Maddrax 567 - Simon Borner - E-Book

Maddrax 567 E-Book

Simon Borner

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Beschreibung

Ist diese Welt vollständig den Mächten des Bösen verfallen - oder gibt es noch Enklaven nicht Infizierter, die er vereinen könnte? Diese Frage stellt sich Victorius de Rozier, der nicht ganz freiwillig in der Parallelwelt zurückgeblieben ist, von einer dunklen Wesenheit besessen, aber nicht beherrscht.
Noch hat er seinen freien Willen. Aber wird "Umbusi" es gutheißen, wenn er jetzt mit der Roziere seines Vaters aufbricht, um jene zu retten, die noch nicht den Dunklen Keim in sich tragen oder gar immun sind?


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Seitenzahl: 151

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah...

Die Erkundung der Welt

Leserseite

Vorschau

Impressum

Am 8. Februar 2012 trifft der Komet »Christopher-Floyd« – in Wahrheit eine Arche Außerirdischer – die Erde. Ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die degenerierte Menschheit befindet sich im Krieg mit den Daa'muren, die als Gestaltwandler ein leichtes Spiel haben. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, »Maddrax« genannt, dessen Staffel durch einen Zeitstrahl vom Mars ins Jahr 2516 versetzt wird. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula erkundet er diese ihm fremde Erde, und es gelingt ihm, die lebende Arche, den »Wandler«, gegen dessen kosmischen Feind zu verteidigen, woraufhin sich der Wandler mit den Daa'muren ins All zurückzieht...

Während es Matt und Aruula in ein anderes Sonnensystem verschlägt, hat der Kampf gegen den Streiter dramatische Folgen: Der Mond nähert sich der Erde! Als Matt und Aruula endlich einen Weg in die Heimat finden, gelingt es mit außerirdischer Hilfe, den Mond in seine Umlaufbahn zurückzuversetzen, doch dies verursacht eine Schwächung des Raum-Zeit-Kontinuums, das in der Folge an besonderen Punkten aufbricht – dort wo die Nachfahren der Menschheit, die Archivare, in der Zeit zurückgereist sind, um Artefakte der Vergangenheit zu sammeln. Nun tauchen an den Bruchstellen Areale verschiedener Parallelwelten auf.

Zusammen mit dem Pflanzenwesen GRÜN gelingt es unseren Helden, mittels eines Tachyon-Prionen-Organismus die Risse zu versiegeln – bis eine Bruchstelle kollabiert, die nicht auf die Archivare zurückgeht und ein gewaltiges Areal um den Victoriasee in die Gegenwart versetzt. Kaiser Pilâtre de Rozier, der dort regiert, hat den Austausch beobachtet. Das Luftschiff seines Sohnes Victorius verschwand darin, während der See durch eine gewaltige Stadt ersetzt wurde. Matt und Aruula stellen fest, dass die Menschen aus dem Areal einen »bösen Keim« verbreiten; dieselbe Kraft, mit der sich auch Aruula über den Kontakt mit GRÜN infiziert hat. Als der Anführer der Dunklen, Shadar, ihr die telepathischen Kräfte rauben will, befreit er sie ungewollt von dem Keim.

Nun wollen Matt und Aruula den Tachyonen-Organismus einsetzen, um das Portal zu öffnen, doch das Wesen ist aus der Stasiskugel verschwunden! Sie vermuten Colonel Kormak dahinter, doch der kann die Schuld auf seine Assistentin Vasraa abwälzen und sie anschließend »entsorgen»... so denkt er jedenfalls. In Wahrheit überlebt sie aber und sinnt auf Rache.

Inzwischen wird die Wolkenstadt Château-à-l'Hauteur von den Dunklen angegriffen; nur Pilâtre entkommt mit einer Roziere. Da treffen die befreundeten Daa'muren Grao und Ira ein, die durch das Portal den Todesschrei eines Wandlers empfangen haben. Durch sie erlangen die Gefährten ein erstes Heilmittel: Die Splitter von Daa'muren-Kristallen können den Dunklen Keim aus den Infizierten herausholen! Pilâtre will nun schnellstens in die Parallelwelt, doch er muss sich gedulden; erst gilt es, mehr Kristalle zu bergen. Matt, Aruula und die Daa'muren fliegen zum Kratersee und kehren mit etlichen Kristallen sie zum Victoriasee zurück, wo de Rozier zwischenzeitlich versuchte, seinen Sohn zurückzuholen, aber scheiterte.

Nun ist es Zeit zu handeln! Mit der Wolkenstadt Orleáns-à-l'Hauteur erobern sie Château zurück. Nur Shadar kann sich mit seiner Gefährtin Elloa absetzen. 25 Dunkle werden gefangen genommen, die infizierten Bewohner geheilt. Doch Matt braucht weitere Hilfe – und wendet sich an Colonel Korak, der eine Eingreiftruppe gründet, die Dark Force. Sie wollen Shadar in Mombassa in eine Falle locken, indem sie vorgeben, seine rechte Hand Luister hinzurichten, doch wieder kann der Gottsprecher entkommen...

Die Erkundung der Welt

von Simon Borner

Ein kräftiger Schlag in den Rücken ließ Victorius de Rozier taumeln. Hart schlug er gegen die Wand des fensterlosen Flures, und die Luft wich aus seinen Lungenflügeln.

Als er sich umdrehte, stand der Dunkle vor ihm im Gang! Er hatte das schmale Gesicht zu einer Fratze des Hasses verzogen und knurrte wie ein wildes Tier, das seine Reißzähne präsentierte. In seinem Blick lag ein durch und durch unmenschliches Funkeln.

»Vic...«, kam es zischend über seine bebenden Lippen, jede Silbe wie ein Todesurteil, »... to... ri... ussss!«

Dann griff der Dunkle an.

Mit jedem neuen Tag und von beiden Seiten meines Verstandes kommend, der moralischen wie der intellektuellen, näherte ich mich auf diese Weise jener Erkenntnis an, die mich seither zu meinem elenden Schicksal verdammt: Der Mensch ist in Wahrheit nicht rein, sondern das Konstrukt zweier unterschiedlicher Hälften.

R.L. Stevenson

»Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«

Victorius rannte um sein Leben. Hart schlugen seine Schuhsohlen auf dem festen Boden auf, und mit jedem schnellen Schritt zuckten neue Schmerzschübe durch seinen geschundenen Körper. Es wäre einfach, den Schmerzen nachzugeben. Er brauchte nur anzuhalten, endlich anzuhalten, und die Qual wäre vorüber. Man durfte aufgeben, wenn man verloren hatte. Das war keine Schande.

Doch es ging nicht. Er konnte nicht verlieren, verdammt! Nicht jetzt und nicht so. Alles hing davon ab.

Also rannte er weiter. Der Weg, der vom Ufer des Seeausläufers landeinwärts führte, verdiente seinen Namen nicht. Üppiges Buschwerk flankierte den schmalen Trampelpfad an beiden Seiten, und dicke, knorrige Baumwurzeln drohten Victorius zu Fall zu bringen, wenn er nicht genau aufpasste, wohin er seine Füße setzte.

Es musste Ewigkeiten her sein, dass sich zuletzt ein Mensch in diese Gegend verirrt hatte. Und das aus gutem Grund.

Denn die beiden Zilverbaks waren unfassbar groß!

Und sie blieben dem flüchtenden Sohn des Jean-François Pilâtre de Rozier dicht auf den Fersen!

Victorius war beileibe kein Feigling. Auch wenn er in hohen Kreisen aufgewachsen war, kannte er die Gefahren, die die Welt bergen konnte, zur Genüge. Nicht erst, seitdem er mit zwei inzwischen verstorbenen Schicksalsgefährten in diese parallele Wirklichkeit übergesiedelt war – unfreiwillig übergesiedelt, wohlgemerkt. Doch selbst er hatte nicht damit gerechnet, an diesem heißen Vormittag zwei mutierten Gorillas zu begegnen.

Die Zilverbaks waren aus dem Unterholz gekommen, just als er endlich fündig geworden war. Victorius hatte zunächst geglaubt, sie wollten einfach zum Wasser und dort trinken – schließlich besaßen diese Kreaturen eine gewisse Intelligenz und vermochten in der Regel sehr genau Freund und Feind zu unterscheiden.

Doch die beiden Kandidaten dort am Fluss waren nicht auf Wasser aus gewesen. Sie betrachteten Victorius als Eindringling – und ihre weit aufgerissenen Mäuler, ihre gewaltigen Pranken und ihr lautes Gebrüll machten deutlich, was sie mit Eindringlingen machten, wenn sie sie in ihre Pranken bekamen.

Also rannte er weiter, immer noch. Er wusste nicht, wohin.

Weg, dachte er keuchend, das Knurren der Raubtiere dicht in seinem Rücken. Einfach nur weg. Die Details klären wir später.

Sein Herz pochte wie wild. Schweiß trat aus seinen Poren und lief ihm über die Stirn in die weit aufgerissenen Augen. Seine Seite, wo ihn ein Hieb eines Zilverbaks gestreift hatte, schmerzte bei jeder einzelnen Bewegung.

Die Sonne brannte auf die Ebene. Victorius wagte einen schnellen Seitenblick. Dort drüben begann ein Wäldchen, aus dem zwei größere Hügel hervorragten. Wenn er es dorthin schaffte, hatte er vielleicht mehr Deckung. Zumindest wäre er zwischen den Bäumen nicht ganz so auf dem Präsentierteller.

Ein weiterer schneller Blick, dieses Mal zurück. Der Abstand zu den Zilverbaks war geringfügig größer geworden. Er konnte es wagen, oder?

Nein. Er musste.

Victorius setzte alles auf eine Karte. Er presste den wider alle Hoffnungen gefundenen Rucksack seines Vaters dicht an seine Brust, spürte den scharfkantigen Inhalt durch das abgewetzte Leder. Dann bog er nach links und hielt direkt auf den Waldrand zu. Die hohen Bäume, die schweren Lianen und mannshohen Farne dort vorn mochten die Chance sein, die er so dringend brauchte.

Vielleicht.

Andererseits: Es gab eine Alternative. Er konnte auch einfach den Rucksack fallen lassen. Die wilden Menschenaffen waren vielleicht gar nicht so versessen auf ihn selbst und sein wehes Fleisch. Vielleicht ließen sie sich ablenken – oder gar besänftigen? –, wenn er seine »Beute« aufgab. Den ledernen Beutel, den er vor ihren Augen aus dem Schilfgras am Flussufer geklaubt hatte.

Niemals!, dachte der Adlige wieder. Eher sterbe ich.

Denn der Inhalt dieses Beutels, das wusste er, war jedes Opfer wert.

Die Zilverbaks brüllten ihren Zorn hinaus in die Welt.

Victorius de Rozier biss die Zähne zusammen und rannte wie nie zuvor in seinem Leben...

Zwei Tage zuvor

»Mit Verlaub, das ist Wahnsinn!«

Abebis Stimme sparte nicht mit Tadel. Die grauhaarige Frau aus Afra hatte die Arme vor der ausladenden Brust verschränkt und sah Victorius streng an.

»Du jagst einem Traum hinterher, de Rozier«, fuhr sie fort. »Einer fixen Idee, die dich unnötig Zeit und Mühe kostet.«

Victorius stand am Fenster seiner bescheidenen Unterkunft und sah auf Troisième-Port-du-Ciél hinaus. Das Regierungsviertel der Wolkenstadt war an diesem Morgen schon von Hektik und geschäftigem Treiben geprägt, wie meistens seit dem Weltenwechsel. Doch er hatte kaum Augen für die Wirklichkeit direkt vor sich. Denn sein geistiges Auge zeigte ihm etwas ganz anderes.

»Du verstehst das nicht, Abebi«, erklärte er seiner Vertrauten. Die weise Abebi stand noch nicht lange in seinen Diensten, hatte sich in der kurzen Zeit aber als ebenso patente wie loyale Person erwiesen. Er zog sie gern ins Vertrauen, denn er schätzte ihren Rat – und ihre pragmatische Offenheit. »Ich sehe das Bild doch noch genau vor mir. Die Tasche meines Vaters fiel vom Rand der Wolkenstadt in die Tiefe, mitsamt ihrem Inhalt.* Pilâtre mag in die andere Welt zurückgekehrt sein, aber die Kristalle sind nach wie vor hier bei uns.«

»Verloren, das sind sie«, widersprach die Dunkelhäutige. »Weiter nichts. Du sagst, sie seien vom Rand in die Tiefe gefallen, als ihr miteinander gekämpft habt. In den See.«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht in den See. In einen Ausläufer, einen schmalen Fluss, der landeinwärts führt. Wenn es mir gelingt, die Stelle wiederzufinden, wo der Rucksack damals aufgeschlagen ist... dann finde ich vielleicht auch die Kristalle.«

»Und wenn ich morgen früh aufwache und sämtliche Goldreserven Afrikas in meiner Kammer erblicke«, spottete seine Vertraute, »dann erkläre ich mich zur Königin des gesamten Kontinents. So nimm doch Vernunft an, Victorius. Kennst du den Unterschied zwischen ›wenn‹ und ›falls‹ nicht? Grundgütiger, eine Nadel im Heuhaufen ließe sich leichter aufstöbern. Die Tasche ist in fließendes Gewässer gefallen. Sie kann inzwischen überall sein. Oder irgendwelche wilden Tiere haben sie gefunden und verschleppt. Vielleicht liegt sie inzwischen auf dem Grund des Victoriasees. – Verstehst du denn nicht, was ich sage?«

»Doch«, antwortete er knapp. Dann drehte er sich zu seiner Besucherin um. »Aber du verstehst nicht, um was es mir geht.«

Im Zentrum des Raums stand ein breiter Holztisch, auf dem seine Ausrüstung lag. Viel war es nicht: Proviant und Wasservorräte, sein Rapier, ein Fallschirm in einem Rucksack aus dem Notfall-Depot der Wolkenstadt, ein paar weitere kleine Waffen für den Nahkampf und eine Landkarte dieses anderen Afra, die er sich besorgt hatte. Letztere sollte ihm helfen, die Gegend rund um den Flussausläufer genauer zu erkunden. Victorius hatte zwar Zweifel an der Genauigkeit des handgemalten Plans, trotzdem war auch eine schlechte Karte in seinen Augen besser als keine.

»Ich werde mich auf die Suche machen, Abebi«, betonte er, trat zum Tisch, stopfte die Ausrüstung in eine bereitstehende Tasche und hängte sich den Rucksack mit dem Fallschirm über die Schulter. »Es mag eine fixe Idee sein, da widerspreche ich dir nicht. Aber wenn...«, er lächelte, »falls sie mir gelingt, kann sie einen echten Unterschied bewirken. Für uns alle.«

»Schon der Versuch ist töricht, Victorius!«

Wieder schüttelte er den Kopf. »Töricht wäre es, den Rucksack meines Vaters einfach so verloren zu geben. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.«

Also brach er auf. Das Land jenseits der Wolkenstadt war ihm fremd, obwohl er die Gegend doch kennen sollte wie die eigene Westentasche. Vieles hier erinnerte Victorius an zuhause, und dennoch waren selbst die Ähnlichkeiten auf eine eigenartige Weise falsch. Als sähe man in einen dunklen Zerrspiegel, der die Augen belügt.

Denn dies war nicht sein Afra. Nein, beileibe nicht.

Wer wüsste das besser als du, nicht wahr?, hörte er Umbusis Stimme hinter seiner Stirn.

Seit vielen Wochen trug er den »dunklen Passagier« nun schon in sich. Und noch immer war er sich nicht ganz sicher, ob Umbusi wirklich mit ihm sprach oder ob er sich die Kommentare dieser zweiten Präsenz in seinem Geist nur einbildete.

Es machte ohnehin keinen Unterschied. Den Großteil der Zeit verhielt Umbusi sich friedlich, denn Victorius hatte gelernt, sich nicht zu sehr gegen ihn aufzulehnen. Die Wesenheit und er waren auf diese Weise eine eigenartige Art von Symbiose eingegangen: Sie tolerierten sich gegenseitig, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Sie nutzten einander sogar, irgendwie.

Akzeptanz und Nachsicht. So stellte Victorius sicher, dass Umbusi nicht unkontrolliert aus ihm herausbrach und die Kontrolle über sein Handeln und Tun übernahm. Zumindest redete er sich das ein.

Du kannst mich nicht kontrollieren, törichter Victorius, knurrte Umbusi in seinem Kopf. Es klang spöttisch. Aber es passt zu deiner Arroganz, dass du dir dies tatsächlich zutraust. Nein, du existierst nur noch, weil ich es zulasse. Ich kann dich jederzeit vernichten, mein Freund – endgültig vernichten und deinen Körper restlos übernehmen. Ich brauche dich nicht, Victorius de Rozier. Du hast mir längst gegeben, was du mir geben kannst: deinen Leib. Der ist wie ein Gefäß für mich. Du selbst aber – dein Bewusstsein, deine Persönlichkeit – bist maximal noch ein Werkzeug. Mein Werkzeug!

Auch das entsprach nicht ganz den Tatsachen, und sie beide wussten es. Victorius hatte keine Ahnung, was genau die Balance zwischen ihren beiden so unterschiedlichen Identitäten hielt. Aber er fürchtete den Tag, an dem Umbusi einmal mehr – und vielleicht ja wirklich endgültig? – das Ruder übernahm.

Ich habe meinem Vater gesagt, ich könnte ihn im Zaum halten und dieser Welt helfen, dachte er. Ich hoffe, damit habe ich nicht gelogen. Mit beiden Aussagen nicht.

Auch deshalb suchte er den Rucksack. Die Hoffnung, die in dem ledernen Beutel ruhen mochte, galt auch – aber nicht nur – ihm selbst.

Denkst du das wirklich?, spottete Umbusi. Dass du mich bezwingen kannst, mit lächerlichen Kristallen? Du bist ein Narr, Victorius.

Dann lachte der »dunkle Passagier«, und sein Gelächter hallte durch den Geist des von ihm besessenen Mannes wie der Hammerschlag eines gnadenlosen Richters bei der Urteilsverkündung.

Gegenwart

Die Wunden würden heilen. Victorius musste sie sich nicht einmal mehr ansehen, um das zu wissen. Sie waren nicht wichtig.

»Nun lass mich doch!«, wehrte er ab, als Abebi abermals mit Kräutern und Salben auf ihn zutrat. »Seit Stunden schmierst du mir nun schon deine Tinkturen auf den Leib. Dabei habe ich weiß Gott Besseres zu tun. Ich war erfolgreich, Abebi – schon vergessen? Ich habe sie gefunden!«

»Vor allem hast du beinahe den Tod gefunden«, klagte die Alte. Doch sie ließ die hölzerne Schüssel mit der Kräutertinktur sinken und fügte sich dem Willen ihres Herrn.

Seit Victorius' Rückkehr waren gut vierundzwanzig Stunden verstrichen. Er hatte das Dickicht des flussnahen Waldes tatsächlich nutzen können, um die zwei Zilverbaks, die ihn verfolgten, abzuschütteln.

Weit oben in der Krone eines Mammutbaumes hatte er die Nacht über ausgeharrt, den gefundenen Rucksack seines Vaters im Schoß, bis die Luft unten am Erdboden wieder rein war. Dann war er wieder hinabgeklettert – in seinem Zustand alles andere als einfach – und hatte den Heimweg nach Troisième-Port-du-Ciél angetreten. Die wütenden Menschenaffen waren ihm nicht mehr begegnet. Sie hatten wohl das Interesse an ihm verloren.

Und nun war er hier.

Victorius sah zum Tisch seiner Unterkunft, wo der Rucksack geduldig auf ihn wartete. Noch immer konnte er kaum glauben, ihn tatsächlich in seinem Besitz zu haben. Abebis Skepsis war ja nicht unbegründet gewesen. Und doch...

Manchmal zahlt es sich eben aus, stur zu bleiben, dachte er zufrieden. Dann stand er auf.

Seine Knochen bestraften ihn prompt, vor allem die Rippen. Dort, wo der Hieb des Affen ihn getroffen hatte, war sein Fleisch noch immer wund und sein Körper geschunden. Dennoch konnte er nicht anders, er musste einfach weitermachen.

»Hast du besorgt, was ich dir aufgetragen habe?«, wandte er sich an seine Gehilfin.

Abebi nickte zögernd. »Es ist alles da. Aber ich verstehe nicht, was es dir bringen soll.«

»Das macht nichts«, sagte er und wischte ihren Arm weg, als sie den Sitz seiner Verbände am Oberkörper prüfen wollte. »Es reicht, wenn ich es verstehe.«

Abebi senkte den Blick. »Wenn du meinst.«

Er nahm ihre Hand in seine. »Ich danke dir, Abebi«, sagte er sanft. »Wirklich. Du warst und bist mir eine wertvolle Stütze. Doch den nächsten Schritt muss ich alleine gehen.«

Sie verstand sofort. »Dann lasse ich dich, Victorius. Aber ich bleibe in der Nähe, ja? Du brauchst nur nach mir zu rufen.«

Er dankte und führte sie zur Tür. Diese schloss er, kaum dass die Alte den Raum verlassen hatte. Er legte sogar den schmalen Riegel vor. Sicher ist sicher.

Nun widmete er sich dem Rucksack. Vorsichtig schüttete er den Inhalt des Beutels auf den Tisch. Die zwölf länglichen Kristalle funkelten im Abendlicht, das durch das offene Fenster fiel. Victorius war, als könne er die Kraft, die in ihnen schlummerte, spüren. Doch als er die Hand nach ihnen ausstrecken wollte, versagte sein Arm ihm plötzlich den Dienst.

Denk gar nicht daran, du Narr, drohte Umbusi. Ich lasse dir hier schon mehr als genug durchgehen. Glaubst du wirklich, ich sehe tatenlos zu, wie du sie berührst?

Victorius schmunzelte. »Ich dachte mir schon, dass du das unterbindest«, murmelte er, obwohl außer ihm niemand körperlich anwesend war. »Aber du bist mir soeben auf den Leim gegangen, Umbusi. Denn dank deiner Reaktion weiß ich jetzt ganz sicher, dass ich nicht auf dem Holzweg bin. Die Kristalle halten, was sie versprechen!«

Sie konnten den Keim bezwingen! Oder zumindest schwächen! Deswegen bremste Umbusi seine Hand aus. Wenn er die Kristalle berührte, wäre es vielleicht das Ende seines »dunklen Passagiers«.

Ich bin dem Ziel soeben ein großes Stück näher gekommen, dachte Victorius. Danke, Vater. Und... danke, Umbusi.

Der fremde Geist in seinem Verstand knurrte drohend.

Die nächsten Tage verbrachte er in seiner Werkstatt. Dank der Materialien, die Abebi ihm besorgt hatte, war es Victorius ein Leichtes, die gewünschte Mischung herzustellen.

Zufrieden sah er in den dampfenden Kessel. Die Flüssigkeit war klar und nahezu geruchsneutral. Außerdem blubberte sie leicht.

»Es ist so weit«, sagte er.

Abebi, die geduldig am anderen Ende des Zimmers ausgeharrt hatte, nickte. Die Worte hatten nicht nur ihr gegolten, doch sie war die einzige andere Person im Raum – und sie wusste nichts von seinem »Passagier«.

Was wird das?, fragte Umbusi hinter seiner Stirn. Was treibst du da?

Wart's ab, erwiderte er stumm.

Du kannst diese Kristalle nicht gegen mich verwenden, schon vergessen?, knurrte der Dunkle.