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Folge 7: Nach den Weihnachtsfeiertagen ist es ruhig in der Detektei, also beschließt Finola, den Besuch bei ihrer Granny auf der Insel Harris zu verlängern. Währenddessen erhalten Anne und Lachie einen vermeintlich ruhigen Auftrag: Sie sollen einen Erben namens Matt Browne für eine ältere Dame ausfindig machen. Der ist auch schnell gefunden - doch dann entgeht Matt nur ganz knapp einem Anschlag auf sein Leben. Will jemand das Vermögen der Auftraggeberin für sich haben, oder hat der Erbe Feinde in Schottland, von denen er nichts weiß? Finola reist zurück nach Edinburgh und stellt Nachforschungen an - doch dabei deckt sie ein Geheimnis auf, das die junge Detektivin in Lebensgefahr bringt!
Über die Serie: Finola MacTavish und Anne Scott sind die Lady Detectives von Edinburgh! Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen sie die erstaunlichsten Kriminalfälle - und machen mit Herz, Mut und ungewöhnlichen Methoden den Verbrechern der Stadt das Leben schwer. Doch auch in ihrem eigenen Leben geht es mitunter turbulent zu: Finola hat eigentlich die Nase voll von der Liebe, läuft dann aber doch dem einen oder anderen attraktiven Mann über den Weg. Und Anne trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum ... Wie gut, dass Finola immer die passende Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand hat. Und wenn die nicht hilft, dann ein frisch gebackener Cupcake!
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Seitenzahl: 191
Die junge Schottin Finola MacTavish zieht von der malerischen Isle of Skye nach Edinburgh, um dort in der Kanzlei von Anne Scott als Detektivin zu arbeiten. Gemeinsam mit dem Computergenie Lachie lösen die beiden Lady Detectives die verblüffendsten Fälle. Finola merkt dabei schnell, dass sie ein Händchen fürs Ermitteln und Beschatten hat – am liebsten in Verkleidung. Noch dazu hat sie immer die Kräutermedizin ihrer Granny zur Hand, die überraschend effektiv wirkt – auch bei Anne, die jedoch ein dunkles Geheimnis zu haben scheint …
Nach den Weihnachtsfeiertagen ist es ruhig in der Detektei, also beschließt Finola, den Besuch bei ihrer Granny auf der Insel Harris zu verlängern. Währenddessen erhalten Anne und Lachie einen vermeintlich ruhigen Auftrag: Sie sollen einen Erben namens Matt Browne für eine ältere Dame ausfindig machen. Der ist auch schnell gefunden - doch dann entgeht Matt nur ganz knapp einem Anschlag auf sein Leben. Will jemand das Vermögen der Auftraggeberin für sich haben, oder hat der Erbe Feinde in Schottland, von denen er nichts weiß? Finola reist zurück nach Edinburgh und stellt Nachforschungen an - doch dabei deckt sie ein Geheimnis auf, das die junge Detektivin in Lebensgefahr bringt!
Gitta Edelmann hat als Übersetzerin in Bonn, Rio de Janeiro, Freiburg und Edinburgh gearbeitet, bevor es sie wieder ins Rheinland zurückzog. Neben Kindergeschichten und historischen Romanen hat sie bereits eine fünfbändige Cosy-Crime-Reihe veröffentlicht. Die Autorin darf sich außerdem Lady of Glencoe and Lochaber nennen, da sie dort ein paar Quadratfuß Land besitzt.
Granny in Gefahr
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © WangAnQi/iStock/Getty Images Plus; EyesTravelling/Shutterstock; FotoEvans/iStock/Getty Images Plus; Canetti/iStock/Getty Images Plus
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0186-0
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Das Messer lag bequem in der Hand. Und es würde die Botschaft wunderbar rüberbringen.
Nicht mehr lange, gleich musste er hier vorbeikommen.
Die Schneide war kräftig und scharf. Sie würde auch durch eine dickere Jacke dringen.
Es wäre doch gelacht, wenn dieser miese Schauspieler auf einmal ein reicher Erbe würde, obwohl er das Geld nicht wirklich verdient hatte! So viele Jahre lang hatte er sich nicht bei seiner Großtante gemeldet, und nun wollte er absahnen?
Da, das musste er sein.
Jetzt.
»Du wirst ihr Geld nicht kriegen!«
Das Messer drang tief ein, und mit einem kurzen überraschten Schrei fiel das Opfer zu Boden.
Gut.
Sehr gut.
Alles nach Plan.
»Kommt schnell rein, der Tee ist gleich fertig.« Mit einem herzlichen Lächeln empfing Catriona MacTavish ihre Gäste. Wie zur Bestätigung pfiff der Kessel, und sie eilte in die Küche.
Anne Scott zog die Jacke aus, nahm ihre Wollmütze ab und fuhr sich mit den Fingern durch das kurze graumelierte Haar.
»Hab ich dir schon danke gesagt?«, fragte sie Lachie, der hinter ihr ins Haus getreten war. »Ich weiß nicht, wie ich die Spaziergänge hier ohne dein Weihnachtsgeschenk überstehen würde.« Sie schwenkte die Mütze in der Hand hin und her.
Lachie grinste. »Schon etwa zwölfhundertmal. Aber ich hör’s immer wieder gern. Da weiß ich doch, dass sich die Mühe gelohnt hat. Meine Mutter pflegte zu sagen: Hauptsache der Kopf ist warm. Sie hatte durchaus nicht mit allen ihren Sprüchen recht, aber hier stimm ich ihr zu.«
Anne lächelte und strich mit der Hand über das Norwegermuster aus dicker Wolle in Schwarz und zwei Blautönen, die Lachie für sie ausgesucht und verstrickt hatte. Dann steckte sie die Mütze in ihren Jackenärmel.
»Kommt ihr?«, rief ihre Gastgeberin aus der Küche.
»Sofort!«
Anne und Lachie zogen die Schuhe aus und schlüpften in die bereitliegenden Stricksocken, die hier im Haus von allen getragen wurden. Dann folgten sie dem Duft frisch gebackener Scones in die gemütliche Küche.
Catriona goss zuerst Milch in die bunten Teebecher und füllte mit starkem schwarzem Tee auf. Sie kannte die Vorlieben ihrer Gäste, und Anne fühlte sich von diesem Empfang nach dem windig-kalten Spaziergang herrlich verwöhnt.
»Und wo wart ihr heute?«, fragte Catriona, als sie sich alle gesetzt hatten.
»Luskentyre Beach«, gab Lachie zur Antwort.
»Schon wieder? Es gibt doch noch andere hübsche Orte hier auf Harris.«
Ein Lächeln umspielte seinen Mund. »Das war der vielfache Wunsch einer einzelnen Dame.«
Anne zuckte mit den Schultern. »Ich mag den Ort. Es ist so besonders schön da. Dieser weiße Sand und das blau-grüne Wasser …«
Sie nahm einen Schluck Tee. Wie sollte sie erklären, warum es sie immer wieder dorthin zog?
»Ein Kraftort.« Catriona nickte.
Anne spürte Lachies Blick. Er war Zeuge geworden, wie sie bei ihrem ersten Besuch dort am Strand gestanden hatte und in Tränen ausgebrochen war, einfach weil der Ort so viel Schönheit ausstrahlte. Doch er sagte nichts, ließ diesen Augenblick ihrer beider Geheimnis bleiben.
Sie hatte versucht, sich und ihm ihre Schwäche zu erklären: das schwierige vergangene Jahr mit dem Tod ihres Mannes und der Übernahme der Detektei, den finanziellen Sorgen und den anstrengenden Aufträgen der letzten Monate. Doch Lachie hatte nur den Kopf geschüttelt, ihre Hand genommen und gesagt: »Es ist gut.«
Womöglich war Luskentyre Beach für sie wirklich ein Kraftort, der eine Anspannung in ihr gelöst hatte und sie nach jedem Besuch stärker gehen ließ, als sie gekommen war.
Catriona reichte Anne die Platte mit den noch warmen Rosinenscones. Butter und Erdbeermarmelade standen bereit, und als Anne die Scones an Lachie weitergab, knurrte ihr Magen.
»Es ist gut, jetzt im Januar hier zu sein«, sagte sie. »Im Sommer sind sicher sehr viele Touristen da, und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie voll es dann dort ist. Und die schmale Straße und der kleine Parkplatz sind wahrscheinlich hoffnungslos überfüllt.«
Catriona nickte. »Ihr habt die beste Jahreszeit gewählt. Schaut euch diesen klaren blauen Himmel an.« Sie wies aus dem Fenster. »Im Sommer haben wir viel mehr Regen.«
»Und Midges!«, ergänzte Lachie.
Catriona lachte. »Aye, auch die. Meine Bed & Breakfast-Gäste sind manchmal ganz schön geschockt über die Schwärme aus winzigen Blutsaugern.«
Die Scones waren wirklich ausgezeichnet. Wie alles, was sie hier zu essen bekamen. Es waren einfache und geschmackvolle Mahlzeiten, sehr oft mit frischem Fisch, den ihre Gastgeberin bei einem befreundeten Fischzüchter erstand und immer wieder anders zubereitete.
»Wo steckt eigentlich Finola?«, fragte Anne.
»Die ist nach Tarbert gefahren. Sie wollte ein paar Dinge einkaufen und einen alten Freund aus Kindertagen treffen.«
Gut so. Auch Finola schien der Aufenthalt hier wohlzutun, sie wirkte nicht mehr so angespannt wie in den Tagen vor Weihnachten, als der Erpressungsfall und das ganze Drumherum sie doch ziemlich mitgenommen hatten.
»Und ihr wollt wirklich übermorgen schon wieder abfahren?«, fragte Catriona.
Anne nickte. »Es wird Zeit. Ich habe dieses Jahr bisher weder den Anrufbeantworter der Detektei gecheckt noch meine Katzen gestreichelt – nur meinen Mitarbeiter drangsaliert, mit mir lange Spaziergänge zu machen.«
»Nun, das Jahr ist nicht einmal zwei ganze Tage alt«, stellte Catriona amüsiert fest.
Lachie grinste. »Für mich wäre jetzt nur das Katzenargument gültig. In Edinburgh scheinen die Leute derzeit nicht unbedingt eine Detektivin zu brauchen.« Er nahm einen Schluck Tee. »Ich habe den AB nämlich von hier aus gecheckt. Und die E-Mails.«
»Ach, Lachie, wenn ich dich nicht hätte …«, sagte Anne theatralisch.
»Ich weiß, ich weiß.« Lachie nickte ernst. »Dann müsstest du ohne Mütze alleine am Strand in die Ferne blicken, und niemand würde mit dir morgen früh aufstehen, um zum Sonnenaufgang zwischen uralten Steinen zu stehen.«
»Ihr wollt morgen nach Callanais?«, erkundigte sich Catriona.
»So ist der Plan.«
»Dann nehmt besser mein Auto. Könnte sein, dass es heute Nacht friert, da ist der Jeep sicherer als eure Stadtkarosse. Noch etwas Tee?«
Nachdem sie Tee nachgeschenkt hatte, zog Catriona aus einem Korb neben der Bank, auf der sie saß, ein Knäuel Wolle und ein Nadelspiel heraus. Sie setzte ihre Brille auf und begann, Maschen anzuschlagen.
»Soll ich dir dein Strickzeug auch gleich geben?«, fragte sie Lachie, sobald er seinen letzten Bissen in den Mund gesteckt hatte.
»Ja bitte.«
»Und du Anne, bist du sicher, dass ich es dir nicht doch einmal zeigen soll?«
Anne lachte. »Ich muss nicht alles können. Wahrscheinlich würde es mich ganz schrecklich nervös machen, wenn ich eine Masche fallen lasse oder so. Nein, ich liebe das Stricken – solange es andere tun.«
Wie still und gemütlich es hier war. Und doch zog es Anne inzwischen zurück nach Edinburgh in ihr Alltagsleben. Diese Einsamkeit und Weite waren herrlich für eine gewisse Zeit, aber sie war nun mal ein Stadtmensch, und das Gewusel in den Straßen der schottischen Hauptstadt begann ihr zu fehlen.
Tarbert verkörperte immer noch ein Stück Kindheitsglück, auch wenn sich der Ort in den letzten fünfzehn Jahren natürlich verändert hatte. Finola hatte es gehasst, dass sie die Insel verlassen und nach Glasgow ziehen musste. Aber nachdem ihr Vater gestorben war, hatte ihre Mutter hier auf Harris nichts mehr gehalten. Und Erin war nicht bereit gewesen, Finola bei ihrer Großmutter zurückzulassen.
»Und, wie sieht es aus? Bleibst du?«, fragte Mànas. Er saß ihr gegenüber an dem kleinen Tisch im Café am Fähranleger und rührte konzentriert in seinem Milchkaffee.
Finola schüttelte den Kopf.
»Das solltest du aber. Dein Gälisch ist ganz schön rostig geworden.«
»Tapadh leat!«, bedankte sich Finola mit einem Grinsen. »Du wusstest immer schon, wie man einem Mädchen Komplimente macht.«
»Jetzt muss ich wohl rot werden. Ich erinnere mich nur zu gut daran, dass ich dir einmal gesagt habe, dass deine aufgedrehten Locken wie Schweineschwänze aussahen.« Mànas verzog sein Gesicht, als hätte er Schmerzen.
Finola nickte ernst. »Und meine Beine hast du als Holzstelzen bezeichnet. Ganz davon abgesehen, dass du mich Leuchtturm genannt hast.«
»Das lag nur an deiner gelben Mütze und daran, dass ich sehr darunter gelitten habe, dass du mit dreizehn größer warst als ich.«
»Das hat sich ja inzwischen geändert.«
»Aye, nicht wahr?« Mànas nickte zufrieden.
Finola lachte.
»Wenn ich damals schon größer gewesen wäre …«, setzte Mànas an, ließ aber das Ende des Satzes offen.
»Ich hab nie verstanden, warum du immer so ein Trara darum gemacht hast.«
»Lüg nicht. Du hast genau gewusst, dass ich in dich verliebt war. Du hast mich allerdings meistens total eingeschüchtert.«
»Das war doch höchstens ein Inch.«
»Aber du warst auch noch so klug und konntest so gut schauspielern. Wenn ich an deine Rolle als Burgfräulein im Schultheater denke …«
»Jetzt soll wohl ich rot werden!« Finola schüttelte den Kopf und trank ein paar Schlucke ihres schwarzen Kaffees.
Sie spürte Mànas’ Blick, und ein wohliges Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus. Es tat gut, ein wenig mit ihm zu flirten, sich gedanklich zu ihrem allerersten, leicht verunglückten Kuss zurückzubegeben, zu der Zeit voller Sicherheit und Zuversicht.
»Ich fänd es wirklich schön, wenn du wieder hier wärst.« Mànas lächelte.
Finola atmete tief durch. »Ich habe meine Arbeit und meine Freunde in Edinburgh. Aber ich sag dir gerne Bescheid, wenn ich Granny besuche, dann können wir uns treffen.«
Mànas nickte verstehend. »Dein Weg geht vorwärts, nicht zurück«, sagte er leise, und einen Moment lang schienen seine Augen sich zu trüben, wie sie es von seiner Großmutter Auld Mairi kannte. Hatte er ihre Gabe geerbt?
»Ich weiß nicht, wohin mein Weg geht«, antwortete Finola. »Ich weiß nur, dass ich viele Jahre nicht so glücklich war wie jetzt. Ich habe so etwas wie eine Familie gefunden. Und mein Beruf ist herrlich abwechslungsreich.«
Wieder nickte Mànas.
»Als Detektivin hätte ich dich nie gesehen, Fi, aber doch … Das passt dazu, dass man dir nie etwas vormachen konnte. Du hast einfach eine zu gute Beobachtungsgabe.«
»Genau. Und deshalb weiß ich, dass du Hunger hast. Du hast schon ein paarmal zu der Tafel mit den Tagesangeboten gelinst. Was also sollen wir bestellen? Ich lad dich ein.«
Mànas lachte. »Eigentlich wollte ich dich einladen. Und dann musst du mir erzählen, was für Fälle du in eurem Detektivbüro so löst!«
Finola parkte Grannys Wagen vor dem Laden mit der grünen Aufschrift Auld lang Syne am Fenster. Der Anbau mit dem Geschäft und der Ferienwohnung darüber war dunkel, Anne und Lachie saßen also wohl bei Granny im Wohnzimmer am offenen Kamin, wenn Finola die Beleuchtung richtig deutete.
Der Nachmittag mit Mànas hatte ihr gutgetan, und ja, er hatte recht, ihr Gälisch war ein wenig eingerostet, zu selten hatte sie in den letzten Jahren Gelegenheit gehabt, die Sprache zu sprechen. Sie musste sehen, ob sie in Zukunft nicht häufiger nach Harris kommen konnte. Mit dem Flieger von Edinburgh nach Stornoway war man ja recht schnell auf Lewis and Harris.
Mànas würde sich freuen.
Aber wollte sie das wirklich?
Finola stieg aus dem Wagen, lud die Einkaufstaschen aus und eilte mit ihnen hinüber zur Haustür.
Wie erwartet fand sie Anne und Lachie bei Granny am Kamin vor. Während Granny und Lachie strickten und über ein Buch plauderten, das sie offensichtlich beide gelesen hatten, drehte Anne verträumt ihr Whiskyglas in der Hand und sah den bernsteinfarbenen Schlieren zu, die innen am Glas entlangliefen.
»Du kommst gerade richtig für einen wee dram«, sagte Granny und deutete mit ihrer Stricknadel auf die Flasche mit Single Malt, die auf dem Tisch stand.
Finola nahm ein Glas aus der Vitrine, goss sich einen Whisky ein und setzte sich zu Anne auf das Sofa.
»Hattet ihr einen schönen Tag?«, fragte sie.
»Wir waren am Strand«, gab Lachie Auskunft.
»Aber nicht schon wieder Luskentyre?«
»Wo sonst?« Er lachte. »Es ist wirklich paradiesisch da. Ein bisschen so, als wären Zeit und Vergänglichkeit nur eine sehr theoretische Vorstellung. Und du?«
»Ich war einkaufen.« Finola wandte sich an ihre Großmutter: »Die Sachen stehen in der Küche, ich hab sie noch nicht eingeräumt, damit du siehst, was ich alles mitgebracht habe, Granny.«
»Danke, mo chridhe.« Catriona legte ihr Strickzeug zur Seite und erhob sich. »Und hast du Mànas getroffen?«
»Ja.« Finola lächelte. »Aus dem frechen Jungen ist tatsächlich ein sehr netter Mann geworden. Wir waren zusammen Kaffeetrinken, dann haben wir noch was gegessen und uns bestens unterhalten.«
»Wie schön.«
Ihre Großmutter ging hinaus, um die Einkäufe wegzuräumen.
Finola nahm einen kräftigen Schluck, spürte der Wärme nach, die ihr die Kehle hinunterrann, und genoss den torfigen und doch fruchtigen Nachgeschmack.
»Noch keine neuen Aufträge?«, fragte sie Lachie.
»Sag bloß, du brennst schon auf deinen nächsten Fall«, antwortete er. »Nein, im Augenblick machen wir alle Detektiv-Pause.«
»Wollt ihr dann nicht doch erst später heimfahren?«
»Nein«, sagte Anne, »ehrlich gesagt, habe ich schon wieder ziemliche Sehnsucht nach meinen eigenen vier Wänden. Aber wenn du willst, kannst du noch ein bisschen bleiben, Finola, und in ein paar Tagen mit dem Flugzeug nachkommen. Lachie und ich brauchen ja mit dem Auto ohnehin etwas länger. Wir haben uns überlegt, dass wir in Fort William noch mal ganz in Ruhe übernachten könnten, sonst wird die Fahrt zu anstrengend.«
»Ja, macht das ruhig. Dann bleib ich vielleicht tatsächlich noch ein paar Tage bei Granny. Falls es einen dringenden Auftrag gibt, bin ich ja schnell da.«
»Was für einen dringenden Auftrag sollte es denn geben?«, fragte Lachie. »Wenn eine alte Dame, die ihre Erben sucht, nicht gerade auf dem Sterbebett liegt, hat das durchaus ein paar Tage Zeit. Und das meiste läuft sowieso über das Internet.«
»Klar.«
»Willst du dann morgen früh mit uns kommen? Callanais Standing Stones bei Sonnenaufgang?« Lachie hob fragend die Augenbrauen. »Dafür musst du nicht einmal früh aufstehen, jetzt im Winter ist es lange genug dunkel.«
Finola schüttelte den Kopf. »Sorry, ich hab andere Pläne.«
»Brauchst du einen Wagen? Deine Großmutter hat uns ihr Auto angeboten. Sie meinte, das wäre sicherer, weil es heute Nachtfrost geben soll.«
»Klar, kein Problem. Ist ja noch der Wagen der Detektei da, falls ich irgendwo hinfahren muss. Und Frost ist gut! Ihr werdet sehen.«
»Das klingt wunderbar!« Anne lächelte. »Und dank Lachies Mütze werde ich nicht einmal kalte Ohren kriegen. Manchmal denke ich, seit ich hier bin, bin ich doch ein bisschen verweichlicht. Wenn ich da deine Granny oder ihre Freundin Auld Mairi betrachte …«
Finola lachte. Ja, die Menschen der Insel waren tough. Granny ebenso wie Auld Mairi, die noch einmal gut zehn Jahre älter war. Und sie selbst? Das würde sich zeigen. Es ging ja nicht nur darum, Wind und Wetter zu trotzen, sondern den Widrigkeiten des Lebens.
Auch Anne tat das – auf ihre Weise. Und das hatte nichts mit kälteempfindlichen Ohren zu tun.
Und Lachie? Was wusste Finola eigentlich über Lachie? Dass er ein Computer-Nerd der ersten Stunde war, dass er ein paar Freunde hatte, mit denen er sich jede Woche im Canny Man’s traf, dass er gerne las und gut stricken konnte und Süßigkeiten mochte. Nicht einmal in den Tagen, die sie hier zusammen verbrachten, ging er groß aus sich heraus oder erzählte aus seiner Vergangenheit. Dass er die Freundschaft mit Malcolm, Annes verstorbenem Mann, nie erwähnte, war wohl das Resultat von Malcolms Verrat. Aber sonst? Was ging hinter dem freundlichen Gesicht mit der Hornbrille vor?
Nun, ein Axtmörder war er nicht, da zumindest war sich Finola sicher, und sie lächelte unwillkürlich. Anne, die mit Lachie schon ewig befreundet war, hielt große Stücke auf ihn, und die beiden verstanden sich gut. Und warum sollte Lachie ausgerechnet mit der so viel jüngeren Detektivin, die er erst einige Monate kannte, ungefragt über sein Privatleben sprechen?
Wieso kam sie überhaupt auf solche Gedanken? War ihre forschende Ader nicht genügend gefordert? Ja, vielleicht ging es ihr ein bisschen wie Anne, sie hatte so langsam wieder Sehnsucht nach einem Alltag mit Observierungen, Verkleidungen und dem Aufdecken von dunklen Geheimnissen.
Es war noch stockdunkel, als Anne und Lachie nach einem heißen Tee und einer Schüssel Porridge in der kleinen Küche der Ferienwohnung aufbrachen. Aus Catrionas Schlafzimmerfenster im Haupthaus schien ein Streifen Licht durch einen Vorhangspalt, sonst war alles ringsum dunkel.
»Finola scheint sich erst mal richtig ausschlafen zu müssen«, bemerkte Lachie, als er in den Wagen stieg und sich anschnallte.
»Mhm. Kann ich verstehen.« Anne ließ den Motor an. »Ging mir in ihrem Alter auch oft so. Jetzt kann ich gar nicht mehr so lange schlafen. Nun ja, so hab ich eher was vom Tag. Aber manchmal bedaure ich das.«
Sie waren zeitig dran, wahrscheinlich würden sie längst vor Sonnenaufgang an den Steinen sein. Doch da es, wie von Catriona vorausgesagt, in der Nacht gefroren hatte und sie die schmalen Straßen durch die dunklen Berge nicht kannten, war es sicherer so.
Der Himmel zeigte sich klar und voller Sterne. Hier draußen, wo keine Straßenlaternen leuchteten, jede der unvorstellbar fernen Sonnen ein Glitzersteinchen auf der schwarzen Seide des Nachthimmels.
Sie schwiegen. Es war wohltuend, mit Lachie zu schweigen, ihm ab und zu einen Seitenblick zuzuwerfen und zu sehen, wie er entspannt neben ihr saß und die Fahrt zu genießen schien.
»Meinst du, das mit dem Schulfreund könnte gefährlich werden?«, fragte Anne nach einer Weile.
»Schulfreund? Wovon sprichst du?«
»Finola und dieser Mànas. Sie war ziemlich angetan von ihm, findest du nicht?«
»Hm.«
»Also, ich könnte mir vorstellen … Ach was, das geht mich nichts an. Ich würde sie nur nicht gerne verlieren. In der Detektei, meine ich. Was wäre MacTavish & Scott ohne MacTavish?«
»Manchmal hörst du Flöhe husten, obwohl sie nicht erkältet sind.«
»Mehr hast du dazu nicht zu sagen?«
»Nein.«
Anne seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht.«
Sie erreichten nun das Ende des Gebirges und somit die Grenze zwischen Harris und Lewis. Obwohl es sich eigentlich um eine einzige Insel handelte, bezeichnete man beide Bereiche unterschiedlich. Der Südwesten – Harris – war bergig und überwiegend unwegsam, Lewis, der wesentlich größere Teil im Norden dagegen vergleichsweise flach.
»Wie liegen wir in der Zeit?«, fragte Anne.
»Hervorragend.«
Nach einer guten Stunde Fahrt erreichten sie schließlich den kleinen Ort Callanish oder Calanais, wie das gälische Schild verkündete.
»So langsam gewöhne ich mich an die absonderliche Schreibweise. Hauptsache, man spricht Calanais noch Callanish und cofaidh nicht als irgendeine Kombination von seltsamen Lauten, sondern allgemein verständlich als coffee.«
Anne hielt auf dem leeren Parkplatz neben dem geschlossenen Visitor Centre.
»Heißt das, ich soll die Thermoskanne rausrücken?«
»Du verstehst mich!«
Lachie lachte.
»Sind das da drüben schon die Steine?«, fragte Anne und deutete aus dem Autofenster auf ein paar dunkle, hohe Schatten.
»Ja und nein. Hier gibt es haufenweise Megalithen, ich glaube, ich habe etwas von acht Stellen mit Steinkreisen oder Monolithen in der näheren Umgebung gelesen. Die große Anlage ist aber ein Stückchen entfernt. Sollen wir losgehen?«
Sie tranken ihren Kaffee aus, zogen ihre warmen Jacken und Mützen an und machten sich dann auf den Weg. Noch war es dunkel, doch der fast volle Mond am klaren Nachthimmel spendete ausreichend Licht, um den Weg zu erkennen, und auch die finster aufragenden riesigen Steine wiesen den Weg zu der alten Kultstätte.
»Lass uns mitten hinein gehen«, schlug Lachie vor, und Anne folgte ihm.
Im Zentrum der Anlage standen ein besonders großer Monolith und ein kleiner Cairn aus aufgestapelten Steinen. Ringsum reihten sich die mindestens drei Meter hohen Granitsteine. Dieser Kreis bildete den Kreuzpunkt der beiden dazugehörigen Steinreihen. Anne hatte ein Luftbild davon im Internet gesehen.
»Meinst du, ich verschwinde in die Vergangenheit, wenn ich die Hand an den Stein lege?«, fragte Anne und lächelte Lachie an.
»Ich bin nicht sicher, aber du kriegst ganz bestimmt kalte Finger dabei, und MacTavish & Scott wäre ohne Scott auch nicht mehr dasselbe.«
Lachies trockene Bemerkung ließ Anne auflachen. »Wie lange noch?«
»Zwei, drei Minuten, schätze ich.«
Sie warteten, den Blick auf den Bereich des Himmels gerichtet, an dem die Sterne im ersten Grau der Dämmerung langsam verblassten.
Und dann geschah es: Die Strahlen der aufgehenden Sonne stiegen rotgolden über den Horizont und trafen auf die Stehenden Steine. Der Nachtfrost hatte diese mit einer dünnen Eisschicht überzogen, die nun zu funkeln und zu glitzern begann.
Anne hielt den Atem an. Dieser Moment war unbeschreiblich. Archaisch. Heilig. Das Glitzern intensivierte sich. Sie griff nach Lachies Hand und stand ganz still.
Irgendwann war es vorbei, die Granitsteine um sie herum schimmerten immer noch im hellen Morgenlicht, aber anders jetzt, mehr wie verzauberte Steinriesen, die unbeweglich hier ausharren mussten.
»Du frierst. Lass uns ein wenig herumlaufen und dann zurückgehen und einen heißen Kaffee trinken.«