Machste nix dran - Klaus Stickelbroeck - E-Book

Machste nix dran E-Book

Klaus Stickelbroeck

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Beschreibung

Manchmal hat man echt keine Chance! Blaulicht, grüne Minna und pechschwarzer Humor Die Idee ist genial, der Plan perfekt, es läuft wie geschmiert. Und dann? Kommt doch irgendwas dazwischen und alles ganz anders. Machste nix dran. In zweiundzwanzig witzig-spannenden Kurzkrimis grätschen die schrägsten Wendungen den Tätern und Ermittlern die Füße vom Boden. Der Camping-Ausflug nach Oberwesel gerät zum turbulenten Fiasko, die Bestie im Buchsbaum wehrt sich galliger als erwartet, die Glückszahl hält nicht, was sie verspricht. Und das mit dem Herrn van Ribbeck und dem Birnbaum, das entwickelt sich auch ganz anders als geplant. Stickelbroecks Serienheld, Ex-Fußballprofi und Privatdetektiv Hartmann, beherrscht in einer brandneuen, knackigen Geschichte den kurzen Pass. Und im Hafen am Windigen Eck weht es Düsseldorfs schärfstem Mordermittler, Pit »Struller« Struhlmann, in drei herrlich schrägen Fällen ganz schön stürmisch um die Nase.

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Vom Autor bisher bei KBV erschienen:

Die Hartmann-Reihe:

Fieses Foul

Kalte Blicke

Fischfutter

Auf die harte Tour

Schrott

Blindgänger

Blondes Gift

Fesseltrick

Schnell erledigt (Kurzkrimis)

Haken dran! (Kurzkrimis)

Klaus Stickelbroeck wurde 1963 in Anrath geboren. Er lebt in Kerken am Niederrhein und arbeitet als Polizeibeamter in Düsseldorf. Seinen ersten Kurzkrimi veröffentlichte er im Jahr 2000. Der erste Kriminalroman Fieses Foul erschien 2007. Sein Kriminalroman Fischfutter (2010) wurde für den Friedrich-Glauser-Preis als bester Kriminalroman des Jahres nominiert.

Stickelbroeck ist einer der fünf »Krimi-Cops«, deren sieben Kriminalromane, zuletzt Böse Falle (2021), ebenfalls im KBV-Verlag erschienen sind.

www.klausstickelbroeck.de · www.krimi-cops.de

Klaus Stickelbroeck

MACHSTE NIX DRAN

Kriminalstorys

Originalausgabe

© 2022 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim

www.kbv-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Telefon: 0 65 93 - 998 96-0

Umschlagillustration: Ralf Kramp

Print-ISBN 978-3-95441-607-3

E-Book-ISBN 978-3-95441-617-2

»Ich hab es gerne kurz und knackig!«

(Hartmann)

INHALT

1.Camping-Chaos

2.Sonntagsspaziergang

3.Die Bestie im Buchsbaum

4.Silvesterkarpfen

5.Oschis Eleven

6.Dicke Lippen

7.Wolfsjagd

8.Alles für die Gemeinde

9.Killen auf Kythira

10.Italienischer Tod

11.Tödliches Flair

12.Glück rauf

13.Altbier-Blues

14.Klabautermann

15.Glückszahl

16.Sie fackeln nicht lang … in Nesselwang

17.Sturm am Windigen Eck

18.Heiße Zitronen

19.Der bedauerliche Vorfall in Zimmer 22

20.Trau dich!

21.Scharfe Kante

22.Herr van Ribbeck

Danksagung

Quellenangaben

CAMPING-CHAOS

Lutz Pasullke saß mir im Vernehmungszimmer gegenüber und rutschte unruhig auf seinem Bürostuhl vor und zurück. »Das ist jetzt alles … doof, aber … ich kann doch nichts dafür.«

Ich blätterte in meinen Unterlagen ein paar Seiten zurück an die Stelle, an der sich die Fotos befanden. »Ich möchte aber schon ganz genau wissen, was da passiert ist.«

Der Alte vor mir jammerte tonlos.

Ich gab ihm zum Einstieg ein Stichwort. »Wieso denn jetzt überhaupt Camping?«

Mein Gegenüber nickte heftig. »Herr Kommissar, das … das hab ich mich auch gefragt. Camping ist doch hier bei uns im Ruhrpott genetisch-kulturell ja gar nicht vorgesehen. In Amerika, klar. Da wird ja traditionell viel gezeltet. Die Indianer, die Tipis. Aber bei uns in Wattenscheid? Wir sind ja historisch und von der Evolution aus jetzt mal ganz genau drauf geguckt eher die Höhlenmenschen. Ich Mammut, du Feuer!«

»Hurga, Hurga!«, stimmte ich zu.

»Genau, Herr Kommissar. Ich bin nich so für Zelten.

Wir ausm Pott haben von jeher die Behausungen mit kräftigem Schlag in den Stein geklopft. Daher ja auch der Bergbau!«

Ich blinzelte. »Aber jetzt …«

Lutz Pasullke stöhnte laut. »Ja, jetzt war die Mehrheit unserer wilden Rasselbande fürs Zelten. So ein Quatsch!«

»Ähm … Rasselbande?«

»Ja, hier: Heinz Chilonka, Bert Breitscheid, der dicke Arno Kositzki, der Udo Mattuschek, der Paul Schabulski, Horst Zdrenka und ich. Wir spielen beim Arno im Garten immer Doppelkopf. Beinhart. Mit Bock und Ramsch und alles.«

»Ja, … aber Rasselbande? Der Begriff ist ja eher ein wenig irreführend.«

Lutz Pasullke schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Herr Kommissar, die Kollegen sind schon alle deutlich jünger als ich.«

»Sie sind 86.«

»Das ist richtig. Aber unser Jüngster, der Arno Kositzki, also … Als ich das erste Mal auf Sohle 3 auf Zeche Prosper Haniel in Bottrop eingefahren bin, da ist der kleine Arno noch mit der Trommel laut schreiend um den Christbaum gerannt.«

»Arno Kositzki ist 76.«

»Genau. Der olle Jungspund.«

Ich verdrehte die Augen. Jungspund war eine Formulierung, bei der es scheinbar auch sehr stark auf den Blickwinkel ankam.

»Ja. Und der Heinz Chilonka, der hat jetzt gesagt, dass es diesmal auf Herrentour aber nicht wieder nach Bad Hönningen gehen sollte. Da haben alle gefragt: Wieso? Und der Heinz hat gemeint, weil die Frauen da ja auch nicht jünger werden.«

»Aha.«

»Der Bert Breitscheid hat daraufhin vorgeschlagen, dass man mal wieder zelten gehen könnte. Weil es da in den Gemeinschafts-Baderäumen immer so viel zu gucken gibt.

Wie in Bad Hönningen.

Der Paul Schabulski hat gleich einen Campingplatz bei Oberwesel ins Spiel gebracht, weil der da im Krieg als Flakhelfer stationiert war. Der schwärmt immer davon, was das damals für ne schöne Zeit war. Jetzt von dem Krieg mal abgesehen.

Dem Udo Mattuschek und dem Horst Zdrenka war das egal. Kann auch sein, dass der Udo das gar nicht mitbekommen hatte, denn der Udo ist extrem schwerhörig. Fast taub. Den muss man feste anschreien, damit der überhaupt was mitkriegt. Und seit zwei Jahren ist der außerdem sehr kurzsichtig. Extrem. Fast blind. Und tüttelig. Für Doppelkopf eigentlich nur noch bedingt geeignet.«

»Und welche Rolle spielen Sie?«, wollte ich wissen.

»Ich bin ja jetzt der Älteste. Ich pass immer auf alle auf. Manchmal geht es bei der Rasselbande ja auch ein bisschen drunter und drüber. Je oller, je doller! Aber einer muss ja die Zügel auch mal in die Hand nehmen und Vernunft anordnen. Manche von den Kerlen – glaub ich – werden nie erwachsen.«

Mein Blick fiel auf die Notizen. Ich nickte. Da konnte der alte Pasullke auf seine Art tatsächlich recht behalten …

»Ja. Und wie war das denn jetzt alles ganz genau?«

»Herr Kommissar, wir sind mit dem alten VW-Bus von Heinz Chilonka losgefahren und waren eine Stunde später auf dem Campingplatz. Bert Breitscheid hat uns dann gleich auf eine besonders schöne Parzelle aufmerksam gemacht.

Ich für meinen Teil war froh, dass wir da waren. Der Horst Zdrenka ist ein ganz, ganz schlimmer Allergiker. Und weil dem Heinz Chilonka seine Tochter ihr Verlobter für einen Biobauernhof Gemüse ausfährt, waberte durchs Fahrzeug so ein leichter Kohlgeruch. Nicht schlimm, aber das hat schon gereicht, um dem Horst die Augen rot zu färben. Der Horst Zdrenka ist gegen fast alles allergisch. Erdnüsse, Ahorn. Die SPD. Seit neuestem auch gegen Atemlos von Helene Fischer.

›Hier sind wir richtig, eine super Aussicht‹, tönte dann der Bert Breitscheid.

Ich hab ausm Fenster geguckt. Na ja. Über eine halbhohe Holzabsperrung hat man freie Sicht auf den Rhein, der genau da in Oberwesel einen Bogen schlägt. An der Kante geht es steil tief runter, man guckt direkt auf den Rhein, aber – Herr Kommissar, mal ehrlich – so ein Fluss, auch wenn der einen Bogen schlägt, der fließt ja immer nur in eine Richtung. Besonders spektakulär is das nicht. Kennste einen Fluss, kennste alle.

›Suuuuper‹, rief aber plötzlich auch der dicke Arno Kositzki, und jetzt sah ich erst, was die beiden meinten.

In der Parzelle neben uns stand ein schwarzer Sportwagen mit holländischen Kennzeichen. Und zum Zelt auf der Parzelle gehörten zwei Frauen. Sehr jung. Sehr schlank. Sehr blond. Bei den beiden hatte der liebe Gott sich richtig Mühe gegeben. Die lagen in ihren Liegestühlen und sonnten sich oben ohne. Oben ohne war in dem Sinne auch fast schon verkehrt gesagt, denn die hatten oben sehr viel. Also eher: oben ohne mit oben viel. Wie heißen noch mal diese Ballon-Früchte aus den Tropen?«

»Melonen?«

»Genau. Ich war trotzdem gar nicht sooo begeistert von dem Standort, weil direkt auf der anderen Seite unserer Parzelle der Sammelcontainer für die Bioabfälle stand. Bio-Abfälle locken ja das ganze Stechzeug an. Dat is ja auch nicht soooo klasse, aber … Melonen aus Holland? Herr Kommissar, die Entscheidung war gefallen.

›Hier bleiben wir‹, strahlte der dicke Arno.

›Besser als Bad Hönningen!‹, jubelte Bert Breitscheid.

›Schuperschön hier‹, rief Paul Schabulski.

Paul hatte – wie immer, wenn es auf Doppelkopf-Tour ging – sein Gebiss zu Hause gelassen. Die Dritten gingen dem nämlich immer verloren. Zahlt auf die Dauer ja keine Versicherung. Deshalb hatte der Paul sich im Internet eine Ersatz-Kauleiste aus Taiwan bestellt. Die war zwar extrem billig, aber da war links und rechts ein bisschen Spiel in der Keramik, worunter seine Aussprache sehr litt.

›Ich muss Pipi‹, sagte Udo Mattuschek.

›Isch melde unsch an der Reschepschion an‹, erklärte Paul Schabulski, sein Gebiss wackelte wild.

›Wir anderen bauen das Zelt auf‹, schlug ich dann auch mal was vor.

Gesagt, getan. Also … gesagt … und erst mal angefangen.

Das war nämlich gar nicht so einfach, das mit dem Zelt. Paul Schabulski hatte das Zelt nämlich ein paar Jahrzehnte lang im Keller gelagert. Das war noch alter Wehrmachtsbestand. Und roch arg muffig. Herr Kommissar, solche Schimmelkulturen haben Sie noch nicht gesehen.«

»Nicht schön!«

»Nee. Das sagte auch gleich der Horst Zdrenka, der mit Spontanschweiß auf der Stirn auch sofort zu hüsteln anfing.

Der dicke Arno Kositzki schüttelte dann Zeltstangenstücke aus einem staubigen Beutel. Dabei kullerten auch drei Mäuseskelette mit auf den Rasen. War lange nicht aufgebaut worden, das Zelt.

Eines der Stangenstücke schlug der Arno dem Bert Breitscheid versehentlich vor den Kopf. Der Bert hatte nicht aufgepasst, weil eine der Holländerinnen anfing, sich mit Sonnenmilch einzucremen. Mein lieber Scholly! Ich sag ja, die kriegen nich viel gebacken, die Holländer, aber sich mit Sonnenmilch einreiben … dat können die.

Arno selbst widmete sich jetzt schnaufend den Heringen. Der Arno hatte so ein kleines Campinghämmerchen und kloppte jetzt sofort wie wild auf die Pflöcke ein.

Ich hab derweil versucht, das alles unter Kontrolle zu halten.

Die beiden Holländerinnen fest im glasigen Blick, fing der Bert an, die ersten Zeltstangenteile ineinander zu drücken, damit das Zelt von innen schon mal grob aufgerichtet werden konnte. Dazu ist der Heinz Chilonka in das schlaffe Stoffteil reingekrochen. Und wie die Außenwand dann das erste Mal aufgerichtet sichtbar wurde, hab ich den ersten, riesigen Schreck bekommen!« Lutz Pasullke schnappte nach Luft. »Wie sich das Zelt so spannt, seh ich, dat dat beschriftet ist. Also quasi. Die Nazis haben ja seinerzeit alles vollgeschmiert mit ihren Hakenkreuzen. Da prangte jetzt dick und fett ein weißes Hakenkreuz auf dem Zeltstoff.

Da hab ich sofort an die Holländerinnen gedacht.

Ich schnappte mir ganz schnell eines von Bert Breitscheids Frotteebadelaken und warf es hastig über das Kreuz. Das war ein großes, weißes Saunalaken. Mit rot gestickter Schrift. Aus Berts Stammkneipe: Golden Lover Swinger Club. Na ja, besser Swinger Club als Hakenkreuz.«

Ich nickte hastig. »Auf jeden Fall! Viel besser!«

»Ja, Herr Kommissar, das meine ich mit ›alles ein bisschen unter Kontrolle halten‹. Nun ja. Jetzt waren alle irgendwie beschäftigt. Der Heinz beulte gruselig von innen mit seinem Kopf das Zelt immer wieder aus, Arno kämpfte tapfer gegen die Heringe, Bert schob mit abwesendem Blick die Zeltstangenteile ineinander, und Horst Zdrenka hantierte – die Nase schniefend – mit den Spannleinen rum.

Da brach plötzlich bei den Sanitäranlagen der Tumult aus. Ich rannte sofort hin.

›Mann, gehört der zu Ihnen?‹, herrschte mich ein braun gebrannter Security-Kerl an und drückte mir den Udo Mattuschek in die Arme. ›Der belästigt die Leute.‹

›Ich war nur Pipi machen‹, maulte Udo.

›In der Damentoilette!‹

Udo hatte, kurzsichtig wie er war, Herren- und Damentoilette verwechselt. Und war dann falsch abgebogen. In den Duschbereich. Für Frauen. Wo er sich hin verlaufen hatte. Außerdem hatte er tüttelig vergessen, den Reißverschluss an seiner Hose zuzuziehen. Und vorher alles ordentlich einzupacken. Was jetzt leider falsch gedeutet wurde.

›Wat stellen die sich denn so an?‹, keifte Udo.

›Lass gut sein.‹

›Sind wir denn nicht in Bad Hönningen?‹

Ich konnte dem Security-Mann glücklicherweise schnell alles erklären und verstaute beim Udo alles, was raushing, dahin, wo es reingehörte. Wenn Männer alt werden, dann werden die komisch.

Dann bugsierte ich Udo eilig zurück auf unsere Parzelle und stellte ihn an einen Baum. ›Du wartest jetzt genau hier, bis wir das Zelt aufgebaut haben.‹

›Wat denn fürn Zelt?‹, fragte Udo.

›Lutz! Luhutz!‹, kreischte in dem Moment plötzlich der Horst Zdrenka mit entsetzter Panik in der Stimme.

Ich blickte rüber. Horst stand neben dem Zelt, hielt in der einen Hand ein Spannseil und winkte heftig mit der anderen. Gleich neben ihm drückte Heinz Chilonka seinen Kopf von innen gegen die stramme Zeltwand. Seine verzerrten Gesichtszüge waren deutlich im Stoff zu erkennen. Sah ebenfalls ein bisschen nach Verzweiflung aus.

›Aua‹, schrie Bert Breitscheid.

Eine der Holländerinnen hatte ihn abgelenkt. Sie war aufgestanden, um den Liegestuhl ein bisschen mehr in die Sonne zu ruckeln. Bert hatte sich an den Zeltstangenschienen die Haut eingeklemmt.

›Bert‹, rief ich mahnend. ›Denk an deinen Blutdruck!‹

Ich trat zum Horst Zdrenka. ›Wat haste, Horst?‹

Horst Zdrenka hielt mir einen Handballen vors Gesicht. ›Mich hat eine Wespe gestochen.‹

›Äh …‹

›Ich glaub, ich bin gegen Wespenstiche allergisch.‹

Aus dem Augenwinkel sah ich überrascht, wie Udo Mattuschek sich schleichend wieder in Bewegung setzte. Der Trottel sollte doch am Baum warten.

›Horst, bist du jetzt gegen Wespenstiche allergisch oder nicht?‹

›Ich glaube schon.‹

›Überleg noch mal genau!‹

Horst Zdrenka blickte leidend. ›Muss ich sterben, Lutz?‹

Ich schüttelte den Kopf. ›Ich glaube nicht.‹

›Mann‹, fluchte Heinz Chilonka aus dem Inneren des Zeltes. ›An den Fensteraufhängungen ist alles verdreht! Gibt’s denn keine Aufbauanleitung?‹

Bert Breitscheid knurrte: ›Die hat der Russe.‹

›Drecks-Sau-Heringe!‹, maulte Arno Kositzki.

Ich beugte mich zu ihm runter. Arno Kositzki schlug mit hochrotem Kopf wütend fluchend auf einen Hering ein. ›Dat wehrt sich, dat Scheißviech!‹

›Ja, Arno, der Hering ist ein Scheißvieh. Aber du hast den Hering auch mit dem stumpfen Ende nach unten aufgesetzt.‹

›Was?‹

Seine Stirnader pochte heftig.

›Der Hering. Der muss andersrum. Mit dem spitzen Teil nach unten. Dann lässt der sich auch leichter in den Boden kloppen!‹

Neben uns drückte Heinz Chilonka gruselige Geisterfiguren in die Zeltwand. Ich richtete das inzwischen wieder leicht verrutschte Badetuch aus dem Swinger Club und verdeckte die unsäglichen Insignien unserer finsteren Vergangenheit.

›Geile Schnecken‹, summte Bert Breitscheid lüstern, renkte sich den Hals Richtung Nachbarparzelle, und es war ernsthaft zu befürchten, dass ihm die Augäpfel aus den Höhlen kullern würden.

›Ich glaube, mir wird kodderig‹, murmelte Horst Zdrenka. ›Lutz, kannst du mir das Gift aus der Wunde saugen?‹

›Ähm …‹, wollte ich gerade verneinen, aber mein Blick fiel erschrocken auf Udo Mattuschek, der mit unsicheren Schritten, aber zielstrebig Richtung Klippe schluffte.

›Udo! Stehen bleiben!‹, brüllte ich so laut ich konnte und schreckte die beiden halb nackten holländischen Grazien aus den Liegestühlen, die sich hastig aufrichteten.

›Suuuuper‹, knurrte Bert und drückte sein Breitscheider Kreuz durch. Sein Kopf wippte im Takt ihrer blanken Brüste. ›Hammer! Hammer! Hammer!‹

Ich seufzte. Bert Breitscheid hatte ganz offensichtlich seine Beta-Blocker noch nicht genommen …

›Ich spüre meine Beine nicht mehr‹, flüsterte Horst Zdrenka leise und schwankte.

›Drecks-Scheiß-Hering-Sau-Viecher‹, maulte Arno Kositzki.

Paul Schabulski näherte sich von links und maulte: ›Mensch, scheid ihr bekloppt? Ihr müscht wasch über dasch Schelt werfen. Man schieht dasch Hakenkreutsch!‹

Vor Aufregung rutschte ihm sein Taiwan-Gebiss vom Kiefer, wäre fast zu Boden gefallen, aber mit Finger und Zunge porkelte er die Keramik wieder zurück in den Mund.

›Äh …‹

›Wo isch Heintsch? Ich brauche den Fahrscheuschschein vom Busch.‹

›Im Zelt‹, flüsterte ich und bemerkte erstaunt, dass es in dessen Inneren nicht mehr schnaufte und niemand Hände oder Köpfe von innen in die Zeltwand drückte.

›Aua‹, fluchte Bert Breitscheid und hielt sich den Daumen.

›Scheiß-Sau-Drecks-Mist-Vieh!‹, maulte Arno Kositzki und holte mit dem Hämmerchen aber ganz weit aus.

›Udo!‹, rief ich, denn der seh- und hörbehinderte Kartenspieler näherte sich gefährlich der hüfthohen Holzabgrenzung, die den gemeinen Campingfreund an einen Sturz die Klippe runter zum Rhein hindern sollte.

Paul wühlte sich durch die Stofflappen des Zelteingangs. ›Heinsch? Boah, riecht dasch hier muffig! Wasch machsch schdu da?‹

›Scheißvieh‹, rief Arno Kositzki, als er den Hammer auf den Hering niedersausen ließ … und sich der eiserne Kopf des Werkzeugs schwungvoll vom Holzstil löste.

›Heinsch?‹, schrie Paul drinnen im Zelt.

›Ich kippe um‹, flüsterte Horst Zdrenka neben mir und tat es.

›Aua‹, rief Bert Breitscheid, noch einen Tick lauter als sonst, und fasste sich an den Hinterkopf.

›Tschuldigung‹, knirschte Arno Kositzki, als er sah, dass das fliehende Hammerstück seinen Kartenkumpel volle Suppe am Schädel getroffen hatte.

›Hui‹, sagte ich.

Und fragte mich gleichzeitig, warum so ein Werkzeug für simple, dünne Heringe in den Boden zu schlagen unbedingt aus massivem Eisen sein musste. Ich meine, so einen Holzhammer oder einen aus Gummi an den Kopf zu bekommen, das wäre ja schon gefährlich genug gewesen …

Aber so ein Eisenstück?

Wie mit der Axt gefällt, fiel der breite Bert vorne rüber Richtung Zelteingang.

Wo im gleichen Moment Paul Schabulski wieder auftauchte. ›Um Himmels willen. Ich glaub, der Heinsch, der hat schich an den Schnüren für die Fenschtervorhänge aufgehängt … Uuuurgh.‹

Uuuurgh, weil der Bert Breitscheid dem Paul im Fallen das stumpfe Ende der Zeltstange in den Bauch gerammt hatte. Das war ja an sich gar nicht so schlimm. Aber Paul Schabulski griff sich jetzt an die Kehle. Mit weit geöffnetem Mund. Ich konnte da im Mund … alles sehen. Nur nicht das asiatische Ersatzgebiss. Dafür sah ich eine Beule im Hals vom Paul. Verdammt, der Paul hatte seine Zähne aus Taiwan verschluckt.

Röchelnd fiel Paul Schabulski zurück ins Zelt.

›Aaaaaaah‹, hörte ich plötzlich Udo Mattuschek schreien.

Ich wirbelte entsetzt herum. Udo Mattuschek hatte das hölzerne Absperrgeländer erreicht. Ich sah gerade noch, wie er mit einem spektakulären Salto über Holzgestänge und Klippe nach unten rauschte. Zuletzt verschwanden seine Schuhe Richtung Gevatter Rhein.

Schuhe … gutes Stichwort.

Ich blickte nach unten. Zu meinen Füßen war Horst Zdrenka inzwischen dunkelblau angelaufen. Er tat einen letzten, krampfenden Zucker … und schloss seine Augen. Allergieschock.

›Hoppla‹, summte plötzlich hinter mir der dicke Arno Kositzki, der – sich hektisch aufrappelnd – just in diesem Moment über eine vom Horst Zdrenka falsch gespannte Zeltschnur stolperte und …

Ich hatte es ihm doch gesagt! Dass er den Hering mit der scharfen Seite nach unten in den Boden einschlagen soll. So stürzte er jetzt ganz unglücklich. Und rammte sich das spitze Ende der Halterung mitten in den Bauch.

Herr Kommissar, so is das alles passiert. Jetzt, jetzt war auf unserer Parzelle Ruhe eingekehrt. Jetzt hatte ich endlich die ganze Rasselbande unter Kontrolle. Irgendwie. Herr Kommissar, ich hab ja gleich gesagt: Ich bin nich so für Zelten!«

Nachtrag:

Noch bevor die von Lutz Pasullke hinzugezogenen Rettungswagen eintrafen, war Bert Breitscheid schon wieder bei Besinnung und trotz Beule am Kopf guter Dinge.

Udo Mattuschek war relativ glimpflich in einem Dornenstrauch gelandet und hatte sich nur ein paar kleinere Kratzwunden zugezogen. Seine Worte, als ihn die Feuerwehr über den Klippenrand hochhievte, waren: »So ein Scheiß! Nie wieder Bad Hönningen!«

Den Feuerwehrleuten gelang es ebenfalls, Horst Chilonka mit ein paar scharfen Messerschnitten aus seiner Selbstfesselung und -knebelung zu befreien.

Dabei nahm das Zelt Schaden.

Der dicke Arno Kositzki hat es noch am gleichen Nachmittag samt Hakenkreuz im Müll entsorgt. Ja, genau, der Arno, der sich beim Sturz über die Spannleine den spitzen Hering in den Bauch gerammt hatte. Aber nicht besonders tief, nur ein ganz kleines Stückchen. Fleischwunde. Und Fleisch, davon hat der dicke Arno ja immer schon reichlich gehabt.

Paul Schabulskis asiatisches Zweitgebiss war tatsächlich in seine Luftröhre gerutscht. Gefährlich, gefährlich. Oft tödlich.

In diesem Fall … nicht.

Hier hatten sich die Beißerchen nämlich gleich so quer gestellt, dass ausreichend Restluft links und rechts an der Billigkauleiste hatte vorbeiströmen können.

Richtig neidisch waren allerdings alle auf Horst Zdrenka. Um den nach Wespenstich um die Besinnung ringenden Allergiker hatten sich sofort die beiden holländischen Krankenschwestern gekümmert. Halb nackt, wie sie waren, leisteten sie Erste Hilfe, redeten dem armen Horst gut zu und brachten seinen panikturbulenten Kreislauf gefühlvoll wieder in den grünen Bereich.

Das fand Bert Breitscheid: »Suuuuper!«

DER SONNTAGSSPAZIERGANG

Sonntagnachmittag. Ich sitze im Sessel. Tiefenentspannt. Locker, relaxt, Becher Kaffee in der Hand.

Da bemerke ich: Nanu?

Es stellt sich meine Frau dazu.

»Das Wetter ist so schön«, höre ich sie wie unschuldig lachen.

»Lass uns einen Spaziergang machen!«

Mein Herz setzt aus, wo ist mein Pulsschlag hin?

Nach Spaziergang steht mir so gar nicht der Sinn.

»Schatz, bitte nicht, ich fühl mich so schlapp.

Die ganze Woche hielt mich der Chef auf Trab.«

Hilft nichts, Schatz ist da gnadenlos.

Eine halbe Stunde später marschieren wir los.

Meine Frau frohlockt: »Ist das hier nicht schön?

Guck mal, die Häschen. So viele. Hab ich lange nicht gesehn.«

Wir gehen immer tiefer in den Wald hinein.

Die hohen Tannen schlucken den Sonnenschein.

»Das ist hier aber düster.« Sie schmiegt sich enger an mich.

»Das ist so beklemmend, echt gruselig.«

»Na ja«, sag ich. »Du hast ja noch Glück.

Ich, ich muss nachher allein zurück.«

DIE BESTIE IM BUCHSBAUM

Ich bin ein friedlicher, umgänglicher Mensch. Schon immer gewesen. Da konnten Sie im Grunde auch jeden fragen. Meine Frau, den Werner mit seinem Schäferhund Bruno von gegenüber, alle. Außer meinen Nachbarn zur Rechten. Den nicht. Mein Nachbar zur Rechten heißt Shao Lang. Er kommt aus China.

Es war ein Montag, ich weiß es noch ganz genau. Meine Frau, die Irmgard, und ich, wir wollten frühstücken. Gemütlich. Ein schöner Start in die Woche sollte es werden. Der Tisch war gedeckt, der Kaffee angesetzt, die Brotscheiben steckten im Toaster.

Ich trat raus vors Haus, um die Tageszeitung aus dem Briefkasten zu holen, und stand unter dem neuen, in frischem Grün gestrichenen Vordach aus hiesiger, deutscher Eiche. Die Sonne lächelte wohlwollend. Zufrieden ließ ich meinen Blick über unseren Vorgarten gleiten. Ein Kleinod. Der kleine Springbrunnen sprang, das Wasser im Teich gluckerte, die Goldfische schwappten kleine Wellen ans bunte Seerosenufer.

»Schön.«

Die Welt war in Ordnung, aber so was von!

Jedoch … Als ich mich über die kleine, zwanzig Zentimeter hohe Buchsbaumhecke beugte, um mir aus dem Metallkasten die Zeitung zu angeln, da fiel es mir sofort auf. Braun. So richtig totbraun war die Hecke. Von drinnen. Konnte man nur sehen, wenn man wirklich drauf achtete und von ganz oben drauf guckte.

Ich drückte vorsichtig zwei Pflanzen auseinander und sah die Viecher sofort. Raupen. Kleine, hellgrüne Würmer mit schwarzen Punkten, fünf Zentimeter lang. Sahen lustig aus. Aber ich hatte von ihnen schon gelesen.

In meinen geliebten Buchsbäumen steckte: der Zünsler.

Nackte Panik. Ich spürte den eiskalten Griff der grausamen Natur fest an meiner Gurgel, es raubte mir den Atem. Ich hatte genug gelesen, um zu wissen: Jetzt wurde es ernst, bitterernst.

»Irmgard, wir haben den Zünsler«, erklärte ich meiner Frau am Frühstückstisch mit ernstem Blick.

»Ist das was Schlimmes?«, fragte meine Frau.

»Ja«, sagte ich. »Ist es.«

Der frische Toast wollte nicht munden, der Kaffee schmeckte bitter. Ich schnappte mir einen Eimer und machte mich unverzüglich an die Arbeit. Einen Zünsler nach dem anderen pflückte ich mit spitzen Fingern aus den Büschen. Bei 574 hörte ich auf zu zählen.

»Hast du den Zünslel dlin?«, hörte ich die Stimme vom Nachbarn.

Ich blickte hoch.

»Da ist nichts zu letten«, stellte der Chinese fest. »Del Buchs ist verlolen. El ist so gut wie tot.«

»Niemals, Chao. Niemals.«

Ich brach die sinnlose Pflückaktion ab, ging ins Büro, fuhr mit sorgenvoller Miene den Computer hoch und befragte Herrn Google. Es war noch schlimmer, als ich befürchtet hatte. Der Zünsler war ein mieser Schädling, der Buchsbäume quasi über Nacht befiel und vollständig zerstören konnte. Eine Ausgeburt der Hölle. Erst fraß er die Blätter, anschließend verging er sich sogar an der Rinde. Dabei starben alle Pflanzenteile oberhalb der Fraßstelle ab.

»Horror!«

Dann las ich den Satz, der sich in den folgenden Tagen als ein entscheidender herausstellen sollte. Der Buchsbaumzünsler wurde aus Ostasien eingeschleppt.

»Chao Lang«, glitt mir der Name meines Nachbarn widerborstig über die trockenen Lippen.

Chao Lang war mit seiner Familie erst im Frühjahr zugezogen. Aus China. Aus Ostasien. Wie blind musste man sein, um den tödlichen Zusammenhang nicht zu sehen …

Hastig überflog ich die folgenden Zeilen. Der Zünsler hatte hier in Europa keine natürlichen Feinde. Mir wurde schlagartig klar: Ich musste handeln. Und zwar sofort. Und gründlich.

Die Elektrosäge hatte ich mir schon vor einiger Zeit zugelegt, aber noch nicht ausprobiert. Oberhalb der Fraßstelle sollte der Buchsbaum absterben? Nun, ich hatte vor, dem gierigen, grünen Monster die Nahrung zu entziehen.

Verlängerungskabel eingestöpselt, der Motor im orangefarbenen Gehäuse brummte los, das Messerblatt rappelte.

»Nicht den Kabel dulchschneiden«, mahnte mich Chao, der wieder über den bauchhohen Maschendrahtzaun zu mir rüberlugte.

»Glaub mir, ich weiß, was ich tue!«

Ich setzte das Messer an, los ging es. Leider nicht so leicht und locker, wie ich dachte. Immer wieder verhakte sich die Schere in den dicken Stämmen der Buchsbüsche, die deutlich hartnäckiger als gedacht schienen. Aber wenn man kräftig genug drückte. Und zog. Und aufpasste, dass man nicht abglitt …

Wupp.

Was war denn jetzt?

»Du hast das Elektlokabel dulchgeschnitten.«

Oh. Mein Blick fiel auf eine saubere Schnittkante am Kabel, das in der Luft baumelte.

»Mist.«

Ärgerlich trat ich das durchtrennte, längere Kabelstück zur Seite, das im hohen Bogen davonschnellte. Das offene Ende schlug in meinen Vorgartenteich.

Bzzzzzzzzzzzzzzzzzz.

»Verdammt.«

Ich stürzte zum Teich. Siebzehn. Siebzehn Goldfische schwappten mit den Bäuchen nach oben an die Wasseroberfläche. Ich hatte meine Fische immer mal zählen wollen, aber …

Mein Blick wanderte zum Maschendrahtzaun. Chao Lang stand dort mit versteinerter Miene. Oh, ich wusste, wie es hinter dieser Maske aussah.

Zum ersten Mal spürte ich so etwas wie Wut auf meinen Nachbarn. Auf Chao Lang. Auf den Chinesen. Auf den … Ostasiaten.

»Du bist dabei, dich in irgendetwas reinzusteigern«, mahnte Irmgard mit eindringlicher Stimme.

Ich schüttelte ärgerlich den Kopf. »Mitnichten steigere ich. Ich lasse aber nicht zu, dass gefräßige Wurmtiere mir meinen Garten ruinieren. Egal ob schwarz gepunktet oder gestreift!«

Irmgard seufzte. Sie kannte mich lange genug, um zu wissen, dass für mich Werte wie Kreativität, Ordnung und Fairness sehr wohl eine Bedeutung haben, für die ich zu kämpfen bereit war.

»Der Zünsler hat keinen natürlichen Feind?«, lächelte ich verschlagen. »Das stimmt nicht. Die Viecher werden es spüren. Sie haben einen Feind: mich!«

Als ich später die Goldfische hinten im Garten beerdigte, wurde mir klar, dass ich vom strategischen Ansatz her absolut auf dem richtigen Weg war, nämlich den Drecksraupenviechern die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Wenn nicht mit der Elektrosäge, dann eben mit der Eisenhacke. Ich hatte im Gartenhäuschen noch so ein Teil mit breiter Schüppe. Gut gezielt, würde ich den Buchs oberhalb des Erdaustritts abhacken.

Ich kehrte mit dem Gerät unterm Arm in den Vorgarten zurück, mein Blick fiel in den Garten meines Nachbarn. Der hatte vor wenigen Wochen ebenfalls einen Teich angelegt, in dem dessen Goldfische vermutlich gerade friedlich ihre Runden drehten. Es ist eine ungerechte Welt.

Chao Lang nannte seine Goldfische Koi. Die Asiaten brauchten ja immer eine Extrawurst. Und selbst die Wurst nannten sie dann Sushi.

Ich schüttelte mich.

Auf geht’s. Die Hacke fest ergriffen, weit ausgeholt, mit Schwung und schwupp.

»Hups.«

Verfehlt. Die Hacke landete hinter dem Buchs und hackte federnd in einen Widerstand.

Bzzzzzzzzzzzzzzzzzz.

Ich konnte schon am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen werden. Ich hatte die Hauptstromleitung zum Haus gekappt. Die alten Kabel hatte ich immer mal austauschen und tiefer legen wollen.

Chao Lang hatte mich bewusstlos im Garten gefunden? Sie kennen Raumschiff Enterprise? Und diesen immer leicht miesmuscheligen Lieutenant Sulu? Der asiatische Mann in seinem senfgelben Shirt am Cockpit?

Sulu, Phaser frei. Feuern!

Keine Energie, Captain.

Nie hatte der Energie! Nie! Und immer blockierten die Protonentorpedos. Hallo? Das kam mir damals schon komisch vor.

Ich habe Sulu nie über den Weg getraut.

Es war so klar wie Kloßbrühe. Ich befand mich in einem Krieg. Und ich brauchte einen Verbündeten, ich musste aufrüsten. Ich wandte mich an einen Sachverständigen in Sachen Gift, Unkrautbekämpfung, Chemie: Roundup-Ralle.

»Ich hab hier eine Spezialmischung für dich«, konnte er mir tatsächlich weiterhelfen.

»Danke, Ralle.«

»Alles klar. Beim Zünsler müssen wir alle zusammenhalten!«

»Ich könnte Amok laufen!«

Roundup-Ralle musterte mich aus den Augenwinkeln und mahnte: »Es ist nur eine Raupe, Klaus.«

»Nur?«

»Immer cool bleiben!« Er reichte mir einen kleinen, schwarzen Kanister. »Ich habe da was ganz Spezielles für dich. Gibt es hier gar nicht zu kaufen. In Deutschland. Oder in Europa. Eigentlich gibt es das nur in Kasachstan. Im Osten Kasachstans.«

»Das klingt gut«, flüsterte ich.

»Vorsichtig mit dem Zeug. Da geht alles von kaputt.«

»Ich hab nicht vor, es zu trinken, Ralle.«

»Solltest du auch nicht. Das Zeug ist schwer ätzend und brennt dir in Sekundenschnelle ein Loch ins Fleisch.«

Ich dachte an die grünen Barbaren. »Das Zeug … ist genau richtig!«

Die Irmgard ist kein Freund von Gift. Wegen der vielen Vögel, die bei uns brüten, wegen der Kinder, die manchmal durch unseren Garten toben, und wegen der Hunde aus der Nachbarschaft.

Deshalb schlich ich mich in der kommenden Nacht heimlich in die Garage. Ganz hinten unter der Kartoffelkiste hatte ich das schwarze, osteuropäische Kanisterchen versteckt. Leise und vorsichtig huschte ich ums Haus nach vorne. Kein Licht. Vorsichtig schraube ich den Kanister auf und kippte ihn. Leise gluckerte das teuflische Zeug über die Pflanzen.

»Sauft, ihr schlitzäugigen Monster, sauft«, flüsterte ich in die vollmondhelle Nacht.

Ha, es rieselte und prasselte auf die kleinen grünen Raupenviecher herab. Nur wenige Tropfen pro Busch reichten, hatte Roundup-Ralle erklärt, um die Viecher wegzugiften. Gut, auch der Buchs würde leiden, aber das war in einem Krieg so, Kollateralschäden kamen vor. Es gilt, das große Ganze zu sehen. Das Ziel war wichtig. Manchmal musste man einfach …

»Klaus!«

Irmgard stand plötzlich in der Haustür, die kräftigen Oberarme energisch in die Hüften gestemmt. Mensch, was hatte die denn geweckt?

»Ich kann das erklären«, behaupte ich.

Und konnte es nicht. Denn in diesem Moment spürte ich das blubbernde Schäumen auf meiner linken Hand. Genau dort, wohin ich erschreckt das Zeug aus Kasachstan hin verschlabbert hatte. Gar nicht viel. Nur ein paar Tropfen …

Bzzzzzzzzzzzzzzzzzz.

Eine tiefe, unschöne Narbe würde bleiben, ein fransiger Krater. Da konnten die Ärzte nichts dran machen, Roundup-Ralle hatte mich ja gewarnt.

Irmgard führte ein ernstes Gespräch mit mir.

Sie hatte nichts verstanden. Es ging hier doch nicht um ein Krabbeltier, das irgendwann mal als Falter schlappe acht bis neun Tage durch die Gegend flattern würde, nein. Es ging um die Evolution als solche.

Macht euch die Tiere untertan! Das stand schon in der Bibel. Der Homo sapiens war nicht die Krone der Schöpfung, weil er wegen jeder schwarz gepunkteten Kreatur den Schwanz eingezogen hatte, sondern weil er sie bekämpft und besiegt hat.

Es konnte nur einen geben. Der Zünsler oder ich!

Ich schlug mir auf die Brust. »Hurga!«

Kaum dass es dunkel war, kippte ich den Rest aus dem Kasachstan-Kanister heimlich in den Koi-Teich.

Chao Lang hatte am folgenden Tag die Polizei zu Gast. Sie konnten mir nichts nachweisen, denn ich hatte den fast leeren Kanister ganz hinten im Hühnerstall versteckt.

Die toten Hühner vergrub ich am nächsten Morgen gleich neben den Goldfischen.

»Klaus! Nein!«, rief Irmgard plötzlich laut mit entsetzter Stimme.