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Beschreibung

Ein erfolgreicher Mann, und er geht plötzlich solche Wege. Man ertappt sich dabei, Erklärungsversuche anzustellen. Mitten in die Berufskarriere platzen unerfüllte Bedürfnisse. Sexuell angetriebene Abenteuer bringen ihn in familiäre Zwangslagen. Die Manie entsteht, durch Aufenthalte im Spielkasino aus dem Alltag zu entkommen. Anstatt dessen übernimmt eine Art von Fremdsteuerung die Herrschaft über ihn. Und das Spiel verlangt seine Nahrung: Geld. Es ist überhaupt nichts Besonders vorgefallen, das ihn aus der Bahn geworfen hat, sondern er wirft sich absichtlich selbst aus ihr. Und am Ende sieht er all sein Tun als die Verwirklichung einer besonderen Form von Freiheit, nach der er immer gesucht hatte. Die Befreiung von der tonnenschweren Last des Lebens, die es ihm ermöglichte, alle Konventionen abzuschütteln.

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Inhalt:

Bemerkungen zur Herausgeberschaft:

Auszüge aus meinen Monatsbüchern von J. Ludusser

Nachwort des Herausgebers

Kleines Glossar:

Bemerkungen zur Herausgeberschaft:

Es war Anfang 2016, als mir mein Freund erzählte, dass sein Vater, Dr. Julius Ludusser verstorben war, und er von einem Notar aus dem Nachlass eine Art von Tagebuch übergeben bekam. Sein Vater hatte es verfasst.

Abgesehen von ganz wenigen persönlichen Sachen, war es am Ende der einzige Besitz des Verstorbenen gewesen. Das hatte mein Freund von der Leitung des Wohnheims mitgeteilt bekommen, in dem der Vater die letzten Tage seines Lebens verbracht hatte.

Nachdem der Sohn Ludussers die Aufzeichnungen seines Vaters gelesen hatte, erzählte er mir, dass er recht betroffen, mehr noch, erschüttert gewesen sei. Er habe das Papierbündel dann auch seiner Schwester gezeigt, die ähnlich reagiert hatte.

Ich war neugierig und sicher zu frech, als ich ihn fragte, ob auch ich da einmal Einblick nehmen dürfe.

Zu meiner Entschuldigung muss ich vorbringen, dass mein Freund davon wusste, dass ich schriftstellerisch tätig bin. Vermutlich deswegen, weil wir uns auch schon ewig kennen, wusste er, dass ich literarisches Interesse an erzählten Geschichten habe. Und er konnte sicher sein, dass ich solche Unterlagen niemals missbräuchlich verwenden würde.

Nach einiger Überlegungszeit und dem eingeholten Einverständnis der Schwester, erhielt ich leihweise die Sammlung der Texte, um Einschau zu halten. Es handelt sich um eine Autobiografie über einen bestimmten Abschnitt im Leben eines Mannes.

Ich bin auch stolz darauf, dass mir als außenstehenden offenbar das Vertrauen zugemessen wurde, sorgsam mit dem Einblick in die Familiengeschichte umzugehen.

Es handelt sich also um einzelne eng beschriebene Blätter, die sich im Lauf von vielen Jahren angesammelt hatten. Das meiste davon wurde handschriftlich notiert. Es sind aber auch einige mit der Schreibmaschine getippten Blätter dabei. Manche davon sind wohl einmal nass geworden und kaum noch zu entziffern.

Dennoch scheint es mir, dass die Erzählung vollständig ist, weil die Seiten zwar nicht nummeriert, aber in einem gemeinsamen Aktenbündel verschnürt waren, wie es Juristen - vielleicht aus alter Gewohnheit - noch heute tun.

Allerdings hat der Schreiber oft längere Phasen, manchmal sogar ganze Jahre, ohne schriftliche Notiz vergehen lassen.

Nach einigem Nachdenken schlug ich den Geschwistern vor, dass ich es gerne übernehmen würde, die Texte ihres Vaters zu editieren, und in eine dauerhafte Form zu bringen. Danach wäre geplant, dass ich als Herausgeber ein kleines Buch draus machen könnte.

Ich bekam das Einverständnis dazu und die Urheberrechte wurden an mich übertragen.

Wegen anderer Projekte, die ich zuvor zu erledigen hatte, dauerte es einige Jahre, bis alles so weit war, um die Veröffentlichung anzugehen.

Die einzige Bedingung dafür war die Auflage, alle vorkommenden Beteiligten zu anonymisieren. Auch bereits Verstorbene, deren Nachkommen eventuell Rückschlüsse auf bestimmte Personen anstellen könnten, habe ich entsprechend „getarnt“. Natürlich ohne, dass ich deswegen an der Erzählung des Autors etwas Substanzielles verändert habe.

Der Grund, der mich zu diesem Plan geführt hat, liegt darin, dass es sich bei dem Tagebuch um ein ganz besonderes handelt. Für Leser der vorliegenden Monatsberichte bietet sich damit nämlich ein seltener Einblick in die Welt der Spielsucht.

Freilich ist Ludussers Geschichte nicht typisch für alle Spielerkarrieren. Aber eine Ahnung davon, wie Spielsucht entstehen, wie sie verlaufen kann, und was sie aus dem Leben von pathologischen Spielernaturen machen kann, bekommt man schon.

Der Autor der folgenden Texte, der hier Umbenannte, schrieb auf, was er über sich herausgefunden hatte, aber worüber er mit anderen nicht sprechen konnte.

Authentische Biografien, die nichts beschönigen und nichts verschweigen, machen uns immer neugierig. Und nachdenklich.

Jedes derartige Konvolut wird mit Absichten verfasst. Viele Menschen möchten über diesen Weg eine Spur ihres Daseins hinterlassen. Vielleicht ist es auch nur der Versuch, die eigene Vergänglichkeit über den Tod hinaus zu überlisten. So bleibt etwas bestehen, aus dem das vergangene Leben immer noch schemenhaft herausleuchtet.

Das Tagebuch als Instrument gegen das Vergessenwerden.

Hinterlassenschaften dieser Art sind tatsächlich eine ergiebige Quelle dafür, was am Ende von einer Person in Erinnerung bleibt. Aber nicht jedem liegt etwas dran, sich über den eigenen Tod hinaus bemerkbar zu machen.

Ludusser aber hatte sein Tagebuch von Anfang an mit der Absicht geschrieben, es der Nachwelt zugänglich machen zu wollen. Man könnte es auch sein persönliches Testament nennen. Eines freilich, aufgrund dessen es keine materiellen Güter, sondern nur Lebensweisheit zu erben gibt.

Wegen der in dem Fall so eindrucksvoll erzählten Höhen und Tiefen im Gefühlsleben, scheint beim Lesen ein lebendiges Bild des Schreibers zu entstehen. Was sich jeweils in der hin - und hergerissenen Kreatur abspielt, meint man, mitfühlen zu können.

Der Schreiber war ein Mann. Und Männer - alle Männer - kämpfen wohl lebenslang damit, Wege zu finden, um mit ihrer Sexualität zurande zu kommen.

Natürlich tun Frauen das auch.

Im Fall des vorliegenden Buchs geht es aber darum, sich über das von einem Mann Geschriebene ein Bild zu machen. In dem Zusammenhang übrigens auch darüber, welches Frauenbild aus den Texten herausleuchtet.

Ob man aus Ludussers Schilderungen ein Mehr an Verständnis zum Thema des Triebhaften oder zur Psychopathologie der Suchtproblematik im Allgemeinen gewinnen kann, sei dahingestellt. Aber die chronologisch erzählte Geschichte ist nach meiner Ansicht ein Beispiel - eines von wenigen übrigens - für die eindrucksvolle Sichtbarmachung eines Spielerschicksals. Und in diesem Sinn leistet es auch einen Beitrag als Erklärversuch zum Phänomen der Spielsucht.

Der Autor hat seine Aufzeichnungen mit dem Übertitel versehen: Veröffentlichung nur nach meiner ausdrücklichen Zustimmung erlaubt!

Meine beiden Freunde, eben die Erben dieses Lebensberichtes, fühlten sich aber berechtigt, in Vertretung und im Wissen, dass sie im Interesse ihres Vaters handeln, diese ausdrückliche Zustimmung zur Veröffentlichung an seiner statt, zu erteilen. Vor allem auch deswegen, weil ihr Vater ja ausgedrückt hat, dass seine Geschichte eine sei, die eventuell veröffentlicht gehöre.

Hätte er verfügt, dass seine Unterlagen nach seinem Tod zu vernichten seien, würde der Übertitel anders lauten. Also lag die Veröffentlichung immer im Bereich des Möglichen. Seine Kinder sind der Ansicht, er hätte es genauso gewollt, wie es nun stattfindet.

Auszüge aus meinen Monatsbüchern von J. Ludusser.

Februar 1975

Ich bin einer, der keine Tagebücher schreibt. Ich hasse Tagebücher. Was kann man schon über einen einzigen Tag berichten? Was geschieht denn schon Großartiges oder Schreckliches an einem einzigen Tag?

Lähmend ist es schon, wenn ich nur daran denke, in einem Tagebuch etwa zu erwähnen, man sei morgens aufgestanden, habe nach dem Bad gefrühstückt und sei dann außer Haus gegangen, um dies oder jenes zu tun. Dann sei dies oder das geschehen und das Wetter sei so oder anders als gestern gewesen. So etwas zu schreiben hat für Autor und Leser die gleiche Funktion, wie es das Zeittotschlagen hat.

Im Gegensatz dazu ist es in meinem Leben bisher immer so gewesen, dass sich alles Nennenswerte, Großartiges wie auch Schreckliches, immer über Tage verteilt ereignet. Es entwickelt sich allmählich, bevor es sich schlussendlich als das Tatsächliche zeigt. Mir zumindest kommt es so vor.

Die Wirklichkeit zeigt sich nicht im Augenblick, sondern sie braucht Zeit, um als solche auch erkannt zu werden. Deswegen schreibe ich Monatsbücher.

Außerdem tut es gut, über Ereignisse und Erlebnisse des Tages erst einmal eine Nacht zu schlafen. Schon am nächsten Morgen sieht doch vieles gleich anders aus. Und nach mehreren Tagen dann nochmal anders.

Ich gebe zu, dass ich nicht immer konsequent bin. Sklavisch halte ich mich nicht an diese Grundsätze. Aber ich bemühe mich immerhin darum. Ich bemühe mich, meine Gedanken zu ordnen, sie zu relativieren und alles möglichst auf den Punkt zu bringen. Ich bemühe mich, nüchtern an die Dinge heranzugehen, die mich beschäftigen. Ich hasse Gefühlsduselei. Ich liebe Fakten.

März 1975

Jetzt, kurz vor dem zu Bett gehen raffte ich mich dennoch auf, wieder einige Zeilen zu notieren. Ich bin müde. Aber nicht nur körperlich. Wie kommt das? Ich bin doch erst 39 Jahre alt. Vielleicht sollte ich mehr Sport betreiben oder gesünder leben. Ich höre ein wenig in mich hinein. Was bewegt mich denn eigentlich? Ich stelle fest, dass ich gerade jetzt Lust auf spontanen Sex hätte. Aber im nächsten Moment merke ich, dass die Lust auch wieder nicht so stark ist. Es muss nicht unbedingt und schon gar nicht sofort sein. Das Drumherum ermüdet mich manchmal schon, wenn ich nur dran denke. Dabei wünsche mir schon so lange ein Mehr an Sexualität in meinem Leben. Manches Mal sogar ein riesiges Übermaß davon.

Aber es soll ein irgendwie problemloser, ein fröhlicher, ein vollkommen ungezwungener Sex sein, der weder meine Frau noch mich zu etwas verpflichtet. Es sollte einfach nur so stattfinden, ohne dass man darüber davor oder danach noch diskutieren muss. Ich frage mich, ob so eine Art von Sex vielleicht mit einer anderen möglich wäre.

Ich beschäftige mich kurz mit der Vorstellung, verwerfe aber den Gedanken gleich wieder. So schnell lässt mich aber das Thema nicht los. Man müsste mit einer neuen Partnerin wieder ganz von vorne anfangen. Man müsste sich erst kennenlernen. Womöglich gerate ich dann an eine, die es ganz genau wissen möchte. Ich hasse die Vorstellung, wenn ich womöglich danach gefragt werde, wie es war, ob es gut war oder o.k., oder gar, ob sie oder ich gut im Bett waren oder sind oder früher einmal besser gewesen sind. „Hattest du eigentlich je mit einer Anderen (einem Anderen) besseren Sex?“ Purer Horror, so eine Bemerkung. Wie verkannt wird doch die Sexualität. Jedenfalls meine. Wie weit weg von Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit man geraten kann!

Vielleicht werde ich irgendwann einmal, freilich ohne jede Planung, an eine bestimmte Art von Frau geraten, die meine Ansichten darüber teilt. Kein Zwang zum Vorspiel, Hauptakt und Nachspiel. Schon allein diese Namen! Akt, Penetration, sich gegenseitige Befriedigung verschaffen, Geschlechtsverkehr. Oder noch viel schlimmer all die mundartlichen Verballhornungen oder zotigen Bezeichnungen, die ich zum Glück nicht einmal alle kenne.

Ja, ich sehne mich oft nach dem vollen Ausleben meiner Sexualität. Aber nicht unbedingt. Ich kann mir den richtigen Sex, den wirklichen, nicht vorstellen, wenn ich merke oder auch nur ahne, dass meine Frau eigentlich gar nicht will. Nur kein Zwang soll existieren, sich nach irgendwelchen Regeln oder sogenannten Normalitäten zu verhalten. Nirgends. Und schon gar keine Moral bei diesem Thema. Dafür ist beim erfüllten Sex kein Platz. Nur keine Verpflichtungen im Hinterkopf spüren. Nur kein Druck auf der Seele, keine Gewissensbisse. Das gilt für mich auch weitgehend für den normalen Alltag. Ich hasse Zwänge, wenn sie auch noch so vernünftig sein mögen. Dabei dürfte es oft und oft so sein, dass ich mir diese Zwänge sogar selbst auferlege. Weil man das halt so gewohnt ist, weil man das halt nun einmal so macht. Das ärgert mich. Aber schließlich bin ich doch auch nur ein Durchschnittsmensch, wie all die anderen auch, die in meinem Leben vor, neben oder hinter mir hertrotten. Allein für diese bescheidene Erkenntnis habe ich leider übermäßig lange gebraucht.

Ja ich weiß, von so einer destruktiven Einstellung muss ich endlich wegkommen. Ich möchte nämlich in Wahrheit kein Durchschnittsmensch sein. Allein der Gedanke, dass ich einer sein könnte, quält mich schon. Aber vermutlich funktioniere ich trotzdem nach genau den gleichen Mustern, die irgendwann Andere vorgegeben haben und von denen keiner mehr weiß, woher sie eigentlich kommen.

Es läuft halt alles schon in diesen altbekannten und eingefahrenen Geleisen. Ich komme da wahrscheinlich auch nicht mehr raus. Ich werde die nächsten Tage noch gezielter darüber nachdenken, nehme ich mir vor. Jetzt erst einmal Fernseher aus und ab ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag. Jetzt kann ich jedenfalls nicht mehr denken und schon gar nicht mehr schreiben.

April 1975

Meine Frau schläft schon. Die Kinder sind für zwei Tage bei Oma. Für mich die Gelegenheit, in meinem Zimmer noch einiges zu notieren. Heute hatte ich einen schweren Tag. Viele Gespräche, viele Termine. Irgendwie habe ich damit gerechnet, schließlich habe ich eben erst mit meiner eigenen Kanzlei begonnen. Aber den ganzen Tag diese unangenehmen Telefonate. Telefonate hasse ich besonders. Warum können die Leute nicht von Angesicht zu Angesicht mit einem sprechen? Aber es geht ja nicht nur mir so. Ich weiß, das muss ich alles aushalten. Auf dem Nachhauseweg war ich noch in meinem Stammlokal. Ein paar Gläschen Bier habe ich mir genehmigt und mit der neuen Kellnerin geschäkert. Ein hübsches Mädchen. So fröhlich und so unkompliziert. Natürlich werde ich mich nicht ernsthaft um sie bemühen, das kann ich mir doch gar nicht leisten in meiner Position. Aber ein wenig flirten muss erlaubt sein. Jedenfalls habe ich sie mir nackt vorgestellt. Das muss in der Realität ein erfreulicher Anblick sein. Ihr Freund hat Glück. Ach ja, die Realität. Zwei Freunde habe ich im Lokal auch getroffen. Sie schwafelten so dummes Zeug über die politische Lage in Amerika daher, dass ich dann verschwunden bin. Im Fernsehen war nur Scheiße, deswegen habe ich die Kiste abgestellt. Die Sache mit dem Sex geht mir nicht aus dem Kopf. Habe ich so ein unbefriedigendes Sexualleben? Und wenn ja, bin ich selbst schuld daran? Ich habe doch eine attraktive Frau. Sie ist noch dazu jung, (Franziska, ich nenne sie Zis oder Zisi, ist immerhin um 6 Jahre jünger als ich) aber irgendwie meine ich zu spüren, dass sie in den letzten Jahren immer weniger Interesse an Sex zeigt. Bemühe ich mich zu wenig um sie? Oder mag sie mich nicht mehr so wie früher? (Wobei es auch früher nicht gerade übertrieben super mit uns war) Normal halt, wie ich mir denke. Aber ich möchte eigentlich mehr als „normal“. Jetzt möchte ich mehr.

Früher spürte ich das nicht so. Auf Dauer kann ein Mann mit Onanie nicht leben. Das ist mir jedenfalls klar. Ich habe kürzlich wieder gelesen, was ich ohnehin bereits wusste. Ohne befriedigendes Sexualleben gibt es keine Zufriedenheit im Leben und schon gar keine, in der Partnerschaft. Aber bei mir scheint es umgekehrt zu sein. Meine Partnerschaft ist durchaus zufriedenstellend. Ich bin froh, meine Frau Zis zu haben und die beiden Kinder, so anstrengend sie auch sind. (Dabei meine ich alle drei). Und wenn ich mich mit anderen vergleiche? Vielen geht es da weit schlechter.

Was heißt schlechter, mir geht es ja gar nicht schlecht. Aber vielen andern geht es besser, das ist mein Maßstab. Ist eigentlich mein, oder unser Sexualleben jetzt der Gradmesser der Zufriedenheit in der Ehe? Oder sind eher das Ausmaß, die Intensität und Nähe in der Beziehung bestimmend für die Qualität des Sexuallebens? Qualität des Sexuallebens, wie blöd das klingt. Könnte von einem Therapeuten stammen. Nun bin ich zu müde, um weiterzuschreiben.

Mai 1975

Gestern haben wir nach geschlagenen 14 Tagen wieder einmal miteinander geschlafen. Ich fühlte mich ganz wohl dabei. Und ich hatte den Eindruck, es hat uns beiden gutgetan. Oder betrüge ich mich womöglich selbst, in dem ich das glaube?

Die Kinder spielten im Garten, das tun sie selten, noch seltener miteinander und ganz selten so lange, ohne einen gewaltigen Streit zu haben. Meine Frau hatte die Initiative ergriffen.

Ich bin ihr willig gefolgt. Es ist eigentlich fast schon zur Norm geworden, dass sie mir anzeigt, wenn sie Lust hat. Ich habe das früher immer gemacht, aber dann kam zu oft: Es geht nicht, ich habe die Regel, oder: Wir müssen doch morgen wieder früh raus. Also habe ich die Steuerung ihr überlassen.

Freilich versuche ich in bestimmten Augenblicken noch, mich bemerkbar zu machen. Manchmal funktioniert es dann auch, aber wenn ich darüber nachdenke, dann ist das in der Vergangenheit immer seltener vorgekommen. Wenn sie mir zeigt, dass sie gerne mit mir schlafen möchte, dann habe ich noch nie gesagt, dass ich dazu zu müde wäre oder gerade keine Lust habe. Auch wenn das vielleicht kurz zuvor noch so gewesen ist. Ich bin in dieser Hinsicht in nur wenigen Sekunden umzustimmen.

Ich merke immer wieder, welch große Rolle Sex in meinem Leben spielt. Und ich leide, weil ich im tiefsten Inneren in mir spüre, dass da noch viel schlummert. Vieles, von dem ich selbst nicht so genau weiß, was das sein könnte. Aber es möchte erweckt werden. Irgendwann oder schon bald?

Noch schnell dazu: Nehme ich Sex zu wichtig?

Mai 1975 Nachtrag

Als ich meinen Mai-Text nochmal überflogen habe, fiel mir natürlich auf, dass es auf der Welt sehr viel Wichtigeres gibt, als meine Befindlichkeit.

Klar könnte ich mir jetzt den Kopf darüber zermartern, ob der Friedensschluss zwischen Israel und Ägypten gelingt. Aber sind wir in solchen Fragen nicht alle auf die Zuschauertribüne verbannt? Was kann ich da tun? Und ob die Sache so oder anders ausgeht, ich muss morgen früh wieder in die Arbeit.

Juni 1975

Die Kinder. Maria ist nun schon drei Tage krank. Sie muss im Bett bleiben, möchte aber ständig aufstehen. Das ganze Kinderzimmer riecht nach Medikamenten. Sie ist erst neun Jahre alt, oder eigentlich schon neun Jahre.

Ja, eigentlich ist die Zeit schnell vergangen. Das stellen alle Eltern fest, wenn sie auf ihre Kinder sehen. Ich habe ihr ein Computerspiel mitgebracht, damit ihr nicht so langweilig ist. Sie bittet mich ständig, bei ihr zu bleiben und mit ihr etwas zu spielen. Ich bin aber gerade heute wieder ziemlich geschafft. Meine Frau nötigte mich dazu, bei Maria sitzen zu bleiben, denn sie habe das kranke Kind schließlich den ganzen Tag, und ich komme nur, um ihr einen Gutenachtkuss zu geben. Schließlich habe sie auch nur Nerven und müsse sich auch noch um ihre Arbeit kümmern.

Ja, ich weiß, das ist richtig so. Deswegen zwinge ich mich auch dazu. Arbeitsteilung in der Familie, im Haushalt, das haben wir schließlich vereinbart. Ich stehe dazu. Aber sie macht zu Hause ihre Buchhaltungen. Es sind doch ohnehin nur fünf oder sechs kleine Firmen, die sie bearbeitet. Freilich ist meine Kanzlei auch dabei. Ob da so viele Belege anfallen? Ich weiß es nicht und will es auch gar nicht genauer wissen. Den Rest des Tages kümmert sie sich um den Haushalt. Ich hänge in dieser Zeit in der Kanzlei oder bei Gericht fest. Nach meiner Meinung ist die Arbeit gerecht aufgeteilt. Und ich bringe auch weit mehr Geld nach Hause, aber das nur nebenbei und das erwähne ich meiner Frau gegenüber nie, denn das weiß sie ohnehin.

Morgen findet die Vernissage einer Gemäldeausstellung statt. In meiner Hausbank. Da muss ich hin, schon allein deswegen, um zu sehen und gesehen zu werden. Das ist in meinem Beruf als Anwalt wichtig.

Wenn man nicht bekannt ist, dann kommen auch keine Klienten. Und ich habe meine eigene Kanzlei erst seit einem Jahr. Davor war ich Partner bei meinem Freund Max. Aber wir haben uns einvernehmlich getrennt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Jeder von uns war der Ansicht, dass es ihm allein besser gehen würde, also haben wir uns nach immerhin fünf Jahren wieder getrennt. Aber wir sind noch befreundet, auch unsere Frauen sind befreundet. Das ist gut so.

Also werde ich morgen zur Vernissage allein gehen, denn meine Frau muss bei der kranken Tochter bleiben. Sohn Josef, genannt Jo ist wieder einmal bei Oma (zum Glück haben wir diese Möglichkeit) Er ist gerne dort. Er ist dort der Star, obwohl er erst 5 Jahre alt ist. War es dumm, unsere Kinder Maria und Josef zu taufen? Damals hielten wir das für eine gute Idee. Wir haben gelacht und uns die Leute vorgestellt, die sich das Maul darüber zerreißen werden. Unseren Eltern ist das zuerst gar nicht aufgefallen. Die waren nur froh über die Enkelkinder.

Ich bin stolz darauf, nun einen guten Vorsatz zu haben. Ich werde mir das Rauchen abgewöhnen. Mal sehen, wie das geht. Ich bin selbst neugierig, ob ich stark genug sein werde. Aber immerhin habe ich es nun endlich bis zu diesem Vorsatz geschafft. Noch vor Kurzem hätte ich gesagt, dass ich gar nicht aufhören möchte, um mich beim Aufhören nur ja nicht beweisen zu müssen. Aber nun ist es hoch an der Zeit, bevor ich mich noch zu Tode rauche. (40 täglich, manchmal mehr)

Mit dieser Unart, die mir anscheinend mein zigarrenrauchender Vater vererbt hat, habe ich erst im Alter von 32 begonnen. Dennoch rechne ich mich ganz zur Generation, die man nun als die 68-er bezeichnet. Zu der Zeit habe ich schon drei Jahre in einer Anwaltskanzlei gearbeitet. Ich war zwar fortschrittlich eingestellt, aber zum Demonstrieren fehlte mir der Impetus.