.

Er entsicherte seine Waffe, die einer Pistole ähnelte. Mirakel hatte an der Entwicklung der Waffe mitgearbeitet. Die kosmobiologische Energie, die den Dykten unglaubliche körperliche Fähigkeiten verlieh, tötete jedes Lebewesen. Die Kristalle, die alle Dykten über dem Herzen trugen, gaben die kosmobiologische Energie in einer verträglichen, gleichmäßigen Dosis ab. Die Waffe jedoch hatte eine weitaus höhere Konzentration.

Im Innern der Ruine konnte er kaum etwas erkennen. Vorsichtig drang Mirakel weiter in die Tiefen des Gebäudes ein. Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Er konnte eine Treppe erkennen, die in ein unterirdisches Geschoss führte. Lautlos schlich er die Treppe hinunter. Unten angekommen, sah er am anderen Ende des sich anschließenden Ganges ein Licht.

Über ihm in der Stadt explodierte eine weitere Bombe. Die Erschütterung warf Mirakel auf die Knie. Der Gang wackelte, Staub und Mörtel lösten sich aus der Decke. Das Licht flackerte, ging aus und nach einigen Sekunden wieder an. Mirakel rappelte sich wieder auf. Langsam, sich immer wieder umsehend, bewegte er sich auf die Tür zu, hinter der das Licht brannte. Ein knarrendes Geräusch drang aus dem Raum, dann öffnete sich die Tür. Mirakel presste sich hastig gegen die Wand und hoffte, dass ihm der schwarze Anzug genug Deckung verschaffte. Etwas, das wie ein riesiger Tausendfüßler aussah, krabbelte aus dem Raum. Die Füße machten ein trippelndes Geräusch, während die Sektionen seines Chitinpanzers gegeneinander rieben. Der flache Kopf mit zwei schwarzen kugeligen Augen schwenkte hin und her, während vier Antennen suchend um den Kopf herum zuckten. Das Vieh war ekelerregend!

Die Antennen blieben plötzlich wie erstarrt stehen, nur der Kopf des Wesens ruckte in Mirakels Richtung. Als es ihn sah, gab das Wesen einen schrillen Schrei von sich. Plötzlich hörte Mirakel hinter sich das Trippeln von hunderten von Füßen im Einklang mit dem Schaben von Chitinplatten. Er musste schnell handeln!

Er legte an und schoss. Die kosmobiologische Energie traf das Wesen direkt zwischen die schwarzen Kugelaugen. Es gab ein Geräusch von sich, das Mirakel durch Mark und Bein fuhr. Die Energie füllte das Insektenwesen aus, zwischen den Chitinplatten brach strahlendes Licht hervor, dann explodierte das Wesen in Milliarden von kleinen Staubpartikeln. Mirakel sah sich das Schauspiel nicht lange an. Er rannte bereits auf die Tür zu, denn das herannahende Getrappel wurde immer lauter. Kurz sah er in den Raum hinein, konnte aber kein weiteres Lebewesen entdecken, also schoss er durch die Tür. Sofort erfasste ihn ein starker Sog, der seinen Körper willenlos weiter in den Raum zerrte. Hektisch warf er sich herum, konnte jedoch den Türrahmen nicht mehr greifen. Zu weit war er schon in das Zimmer gerissen worden. Hastig sah er sich nach etwas um, an dem er sich festhalten konnte. Aber da war nichts. Das Zimmer war leer, mit Ausnahme einer mannshohen Metallkugel, auf die er unerbittlich zugezogen wurde. Kurz bevor er gegen die Kugel schlug, öffnete sich eine eckige Tür in deren Außenhülle. Mirakel landete unsanft in der Kugel, als der Sog so schnell wie er begonnen hatte, versiegte. Die Öffnung schloss sich und komplette Finsternis umgab ihn. Plötzlich blinkten Lichter auf, Kontrollkonsolen wurden sichtbar. Er sprang auf und versuchte aus den Knöpfen an den Konsolen schlau zu werden.

Dann traf ihn die Schwerkraft. Als hätte die Luft plötzlich das Gewicht von Blei, wurde er zu Boden gedrückt. Müdigkeit setzte schlagartig ein. Bevor er, auf dem Boden der Kugel liegend, die Augen nicht mehr offen halten konnte, sah er noch auf einem Bildschirm eine graphische Darstellung erscheinen. Bekannte Muster wurden sichtbar. Die Erde!, war Mirakels letzter Gedanke, bevor er vom Schlaf übermannt wurde.

„Miss Lindsay! Miss Lindsay! Justin ist gemein zu mir!“

Lindsay Livingston, die Betreuerin der Pre-School-Klasse in der Abraham Lincoln Elementary School in Chapel Hill, Idaho, sah kurz auf die Wanduhr über der Eingangstür. In fünf Minuten würde der Feierabend beginnen.

„Gar nicht wahr! Du lügst!“

Seufzend wandte sich die mollige, unscheinbare Brünette den zwei Streithähnen zu. „Was ist denn, Britney?“

Die blond gelockte Fünfjährige sah sie wütend an. Aber bevor sie etwas sagen konnte, erklärte Justin lautstark: „Sie lügt!“

Britney drehte sich zu ihm. Ihre kleinen Hände waren zu Fäusten geballt. „Tu ich nicht!“

Justin, der einige Zentimeter größer war, sah auf das Mädchen herab. „Doch!“

Lindsay musste wohl oder übel eingreifen, sonst brach noch vor der Schlussglocke eine Prügelei aus. „Schluss jetzt! Britney, erzähl mir, was los ist. Und Justin, du bist bitte so lange still!“

Der dunkelhäutige Junge verzog schmollend den Mund. Lindsay warf ihm noch einen warnenden Blick zu, dann lächelte sie Britney müde, aber auffordernd an.

„Ich habe Maggie nur erzählt, dass ich bald bei meiner Omi leben werde“, erklärte die Kleine mit Tränen in den Augen.

„Das geht aber nicht, weil die alte Hexe elendig verreckt ist und in der Hölle schmort.“

Erschrocken fuhr Lindsay zu dem Jungen herum. So bösartig hatte sie ihn noch nie reden hören. „Justin, so etwas sagt man nicht! Entschuldige dich sofort!“

Trotzig sah der Junge seine Betreuerin an. „Das hat mein Daddy aber gesagt!“

Lindsay schüttelte den Kopf. „Dein Daddy sollte das auch nicht sagen.“

Justin verschränkte die Arme vor der Brust. „Mein Daddy sagt auch, dass das ganze Drecksgesindel von Oak Tree in der Hölle landen wird, und zwar schneller, als die denken.“

Lindsay holte tief Luft. Die religiöse Gemeinde, die sich in einer kleinen Häuseransiedlung namens Oak Tree einige Meilen außerhalb von Chapel Hill angesiedelt hatte, wurde häufig angefeindet. Man mochte keine Fremden in Idaho, schon gar nicht irgendwelche Sektenanhänger. Trotzdem konnte sie das dem Jungen nicht durchgehen lassen.

„Wir werden euch alle mit in die Hölle nehmen und da werdet ihr vor uns im Dreck kriechen wie die Kakerlaken!“

Entsetzt drehte sich Lindsay Livingston wieder zu dem blonden Mädchen. Die kleine Britney sah sie hasserfüllt an. Der jungen Frau lief es eiskalt über den Rücken. Dann riss sie sich von dem Blick des Kindes los. „Jetzt ist es aber genug!“, rief sie aus, da läutete die Schulglocke das Ende des Tages ein.

Die zwei Kinder vergaßen augenblicklich den Streit und liefen zu ihren Taschen. Lindsay sah ihnen einen Moment nach, dann zuckte sie die Schultern. Das Wetter hatte die Kinder offenbar durcheinandergebracht. Die Woche über war es schwül und drückend gewesen, da waren die Kinder oft gereizt.

Während Lindsay am Abend vor dem Fernseher saß und ihr Fertiggericht aß, musste sie wieder an den Streit denken. Noch nie hatte sie zwei Kinder so hasserfüllt miteinander streiten sehen.

Am nächsten Morgen, als Lindsay die Anwesenheitsliste durchging, fehlte Britney unentschuldigt. In der Pause lief die Betreuerin in das Schulsekretariat, um sich zu erkundigen, ob jemand das Kind krankgemeldet hatte. Im Sekretariat traf sie, neben der ältlichen Mrs Huntington auch zwei Lehrer aus den Schulklassen, die ebenfalls Kinder aus Oak Tree als fehlend meldeten. Mrs Huntington hatte keine Anrufe erhalten. Das beunruhigte die kleine Schar. Die Gemeinde aus Oak Tree war für ihre Zuverlässigkeit bekannt. Die Kinder wurden immer abgemeldet, waren fleißig und ordentlich. Nach kurzer Diskussion wurde beschlossen, den Sheriff anzurufen. Sheriff Jackson, ein dürrer, humorloser Mann Ende vierzig mit schütterem hellblondem Haar, schickte seinen Deputy nach Oak Tree.

Deputy Hamish McDougal kam um elf Uhr in Oak Tree an. In seinem Bericht stand später, dass er die Gemeinde verlassen vorfand. Alle Häuser waren leer. Nichts wies darauf hin, dass noch am Vortag eine Gruppe von über zwanzig Erwachsenen und fünfunddreißig Kindern im Alter von einigen Wochen bis ins Teenageralter hier gelebt hatten. Das Gemeinschaftshaus im Zentrum der Ansiedlung, welches die Sekte Tempel nannte, war ebenfalls unverschlossen. Deputy McDougal beobachtete eine Ratte, wie sie versuchte, eine Spalte zwischen Tür und Rahmen zu vergrößern. Die Ratte war so konzentriert, dass sie nicht auf den Menschen achtete. Das wiederum brachte den Deputy dazu, im Gebäude nachzusehen. Was er dort fand, sollte in der Idaho Gazette am nächsten Tag, als der grausigste Fund seit Bestehen des Bundesstaates betitelt werden.

Mirakel erwachte. Wie aus einer zähen Masse kämpfte er sich aus den Tiefen des Schlafs, während ihn Dämmerlicht umgab. Verwirrt sah er sich um. Das Dämmerlicht stammte von einer Art Notbeleuchtung, die eine Reihe Konsolen erhellte. Mit einem Schlag erinnerte er sich wieder an den seltsamen Ausgang seines Späheinsatzes. Er rappelte sich auf. Seine Hand griff automatisch an die Halterung, in der er seine Waffe trug. Aber diese war leer. Er hatte die Waffe in der Hand gehalten, als er in die Kugel gesogen wurde. Suchend drehte er sich um sich selbst. Erleichtert fand er die Waffe unter einer der Konsolen. Er fühlte sich etwas sicherer, als er nach einem Ausgang suchte. Nach einigem Tasten fand er endlich die Öffnung. Sie war fast nahtlos mit der Wand verschmolzen. Dann entdeckte er ein Kontrollpanel, das in die Wand eingelassen war. Mit roher Gewalt riss er die Decklatte heraus. Erstaunlicherweise konnte er mit diesem Knopf die Schleuse ohne Probleme öffnen. Mit einem Zischen schloss die Tür nach außen auf. Mit der Waffe im Anschlag trat er seitlich an die Öffnung, der Blick nach draußen ließ ihn jegliche Gefahr vergessen. Grüne Bäume und Farne umgaben die kleine Lichtung, auf der die Metallkugel stand. Aber auf Neo-Tala-Mar gab es keine grünen Pflanzen. Grüne Blätter kannte er nur von seiner alten Heimat, der Erde. Alle Vorsicht vergessend, verließ er die Kugel. Über ihm zwitscherte ein Vogel. Er drehte sich um und stand mitten in einem Wald der Erde. Plötzlich ertönte ein tiefes Donnergrollen. Mirakel hechtete hinter einen Baum, dessen Krone ihn auch vor einem Angriff aus der Luft schützen würde. Vorsichtig lugte er hinter dem Baum hervor und sah im blauen Himmel oberhalb der Kugel etwas, das ihn in seiner Vermutung bestärkte. Ein großes Flugzeug flog über ihn hinweg. Und die Form war eindeutig irdisch.

Wie er hierher kam war ihm ein Rätsel, aber es war eine Erleichterung zu sehen, dass er zumindest in einer Welt gelandet war, die er kannte. Entschlossen zu erfahren, wo genau er sich befand, schwang er sich in die Lüfte. Aber schon kurz oberhalb der Baumkronen hielt er wie vom Blitz getroffen an. Ein riesiger Flughafen erstreckte sich auf der einen Seite des Waldes, auf der anderen Seite erkannte er eindeutig seine alte Heimatstadt Frankfurt. Es gab zwar viele neue Hochhäuser und die Stadt war offensichtlich in alle Himmelsrichtungen gewachsen, das Fußballstadion sah seltsam futuristisch aus, aber der Dom und einige der Hochhäuser zeigten eindeutig, dass er im Stadtwald von Frankfurt gelandet war. Aufregung breitete sich in ihm aus. Am liebsten wäre er sofort in die Stadt geflogen, aber da er sich nicht vorstellen konnte, dass es mittlerweile fliegende Menschen gab, musste er einen anderen Weg finden. Generell sollte er vorsichtig sein. Er wusste nicht, wie er hierher gelangt war, oder warum. In relativer Nähe sah er eine Bahnstation. Nachdem er die Dimensionskugel in ein dichteres Gebüsch bugsierte und sie provisorisch mit weiteren Ästen vor den Blicken nichtsahnender Spaziergänger versteckte, flog er dicht über den Baumkronen in die Nähe der Station, wo er landete, seine Waffe wegsteckte und den Kristall von seiner Brust nahm. Bequem geschnittene weite Hosen und ein weites Hemd in beigen Tönen ersetzten die schwarze Uniform.

Frank Morell, der Dykte in menschlicher Gestalt, war zurück!

Als er den Bahnsteig betrat, beachteten die wenigen Menschen ihn nicht. Auf dem Bahnhofsschild stand Frankfurt Stadion und das Kribbeln in seinem Bauch wurde stärker. Weitere Schilder gaben Auskunft, dass alle Züge von Gleis 2 über Frankfurt Hauptbahnhof fuhren. Neugierig betrachtete er die Wartenden. Was hatte sich verändert? Wie lange war er überhaupt weg gewesen?

Er musste nicht lange auf die Bahn warten. Am Hauptbahnhof verließ er sie bereits wieder. Dort trafen die Menschen aus den eintreffenden S-Bahnen im Untergeschoss aufeinander und der Menschenschwall ergoss sich über die Rolltreppen in die höheren Ebenen, wo er abnahm. Dann wurden es wieder mehr Menschen, als die Reisenden aus den Fernzügen auf ihn trafen. Mirakel wurde willenlos von der Menge geschoben und hinaus auf den Bahnhofsvorplatz geschwemmt. Er sah sich atemlos um.

Die Stadt hatte sich verändert. Leuchtreklamen mit unbekannten Namen sprangen ihm ins Auge. Neue Wolkenkratzer erhoben sich hinter den renovierten Altbauten. Ein Mann rempelte ihn an und lief wortlos weiter. Die Menschen liefen im Stechschritt zu ihrer Arbeit und dabei stand er im Weg. Er ließ sich weiter von der Masse drängen. Als er über eine Ampel auf die andere Straßenseite gelangte und dort das Straßenschild sah, blieb er jedoch erneut stehen. Wo war das schmuddelige Rotlichtviertel geblieben? Hier schien es nur noch biedere Geschäfte zu geben. Hatte sich die Stadt wirklich von Prostitution und Gewalt abgewandt? Wie in Trance lief er weiter und sog die neuen Eindrücke geradezu in sich auf.

Erst als er vor dem Bürogebäude stand, wurde ihm klar, dass er auf alten Wegen gewandelt war. Hier hatte er gearbeitet. Das Konstruktionsbüro von Gering & Krollmann gab es allerdings nicht mehr. Das Hochhaus stand zwar noch, doch wo früher ein Parkplatz gewesen war, gab es nun weitere Bürogebäude. Das ganze Gelände rund um die Festhalle hatte sich dramatisch gewandelt.

Verloren schaute er sich um. In einem Papierkorb sah er eine Zeitung. Die reißerische Überschrift sagte ihm nichts, doch das Datum zeigte ihm, dass über dreißig Jahre vergangen waren. Diese Erkenntnis traf Frank Morell wie ein Schlag. Alle Menschen, Freunde, Bekannte, die er einmal gekannt hatte, waren älter geworden, ihre Wege gegangen, weggezogen, vielleicht schon gestorben. Er hatte hier keinen Anhaltspunkt mehr. Die Freude, die er über seine Rückkehr empfunden hatte, wurde nun von der Trauer über die verlorene Zeit abgelöst.

Seufzend entschloss er sich, die Stadt zu erkunden und sich wieder mit ihr vertraut zu machen. Stunden lief er durch die Mainmetropole. Vom Messegelände zurück zum Bahnhof, in die Innenstadt und zum Flussufer. Auf einer Parkbank am Mainufer sah er den Menschen bei ihren Beschäftigungen zu. Er konnte sich nur an asphaltierte Parkplätze an dieser Stelle erinnern. Aber nun rannten alle paar Minuten Jogger an ihm vorbei oder Menschen auf zerbrechlich aussehenden Rädern rasten in halsbrecherischem Tempo an den Fußgängern vorbei. Es gab auch einige, die auf seltsam fragilen Rollschuhen dahinglitten. Scheinbar musste niemand mehr an einem Vormittag arbeiten.

Er empfand Heimweh nach Neo-Tala-Mar, was schon verrückt war. Denn wer wünschte sich schon in ein aussichtsloses Kriegsgebiet zurück? Aber dort verstand er die Regeln, hier war ihm alles fremd geworden. Und wieso war er überhaupt wieder in Frankfurt? Wer oder was steckte hinter der seltsamen Kugel? Er war eindeutig in eine Falle getappt, aber wo waren seine Entführer?

Sein Magen knurrte. Er lehnte sich auf der Parkbank zurück und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. Ihm musste in den nächsten Tagen etwas einfallen. Zwar konnte er sich in Mirakel verwandeln und dann einige Zeit von der kosmobiologischen Energie zehren, aber über kurz oder lang würde sein menschlicher Körper Nahrung benötigen. Er brauchte Geld, eine Unterkunft und vor allem Antworten. Und er hatte keine Ahnung, wo er anfangen sollte.

Vielleicht sollte er erst einmal schauen, ob es die Höhle noch gab. Ohne eine Möglichkeit seinen Kristall wieder aufzuladen, war er vollkommen verloren. Mit einem Ziel vor Augen fühlte er sich schon besser.

Frank stand auf und suchte nach einer Stelle, an der er sich unbemerkt in Mirakel verwandeln konnte. Er entdeckte ein nahegelegenes Gebüsch. Mit einem Blick in die Runde drängte er sich dahinter. Während er den Kristall an seine Brust drückte, fühlte er sich schon viel besser. Der Kristall verschmolz mit seiner Brust und das bekannte elektrisierende Gefühl der kosmobiologischen Energie durchströmte ihn. Seine Gedanken wurden klarer. Mirakel ging leicht in die Knie, um dann in die Luft zu schießen. Selbst wenn ihn jemand dabei beobachtet hätte, wäre nichts zu sehen gewesen. Er war einfach zu schnell für das menschliche Auge.

Nur Sekunden später traf er an dem bewaldeten Hügel im Taunus ein. Er hatte von oben die Saalburg gesehen. Selbst die römische Ruine hatte sich verändert, war größer ausgebaut worden. Er landete auf einem Waldweg. Ruhe umgab ihn. Vögel zwitscherten, ein angenehmer Kontrast zur lauten, lebhaften Stadt. Doch gerade als er sich zu entspannen begann, hörte er das Dröhnen. Schon in der Luft waren ihm die vielen Flugzeuge aufgefallen, aber ihm war nicht klar gewesen, dass man sie auch so laut vom Boden aus hören würde. Kopfschüttelnd machte er sich auf die Suche nach den drei Eichen.