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Folge 6: Der neue Fall für das Detektivbüro MacTavish & Scott fängt harmlos an: Die beiden Detektivinnen sollen aufdecken, wer ihren Klienten Joshua Evans erpresst. Finola freut sich, endlich einmal wieder undercover zu ermitteln, und tatsächlich findet sie heraus, wer von Joshuas Geheimnis weiß und damit Geld verdienen will. Doch dann muss Finola feststellen, dass diese Erpressung nur die Spitze eines Eisbergs ist, von dem große Gefahr droht!
Über die Serie: Finola MacTavish und Anne Scott sind die Lady Detectives von Edinburgh! Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen sie die erstaunlichsten Kriminalfälle - und machen mit Herz, Mut und ungewöhnlichen Methoden den Verbrechern der Stadt das Leben schwer. Doch auch in ihrem eigenen Leben geht es mitunter turbulent zu: Finola hat eigentlich die Nase voll von der Liebe, läuft dann aber doch dem einen oder anderen attraktiven Mann über den Weg. Und Anne trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum ... Wie gut, dass Finola immer die passende Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand hat. Und wenn die nicht hilft, dann ein frisch gebackener Cupcake!
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Seitenzahl: 193
Die junge Schottin Finola MacTavish zieht von der malerischen Isle of Skye nach Edinburgh, um dort in der Kanzlei von Anne Scott als Detektivin zu arbeiten. Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen die beiden Lady Detectives die verblüffendsten Fälle. Finola merkt dabei schnell, dass sie ein Händchen fürs Ermitteln und Beschatten hat – am liebsten in Verkleidung. Noch dazu hat sie immer die Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand, die überraschend effektiv wirkt – auch bei Anne, die jedoch ein dunkles Geheimnis zu haben scheint …
Der neue Fall für das Detektivbüro MacTavish & Scott fängt harmlos an: Die beiden Detektivinnen sollen aufdecken, wer ihren Klienten Joshua Evans erpresst. Finola freut sich, endlich einmal wieder undercover zu ermitteln, und tatsächlich findet sie heraus, wer von Joshuas Geheimnis weiß und damit Geld verdienen will. Doch dann muss Finola feststellen, dass diese Erpressung nur die Spitze eines Eisbergs ist, von dem große Gefahr droht!
Gitta Edelmann hat als Übersetzerin in Bonn, Rio de Janeiro, Freiburg und Edinburgh gearbeitet, bevor es sie wieder ins Rheinland zurückzog. Neben Kindergeschichten und historischen Romanen hat sie bereits eine fünfbändige Cosy-Crime-Reihe veröffentlicht. Die Autorin darf sich außerdem Lady of Glencoe and Lochaber nennen, da sie dort ein paar Quadratfuß Land besitzt.
Eine verhängnisvolle Erpressung
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven von © ALBAimagery/GettyImages; theevening/GettyImages; DrPAS/Getty Images
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0185-3
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»Bitte nicht schon wieder ein altes Familiengeheimnis!« Finola stöhnte.
Anne lehnte sich auf ihrem neuen kobaltblauen Schreibtischstuhl zurück und grinste. Tatsächlich hatten die beiden letzten großen Fälle, die Finola gelöst hatte, mit dunklen Ereignissen in der Vergangenheit ihrer Klienten zu tun gehabt, die bis heute nachwirkten. Doch dieses Mal schien der Auftrag erfreulicherweise rein auf dem Hier und Jetzt zu beruhen, was das Ermitteln deutlich erleichtern würde.
»Ist nicht im Grunde alles eine Familiengeschichte?«, fragte Anne scheinheilig und drehte sich auf dem Stuhl leicht hin und her. Dieser Schreibtischstuhl war wesentlich bequemer, stellte sie fest, als der alte Bürosessel, den ihr verstorbener Mann Malcolm immer benutzt und den sie zunächst zusammen mit der Detektei übernommen hatte. Sie hätte ihn schon viel früher austauschen sollen. Den Stuhl. Na ja, Malcolm auch.
Finola runzelte die Stirn und spitzte den Mund. »Hm«, machte sie.
»Also, die Geschichte unseres neuen Klienten beginnt im Jahre …« Anne konnte den Satz, den sie sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte, nicht beenden, denn der Anblick ihrer Geschäftspartnerin, die die Hände vors Gesicht schlug, war zu komisch. Anne lachte laut.
»Sag, dass das ein Witz war, Anne, bitte!« Finola linste zwischen ihren Fingern hervor. »Sag, dass es in Wirklichkeit um … diese gestohlenen und spurlos verschwundenen Antiquitäten geht, über die der Scotsman gestern berichtet hat. Oder um eine Unterschlagung in einer Firma. Oder …«
Anne schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, mit diesen Fällen hat uns niemand beauftragt.«
Finola seufzte.
»Okay, ich geb’s zu.« Anne schmunzelte. »Kein Familiengeheimnis. Zumindest weiß ich von keinem. Aber ein Geheimnis ist dabei. Ein geheimes Verhältnis.«
»Ein untreuer Ehemann! Oder eine Ehefrau? Fein, so eine schlichte Observierung wird mir guttun«, erklärte Finola und wirkte deutlich entspannter. »Obwohl ich sie mir zu einer anderen Jahreszeit gewünscht hätte.« Sie deutete zum Fenster, wo der Regen Anstalten machte, in Schneeregen überzugehen.
»Ganz so schlicht ist der Fall dann doch nicht«, gab Anne zu.
»Jetzt spann das Mädchen nicht länger auf die Folter«, kam Lachies Stimme von der offen stehenden Bürotür.
»Lachie, brauchst du etwas?«, fragte Anne überrascht über seinen Anblick mit dem schwarzen Kater auf dem Arm. »Was ist denn mit Freddie?«
»Ich weiß nicht. Er kam eben zu mir ins Büro. Ich glaube, er hinkt ein bisschen. Und guck mal, sein Ohr – vielleicht war er in einen Kampf verwickelt?«
Anne stand auf und ging um den Schreibtisch herum zu Lachie. Sie streichelte Freddies Kopf, kraulte ihn hinter dem linken Ohr, worauf er verzückt die Augen schloss, und sah ihn sich genauer an.
»Ist es schlimm?« Auch Finola kam, um den Kater zu betrachten.
»Ich glaube, nicht«, sagte Lachie. »Aber ich wollte euch doch gleich informieren. Es ist schon seltsam, dass er so zu mir kam. Vielleicht mag er ein Weilchen auf meinem Sofa liegen, dann kann ich ihn beobachten. Und falls es ihm schlechter geht, sag ich Bescheid.«
»Danke, Lachie. Du bist wunderbar.« Anne lächelte dankbar.
Was für ein Geschenk dieser Mann war! Nicht nur der gewiefteste Computermensch, den sie sich vorstellen konnte, sondern auch der beste Freund. Kein Wunder, dass ihn selbst der sonst so zurückhaltende Freddie ins Herz geschlossen hatte und in seiner Not zu ihm gegangen war.
»So, und jetzt solltet ihr zwei weiterarbeiten«, erklärte Lachie. »Erpresser sollte man besser nicht warten lassen.«
»Erpresser?« Finola sah von Freddie zu Anne. »Geht es in dem neuen Fall etwa um Erpressung?«
»Ja.« Anne strich noch einmal über das schwarze Fell des Katers und lächelte Lachie an. »Okay, die Herren dürfen jetzt gehen. Finola und ich müssen besprechen, wie wir das kriminelle Tun dieser Person aufdecken und unterbinden können.«
Lachie ließ sich das nicht zweimal sagen. Er murmelte Freddie ein paar Worte zu und verschwand mit ihm in die Richtung seines Büros.
»Okay, dann mal ernsthaft und im Detail. Was ist das für ein Fall?«, fragte Finola und setzte sich wieder gegenüber von Anne an den Schreibtisch.
Anne räusperte sich und blickte auf den Monitor ihres Computers. »Also – unser Klient ist Joshua Henson. Prokurist bei Ferguson Removals.«
»Die Firma mit den grünen Möbelwagen?«
»Genau die. Es betrifft aber nicht Ferguson Removals, sondern Mr Hensons Privatleben.«
»Er geht fremd.«
»Das ist nicht ganz korrekt. Er ist nämlich nicht verheiratet und in keiner festen Beziehung.«
»Dann geht also eine verbandelte Sie mit ihm fremd. Oder ein Er? Und nun erpresst jemand den Mann? Wäre es nicht logischer, die verheiratete Person zu erpressen, die mehr zu verlieren hat?«
»Es handelt sich bei dieser tatsächlich um eine Frau. Und bei der ist wohl nicht viel zu holen, weil der Ehemann den Geldbeutel kontrolliert, während Joshua Henson über ein beträchtliches Vermögen zu verfügen scheint.«
»Okay. Und wenn ihm was an seiner Geliebten liegt, wird er sie natürlich schützen wollen. Deswegen geht er auch nicht zur Polizei, hab ich recht?«
Anne nickte. »Fast. Er hat mir erklärt, dass er ja in Wirklichkeit überhaupt keine Affäre habe, dass sich alles nur um ein Missverständnis handle.«
»Ach ja?« Finola hob die Brauen. »Und dann zeigt er dem Erpresser nicht einfach den Mittelfinger?«
»Wie dem auch sei – er hat uns nun beauftragt, den Erpresser oder die Erpresserin zu finden. Er glaubt, wenn er die Person zur Rede stellt, kann er sie dazu bringen, die Sache zu beenden, weil sie ja sonst selbst angezeigt werden könnte.«
»Er will also den Erpresser erpressen?« Finola sah skeptisch aus.
»Genau. Wie er das macht, ist sein Problem. Du hast einfach nur die Aufgabe, herauszufinden, wer hinter der Sache steckt und Namen und Adresse zu liefern.«
»Okay. Was haben wir an Unterlagen? Briefe? Mails? Anrufe, die wir zurückverfolgen können? Welche Hinweise hat dieser Dingsbums auf den Täter?«
Anne lehnte sich wieder in ihrem Stuhl zurück und kreuzte die Arme im Schoß. »Joshua Henson heißt der Mann. Und da liegt das Problem. Nicht in seinem Namen, natürlich, sondern in den Unterlagen. Wir haben nämlich keine. Also nichts, was direkt vom Erpresser kommt.«
»Was?«
»Joshua Henson hat zunächst immer gleich die Briefe in den Kamin geworfen, weil er sie für die Ergüsse einer Stalkerin hielt. Erst im letzten Schreiben von gestern wurden die Vorwürfe konkreter, und es stand ein Satz darin …«
Anne beugte sich erneut vor und schaute auf den Monitor. Sie scrollte mit der Maus zu der entsprechenden Stelle und zitierte: »›Du kannst schon mal anfangen, dein Geld zu zählen, wenn du nicht willst, dass alle von deinem Tun erfahren.‹«
Sie sah Finola an. »Das weist nun doch deutlich auf eine Erpressung hin.«
Finola wirkte wenig begeistert. »Und wo ist dieser Schrieb? Auch Asche im Kamin?«
»Nein. Aber Joshua Henson hat ihn verlegt. Sobald er ihn wiederfindet, kriegen wir ihn natürlich.«
»Wie kann man einen Erpresserbrief verlegen?«
Anne zuckte mit den Achseln. »Er hat gesagt, ihm ist erst später aufgegangen, was da eigentlich stand und was das bedeutete.«
»Keine konkreten Geldforderungen?«
»Bisher nicht.«
»Ist es dann überhaupt eine Erpressung?«
»Ganz streng genommen wohl eher eine Ankündigung einer Erpressung. Oder so was wie eine Drohung. Im Augenblick würde ich es in die Kategorie Stalking einordnen.«
»Auch nicht schön.«
»Nein.«
»Okay, es gab also ein paar altmodische papierene Briefe. Per Post oder wie?«
»Ohne Marke im Briefkasten, und einen fand er unter dem Scheibenwischer seines Wagens.«
»Also steckt jemand aus Edinburgh dahinter, jemand, der Joshua Henson und seine Geliebte beobachtet und die Briefe persönlich abliefert«, schlussfolgerte Finola.
»Das ist zu vermuten.«
»Und wie kommt die Botschaft? Handschriftlich? Aufgeklebte Buchstaben?«
Annes Augenbrauen zuckten. »Ein bisschen professioneller sind die Briefe wohl schon gewesen. Gedruckt, schwarze Tinte. Alles normal und unauffällig.«
»Na klasse. Und wer ist die Frau, um die es geht?«
Anne las in ihren Notizen nach. »Clarissa Thompson. Ehefrau von Ben Thompson. Und wie gesagt, unser Klient behauptet, er habe überhaupt kein Verhältnis mit ihr. Die Thompsons seien nichts als gute Freunde. Ben und Clarissa arbeiten übrigens beide ebenfalls bei Ferguson Removals. Er in der Buchhaltung, und sie ist die Assistentin des Chefs.«
»Du guckst so skeptisch«, stellte Finola fest.
»Ja«, gab Anne zu. »Ich frage mich tatsächlich, warum Joshua Henson überhaupt eine Detektei einschalten will, wenn alles, was in den Stalker-Briefen steht, unwahr ist?«
Ferguson Removals stand auf dem grasgrünen Firmenschild und ebenso auf den kleineren und größeren Lkw auf dem Hof der Umzugsfirma. Ein Pfeil auf einem Schild an der Wand wies den Weg ins Büro.
Durch eine Mattglas-Tür betrat Finola einen Raum, in dem rechts eine Warteecke aus mehreren grünen Plastikstühlen und einem Tischchen mit zerlesenen Zeitschriften eingerichtet war. Links stand ein hoher weißer Tresen, dahinter führte eine leicht offen stehende Tür weiter ins Gebäudeinnere. Niemand war zu sehen. Gut, das gab ihr die Möglichkeit, sich ein wenig umzuschauen. Wenn es auch leider nicht viel zu entdecken gab, wie sie feststellen musste.
Dafür konnte sie von nebenan etwas hören. Eine Frau und ein Mann sprachen miteinander. Sie schienen direkt in dem Raum hinter der Tür zu sein, denn ihre Stimmen waren ziemlich gut zu verstehen. Finola versuchte, durch den offenen Türspalt mehr zu erkennen. Auf einem halbhohen Schrank mit Hängeordnern waren unordentliche Papierstapel zu sehen, es schien sich um ein Büro zu handeln.
»… immer noch nicht gezahlt?«, fragte die Frauenstimme. »Das wird Alan gar nicht gefallen. Red du doch bitte noch mal in Ruhe mit dem Mann. Schließlich hast du ihn als Kunden hier angeschleppt, Josh.«
Finola trat leise noch ein wenig näher an den Tresen heran und spitzte ihre Ohren. Josh – das musste Joshua Henson sein.
»Mach ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es um etwas anderes als ein Missverständnis geht. Das kannst du Alan schon mal so sagen. Ich kümmere mich darum.«
»Heute noch?«
»Ja, von mir aus heute noch.« Die Männerstimme klang alles andere als begeistert.
»Gut. Dann mach dich dran. Bist du sicher, dass du keine Kopfschmerztablette willst?«
»Ich bin sicher.«
»Okay, falls doch, melde dich. Ich habe Paracetamol und Ibuprofen.«
»Gut zu wissen.«
»Lass den ironischen Tonfall.«
»Bin ich hier der Ersthelfer in der Firma oder du?« Die Männerstimme klang nun ärgerlich.
Einen Moment lang herrschte Schweigen, bevor er weitersprach. »Sorry, ich bin dann wieder oben. Falls du mich brauchst.«
»Josh, bitte! Wozu sollte ich dich brauchen?«
»Für etwas, wofür dein Mann keinen Sinn hat?«
Ah, jetzt klang die Stimme leicht anzüglich, fand Finola. Wer mochte die Frau sein? Etwa Clarissa Thompson, mit der Joshua Henson kein Verhältnis hatte? Oder möglicherweise doch?
»Du meinst die Vorbereitung für unsere Vorweihnachtsfeier? Okay, ich rufe dich, sobald wir so weit sind, dass du die Girlanden an die Decke hängen kannst.«
Gut gekontert, kommentierte Finola in Gedanken. Der genervte Tonfall der Frau hörte sich wirklich nicht nach Liebe am Arbeitsplatz an. Aber wenn Joshua Henson einen Hang zu zweideutigen Anspielungen hatte, konnte eine Stalkerin durchaus falsche Schlüsse gezogen haben.
Nun kam die Frau in Finolas Blickfeld. Sie stutzte, als sie Finola durch die offene Tür entdeckte.
»Hello!«, rief diese und tat, als sei sie gerade erst gekommen. »Bin ich hier richtig? Es geht um den Umzug meiner Großmutter.«
Die Frau mochte Anfang vierzig sein, sie trug ihre braunen Haare in einem akkurat geschnittenen Bob. Gekleidet war sie in eine schwarze Hose und einen beigen Cardigan über einer beigen Bluse, die eine Reihe Perlen schmückte. Sie setzte sofort ein professionelles Lächeln auf und kam aus dem Büro an den Tresen.
»Das ist zu vermuten«, sagte sie. »Denn immerhin sind wir ein Umzugsunternehmen. Wenn Sie mir den Namen Ihrer Großmutter verraten, schaue ich in unseren Computer und kann ihnen alles sagen, was sie dazu wissen müssen.«
Tatsächlich stand ein Computer hinter dem Tresen, den Finola vor lauter Lauschen bisher nicht wahrgenommen hatte, ein kleines Stück daneben lagen, perfekt gerade ausgerichtet, ein karierter Schreibblock, ein spitzer Bleistift und ein schwarzer Fineliner. Aha. Da war jemand überaus ordentlich. Oder hatte eine Zwangsstörung.
»Äh, also …« Finola beschloss, sich dumm zu stellen. »Es gibt da noch keinen Auftrag oder so. Ich wollte erst mal sehen …«
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte unsicher. Zum Glück trug sie Jeans und einen neutralen Pullover unter der schlichten schwarzen Winterjacke, in diesem Outfit stand ihr jegliche Schwindelei über ihre Person offen. Und sie wusste, wie sie sich verhalten musste, um ein paar Jahre jünger als achtundzwanzig zu wirken.
»Warum sagen Sie mir nicht einfach, worum es geht, und ich erkläre Ihnen alle Möglichkeiten. Dann kommt einer unserer Mitarbeiter zu Ihrer Großmutter und schaut sich an, was mit ihr umziehen muss, und wir machen einen Kostenvoranschlag.«
Finola nickte und tat erleichtert. »Das klingt gut. Es ist für mich gerade alles etwas schwierig.«
»Nehmen Sie doch schon mal da drüben Platz. Ich hole Ihnen eine Broschüre, in der sie später auch sämtliche Informationen noch einmal nachlesen können.«
Finola nickte und begab sich in die Warteecke. Gemütlich war diese nicht, der ganze Raum wirkte eher kalt und abschreckend. Aber damit ließ sich vielleicht arbeiten. Sie zog ihre Jacke aus und legte sie auf den Stuhl neben sich.
Da kam die Mitarbeiterin von Ferguson Removals auch schon wieder, eine grün-weiße Broschüre in DIN A4, einen Schreibblock und einen schwarzen Fineliner in der Hand. Sie zögerte kurz, als ihr Blick auf den Tisch und die unordentlichen Zeitschriften fiel, und gab Finola die Broschüre direkt in die Hand.
»Ich bin Clarissa Thompson«, stellte sie sich nun vor.
Treffer.
»Eigentlich ist die Beratung der Kundschaft nicht meine Aufgabe, doch im Augenblick ist niemand anderes da. Normalerweise rufen die Leute nur an, und dann kommt ein Mitarbeiter von uns zu ihnen zu einem Gesprächstermin nach Hause. Aber ich arbeite schon so lange hier, dass ich Ihnen sicher alle Fragen beantworten kann.«
Finola bedankte sich, und während Clarissa Thompson sich setzte, legte sie die Broschüre auf ihrem Schoß ab. Sie lehnte sich zum Tisch, stapelte die Zeitschriften ordentlich auf und schob sie parallel zur Kante auf eine Seite der Tischplatte. Dann platzierte sie ihre Broschüre im Neunzig-Grad-Winkel auf den frei gewordenen Platz und strahlte Clarissa Thompson an.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Ms Thompson«, begann sie. »Also, die Sache ist folgendermaßen …«
Clarissa Thompson hielt den Schreibblock auf ihrem Schoß, öffnete den Fineliner und steckte die Verschlusskappe an das obere Ende. »Ja?«
»Es ist nämlich so: Meine Großmutter lebt auf Harris. Alleine.« Es war immer gut, so nahe an der Wahrheit wie möglich zu bleiben.
»Und nun geht es ihr seit einiger Zeit gesundheitlich nicht so gut.« Das war zwar eine Lüge, aber Granny würde ihr verzeihen. Schließlich ging es nicht wirklich um sie, sondern um die fiktive Großmutter der fiktiven Kundin – Britney. Ja, heute würde sie Britney heißen wie die junge Putzhilfe in dem Altenheim auf Skye, wo Finola früher ein paar Jahre gearbeitet hatte. Die echte Britney war ein nettes, herzensgutes Mädchen, aber dank ihrer Jugend nicht unbedingt mit praktischer Lebenserfahrung gesegnet und leider auch nicht mit einem allzu scharfen Verstand. Diese Rolle passte hier.
»Und nun haben wir in der Familie überlegt, ob Granny nicht besser hier nach Edinburgh kommt. Wenn ich in ihrer Nähe bin, kann ich mich ein bisschen um sie kümmern. Einkaufen und so. Und es gibt in der Stadt ja auch viel mehr Möglichkeiten, was sie machen kann, als auf ihrer Insel. Da wohnt sie ein ganz schönes Stück vom nächsten Ort entfernt, und nun braucht sie langsam einen Stock, und das wird alles nicht einfacher.«
Clarissa Thompson nickte. »Dann sagen Sie mir bitte mal den Namen Ihrer Großmutter.«
»Annie Lennox«, gab Finola spontan an. Verflixt – der berühmte Name war ihr einfach so herausgerutscht. Sie hätte das Ganze vorher besser durchdenken und planen sollen.
Clarissa Thompson sah überrascht auf.
»Ja, ich weiß«, sagte Finola schnell. »Sie ist natürlich nicht die Sängerin Annie Lennox, meine Granny ist ein paar Jahre älter. Sie hatte den Namen also zuerst.«
Clarissa Thompson machte sich eine Notiz.
»Und Ms Lennox wohnt wo?«
»Auf der Isle of Harris. Ein Stück südlich von Tarbert. Also, eigentlich heißt die Insel ja Lewis and Harris, aber … Waren Sie schon mal dort?«
»Ah nein, leider nicht. Von den Äußeren Hebriden ist ein Umzug durch die Fähre natürlich ein wenig aufwendiger«, antwortete Clarissa Thompson. »Doch auch damit hat Ferguson Removals Erfahrung. Wir arbeiten ja sogar international und verschiffen ebenfalls auf den Kontinent.«
»Da bin ich aber froh. Ich hatte schon Angst, dass das ziemlich schwierig werden könnte.« Finola griff nach ihrer Jacke und zog sie an.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte Clarissa Thompson.
»Nein, nein, alles wunderbar. Mir ist nur ein wenig kühl«, behauptete Finola.
»Das tut mir leid. Ja, dieser Raum wird meist nur morgens genutzt, wenn unsere Fahrer und Packer ihre Auftragsunterlagen abholen.« Clarissa Thompson sah sich um. »Ich bin gar nicht sicher, ob hier überhaupt geheizt wird. Wissen Sie was, kommen Sie doch einfach mit in mein Büro. Es ist ohnehin gleich Zeit für meinen Tee, ich mach Ihnen gerne auch einen. Dann sind Sie im Nu wieder warm. Was denken Sie?«
»Das wäre herrlich«, sagte Finola dankbar.
Es hatte geklappt. Die strenge Ms Thompson nahm sie mit in ihr Allerheiligstes!
Clarissa Thompsons Büro war nicht der Raum, aus dem Finola vorhin die Stimmen belauscht hatte. Dieses Büro hinter dem weißen Tresen, das sie nun durchquerten, gehörte einer anderen Kollegin, die derzeit eine Grippe auskurierte, wie Clarissa Thompson erklärte. Und weil sie einen Teil der Arbeit dieser Zara hatte übernehmen müssen, war sie heruntergekommen, um Unterlagen bereitzulegen. So hatte sie Finola entdeckt.
»Da bin ich aber froh«, verkündete Finola und folgte ihr die Treppe hinauf. Über Joshua Henson sprach Clarissa Thompson nicht, und Finola hütete sich, nachzufragen, um nicht zu verraten, dass sie schon ein Weilchen in dem ungemütlichen Empfangsraum gestanden hatte.
Das Büro im ersten Stock erwies sich als streng und elegant mit viel Metall an den modernen Möbeln und einer großen Schrankwand mit makellos glänzenden, beige lackierten Türen. Clarissa Thompson wies auf einen mit schwarzem Leder bezogenen Stuhl neben ihrem Schreibtisch und öffnete eine der Schranktüren. Dahinter verbarg sich eine kleine Tee-Station mit einem Wasserkocher, einem Minispülbecken und einem Regal voller weißer Tassen.
Finola zog ihre Jacke aus und hängte sie zu dem beigen Wollmantel an den Haken neben der Tür. Sie nahm Platz und sah sich um, während Clarissa Thompson mit dem Tee hantierte.
Die Tür ging auf, und ein Mann im Anzug trat ins Zimmer. »Clarissa, hast du …? Oh, ich wollte nicht stören.«
Die Stimme verriet, dies war nicht Joshua Henson. Finola lächelte freundlich-naiv.
»Alan, dies ist eine neue Kundin, die den Umzug ihrer Großmutter von Harris nach Edinburgh organisiert. Sie hat noch ein paar Fragen. Meinst du, Steve könnte die Beratung auf Harris übernehmen? Er ist doch in der Woche nach Weihnachten ohnehin schon auf Skye, dann könnte er von dort aus leicht mit der Fähre rüberfahren.«
Sie wandte sich an Finola. »Steve ist einer unserer langjährigen Mitarbeiter.«
»Warum nicht. Komm zu mir rüber, wenn du fertig bist.« Alan Ferguson – denn um wen anderes als den Chef sollte es sich bei diesem Anzugträger namens Alan wohl handeln? – nickte Finola zu und verließ das Büro wieder.
»So, gleich ist der Tee so weit. Inzwischen können Sie mir ein wenig mehr über die Möbel ihrer Großmutter erzählen, Ms …?«
»Britney. Also, ich meine Lennox, Britney Lennox.«
»Fein, Ms Lennox. Nun, auf wie viel Quadratmetern lebt ihre Großmutter derzeit? Und wird sie wohl alle ihre Möbel mitnehmen wollen?«
Es machte Finola Spaß, den Besitz ihrer fiktiven Großmutter zu erfinden und dabei einen wirklich guten Assam zu trinken. Dieser Fall versprach, angenehm zu werden. Und vielleicht konnte sie sich auf dem Weg nach draußen zufällig in Joshua Hensons Büro verlaufen, um ihn sich einmal unvoreingenommen anzusehen? Noch wusste er nicht, wie die Detektivin, die seinen Fall übernommen hatte, aussah. Was war er für ein Mensch? Was konnte jemanden dazu bringen, ihn erpressen zu wollen?
»Ich denke, ich habe nun alle wichtigen Angaben von Ihnen«, sagte Clarissa Thompson schließlich. »Damit wäre das Nächste, was wir ausmachen müssen, der Termin bei Ihrer Großmutter zu Hause mit Steve. Bis dahin sollte die alte Dame zumindest ungefähr wissen, welche Dinge sie möglicherweise aussortiert. Das kann das Ladevolumen und damit den Preis doch entscheidend verändern. Aber da berät Steve gerne.«
Finola nickte. »Ich werde es mit ihr besprechen, während ich zu Weihnachten dort bin. Der Umzug soll ja nicht vor Februar sein. Das reicht in diesem Fall doch sicher, wenn ich Ihnen im neuen Jahr Bescheid gebe? Ich weiß halt noch nicht, wann die Leute, die da jetzt wohnen, ausgezogen sind und ob man viel renovieren muss.«
»Aber selbstverständlich.«
Wieder ging die Tür auf. Dieses Mal kam ein großer, breitschultriger Mann um die dreißig herein, der eine grüne Hose, einen ebenso grünen Pullover und darüber eine orange Warnweste trug. Sein blondes Haar war knapp schulterlang. Er passte in dieses elegante Büro wie ein Wikinger auf ein Kreuzfahrtschiff.
»Ey, Clarissa, ist Zara immer noch krank?«, fragte er. »Ich hab den Kram auf ihren Schreibtisch gelegt.«
»Kannst du die Sachen nicht gleich einscannen, Cory?«