Malmotta - Das Unbekannte (Science-Fiction-Roman) - Walther Kabel - E-Book

Malmotta - Das Unbekannte (Science-Fiction-Roman) E-Book

Walther Kabel

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Beschreibung

Dieses eBook: "Malmotta - Das Unbekannte (Science-Fiction-Roman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Walther Kabel (1878-1935) gilt als einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller der 1920er Jahre. Aus dem Buch: "Eversam lachte mich gründlich aus. "Wenn du die Urwüchsigkeit derer kennenlernen willst, wirst du wohl die entlegensten Inseln aufsuchen müssen. Weiber und Mädchen, nur mit dem einst üblichen Ridi, dem Schürzchen aus geräucherten Fasern der Kokospalmblätter bekleidet, – Männer wie köstliche Bronzestatuen mit freiem Blick, ungezwungener Haltung, behängt mit Muschelketten, Armspangen und billigem und doch dekorativem Tand, – – die Kultur fraß das alles! Du sahst ja die Gilbert-Damen mit europäischen Hüten vorvorletzter Mode, mit Seidenfähnchen, mit Talmischmuck aus Fabriken in Birmingham, mit grellen Sonnenschirmen, – die natürliche Keuschheit dieser Insulanerinnen kapitulierte vor dem allgewaltigen fremden Gelde, – das Mannsvolk klettert nicht mehr in die Palmenbäume empor, um Palmensaft abzuzapfen und Palmenwein daraus zu bereiten, Brandy und Gin und Teufelsgesöff dunkelster Art versengt ihnen Hirn und Seele, – die meisten verdingen sich bei den reichen Pflanzern, sind entnervte Kulis geworden, – – es war einmal ein Paradies, heute ist's trauriger Niedergang, denn zu einem geistigen Aufstieg reicht's bei diesen Südseekindern nicht, soll's auch nicht reichen, – der Europäer ist der Nutznießer, mild ausgedrückt …"

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Walther Kabel

Malmotta - Das Unbekannte (Science-Fiction-Roman)

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN  978-80-268-5414-2

Inhaltsverzeichnis

1. Der Nachlaß eines Toten
2. Jan Terpe, der Flüchtling
3. Die Herzogin von Bellcastle
4. Die Goldwäscherei
5. Der Mann, der Aristide heißt …
6. Nächte auf der Astarte
7. Eine Probe Taifun
8. Unsere Insel
9. Die Meuterer
10. Das Wrack der Astarte
11. Die neue Schöpfungsgeschichte
12. Zwei Gräber
13. Peter Bolks Aufzeichnungen
14. Das Fest des Sonnenkönigs
15. Ausklang

1. Kapitel Der Nachlaß eines Toten

Inhaltsverzeichnis

Freund Patumengi, und hier trifft die Bezeichnung Freund zu, hob warnend die winzige sehnige Hand und deutete durch das Gestrüpp auf die offene Steppe hinaus, wo ein alter Bursche auf einem mageren Dromedar dahergetrabt kam.

»Das ist er, Olaf …« flüsterte der Zwergenhäuptling grinsend.

Er hatte Grund zum besonderen Lächeln.

Was da nahte, war ein Unikum, ein Original, eine Rarität. Ich hätte mir den Mann weit eher in die Gefilde Karl May’scher Indianerromantik hineingewünscht als hier in die Urwaldregion der südöstlichen Grenzgebiete Abessiniens.

Ich nahm mein Fernglas und beäugte das Wunder.

Also das war Peter Bolk, Eigentümer eines jämmerlichen Küstenfahrers, Deutscher von Geburt, längst verniggert, längst herabgesunken zum schnapsfrohen Dauergast elender Hafenspelunken, nebenbei – auch ein Freund Patumengis, den er regelmäßig alle drei Monate besuchte.

… Ein hagerer greisenhafter Mensch mit einem ungepflegten weißen Patriarchenbart, mit einer dicken blauroten Nase im tiefgebräunten, tiefgekerbten fleischlosen Gesicht: Ein mit Haut und Haaren überzogener Totenkopf.

Anzug?!

… Ein längst ausgedienter blauer Jackenanzug mit goldenen Ankerknöpfen, ein Gummikragen, eine speckige schwarze Schleife, hohe Schaftstiefel, in denen die zerknüllten Hosen staken …

Und doch …

Selbst die Kapitänsmütze, mochte sie noch so verwittert sein, saß keck auf einem Ohr, und der Gesamteindruck Peter Bolks verbesserte sich entschieden bei kritischer Würdigung der Einzelheiten seiner Erscheinung.

Daß er um die doppelreihige Jacke einen Ledergurt geschnallt hatte, an dem die Futterale zweier Pistolen hingen, – daß er vor sich am Sattelknopf eine kurze Winchesterbüchse griffbereit baumeln ließ, – daß er auf dem Rücken am Riemen ein Messingfernrohr von museumsreifer Antike sehen ließ … – – Nebensachen alles …! –

Patumengi trat ins Freie.

Patumengi ist etwa 1,10 Meter groß, aber sein Kopfputz aus Federn läßt ihn dreißig bis vierzig Zentimeter dazumogeln.

Er, intimer Vertrauter eines abessinischen Kaisers, er, so alt, daß er seine Jahre nur mehr schätzen kann, er, Gebieter von tausend Doko-Zwergen, verteilt auf sechs Baumsiedlungen, – er mit seinem durch Silberspangen zusammengehaltenen Leopardenfell, mit dem zerknitterten, mehr gelblichen als braunen Gesicht, begrüßte den Ankömmling mit der natürlichen Würde eines Greises, dessen Vergangenheit mehr Abenteuer aufweist, als in einem Dutzend Romane sich zusammendrängen ließe, – er sprach zu Käpten Bolk in seinem seltsamen Kauderwelsch, das vielleicht an das Englische erinnerte:

»Sei willkommen in meinem Reiche, du Sohn des Meeres! – Hier ist mein Freund Abelsen, – schenke ihm deine Seele, denn seine eigene Seele ist wie die weite Steppe, die im Sonnenlicht daliegt und keine Schatten besitzt.«

Peter Bolk schien jedoch dieser blumigen Empfehlung nicht recht zu trauen. Aus seinen klaren blauen Augen traf mich und meinen Fennek ein nadelscharfer Blick.

»Seit wann hast du dir den Gentleman als Prunkstück zugelegt, alter Patu?!«

Patumengi nahm diese kühle Abweisung gelassen hin. »Dein Herz ist hart,« sagte er nachsichtig. »Ich kenne dich … Ich kenne auch Olaf Abelsen. Er war mit im Berge der Affen, o Sohn des Meeres.«

Peter Bolks Mißtrauen war nicht so leicht zu zerstreuen. »Mister Abelsen,« meinte er grob-ehrlich, »was sind Sie von Beruf?« Er hatte sein Tier niederknien lassen und war abgestiegen.

Er hielt sich gebückt, seine Gestalt wirkte schlaff und altersgebeugt, er schien ohne geistige und körperliche Spannkraft zu sein, er hatte die trägen Bewegungen eines Menschen, der vom Leben nichts mehr erwartet, dem alles gleichgültig ist, dem das Schicksal mißlaunige Nackenschläge verabfolgte, bis der davon Betroffene eben zusammenbrach.

Aber – – seine Augen!

Sie waren jung, fast zu jung, sie leuchteten in einem Feuer, das entschieden alles andere an dieser Persönlichkeit Lügen strafte, in ihnen schimmerte die klare Weite der Ozeane, funkelte der Nachglanz toller Orkane mit zuckenden Blitzen.

»Mein Beruf, Mr. Bolk …?« erwiderte ich belustigt. »Einst Ingenieur, dann Sträfling, zur Zeit steckbrieflich Verfolgter, Weltentramp, Abenteurer, Nichtstuer, akademischer Vagabund, meinetwegen auch Opfer der irrenden Dame Justitia, die man vorsichtshalber stets mit einer Binde vor den Augen darstellt, – ein dickes Brett wäre besser. – Wünschen Sie noch mehr?«

Seine Blicke durchforschten mein Gesicht.

»Patumengi ist Menschenkenner,« murmelte er. »Und – alle zwanzig Jahre kehrt sie wieder, – die Tatsachen sind nicht wegzuleugnen …« Seine Züge bekamen etwas Träumerisches. »Alle zwanzig Jahre – es stimmt schon …« Er wandte den Kopf zur Seite, dann aufwärts. Er starrte in den lichtblauen Himmel, der vom Sonnenglast erfüllt war. Ein paar Aasgeier schwebten träge über einer fernen Baumgruppe …

Patumengi raunte mir zu: »Du siehst, er hat seine Anfälle, er ist krank …«

Peter Bolks Gesichtsmuskeln zuckten wie im Krampf. Er bemerkte nicht einmal, daß mein Mukki-Fennek, echter nubischer Wüstenfuchs, schlauer als ein Pudel, anhänglicher als der treueste Hund, seine hohen, stark gefetteten Schaftstiefel beschnupperte. Fenneks buschige Rute reckte sich langsam hoch, die Fledermausohren richteten sich auf, und Mukki stieß ein ganz sanftes, leises Kack Kack Kack Kack aus.

Mukki ist mir sicherster Charakterdeuter. Peter Bolk mochte geisteskrank, verkommen, entgleist sein: Ein übler Wicht war er niemals. Der Fennek »riecht« die Abgründe der Seele.

Nun senkte der Käpten den Kopf, sein Gemurmel erstarb, er bückte sich, streichelte Fenneks gelbliches Seidenhaar und sagte dazu:

»Sie lieben Tiere, Abelsen …«

»Ja.«

»Das spricht für Sie … – Habt ihr eure Dromedare in der Nähe?«

Der Zwergenkönig spähte in die Ferne. »Ich hörte drei Schüsse, o Sohn des Meeres, und dort kreisen die Geier …«

Peter nickte. »Sie waren wieder hinter mir her, die Schufte … Und dann waren sie vor mir, alter Patu. Aber mit solchen Schlichen fängt man Käpten Bolk nicht … Reiten wir hinüber. Sie sind tot. Lebend wollten sie mich haben. Die Würfel fielen gegen sie. Es war ein ehrlicher Kampf von meiner Seite, Abelsen.« Er schaute mich an. »Die drei kämpften unehrlich. Einer mag Pferdedieb in Texas gewesen sein. Er warf den Lasso wie ein Jongleur, aber meine Kugeln waren flinker.«

Patumengi hatte unsere Dromedare durch einen Pfiff herbeigelockt. Wortlos trabten wir zu den fernen Büschen. All das war sehr seltsam.

Wortlos betrachtete ich die Toten, drei Kerle wie Strauchdiebe. Jedem saß die Kugel im Hirn.

Bolk sagte kalt: »Das sind sie … Vor zwanzig Jahren waren sie jung … Sie wußten viel, und sie klebten sich an meine Fährte, bis sie mich fanden … Narren!! Als ob’s auf Malmotta Gold gegeben hätte!« Er lachte bitter. »Gold?! Immer wieder dieser verfluchte blanke Dreck, Abelsen! Immer noch werden die Menschen zu Halsabschneidern dieses jämmerlichen Metalls wegen! – Buddeln wir sie ein … Der da hieß Joicker, der da Mortison, der da Petersen … um den tut’s mir leid, um den Petersen, das war noch der anständigste. Aber auch sein Herz war nur noch ein Spritfaß, die Kerle hatten den Alkoholwurm im Schädel – wie ich, denken Sie nun, Abelsen, und Sie lächeln sicherlich ironisch … Mein Würmchen, ja, das nährt sich nur in den Stunden banger Zweifel.« Ein nadelscharfer Blick traf mich. »Glauben Sie an die periodische Wiederkehr gewisser Erdumwälzungen? Sie sind doch ein Studierter …«

Der ganze Mann und sein zusammenhangloses Gerede und seine unbegreifliche Kaltblütigkeit als Vernichter dreier Menschenleben waren mir ein Rätsel.

Ich kam nur zu der betrübenden Schlußfolgerung, daß es mit Peter Bolks Geisteszustand doch weit schlechter bestellt war, als Freund Patumengi mir dies ebenfalls sehr geheimnisvoll angedeutet hatte.

Er blickte mich noch immer durchdringend an.

»… Vielleicht,« fügte er hinzu, »vielleicht könnte ich Sie brauchen … Hätten Sie Lust zu einer Seereise ins Unbekannte, Abelsen?! Ihr Gesicht gefällt mir. Mein Würmchen darf Sie nicht stören. Jeder hat einen Gehirnknacks. Die Grenzlinien zwischen Gehirn und Irrsinn sind ziemlich verschwommen. Ich bin kein Genie, auch kein Verrückter. Ich … warte nur. Nein, ich wartete. Denn die Zeit ist um, und dieser Besuch beim alten Patu ist mein letzter. Heute über zwölf Tage sticht mein frisch gepinselter Schoner in See. Ich habe alles genau berechnet … Wir kommen dann gerade zur rechten Zeit an.«

Er hatte bereits begonnen, ein natürliches Sandloch zu vergrößern. Patumengi half ihm.

Irgendein dunkler Trieb zwang mich dazu, gerade des toten Petersens Taschen zu durchsuchen. Peter Bolk verlangte keine Antwort von mir, kümmerte sich auch nicht weiter um mein Tun, – und Petersen sollte Deutscher gewesen sein. In meinen Adern floß zur Hälfte deutsches Blut. Das Wort »Mutter« war für mich noch immer wie ein Gebet.

Petersen war in grünen Kord gekleidet. Sein fahles Gesicht zeigte mir klare Linien einer besseren Vergangenheit.

Ich steckte seine Brieftasche, seine billige Nickeluhr und ein Medaillon, das er um den Hals auf der Brust trug, zu mir. Als ich den Jackenzipfel, der stark gewölbt war, befühlte, fand ich noch ein Ledersäckchen. Es war schwer und enthielt zu meinem Erstaunen tropfenförmige Goldklümpchen in Erbsengröße.

»Käpten, sehen Sie her …!«

Bolk zuckte die Achseln. »Weiß ich …!! Gestohlen, geraubt! Schmeißen Sie das Zeug in das Sandloch – vorwärts!« Seine Stimme war hart, seine Augen funkelten.

Patumengis kleine schmierige Hand griff nach dem Säckchen. »Freund Olaf, aus der Erde kam’s, die Erde erhält es zurück. Es klebt Unheil an diesen Körnern!«

Ich wandte mich ab, als sie die Toten einscharrten und Sand und Steine zum Hügel wölbten. Mir war seltsam beklommen zumute. Vielleicht ist es das innige Vereintsein mit der Natur, das mir nun bereits seit Jahren beschieden ist und das meine feinsten Sinne geschärft und jenes »Unterbewußtsein« wachgerufen hat, von dessen Vorhandensein nicht nur der exakte Wissenschaftler, sondern ebensosehr der unzivilisierte Naturmensch Zeugnis ablegen kann. Ich ahnte irgend etwas Bedrohliches voraus. Ich kannte die drei Erschossenen nicht, ich kannte erst recht nicht ihre Beziehungen zu Peter Bolk. Ich sagte mir, daß der Kapitän doch sehr triftige Gründe für diesen letzten Besuch bei Patumengi gehabt haben müsse. Von der Küste hierher waren es gut acht Tagesritte. Aus rein freundschaftlichen Gefühlen würde Bolk wohl kaum in diese Einöde sich hineingewagt haben, – nur um dem Zwergenkönig die Hand ein letztes Mal kameradschaftlich zu drücken. Acht Tage Dromedarreise, hier vielleicht zwei Ruhetage, – dann wieder zurück zur Küste, – – wer nimmt diese Strapazen ohne triftigen Grund auf sich?!

… Und dann Bolks drei Verfolger! Wirklich nur drei?!

Sie hatten ihn hier überholt, hatten ihm hier in den Büschen aufgelauert … Es stimmte schon, was er von dem Lassowurf angedeutet hatte. Er hatte darüber nicht viel Worte gemacht, das war wohl überhaupt nicht seine Art, aber mir war der rote dicke Streifen rund um seinen Hals dicht über dem wenig dekorativen zerplatzten Gummikragen nicht entgangen. Sie mußten ihn beinahe erwürgt haben, die drei, und seine Schüsse waren zweifellos in Notwehr abgegeben worden, – ich sah seine Handlungsweise nun doch in weit milderem Lichte an.

Rätsel … viele Fragen … – Und die Antworten darauf?! Die mußte ich mir wohl selbst suchen, Patumengi und der Käpten würden mich kaum so leicht in ihre Geheimnisse einweihen.

Dort, wo die Büsche eine lange grüne Zunge nach Norden in die Steppe vorstreckten, fand ich die drei Dromedare der Toten. Ich war sehr einfach den nur schlecht verwischten Fährten der Leute gefolgt. – Es waren ziemlich elende Kreaturen, diese drei Reittiere, sie hatten auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem schlanken vornehmen Wuchs meines eigenen Bischarin, das noch ein Andenken an verflossene Tage darstellte, als hier in den ostafrikanischen Ebenen und Wäldern eine stolze herrische Frau mit ihren Bischarin-Kriegern aufgetaucht war.

Vorbei …!

Auch das … war einmal! Wie so vieles andere …! Menschen kreuzten meinen Weg, Menschen gewann ich lieb, Menschen zerrannen mir wie Nebelschwaden vor dem Wind des Schicksals.

Ich betrachtete die drei abgehetzten Kreaturen, die wiederkäuend im Grase ruhten und mich hochmütig anglotzten. Seltsam, daß gerade im Auge der Dromedare so viel dummer Hochmut liegt …

Sie waren gesattelt, gezäumt, in der Erde staken die Weidepflöcke mit den Halsriemen, das Gras war rund um die Tiere bis auf einzelne Büschel abgerupft. Wie übermüdet mußten sie sein, daß sie im Liegen gefressen hatten!

Mit dem Sattelzeug war auch nicht viel Staat zu machen. Die Wasserschläuche waren leer, in den beschabten Satteltaschen entdeckte ich nur armseligen Kram, nur das Tier des Deutschen Petersen brachte mir einen geringen Aufschluß über diesen Mann. Seine Papiere hatte ich noch nicht durchgesehen, – hier stieß ich auf eine lederne Kartentasche, in der ich vier sehr genaue Seekarten eines bestimmten Teiles des Stillen Ozeans fand. In die linke obere Ecke jeder Karte war mit Tintenstift geschrieben:

John Friedrich Petersen, Hamburg.

Also ein Seemann …! riet ich.

Ich steckte auch die Karten zu mir. Fennek-Freund stupste mich in demselben Moment mit dem Näschen. Im Nu hatte ich die Büchse halb erhoben … Ein Blick auf Mukki … Er starrte sprungbereit auf einen dunklen dichten Strauch jenseits der Tiere … Ich sah etwas, das mich veranlaßte, mich sofort niederzuwerfen: Es war ein Büchsenlauf und – – und eine Hand … Nur das!

Mithin ein vierter Wegelagerer …! – Ich hatte es ja geahnt … Und dieser Vierte würde wohl nicht der einzige Überlebende sein …! – Sollte ich Patumengi und Bolk warnen?!

Wieder ein prüfender Blick auf Fennek-Freund. Aber der hatte seine Haltung geändert, er saß neben mir, die buschige Rute lang nach hinten gedrückt, die Riesenohren zur Seite gestellt, und sein Interesse galt lediglich noch einem Stein, unter dem das Loch einer Mäusefamilie lockend hervorgähnte. Wenn Mukki für solche Leckerbissen Neigung verspürte, war jede Gefahr beseitigt. Auf Fennek konnte ich mich unbedingt verlassen. Sein Geruchsinn war so glänzend, daß dagegen selbst der mir als bestes »Nasentier« bekannte Leopard nicht aufkam.

Ich erhob mich, – zwei Sprünge brachten mich in Deckung hinter einen dicken kurzstämmigen Feigenbaum, – ein Blick in die Steppe zeigte mir den davonjagenden Fremden, der einen scheinbar sehr guten Gaul ritt und einen dunkelgrünen Anzug trug, dazu hellgelbe Schnallgamaschen und einen breitrandigen hellen Filzhut.

Sollte ich hinter ihm drein?! Hatte es Zweck, ihn zu verfolgen?! Würde nicht sein Vorsprung allzu groß werden, wenn ich erst mein Bischarin herbeiholte?!

Holen?!

Ich pfiff, ich steckte den gekrümmten Zeigefinger in den Mund, der schrille Ton durchschnitt die Luft, – die Dromedare der Toten spitzten die Ohren, dann ein Rauschen der Büsche, mein Bischarin jagte herbei, – und dann hinaus in die wellige sonnige Steppe, deren Buschinseln und Waldstreifen über dem gelbgrünen Grase wie Wolken im Nebelmeer zu schwimmen schienen.

Nebel?!

Nebel?!

Nein – nur Blütenstaub all dieser unzähligen Katsa-Kriechpflanzen, die zweimal im Jahre an ihren vielverzweigten Ästen gelbe Äpfel treiben, – Äpfel, die man nicht berühren darf, die nichts sind als feinster Staub, den schon ein schärferer Lufthauch in ganzen Streifen gleich Nebelfetzen hochtreibt, – und diese eigentümliche Erscheinung, die der Uneingeweihte stets für Sandwolken halten wird, steigerte sich noch zu richtigem dicken Nebel, als ein paar fauchende Sturmfanfaren über die Savanne jagten und das Heraufziehen des im Westen drohenden Gewitters anzeigten.

Der Reiter war verschwunden …

Mein Bischarin trabte weit ausholend in dieses treibende Gewölk des Blütenstaubes hinein, – und ich riß das Tier nicht zurück, zu spät fiel mir ein, daß Freund Patumengi mich vor diesen Stellen, wo die Katsa so zahlreich vorkommt, eindringlich gewarnt hatte, – erst meine tränenden Augen, der Hustenreiz in der Kehle, das immer stärker werdende Brennen der Augen und ein Seitensprung meines Dromedars mahnten mich an die nicht geringe Gefahr dieser übereifrigen Hetze.

Die Tiere waren klüger als ich. Fennek-Mukki hatte längst kehrtgemacht, der arme kleine Kerl hatte ja den verderblichen Staub am allerstärksten schlucken müssen, – ich so hoch zu Dromedar bekam den unwillkommenen Segen nur verdünnt zu kosten, – aber es genügte!

Fennek, Bischarin – beide entflohen dem gelben Nebel, beide führten mich dorthin zurück, wo Patumengi einem Halbblinden dann aus dem Sattel half und ihn mit Vorwürfen überschüttete.

So endete dieses Abenteuer.

Es war zugleich der Anfang der seltsamen Geschichte von Malmotta.

2. Kapitel Jan Terpe, der Flüchtling

Inhaltsverzeichnis

… Und nun sitze ich, über den Augen eine feuchte Binde, auf der Veranda des Palastes des Zwergkönigs, und neben mir hockt Patumengis Urenkelin, die kleine zierliche Doko-Prinzessin, ein Püppchen in klarem Leinen mit feuerroter Seidenschärpe, und erneuert beständig die kühlenden Kompressen.

Wenn sie sie wechselt, wenn ich die Augen zu öffnen wage, dann sehe ich vor mir durch die blattlosen Zweige des Mbuju-Baumes, in dessen Wipfel dieses Bambushaus hineingebaut ist, eine Anzahl anderer Mbujus und kleinerer Hütten, sehe ich die leichten Leitern, auf denen die Doko hinab- und hinaufsteigen zu ihren luftigen sicheren Behausungen, – und senke ich den Blick hinab zur Baumlichtung, so gewahre ich die Ziegen, Schafe, Hunde, Dromedare des Zwergvolkes, bewacht von kleinen gelbbraunen Dokos mit überlangen Bogen und vergifteten Pfeilen …

Dann ist das alles mir immer wieder aufs neue wie ein Traum …

Wer ahnt draußen in den riesengroßen Steinhaufen der Weltstädte mit ihrem Gestank und ihrem Lärm und ihrer Verlogenheit einer übereifrigen habgierigen Bevölkerung etwas von diesen Doko-Siedlungen?! Wer sah je Mbuju-Bäume wie diese hier, einen ganzen Wald, – Stämme, deren Alter nachweislich mehrere tausend Jahre beträgt, – Baumriesen, bekannt vielleicht dem Namen nach als Baobab in Westafrika, als Mowana in Südafrika, als Tabaldie im Sudan …

Mit einem Stammdurchmesser von mindestens zwölf Meter, – mit riesigen weißen Blüten, die sehr rasch wieder abfallen, die dann die halbmeterlangen melonenähnlichen Früchte hervorbringen, deren säuerliches Fruchtmark die Doko in tonnenförmige Tongefäße tun, gären lassen und nachher trinken, – ein Zaubersaft, erquickend, leicht berauschend …

Viele der Mbujus sind innen hohl und dienen den Zwergen als Ställe für das Vieh. Alle aber haben die Eigentümlichkeit, daß die halbkugelige gigantische Baumkrone sich unten bis zur Erde hinzieht, sich auf den Boden stützt, – also Säle oder Gemächer bilden, in die nur vereinzelt ein verlorener Sonnenstrahl dringt …

Das hier ist Patumengis Reich, dieser ferne, große, unbekannte Mbuju-Wald, – hier hausen die kleinen Menschlein unter Freund Patus strengem Regiment, abgeschlossen gegen die Außenwelt durch einen öden Steppengürtel, und doch wieder nicht abgeschlossen genug vor der Raubgier wilder, ziehender Somalihorden, die frech über die Grenze kommen und stehlen und morden möchten.

Patu hat das ihnen so ziemlich abgewöhnt. Patu hat hundert Krieger, die ganz modern bewaffnet sind, – Patu besitzt Winchesterbüchsen, Pistolen, Patronen – und kennt kein Erbarmen! Wehe dem braunschwarzen Somal, der das Doko-Gebiet betritt … Späher schützen das kleine Reich, riesige Signaltrommeln melden jeden verdächtigen Fremden, und drüben in der Steppe sah ich die langen Erdhügel, unter denen die Feinde der Doko den ewigen Schlaf gefunden.

Das ist Patumengis Reich.

Als ich es zum ersten Male durchquerte, als wir damals von dem Berge der Affen kamen und Freund Patu mir die Überraschung nicht verderben wollte und alles nur in kargen Worten vorher angedeutet hatte, da habe ich gestaunt, da habe ich still und tief bewegt des Gnomenkönigs Hand gedrückt und mich nicht mehr darüber gewundert, daß gerade er der Vertraute eines abessinischen Kaisers gewesen …

Jetzt?!

Patus Urenkelin legt mir Kompressen auf, und ihr Puppengesichtchen strahlt vor Freude, mir dienen zu können …

Blaues Leinen und feuerrote Seidenschärpe regt sich …

Prinzessin Matugira schiebt mir die Zigarre zwischen die Lippen und lacht und streichelt meinen Stachelbart. Seit vier Tagen unrasiert … Sie lacht und kichert und reibt mein Luntenfeuerzeug an und sagt in ihrem Urgroßvater-Kauderwelsch, ich solle nur ziehen …

Ich ziehe …

Die Zigarre brennt, und wir setzen unser vorsichtiges Gespräch fort.

Patu und Peter Bolk sind in die Steppe hinaus – irgendwohin …

Wohin?! – Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Auch die zierliche Matugira, die zwölf Jahre alt ist und sehr bald heiraten wird, gibt stets vor, nichts zu wissen …

Sie schwindelt.

Sie schwindeln hier alle, alle, die mich halbblinden Kranken hier besuchen kommen und mir die Zeit vertreiben wollen und … die alle nicht ahnen, daß Olaf Karl Abelsen in diesem Falle der größte Schwindler ist.

Es ist ja gar nicht mehr so schlimm mit meinen Augen. Ich kann sie getrost minutenlang offen halten, – gewiß, sie tränen, aber das rührt wohl mehr von dem Küchendunst her, der hier in der Baumkrone bei dieser abendlichen Windstille zäh zwischen den Ästen, Zweigen und Früchten hängen bleibt.

Es ist ein unehrliches Spiel, dessen ich mich schämen müßte, wenn ich nicht immer an den Gefangenen dort drüben dächte, – an den Fremden, den ich verfolgte, der auch in die Katsa-Nebel geriet, dessen armes Pferd zusammenbrach in schwerer Atemnot und den Patumengis Leibwache herbeischleppte und da unten in dem einen hohlen Mbuju einsperrte …

Nur ein einziges Mal habe ich das Gesicht dieses Fremden erblickt, und ich war betroffen von der weichen Schönheit dieses gebräunten Antlitzes und dem hellen Glanz des blonden Haares.

Soll dieser Ärmste, blutjung, mehr Jüngling als Mann, ewig hier im Dokoreiche festgehalten werden?! Was haben sie mit ihm vor?!

Ich weiß es nicht. Patu und Bolk reden nie über ihn, und gerade das erscheint mir verdächtig und bedrohlich. –

Die kleine Prinzessin plappert und redet, Fennek-Mukki liegt mir zu Füßen, die Abendsonne vergoldet den riesigen Wald, die Tiere unten in den Lichtungen drängen sich zusammen, – Feuer der Hirten flackern auf, Leoparden und Wildhunde lieben das Ziegenfleisch, und der Urwald hat Schluchten und Dornendickichte, murmelnde Quellen, Bäche und alle Wunder dieses seltsamen Grenzlandes, das noch zum Reiche Abessinien gehört und doch ein Reich für sich ist …

Der Abend ist da.

Die Nacht ist da.

Matugira holt mir die Mahlzeit, es kommen zwei Unterhäuptlinge, reden, reden …

Ich wünsche anderes.

In dieser Nacht werde ich mein luftiges Gemach des großen Bambuspalastes heimlich verlassen und den Fremden sprechen.

Matugira füttert mich mit Hirsekuchen und Taubenfleisch und gibt mir Mbuju-Wein zu trinken. Ich habe das ekle Gefühl, daß ein Judas Ischariot hier Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Anderseits: Man treibt hier auch mit mir kein ehrliches Spiel! Ich glaube einigen Anspruch auf Patumengis Dankbarkeit zu besitzen. Er hätte mir über Peter Bolk längst reinen Wein einschenken können. Weshalb diese Geheimniskrämerei?! Er kennt mich doch. Ich dränge mich niemandem auf und dränge mich in fremde Angelegenheiten nicht hinein. Ich verlange nur das, was man als Freund vom Freunde fordern kann. Sollte ich nun auch durch den alten Patu enttäuscht werden?!