Maddrax 550 - Oliver Fröhlich - E-Book

Maddrax 550 E-Book

Oliver Fröhlich

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Beschreibung

Der Übergang in den nächsten Zyklus, der 50 Bände umfassen wird, ist fließend: Eine letztes Aufreißen des Raum-Zeit-Kontinuums, ein "Welten-Kollaps", hat ein riesiges Gebiet in Zentralafrika entstehen lassen. Der Victoria-See wurde fast vollständig ersetzt - durch eine Metropole, deren Bewohner nun einen "Dunklen Keim" in Matts Gegenwart tragen! Zwei frühere Wegbegleiter sind davon direkt betroffen: Kaiser Pilâtre de Rozier, der zeitreisende Flugpionier, und sein Sohn Victorius. Und zwar auf beiden Seiten der Weltenscheide ...


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Inhalt

Cover

Was bisher geschah...

Dunkle Gegenwart

Leserseite

Vorschau

Impressum

Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die degenerierte Menschheit befindet sich im Krieg mit den Daa'muren, die als Gestaltwandler ein leichtes Spiel haben. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, »Maddrax« genannt, dessen Staffel durch einen Zeitstrahl vom Mars ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde, und es gelingt ihm, die lebende Arche, den »Wandler«, gegen dessen kosmischen Feind zu verteidigen, woraufhin sich der Wandler mit den Daa'muren ins All zurückzieht...

Während Matt und Aruula in ein anderes Sonnensystem verschlagen werden, hat der Kampf gegen den Streiter auf der Erde dramatische Folgen: Der Erdmond, auf dem die kosmische Entität vernichtet wurde, ist aus seiner Bahn geraten und nähert sich der Erde! Als Matt und Aruula endlich durch ein Wurmloch einen Weg in die Heimat finden, haben sie nur noch wenige Monate Zeit, die globale Katastrophe abzuwenden. Zwar gelingt es mit der Hilfe fremder Völker aus dem Ringplanetensystem, den Mond in seine Umlaufbahn zurückzuversetzen, doch dies verursacht eine Schwächung des Raum-Zeit-Kontinuums – das in der Folge an besonderen Punkten in Raum und Zeit aufbricht! Dies sind Orte, wo die Nachfahren der Menschheit, die Archivare, in der Zeit zurückgereist sind, um technische Artefakte der Vergangenheit zu sammeln. Das rächt sich nun, als an den Bruchstellen nacheinander fünfzig Kilometer durchmessende Areale aus verschiedenen Parallelwelten auftauchen, mit einer Vielzahl dramatischer Entwicklungen und Bewohnern.

Zusammen mit dem Pflanzenwesen GRÜN, eine Art »Naturbewusstsein der Erde«, und einem Sendboten der Archivare – Worrex – gelingt es unseren Helden, mittels eines in der Zukunft entwickelten Tachyon-Prionen-Organismus die Risse zu versiegeln – wobei der Druck auf allen verbliebenen mit jeder Schließung größer wird. Bis eine Bruchstelle, die nicht auf die Archivare zurückgeht, kollabiert, GRÜN und den Organismus beinahe tötet und ein gewaltiges Areal um den Victoriasee in Afrika in Matts Gegenwart versetzt. Ein Gebiet, das Matt und Aruula bekannt ist, denn hier stießen sie früher schon auf einen Zeitreisenden: Pilâtre de Rozier, der 1785 mit einem Fesselballon den Zeitstrahl durchquerte, im Afrika des Jahres 2474 strandete und dort Wolkenstädte konstruierte und zum Kaiser aufstieg.

Noch wissen die Freunde nicht, welche Gefahren in dem versetzten Gebiet auf sie lauern. Ebenso wenig wissen sie, dass ein tot geglaubter Feind – Colonel Aran Kormak – den Platz seines Parallelwelt-Pendants eingenommen hat und als vermeintlich Verbündeter gegen sie arbeitet. Und dass drei Daa'muren, die damals den Aufbruch des Wandler verpasst haben – Grao, Ira und Saatra, die sich jedoch mit den Menschen arrangiert haben – ebenfalls auf das Areal aufmerksam wurden...

DunkleGegenwart

von Oliver Fröhlich

Etwas greift nach GRÜN, zerrt an ihm. Eine Dunkelheit, wie du sie nie zuvor gespürt hast und die dir trotzdem bekannt vorkommt. Sie tastet durch den Pflanzengott hindurch nach dir, fließt in dich hinein, füllt dich aus und überzieht deinen Geist mit einem modrigen Film aus Verfall.

»Es ist GRÜN! Er stirbt!«, rufst du und versuchst dich aus dem Griff zu befreien, aber du bist wie gelähmt. Und du begreifst: Falls es dir nicht gelingt, deinen Geist zurückzuziehen, wirst auch du sterben!

Du kämpfst, ohne dich zu bewegen. Du winselst um Gnade, ohne dass ein Laut deine Lippen verlässt. Und dann – endlich! – stößt du den erlösenden Schrei aus.

Tag 1 nach dem Welten-Kollaps

»Nein!«

Matthew Drax zuckte zusammen, als Aruulas Schrei durch die offene Tür ins Cockpit der RIVERSIDE drang. Nicht schon wieder!, dachte er voller Sorge.

Die Stimme seiner Gefährtin klang heiser und deutlich kraftloser als die letzten Male, wenn sie aus ihrem stetig wiederkehrenden Albtraum hochgeschreckt war. Sechsmal innerhalb der vergangenen vierundzwanzig Stunden.

Kein gutes Zeichen. Weder, dass sie so viel schläft und trotzdem immer erschöpfter wird, noch, dass sie jedes Mal mit einem Schrei erwacht.

Er drehte sich um und schaute über die Lehne des Pilotensessels, sah aber nur den leeren Gang jenseits der Tür. Aruula hielt sich also noch in ihrer Koje auf. »Ich komme gleich zu dir!«, rief er.

Eine Antwort blieb aus, wie die letzten beiden Male auch.

Er prüfte das Wetterradar. Die Wolkenfront, die es anzeigte, lag noch etliche Kilometer vor ihnen und zog offenbar nach Norden ab. Sehr gut. Ein letzter Blick aus dem Cockpitfenster bot ihm das gleiche triste Bild wie seit Stunden: Wasser, so weit das Auge reichte. Die wogende blaugraue Masse des Atlantiks, auf der gelegentliche weiße Gischtkronen die einzige Abwechslung boten.

Warum musste zwischen Amerika und Afrika auch so ein verdammt großes Meer liegen? Und wieso musste es so lange dauern, es zu überqueren? Zwei Tage vom Start bis zum Ziel, schätzte Matt. Achtundvierzig Stunden fernab jeder ärztlichen Hilfe für Aruula. Achtundvierzig Stunden alleine mit seinen Gedanken, die im Augenblick nicht gerade die aufmunterndste Gesellschaft boten. Immerhin hatten sie die erste Hälfte der Strecke bereits hinter sich gebracht.

Er seufzte, aktivierte den Autopiloten des Gleiters, verließ das Cockpit und trat an die Schlafkoje seiner Begleiterin.

Aufrecht saß sie auf der Pritsche, der Blick glasig, die Lippen ausgetrocknet und rissig. Das lange schwarze Haar klebte ihr im schweißnassen Gesicht. Aus geschwollenen, blutunterlaufenen Augen starrte sie ihm entgegen. Es stank muffig und verbraucht. Wenn Krankheit einen eigenen Geruch besaß, war es dieser.

Matt setzte sich auf die Kante der Pritsche und drückte Aruula sanft zurück ins Kissen. Sie leistete keinen Widerstand. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und erschrak, wie warm es sich anfühlte. Die fiebersenkenden Mittel aus der Bordapotheke schienen nicht besonders gut anzuschlagen. Oder sie sorgten dafür, dass die Kriegerin nicht längst verglüht war.

»Wie geht es dir?«

»Was denkst du wohl?«, gab sie kratzig zurück. Die geplatzten Äderchen in ihre Augen ließen sie boshaft aussehen, beinahe aggressiv.

Matt verdrängte den Gedanken. »Dumme Frage. Entschuldige.«

»Ich habe geträumt.«

»Wieder von GRÜN?«

Ein kraftloses Nicken. »Auch.« Sie hustete. »Hast du herausgefunden, was in Afra...« Wieder musste sie husten. »Warum dort...«

»Nicht sprechen. Vergeude deine Kraft nicht damit.«

Aruula packte ihn am Handgelenk. »Hast du?«

Er wusste, was sie meinte. In den vergangenen Monaten war es überall auf der Erde zum Austausch von Gebieten mit Arealen aus den verschiedensten Parallelwelten gekommen. GRÜN, das Pflanzenwesen, der Pflanzengott oder wie man ihn bezeichnen wollte, hatte diese Regionen stets mit einer dichten Hecke umgeben, um die Gefahr einzudämmen. Mit seiner und der Hilfe eines Tachyon-Prionen-Wesens war es Matt und seinen Freunden schließlich gelungen, die Erde davor zu bewahren, sich in einen Flickenteppich aus Parallelweltsprengseln zu verwandeln.

Zumindest hatten sie das gedacht, bis es kurz danach beim Victoriasee in Afra zu einem weiteren Austausch gekommen war. Und wenn die Daten stimmten, die das Satellitensystem der Pancinowa übermittelt hatten, war dieses Areal größer als die fünfzig Kilometer, die die bisherigen Weltensplitter durchmaßen. Viel größer, um ehrlich zu sein. Zumindest wies die Ausdehnung der Nordlichter darauf hin, die bisher mit jedem Austausch einhergegangen waren – wenn man auf Äquatorhöhe von Nordlichtern sprechen mochte.

»Ich habe das Verzeichnis in Worrex' Datenbank wieder und wieder überprüft«, sagte Matt. »Wenn es vollständig ist – und davon gehe ich aus, schließlich hatten die Archivare ihn geschickt, um die Folgen ihrer Weltenspringerei einzudämmen –, gab es am Victoriasee nie einen Durchgang in den zeitlosen Raum.« Von dort hatten die Archivare ihre Exkursionen gestartet, um technische Artefakte aus den Parallelwelten für ihr Archiv zu stehlen. »Warum es also mitten im See zum Kollaps kam...« Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Jedenfalls aus einem anderen Grund als bisher.«

»Ist das... gut oder schlecht?«

»Beides, schätze ich. Gut, weil der Tachyonen-Organismus offenbar doch alle Risse geschlossen und versiegelt hat. Zumindest hat das Satellitensystem keine weiteren Austausch-Areale mehr gemeldet. Und schlecht, weil wir nicht wissen, womit wir es stattdessen zu tun haben.«

Aruula lächelte gequält. »Deshalb sind wir ja unterwegs... um es herauszufinden.«

»Trotzdem! Hätte ich geahnt, dass sich dein Zustand derart verschlechtert, wäre ich niemals so schnell aufgebrochen.«

»Ich brauche nur etwas Ruhe.«

»Die brauchst du.« Tatsächlich bezweifelte er, dass es damit getan war.

Immer wieder stiegen die Bilder des Vortags vor seinem geistigen Auge auf. Wie die Meldung von dem Weltentausch sie erschüttert hatte. Wie Aruula mentalen Kontakt zu GRÜN aufnahm, der erneut eine Hecke um das Gebiet zu errichten versuchte. Wie sie kreidebleich wurde und »Es ist GRÜN! Er stirbt!« stöhnte. Wie sie sich bemühte, die Verbindung zu dem Pflanzengott zu unterbrechen – und wie sie scheiterte, als wollte GRÜN sie nicht gehen lassen wollen, als würde er sich geistig an ihr festklammern. Wie sie erst nach unendlich langen Minuten den Kontakt kappen konnte und entkräftet zusammenbrach.

Nachdem sie wieder zu sich gekommen war, hatten ihre ersten Worte gelautet: »Wir müssen nach Afra. Sofort!«

»Vorher soll dich ein Arzt untersuchen«, hatte Matt zu widersprechen gewagt. »Wir können nicht einfach...«

»Ich bin okee!« Ihre Stimme hatte keine weiteren Widerworte geduldet. Und Matt hatte ihr geglaubt.

Worüber er sich nun ärgerte. Auf ein paar Stunden wäre es sicher nicht angekommen. Egal, nun ließ es sich ohnehin nicht mehr ändern.

»Ist GRÜN wirklich tot?«, fragte er.

Aruula waren die Augen wieder zugefallen. Mit erkennbarer Mühe öffnete sie sie. »Ich... glaube nicht. Es hat sich nur so angefühlt.«

»Wahrscheinlich kann er gar nicht sterben, solange es Pflanzen auf der Erde gibt«, überlegte Matt. »Aber was ist da wirklich passiert?«

»Er ist auf etwas gestoßen, mit dem... er nicht umgehen konnte. Etwas sehr Mächtiges. Ich denke...«

Matt wartete, ob sie den Satz beendete. Als das nach einigen Sekunden immer noch nicht geschehen war, sagte er: »Ja?«

»Ich denke, er hat sich... hat sich zurückgezogen, um zu überleb...«

Erneut fielen ihr die Augen zu. Diesmal blieben sie geschlossen. Die Kriegerin war wieder eingeschlafen.

Matt gab ihr einen Kuss auf die heiße Stirn. Er richtete sich auf und blickte in Richtung des Laderaums. Festgezurrt in der Nähe der Wartungsklappe mit dem Trilithiumkristall, von dem die RIVERSIDE ihre Energie bezog, stand die Stasiskapsel, in der Kormak das weitestgehend verbrauchte Tachyon-Prionen-Wesen verstaut hatte. Eine Ableitung von dem Kristall speiste auch die Kapsel und ihren Inhalt mit Energie.

Aber würde es ausreichen, das Portal – oder was diesem besonderen Austausch zugrunde liegen mochte – zu schließen?

Matt widerstand der Versuchung, hinzugehen und nachzusehen, wie weit sich das Wesen bereits regeneriert hatte, wie stark es wieder gewachsen war. Er durfte den Zyklus nicht leichtsinnig unterbrechen.

Ein Alarmsignal aus dem Cockpit riss Matt aus seinen Gedanken.

Er hetzte zurück zum Pilotensitz. Den Grund für den Alarm sah er sofort, auch ohne auf die Steuerkonsole schauen zu müssen: Vor der RIVERSIDE erhob sich eine gewaltige Wand aus schwarzen Wolken. Die Unwetterfront hatte sich im dümmsten aller Augenblicke entschieden, den Kurs erneut zu wechseln.

»Shit!«

Matt ließ sich in den Sessel fallen, deaktivierte den Autopiloten und riss an der Steuerung der Höhenruder. Der Gleiter reagierte sofort und für Matts Geschmack dennoch viel zu träge.

Die RIVERSIDE stieg auf. Langsam und behäbig.

»Nun mach schon!«

Die Wolkenfront schluckte den Gleiter. Mit einem Mal reichte die Sichtweite gerade mal drei oder vier Meter. Die Gewalten eines Unwetters prügelten auf die RIVERSIDE ein, erschütterten sie, schüttelten sie durch, und Matt glaubte, nicht länger in einem hochtechnisierten Fluggerät zu sitzen, sondern in einem altertümlichen Doppeldecker.

Der Wind versuchte, die Höhenruder in die Ausgangsposition zu drücken, doch Matt hielt die Steuerung fest und zwang den Gleiter zum Aufstieg. Bald schmerzten seine Finger, drohten zu verkrampfen.

Links vor ihm flammten die Wolken in einem grellen, eitrigen Gelb auf und wurden wieder dunkel. In der gleichen Sekunde erklang ein peitschender Knall, so laut, dass ihn selbst die Hülle des Gleiters kaum dämpfte.

Ein Gewitter. Großartig.

Matt biss die Zähne zusammen. Schweiß trat ihm auf die Stirn, so kräftig umklammerte er die Steuerung. Vermutlich brachte das in einem High-Tech-Gleiter voller Elektronik und Hydraulik überhaupt nichts, aber er konnte nicht aus seiner Haut.

Die RIVERSIDE sackte in ein Luftloch. Es fühlte sich an, als würde sich Matts Magen durch die Speiseröhre nach oben stülpen.

Sofort griff die automatische Stabilisierung und der Gleiter setzte seinen Steigflug fort. Zehn Sekunden später durchstieß er die Wolkendecke und schnellte oben daraus hervor wie ein Delphin aus dem Wasser.

Matt erlaubte sich ein Durchatmen. Er ließ die Steuerung los und gönnte seinen schmerzenden Fingern ein wenig Entspannung.

Anstatt über ein Meer aus Wasser setzte er den Weg nach Afra nun über ein Meer aus Wolken fort, in dem Blitze immer wieder aufzuckende Lichtinseln schufen. Kein Grund, sich zu beschweren; schließlich hatte er sich vorhin noch nach Abwechslung gesehnt.

Ein Knall riss Aruula aus dem Schlaf. Für einen Augenblick fühlte sie sich desorientiert. Wo war sie? Ach ja, richtig, in der Kabine der RIVERSIDE.

Aber warum zitterte sie?

Es musste am Fieber liegen.

Nein, erkannte sie. Nicht das Fieber. Es bist auch nicht du, die zittert. Es ist der Gleiter!

Waren sie in ein Unwetter geraten?

Ehe sich die Gedanken durch das Dornengestrüpp ihres müden Geistes kämpfen konnten, ließ das Rütteln nach.

Sie überlegte, ob sie nach Maddrax rufen sollte. Aber war er nicht gerade erst bei ihr gewesen? Sie war sich nicht sicher.

Ihr Kopf hämmerte. Auf ihrer Zunge lag ein Geschmack, als hätten sich Taratzen in ihrem Mund gepaart und wären anschließend gestorben. Mit einer fahrigen Bewegung griff sie nach der Wasserflasche neben der Pritsche und trank einen Schluck, doch der Geschmack ließ sich nicht vertreiben.

Wie lange hatte sie geschlafen? Höchstens ein paar Minuten, oder?

Auf jeden Fall lange genug, um wieder zu träumen. Von GRÜN und davon, wie er ihren Geist umklammert hatte. Von der Fäulnis, der er zu entkommen versucht und die durch seinen Zugriff auf Aruula auch sie besudelt hatte.

Aber sie hatte nicht nur von GRÜN geträumt, sondern auch von...

Nein! Sie verweigerte sich der schmerzhaften Erinnerung, wollte sie nicht zulassen.

Doch wie sollte sie es verhindern? Solange sie wach war, konnte sie sich mit anderen Gedanken ablenken, aber sobald sie schlief, kehrte die Erinnerung mit voller Wucht zurück. Dann stand er wieder vor ihr, blickte sie aus seinen grünen Augen vorwurfsvoll an, und das leicht spöttische Lächeln auf seinen Lippen schien sie zu fragen: »Wie konntest du das nur zulassen?«

Schluss damit! Bevor das Bild zu deutlich wurde, zwang sie ein anderes in ihren Geist und konzentrierte sich auf das, was sie in Afra erwarten würde.

Wie die Wolkenstädte.

Oder Pilâtre de Rozier, das Oberhaupt des Kaiserreichs, mit seiner albernen Perücke und dem höfischen Getue, das Aruula stets fremd geblieben war. Lange hatten sie ihn nicht mehr gesehen, diesen Mann, den es aus einer Vergangenheit hierher verschlagen hatte, die weiter zurücklag als die Zeit, aus der Maddrax stammte, und der am Victoriasee eine neue Heimat gefunden hatte.*

Wie ging es ihm? War er in der Nähe gewesen, als es zum Austausch der Areale gekommen war? Oder gar mittendrin?

Hatte es überhaupt einen Austausch gegeben? Womöglich gab es einen anderen Grund für die Himmelslichter.

Wie sah es mit Victorius aus, Pilâtres Sohn? Aruula hatte einige Zeit mit ihm in seiner Roziere verbracht, damals bei ihrem ersten Abstecher nach Afra. Mit Victorius, dem Daa'muren Grao'sil'aana und...

Nein! Du wolltest doch nicht daran denken!

Zu spät. Das Bild schob sich in ihren Sinn, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.

Die grünen Augen. Die schwarzen Haare. Das spöttische Lächeln.

Daa'tan, ihr und Maddrax' Sohn, gezeugt, während sie unwissentlich den Pflanzengott GRÜN in sich getragen hatte.

Das Kind, das ihr die Daa'muren noch vor der Geburt aus dem Mutterleib gestohlen und es in deren Sinn aufgezogen hatten.

Der Junge, der wegen seines Pflanzen-Erbes einige Entwicklungsschübe durchgemacht und am Ende wie ein junger Mann ausgesehen hatte, obwohl er gerade einmal sechs Jahre alt war.

Ihr Sprössling, dessen Geist nach allem, was er hatte durchmachen müssen, zutiefst zerrüttet war und der sich doch nur nach einem gesehnt hatte: der Liebe seiner Mutter.

Ihr Sohn, der vor vielen Jahren gestorben war.

Nein, nicht nur gestorben. Ermordet durch die Hand seines Vaters.

Wie konntest du das nur zulassen?

Schmerz spülte durch Aruulas Bewusstsein und riss alle Dämme nieder. Tränen füllten ihre Augen.

Gewiss, Maddrax hatte es tun müssen, um Rulfan zu retten.* Es war unumgänglich gewesen.

Doch stimmte das wirklich?

Hätte Maddrax nicht eine andere Lösung finden können, ja, müssen? Und falls nicht, mit welchem Recht hatte er Rulfans Leben über das seines eigenen Sohns gestellt?

Aruula liebte Maddrax. Und sie hatte ihm verziehen. Doch plötzlich fragte sie sich, ob sie damit nicht die Augen vor der Wahrheit verschlossen hatte.

Die Wahrheit?, fragte eine Stimme in ihr. Sie klang wie die von Daa'tan. Welche Wahrheit mag das wohl sein?

Die, dass ihr Sohn seinen Vater gehasst hatte, weil ihn die Daa'muren dazu erzogen hatten. Die, dass sämtliche Versuche von Maddrax, das Verhältnis mit dem eigenen Kind zu verbessern, stets gescheitert waren. Die, dass er irgendwann eingesehen haben musste, dass sie nie eine Vater-Mutter-Kind-Familie werden würden. Und die, dass er befürchten musste, Aruula würde sich gegen ihn und für ihren Sohn entscheiden.

Hatte er Daa'tan also nicht erschossen, um Rulfans Leben zu retten, sondern um einen lästigen Konkurrenten um Aruulas Liebe aus dem Weg zu schaffen?

Sie schüttelte den Kopf, und im nächsten Augenblick glaubte sie, er würde platzen.

Nein, der Gedanke war zu abwegig.

Und dennoch...

Wie konntest du das nur zulassen? Wie konntest du ihm verzeihen, dass er mich dir weggenommen hat?

Mit Tränen in den Augen und Zweifel im Herzen schlief sie ein.

Der Tag des Welten-Kollapses

»Ich bin ein schlechter Kaiser«, sagte Jean-François Pilâtre de Rozier. »Weißt du, was früher mit schlechten Herrschern geschehen ist?«

Er wandte den Blick vom Victoriasee ab und sah zu seinem engsten Berater Rönee, der neben ihm in einem gemütlich gepolsterten Stuhl auf dem geräumigen Balkon des kaiserlichen Palastes saß.

»Verrat es mir.«