Machtübernahme - Arne Semsrott - E-Book

Machtübernahme E-Book

Arne Semsrott

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Beschreibung

Demokratie in Gefahr – und was wir dagegen tun können "Arne Semsrott zeigt in diesem leider furchtbar nötigen Buch, was von rechts auf uns zu kommen könnte und was man dagegen unternehmen kann. Große Leseempfehlung." Marc-Uwe Kling Es sind beunruhigende Zeiten: Vor wenigen Jahren waren Rechtsextremisten im Parteienspektrum noch weitgehend isoliert. Heute denken Teile der Union offen über eine Koalition mit ihnen nach. Und während antidemokratische Positionen in der Breite der Gesellschaft stetig an Zustimmung gewinnen, verzeichnet die AfD in den Wahlumfragen für 2024 Spitzenwerte. Höchste Zeit, sich mit der realen Gefahr einer autoritären Machtübernahme auseinanderzusetzen. Der bekannte Politik-Aktivist Arne Semsrott schreibt das Buch der Stunde und zeigt, was passiert, wenn Rechtsextremisten an die Macht kommen. Und er liefert konkrete Strategien dafür, wie wir unsere demokratische Gesellschaft verteidigen können. Die Zeit des Handelns ist jetzt Der Rechtsextremismus bedroht die Demokratie in Deutschland unmittelbar. Arne Semsrott zeigt eindrücklich: Unsere Institutionen sind angreifbar, Bürokratie und Verwaltung scheinen fragiler denn je. Schulen, Finanzämter, Ministerien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Polizei bilden das demokratische Fundament unserer Gesellschaft – doch was geschieht, wenn sie fallen? Und wie lassen sich Verfassung und Gewaltenteilung verteidigen, wenn Rechte beginnen, den Staat umzubauen, um ihre Macht langfristig zu festigen? Semsrott zeigt in seinem brandaktuellen Sachbuch ganz konkret, welche Mittel Gewerkschaften, Beamte, Justiz, Medien, Unternehmen und die Zivilgesellschaft nutzen können, um einer rechten Machtübernahme zu begegnen. Er diskutiert unter anderem - Generalstreiks, Streikpartnerschaften und politische Streiks, - Möglichkeiten, um rechte Richter in der Justiz transparenter zu machen, - ein AfD-Verbot, - die Vorteile eines Demokratiefördergesetzes, - das Remonstrationsrecht, das besagt, dass Beamte rechtswidrigen Befehlen nicht gehorchen dürfen, - was eine Änderung des Wahlrechts bewirken könnte, - das Leaken von Informationen und Whistleblowing, - ein "Sondervermögen Demokratie", - wie solidarisches Prepping aussehen kann, - warum Faschisten aus Talkshows ausgeladen werden sollten und - warum wir eine neu definierte Brandmauer nach rechts brauchen. Rechtsextremisten stehen kurz davor, Verantwortung in der Regierung zu übernehmen – wir sollten uns darauf vorbereiten, mit allen demokratischen Mitteln Widerstand zu leisten. Arne Semsrott legt die Sollbruchstellen der rechtsstaatlichen Institutionen offen und erkennt: Die Zeit des Handelns ist jetzt. "Obligatorische Lektüre für alle, die an einer wehrhaften Demokratie interessiert sind." Samira El Ouassil

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Arne Semsrott

Machtübernahme

Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren Eine Anleitung zum Widerstand

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wir leben in Zeiten, in denen rechtsextreme Kräfte sich nicht länger nur am gesellschaftlichen Rand, sondern in der Mitte der politischen Landschaft etablieren. Die Umfragewerte der AfD steigen, antidemokratische Positionen gewinnen in der Breite der Gesellschaft stetig an Zustimmung. Das ist nicht nur beunruhigend, sondern eine echte Gefahr für unsere Demokratie.

In seinem brandaktuellen Buch zeigt Arne Semsrott, was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren. Und er liefert konkrete Strategien dafür, wie wir unsere demokratische Gesellschaft verteidigen können. Schnell zeigt sich: Unsere Institutionen sind angreifbar, Bürokratie und Verwaltung scheinen fragiler denn je. Schulen, Finanzämter, Ministerien, Polizei, Justiz und der öffentlich-rechtliche Rundfunk bilden das demokratische Fundament unserer Gesellschaft – doch was geschieht, wenn sie fallen? Und wie lassen sich Verfassung und Gewaltenteilung verteidigen, wenn Rechte beginnen, den Staat umzubauen, um ihre Macht langfristig zu festigen?

Semsrott zeigt ganz konkret, welche Mittel Gewerkschaften, Beamte, Justiz, Medien, Unternehmen und die Zivilgesellschaft nutzen können, um einer rechten Machtübernahme zu begegnen. Er diskutiert u.a., was Whistleblowing, Transparenzinitiativen, Generalstreiks, Remonstration, Wahlrechtsänderungen und Demokratiefördergesetze bewirken können und wie solidarisches Prepping aussehen kann.

Rechtsextremisten stehen kurz davor, Verantwortung in der Regierung zu übernehmen – wir sollten uns darauf vorbereiten, mit allen demokratischen Mitteln Widerstand zu leisten.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Vorbemerkung

Motto

Vorwort: Wahlnacht

1. Einleitung

2. Szenario: »Nie wieder war gestern«

Schritt 1: Personal auswechseln

Schritt 2: Personal anweisen

Schritt 3: An den Geldhahn

Schritt 4: Skandal nach Skandal

Schritt 5: Gesetze ändern

Schritt 6: Weitere Vernetzung

Schritt 7: Grenzen austesten

Schritt 8: Wiederwahl

Schritt 9: Größere Projekte

Schritt 10: Dranbleiben

3. Zivilgesellschaft: Ich wäre im Widerstand gewesen

Auf der Straße

Der Aufstand der Politiker

Datenschutz gegen Neonazis

Transparenzklagen

Was tun?

4. Beamte: Netter Chef

Pflicht zum Widerstand

Die Sachzwänge

Auch Beamte unter den Opfern

Spezialfall Polizei

Was tun?

5. Gewerkschaften: Die Welt steht still

Betreten des Rasens verboten

Gemeinsam zur Sonne

Was tun?

6. Justiz: Im Namen des deutschen Volkes

Recht und Ordnung

Kontrolle der Gewalt

Gefahr von innen

Was tun?

7. Unternehmen: Kapital und national

Rassismus: gut fürs Geschäft

Rassismus: nicht gut für den Wirtschaftsstandort

Was tun?

8. Medien: Staatsfunk

The Right-Wing Extremists should not be televised

Einfallstore

Forderungsjournalismus

Was für eine Geschichte

Was tun?

9. Die Brandmauer

Brandmauer in Flammen

Eins plus mit Sternchen

Holt die Wäscheklammer raus

Rechtes Wahlrecht

Was tun?

10. Prepping for Future

Tag X, Y, Z

Nach den Protesten

Für eine bessere Gesellschaft kämpfen

Was tun?

11. Widerstand beginnt jetzt

Dank

Vorbemerkung

In diesem Buch werden immer wieder Szenarien durchgespielt, die die Konsequenzen einer rechtsextremistischen Machtübernahme behandeln. Diese stellen keine Tatsachenbehauptungen dar, sondern skizzieren als Meinung und stilistisches Mittel einen möglichen Verlauf der Zukunft. Es sagt sehr viel über unsere Gegenwart aus, dass wir beim Lesen oft nicht sagen können, ob es sich hier um die Realität oder ein Szenario handelt. Dieser Effekt würde verloren gehen, wäre jede dieser Stellen markiert. Grundsätzlich gilt: Überall, wo Quellen angegeben sind, wird auf reale Ereignisse verwiesen.

Und jetzt?

Vorwort

Wahlnacht

Es ist Sonntag, 18:03 Uhr. Wahlnacht. In Erfurt, Dresden und Berlin knallen die Sektkorken. Die AfD hat bei den Wahlen so viele Stimmen wie noch nie geholt. 31 Prozent, stärkste Kraft. Die Fernsehkameras fangen in den Parteizentralen von SPD und Grünen geschockte Blicke ein, aber wirklich überrascht ist niemand. Der Erfolg der AfD hatte sich angekündigt. In den Umfragen vor der Wahl war die rechtsextreme Partei teilweise sogar noch stärker gewesen. Ihre rassistischen Wahlplakate schreckten die Wähler nicht ab und schienen auch im Wahlkampf nicht hinderlich zu sein. Im Gegenteil.

Dass die Regierung kurz vor der Wahl noch ein Law-and-Order-Programm beschlossen hatte, das Abschiebungen weiter erleichtern und das Gendern auch an Hochschulen verbieten sollte, kam der rechten Oppositionspartei gelegen: Ihre Themen dominierten den Wahlkampf, ihre Leerstellen in den Bereichen Soziales und Bildungspolitik spielten kaum eine Rolle. Jetzt ist sie klare Wahlsiegerin.

Kurz nach der Verkündung der ersten Prognosen tritt die Parteispitze vor ihre jubelnden Anhänger. Ihr Vorsitzender schreit freudetrunken ins Mikrofon: »Jetzt holen wir uns das Land zurück!« Gleichzeitig fordert er von der Union, den Wählerwillen zu respektieren und gemeinsam mit der AfD eine Koalition fürs Vaterland einzugehen. Beatrix von Storch steht auch auf der Bühne. Sie trägt eine Mütze mit der Aufschrift »Make Germany Great Again«.

Als die Hochrechnungen bestätigen, dass eine Regierung ohne Beteiligung der AfD kaum möglich sein wird, weil einige Parteien an der Fünfprozenthürde scheitern und die CDU nicht mit der Linkspartei zusammenarbeiten will, werden in der ARD die Parteivorsitzenden interviewt. Der CDU-Vorsitzende, der noch während des Wahlkampfs ausgeschlossen hatte, mit der AfD zu koalieren, spricht jetzt die Möglichkeit an, eine AfD-Minderheitsregierung zu tolerieren. Das Wichtigste sei, so der Vorsitzende, »das Land vor dem Chaos zu bewahren«. Er betont die »staatspolitische Verantwortung« der Union.

Als die ARD-Moderatorin dem AfD-Vorsitzenden in der »Elefantenrunde« kritische Fragen zu seinen frauenfeindlichen Aussagen im Wahlkampf stellt, ergießt sich in den sozialen Medien eine Flut aus Hass und Hetze über sie. So dürfe man nicht mit einem Wahlsieger sprechen, kommentiert ein Kolumnist der Welt in einem hastig geschriebenen Online-Text, der auf X vielfach geteilt wird. Immerhin sei die AfD »demokratisch gewählt«. Dass die Partei »demokratisch« sei, behauptet niemand.

Im Laufe des Abends wird deutlich, dass die CDU in manchen Bundesländern engere informelle Kanäle zur AfD unterhalten hat als allgemein bekannt. Man bereite sich an verschiedenen Orten schon seit geraumer Zeit auf eine gemeinsame Regierung vor, notfalls mit einem neuen CDU-Chef. Die AfD dürfe man nicht ausgrenzen. Durch eine Regierungsbeteiligung könne man sie sicherlich entzaubern.

Gleichzeitig gibt es Spontan-Demos vor den Parteizentralen von CDU und AfD. Vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin kommen einige Tausend Menschen zusammen und protestieren gegen den Fall der Brandmauer gegen rechts außen.

Derweil brennen in der Wahlnacht an zahlreichen Orten Unterkünfte für Geflüchtete. 17 insgesamt. Dutzende Menschen werden dabei verletzt. Die Landeskriminalämter ermitteln, ein Fremdverschulden könne nicht ausgeschlossen werden. Am nächsten Morgen bleibt die Meldung über die Anschläge aber nur eine Randnotiz. Die anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen AfD und CDU bestimmen die Nachrichten.

Und jetzt?

 

1.

Einleitung

Noch gab es keine solche albtraumhafte Wahlnacht, nach der die AfD in die Regierung kommt. Aber es ist nicht schwer sich auszumalen, wie der weitere Aufstieg der Partei aussehen könnte.

Die AfD wird nicht entzaubert. Kommt die AfD an die Regierung – sei es in einer Kommune, in einem Bundesland oder im Bund –, werden Parteimitglieder versuchen, ihre Gewaltfantasien in staatliche Gewalt zu verwandeln. Die AfD ist im Kern eine rechtsextreme, eine menschenfeindliche, eine verfassungsfeindliche Partei. Bausteine ihrer Ideologie basieren auf der Annahme, dass manche Menschen mehr wert sind als andere. Ihre Vorstellungen sind durchzogen von Rassismus, von Queer- und Frauenfeindlichkeit, von Ableismus und Klassismus. Die AfD ist dominiert von Menschen, die autoritäre und national-völkische Ideen verwirklichen wollen. Viele Parteimitglieder fordern die Abschaffung wichtiger Grundsätze der Demokratie und die Deportation von großen Bevölkerungsgruppen, zentrale Figuren in den Reihen der Partei wollen ihre Gegner »ausschwitzen«, andere entwerfen Pläne für Putsche und Hinrichtungen.

Versucht man die AfD durch eine Regierungsbeteiligung zu entzaubern, geraten dadurch Menschen in akute Gefahr. Sie würden unmittelbar durch die Politik der AfD verletzt und mittelbar durch das menschenfeindliche gesellschaftliche Klima, das die AfD anheizt. Wer denkt, man könne die AfD durch eine Regierungsbeteiligung einhegen, ist bereit, Mitmenschen für diesen Versuch zu opfern. Und die deutschen Erfahrungen aus dem Jahr 1933 lehren: Es würde noch nicht einmal funktionieren. Schon die NSDAP sollte sich über eine Regierungsbeteiligung selbst entlarven und nutzte die Chance zur Etablierung einer Diktatur.

Die AfD kann aber auch nicht zaubern. Die Partei und ihre Anhänger können gestoppt werden, auch dann noch, wenn sie an der Regierung sind. Die beeindruckenden zivilgesellschaftlichen Proteste für die Stärkung der Demokratie Anfang 2024 haben gezeigt: Millionen Menschen in Deutschland wollen eine rechtsextremistische Machtübernahme nicht akzeptieren. Und trotzdem könnte sie eintreten, wenn die viel beschworene »Brandmauer« der demokratischen Parteien zur AfD fällt und sie eingeladen wird, Teil einer Regierungskoalition zu werden.

Im Umfeld der Proteste machte in den sozialen Medien ein Zitat des Schriftstellers Erich Kästner die Runde. Kästner sagte in einer Rede anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.«1

So nachvollziehbar und unterstützenswert Kästners Position auch ist – man muss den Rechtsextremismus frühzeitig bekämpfen –, so falsch ist die dahinterliegende Annahme, es wäre irgendwann »zu spät«. Natürlich wird Widerstand mit der Zeit immer herausfordernder, wenn Rechtsextremisten mächtiger werden. Aber selbst wenn es zu spät ist, ist es nicht zu spät. Der Rechtsextremismus ist kein unaufhaltsames Ereignis wie eine Lawine, er ist eine von Menschen angetriebene Gefahr, die jederzeit auch von Menschen gestoppt werden kann. Der Nationalsozialismus hätte 1928 aufgehalten werden können, aber auch 1930, erst recht 1933 und auch später noch. Dazu hatten viele Menschen aber nicht den Mut. Im Gegenteil: Die meisten Menschen liefen mit, profitierten gar von der Machtübergabe an die Nazis, nahmen sie nicht ernst oder fühlten sich zu ohnmächtig, um Widerstand zu leisten. Viele wollten sich in ihrem Alltag nicht stören lassen.

Um die AfD heute zu stoppen, ist es notwendig, sich auf eine mögliche Regierung dieser rechtextremistischen Partei vorzubereiten. Dafür müssen wir uns zunächst einmal vor Augen führen, welche Regierungspläne sie verfolgt. Von diesen Plänen erfährt die Öffentlichkeit zum einen durch investigative Recherchen und zum anderen durch die Veröffentlichungen der Partei selbst. Außerdem können wir, wenn wir auf historische und gegenwärtige Beispiele blicken, ableiten, wie sich die AfD verhalten würde, wenn sie an die Macht kommt.

Darauf basierend soll es in diesem Buch zunächst darum gehen zu zeigen, wie Rechtsextremisten vorgehen könnten, wenn sie in Regierungsverantwortung kommen. Ein solches Szenario ist zum Glück noch Spekulation, aber keineswegs unrealistisch, wie das nächste Kapitel zeigt.

Daran anschließend sollen die brennendsten Fragen diskutiert werden, die sich in der Auseinandersetzung mit diesem Szenario stellen: Was können wir dann tun? Welche Handlungsspielräume haben wir als Beamte, Gewerkschaften, Justiz, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Medien? Welche Verantwortung ergibt sich vielleicht aus unserer besonderen Position? Und wie können wir aus den bisherigen – erfolgreichen und gescheiterten – Versuchen, Rechtsextremisten in ihre Schranken zu weisen, lernen?

Als Leiter des Transparenzprojekts FragDenStaat habe ich über viele Jahre Einblicke in die Arbeit von Behörden, Gerichten, Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen erhalten. Dieses Wissen erweist sich für das Nachdenken über effektive Strategien gegen eine rechtsextremistische Regierung als äußerst hilfreich. FragDenStaat versucht, Spielräume für die Zivilgesellschaft zu erweitern, hat staatliche Stellen mehr als 150 Mal verklagt, um den Zugang zu Informationen durchzusetzen, Dokumente wie die »NSU-Akten« veröffentlicht und durch Recherchen unter anderem dazu beigetragen, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung vorerst keine staatliche Förderung erhält. Für dieses Buch habe ich zudem über 70 Interviews mit Expert*innen aus Verwaltung, Justiz, Gewerkschaften, Medien und der Zivilgesellschaft geführt.

Sicher ist: Der Aufstieg der AfD in den vergangenen Jahren fand nicht im luftleeren Raum statt. Er wurde befeuert durch rassistische Debatten und durch die fehlende Abgrenzung der etablierten Parteien von den Inhalten der AfD. Es brennt auf beiden Seiten der Brandmauer.

Eigentlich kommt dieses Buch zu spät. Denn die Gefahren von rechts sind schon lange bekannt. Die Mehrheitsgesellschaft hat nur nicht zugehört. Die Politikwissenschaftlerin Naika Foroutan warnte schon 2018, dass wir in präfaschistischen Zeiten leben. Die Publizistin Mely Kiyak fragte in einem ihrer Essays: »Werden sie uns mit FlixBus deportieren?«2 Menschen, die von der hasserfüllten Agenda der AfD besonders betroffen sind, überlegen schon seit vielen Jahren, ob sie das Land verlassen sollen. Sie schmieden Fluchtpläne, um für eine AfD-Regierungsübernahme gewappnet zu sein.

Dieses Buch soll bewirken, dass wir nicht länger nur reagieren, beobachten und kommentieren, sondern selbst anfangen zu handeln, uns vorzubereiten und zu planen. Nicht nur darüber sprechen, was wir nicht wollen, sondern darüber, was wir wollen. Wir sollten wissen, was die demokratische Gesellschaft tun kann, um die autoritäre Wende zu verhindern oder sie, wenn nötig, rückgängig zu machen.3

2. Szenario

»Nie wieder« war gestern

Nehmen wir an, Rechtsextremisten kommen an die Macht. Dass die AfD mit einer absoluten Mehrheit in einem Bundesland oder auf Bundesebene durchregieren kann, ist nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie es schafft, in eine Regierungskoalition einzutreten. In einem solchen Fall muss sie zwangsläufig mit anderen Parteien zusammenarbeiten.

Die AfD kann dann nicht im Alleingang eigene Gesetze durchdrücken, sondern braucht dafür das Einverständnis ihres Koalitionspartners. Wie geht sie damit um? Sie pocht zunächst auf Einhaltung des »Ressortprinzips«. Dann kann sie in den ihr unterstehenden Ministerien und den dazugehörigen Behörden unabhängig von anderen Parteien durchregieren. Hat die AfD ein Ministerium in der Hand, kann ihr Minister ohne Einmischung des Parlaments die praktische Ausgestaltung von Gesetzen bestimmen, Verordnungen und interne Weisungen erlassen und zentrale Regierungsposten besetzen. Entscheidend für den größten Impact der AfD ist also, welche Ministerien sie erhält.

Welche Behörden bieten sich dafür an, welche würde sie gerne auswählen? Bei dieser Planung kann die AfD auf ein Vorbild zurückgreifen, das ideologisch und geografisch nicht weit von ihr entfernt ist: Ihre Schwesterpartei in Österreich, die rechtsextreme FPÖ.4 Als die FPÖ2017 unter dem ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz in die Regierung eintrat, erhielt sie die Leitung von sechs Ministerien, darunter das Innen-, das Außen- und das Verteidigungsministerium. Insbesondere für das Innenministerium versprach sich die FPÖ Gestaltungsmacht: Sie konnte dadurch nicht nur markige Forderungen in der Migrationspolitik stellen, sondern über die Kontrolle des ihm unterstehenden Inlandsgeheimdiensts auch Druck auf politische Gegner ausüben. Die vollständige Umsetzung dieser Pläne wurde allerdings von Zivilgesellschaft und Medien vereitelt. Und von einem Ereignis auf der Mittelmeerinsel Ibiza.5

Je nachdem, über welche Behörden sie frei verfügt, kann die AfD direkte und konkrete Änderungen erreichen. Viele der von den Rechtsextremisten geplanten Maßnahmen haben vergleichbare Bewegungen in anderen Ländern bereits durchgesetzt. Die Ex-Regierungspartei PiS in Polen, die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, der autoritäre Machthaber Viktor Orbán in Ungarn, die FPÖ in Österreich und auch Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei haben vorgemacht: Die autoritäre Wende vollzieht sich nicht von einem Tag auf den anderen, sondern Schritt für Schritt. Nicht nur im Parlament, sondern in Behörden, in der Justiz und im öffentlichen Diskurs.

Werden wir also konkret: Was wird eine regierende AfD in den Kommunen, Ländern und im Bund durchzusetzen versuchen? Welche Maßnahmen ergreift sie, um ihre Ziele in einer Regierung schnell und reibungslos zu verwirklichen?

Schritt 1: Personal auswechseln

In seinem ersten Interview nach seiner Wahl zum Pirnaer Oberbürgermeister 2023 sagte der AfD-Kandidat Tim Lochner: »Ich werde die Mitarbeiter im Rathaus versuchen, möglichst einzeln kennenzulernen – und auf Loyalität prüfen.«6

Das nehmen sich AfD-Führungskräfte in allen Behörden vor, die sie leiten. Sie besetzen sie, wo möglich, mit loyalen Gefolgsleuten. Während in vielen Ländern wie den USA bei einem Amtswechsel in den Behörden erst mal Tabula rasa gemacht und ein großer Teil der Mitarbeiter*innen ausgetauscht wird, geht das in Deutschland aber nicht so leicht, auch wenn AfD-Politiker dies vielleicht gern anders hätten. Beamte sind nur bei krassem Fehlverhalten zu entlassen.

Ausgetauscht werden von der AfD deswegen zunächst die sogenannten politischen Beamten, also diejenigen, die eine Regierung ohne Probleme ersetzen darf: In Ministerien zählen dazu die Leitungsebene sowie Staatssekretär*innen und Abteilungsleiter*innen. In einer großen Behörde wie dem Bundesinnenministerium geht es dabei zunächst um lediglich rund 20 von 1700 Stellen, die allerdings besonders wichtig sind. Je nach Ebene sind teilweise auch die Leitungen der nachgeordneten Behörden wie Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz politische Beamte, im Bund unter anderem die Botschafter*innen und der Generalbundesanwalt, in Hessen seit 2021 zudem der Chef des Landeskriminalamts.7 Werden außerdem Stellen am Landes- oder Bundesverfassungsgericht frei, kann die AfD auch darüber mitbestimmen und so die wichtigsten Orte mitgestalten, die eine rechtsstaatliche Kontrolle der Regierung versprechen. In Bayern sind bereits jetzt zwei AfD-Kandidaten Verfassungsrichter, weil dort die Opposition eigene Vorschläge machen kann.8

Die AfD stellt mit dem Einsatz eigener politischer Beamten die Linientreue der Behördenspitzen sicher. Auf den unteren Behördenebenen sind die Beamten allerdings nicht so leicht austauschbar. Sind sie loyal und arbeiten einfach weiter wie bisher, ist das Funktionieren der AfD-Regierung gesichert.

Leisten sie allerdings ernsthaften Widerstand, hat die Partei ein Problem. Sie muss versuchen, die Verwaltung auf Linie zu bringen – oder alte Strukturen zu umgehen. Dazu kann sie in Behörden je nach Budget neue Abteilungen oder gleich komplett neue Unterbehörden einrichten. Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer hat vorgemacht, wie es geht: Unter seiner Leitung wurde die Zuständigkeit des Ministeriums 2018 um den Bereich »Heimat« erweitert. Damit schuf er nicht nur Dutzende neue Stellen im mächtigsten deutschen Ministerium, sondern verschaffte der CSU-Spitze auch den direkten Einfluss auf deren Neubesetzung.

Zudem schielt die AfD von Anfang an auf frei werdende Stellen im Beamtenapparat. Durch den demografischen Wandel werden in den kommenden Jahren in Bund und Ländern unzählige Posten in deutschen Behörden frei. Wer sie besetzen kann, kann eine Verbeamtung auf Lebenszeit für Verbindungsleute durchsetzen.

Das interessiert nicht nur die AfD: Als die Ampel-Parteien 2021 ihre Koalition im Bund verhandelten, ging es neben dem Wortlaut des Koalitionsvertrags von Anfang an auch um die Aufteilung der Ministerien. Dazu brachten einige Parteien im Vorfeld der Verhandlungsrunden in Erfahrung, bei welchen Ressorts während der anstehenden Legislaturperiode besonders viele Stellen aufgrund von Pensionierungen frei würden – und wo man dementsprechend besonders viel Spielraum hätte, um die Beamtenschaft nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Ein FDP-Bundestagsabgeordneter forderte 2023 in einem Schreiben an einen Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, offene Stellen so zu besetzen, dass »die Vorstellungen und Ideale der Freien Demokraten auch in dieser wichtigen Bundesbehörde noch fester« verankert würden.9 Die Verbeamtung loyaler Gefolgsleute aus dem ministerialen Umfeld zum Ende einer Amtszeit ist in Bund und Ländern zu solch einer Tradition geworden, dass es dafür sogar einen eigenen Ausdruck gibt: »Operation Abendsonne«.10 Union und SPD schafften vor der Bundestagswahl 2021 beispielsweise noch hastig 71 hoch bezahlte neue Stellen in ihren Ministerien, die sie besetzen konnten.11 Ausgerechnet in Thüringen übte der Landesrechnungshof 2023 in einem Sonderbericht scharfe Kritik an der Verbeamtungspraxis der vorherigen Landesregierungen von Rot-Rot-Grün und CDU. Er fand 34 Fälle, in denen scheidende Regierungen nicht das Prinzip der Bestenauslese befolgt hatten, in zwei Fällen war sogar explizit das Parteibuch der Grund einer Verbeamtung.12

Die AfD frohlockt über den nach dem Sonderbericht eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur »Postenaffäre« – und kann die Verbeamtungspraxis der Vorgängerregierungen mit Verweis auf diese recht einfach übernehmen, wenn sie selbst an die Macht kommt.13

Ein zentrales Problem hat sie allerdings: Sie kann zwar auf zahlreiche Karrieristen in ihren Reihen zählen, die nur darauf warten, Spitzenposten für die AfD zu erobern. Aber die Personaldecke der Partei ist trotzdem vergleichsweise dünn. Sie ist händeringend auf der Suche nach passendem Fachpersonal, das bereit ist, für sie zu arbeiten.14 Björn Höcke rechnet etwa damit, im Falle einer absoluten Mehrheit in Thüringen 150 Stellen von politischen Beamten besetzen zu können.15 Ohne Mithilfe altgedienter Beamten wird das schwierig.16 Das führt uns zu Schritt 2.

Schritt 2: Personal anweisen

Um das Leben schlechter zu machen, braucht die frisch im Amt angekommene AfD-Regierung keine neuen Gesetze. Sie kann die bestehenden ausnutzen, die ihre Vorgängerregierungen verabschiedet haben. Viele Rechtsnormen lassen Beamten Ermessens- und Beurteilungsspielräume offen, die ein Verschieben nach rechts möglich machen. Bestes Beispiel dafür ist die Asyl- und Migrationsgesetzgebung: Sie ermöglicht schon jetzt umfangreiche Eingriffe in die Grundrechte von Betroffenen, von der Überwachung bis hin zu Abschiebungen. Diese Maßnahmen werden bisher zwar oft eingesetzt, aber nicht immer voll ausgenutzt. Hinter vorgehaltener Hand erklärt ein dafür verantwortlicher Beamter in einem großen Bundesministerium: »Mit den bestehenden Gesetzen kann jetzt noch viel mehr Menschen das Leben zur Hölle gemacht werden, dafür braucht man keine neuen Regelungen.«

Eine Behördenleitung kann in bestimmten Bereichen ohne die Zustimmung eines Parlaments Verordnungen erlassen und über interne Verwaltungsvorschriften Beamte lenken und auf Linie bringen. Die Beamten können angewiesen werden, innerhalb bestehender Gesetze anders zu arbeiten als bisher. Besonders deutlich wird das am Beispiel der Ministerien, die für die AfD am wichtigsten sind: den Innenministerien. Gelingt es der AfD, diese auf Bundes- oder Länderebene zu übernehmen, erhält sie unter anderem die Macht über Polizei, Geheimdienst und Asylbehörden.

Wie geht ein AfD-Politiker vor, der Innenminister wird? In einem Bundesland weist er beispielsweise die Polizei an, Kontrollen in Bezug auf bestimmte Delikte auszuweiten, die im Zusammenhang mit Drogenkriminalität stehen. Auch Bagatelldelikte sollen konsequenter verfolgt werden als bisher. Offiziell erklärtes Ziel ist es, die Kriminalitätsrate zu senken – dafür sei es wichtig, entschieden aufzutreten. Die Polizisten sollen Razzien und Kontrollen in Shisha-Bars und Döner-Imbissen weiter verstärken. Unter dem Vorwand, »Clankriminalität« zu bekämpfen, sollen sie auch in bestimmten Regionen verstärkt Kontrollen von Personen auf der Straße durchführen, die einer »Clan-Struktur« zugehörig sein könnten. Dabei gilt die Vorgabe, stets auf die Sicherheit der Beamten zu achten und Provokationen mit Härte zu begegnen. Als Rechtfertigung für diese Verschärfung dienen der AfD die ausufernden Debatten zu dem Thema in zahlreichen Medien. Hinter den Kulissen heißt es, mit ausreichend Druck könnten mehr Menschen zu einer »freiwilligen Ausreise« aus Deutschland gedrängt werden.

Der Minister gibt der Polizei möglicherweise auch den Auftrag, nach dem Vorbild der Berliner Polizei einen Sonderbericht zu Kriminalität von Roma und Sinti anzufertigen und bei der Anfertigung von Statistiken ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, welche Merkmale Tatverdächtige in diesem Sinne aufweisen.17 Das alles führt die Linie vorheriger Innenminister fort, verstärkt dabei aber deren diskriminierende Elemente. Die Betroffenen merken es zuerst. Für Eliteeinheiten kündigt der Innenminister neue Ausrüstungen an, darunter nach dem Vorbild von Sachsen neue Polizeipanzer mit Maschinengewehren und neue Handgranaten, die die Kompromisslosigkeit der Polizeitruppe symbolisieren. Bestehende Überwachungsinstrumente, etwa das Installieren von Überwachungssoftware auf Smartphones von Verdächtigen, die Video-Überwachung in der Öffentlichkeit und das Abscannen von Auto-Kennzeichen sollen konsequenter eingesetzt werden, kündigt der Minister an. Sein Ministerium kauft weitere Lizenzen der »Pegasus«-Überwachungssoftware ein, die in den kommenden Monaten auch auf den Smartphones von regierungskritischen Journalisten und Oppositionspolitiker*innen gefunden wird. Mit dem Überwachungskonzern »Palantir« war die regierende AfD schon vor der Wahl im engen Austausch, das Engagement wird jetzt ausgebaut. Den neuen Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz weist der Minister an zu prüfen, ob die Partei Bündnis 90/Die Grünen durch ihre »Verbindungen zu den linksextremen Aktivisten der Letzten Generation« möglicherweise als Verdachtsfall eingestuft werden könnte. Das Personal für die Prüfung wird aus dem »Phänomenbereich Rechtsextremismus« abgezogen.

Als es dagegen Protest gibt und interne Planungsdokumente aus dem Ministerium immer häufiger an die Öffentlichkeit gelangen, werden die internen Regelungen zur Verschwiegenheit verschärft. Es beginnt eine frenetische Suche nach »Maulwürfen« in den AfD-geführten Behörden. Gleichzeitig verfügt der Minister die Einstellung von Disziplinarverfahren gegen Beamte, die zuvor durch die Teilnahme an rechtsextremen Chatgruppen aufgefallen waren. Da das Ministerium gegenüber der Presse keine Auskünfte zu Disziplinarverfahren gibt, fällt dies aber öffentlich kaum auf.

Ist der Ton für die »volle Härte des Rechtsstaats« gesetzt, wie der AfD-Innenminister sein Vorgehen nennt, wendet er sich dem Thema Migration zu. Man müsse »wohltemperierte Grausamkeiten« aushalten lernen, verkündet er.

Zunächst einmal reformiert er die Einbürgerungstests, die seiner Partei zu lasch erscheinen. Die Tests sollen künftig auch die »patriotische Gesinnung« derjenigen abfragen, die eingebürgert werden wollen. Die Ämter für Ausländerangelegenheiten erhalten die Anweisung, Anträge genauer als bisher zu prüfen. Es sei seit 2015 vermehrt zu Betrug gekommen, deswegen sollen Bearbeitungszeit und Prüfintensität deutlich erhöht werden. Das erklärte Ziel ist, alles dafür zu tun, die Zahl der eingehenden Anträge zu drücken. Über den AfD-Arbeitsminister ergeht die Weisung, dass EU-Bürger bei der Stellenbesetzung stets vorrangig zu behandeln seien, zugleich wird verschiedenen Gruppen von Ausländern die Arbeitserlaubnis verweigert oder wieder entzogen. Das Geld für Deutschkurse, die Ausländern zur Verfügung stehen sollten, wird stark gekürzt. Die Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende dürfen nicht mehr in der Nähe größerer Städte liegen. Nachdem seit 2024 Leistungen an Asylbewerber teilweise nur noch per Bezahlkarte herausgegeben werden, lässt der Minister prüfen, ob künftig auch andere Sozialleistungen auf diese Weise ausgegeben werden können, zum Beispiel das Bürgergeld (das die AfD mittelfristig aber in der jetzigen Form auch abschaffen will). Mit dem Außenminister einigt sich der Innenminister darauf, dass Abschlüsse und Arbeitszeugnisse von Personen aus bestimmten Herkunftsländern grundsätzlich nicht anerkannt werden.

Abschiebungen lässt der Minister noch konsequenter durchführen, deutlich mehr Menschen als bisher werden in Abschiebehaft genommen. Durch die 2024 von der Ampel-Koalition beschlossene Verschärfung der Abschieberegelungen, »Rückführungsverbesserungsgesetz« getauft, besteht die Möglichkeit, Menschen bis zu 28 Tage in Abschiebehaft zu halten. Betroffene können auch nachts ohne Ankündigung abgeschoben werden. In einer koordinierten Aktion lässt der Minister in einer Nacht 69 Familien abholen und abschieben, unter anderem in den Iran, nach Afghanistan und erstmals wieder nach Syrien. Am nächsten Morgen spricht er stolz auf einer Pressekonferenz und lobt die Arbeit der Einsatzkräfte. »So war das Gesetz nicht gedacht«, lässt sich ein Grünen-Politiker in der Presse zitieren. Später zeigen Urteile der Verwaltungsgerichte, dass viele der Abschiebungen rechtswidrig waren. Da jedoch bereits Abgeschobenen die erneute Einreise verboten ist, bleibt das Urteil folgenlos. Der Minister hatte ausreichend Zeit, sich auf einen solchen Fall vorzubereiten, er rechnete sogar fest damit, denn vergleichbare Urteile hatte es in der Vergangenheit bereits gegeben. Er kündigt weitere Abschiebungen von Familien an, »im allergrößten Stil«. Der große Aufschrei dagegen bleibt aus, zu ähnlich erscheinen die Forderungen aus den vergangenen Jahren. Die Zahl der Suizide von Menschen, die von einer Abschiebung bedroht sind, nimmt zu.

Der AfD-Justizminister weist unterdessen die Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft an, Straftaten mit Bezug zu Linksextremismus besonders zu verfolgen. Er lässt nach dem Vorbild der sächsischen Justiz Sondergruppen bilden, um für die Durchführung dieser Order ausreichend Personal zusammenzuziehen. Die Beamten werden dafür aus anderen Bereichen abgezogen, so liegen die Fallakten für die Verfolgung politisch motivierter Kriminalität von rechts bald außerordentlich lange unbearbeitet in der Schublade oder werden gar nicht erst angelegt. Zudem kommt es verstärkt zu Fällen, in denen Beweismaterial nicht mehr auffindbar ist. Viele der Fälle verjähren, rechte Täter kommen davon, auch schwerwiegende Straftaten bleiben ohne Konsequenz. Unter dem Vorwand, die Belastung der Gerichte verringern zu wollen, legt der Minister den Staatsanwaltschaften nahe, Verfahren wegen Diskriminierung schneller einzustellen, so soll die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, ihres Geschlechts, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Identität weniger häufig geahndet werden.

Das AfD-geführte Gesundheitsministerium verkündet nach polnischem Vorbild eine Verordnung, die die Erfassung aller ärztlich bekannten Schwangerschaften in einem Zentralregister vorsieht. Die Realisierung einer solchen Datenbank scheitert allerdings vorerst an der technischen Umsetzbarkeit in den Gesundheitsämtern, deren Faxgeräte der Aufgabe nicht gewachsen sind. Die Finanzierung von Abteilungen in Krankenhäusern, die für Geschlechtsangleichungen und für Schwangerschaftsabbrüche zuständig sind, stellt der Minister infrage. Um besseren staatlichen Zugriff auf die Vergabe von Medikamenten zu erhalten, schlägt er neue Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung vor, die die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen aufheben sollen.

Das Umweltministerium wird nach einem Beschluss der Regierung kurzerhand abgeschafft und dem Wirtschaftsministerium untergeordnet, Fördermittel für Umweltschutz werden stattdessen für die Förderung deutscher Unternehmen genutzt. Konzerne in der Fleischproduktion, der chemischen und der fossilen Industrie profitieren von zahlreichen neuen Verordnungen, die ihnen das Überwinden bürokratischer Hürden erleichtern sollen. Öffentliche Unternehmen müssen ihre Antidiskriminierungsrichtlinien neu verfassen und jetzt Präventionsangebote zu »Deutschfeindlichkeit« anbieten. Über Beiräte und Vorstände in Landes- und Kommunalunternehmen regelt die AfD, dass das Sozialticket für Bus und Bahn abgeschafft wird. Aus dem Deutschlandticket steigen die lokalen ÖPNV-Unternehmen aus.

Die Familienpolitik soll nach dem Willen der AfD stärker dem Leitbild der Kernfamilie aus Mann, Frau und Kindern entsprechen. Dazu stellt der AfD-Familienminister Konzepte für ein neues Betreuungs- und Scheidungsrecht vor. Die dadurch angeheizte Debatte über eine angebliche Benachteiligung von Vätern bei Scheidungen schlägt auf die Rechtsprechung durch. Die Anzahl der Verfahren, in denen Vätern trotz Gewalttaten gegen die Partnerin ein Umgangsrecht mit den Kindern zugesprochen wird, steigt weiter an. Gleichstellungsbeauftragte an Behörden erhalten die Anweisung, die Diskriminierung von Männern besonders unter die Lupe zu nehmen. Er weist die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz an, bei Indizierungen Medien besonders gründlich unter die Lupe zu nehmen, deren Inhalte »außergewöhnliche Familienmodelle darstellen«.

In einem Bundesland erklärt der AfD-Bildungsminister, die Bildungsstandards der bundesweiten Kultusministerkonferenz seien nicht mehr zeitgemäß. Mit seinem Veto blockiert er die weitere Arbeit des Gremiums. Er lässt wie schon vor der Wahl angekündigt für alle Schulen seines Landes einen neuen Lehrplan erarbeiten, der die »Erfolge der deutschen Geschichte« besonders betonen soll und einen Schwerpunkt auf die Feststellung legen soll, dass es »nur zwei biologische Geschlechter gibt«. Parallel dazu wird das Gendern überall verboten, um einer »Frühsexualisierung« der Kinder entgegenzuwirken. Sollten Schüler gendern, müsse sich dies auf die Notenvergabe auswirken. Der »Gender-Forschung« an Hochschulen will er staatliche Gelder entziehen, Vorgaben zur Inklusion sollen überprüft werden. Sein Vorschlag, in Schulen morgens das Singen der Nationalhymne einzuführen, wird zunächst noch spöttisch abgetan. Nach Zuspruch aus der Union und Pro-Kontra-Artikeln in der ZEIT verfolgt der Minister das Vorhaben aber weiter und setzt eine Singpflicht durch. Die Bild startet daraufhin eine Kampagne und kritisiert, dass »Kinder von Migranten« die Nationalhymne nicht mitsingen wollen. Kindern aus Willkommensklassen wird nach einem Erlass des Ministeriums der Übergang in reguläre Klassen erschwert, um den »Lernfortschritt« der anderen Schüler*innen nicht zu gefährden. Bibliotheken werden über die Kommunen außerdem angewiesen, Bücher, in denen gegendert wird, auszusortieren.

Während die AfD-Minister in Bund und Ländern auf Polizei, Justiz und Bildungssystem Einfluss nehmen, weist der AfD-Landrat auf kommunaler Ebene die Jugendämter informell an, Familien mit einer bestimmten Herkunft besonderen Kontrollen zu unterziehen. Zudem sollen Wohngeldämter neue Richtlinien befolgen, die sie nicht nur verpflichten, zurückhaltender mit der Vergabe von Wohngeld umzugehen, sondern auch Verdachtsfälle stärker zu prüfen, sofern es Grund zu der Annahme gibt, dass es aufgrund bestimmter familiärer Strukturen verstärkt zu Betrug kommen könnte. Die Jobcenter in kommunaler Hand verpflichtet der Landrat per Weisung, Gelder nur noch auszuzahlen, wenn Kunden glaubhaft machen, dass sie tatsächlich bereit wären, Arbeit anzunehmen. Vom Instrument der Vollsanktionen solle beherzt Gebrauch gemacht werden. Die Betroffenen erhalten dann gar keine Sozialleistungen mehr. Grundlage dafür ist ein Gesetz der Ampel-Koalition aus dem Jahr 2024.18 Außerdem führt der Landrat eine allgemeine Arbeitspflicht für Asylsuchende ein. Sie müssen jeden Tag für 80 Cent pro Stunde arbeiten. Weigern sie sich, werden ihnen Leistungen gekürzt. Eine solche Regelung wurde bisher kaum angewandt, ist aber seit der Asylrechtsverschärfung von 1993 möglich.

Schritt 3: An den Geldhahn

All diese Vorhaben geschehen, während die knappen Haushaltskassen kaum gefüllt sind. Die AfD muss Prioritäten setzen. Der AfD-Finanzminister kündigt deswegen eine Überprüfung insbesondere der Förderpraxis für zivilgesellschaftliche Organisationen an. Wer staatliche Gelder erhalte, müsse künftig das »Neutralitätsgebot« beachten und dürfe keine Aussagen zu parteipolitischen Angelegenheiten machen. Die Finanzämter werden dazu angewiesen, Schwerpunktprüfungen zur Gemeinnützigkeit bei Organisationen zu machen, auf die die AfD im Rahmen von Kleinen Anfragen im Parlament aufmerksam gemacht hatte.19

Schnell zeigt sich, dass die AfD aus dem Scheitern von Robert Sesselmann gelernt hat. Sesselmann hatte als AfD-Landrat in Sonneberg 2023 versucht, die Förderungen für Demokratieprojekte zu kürzen. Da er dafür aber auf die Zustimmung des Kreistags angewiesen war, wo es zu diesem Zeitpunkt keine AfD-Mehrheit gab, scheiterte sein Vorhaben. Einen neuen Förderantrag beim Bundesprogramm »Demokratie leben« wollte er nicht unterschreiben. Doch weil der Kreistag nicht klein beigab, strich Sesselmann zuletzt nicht die Mittel, sondern die Segel – und unterschrieb den Förderantrag.20 Das passiert der AfD in Regierungsverantwortung nicht mehr. Sie begleitet die Mittelkürzungen mit umfangreichen Medienkampagnen, der Chefredakteur der Welt eilt ihr dabei regelmäßig in seinen Kolumnen zu Hilfe.

Das so frei werdende Geld nutzt die AfD, um gezielt zivilgesellschaftliche Organisationen zu fördern, die die Ziele der Regierung unterstützen. Der rechtsextremistische Verein »Ein Prozent« etwa erhält Gelder aus einer neuen vom AfD-Minister ins Leben gerufenen Förderrichtlinie zur »Bekämpfung irregulärer Migration«.

Bei der Förderpraxis des Finanzministeriums fällt schnell auf, dass Ausschreibungen häufig in Landkreise gehen, in denen ebenfalls die AfD regiert. »Wir haben vom CSU-Verkehrsministerium gelernt«, scherzt ein AfD-Spitzenpolitiker. Das hatte Gelder für den Straßenbau jahrelang bevorzugt nach Bayern gelenkt.21