Magellan - Stefan Zweig - E-Book

Magellan E-Book

Zweig Stefan

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Beschreibung

Ferdinand Magellan (1480-1521) prägte die große Entdeckungszeit als visionärer Seefahrer, der die Grenzen der bekannten Welt neu definierte. In seiner portugiesischen Heimat verkannt, verwirklichte er unter spanischer Flagge ein beispielloses Wagnis: die erste Weltumsegelung. Stefan Zweig erschafft in seiner fesselnden psychologischen Biografie nicht nur ein präzises Bild von Magellans Pioniergeist, sondern zeichnet auch ein authentisches Zeitporträt einer Epoche im Umbruch. Mit gewandter Erzählkunst schildert er den Kampf gegen Widerstände, Intrigen und die Gefahren unbekannter Gewässer. Von Sevilla bis zu den Gewürzinseln des Ostens entfaltet sich eine Odyssee, die die Kartografie revolutionierte und unser Weltbild fundamental veränderte. Zweig ergründet die Motivation des Seefahrers und die politischen Dynamiken seiner Zeit. Diese Biografie würdigt einen Mann, dessen unerschütterliche Vision die Geschichte der Menschheit prägte.

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Stefan Zweig

Magellan

Mit zahlreichen Abbildungen

Copyright © 2024 Novelaris

ISBN: 978-3-68931-044-8

Inhaltsverzeichnis

Magellan

Einleitung

Navigare necesse est

Magellan in Indien

Magellan macht sich frei

Eine Idee verwirklicht sich

Ein Wille gegen tausend Widerstände

Die Ausfahrt

Die vergebliche Suche

Die Meuterei

Der große Augenblick

Magellan entdeckt sich sein Königreich

Tod vor dem letzten Triumph

Die Heimfahrt ohne Führer

Die Toten behalten unrecht

Anhang

Zeittafel

Copia der Newen Zeytung auss Presillg Landt

Vertrag, den S. Majestät mit Magellan und Faleiro über die Entdeckung der Gewürzinseln schloß

Bericht über die Kosten der Flotte Magellans

Magellan

Magellan.

Bildnis in der Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol

Einleitung

Bücher können in Gefühlen verschiedenster Art ihren Ursprung haben. Man schreibt Bücher, angeschwungen von Begeisterung oder angeregt vom Gefühl einer Dankbarkeit, ebenso aber kann wiederum Erbitterung, Zorn und Ärger geistige Leidenschaft entzünden. Manchmal wird Neugier zum Antrieb, die psychologische Lust, sich selber im Schreiben Menschen oder Geschehnisse zu erklären, aber auch Motive bedenklicher Art wie Eitelkeit, Geldlust, Freude an der Selbstbespiegelung treiben allzu häufig – zur Produktion; eigentlich sollte sich darum ein Autor bei jedem Buche Rechenschaft geben, aus welchen Gefühlen, aus welchem persönlichen Bedürfnis er seinen Gegenstand gewählt hat. Bei dem vorliegenden Buche bin ich mir selber des innern Ursprungs vollkommen klar. Es entstand aus einem etwas ungewöhnlichen, aber sehr eindringlichen Gefühl: aus Beschämung.

Das kam so. Ich hatte im vergangenen Jahre zum erstenmal die langgewünschte Gelegenheit, nach Südamerika zu reisen. Ich wußte, daß mich in Brasilien einige der schönsten Landschaften der Erde erwarteten und in Argentinien ein unvergleichliches Zusammensein mit geistigen Kameraden. Schon dieses Vorgefühl machte die Fahrt wunderbar, und alles denkbar Freundliche kam während des Reisens hinzu, ein stilles Meer, die völlige Entspannung auf dem geschwinden und geräumigen Schiff, das Losgelöstsein von allen Bindungen und täglichen Vexationen. Unermeßlich genoß ich die paradiesischen Tage dieser Überfahrt. Aber plötzlich, es war am siebenten oder achten Tage, ertappte ich mich bei einer ärgerlichen Ungeduld. Immer wieder der blaue Himmel, immer wieder dies blaue, ruhende Meer! Zu langsam schienen mir in jener plötzlichen Aufwallung die Reisestunden. Ich wünschte innerlich, schon am Ziele zu sein, ich freute mich, wenn die Uhr jeden Tag unermüdlich vorrückte, und mit einemmal bedrückte mich dies laue, dies lässige Genießen des Nichts. Dieselben Gesichter derselben Menschen machten müde, die Monotonie des Bordbetriebs erregte gerade durch ihre gleichmäßig pulsende Ruhe die Nerven. Nur weiter, nur weiter, nur rascher, nur rascher! Mit einemmal war mir dieser schöne, dieser bequeme, dieser komfortable Schnelldampfer nicht mehr schnell genug.

Es bedurfte vielleicht nur dieser einen Sekunde, in der ich selbst meines ungeduldigen Zustands bewußt wurde, und schon schämte ich mich. Da reist du, sagte ich mir zornig, in dem denkbar sichersten aller Schiffe auf der denkbar schönsten Fahrt, und aller Luxus des Lebens steht dir zu Gebote. Ist dir abends zu kühl in deiner Kajüte, so brauchst du nur mit zwei Fingern einen Hahn zu drehen, und die Luft ist gewärmt. Du findest das Mittagslicht des Äquators zu heiß; sieh, nur einen Schritt hast du in den Raum mit den kühlenden Ventilatoren und zehn Schritte weiter steht ein Schwimmbad dir bereit. Bei Tisch kannst du jede Speise und jedes Getränk auf diesem vollkommensten aller Hotels dir wählen, alles ist zauberisch da, wie von Engeln hergetragen und im Überfluß. Du kannst allein sein und Bücher lesen oder hast Bordspiele und Musik und Geselligkeit, so viel du begehrst. Alle Bequemlichkeit ist dir gegeben und alle Sicherheit. Du weißt, wohin du fährst, weißt auf die Stunde genau, wann du ankommst, und weißt, daß du freundlichst erwartet bist. Und ebenso weiß man in London, in Paris, in Buenos Aires und New York in jeder Stunde, an welchem Punkte des Weltalls das Schiff sich eben befindet. Und nur eine kleine Treppe hinauf mußt du zwanzig rasche Schritte gehen, und ein gehorsamer Funke springt vom Apparat der drahtlosen Telegraphie weg und trägt deine Frage, deinen Gruß an jeden Ort der Erde, und in einer Stunde hast du von überall auf Erden Botschaft zurück. Erinnere dich, du Ungeduldiger, erinnere dich, du Ungenügsamer, wie dies vordem war! Vergleiche doch einen Augenblick diese Fahrt mit jenen von einst, vor allem mit den ersten Fahrten jener Verwegenen, welche diese riesigen Meere, welche die Welt erst für uns entdeckten, und schäme dich vor ihnen! Versuche es dir vorzustellen, wie sie damals auf ihren winzigen Fischerkuttern ausfuhren ins Unbekannte, unkund des Weges, ganz im Unendlichen verloren, ununterbrochen ausgesetzt der Gefahr, preisgegeben jeder Unbill des Wetters, jeder Qual der Entbehrung. Kein Licht des Nachts, kein Trank als das brackige und laue Wasser der Fässer und das aufgefangene des Regens, keine andere Speise als den verkrusteten Zwieback und den gepökelten ranzigen Speck und selbst dies Kärglichste der Nahrung oft durch Tage und Tage entbehrend. Kein Bett und kein Raum des Rastens, teuflisch die Hitze, erbarmungslos die Kälte und dazu das Bewußtsein, allein zu sein, rettungslos allein, in dieser unbarmherzigen Wüste des Wassers. Niemand daheim wußte monatelang, jahrelang, wo sie waren, und sie selber nicht, wohin sie gingen. Not fuhr mit ihnen, Tod umstand sie in tausendfältigen Formen zu Wasser und zu Land, Gefahr erwartete sie von Mensch und Element, und monatelang, jahrelang, ewig umrundete sie auf ihren armen, erbärmlichen Schiffen die entsetzlichste Einsamkeit. Niemand, sie wußten es, konnte ihnen helfen, kein Segel, sie wußten es, würde ihnen durch Monate und Monate begegnen in diesen unbefahrenen Gewässern, niemand sie erretten können aus Not und Gefahr, niemand Bericht geben über ihren Tod, ihren Untergang. Und ich mußte nur anfangen, diese ersten Fahrten der Konquistadoren des Meeres mir innerlich auszudenken, und war schon tief beschämt über meine Ungeduld.

Dieses Gefühl der Beschämung, einmal erregt, wich nun während der ganzen Reise nicht mehr von mir, der Gedanke an diese namenlosen Helden gab mich keinen Augenblick frei. Es verlangte mich, mehr von jenen zu wissen, die als erste den Kampf gegen die Elemente wagten, zu lesen von jenen ersten Fahrten in die unerforschten Ozeane, deren Schilderung schon meine Knabenjahre erregt hatte. Ich ging in die Schiffsbibliothek und nahm mir auf gut Glück ein paar Bände. Und von allen Gestalten und Fahrten lernte ich eine am meisten bewundern, die Tat des Mannes, der meinem Empfinden nach das Großartigste geleistet in der Geschichte der Erderkundung, Ferdinand Magellan, er, der mit fünf winzigen Fischerkuttern von Sevilla ausfuhr, um die ganze Erde zu umrunden – die herrlichste Odyssee in der Geschichte der Menschheit vielleicht, diese Ausfahrt von zweihundertfünfundsechzig entschlossenen Männern, von denen dann einzig achtzehn heimkehrten auf zermorschtem Schiffe, aber die Flagge des größten Siegs gehißt auf dem Mast. Viel war in jenen Büchern über ihn nicht berichtet, jedenfalls mir nicht genug; so las und forschte ich, heimgekehrt, weiter, erstaunt, wie Weniges und wenig Verläßliches über diese heldenhafte Leistung bisher gesagt war. Und wie schon mehrmals erkannte ich es als die beste und fruchtbarste Möglichkeit, etwas mir selbst Unerklärbares für mich zu erklären, indem ich es auch für andere gestaltete und darstellte. So entstand dieses Buch – ich darf ehrlich sagen: zu meiner eigenen Überraschung. Denn ich hatte, indes ich diese andere Odysseusfahrt nach allen erreichbaren Dokumenten möglichst der Wirklichkeit getreu darstellte, ununterbrochen das merkwürdige Gefühl, etwas Erfundenes zu erzählen, einen der großen Wunschträume, eines der heiligen Märchen der Menschheit. Doch nichts Besseres als eine Wahrheit, die unwahrscheinlich wirkt! Immer haftet den großen Heldentaten der Menschheit, weil sie sich so hoch über das mittlere irdische Maß erheben, etwas Unbegreifliches an; aber immer gewinnt nur an dem Unglaubhaften, das sie geleistet, die Menschheit ihren Glauben an sich selbst zurück.

Der Name des Mannes, der die erste Umrundung der Erde unternahm, ist in nicht weniger als vier oder fünf verschiedenen Formen der Geschichte überliefert. In den portugiesischen Dokumenten erscheint der große Seefahrer manchmal als Fernão de Magalhais, manchmal als Fernão de Magelhaes, er selbst unterzeichnete später, nachdem er in spanische Dienste übergetreten war, Schriftstücke bald Maghallanes, bald Maghellanes, und die Kartographen latinisierten dann diese spanische Form in Magellanus. Als es galt, für dieses Buch eine einheitliche Namensgebung zu wählen, entschied ich mich für die lateinische und international längst geläufige Form: Magellan, aus Analogie zu Columbus, den wir gleichfalls nicht Christoforo Colombo oder Cristobal Colon nennen. Ebenso ist der habsburgische Herrscher, der ihm die Reise ermöglichte, immer unter seinem berühmteren Namen Karl V. angeführt, obwohl er in jenem Jahr der Ausreise bloß Carlos I., König von Spanien, war und noch nicht zum deutschen Kaiser gekrönt.

Navigare necesse est

Segelschiff und fliegende Fische.

Kupferstich aus Bry’s Reisewerk (1594).

Im Anfang war das Gewürz. Seit die Römer bei ihren Fahrten und Kriegen zum erstenmal an den brennenden oder betäubenden, den beizenden oder berauschenden Ingredienzien des Morgenlandes Geschmack gefunden, kann und will das Abendland die »especeria«, die indischen Spezereien, in Küche und Keller nicht mehr missen. Denn unvorstellbar schal und kahl bleibt bis tief ins Mittelalter die nordische Kost. Noch lange wird es dauern, ehe die heute gebräuchlichsten Feldfrüchte wie Kartoffel, Mais und Tomate in Europa dauerndes Heimatsrecht finden, noch nützt man kaum die Zitrone zum Säuern, den Zucker zur Süßung, noch sind die feinen Tonika des Kaffees, des Tees nicht entdeckt; selbst bei Fürsten und Vornehmen täuscht stumpfe Vielfresserei über die geistlose Monotonie der Mahlzeiten hinweg. Aber wunderbar: bloß ein einziges Korn indischen Gewürzes, ein paar Stäubchen Pfeffer, eine trockene Muskatblüte, eine Messerspitze Ingwer oder Zimt dem gröbsten Gerichte zugemischt, und schon spürt der geschmeichelte Gaumen fremden und schmackhaft erregenden Reiz. Zwischen dem krassen Dur und Moll von Sauer und Süß, von Scharf und Schal schwingen mit einmal köstliche kulinarische Obertöne und Zwischentöne; sehr bald können die noch barbarischen Geschmacksnerven des Mittelalters an diesen neuen Incitantien nicht genug bekommen. Eine Speise gilt erst dann als richtig, wenn toll überpfeffert und kraß überbeizt; selbst ins Bier wirft man Ingwer, und den Wein hitzt man derart mit zerstoßenem Gewürz, bis jeder Schluck wie Schießpulver in der Kehle brennt. Aber nicht nur für die Küche allein benötigt das Abendland so gewaltige Mengen der »especeria«; auch die weibliche Eitelkeit fordert immer mehr von den Wohlgerüchen Arabiens und immer neue, den geilen Moschus, das schwüle Ambra, das süße Rosenöl, Weber und Färber müssen chinesische Seiden und indische Damaste für sie verarbeiten, Goldschmiede die weißen Perlen von Ceylon und die bläulichen Diamanten aus Narsingar ersteigern. Noch gewaltiger fördert die katholische Kirche den Verbrauch orientalischer Produkte, denn keines der Milliarden und Abermilliarden Weihrauchkörner, die in den tausend und abertausend Kirchen Europas der Mesner im Räucherfasse schwingt, ist auf europäischer Erde gewachsen; jedes einzelne dieser Milliarden und Abermilliarden muß zu Schiff und zu Lande den ganzen unübersehbaren Weg aus Arabien gefrachtet werden. Auch die Apotheker sind ständige Kunden der vielgerühmten indischen Specifica, als da sind Opium, Kampfer, das kostbare Gummiharz, und sie wissen aus guter Erfahrung, daß längst kein Balsam und keine Droge den Kranken wahrhaft heilkräftig scheinen will, wenn nicht auf dem porzellanenen Tiegel mit blauen Lettern das magische Wort »arabicum« oder »indicum« zu lesen ist. Unaufhaltsam hat durch seine Abseitigkeit, seine Rarität und Exotik und vielleicht auch durch seine Teuernis alles Orientalische für Europa einen suggestiven, einen hypnotischen Reiz gewonnen. Arabisch, persisch, hindostanisch, diese Attribute werden im Mittelalter (ähnlich wie im achtzehnten Jahrhundert die Ursprungsbezeichnung französisch) gleichbedeutend mit üppig, raffiniert, vornehm, höfisch, köstlich und kostbar. Kein Handelsartikel ist so begehrt wie die especeria; beinahe hat es den Anschein, als hätte der Duft dieser morgenländischen Blüten auf magische Weise die Seele Europas berauscht.

Aber gerade weil so modisch begehrt, bleibt die indische Ware teuer und wird immer teurer: kaum kann man die ständig steigenden Fieberkurven der Preise heute noch richtig nachrechnen, denn alle historischen Geldtabellen bleiben erfahrungsgemäß abstrakt; am ehesten gewinnt man noch eine optische Anschauung von der tollen Überwertung der Gewürze, wenn man sich erinnert, daß zu Anfang des zweiten Jahrtausends derselbe Pfeffer, der heute an jedem Wirtstisch offen steht und achtlos wie Sand verschüttet wird, Korn um Korn abgezählt wurde und im Gewicht fast gleichwertig dem Silber galt. So absolut war seine Wertbeständigkeit, daß manche Staaten und Städte mit Pfeffer kalkulierten wie mit einem Edelmetall: man konnte mit Pfeffer Grund und Boden erwerben, Mitgiften bezahlen, sich einkaufen ins Bürgerrecht; mit Pfeffergewicht setzten manche Fürsten und Städte ihre Zölle fest, und wenn man im Mittelalter einen Mann als schwerreich bezeichnen wollte, so schimpfte man ihn einen Pfeffersack. Auf Gold- und Apothekerwaagen wiederum wurden Ingwer und Zimt, Chinarinde und Kampfer ausgewogen und sorgfältig dabei Türen und Fenster verschlossen, damit nicht etwa ein Luftzug ein Quentchen des köstlichen Abfallstaubs verblase. Aber so absurd diese Überwertung unserem heutigen Blick erscheint, so selbstverständlich wird sie, sobald man die Schwierigkeiten und das Risiko des Transports in Rechnung zieht. Unermeßlich weit liegt in jenen Tagen das Morgenland vom Abendland, und welche Fährnisse und Hindernisse haben die Schiffe, die Karawanen und Wagen unterwegs zu überwinden! Welche Odyssee jedes einzelne Korn, jede einzelne Blüte zu bestehen, ehe sie von ihrem grünen Strauch am Malaiischen Archipel bis an den letzten Strand, an den Verkaufstisch des europäischen Krämers gelangt! An sich wäre freilich keines dieser Gewürze eine Seltenheit. Unten auf der andern Fläche des Erdballs wachsen zwar die Zimtstangen Tidores, die Gewürznelken Amboinas, die Muskatnüsse Bandas, die Pfefferstauden Malabars genau so üppig und frei wie bei uns die Disteln, und ein Zentner gilt auf den Malaiischen Inseln nicht mehr als im Abendland eine Messerspitze voll. Aber das Wort Handel kommt von Hand, und durch wie viele Hände muß die Ware wandern, ehe sie durch Wüsten und Meere an den letzten Käufer, den Verbraucher, gelangt! Die erste Hand wird wie immer am schlechtesten entlohnt; der malaiische Sklave, der die frischen Blüten pflückt und im bastenen Bündel auf seinem braunen Rücken zu Markte schleppt, bekommt keinen andern Lohn als den eigenen Schweiß. Aber sein Herr profitiert schon; von ihm kauft ein mohammedanischer Händler die Last und paddelt sie auf winziger Prau durch glühenden Sonnenbrand von den Gewürzinseln acht Tage, zehn Tage und mehr nach Malacca (in die Nähe des heutigen Singapore). Hier sitzt schon die erste Saugspinne im Netz; der Herr des Hafens, ein mächtiger Sultan, fordert für das Umladen vom Händler Tribut. Erst wenn die Abgabe entrichtet ist, darf die duftende Fracht auf eine andere, eine größere Dschunke verladen werden, und wieder schleicht, von breitem Ruder oder viereckigem Segel langsam vorwärtsgetrieben, das kleine Fahrzeug von einem Küstenplatz Indiens zum andern weiter. Monate gehen so dahin, eintöniges Segeln und endloses Warten bei Windstille unter wolkenlos brennendem Himmel, und dann wieder jähe Flucht vor den Taifunen und den Korsaren. Unendlich mühsam und auch unsagbar gefahrvoll ist diese Verfrachtung durch zwei, durch drei tropische Meere; von fünf Schiffen fällt fast immer eines unterwegs den Stürmen oder Piraten zum Opfer, und der Kaufherr segnet Gott, wenn er Cambagda glücklich umfahren, endlich Ormudz oder Aden erreicht hat und damit den Zugang zu Arabia felix oder Ägypten. Aber die neue Art der Verfrachtung, die hier anhebt, ist nicht minder entbehrungsvoll und nicht minder gefährlich. Zu Tausenden warten in langen, geduldigen Reihen in jenen Umschlagshäfen die Kamele, gehorsam beugen sie auf das Zeichen ihres Herrn sich in die Knie, Sack um Sack werden die verschnürten Bündel mit Pfeffer und Muskatblüten ihnen auf den Rücken geladen, und langsam schaukeln die vierbeinigen Schiffe ihre Fracht dann durch das Sandmeer. In monatelangem Zuge bringen arabische Karawanen die indische Ware – die Namen von Tausendundeine Nacht klingen auf – über Bassora und Bagdad und Damaskus nach Beyruth und Trebizonde oder über Dschidda nach Kairo; uralt sind diese langen Wanderstraßen durch die Wüste und seit den Jahren der Pharaonen und Bactrier schon den Händlern vertraut. Aber verhängnisvollerweise kennen sie die Beduinen, diese Piraten der Wüste, nicht minder genau; ein verwegener Überfall vernichtet oft mit einem Schlage die Fracht und Frucht unzähliger mühsamer Monate. Was dann glücklich den Sandstürmen entgeht und den Beduinen, kommt dafür andern Räubern zupaß: von jeder Kamelladung, von jedem Sack verlangen die Emire des Hedschas, die Sultane von Ägypten und Syrien Tribut, und zwar einen höchst ausgiebigen; auf hunderttausend Dukaten schätzt man, was jährlich allein nur der ägyptische Wegelagerer an Durchgangszoll vom Gewürzhandel erhob. Ist schließlich die Nilmündung nahe von Alexandria erreicht, so wartet dort noch ein allerletzter Nutznießer und nicht der geringste, die Flotte Venedigs. Seit der perfiden Vernichtung der Konkurrenzstadt Byzanz hat die kleine Republik das Monopol des abendländischen Gewürzhandels völlig an sich gerissen; statt direkt weiter verfrachtet zu werden, muß die Ware zuerst an den Rialto, wo die deutschen, die flandrischen, die englischen Faktoren sie ersteigern. Dann erst rollen in breiträdrigen Wagen durch Schnee und Eis der Alpenpässe dieselben Blüten, die tropische Sonne vor zwei Jahren geboren und gegoren, dem europäischen Krämer und damit dem Verbraucher zu.

Durch mindestens zwölf Hände, so schriftet es melancholisch Martin Behaim seinem Globus, seinem berühmten »Erdapfel« von 1492 ein, muß das indische Gewürz wucherisch wandern, ehe es an die letzte Hand, an den Verbraucher, gelangt. »Item ess ist zu wissen, dass die Spezerey die in den Insuln In Indien in Orienten in manicherley Hendt verkaufft wirdt, ehe sie herauss kumpt In unsere Landt.« Aber wenn auch zwölf Hände in den Gewinn sich teilen, so preßt doch jede einzelne genug goldenen Safts aus dem indischen Gewürz; trotz allen Risiken und Gefahren gilt der Spezereihandel als der weitaus einträglichste des Mittelalters, weil bei kleinstem Volumen der Ware mit der größten Marge an Gewinn verbunden. Mögen von fünf Schiffen – die Expedition Magellans beweist dieses Rechenexempel – vier mit ihrer Ladung zugrunde gehen, mögen zweihundert Menschen von zweihundertfünfundsechzig nicht wiederkehren, so haben zwar Matrosen und Kapitäne ihr Leben verloren, der Händler hat aber bei diesem Spiel noch immer gewonnen. Kehrt nur ein noch so kleines Schiff von den fünfen, gut mit Gewürz beladen, nach drei Jahren zurück, so macht die Ladung mit reichlichem Profit den Verlust wett, denn ein einziger Sack mit Pfeffer gilt im fünfzehnten Jahrhundert mehr als ein Menschenleben; kein Wunder, daß bei dem großen Angebot an wertlosen Menschenleben und der stürmischen Nachfrage nach wertvollem Gewürz die Rechnung immer wieder prächtig klappt. Die Paläste Venedigs und jene der Fugger und Welser sind fast einzig aus dem Gewinn an indischem Gewürz erbaut.

Columbus.

Bildnis in der Portraitsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol

Aber unvermeidlich wie Rost an Eisen setzt sich scharfer Neid an großen Gewinn. Immer wird jedes Vorrecht von den andern als Unrecht empfunden, und wo eine einzelne kleine Gruppe sich übermäßig bereichert, formt sich selbsttätig eine Koalition der Benachteiligten. Mit scheelen Augen sehen längst die Genuesen, die Franzosen, die Spanier auf das geschicktere Venedig, das den goldenen Golfstrom an den Canal grande zu leiten gewußt, und mit noch ärgerer Erbitterung starren sie nach Ägypten und Syrien, wo der Islam eine undurchdringliche Sperrkette zwischen Indien und Europa gelegt. Keinem christlichen Schiff ist die Fahrt auf dem Roten Meer gestattet, keinem christlichen Händler auch nur die Durchreise; unerbittlich geht aller Indienhandel ausschließlich durch türkische und arabische Händler und Hände. Damit wird aber nicht nur den europäischen Verbrauchern die Ware unnütz verteuert, nicht nur dem christlichen Handel der Gewinn von vorneweg abgemelkt, sondern es droht der ganze Überschuß an Edelmetall nach dem Oriente abzufließen, da die europäischen Waren bei weitem nicht den Tauschwert der indischen Kostbarkeit erreichen. Schon um dieses fühlbaren Handelsdefizits willen mußte die Ungeduld des Abendlands immer leidenschaftlicher werden, der ruinösen und entwürdigenden Kontrolle sich zu entziehen, und schließlich raffen sich die Energien zusammen. Die Kreuzzüge waren keineswegs (wie es oft romantisierend dargestellt wird) ein bloß mystisch religiöser Versuch, die Stätte des Heiligen Grabes den Ungläubigen zu entreißen; diese erste europäisch-christliche Koalition stellte zugleich die erste logische und zielbewußte Anstrengung dar, jene Sperrkette zum Roten Meer zu durchstoßen und den Osthandel für Europa, für das Christentum frei zu machen. Da dieser Stoß mißlang, da Ägypten nicht den Mohammedanern entrissen werden konnte und der Islam weiterhin den Weg nach Indien verlegte, mußte notwendigerweise der Wunsch wach werden, einen andern, einen freien, einen unabhängigen Weg nach Indien zu finden. Die Kühnheit, die Columbus nach Westen, die Bartolomeu Diaz und Vasco da Gama nach Süden, die Cabot nach Norden gegen Labrador vorstoßen ließ, entsprang in erster Linie dem zielbewußten Willen, endlich, endlich für die abendländische Welt einen freien, einen unbezollten und ungehinderten Seeweg nach Indien zu entdecken und damit die schmachvolle Vormachtstellung des Islams zu brechen. Immer ist bei entscheidenden Erfindungen und Entdeckungen ein geistiger, ein moralischer Antrieb die eigentlich beflügelnde Macht, meist aber wird der endgültige Abstoß ins Irdische dann von materiellen Impulsen gegeben. Gewiß hätten auch um der kühnen Idee willen die Könige und ihre Räte an Columbus’ und Magellans Vorschlägen sich begeistert; nie aber wäre das nötige Geld gewagt worden an ihr Projekt, nie von Fürsten und Spekulanten ihnen tatsächlich eine Flotte ausgerüstet worden ohne die gleichzeitige Aussicht, bei dieser Entdeckungsfahrt den aufgewendeten Betrag tausendfach zu verzinsen. Hinter den Helden jenes Zeitalters der Entdeckungen standen als treibende Kräfte die Händler; auch dieser erste heroische Impuls zur Welteroberung ging aus von sehr irdischen Kräften – im Anfang war das Gewürz.

Wunderbar immer im Lauf der Geschichte, wenn sich der Genius eines Menschen dem Genius der Stunde bindet, wenn ein einzelner Mann hellsichtig die schöpferische Sehnsucht seiner Zeit begreift. Unter den Ländern Europas hat eines bisher seinen Teil an der europäischen Aufgabe noch nicht erfüllen können, Portugal, das in langwierigen heroischen Kämpfen sich der maurischen Herrschaft entrungen. Nun aber Sieg und Selbständigkeit endgültig erfochten sind, liegt die prachtvolle Kraft eines jungen und leidenschaftlichen Volkes völlig brach; der natürliche Expansionswille, der jeder aufsteigenden Nation innewohnt, findet zunächst keinen Ausstoß mehr. Mit seinen ganzen Landesgrenzen liegt Portugal an Spanien gelehnt, an eine befreundete, eine brüderliche Nation; so könnte einzig zur See, durch Handel und Kolonisation das kleine und arme Land sich erweitern. Aber verhängnisvollerweise ist – oder scheint zunächst – die geographische Lage Portugals die ungünstigste unter allen seefahrenden Nationen Europas. Denn der Atlantische Ozean, der seine Wellen von Westen her gegen seine Küsten wirft, gilt nach der ptolemäischen Geographie (der einzigen Autorität des Mittelalters) als endlose und undurchfahrbare Wasserwüste. Als nicht minder ungangbar erklären die ptolemäischen Weltkarten den Südweg, die afrikanische Küste entlang: unmöglich sei es, diese Sandwüste zu Schiff zu umfahren, denn dieses unwirtliche und unbewohnbare Land reiche bis zum antarktischen Pol und sei, ohne Durchlaß zu gewähren, mit der terra australis verwachsen. Nach der Ansicht der alten Geographie hätte Portugal, weil außerhalb des einzig fahrbaren Meers, des Mittelmeers, gelegen, die denkbar schlechteste Position unter den seefahrenden Nationen Europas.

Prinz Heinrich der Seefahrer

Ausschnitt aus dem Tryptichon im Museeum für alte Kunst in Lissabon.

Es wird nun der Lebensgedanke eines portugiesischen Fürstensohns sein, dies angeblich Unmögliche möglich zu machen und den Versuch zu wagen, ob nicht doch gemäß dem Bibelwort die letzten die ersten werden könnten. Wie, wenn Ptolemäus, dieser geographus maximus, dieser Papst der Erdkunde, sich geirrt hätte? Wie, wenn dieser Ozean, der mit seinen gewaltigen Wellen von Westen her manchmal merkwürdige fremde Hölzer (die doch irgendwo gewachsen sein müssen) an Portugals Küsten wirft, gar nicht endlos wäre, sondern zu neuen und unbekannten Ländern führte? Wie, wenn Afrika bewohnbar wäre jenseits des Wendekreises, wie, wenn der allweise Grieche grob geflunkert hätte mit seiner Behauptung, dieser unerforschte Kontinent sei zu Meer nicht zu umfahren und kein Weg führe hinüber in die indische See? Dann wäre Portugal, gerade weil am weitesten gegen Westen gelegen, das wahre Sprungbrett aller Entdeckungen, es hätte den nächsten Weg von allen nach Indien. Nicht verstoßen wäre es vom Ozean, sondern wie kein anderes Land Europas zur Seefahrt berufen. Dieser Wunschtraum, das kleine machtlose Portugal zur nautischen Vormacht zu erheben und den bisher nur als Sperre betrachteten Atlantischen Ozean in eine Straße zu verwandeln, ist in nuce der Lebensgedanke des »Iffante« Enrique gewesen, den die Geschichte zu Recht und zu Unrecht Heinrich den Seefahrer nennt. Zu Unrecht: denn abgesehen von einer kurzen Kriegsfahrt nach Ceuta hat Enrique niemals ein Schiff bestiegen, es gibt kein Buch, keinen nautischen Traktat, keine Karte von seiner Hand. Aber doch darf die Geschichte ihm diesen Namen Rechtens zuerkennen, denn Seefahrt und Seefahrern allein hat dieser Fürstensohn sein Leben und sein Vermögen gewidmet. Früh im maurischen Kriege bewährt bei der Belagerung von Ceuta (1412), zugleich einer der reichsten Männer des Landes, könnte dieser Sohn eines portugiesischen und Neffe eines englischen Königs seinen Ehrgeiz in den blendendsten Stellungen auswirken; alle Höfe laden ihn zu sich, England bietet ihm ein Oberkommando. Aber dieser sonderbare Schwärmer erwählt als Form seines Lebens die schöpferische Einsamkeit. Er zieht sich zurück nach Kap Sagres, das einstmals heilige (sacrum) Vorgebirge der Alten. Von dort bereitet er in beinahe fünfzig Jahren die Seefahrt nach Indien und damit die große Offensive gegen das »mare incognitum« vor.

Was diesem einsam-verwegenen Träumer den Mut gegeben hat, gegen die höchsten kosmographischen Autoritäten seiner Zeit, gegen Ptolemäus und seine Nachsprecher und Nachzeichner, die Überzeugung zu verfechten, Afrika sei kein dem Pol angefrorener Kontinent, sondern umschiffbar und der wahre Seeweg nach Indien – dieses letzte Geheimnis wird kaum mehr zu ergründen sein. Aber niemals war das (auch von Herodot und Strabo verzeichnete) Gerücht völlig verstummt, daß in den dunklen Tagen der Pharaonen einmal eine phönikische Flotte das Rote Meer hinabgefahren sei und nach zwei Jahren unvermuteterweise durch die Säulen des Herkules (die Enge von Gibraltar) heimgekehrt. Vielleicht hatte der Iffante auch durch maurische Sklavenhändler Kunde gehabt, daß jenseits der Libya deserta, der sandigen Sahara, ein »Land des Reichtums«, »bilat ghana«, liege, und tatsächlich findet sich schon auf einer Karte, die 1150 ein arabischer Kosmograph für den Normannenkönig Roger II. angefertigt, das heutige Guinea unter diesem Namen »bilat ghana« völlig richtig eingezeichnet. Es mag also sein, daß Enrique durch guten Kundschafterdienst besser über die wirkliche Form Afrikas unterrichtet war als die Schulgeographen, die einzig auf die Codices des Ptolemäus ihre Hand zum Eidschwur legten und zunächst auch die Berichte des Marco Polo und Ibn Battuta als falsches Geflunker ablehnten. Die eigentliche moralische Bedeutung Enriques aber liegt darin, daß er zugleich mit der Größe des Ziels auch die Größe der Schwierigkeit erkannte, daß er in edler Resignation begriff, er selbst werde seinen Traum niemals erfüllt sehen, weil eben mehr als ein einziges Menschenalter zur Vorbereitung eines so ungeheuren Unterfangens notwendig sei. Denn wie damals Seefahrt von Portugal nach Indien wagen ohne Kenntnis der See und ohne Schiffe zur Fahrt? Unvorstellbar primitiv sind zur Zeit, da Enrique an sein Werk geht, die geographischen, die nautischen Kenntnisse Europas. In den grauenhaften Jahrhunderten der Verdüsterung, die dem Einsturz des Römischen Reichs folgten, hatte das Mittelalter beinahe alles vergessen, was die Griechen, die Phönizier, die Römer auf ihren kühnen Fahrten erkundet. Unglaubhaft wie ein Märchen war es für jene Jahrhunderte der räumlichen Selbstbeschränkung geworden, daß ein Alexander längst bis an die Grenzen Afghanistans und tief hinab bis nach Indien vorgedrungen war, verloren sind die trefflichen Karten, die Weltbilder der Römer, verfallen ihre Heerstraßen, ihre Meilensteine, die bis tief nach Britannien und Bithynien reichten, vernichtet ihr vorbildlicher politischer und geographischer Nachrichtendienst; verlernt ist die Fähigkeit des Reisens, erstorben die Lust des Entdeckens, armselig geworden die Kunst der Schiffahrt; ohne jedes weite, jedes kühne Ziel, ohne richtigen Kompaß und klare Karten schleichen in ängstlicher Küstenfahrt kleine Fahrzeuge von Hafen zu Hafen, immer in Sorgnis vor Stürmen oder den ebenso gefährlichen Piraten. Bei einem solchen Tiefstand der Kosmographie und mit solch kläglichen Schiffen war es noch zu früh, die Ozeane der Erde zu bezwingen und überseeische Reiche zu erobern. Ein Menschenalter der Aufopferung mußte erst nachholen, was Jahrhunderte der Gleichgültigkeit versäumt hatten. Und Enrique – dies seine Größe – war entschlossen, sein Leben zu opfern für die zukünftige Tat.

Nur ein paar verfallene Mauern stehen noch von dem einstigen Schlosse von Kap Sagres, das Prinz Enrique erbaut und das ein höchst undankbarer Erbe seiner Wissenschaft, Francis Drake, geplündert und zerstört hat. Durch die Schatten und Schleier der Legende ist es heute kaum mehr möglich, in den Einzelheiten zu erkennen, in welcher Weise Prinz Heinrich den Welteroberungsplänen Portugals vorgearbeitet hat. Nach den (vielleicht romantischen ) Berichten seiner heimischen Chronisten ließ er sich sämtliche Bücher und Mappen aus allen Weltteilen kommen, berief arabische und jüdische Gelehrte und befahl ihnen, bessere Instrumente und Tabulaturen anzufertigen. Jeder Schiffer, jeder Kapitän, der von einer Reise kam, wurde ausgefragt, alle diese Mitteilungen und Kenntnisse wurden sorgsam in einem Geheimarchiv gesammelt und gleichzeitig eine Reihe von Expeditionen ausgerüstet. Unermüdlich wird die Kunst des Schiffbaus gefördert; in wenigen Jahren erwachsen aus den ursprünglichen »barcas«, diesen kleinen offenen Fischerbooten mit achtzehn Mann Besatzung, wirkliche »naos«, breite Kutter von achtzig und hundert Tonnen, die auch bei schwierigem Wetter im offenen Meere fahren können. Dieser neue, seetüchtige Typus des Schiffs bedingte wiederum einen neuen Typus des Seefahrers. Dem Steuermann gesellt sich ein »Meister der Astrologie« bei, der nautische Fachmann, der Portolane zu lesen, die Deklination zu bestimmen und die Meridiane einzuzeichnen weiß; Theoretik und Praktik greifen schöpferisch ineinander, und allmählich wird auf diesen Expeditionen aus bloßen Fischern und Schiffern ein Geschlecht von Seefahrern und Entdeckern systematisch herangebildet, dessen Taten der Zukunft vorbehalten sind. Wie Philipp von Mazedonien seinem Sohn Alexander die unwiderstehliche Phalanx zur Eroberung der Welt, so hinterläßt Enrique seinem Portugal die besten, die modernsten Schiffe seiner Zeit und die trefflichsten Seeleute zur Eroberung des Ozeans.

Aber es gehört zum tragischen Schicksal der Vorläufer, daß sie an der Schwelle sterben, ohne selbst das gelobte Land zu schauen. Enrique hat keine einzige der großen Entdeckungen erlebt, die sein Vaterland in der Geschichte der Weltentdeckung unsterblich machten; in seinem Todesjahr (1460) ist im äußern, im geographischen Raum kaum etwas Wahrnehmbares erreicht. Die vielgerühmte Entdeckung der Azoren und Madeiras war in Wirklichkeit nur eine Wiederentdeckung (schon 1351 verzeichnet sie der Portolano Laurentino). An der Westküste sind seine Schiffe nicht einmal bis zum Äquator hinabgelangt, ein kleiner, nicht sehr ruhmreicher Handel hat begonnen mit weißem und hauptsächlich mit »schwarzem Elfenbein«: das heißt, man raubt an der Senegalküste massenhaft Neger, um sie auf dem Sklavenmarkt in Lissabon zu verkaufen, und findet etwas Goldstaub – dieser kleine unzulängliche Anfang ist alles, was Enrique von seinem geträumten Werke gesehen. In Wahrheit ist der entscheidende Erfolg aber schon errungen. Denn nicht in der erreichten Distanz liegt damals der erste Triumph der portugiesischen Seefahrt, sondern in der moralischen Sphäre: in der Steigerung der Unternehmungslust und in der Vernichtung einer gefährlichen Legende. Jahrhunderte – und jahrhundertelang hatten die Seeleute gemunkelt, hinter dem Kap Non – zu deutsch: dem Kap Nichtweiter – sei Seefahrt unmöglich. Dahinter beginne sogleich »die grüne See der Dunkelheit«, und wehe dem Schiff, das sich in diese tödlichen Zonen wage. Von der Glut der Sonne siede und koche in jenen Wendekreisen das Meer. Sofort gerieten die Planken und Segel in Brand, jeder Christenmensch, der versuche, das »Land Satans« zu betreten, das wüst sei wie eine Kraterlandschaft, würde sofort zum Neger. So unüberwindlich war durch solche Fabeln diese Angst vor einer Südfahrt geworden, daß der Papst, um Enrique nur überhaupt Seeleute für seine ersten Expeditionen zu verschaffen, jedem Teilnehmer vollen Sündenablaß zusichern mußte; dann erst gelang es, ein paar Verwegene für diese ersten Entdeckungsfahrten anzuwerben. Welcher Jubel darum, als Gil Eannes 1434 dies angeblich unüberwindliche Kap Non umsteuert und von Guinea melden kann, daß der hochberühmte Ptolemäus als arger Fasler entlarvt sei, »denn es geht hier so leicht zu segeln wie bei uns zu Hause und das Land ist äußerst reich und schön«. Damit ist der tote Punkt überwunden. Nun braucht Portugal nach Mannschaft nicht mehr zu fahnden, aus allen Ländern melden sich Abenteurer und Abenteuerlustige. Jede neue geglückte Fahrt macht die Seefahrer verwegener, plötzlich ist eine Generation von jungen Menschen zur Stelle, denen das Abenteuer mehr gilt als das Leben. »Navigare necesse est, vivere non est necesse« – der alte Seemannsspruch hat wieder Gewalt bekommen über die Seelen. Und wo immer eine neue Generation geschlossen und entschlossen am Werke ist, verwandelt sich die Welt.

Vasco da Gama

Miniatur im British Museum, London.

Nur den Augenblick des letzten Atemholens vor dem großen Sprung bedeutet darum der Tod Enriques. Aber kaum hat der energische König João II. den Thron bestiegen, so setzt ein Anschwung ein, der alle Erwartungen übertrifft. Was bisher ärmlicher Schneckengang gewesen, wird mit einmal Sturmlauf und Löwensprung. Während man es gestern noch als grandiose Leistung verzeichnete, wenn innerhalb von zwölf Jahren die wenigen Meilen bis Kap Bojador ersegelt wurden und man nach abermals zwölf Jahren langsamen Vordringens glücklich Kap Verde erreicht hatte, bedeutet nun ein Vorstoß von hundert, von fünfhundert Meilen nichts Ungewöhnliches mehr. Vielleicht nur unsere Generation, welche die Eroberung der Luft miterlebt, wir, die wir ebenso im Anfang schon gejubelt, wenn nur drei, nur fünf, nur zehn Kilometer vom Champ de Mars ein Aeroplan in der Luft sich halten konnte, und die ein Jahrzehnt später schon Kontinente und Ozeane überflogen sahen, nur wir vielleicht können den glühenden Anteil, den erregten Jubel ganz begreifen, mit dem ganz Europa den plötzlichen Vorstoß Portugals ins Unbekannte begleitete. 1471 ist der Äquator erreicht, 1484 landet Diego Cam bereits an der Mündung des Kongo, und endlich 1486 erfüllt sich der prophetische Traum Enriques: der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz erreicht die Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, das er freilich um der Stürme willen, denen er dort begegnet, zunächst noch Cabo tormentoso, das stürmische Vorgebirge, tauft. Aber wenn ihm auch das Wetter die Segel zerfetzt und den Mast zerspellt, der kühne Konquistador steuert entschlossen weiter. Schon ist er an die Ostküste Afrikas gelangt, und von hier könnten ihn mohammedanische Piloten leichthin nach Indien weiterbringen – da meutert die Mannschaft: genug sei für diesmal erreicht. Verwundeten Herzens muß Bartolomeu Diaz zurück, durch fremde Schuld den Ruhm verlierend, als erster Europäer den Seeweg nach Indien bezwungen zu haben, und ein anderer Portugiese, Vasco da Gama, wird um dieser Heldentat willen in Camoens’ unsterblichem Gedicht gefeiert werden; wie immer bleibt der Beginner, der tragische Initiator, vergessen über dem glücklicheren Vollender. Immerhin: die entscheidende Tat ist getan. Zum erstenmal ist die geographische Gestalt Afrikas endgültig bestimmt, zum erstenmal gegen Ptolemäus bewiesen und erwiesen, daß der freie Seeweg nach Indien möglich sei. Den Lebenstraum Enriques haben seine Schüler und Erben ein Lebensalter nach ihrem Meister erfüllt.

Mit Staunen und Neid wendet die Welt jetzt ihren Blick diesem kleinen unbeachteten Seevolk im letzten Winkel Europas zu. Während sie, die Großmächte Frankreich, Deutschland, Italien, in unsinnigen Kriegen einander zerfleischten, hat Portugal, dieses Aschenbrödel Europas, seinen Lebensraum um das Tausendfache und Zehntausendfache erweitert; keine Anstrengung kann seinen unermeßlichen Vorsprung mehr einholen. Über Nacht ist Portugal die erste Seenation der Welt geworden, es hat sich durch seine Leistung nicht nur neue Provinzen, sondern ganze Welten gesichert. Ein Jahrzehnt noch und diese kleinste unter Europas Nationen wird den Anspruch erheben, mehr Weltraum zu besitzen und zu verwalten als das Römische Reich selbst zur Zeit seiner größten Ausbreitung.

Albuquerque

Handschriften-Miniatur im British Museum, London.

Selbstverständlich muß ein derart übersteigerter imperialistischer Anspruch bei dem Versuch seiner Durchsetzung sehr bald die Kräfte Portugals erschöpfen. Jedes Kind könnte errechnen, daß ein so winziges Land, das im ganzen nicht mehr als anderthalb Millionen Einwohner zählt, auf die Dauer nicht allein ganz Afrika, Indien und Brasilien besetzen, kolonisieren, verwalten oder auch nur handelsmäßig monopolisieren kann und am allerwenigsten für ewige Zeiten gegen die Eifersucht der andern Nationen verteidigen. Ein einziger Öltropfen kann nicht ein aufgeregtes Meer glätten, ein stecknadelgroßes Land nicht hunderttausendfach größere Länder endgültig unterwerfen. Von der Vernunft aus gesehen, stellt also die schrankenlose Expansion Portugals eine Absurdität dar, eine Don Quichotterie gefährlichster Art. Aber immer ist ja das Heldische irrational und antirational, immer, wo ein Mensch oder ein Volk sich an eine Aufgabe wagt, die sein eigentliches Maß übersteigt, steigern sich auch seine Kräfte zu nie geahnter Stärke: nie vielleicht hat sich eine Nation großartiger in einen einzigen sieghaften Augenblick zusammengefaßt als Portugal um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts: nicht nur seinen Alexander, seine Argonauten schafft sich das Land plötzlich in Albuquerque, Vasco da Gama und Magellan, sondern auch in Camoens seinen Homer, in Barros seinen Livius. Gelehrte, Baumeister, große Kaufleute sind über Nacht zur Stelle: wie Griechenland unter Perikles, England unter Elisabeth, Frankreich unter Napoleon, verwirklicht in universaler Form ein Volk seine innerste Idee und stellt sie als sichtbare Tat vor die Welt. Eine unvergeßliche Weltstunde lang ist Portugal die erste Nation Europas, die Führerin der Menschheit gewesen.

Aber jede große Tat eines einzelnen Volks ist immer für alle Völker getan. Alle spüren sie, daß dieser eine erste Einbruch ins Unbekannte zugleich alle bisher gültigen Maße, Begriffe, Distanzgefühle umgestoßen hat, und mit pochender Ungeduld verfolgt man darum an allen Höfen, an allen Universitäten die neuesten Nachrichten aus Lissabon. Dank einer merkwürdigen Hellsichtigkeit begreift Europa das Schöpferische dieser welterweiternden portugiesischen Tat; es begreift, daß Seefahrt und Entdeckung bald entscheidender die Welt verändern werden als alle Kriege und Kartaunen, daß eine hundertjährige, eine tausendjährige Epoche, das Mittelalter, endgültig zu Ende ist und eine neue Zeit, die »Neuzeit«, beginnt, die in andern räumlichen Dimensionen denken und schaffen wird. Feierlich erhebt im Vollgefühl solchen historischen Augenblicks der Florentiner Humanist Politian als Sachwalter der friedlichen Vernunft die Stimme zum Ruhme Portugals, und der Dank des ganzen kultivierten Europa schwingt mit in seinen begeisterten Worten: »Nicht nur die Säulen des Herkules hat es hinter sich gelassen und einen wütigen Ozean bezähmt, sondern die bislang unterbundene Einheit der bewohnbaren Welt wiederhergestellt. Was für neue Möglichkeiten und wirtschaftliche Vorteile, welche Erhöhung des Wissens, welche Bestätigungen der alten Wissenschaft, die bisher als unglaubhaft verworfen wurden, dürfen wir noch erwarten! Neue Länder, neue Meere, neue Welten (alii mundi) sind aus jahrhundertelangem Dunkel aufgetaucht. Portugal ist heute der Hüter, der Wächter einer zweiten Welt.«

Ein verblüffender Zwischenfall unterbricht diesen grandiosen Vorstoß Portugals nach dem Osten. Schon scheint die »zweite Welt« erreicht, schon scheinen Krone und alle Schätze Indiens dem König João gesichert, denn nach der Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung kann Portugal niemand mehr zuvorkommen, und niemand unter den Mächten Europas darf sogar auf diesem langgesicherten Wege ihm noch nachfolgen. Denn bereits Enrique der Seefahrer hatte sich vorsichtigerweise vom Papst verbriefen lassen, daß alle Länder, Meere und Inseln, welche hinter dem Vorgebirge Bojador entdeckt würden, einzig und allein den Portugiesen zugehören sollten, und drei andere Päpste hatten diese sonderbare »Schenkung« bekräftigt, welche mit einem Griff und Federstrich den ganzen noch unbekannten Orient mit Millionen Einwohnern dem Hause Viseu als rechtmäßiges Krongut Übermacht. Portugal und Portugal allein sind also alle neuen Welten zugeschworen. Mit solchen unantastbaren Sicherheiten in Händen hat man im allgemeinen für unsichere Geschäfte nicht viel Neigung, und deswegen war es keineswegs so einfältig und wunderlich, wie es meist die Geschichtsschreiber a posteriori darstellen, wenn der beatus possidens, wenn König João II. dem etwas konfusen Projekt eines unbekannten Genuesen wenig Interesse entgegenbrachte, der emphatisch eine ganze Flotte forderte, »para buscar el levante por el ponente«, um Indien von Westen her zu erreichen. Man hört zwar Messer Christoforo Colombo im Schloß von Lissabon freundlich an, man sagt ihm keineswegs ein grobes Nein. Aber man erinnert sich allzu gut, daß bisher alle Expeditionen nach den sagenhaften Inseln Antilha und Brazil, die westwärts zwischen Europa und Indien liegen sollen, kläglich gescheitert sind. Und überdies: wozu sichere portugiesische Dukaten wagen für einen höchst unsichern Weg nach Indien, da man doch nach jahrelanger Mühe eben den rechten gefunden hat und auf dem Tejo die Schiffswerften bereits Tag und Nacht an der großen Flotte arbeiten, die geradewegs um das Kap bis nach Indien fahren soll?

Wie ein Steinschlag durch das Fenster klirrt darum die brüske Nachricht in den Palast von Lissabon, jener großsprecherische genuesische Abenteurer habe unter spanischer Flagge den Oceano tenebroso wirklich durchsteuert und sei in knappen fünf Wochen auf Land im Westen gestoßen. Ein Wunder hat sich ereignet. Erfüllt ist über Nacht die mystische Prophezeiung aus Senecas »Medea«, die seit Jahren und Jahren schon die Gemüter der Weltfahrer erregte:

»venient annis

saecula seris, quibus Oceanus

vincula rerum laxet et ingens

pateat tellus, Typhisque novos

detegat orbes, nee sit terris

Ultima Thula.«

Wahrlich, sie scheinen gekommen, »die Tage, da nach Jahrhunderten der Ozean sein Geheimnis auftut und ein unbekanntes Land erscheint, da der argonautische Pilot neue Welten entdeckt und Thule nicht mehr das fernste Land unserer Erde ist«. Zwar Columbus, der neue »argonautische Pilot«, ahnt nicht, daß er einen neuen Weltteil entdeckt hat. Bis zu seinem Lebensende hat dieser hartnäckige Phantast sich unbelehrbar in den Wahn vermauert, er habe bereits das Festland Asiens erreicht und könne, von seinem »Hispaniola« westwärts steuernd, in wenigen Tagesreisen an der Mündung des Ganges landen. Gerade dies aber ist Portugals tödliche Angst. Denn was hilft Portugal der Papstbrief, der ihm für die Ostfahrt alle Länder zusagt, wenn Spanien ihm auf dem kürzeren Westwege gerade vor dem Endsprunge zuvorkommt und Indien in letzter Minute noch vorwegnimmt? Damit wäre die fünfzigjährige Lebensarbeit Enriques, die vierzigjährige Mühe seit seinem Tode sinnlos geworden, Indien für Portugal verloren durch den tollkühnen Abenteurerstreich des unseligen Genuesen. Will Portugal seinen Vorrang und sein Vorrecht auf Indien weiter behaupten, so bleibt ihm keine andere Wahl, als die Waffen zu ergreifen gegen den plötzlich eingedrungenen Rivalen.

Titelseite der ersten gedruckten »Newen Zeytung« über eine Forschungsreise nach Brasilien aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts.

(Bayrische Staatsbibliothek, München).

Glücklicherweise beseitigt der Papst die drohende Gefahr. Portugal und Spanien sind die Lieblingskinder seines Herzens, weil die einzigen Nationen, deren Könige sich niemals störrisch seiner geistlichen Autorität widersetzten. Sie haben die Mauren bekämpft und die Ungläubigen vertrieben, mit Feuer und Schwert rotten sie jede Ketzerei aus in dem Lande, nirgends findet gegen Mauren, Maranen und Juden die päpstliche Inquisition so bereite Helferschaft. Nein, seine Lieblingskinder sollen sich nicht entzweien, beschließt der Papst, und darum geht er daran, alle noch unbekannten Sphären der Welt zwischen Spanien und Portugal einfach aufzuteilen, und zwar aufzuteilen, nicht wie man in unserer modernen diplomatischen Heuchelsprache sagt, als »Interessensphären«, sondern der Papst schenkt klar und redlich diesen beiden Völkern alle die Völkerschaften, Länder, Inseln und Meere kraft seiner Autorität als Statthalter Christi. Wie einen Apfel nimmt er die Erdkugel und teilt sie statt mit einem Messer durch die Bulle vom 4. Mai 1493 in zwei Hälften. Die Schnittlinie setzt ein hundert leguas (ein altes Meilenmaß) von den Kap Verde-Inseln. Was auf der Erdkugel fortan an unentdeckten Ländern westlich dieser Linie liegt, soll seinem lieben Kinde Spanien, was östlich liegt, seinem lieben Kinde Portugal gehören. Zunächst erklären sich die beiden Kinder dankbar einverstanden mit dem schönen Geschenk. Aber bald fühlt sich Portugal doch beunruhigt und ersucht, die Grenzlinie möge noch ein wenig nach Westen verschoben werden. Dies geschieht im Vertrage von Tordesillas am 7. Juni 1494, der die Grenzlinie um zweihundertsiebzig leguas weiter nach Westen legt (wodurch Portugal späterhin tatsächlich das damals noch gar nicht entdeckte Brasilien zufallen wird).

So grotesk auf den ersten Blick eine Generosität auch anmuten mag, welche beinahe die ganze Welt mit einem einzigen Federstrich an zwei einzelne Nationen ohne Rücksicht auf die andern verschenkt – man muß doch diese friedliche Lösung als einen der seltenen Vernunftakte der Geschichte bewundern, wo ein Konflikt statt durch Gewalt vermittels friedlicher Einigung ausgetragen wurde. Für Jahre und Jahrzehnte ist jeder Kolonialkrieg zwischen Spanien und Portugal durch den Tordesillas-Vertrag tatsächlich vermieden worden, obzwar die Lösung von vorneweg eine provisorische bleiben mußte. Denn wenn man mit dem Messer einen Apfel ganz durchschneidet, muß die Schnittlinie auch auf der andern, unsichtbaren Fläche zutage treten. Innerhalb welcher Hälfte aber liegen nun die vielgesuchten, die kostbaren Gewürzinseln? Östlich oder westlich der Schnittlinie auf der andern Hemisphäre? Auf der Seite Portugals oder auf der Seite Spaniens? Das können in diesem Augenblicke weder der Papst noch die Könige noch die Gelehrten voraussagen, weil noch niemand das Rund der Erde ausgemessen hat und die Kirche ihrerseits die Kugelform des Kosmos um keinen Preis öffentlich anerkennen will. Aber bis zur endgültigen Entscheidung haben beide Nationen reichlich zu tun, um die ungeheuren Brocken hinunterzuschlingen, die ihnen das Schicksal hingeworfen: dem einen kleinen Spanien das riesige Amerika und dem einen winzigen Portugal ganz Indien und Afrika.