Magie der unerwarteten Wendungen - Hanna Gaugler - E-Book

Magie der unerwarteten Wendungen E-Book

Hanna Gaugler

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Die Autorin entfaltet mehrgleisig und subtil in einem alten Domizil am Lago di Garda zwischen den Seiten ihres Tagebuchs und ihrer aktuellen Niederschrift Rückschau haltend ihre innere Landschaft, die eng an das Tun ihrer Arbeit gekoppelt ist. Sie stellt sich mit der Breitseite in das Tohuwabohu ihrer traumatischen Kindheit und reist zu ihrer Geburtsinsel. Sie wird des Staunens nicht müde, ob der unerwarteten Wendungen. Mit offenen Augen schaut sie sich das Tor ihres Labyrinths genauer an. Sie geht durch die ultimative Enttäuschung. Mehr und mehr entpuppt sich das Schicksal, in dem sie gefangen war, als Tor zur Wirklichkeit des 'Selbst'. Und, den Sprung ins Freie wagend, erlebt sie erfüllendes Dasein: großes Umarmen und Umarmtsein. Von Dank und Demut erfüllt bejaht sie Reisende zu sein, wissend, dass SichVerstehen / SichLieben ein dauernder, das ganze Leben umarmender Prozess ist im Raum unendlicher Möglichkeiten.

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Seitenzahl: 254

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„... selbst zu sein ... ist eine große Sache.

Aber wie macht man das,

wie bringt man das fertig?“

Henry Miller

1

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1. Auflage 2015

Verlag: tao.de in J. Kamphausen Mediengruppe GmbH, Bielefeld, www.tao.de, eMail: [email protected]

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Bibliografische Information

der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigungen, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.

Hanna Gaugler

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Ganzheit entdecken

0VWFSUàSF..........................................................................1

Prolog...............................................................................9

Teil 1 ........................................................................................ 11

3½ Tage Ewigkeit ...............................................................12

Auftakt...........................................................................12

Bündelung in das Jetzt ................................................19

Der Knoten im Gehirn .................................................25

Gewahrsein – ein Kontinuum ....................................29

In Resonanz mit dem Tod … ......................................39

Ein bisschen Geschichte ..............................................45

Grabsuche Grün ...........................................................48

Schluss mit dem Opfer-Ich! ........................................57

Lebensskripte sind Glaubenssätze ............................60

Die Liebe – eine Falle? .................................................70

Dahinter dieses eine ,Ich‘ ............................................78

Durch NICHTS tauchen ..............................................82

Glückseligkeit ...............................................................85

Die verdächtigte Selbstliebe .......................................91

Wirklichkeit – Traum ...................................................94

Vom Dunklen ................................................................99

Quitt mit Gott! ............................................................106

Dasein .......................................................................... 110

Am Rande der Zeit .................................................... 116

Abreise: und weiter … ..............................................125

4

Teil 2 ......................................................................................133

Innehalten … Todlosigkeit berühren ...........................135

Abschaffung der Pferdefüße ....................................135

Im Schnittpunkt stehen .............................................146

Liebe – die höchste Intelligenz!................................155

Sich selbst verstehen –

nicht mehr und nicht weniger .................................166

Stehen im rechten Winkel .........................................173

ŝĞƵůƟŵĂƟǀĞŶƩćƵƐĐŚƵŶŐ .........................................176

Gesichter der Enttäuschung .....................................176

Im freien Fall: der Sprung! .......................................181

Die große Umarmung ...............................................184

Nur noch Staunen ......................................................188

Teil 3 ......................................................................................191

Tauchgang durch das Nichts..........................................192

Die Welt – eine Illusion? ...........................................192

Alles zu seiner Zeit ....................................................196

Sei wie der Küssende … ...........................................200

Epilog ...........................................................................205

Die Weisheit im Fragwürdigen ................................205

Literatur/Quellen ......................................................213

Autorin ........................................................................215

%BOL........................................................................21

5

KƵǀĞƌƚüƌĞ

Anlässlich der Neuauflage möchte ich einführend eine Ouvertüre voranstellen, die vor allem wichtig sein dürfte zum Verständnis des 2. Teils. Ich möchte Ihnen damit, liebe Leser und Leserinnen, ein paar Anregungen geben, dieses 6

Buchstaben umfassenden Wort: das SELBST auszuloten. Es ist das zentrale Wort im vorliegenden Buch.

Was den 1. Teil des Buches betrifft, so werden Sie beim Eintauchen in diese Reise überrascht werden von der Wirkkraft des Selbst, das uns angeboren ist, und Sie werden überrascht sein von dem, was sich unerwartet zuträgt. Sie werden also auf sehr viele‚ unerwartete Wendungen stoßen.

Das Selbst unterscheidet sich vom Ich - jedoch WIE? Darüber besteht in der psychologischen Literatur keine Klarheit.

Ich beginne mit ein paar Zusammensetzungen, weil mich dünkt, dass diese unmittelbar einleuchten lassen, wie hochaktuell das Selbst ist in seiner Bedeutung für unser Selbst-Verständnis und darüber hinaus vor allem für unser Menschsein, und für die Gestaltung unseres Sinnflusses für ein erfülltes Leben.

bestmöglichen Zustand bringen; etc., etc..

1

Vielleicht haben Sie beim Hineinhorchen in obige Bei-spiele bemerkt, dass das eine oder andere Beispiel blass geblieben ist in seiner Bedeutung für Ihr Leben, während ein anderes neugierig gemacht und wieder ein anderes Sie frappiert hat oder Sie klar erkennen ließ, dass Ihnen das fehlt für Ihr Selbst-Verständnis.

Vervollkommnung zu gewinnen ist; sprich: Erfolg, Glück, Leichtigkeit, natürlich auch Luxus, Geldfluss, Unwider-stehlichkeit; ... Kurz und bündig gesagt: dass es mehr als genug Chancen gibt, sich neu zu erfinden; vor allem: wie wir sie führen...

Was weniger deutlich gesagt wird ist: dass diese entsprechenden Trainings natürlich auch beinhalten, wie wichtig es ist, Mut zur Prüfung des eigenen Selbst und das der anderen aufzubringen - und, dass sich alles für uns Menschen in einem Interaktionsfeld abspielt; Kommunikation also von entscheidender Wichtigkeit ist, vor allem wie wir sie führen.

Mein Schwerpunkt für unsere menschliche Selbstverwirklichung ist, die gemäße Bedeutung der Beziehungs-felder im Auge zu haben, wie wir sie gestalten und welcher erlebbare Mehrwert sich daraus ergibt, bzw. zu erzielen ist.

Der Anthropologe und Zoologe Adolf Portmann hat erklärt, dass wir Menschen ein extrauterines Frühjahr brauchen nach der natürlichen Geburt, um im sogenannten ‚sozialen Mutterschoß‘ heranzureifen.

Wir brauchen es als Voraussetzung, um eine emotional gesunde soziokulturelle Persönlichkeit zu werden, bzw. um soziale Überlebenschancen zu gewinnen; nicht zuletzt auch, um unserer Sprachentwicklung willen: Sprechen /

Kommunikation - insbesondere dialogisch geführte, ist das Wichtigste für die Identitätsentwicklung als Selbstbeziehung

Dies steht in krassem Gegensatz zum Phänomen monologischer subjektbezogener totalitärer Beziehungs-formen - praktiziert von totalitär Denkenden, die Tyrannen der Menschheit sind - insofern, als sie ihnen Zuwider-laufendes kurzer Hand blockieren oder sogar vernichten.

Wir sehen unsere Beziehungsgestaltung zu anderen und Anderem ist an unsere Sprachfähigkeit gebunden und ist konstitutiv für unser Denken, Vorstellen, Konstruieren und Kommunizieren - basierend auf unserer Fähigkeit, dessen bewusst zu sein. Und so paradox dies für viele klingen mag, Freiheit schöpft sich aus co-kreativen Prozessen - also einem schöpferischen Zusammenwirken.

Freiheit ist also kein solipsistisches Endlos-Reflektieren eines denkenden und zweifelnden Ichs, das im Bann seines subjektiven Vorstellungsgestricks vergeblich um Befreiung ringt. Im letzten Kapitel des 3. Teils: Epilog: ‚Die Weisheit im Fragwürdigen‘ versuche ich dem Wissen um uns beglückendes ursprüngliches Freisein auf die Spur zu kommen.

Als Gestaltpsychologin bewege ich mich an der‚ Grenze als Ort des Zugleich‘: Die Grenze ist trennend und verbindend.

Beispielsweise kann Ich mich abgrenzen als an mir selbst Verzweifelnde oder - mich öffnend - der Erkenntnis Raum geben, dass ein Wissen in mir wohnt- und ich mich deshalb

als Fragende ins Freie / Offene / Fragwürdige bewegen kann. Wie das gehen könnte? Durch ein neues Verstehen mit dem Anderen, das alle mich einsperrenden subjektiven Reflexionen ins Schweben bringt. Es öffnet sich so ein Raum, in dem Verstehen co-kreativ mit dem anderen zur Kommunion wird als beglückende Einheitserfahrung.

Dieses sich ständig bewegende Geschehen kann an keinen Standpunkt gebunden sein, vielmehr führt die Fähigkeit des

‚In-der-Schwebehalten-Könnens‘ Regie und belohnt mit lebendigem Fortschreiten und ermutigendem Durchhalten unsere Suche nach Selbsterkenntnis.

Selbsterkenntnis durchzuhalten - verstanden als beflügelnde und aufhellende und öffnende Möglichkeit - ist gerade im Falle nach erschütternden Erfahrungen, die alles bisher Bewährte aushebeln, uns als darnieder Geschmetterte vielleicht auch an Narrheit und Unvernunft ausliefern, von größter Wichtigkeit. Zugleich fordert sie uns heraus, unsere menschliche Wunderbarkeit, sprich Wunden transformieren zu können, zu erforschen, zu prüfen und schließlich als Liebende zu feiern. Sokrates hat es sehr nüchtern so formuliert: „Erkenne dich selbst Mensch -

dann weißt du alles“. Er wirft uns also zunächst einmal auf uns selbst zurück, bzw. vermittelt, dass wir ein Wissen in uns haben, das uns notwendigerweise mit dem Wissen um unser Nichtwissen konfrontiert. Keineswegs um Agnostiker zu sein, jedoch um Schein-Wissen oder eine schwärmerische Potenzialausschöpfung nicht zu verwechseln mit Wahrheitssuche und Wahrheitsfindung.

Ihm geht es auf der Handlungsebene darum, das GUTE zu tun, was er mit GLÜCK gleichsetzte. Ethisches Handeln richtet sich, gemäß Sokrates an den 4 Kardinaltugenden aus: Klugheit /Weisheit; Tapferkeit; Mäßigung; Gerechtigkeit. Als Lehrender berief er sich auf seine innere göttliche Stimme

Er fordert auf, in „unausgesuchten Ausdrücken“, jedoch wahr zu reden und verweist darauf, dass seine Ankläger in schönen Worten geredet, jedoch nicht der Wahrheit entsprechend sich geäußert hätten. Was für ein Anstoß für einen völlig an Nutzen orientierten Zeitgeist, uns in Erinnerung zu rufen, dass GLÜCK, nach dem alle streben, mit GUTES-TUN gleichgesetzt wird! Und wie anders werden heutige ‚Selbstführungs-Technologien‘ angepriesen. Dieser Ausdruck stammt von dem französischen Philosophen Paul-Michel Foucault 1926-1984; dessen Anliegen war, die Menschen gegen ihren Willen dazu zu bringen, sich um sich selbst, um ihre Seele und die Wahrheit zu kümmern. Diese Formulierung lässt Aufhorchen. Sie entspricht der Tatsache, wie sehr öde Gewohnheits-Selbstläufer sprich Änderungsimmunität uns beherrschen.

In meinem vorliegenden Buch werden Sie, liebe Leser und Leserinnen, auch gespannt sein dürfen auf die uns alle gefährdende, weil uns verblendende Selbsttäuschung.

Nun springe ich von Sokrates zu dem am Ende des letzten Jahrhunderts, nämlich 1992 verstorbenen Quantenphysiker David Bohm. Er bringt sich wie folgt zu Wort in seinem Buch: Dialog mit dem Untertitel - Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Uns Menschen sei ein Wissen um Schönheit, Harmonie, Glückseligkeit angeboren - ein Wissen um unsere Ganzheit sprich Vollkommenheit.

Mit diesem Wissen kommen wir in Berührung durch partizipierendes Denken und entsprechendes Dialogführen.

Selbsterkenntnis erschließt sich aus der Frage nach dem

„Sinnfluss der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fließt“. So kann Veränderungsimmunität durchbrochen werden. Und uns beglückende Transformation kann gelingen durch die als Einsicht wirkende Intelligenz. Der Logos des Dialogs besorgt co-kreativ erzeugte not-wendende

Lösungen, die auf der subjektiven, wie auch auf der gesellschaftlichen Ebene weltweit gefragt sind. Eine weitere Voraussetzung dafür ist, dass die Stille Regie- und Wort-führend ist.

Bitte, liebe Leser und Leserinnen, schauen Sie sich um im Kapitel: Liebe - die höchste Intelligenz.

Nur um einer weiteren Anregung willen, möchte ich in diesem Zusammenhang noch in Kürze auf R. M. Rilkes Aussage zu sprechen kommen: „Ich glaube an alles noch nie Gesagte“ (dies ist der 1. Vers des gleich lautenden Anfangs dieses Gedichts).

Der 24-Jährige schwer Depressive fand zu dieser Formulierung und in ihr wurde er sich offensichtlich eines SEINS

gewahr, das sich in der Gestaltlosigkeit der Stille kundtut -

also vorbegrifflich.

David Bohm’s Aussagen diesbezüglich lauten: „Für unsere Selbst-und Welterkenntnis muss Stille im Gehirn herrschen“ (S. 173). „Ein solcher leerer Raum könnte im Dialog entstehen, wenn eine Gruppe von Menschen einander wirklich vertraut und den rechten Geist der Gemeinschaft besitzt.“ … Dies würde „einen Einfluß ausüben, der über das, was einem einzelnen möglich wäre, weit hinausgeht.“

Als Menschheit haben wir große Entwicklungsmöglichkeiten des individuellen, wie auch kollektiven Bewusstseins.

Allerdings gilt es radikal - sprich wurzelhaft vorzugehen.

Gerade für unsere heutige sich bedroht fühlende Gesellschaft, die gleichermaßen aggressiv wie bedürftig verkürzte Arbeits-zeiten für „Flucht und Pause“ einfordert - (so zu hören im Hörspiel von Gesche Piening mit dem Titel „Wie viele Tage hat das Leben“), eine Gesellschaft, die sich unausgesetzt nach etwas Anderem sehnt - dieses Andere aber nicht findet. Dafür könnte Dialogführung ein Raum sein, not-wendige Co-Kreativität bewusst zu praktizieren und fündig zu werden.

Schon der Kleine Prinz (von Antoine de Saint Exupéry) im Kapitel XXV sagt hellsichtig: „Die Leute schieben sich in die Schnellzüge, aber wissen gar nicht, wohin sie fahren wollen ...

Nachher regen sie sich auf und drehen sich im Kreise …“

Überreizt und voller Anspruchshaltungen - leidend an sich selbst - wohl am meisten am Mangel an Großherzigkeit - sind wir gefangen und halten uns in Gefangenschaft der Selbst-Monotonie, die in Sucht ihr Vergessen sucht. Oder: Blicken wir auf den Geschäftsmann im XXIII. Kapitel, so zählt er unablässig

„kleine Dinger, die glänzen“- Sterne sind gemeint -, um sie zu besitzen - nichts damit machend - dieses Papier in eine Schublade sperrend.

Diese zum Himmel schreiende Sinnlosigkeit, wie sie auch Franz Kafka mit unheimlich scharfem Verständnis und wortgewaltig uns vor Augen führt und zu Gehör bringt z. B. in seiner Erzählung: ‚Die Verwandlung‘, ruft uns zur Verantwortung auf: Sinnfindung zu ermöglichen, schon allein um des zu erlebenden Mehrwerts willen für unser mitmenschliches Leben.

In meinem vorliegenden Buch wagte ich in 3-Teilen mich mitzuteilen und ein prätentionslos offen geführtes Miteinander-sprechen anzuregen.

Ich freue mich sehr, wenn wir in Resonanz miteinander kommen.

Abrundendes:

Möge für Sie, liebe Leserinnen und Leser, dieses Buch ein Beitrag und oder eine Ermutigung sein, Ihre Lebensreise auszurichten an der Möglichkeit co-kreativer Sinnfindung.

Mögen wir nicht müde werden, stets aufs Neue deren Mehrwert auszuloten, stets aufs Neue herausgefordert, deren Fragwürdigkeit mit dem ‚Wissen um unser Nicht-wissen‘ zu durchdringen.

Nicht zuletzt möge sich vor allem den heute gängigen Liebespraktiken, wie : Speed-Dating, Tinder,

Spontanfick, Gelegenheitssex, Situationshype,… die wohl einer unglaubwürdig gewordenen tiefen Sehnsucht nach

‚SichLieben‘ in Gang gekommen sind, eine n e u e Bewertung zugute kommen: sie sind zwar verglichen mit früheren Zwängen frei zu realisieren, aber deshalb nicht glücklicher machend.

Mögen wir Ausblick halten, Zuversicht wahren - vor allem auf die s t i l l e Stimme des Selbst achten - so der tiefen Sehnsucht nach einem glücklichen erfüllenden ‚Sich Lieben‘

mit entsprechender Selbstliebe uns öffnen.

Es muss doch nicht so bleiben, sagt Eva Illouz in ihrem Buch

‚Warum Liebe weh tut‘. Und fährt fort: Dass „wir nicht wissen, was wir wollen, weil wir gar nicht wissen, wer wir sind“.

Das muss doch wirklich nicht so bleiben!

Selbsterkenntnis - Frag- und Sinnwürdigkeit zu kreieren ist ein großes Privileg. Das unbedingte JA zu mehr Selbstliebe, gepaart mit dem NEIN zu Missbrauch der Macht, segnet uns mit uns erfüllendem Leben, denn uns als Sich Liebende geht es immer um das unermessliche Ganze. Beherztheit ist uns allen eigen, so es uns ein tiefes Anliegen ist, dass das Wagnis Menschsein / Selbst-sein gelingen möge.

Lassen wir uns also beherzt auf die uns tragende und wohl auch universal aufgetragene ständige Transformation bewusst ein.

Im Sinne von zu erlebendem Mehrwert kann nur noch gesagt werden: Wir gewinnen alles!

SICH LIEBEN. Das bleibt.

Mit großem Dank

Ihre Hanna Gaugler

Prolog

*DIXBSHVUFGàOG+BISFBMUDas Spiel begann so:

„Balle, Balle, sag mir doch, wie viel Jahre lebst du noch? …

1 … 2 … 3 … 4 … “

Es galt, im Rhythmus eines Zweiertakts den Ball nach unten zu schlagen und dann seine Lebensdauer in Erfahrung zu bringen durch das Aufzählen weiterer Schläge.

Täglich erfüllte mich wohl für Stunden die sich wiederholende Freude, die mir dies bereitete. Und dann, eines Tages, konnte ich nicht mehr weiterzählen, was mich jedoch nicht daran hinderte, immer weiterzuspielen. Zwar kam mein Zählvermögen an sein Ende, nicht aber mein Staunen. Im Gegenteil, dieses wurde immer größer, denn ich entdeckte, dass, je heftiger der Ball auf dem Boden aufschlug, er desto höher in den Himmel schnellte ... Welche Verwunderung da in mir war. Ich stand Ball spielend auf der Terrasse meiner gütigen Tante, die mich, das damals unterernährte fünf- oder sechsjährige Nachkriegskind, zu sich in die Schweiz eingeladen hatte. Ich ging noch nicht zur Schule und hatte keine Kenntnis von Buchstaben. Und nun erfuhr ich ein Staunen, das mit Worten ohnehin nicht zu erfassen war, mich jedoch zutiefst beglückte. Welche Kraft brachte so etwas bloß fertig? Ich kam nicht umhin, davon auszuge-hen, dass diese Kraft irgendwie aus mir kommen musste.

Aber wie, so fragte ich mich gleich, war sie denn in mich hineingekommen? Könnte ich vielleicht später einmal, wenn ich selbst erwachsen geworden wäre, selbst so zum 9

Himmel springen und wieder zurückkommen? Und dann, als ich alle meine Kräfte sammelte, um diese Vision zu überprüfen, geschah es, dass der Ball so hoch hinaufflog, dass ich – vermutlich auch von der Sonne geblendet – ihn für einen kurzen Augenblick nicht mehr sah und bangte, ob er zu mir zurückfinden würde oder im Himmel bliebe.

Gott sei Dank hörte ich bald darauf das vertraute Geräusch seines Aufschlagens, bändigte seine Wildheit und hielt ihn fest in meinen Händen. Ich glaube, ich küsste ihn auch.

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Teil 1

11

3½ Tage Ewigkeit

Auftakt

Der Wecker ist abgestellt. Sie – noch in ihren Kissen liegend – tastet sich blinzelnd ins Morgenlicht. Duftiges, rosa getöntes Licht fällt durch das Fenster auf ihr Lager. Wie gut es tut, in dieses pfirsichweiche Morgenlicht einzutauchen und sich dem Tag entgegen zu räkeln. Wohlig und selbstvergessen. Seitlich liegend stützt sie sich auf den rechten Arm. Jetzt ist sie bereit aufzustehen und wirft die Zudecke zurück. Ein Sprung, und sie steht vor dem offenen Fenster. Tiefe Atemzüge durchströmen sie, begleitet von dem seltsamen Gefühl, nicht wirklich da zu sein. Als sei sie in zwei Wirklichkeiten – hier und doch nicht hier. Hier und zugleich woanders.

Als hätte ein himmlischer Schalter sich umgelegt, ist mit einem Mal der Lichtzauber zu Ende. Sie eilt in die Küche, schaltet den Kessel mit dem Teewasser ein und erblickt den zum Platzen angefüllten Koffer im Vorraum. Zurück im Zimmer öffnet sie ohne jeglichen Grund die Schublade, die ihre Tagebücher, Manuskripte, Fotos und auch ihre Ahnen-tafel birgt. Sie packt eines dieser Tagebücher und verstaut es schnell im Gepäck. Gewiss, sie darf nicht säumen – der Zug, mit dem sie in das neun Tage umfassende ,Loch‘ ihres 12

dicht gefüllten Terminkalenders fährt, nimmt seine Fahrt in knapp eineinhalb Stunden am Hauptbahnhof München auf.

Tee zu sich nehmend, gleichzeitig letzte Handgriffe an Ste-ckern, die sie herauszieht, ereilt sie das Läuten des Telefons. Das erinnert sie daran, dass sie auch noch die Ansage auf dem Anrufbeantworter zu ändern hat. Sie meldet sich mit einem lakonischen „Ja, bitte!“ Es ist ein Freitag, früher Vormittag, außerhalb ihrer Telefonsprechzeit. Die seltsam bebende Stimme eines Mannes, dessen Namen sie nicht kennt oder vergessen hat, bittet um einen Termin. Es han-dele sich um einen Notfall, sie möge bitte die unpassende Zeit entschuldigen. Dann, ohne zu pausieren – es war auch nicht möglich, ihn zu unterbrechen – sagt er, seine mit ihm in Trennung lebende Frau, die deutsche Mutter ihres fast zehn Monate alten gemeinsamen Sohnes, sei mit dem Kind auf Formentera über Nacht bei ihrem neuen Freund gelandet. Sie beabsichtige, dort zu bleiben. Er sei Lateinamerikaner, es breche ihm das Herz, und er frage sich, was er tun könne. Freunde hätten ihm empfohlen, diese Nummer anzurufen – da sei er mit seiner Not an einer guten Adresse. Jetzt holt er seufzend Luft, was ihr die Gelegenheit bietet, Folgendes zu sagen: „Bitte verstehen sie, ich kann nicht. Ich breche soeben auf in einen Kurzurlaub. Rufen Sie bitte bei meiner Stellvertretung an.“ Sie gibt ihm den Namen und die Rufnummer und fügt noch einmal hinzu: „Bitte, verstehen Sie! Auf Wiederhören.“ Sie legt auf, voller Mitgefühl. Aber in ihr laufen die Gedanken weiter: Wieder einer jener Fälle, wo Kinder – oft noch nicht einmal geboren – von ihren Eltern in Besitz genommen und wie Besitz behandelt, missbraucht oder sogar weggeschmissen werden. Blindlings reagierende Mütter und Väter, 13

die Selbsterlebtes ausagieren oder sogartig wiederholen, was sich bei ihren Vorfahren – vielleicht einem einzelnen Vorfahren – zugetragen hat. Oftmals dem Vergessen oder Verschweigen anheimgefallen ... Und unmittelbar, wie ein Donner auf den Blitz folgt, bricht die Erinnerung an einen Traum in ihr auf, mit dem sie eines Morgens vor nahezu 20 Jahren staunend und zugleich voller Furcht und Trauer aufgewacht war … Doch jetzt gilt es, das Taxi zu rufen und weiterzukommen. Sie will den Zug erreichen. Draußen ist inzwischen eine graue Wolkenwand aufgezogen.

Ein Albtraum

Sie lässt sich im schaukelnden Zug nieder. In ihrem Leben sind Reisen oft wie die Oasen in einer Wüste. Insbesondere Zugreisen, da findet sie leicht und geschützt zu Müßiggang, in dem sie losgelöst auf ihr Leben und das, was darin vor sich ging oder nicht, schauen kann. Pulsierendes, unmittelbares Lebendigsein ist es nicht – eher ein ,Draufschauen‘, indem sie ihren Gedanken freien Lauf lässt – wie jetzt.

Reisen, als Nische erlebt. Natürlich: Kein Wunder, denn so hatte ihr ständiges Unterwegssein doch begonnen. Damals, als sich der Albtraum des Verblutens ihrer Mama während der Geburt des Geschwisterchens – nach ihr – zugetragen hatte. Sie selbst war noch keine zehn Monate alt. Daraufhin war es unumgänglich gewesen, von der Wirkstätte ihres Vaters, dem wunderschönen Inselarchipel Palau, nach Europa zurückzukehren. In Wladiwostok mit dem Schiff angelangt, ging es weiter mit der sie schaukelnden, bergen-den und aus Todesnähe herausführenden transsibirischen Eisenbahn bis Berlin. Sie hatte während der Reise tagelang über 40 Grad Fieber. Und überlebte.

14

Ihre Gedanken galoppieren weiter: In Deutschland angekommen, folgte die Fortsetzung des Schrecklichen. Ihre zweite Mutter starb nach schwerstem körperlichen Verfall den Erstickungstod. Myasthenie heißt diese qualvolle, verheerende Krankheit. Sie war damals herangewachsen, inzwischen fast zehnjährig, und hatte nach der Pflege und dem Sterben ihrer zweiten Mutter den um fünf Jahre jünge-ren Bruder – Frucht der dritten Ehe ihres Vaters – in Obhut zu nehmen. Das war das strenge Geheiß ihres Vaters, nicht eingedenk, dass sie selbst noch ein Kind – noch viel zu jung war.

Dieser Albtraum vom grausamen Sterben junger schöner Mütter sollte ihr Leben beherrschen. Drei junge Ehefrauen hatte ihr Vater beerdigt. Konnte oder durfte sie selbst da zu einer blühenden Frau heranwachsen? Selbstverständlich nicht! Frau-Werden, Frau-Sein –welch ein Dickicht mit langen, spitzen Dornen. Sie selbst war darin festgehalten, blieb in finsterster Verlassenheit und Angst. Die verfluchte Antigone hatte ihr weit nähergestanden als ihre gleichalt-rigen, kichernden, in Geheimnissen ihres aufblühenden Fraulichen schwelgenden Mitschülerinnen. Allein das Lernen transportierte sie in eine Zone, in der sie die Wüstenei von Wertlosigkeit und Knechtung des verschmähten Weiblichen vergessen konnte. Endlich – erst spät, sie war längst erfolgreich berufstätig – riskierte sie, ihrer in ihr herange-wachsenen zäh sich behauptenden Sehnsucht Gehör zu schenken. Es musste möglich sein, einem solchen Grauen zu entwachsen. Daraus aufzuwachen – ein für alle Mal.

15

Ein ruckartiges Halten des Zuges – fast wäre sie auf ihr Gegenüber geschleudert worden – holt sie aus diesen Gedankenketten heraus, von denen sie sich im Übrigen längst erlöst wähnte. Das stimmt einerseits auch. Sie gab doch zum Zeichen und auch zum Dank, dass alles gut ausgegangen war, ihrem Refugium den Namen ,Europäische Südsee‘. Absurderweise, stellt sie jetzt erneut fest: Dieses uralte Steinhaus liegt in der Bergwelt nördlich von Riva, am Lago di Garda. Es weist einen krassen Gegensatz auf zu den Hütten auf Ngival, eine durch das Riff geschützte Ansiedlung auf Palaùs größtem Teil, der bewohnt ist und Babeldoab heißt. Sie freut sich darauf, die neun freien Tage ihres leeren Zeitfensters in ihrem übervollen Terminkalender dort zu verbringen. Schon liegt die Hälfte ihrer Anreise hinter ihr – die Überquerung des Brennero, die Grenze zwischen Österreich und Italien. Wie verheißungsvoll, jetzt zur lachenden Sommerzeit, sich in diesem Refugium wieder einmal umzusehen und zu handwerkeln. Arbei-ten, die über den Winter wegen der Kälte nicht durchzu-führen waren, jetzt in Gang zu setzen, vor allem was eine Wärme spendende und funktionierende Heizung betrifft.

Sie muss schmunzeln, warum gerade dieses zu den Hütten auf Palau in größtem Kontrast stehende Haus sie gefunden hatte. Auch waren die etwas herberen Menschen mit den in Clans und Häuptlingsräten organisierten Insulanern nicht vergleichbar. Jene leben viel unmittelbarer im Hier und Jetzt als diese Menschen, die angewiesen sind auf Planen und Machen. Doch sie liebt Paradoxien, das Gegensätzliche, welches sich nur durch das Leben selbst löst.

16

Die Kehrseite

Im Zuge ihrer Draufschau auf ihr Leben wunderte sie sich stets, wie sich das alles ereignet hatte. Die im Außen sich zutragenden, oft wirklich schrecklichen Ereignisse während ihres Heranwachsens behielten keineswegs die Oberhand. Das scheint ihr rätselhaft, so kommt ihr das jetzt, während der Fahrt, in den Sinn. Offensichtlich war sie trotz allem von einem tiefen Traum, von einem Zuhausesein, einem Wohnen in der Liebe gehalten. Es war keineswegs ein bewusstes Wissen um ein Glück, dem nichts hinzuzu-fügen wäre. Sie verfügte nicht über die entsprechenden Erfahrungen, ganz im Gegenteil. Ganz insgeheim, also selbst ihr verborgen, vertraute sie offensichtlich darauf, dass der Albtraum, der ihr Leben zuweilen immer wieder beherrschte und total infrage stellte, eine noch andere Seite haben musste, die eine versteckte Weisheit barg, die es nur herauszuschälen galt. Es musste eine Liebe tief in ihr geben, die keinen Mangel kannte, die all dem ,Schicksal‘ die Stirn bot. Eine Liebe, die sie unbewusst wissen ließ, auch eine Liebende zu sein, die vor nichts zurück-zuschrecken brauchte. In aller Stille träumte sich diese andere Seite in ihr. So musste es sein, wie hätte sie sonst die so bedrängende Wüstenei der frühen Jahre überleben können – damals.

„Nächster Halt: Trento“, informiert der Lautsprecher. Den Namen der vorletzten Haltestelle zu hören, löst aktuelle Überlegungen aus: Sollte der meist verspätete Bus heute pünktlich sein, würde sie noch vor Sonnenuntergang ihr Domizil, ihre ,Europäische Südsee‘ erreichen und in Augenschein nehmen können. Nebst aufwendigen Erledigungen, die auf sie warten, will sie sich auf langen herrlichen Wanderungen dem Spiel der Höhenwinde überlassen, die 17

zur Frühsommerzeit von den oft noch weißen Gipfeln des nahen Massivs Madonna di Campiglio ins Tal herabfallen.

Sie freut sich auch auf die oft unbeholfenen und holprigen Gespräche mit den eigenwilligen Menschen dieses mittelalterlichen Dorfes. Die Ungereimtheiten, die sich durch ihr mehr als dürftiges Italienisch ergeben, führen oft zu befrei-endem, nutzlosem Gelächter, das ihr Herz zu erwärmen vermag. Nun nähert sich der Zug der Station Rovereto und hält. Sie steigt aus und nimmt den Bus nach Riva. Von dort fährt sie mit dem Taxi die Serpentinen entlang ins sechs-hundert Meter hoch gelegene Borgo medioevale, namens Canale – Ortsteil von Ville del Monte. Da ist sie ...

Wie immer pocht ihr Herz. Auf welches Durcheinander wird sie im Haus treffen? Sie durchschreitet den höhlenarti-gen Eingang, öffnet die verriegelte Eingangstür. Aufatmen, kein Wasser kommt ihr entgegen, wie ihr das schon einmal erging nach einer schneereichen Winterzeit. Alles scheint in Ordnung zu sein. Auch der liebliche Garten – kaum größer als ein riesiges Badetuch – ruft ihr mit seinen Knospen und schon blühenden Lilien sein aufforderndes „Hallo“ entgegen. Das wuchernde Gras zwischen den Gewürzstöcken springt ihr ins Auge. Doch das hat alles Zeit. Erst einmal ankommen und ausschlafen, befehligt sie sich selbst.

18

Bündelung in das JetztErster Tag

Am nächsten Morgen – sie fühlt sich sprungbereit für den Tag – tastet sie sich in der Dunkelheit vor zum Fenster und öffnet die Läden. Ein graues Licht zeigt sich. Schwere, tief liegende Wolken füllen die Weite der sie umgebenden Bergwelt. Plötzlich reißt das Rauschen des einsetzenden flutenden Regens sie mit sich fort. Wo ist sie? Die Welt draußen versinkt, und das schwere Steinhaus wird eine im pazifischen Ozean treibende Insel zur Monsunzeit.

„Aber nein, ich bin doch hier.“ Sie fasst sich an, schaut sich um, will es sich bestätigen. Doch es gibt kein Halten, sie treibt bei meterhohem Wellengang in einem kleinen Motorboot – einer Nussschale – auf offener See fernab der sicheren Lagune. Sie zwingt sich in die ,richtige‘ Wahrnehmung: Sie ist in Sicherheit. Hier ist der Schreibtisch. Sie spürt doch ihre Füße am Boden. Nein, sie schaukelt nicht in dem Motorboot, welches damals im offenen Ozean mit abgeschaltetem Motor trieb. „Es ist doch gut ausgegangen!“, bestätigt sie sich selbst mit versiegender Stimme.

Das Wagnis, die Grabstätte ihrer Mutter aufzusuchen –

angetrieben von einer tiefsten Sehnsucht nach lebendigem Dasein –, war doch gut ausgegangen. Dieses Risiko, sich dem Unbekannten in ihr selbst zu öffnen und nahezukom-men, war doch gut ausgegangen. Die Bootsfahrt von Koror nach Ngival endete nicht mit Untergang. Nein! Von Gnade wunderbar gehalten, kam sie doch sicher an Land. Jetzt spürt sie die furchtvolle Entschlossenheit, die sie damals angetrieben hatte, diese Reise zu machen. Offensichtlich gilt es da nochmals hinzuschauen, es will noch etwas neu 19

verstanden sein. Es drängt sie jetzt danach, denn das in ihr Aufsteigende fordert sie auf herauszufinden, was nochmals voll wahrgenommen werden möchte. Etwas daran ist noch zu erledigen. Ein Griff, und sie hat das Tagebuch in der Hand, das sie ihrem Gepäck in letzter Minute gestern früh noch zugefügt hatte. Völlig überflüssig schien es ihr, doch jetzt folgt sie dem Impuls und liest: Lange Zeit fuhren wir in den sicherenGewässern der Lagune bei leichtem Regen dahin.

Doch dann schlugen plötzlich hohe Wellen. Derschwarzhäutige Steuermann stellte, sich berat-schlagend mit seinem Freund, den Motor ab. Er,mit gespannt besorgtem Gesicht. Ich, Stoßgebetedem Himmel aus der Tiefe zuschreiend. Ich sahnur noch den Monsunhimmel über mir und daswilde Toben der Wellen. Würde ich hier vom Meerverschluckt werden? Die beiden Männer schautenmit ratlos erstarrten Gesichtszügen ins Wasser.

Ich selbst, starr vor Angst, vermochte gar nichtsmehr, weder zu schreien noch mich zu bewegen.

Von überall stürmten tosende Wasser auf uns zu.

Krampfhaftes Festhalten. Zittern von innen undvon außen. Würden wir als Lebende hier raus-kommen? Todesangst! „Mama, bin ich von so weithergekommen, um hier von tosenden Wassern verschluckt zu werden?“

Ein starkes Klopfen an ihrer Haustür und dumpfe Schläge des Türklopfers schrecken sie auf. Wer will jetzt etwas?

Nein, jetzt ist sie nicht in Stimmung, jemanden zu begrü-ßen. Sie bleibt reglos still, hält inne und merkt in dem Moment, welche unermessliche, pulsierende Kraft ihren 20

Körper durchströmt. Nicht nur die Erinnerungen bestürmen sie, nein, es sind die zwei Welten – ein Damals und ein Heute, ein Dort und ein Hier –, die sich zu einem ein-zigartigen Jetzt zusammenfinden und ein Gegenwärtiges bilden. Sie sucht nach Worten, um dieses Erleben zu würdigen: „Das lineare Nacheinander in Zeit und Raum scheint aufgehoben zu sein. Ich bin dort und hier zugleich.“ Die Konstruktion von Realität, ihre lineare Ordnung, abhängig von Sinnes- und Gehirnfunktionen, ist aufgehoben, wie sie es so noch nie erlebt hat. Noch nie hat sie so unmittelbar erfahren, quasi losgelöst vom konkret örtlichen Hier gleichzeitig an einem zweiten Ort zu sein. Auch das Zugleich von Jetzt und Damals, Vergangenem und Jetzigem ist ihr neu. Es drängt sich ihr die Frage auf, ob es das, was als Realität bezeichnet wird, überhaupt gibt. Ob sie nicht vielmehr das Ergebnis einer Konstruktion aus dem Material ist, das begrenzte Sinnesfunktionen und begrenztes Denkvermögen herbeischaffen. Sie also keineswegs eine objektive Gegebenheit ist. Auch – und wiederum – scheint doch gerade dieser Körper das unumstößlich Realste und zugleich das Hinfälligste zu sein.

Was ist wirklich?

Sie hält inne. Verliert sie nicht gerade mit derlei Fragen den ohnehin bereits schwankenden Boden, und versinkt sie nicht in Abgründe, aus denen nicht mehr rauszukommen ist? Macht es Sinn, sich weiteren Fragen zu öffnen?

Doch diese rollen schon an, sie laufen immer weiter und setzen sich selbstständig fort: Gilt das auch für Leben und Tod? Sind gerade diese beiden nicht nur für ein lineares logisches Denken getrennte Wirklichkeiten? Gegensätze, die sich auszuschließen scheinen? Tod, diese allmächtige 21

Größe, seit ihren Säuglingsbeinen ist sie damit konfrontiert.

Ist er etwas nur Augenscheinliches, mit dem der Mensch sich identifiziert? Staunen! Sie tastet sich vor in ein ganz neues Selbstverständnis, wird aber erneut von aufleben-den Erinnerungen und Empfindungen mitgerissen. Erneut ihrem Impuls folgend, wendet sie sich dem damals Festge-haltenen in ihrem Tagebuch zu:

Wir fuhren dann, fast wie auf einenSchlag, wieder ruhig dahin. Die wogenden undtosenden Wassermassen zogen sich zurück undgrollten hinter uns. Wieder innerhalb der Laguneangekommen, war die Wasseroberfläche spiegel-glatt und gänzlich ruhig. Jetzt lachten mein Steuermann und sein Freund entspannt. Ich spürtewieder meine fünf Finger als Glieder der Hand, dieHand fest mit dem Arm verbunden, das schlagendeHerz durchflutet, der Rumpf und die Beine sindwieder verbunden, die Beine mit den Füßen ... Diebeiden Männer ließen ihre weißen Perlmuttzähneblitzen. Das Steuer wieder fest in ihrer Hand,trifteten wir mit eingeschaltetem Motor weiter.

Spuk, Hölle, Tod – vorüber! Überlebt! Jetzt kamich lebend an den Ort, wo ich meine ersten Lebensmonate verbracht habe. „Es ist zugleich der OrtDeines Grabes, Mama.“ Leben und Tod sind einenur für den Verstand nicht zu begreifende Einheit.

Erfüllt von großer Dankbarkeit legt sie ihr Tagebuch zur Seite. Ein lang gezogenes „Jaaa“ überrascht sie, „Spuk, Hölle, Tod dürfen endgültig vorbei sein.“ Sie atmet in diesem ,Jaaa‘ noch einmal und von tief innen kommend das Sterben ihrer Mutter aus – ihr Verbluten bei der Geburt 22