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Wendy Ballantine wendet sich mit einem ungewöhnlichen Anliegen an MacTavish & Scott: Der Privatdetektiv Jackson Ripley, den sie engagiert hat, um ihren untreuen Ehemann zu beschatten, soll observiert werden. Denn obwohl Wendy dem Ermittler ein üppiges Honorar zahlt, hat sie den Verdacht, dass er nicht zuverlässig arbeitet. Um den Vertrag mit ihm kündigen zu können, braucht sie allerdings Beweise dafür. Finola kommt so in die kuriose und keineswegs einfache Situation, einen Kollegen zu überwachen. Bald schon zeigt sich, dass Ripley tatsächlich sein eigenes Ding macht - und das ist nicht ungefährlich ...
Über die Serie: Finola MacTavish und Anne Scott sind die Lady Detectives von Edinburgh! Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen sie die erstaunlichsten Kriminalfälle - und machen mit Herz, Mut und ungewöhnlichen Methoden den Verbrechern der Stadt das Leben schwer. Doch auch in ihrem eigenen Leben geht es mitunter turbulent zu: Finola hat eigentlich die Nase voll von der Liebe, läuft dann aber doch dem einen oder anderen attraktiven Mann über den Weg. Und Anne trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum ... Wie gut, dass Finola immer die passende Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand hat. Und wenn die nicht hilft, dann ein frisch gebackener Cupcake!
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Seitenzahl: 201
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Wendy Ballantine wendet sich mit einem ungewöhnlichen Anliegen an MacTavish & Scott: Der Privatdetektiv Jackson Ripley, den sie engagiert hat, um ihren untreuen Ehemann zu beschatten, soll observiert werden. Denn obwohl Wendy dem Ermittler ein üppiges Honorar zahlt, hat sie den Verdacht, dass er nicht zuverlässig arbeitet. Um den Vertrag mit ihm kündigen zu können, braucht sie allerdings Beweise dafür. Finola kommt so in die kuriose und keineswegs einfache Situation, einen Kollegen zu überwachen. Bald schon zeigt sich, dass Ripley tatsächlich sein eigenes Ding macht – und das ist nicht ungefährlich …
Die junge Schottin Finola MacTavish zieht von der malerischen Isle of Skye nach Edinburgh, um dort in der Kanzlei von Anne Scott als Detektivin zu arbeiten. Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen die beiden Lady Detectives die verblüffendsten Fälle. Finola merkt dabei schnell, dass sie ein Händchen fürs Ermitteln und Beschatten hat – am liebsten in Verkleidung. Noch dazu hat sie immer die Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand, die überraschend effektiv wirkt – auch bei Anne, die jedoch ein dunkles Geheimnis zu haben scheint …
Das doppelte Spiel
»Wie lange haben wir das schon nicht mehr gemacht, Anne? Uns so einen gemütlichen gemeinsamen Nachmittag gegönnt?«, fragte Carol und gab einen kräftigen Schuss Milch in ihren Tee.
Anne Scott lächelte. »Zu lange.«
Sie saßen bei Tee und Scones in Clarinda’s Tearoom in Canongate, nicht allzu weit entfernt von dem modernen Gebäude des schottischen Parlaments. Obwohl jetzt, Anfang Juni, bereits recht viele Touristen Edinburgh unsicher machten, kamen die »Hardcore-Touris«, wie Finola sie nannte, meist nicht bis hierher, sondern blieben weiter oben an der Royal Mile oder nahe der Burg selbst.
Es war Anne und Carol daher gelungen, ein hübsches Tischchen zu finden, und sie fühlten sich hier mit den gehäkelten Spitzendecken und den zarten alten Porzellantassen wie in einem großmütterlichen Wohnzimmer.
»Du hast ja auch immer so viel zu tun«, sagte Carol mit einem leicht vorwurfsvollen Blick. »Mit deiner Detektei und jetzt zusätzlich mit … Wie heißt er noch mal?«
»Lachie«, antwortete Anne und verkniff sich ein seliges Lächeln. Sie wollte Carol gegenüber ihr Glück nicht zur Schau stellen; der Armen war es nach ihrer Scheidung vor einigen Jahren nicht gelungen, wieder einen Partner zu finden, obwohl sie heftig danach suchte. Wogegen Anne nach dem Tod ihres Mannes und allem, was später über ihn herausgekommen war, keineswegs auf eine neue Beziehung aus gewesen war. Doch dann …
»Und das läuft gut mit euch?«, fragte Carol.
Anne nickte. »Wir kennen uns ja im Grunde schon ewig.«
»Er war dein Angestellter, nicht wahr?« So wie Carol das sagte, klang es irgendwie verwerflich.
»Er ist es noch«, stellte Anne klar, »aber bei MacTavish & Scott sind wir alle ein Team.«
Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee, einem Lady Grey, den sie selten trank. Sie mochte den starken Bergamotte-Geschmack des Earl Grey nicht allzu sehr, aber im Lady Grey war er deutlich milder, und zudem schufen die Zusätze von Orangen- und Zitronenschale ein frischeres und fruchtigeres Aroma.
Carol beugte sich vertraulich zu ihr. »Ich habe vielleicht auch wen am Start.«
»Das ist schön für dich.«
»Ich möchte aber noch nicht darüber reden. Es ist alles ganz frisch.«
Anne nickte verständnisvoll.
»Gerade jetzt, wo Betty …« Carol zuckte mit den Achseln und seufzte.
»Wie ist das mit Betty und dir? Ihr habt euch immer noch nicht wieder versöhnt?«, hakte Anne nach.
»Versöhnt? Nach dem, wie sie mit mir umgegangen ist? Hab ich dir erzählt, wie sie mich genannt hat? Liz hat schon recht, ich muss mich von Betty fernhalten.«
Anne schnitt ihr Scone durch, bestrich es mit Butter und ließ einen Klecks Erdbeermarmelade darauf fallen.
Ja, Carol hatte ihr schon vor Wochen von ihrem Streit mit ihrer besten Freundin Betty erzählt – und zwar bis ins kleinste Detail. Da Anne Betty jedoch nur oberflächlich kannte und sich nicht in eine Auseinandersetzung einmischen wollte, die sie nichts anging, hatte sie sich damals schon zurückgehalten und würde das auch heute tun.
»Wie soll ich ihr das verzeihen?«, schimpfte Carol weiter. »Nein, die Frau ist definitiv für mich gestorben!«
»Dann ist es ja umso schöner, wenn du nun positiv nach vorn gucken kannst.« Anne versuchte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. »Hast du für diesen Sommer einen Urlaub geplant?«
»Ich wollte eigentlich im September nach Portugal fliegen – allein, weil das Liz zu teuer ist, aber dann kam …« Sie kicherte plötzlich. »Also, ich warte mit der Buchung jetzt noch ein bisschen ab, vielleicht muss ich ja meinen Urlaub gar nicht solo verbringen.« Sie trank ein paar Schlucke Tee und griff nun ebenfalls zu ihrem Scone. »Und du? Beziehungsweise ihr? Verreist ihr zusammen?«
»Das haben wir vor. Im Moment sind wir in der Detektei allerdings alle ziemlich eingespannt. Keine Ahnung, wann Lachie und ich tatsächlich fahren können. Wahrscheinlich wird es ganz spontan sein.«
»Es läuft beruflich also gut?«
»Kann man so sagen.«
»Ich muss zugeben, ich hatte ja meine Zweifel, als du mir erzählt hast, dass du Malcolms Detektei allein weiterführen willst. Du hast so gar nichts von einer Privatdetektivin.«
Anne runzelte die Stirn. »Und wie stellst du dir eine solche vor?«
»Na ja. Jünger und agiler, sicher muss man doch körperlich sehr fit sein und sich verteidigen können, falls so ein Verbrecher angreift. Und wenn man einen Mord aufklären will, muss man auch Fachkenntnisse haben über … über … Waffen und …«
Anne lachte. »Meine liebe Carol, deine Vorstellungen in allen Ehren, aber die haben eher was von einer amerikanischen Fernsehserie. Natürlich klären wir keine Morde auf! Das ist Sache des CID.«
Das mit dem Criminal Investigation Department war nur bedingt korrekt, musste Anne vor sich selbst zugeben. Es war durchaus schon vorgekommen, dass in einem eigentlich ganz harmlosen Fall plötzlich ein Toter aufgetaucht war, der nicht friedlich an Altersschwäche gestorben war. So waren sie dann doch mitten in einem Mordfall gelandet.
»Und meine Geschäftspartnerin Finola MacTavish ist tatsächlich jung und fit«, ergänzte sie. Wobei sich Anne in der letzten Zeit durchaus ebenso fühlte, vor allem seit Lachie für sie mehr geworden war als ein Angestellter und guter Freund.
»Meistens geht es bei unseren Fällen eher um so etwas wie Diebstahl oder Ehebruch, um das Finden von Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, oder Ähnliches. Also ganz harmloser Kram, der zum Teil auch einfach am Computer erledigt wird.«
»Ach so.« Carol wirkte enttäuscht.
Das Gespräch stockte.
Während sie ihre Scones aßen und Tee dazu tranken, überlegte Anne, warum sie sich eigentlich mit Carol traf. Viel zu sagen hatten sie sich nicht mehr, aber ihre Freundschaft stammte eben noch aus der Zeit, als ihrer beider Kinder klein gewesen waren, und die langjährige Verbundenheit war zweifellos da. Zudem hatte Carol sich unmittelbar nach Malcolms tödlichem Unfall als eine der wenigen um sie gekümmert.
»Und wie geht’s Sean, Aidan und Iain? Spielt einer von ihnen schon mit dem Gedanken, eine Familie zu gründen?«, fragte Carol nun.
Erleichtert über den Themenwechsel, berichtete Anne von ihren Söhnen und erkundigte sich nach Carols Kindern. Zufrieden stellten beide fest, dass es nicht danach aussah, dass sie in absehbarer Zeit Großmütter werden würden.
»Im Augenblick denke ich für mich an ganz andere Dinge …« Carol kicherte.
»Ich auch«, gab Anne zu, und beide lachten so laut, dass das junge Paar am Nebentisch ihnen einen irritierten Blick zuwarf.
Endlich war das Eis gebrochen, und als Anne sich eine gute Stunde später auf der Straße von Carol verabschiedete, fühlte sie sich der Freundin doch wieder erstaunlich nahe.
»Von nun an dürfen wir nicht mehr so lange warten, bis wir uns treffen«, sagte Carol.
»Stimmt. Und wir könnten das nächste Mal in Laurie’s Café in Morningside gehen«, schlug Anne vor. »Da gibt es ausgezeichnete Cupcakes.«
»Klingt gut. Ich melde mich, damit wir einen Termin finden können. Schließlich sind wir beide vielbeschäftigte Frauen.«
»Mach das. Ruf mich einfach an. Bye, Carol. Bis demnächst.«
»Und vielleicht kann ich dir dann ja auch schon etwas anderes erzählen …« Carol machte eine geheimnisvolle Miene. Doch falls sie gehofft hatte, dass Anne sie drängen würde, mehr zu sagen, wurde sie enttäuscht.
Die Freundin hob noch einmal grüßend die Hand und wandte sich dann zum Gehen.
Lachie hatte inzwischen bestimmt schon die Überprüfung der neuen Angestellten ihres Klienten abgeschlossen, und bei dem herrlichen Wetter heute würde er gerne noch eine Runde mit ihr spazieren gehen. Schließlich mussten sie als Detektive – wie hatte Carol es genannt – »fit und agil« bleiben.
Und Ms Ballantine hatte sich erst für morgen am späten Vormittag angekündigt.
Finola nahm auf Annes bequemem Schreibtischstuhl Platz und starrte auf den Bildschirm. »Gut. Dann zeig mir mal, was ich zu tun habe, um dich zu ersetzen.«
»Du sollst mich demnächst einfach mal drei Wochen vertreten«, stellte Anne richtig, »nicht ersetzen.«
»Weiß ich denn, was geschieht, wenn du mit Lachie ganz romantisch in den Sonnenaufgang schipperst? Oder in den Sonnenuntergang?« Finola grinste. Es war zu schön, Anne und Lachie mit ihrem Liebesglück aufzuziehen. Und es lenkte sie von ihrer eigenen Situation ab.
Anne blieb ernst. »Ich hoffe ja, dass wir spätestens im nächsten Monat noch eine neue Mitarbeiterin finden, dann bleibt nicht alles allein an dir hängen. Und natürlich brauchst du in der Zeit, in der wir weg sind, nur die Fälle zu übernehmen, die wirklich machbar sind.«
»Klar. Alle anderen Leute, die was von MacTavish & Scott wollen, müssen eben warten, weil wir gerade so viel zu tun haben. Wir sind nämlich gut. Sehr gut. Das werd’ ich denen schon verklickern.«
Finola lehnte sich zurück und drehte sich auf Annes leuchtend blauem Bürostuhl leicht hin und her. »Und wann genau geht’s los mit meiner Geschäftsübernahme?«
Anne lachte. »Warum sagst du das so bedrohlich? Hast du vor, meine Buchhaltung zu sabotieren?«
»Müsste ich hinkriegen … Nee, wenn du mich jetzt so langsam mal in die geheime Finanzwelt einführst, schaff ich das. Und den anderen Schriftkram hab ich ja schon manchmal gemacht.« Wenn auch ungern, fügte Finola in Gedanken hinzu.
»Ich habe vollstes Vertrauen. Also, schau mal her …« Anne öffnete das Buchhaltungsprogramm und begann, Finola zu erklären, wo und wie was einzutragen und virtuell abzuheften war. »Und dann musst du noch hier …«
Es klingelte an der Haustür.
Anne warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich habe erst in einer guten halben Stunde den nächsten Termin«, sagte sie. »Ist also wahrscheinlich Post. Erwartest du wieder ein Paket von deiner Granny?«
Finola schüttelte den Kopf. Sie hatte in der vergangenen Woche eine Sendung mit zwei getöpferten blauen Bechern, einem ebenfalls blauen gestrickten Spitzenschal und Grannys Tropfen bekommen, die diese nach ihrem Geheimrezept herstellte. Während die Tropfen Nummer eins zuverlässig gegen Schlaflosigkeit halfen, Nummer sieben gegen Kopfweh und Nummer neun gegen Rückenschmerzen, gab es keine Tropfen, die Finolas Gewissen beruhigt hätten.
Es war eben doch nicht so einfach, das, was in London geschehen war, in London zu lassen.
Wieder klingelte es.
»Da ist aber jemand sehr ungeduldig«, stellte Anne fest und marschierte zur Haustür.
Finola spitzte die Ohren. Eine Frauenstimme sprach. Anne antwortete in verbindlichem Tonfall – das hörte sich nach einer Klientin an.
Kurz darauf traten Anne und eine dunkelhaarige Frau in den Vierzigern ins Büro. Über der Schulter trug die Klientin eine große Handtasche einer hochpreisigen Marke. Ihre Kleidung wirkte ebenfalls gediegen und teuer – hier stand eine Frau, die es gewohnt war zu bestimmen.
»Meine Geschäftspartnerin Ms MacTavish«, stellte Anne vor. »Und dies ist Ms Ballantine, die mit uns über ein Problem sprechen möchte. Sie ist ein wenig früher gekommen.«
Finola stand auf und kam um den Schreibtisch herum, um der möglichen Auftraggeberin die Hand zu geben. »Ms Ballantine.«
»Wendy, bitte.«
Anders als die meisten Leute, die das Detektivbüro in Morningside persönlich aufsuchten, wirkte Wendy Ballantine selbstsicher und – wütend. Und sie war deutlich zu früh gekommen! Geduld schien also nicht ihre Stärke zu sein.
»Darf ich Ihnen einen Tee anbieten, während Sie uns berichten?«, fragte Anne und deutete auf ihre Besprechungsecke mit den bequemen Sesseln. »Oder einen Kaffee?«
»Nein danke«, lehnte Wendy Ballantine ab und setzte sich. »Ich komme lieber gleich zur Sache, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Finola warf Anne einen Blick zu. Sollte sie sich zurückziehen und wie üblich ihre Partnerin die Auftragsverhandlungen übernehmen lassen? Doch Anne deutete ein Kopfschütteln an, und so nahm Finola mit ihr zusammen Platz.
»Aber gerne«, antwortete Anne. »Sie haben am Telefon gesagt, es geht um eine delikate Angelegenheit?«
Wendy Ballantine räusperte sich. »Ähm. Ja. Also im Grunde ist das, was ich brauche, irgendwie absurd.« Sie stockte. »Ich suche nämlich einen Detektiv, der einen Detektiv beschatten kann.«
Finola bemühte sich, ihre Gesichtszüge nicht allzu sehr entgleisen zu lassen, und sah Anne an.
Die nickte langsam. »Das ist in der Tat ungewöhnlich. Erzählen Sie uns doch bitte mehr.«
»Und das bleibt wirklich unter uns? Auch falls ich nach unserer Besprechung keinen Auftrag erteile? Ich will nicht am Ende wegen Rufschädigung oder irgend so etwas belangt werden.«
»Natürlich behandeln wir alle Gespräche diskret«, versicherte Anne, und Finola nickte bestätigend.
»Also gut. Ich habe leider den Verdacht, dass mein Mann eine Affäre hat«, begann Wendy Ballantine. »Es gibt plötzliche Reisen, Anrufe, dass er Überstunden machen muss, er tut sehr geheimnisvoll mit seinem Handy, wenn es wegen einer neuen Nachricht summt, und überhaupt hat er sich verändert. Ich bin keine eifersüchtige Frau, nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber hier geht es nicht nur um persönliche Befindlichkeiten. Luke ist auch mein Geschäftspartner, und ich habe leider das Gefühl, dass ich mich nicht mehr auf ihn verlassen kann.«
»Darf ich fragen, um was für eine Art von Geschäft es sich handelt?«, erkundigte sich Anne.
»Wir stellen Gebrauchsgeschirr für den Hotel- und Gaststättenbereich her und vertreiben es in ganz Großbritannien. Luke ist unser Vertriebschef.«
»Und Sie wollen nun wissen, ob er Sie betrügt.«
»Jein. Luke hat immer schon gelegentlich nebenher seine kleinen Abenteuer gehabt. Das ist völlig okay, über so etwas sehe ich hinweg. Nur, dieses Mal ist es anders.« Sie räusperte sich. »Ich fürchte, jemand könnte ihn irgendwie so beeinflussen, dass es der Firma schadet. Er hat kürzlich eine sehr dumme Entscheidung getroffen. Und es ist einfach verdächtig, dass er so heimlich tut. Als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er jedoch alles vehement geleugnet. Also kam ich auf die Idee mit dem Detektiv. Nur – das ist der totale Reinfall.«
Anne legte den Kopf schief und sah Wendy Ballantine aufmerksam an, ohne etwas zu sagen. Finola tat es ihr nach. So brachte man die Leute am ehesten dazu, möglichst viel mitzuteilen.
»Ich habe Kontakt mit einem gewissen Jackson W. Ripley aufgenommen, den ich in den Gelben Seiten fand«, fuhr ihre Besucherin fort.
Ripley. Hatte Lachie den nicht kürzlich irgendwie erwähnt? Finola war der Name im Gedächtnis geblieben, weil Granny seit vielen Jahren ein Fan von Patricia Highsmiths Ripley-Krimis war.
Wendy Ballantine seufzte tief. »Der Mann wirkte zunächst äußerst erfahren und kompetent, was die Höhe seines Honorars nicht übertrieben erscheinen ließ. Schließlich, so dachte ich, würde er mit seiner Erfahrung die Sache bestimmt schnell über die Bühne bringen. Und das war natürlich in meinem Interesse. Ich stimmte also dem Tagessatz zu und unterschrieb den Vertrag, den er mir vorlegte.«
Sie stockte kurz, dann fuhr sie fort: »Die ganze Angelegenheit war mir ein wenig peinlich, weil ich ja doch unser Privatleben offenbarte, das ist sonst gar nicht meine Art, daher habe ich nicht alle Passagen genau gelesen. Und das rächt sich jetzt.«
Wendy Ballantine atmete tief ein und stieß dann die Luft in einem heftigen Schub aus. »Der Kerl nimmt mich aus! Ripley hat in der vergangenen Woche buchstäblich gar nichts herausgefunden und mir nur ein paar völlig unverfängliche Fotos von meinem Mann und irgendwelchen verschiedenen Leuten vorgelegt. Und als ich ihm daraufhin fristlos kündigen wollte, hat er mich auf Paragraf fünf seines Vertrags hingewiesen, der, bis der Auftrag erfüllt ist, eine Kündigungsfrist von vier Wochen vorsieht.«
Sie nahm ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrer Handtasche und reichte es Anne.
»Ich habe Ihnen eine Kopie von dem entsprechenden Absatz gemacht. Also, wie Sie sehen, ich bin gebunden, es sei denn, ich kann zweifelsfrei nachweisen, dass Mister Ripley seine Nachforschungen nicht gewissenhaft durchführt oder sich eines Verbrechens schuldig macht.«
Finola sah Anne an, die einen Blick auf das Blatt warf und langsam und verständnisvoll nickte.
»Ja. Und deshalb bin ich hier«, erklärte Wendy Ballantine abschließend. »Ich brauche Beweise gegen Ripley, um ihn loszuwerden.«
»Das würde bedeuten, dass jemand von MacTavish & Scott Mister Ripley observieren müsste. So etwas wird voraussichtlich nicht einfach.«
»Das ist mir durchaus klar. Sagen Sie mir daher bitte gleich offen, ob Ihre Detektei das übernehmen kann. Sonst muss ich weitersuchen.«
»Ich hätte da einen unserer langjährigen Mitarbeiter im Blick«, warf Finola ein. »Ich denke, er würde das hinkriegen.«
Anne sah sie forschend an. »Ich glaube, ich weiß, wen du meinst. Bist du sicher?«
»Ich könnte ihn kurz anrufen und nachfragen«, schlug Finola vor.
Anne nickte. »Ja, tu das bitte. Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit doch einen Tee anbieten, Wendy?«
Natürlich gab es diesen Mitarbeiter, mit dem Finola angeblich telefonieren wollte, überhaupt nicht. Sie selbst spielte mit dem Gedanken, den Fall zu übernehmen. Aber das würde sie Wendy Ballantine nicht auf die Nase binden. Sollte die ruhig an einen ihr unbekannten kompetenten Mann denken.
Leider trauten auch heutzutage noch viele Klienten einer Frau weniger zu. Dabei war es für Männer deutlich schwieriger, nicht aufzufallen, wenn sie irgendwo herumlungerten und observierten.
Finola schloss die Bürotür hinter sich und ging den Flur entlang zu Lachie. Seine Tür stand wie meistens offen.
»Hi. Stör ich gerade?«, fragte sie vorsichtig.
»Hm, Moment …« Lachie tippte schnell noch etwas in den Computer ein, dann wandte er sich ihr zu. »Wie kann ich dir helfen?«
»Jackson W. Ripley. Sagt dir der Name was?«
Lachie nickte.
Finola lehnte sich an das Regal neben Lachies Schreibtisch. »Das ist gut. Und was kannst du mir zu ihm sagen?«
»Wieso?«
»Wir haben eine potenzielle Klientin im Büro sitzen. Die will aus ihrem ziemlich miesen Vertrag mit Ripley raus, und dazu muss sie nachweisen, dass er seinen Job nicht richtig macht. Sie spricht gerade mit Anne.«
Lachie hob die Brauen. »Arbeitet er immer noch mit der alten Masche?«
»Masche?«
»Viele Aufträge annehmen und wenig dafür tun. So hat er über die Jahre ’ne ganze Menge Geld gescheffelt. Wirklich nachweisen lässt sich ja schlecht, dass er nicht an dem jeweiligen Fall gearbeitet hat.«
»Es sei denn, er wird observiert, und die Beobachtungen werden genau dokumentiert. Mit Fotos.«
»Das könnte helfen.« Lachie sah Finola skeptisch an. »Aber du denkst doch nicht wirklich daran, das zu machen, oder?«
»Warum nicht?«
»Ripley ist ein ziemlich undurchsichtiger Zeitgenosse. Allerdings nicht inkompetent. Du könntest ihm also auffallen.«
»Auch in Verkleidung? Ich hab schon ganz andere getäuscht.« Sie grinste.
Lachie begann zu lachen. »Das ist wahr! Wenn es jemanden gibt, der Ripley überwachen kann, ohne erwischt zu werden, dann dürftest du das sein.«
»Und um diese Jahreszeit muss ich nicht einmal frieren, wenn ich irgendwo in der Gegend rumstehe.«
»Stimmt. Soll ich dir mal ein paar Infos zu ihm zusammenstellen?«
»Ja, bitte.«
»Ich mach nur schnell noch das hier fertig«, er wies auf den Bildschirm, »aber bis heute Abend hab ich dann eine passende Lektüre für dich.«
»Super, danke! Ich sage also im Namen unseres fiktiven Mitarbeiters zu, mit dem ich soeben telefoniert habe.«
»Klingt gut.«
Während Lachie sich wieder seiner Arbeit zuwandte, ging Finola zurück in das Büro ihrer Partnerin. Dort goss Anne gerade Tee auf, die bunten Becher standen schon bereit.
»Ich habe eine gute Nachricht für Sie, Wendy«, berichtete Finola. »Unser Mitarbeiter hat noch Kapazitäten frei und würde es übernehmen, Mister Ripleys Arbeit zu überprüfen. Sogar gleich schon ab morgen.«
Wendy Ballantine seufzte erleichtert.
»Möchtest du auch einen Tee?«, fragte Anne Finola.
»Gerne.«
Finola setzte sich wieder. Jetzt galt es, so viel Informationen über Ripley zu bekommen wie möglich. Und über den Fall »Luke Ballantine«, den er so zu vernachlässigen schien.
»Es könnte natürlich auch sein, dass Mister Ripley doch gute Arbeit leistet und sich einfach nichts über Ihren Mann finden lässt«, warf sie ein. »Das können wir vorab nicht beurteilen.«
»Das Risiko gehe ich ein«, sagte Wendy Ballantine. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich so täusche. Weder in meinem Mann noch in diesem Detektiv.« Sie zog nun eine Aktenmappe aus ihrer Handtasche. »Hier drin sind alle Notizen, die ich Mr Ripley gegeben habe. Außerdem finden Sie seinen bisherigen Bericht und die Fotos, die er mir vorgelegt hat.«
Finola nahm die Mappe entgegen. Sie hatte somit einen neuen Fall. Vielleicht war es nicht allzu ehrenhaft, einen Kollegen zu beschatten, aber wenn dieser sich selbst nicht ehrenhaft verhielt, geschah ihm das nur recht.
Und falls er doch sein Bestes gab, konnte sie bestimmt noch etwas von ihm lernen.
Zwei Stunden später machte sich Finola zufrieden auf den Weg zu Laurie’s Café.
Laurie stand hinter ihrem Verkaufstresen und packte für einen Kunden vier knallbunte Cupcakes in eine ihrer weißen Pappschachteln.
»Hi«, grüßte sie und lächelte. »Setz dich, ich bring dir gleich deinen Latte macchiato.«
Einer der drei kleinen Tische war frei, und Finola setzte sich. Die Lunch-Zeit war vorüber, vermutlich würde Laurie jetzt ein bisschen Luft haben. Sie atmete tief durch und versuchte, den »Fall Ballantine« – oder besser gesagt: den »Fall Ripley« – noch einmal zu durchdenken.
»So, bitte schön.«
Lauries Worte rissen sie aus ihren Überlegungen.
»Du bist aber schnell heute«, sagte Finola.
»Das kommt dir nur so vor, weil du deine Stirn in so tiefe Denkfalten gelegt hast. Die stören das Zeitempfinden. Neuer Fall, oder geht es um …?« Sie hob die Brauen, grinste und setzte sich zu ihrer Freundin.
»Neuer Fall«, stellte Finola schnell klar.
»Ich hoffe, du kommst trotzdem heute Abend zum Scottish Country Dancing? Oder musst du wieder wer-weiß-wohin, und das sofort?«
»Ganz sicher kann ich das nicht sagen, aber voraussichtlich bleibe ich die nächsten Tage in Edinburgh.«
»Aha. Du wirst also jemanden beschatten!«, schloss Laurie messerscharf.
»Du weißt, dass ich darüber nicht sprechen darf. Und dass immer auch kurzfristig was dazwischengeraten kann.«
»Weiß ich.«
»Aber tatsächlich hab ich vor zu kommen.«
»Sehr gut. Ich freu mich. Und ich weiß, wer sich noch freuen wird.« Sie sah Finola verschwörerisch an.
»Na, ich hoffe doch, alle.« Diese versuchte, die Anspielung zu ignorieren.
Laurie beugte sich näher zu ihr und flüsterte: »Ich denke, bei Craig hast du Chancen. So wie er dich manchmal anguckt …«
Ein heißer Stich fuhr in Finolas Magen. »Er ist verheiratet«, wehrte sie ab, »und Amanda …«
»… ist schwanger. Ich weiß. Aber sie kommt ja schon lange nicht mehr zum Tanzen, und jedem ist klar, dass die Schwangerschaft dafür nur ein vorgeschobenes Alibi und die Ehe am Ende ist. Und du magst ihn. Sehr.« Laurie zwinkerte ihr zu.
»Bist du meine Freundin?«, fragte Finola.
»Natürlich!« Laurie sah sie erwartungsvoll an.
Finola konnte in ihrem Blick lesen, dass sie nun erwartete, endlich in die heimliche Gefühlswelt ihres Gegenübers eingeweiht zu werden.