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Ein gefährlicher Sniper in New York - und ein ehemaliger Cop und Astrophysiker als sein Widersacher. Hart, packend, ungewöhnlich!
Während eines Blizzards wird in New York ein FBI-Mann in seinem SUV erschossen - von einem offensichtlich äußerst fähigen Scharfschützen. Das FBI steht vor einem Rätsel - und wendet sich an den ehemaligen Polizisten Lucas Page, der nun als Professor an der Universität lehrt und Experte für Ballistik ist. Page weigert sich zunächst zu helfen - bis er erfährt, wer der Tote ist: sein ehemaliger Partner. Wer könnte einen Grund gehabt haben, ihn zu töten?
Page findet heraus, von wo geschossen worden ist, doch als er wieder aus den Ermittlungen aussteigen will, geschieht ein zweiter Mord - auf dieselbe Art und Weise und erneut ist ein Polizist das Opfer ...
"Eine großartige Geschichte, ein toller Schauplatz - und die Charaktere sind herausragend." Lee Child.
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Seitenzahl: 530
Ein gefährlicher Sniper in New York – und ein ehemaliger Cop und Astrophysiker als sein Widersacher. Hart, packend, ungewöhnlich!
Während eines Blizzards wird in New York ein FBI-Mann in seinem SUV erschossen – von einem Dach und von einem offensichtlich äußerst fähigen Scharfschützen. Das FBI steht vor einem Rätsel – und wendet sich an den ehemaligen Polizisten Lucas Page, der nun als Professor an der Universität lehrt udn Experte für Ballistik ist. Page weigert sich zunächst zu helfen – bis er erfährt, wer der Tote ist: sein ehemaliger Partner. Wer könnte einen Grund gehabt haben, ihn zu töten? Page findet heraus, von wo geschossen worden ist, doch als er wieder aus den Ermittlungen aussteigen will, geschieht ein zweiter Mord – auf dieselbe Art und Weise und erneut ist ein Polizist das Opfer.
»Eine großartige Geschichte, ein toller Schauplatz – und die Charaktere sind herausragend.« Lee Child
Über Robert Pobi
Robert Pobi war Antiquitätenhändler, bis er sich entschied, freier Autor zu sein. Er lebt in einem kleinen Haus in den Bergen – ohne Telefon und Internet. Wenn er eine E-Mail scheiben will, fährt er in eine Kleinstadt acht Meilen entfernt.
Wolfgang Thon, geboren 1954 in Mönchengladbach, studierte Sprachwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Berlin und Hamburg. Thon arbeitet als Übersetzer und seit 2014 auch als Autor in Hamburg, tanzt leidenschaftlich gern Argentinischen Tango und hat bereits etliche Thriller von u.a. Brad Meltzer, Joseph Finder, Robin Hobb, Steve Barry und Paul Grossman ins Deutsche übertragen.
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Robert Pobi
Manhattan Fire
Thriller
Aus dem Amerikanischenvon Wolfgang Thon
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Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Kapitel 99
Kapitel 100
Kapitel 101
Danksagungen
Impressum
19. DEZEMBER NEW YORK CITY – ZWEIUNDVIERZIGSTE STRASSE OST ECKE PARK AVENUE
Nimi Olsen hatte den Fehler begangen, die Zweiundvierzigste einen halben Block vor der Kreuzung zu überqueren, und hatte die Ampelphase nicht geschafft. Jetzt war sie auf dem einem Haufen Schneematsch gestrandet, der sich über die Mitte der Straße schlängelte, und fror sich den Arsch ab. Autos fegten mit mörderischer Geschwindigkeit an ihr vorbei, und alle paar Sekunden streifte ein Außenspiegel ihre Hüfte.
Der Verkehr war ungewöhnlich aggressiv. Die Menschen waren gereizt, schlecht drauf und bereit, selbst Scheiße in Brand zu setzen, wenn es dadurch ein bisschen wärmer würde. Die Temperaturen lagen schon seit über zwei Wochen bei unter null Grad, die längste Kälteperiode seit hundert Jahren. Die Hälfte der Nachrichtenstationen unkten, das sei der Klimawandel in Echtzeit und eine Warnung, dass die Menschheit dem Zeitpunkt ihres Aussterbens allmählich näher komme. Die andere Hälfte verkündete, diese lange Kälteperiode beweise eindeutig, dass die sogenannte globale Erwärmung nur eine Verschwörung von Bangemachern sei, ersonnen von irgendwelchen Tesla fahrenden Grünkohlfressern, die die Verfassung am liebsten verbrennen würden. Einig waren sich alle nur darüber, dass es verdammt kalt war.
Auf dem Mittelstreifen der Straße zu balancieren und Matador mit wütenden Autos zu spielen war eine Situation, die irgendwann jeder New Yorker einmal erlebte. Und ein schneller Weg auf die Nachrufseite der Zeitung. Nimi war in der Stadt aufgewachsen und stets fest davon überzeugt gewesen, dass nur die Anderen von Autos getötet würden. Jedes Jahr bekamen mehr als fünfzehntausend Fußgänger auf der Insel Manhattan einen Kühlergrill zu spüren, was ihnen eine Fahrt in einem Krankenwagen einbrachte. Und obwohl nur zwei von hundert Opfern ihren Verletzungen erlagen, war das keine Übung, die sie aus der Theorie in die Praxis umsetzen wollte.
Nimi blickte in beide Richtungen und suchte nach einer Lücke in der wildgewordenen Fahrzeug-Stampede, die an ihr vorbeidonnerte. Mittlerweile balancierte sie schon fünf Minuten auf dem Schneematsch und wollte endlich wieder den Bürgersteig unter die Stiefel bekommen.
Dann, wie durch Magie, veränderte sich die Choreografie des Verkehrs. Eine schwarze Limousine auf der Zweiundvierzigsten wurde etwas langsamer, nachdem sie das Park Viaduct passiert hatte. Der Fahrer winkte Nimi über die Straße. Sie hob einen Fuß und machte einen Schritt in die Lücke.
Nimi lächelte, als sie vor seinen Kühler trat. Dann winkte sie ihm zu und signalisierte mit den Lippen Danke.
Sie sah ihm in die Augen, und alles war okay. Doch dann plötzlich nicht mehr.
Die Windschutzscheibe löste sich auf, und der Kopf des Fahrers verschwand. Eben noch war er da gewesen, im nächsten Moment war er weg. Einen winzigen Sekundenbruchteil lang stellten selbst die Uhren das ein, was sie eigentlich tun sollten, und nichts schien sich mehr zu bewegen.
Dann ertönte das Donnern des Schusses.
Nimi setzte zu einem Schrei an.
Der Wagen, jetzt führerlos, schoss nach vorn.
Man hätte es Reaktionsschnelligkeit nennen können, aber der klinische Begriff dafür nannte es Instinkt, was Nimi veranlasste, loszurennen.
Wäre es nicht so rutschig gewesen, hätte sie besseren Halt auf der Straße gehabt.
Hätte sie längere Beine gehabt, hätte sie es vielleicht bis zum Bürgersteig geschafft.
Wäre sie ein größeres Mädchen gewesen, hätten ihre Knochen und ihr Fleisch ihre inneren Organe vielleicht schützen können.
Wäre es ein anderer Tag gewesen, hätte sie überlebt.
COLUMBIA UNIVERSITY
»Also«, Doktor Lucas Page blickte ein letztes Mal zu dem vom Computer erzeugten Kosmos hoch, der von der Decke herunterfunkelte, »wenn die menschliche Realität in Wirklichkeit nichts weiter ist als eine hoch spezialisierte Simulation, ist es dann wahrhaftig möglich, unser Universum zu entschlüsseln? Und wenn ja, welchen Sinn hätte das?« Bei diesen Worten verblasste der Zeitraffer-Spezialeffekt, der von einer millionenteuren Optik erzeugt wurde, und das gedimmte Licht des Hörsaals wurde wieder heller.
Lucas Page trat vom Pult weg und nickte seiner Klasse ein letztes Mal zu. Dann wünschte er seinen Studenten schöne Weihnachtsferien, unbelastet von Reflexionen oder Vorsätzen. Wie eine Welle erhoben sich nahezu alle Studenten gleichzeitig, applaudierten und jubelten.
Während dieser etwas peinlichen Phase nach der Vorlesung, in denen die Studenten entweder noch klatschten oder ihre Laptops in ihre Rucksäcke stopften, ging Page die Treppe hinab und trat durch die Vorhänge. Die Lobhudeleien seiner Studenten berührten ihn nicht, und er vermied es mit manchmal schon fast groteskem Aufwand, sich unter sie zu mischen. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er auf Ich habe Ihre Vorlesung wirklich genossen, Doktor Page, und ich hoffe, dass Sie schöne Weihnachten haben reagieren sollte. Und er war zudem absolut nicht daran interessiert, diese Fähigkeit zu erwerben.
Die gleichgültigen Studentenherden, die man durch seinen Hörsaal schleuste, deprimierten ihn zunehmend. Sie alle erschienen mit dem Glauben, dass sie etwas Besonderes seien, dabei hatte nur ein verschwindend kleiner Teil von ihnen so etwas wie die grundlegendsten Fähigkeiten zu kritischem Denken entwickelt. Mehr und mehr stellten sie Fragen, die eigentlich gar keine Fragen waren.
Als er die Halle erreichte, ging er zu den Treppen. Er wollte möglichst früh hier weg. Irgendwo da draußen stand ein Weihnachtsbaum mit seinem Namen.
Lucas Page stieg die Treppe mit dem spezifischen mechanischen Gang hinauf, den sich anzueignen jahrelange Reparaturen und Verbesserungen erfordert hatte, bis seine Prothese genau richtig eingestellt war. Er konnte jetzt zwei Stufen auf einmal nehmen, wenn er hinaufging, keine kleine Leistung für einen Mann, dem die Chirurgen gesagt hatten, dass er für den Rest seines Lebens einen Rollator brauchen würde. Er schaffte die drei Treppenfluchten fast genauso schnell wie früher.
Mit jedem Schritt entfernte sich auch das Auditorium immer weiter aus seinem Fokus, ein Prozess, dessen er sich sehr bewusst war. Nicht nur, dass er diese spezielle Vorlesung nicht genossen hatte – er verabscheute sie. Das sollte nicht heißen, es hätte nicht einige intelligente Studenten in der Herde gegeben. Ein paar fanden sich, aber es war sehr anstrengend, die wenigen Intelligenten von den Dummköpfen zu trennen, denn es gab erheblich zu viel von der einen Sorte und nicht annähernd genug von der anderen.
Seine Vorlesung, Simulationstheorie und der Kosmos, war der größte Magnet des ganzen Fachbereichs geworden. Das allein schon hatte etwas Magisches, angesichts dessen, dass Page ihn sich eines Nachts nach zu vielen Drinks und zu wenig Selbstbeherrschung ausgedacht hatte. Es war eine Art sarkastischer Seitenhieb auf die endlose akademische Angeberei gewesen, der Stützpfeiler der anderen Abteilungen. Es war eine Verarschung, und man musste schon ein Idiot sein, um das nicht zu begreifen. Leider hatte er die flüchtig hingekritzelten Zeilen seines Entwurfs auf seinem Schreibtisch liegen lassen. Die Dekanin hatte ihn bei einem ihrer seltenen Besuche gesehen und überflogen. Als sie angefangen hatte, über die positiven Seiten seiner Idee zu faseln, hatte er nicht das Herz gehabt, ihr zu sagen, dass es nur ein Witz gewesen sei. Deshalb hielt er jetzt eine Vorlesung, die er selbst für absoluten Blödsinn hielt, und das vor einem Haufen von Jugendlichen, die den Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen Theorie und einer Verschwörungstheorie ebenso wenig erkannten, wie die derzeitige Regierung zwischen Sarkasmus und Ernsthaftigkeit differenzieren konnte.
Im dritten Stock herrschte das akademische Äquivalent des Weihnachtsfriedens im Weltkrieg 1914: Studenten, technische Angestellte und Fakultät taten ihr Bestes, um sich wie Freunde zu benehmen, und sei es auch nur diese Nacht. Flaschen von Importbier und billigem Champagner wurden geleert, während alle mehr oder weniger erfolgreich so taten, als wären sie an den Gesprächen interessiert, dabei warteten sie in Wirklichkeit nur darauf, dass irgendwelche interessanteren Nachrichten auf ihren Smartphones aufleuchteten.
Er schob sich an einer Handvoll Hallos, drei Angeboten auf ein Bier, zwei auf ein Glas Wein und einem auf ein Glas Champagner vorbei und entging knapp einem aufmunternden Schlag auf den Rücken. Dann öffnete er die Tür in der Erwartung, dass Debbie die Semesterabschlussnoten verfasste, während CNN lief.
Debbie löschte das Fragezeichen in seinen Gedanken, als sie ihren Arm in seine Richtung ausstreckte. Ein Stapel von Telefonnotizen steckte zwischen ihren Fingern. Sie blickte nicht hoch, sondern begrüßte ihn mit den Worten: »Sie hatten einundsechzig Anrufe.« Dann nickte sie zu ihrem Computer. »Und einen ganzen Berg E-Mails.«
Auf der Konsole neben ihrem Schreibtisch stapelten sich Weihnachtsgeschenke, die seiner Erfahrung nach aus Alkohol in verschiedenen Permutationen bestanden. Das Universitätsäquivalent von rotbackigen Äpfeln für den Lehrer.
»Irgendwelche ungebetenen Besucher?«, fragte er.
Besucher abzuwimmeln, hauptsächlich die von der Sorte jammernder Student, war der Hauptgrund für Debbies Anwesenheit. Sie arbeitete an einer Doktorarbeit in Weltraum-Astronomie, eine penible Differenzierung, die sie mit einem unübersehbaren und mit Stolz getragenen Asperger-Syndrom wettmachte. Ihre Unsicherheit bezüglich nonverbaler kognitiver Hinweise machte sie zu einer idealen Assistentin. Sie war absolut unempfänglich für von den Studenten gern als Waffe eingesetztes theatralisches Getue. »Sechsundzwanzig. Der Einzige, den Sie zurückrufen wollen, ist wahrscheinlich der junge Haagstrom. Sein Vater ist gestorben.«
Lucas Page blätterte den Stapel mit Nachrichten durch und hielt dann inne. »Schicken Sie ihm eine E-Mail und geben Sie ihm zwei Wochen länger frei. Und schreiben Sie ihm, dass er mich anrufen soll, wenn er etwas braucht. Und geben Sie ihm meine Handynummer.«
Debbie blickte sichtlich überrascht hoch.
»Es ist sein Vater, um Himmels willen!«, sagte er. »Und es ist Weihnachten.«
»Das verstehe ich schon. Mich wundert nur, dass Sie es tatsächlich machen.«
Lucas nickte in Richtung des Tetris-artigen Stapels mit Weihnachtsgeschenken. »Können Sie sich um die Dankeskarten für das da kümmern?«
Debbie winkte ab. »Das habe ich bereits erledigt, bis auf zwei – die für Ihren Verleger und die für Ihren Literaturagenten. Ihr Agent hat einen ganz passablen Scotch geschickt, und ihr Verleger hat sich sogar zu einer Magnumflasche Champagner hinreißen lassen.«
»Schicken Sie den Champagner der Dekanin und schreiben Sie ihr, dass ich ihr schöne Weihnachten wünsche.«
»Das ist eine Tausend-Dollar-Flasche Bollinger.«
»Dann setzen Sie das Wörtchen sehr vor das schöne.« Er versuchte ein Lächeln. »Und nehmen Sie den Rest mit nach Hause.«
Der TV-Bild-Ausschnitt in der Ecke von Debbies Computerbildschirm zeigte plötzlich eine neue Story, und Pages Aufmerksamkeit wurde unwillkürlich einen Moment davon angezogen. Als das Nachrichtenlaufband am unteren Bildschirmrand mit seinem Sermon loslegte, brannte plötzlich Adrenalin in Pages Brust. »Machen Sie das lauter.« Er war ziemlich sicher, dass er ruhig gesprochen hatte.
Sie drückte auf die Lautsprechertaste auf der Tastatur.
Das aufgedunsene Gesicht des Pseudo-Journalisten blickte in die Kamera, während im Hintergrund Einsatzlichter blitzten. Der Laufbandtext, plump zusammengeschustert in der unverbindlichen Willkür des modernen amerikanischen Journalismus, tickte über den unteren Rand des Bildschirms. Die Quatschköpfe schienen sich zumindest in einem Punkt sicher zu sein: Ein Heckenschütze hatte jemanden erschossen.
Page hätte es vielleicht dabei bewenden lassen, wenn nicht eine von FBI-Parkas umringte Gestalt seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Ihr Gang war unverwechselbar, ebenso der maßgeschneiderte Mantel.
»Sind das nicht die Leute, für die Sie einmal gearbeitet haben?«, fragte Debbie, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
»Nein«, log er.
ZWEIUNDVIERZIGSTE STRASSE ECKE PARK AVENUE
Der leitende Special Agent Brett Kehoe verließ das Zelt der Spurensicherung, das man um den Tatort errichtet hatte. Grover Graves folgte ihm mit dem Diktiergerät in der Hand, in das er die Ergebnisse der Computermodelle sprach, ein Begriff, der zu diesem Zeitpunkt ein Euphemismus für Ratespiele war. Es war Nacht, aber der Schnee verstärkte die Lichter der Stadt und vermittelte die Illusion, unter einem Vollmond zu arbeiten – was alle am Tatort nervös machte. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass der Mann mit dem Gewehr seinen Kram eingepackt hatte und nach Hause gegangen war.
Der Wind fegte durch die Straßenschlucht und blies Schneeflocken unter Kehoes Schal, wo sie schmolzen und seinen Kragen durchnässten. In jeder anderen Nacht wäre die Straße das perfekte Spiegelbild einer New Yorker Weihnacht gewesen. Jetzt war es nur ein Ort, wo jemand ermordet worden war. Und der überdimensionierte Weihnachtsschmuck, der von den Laternenpfosten herunterhing, verlieh der Szenerie einen morbiden Humor, der ihm nicht entging.
Kehoe blickte zu den Dächern hinauf, an den endlosen Fenstern vorbei und auf die Schneeflocken, die unablässig herunterrieselten. Wer auch immer das geplant hatte, wusste genau, was er tat; diese Bedingungen würden seine Leute zermürben.
Während sie weitergingen, musterte Kehoe unwillkürlich die Gebäude. Er hatte sechs FBI-Scharfschützen positioniert, die alle – Beamte, Bürger und die Arschlöcher von den Medien – schützen sollten. Jedenfalls war das der Plan. Zwei SWAT-Teams standen in Bereitschaft, und zusammen mit der Anwesenheit der NYPD bedeutete das, der Schütze müsste schwachsinnig oder selbstmörderisch veranlagt sein, wenn er sich immer noch hier herumdrückte. Übersetzt hieß das, alle waren nervös.
Die Komponente an dem ganzen Vorfall, die Kehoe das meiste Unbehagen bereitete, war das Opfer. Natürlich wurden Bundesagenten getötet. Das war nun einmal so. Allerdings passierte das längst nicht so oft, wie die Leute vermuteten. Und schon gar nicht so oft, wie diese Idioten in den Nachrichten behaupteten. Aber wer Ahnung von dem Metier hatte, wusste um die statistische Wahrscheinlichkeit. Dass sich allerdings jemand so viel Mühe dabei gemacht hatte, einen seiner Leute umzubringen, deutete auf ein größeres Bild hin, das er jedoch noch nicht erkennen konnte.
»Wieso haben Sie da nur achselzuckend herumgestanden? Das hier ist einfache Physik: A-Quadrat mal B-Quadrat gleich C-Quadrat.«
Graves hielt den wasserdichten Tablet-Computer hoch, der mit der Hardware des Kommandofahrzeugs verlinkt war. »Na klar, Pythagoras kannte seinen Mist. Aber wir können nicht gleichzeitig horizontale oder vertikale Abweichungen berechnen, deshalb bekommen wir keinen Ausgangspunkt.«
Kehoe zeigte auf der Arbeit niemals Gefühle. Es war eine Frage von persönlichem Stolz, aber ein Ich kann es nicht tolerierte er nicht allzu häufig. »Wir haben einen toten Bundesagenten in diesem Wagen und eine Zivilistin, die an einer Laterne klebt. Ein Ich kann nicht akzeptiere ich nicht.«
Graves hob das Tablet erneut, als würde es sein Argument verdeutlichen. »Um herauszufinden, wo unser Scharfschütze gewesen ist, brauchen wir ein paar Angaben, die es einfach nicht gibt. Wir kennen die genaue Flugbahn des Geschosses nicht, weil es keine Möglichkeit gibt, seine ballistische Kurve festzulegen. Wir können keine Schusslinie von der Leiche aus ziehen, weil die Kugel seinen Kopf zerfetzt hat. Wir haben nichts, womit wir arbeiten könnten. Jede Kugel verhält sich beim Aufschlag anders, und einige fliegen sogar zurück, wenn man der Warren-Kommission glauben will.«
»Halten Sie mir keine Vorträge«, entgegnete Kehoe. In seine Stimme schlich sich ein Unterton von Alphamännchen.
»Entschuldigung, Sir.«
»Video?«, fragte Kehoe. Das einzig Versöhnliche an der omnipotenten Technologie war, dass in jedem öffentlichen Bereich immer irgendwelche Augen auf die Beute gerichtet waren.
»Wir haben alle Videoeinspeisungen überprüft, alle Überwachungskameras, Verkehrskameras, die Handys von Fußgängern, und bekommen haben wir eine dicke fette Null. Einigermaßen brauchbar ist nur die Aufnahme einer Dashcam aus einem Taxi, drei Fahrzeuge vor ihm. Sie demonstriert den nachgelagerten Dominoeffekt vom Moment des Einschlags an, aber es gibt keinen Ton, also können wir nicht genau sagen, wann die Kugel eingeschlagen hat. Aber wir konnten den Zeitpunkt auf ein Vier-Sekunden-Fenster begrenzen. Das heißt, der Wagen könnte an jeder beliebigen Stelle auf der Kreuzung gewesen sein, als die Kugel einschlug. Er ist einfach nur weitergerollt, bis er die Laterne getroffen hat.«
»Sie meinen die junge Frau.«
Graves blickte vom Tablet hoch. »Ja. Junge Frau, klar.«
Wie konnte es sein, dass sie in der am zweitbesten von Kameras überwachten Stadt auf der ganzen Welt keinen Kerl finden konnten, der mit einem Gewehr über eine der belebtesten Straßen spazierte? Kehoe begriff, dass alles, was sie brauchten, wie von bösen Geistern ausgelöscht worden zu sein schien. Oder von jemandem, der verdammt viel vom Morden verstand. »Was ist mit unserer magischen Kugel?«
Graves zuckte mit den Schultern. »Wir suchen danach.«
»Wir suchen danach?« Er holte tief Luft und sog den Sauerstoff in seine Lunge. Er spürte eine sehr bestürzende Ruhe, eine, die man empfindet, kurz bevor man ertrinkt. »Wir stehen da wie ein Haufen Arschlöcher.«
Graves zuckte wieder mit den Achseln.
Kehoe atmete erneut tief durch, um seinen Tonfall zu kontrollieren. »Dieser Schnee wird noch sehr viel mehr Beweise auslöschen, wenn er den Schuss von einem dieser Gebäude abgefeuert hat.« Sie blickten auf eine Strecke von tausendsechshundert Metern Dächer und fast dreitausend Fenstern. Seine Männer suchten zwar gerade die ganze Gegend bis zum Horizont ab, aber eine gründliche Suche würde die ganze Nacht dauern. So viel Zeit hatten sie nicht.
»Falls Sie keinen magischen Augapfel haben, ist es das Beste, was wir machen können.« Graves klang defensiv.
Kehoe blickte wieder zur Park Avenue zurück. Zu den Polizeiwagen, den Krankenwagen und den Leuten vom Bureau, die überall herumrannten, dem übergroßen Weihnachtsschmuck, dem Schnee, dem Wind und den beiden Opfern. Dann richtete er seinen Fokus auf die Fenster, die sich bis zum Horizont erstreckten, bevor er sich umdrehte und davonging.
»Wo wollen Sie hin?«, erkundigte sich Graves.
»Ich besorge Ihnen Ihren magischen Augapfel«, erwiderte Kehoe.
UPPER EAST SIDE
Lucas Page räumte die Spülmaschine ein, während Erin das Händewaschen als Vorbereitung auf die Nach-dem-Essen-Geschichte beaufsichtigte. Obwohl er die Universität zeitig verlassen hatte, hatte er es geschafft, das Abendessen zu verpassen. Diesmal war das jedoch gar nicht so schlecht, weil die Kinder ihn nicht unbedingt in schlechter Laune erleben mussten. Er hätte es gern auf seinen generellen Widerwillen gegen die Verteilung der Semesternoten geschoben, aber das wäre nur eine Ausflucht gewesen. Der Typ von CNN hatte all das ausgelöst. Wenigstens war er mit einem Weihnachtsbaum nach Hause gekommen.
Für gewöhnlich bemühte er sich, zum Abendessen da zu sein. Die Kinder liebten Routinen; die meisten von ihnen hatten noch nie Gemüse gegessen oder einen Wecker gesehen, bevor sie Teil ihrer Familie geworden waren. Aber manchmal hielt ihn die Arbeit im Labor fest. Wenigstens hatte er heute Abend eine Menge häusliche Flugmeilen gesammelt, als er die große schottische Kiefer durch die Küche geschleppt hatte. Das war eine willkommene Erleichterung von dem ganzen miesen Hokuspokus gewesen, den die CNN-Sendung ausgelöst hatte.
Aber das hier war nicht irgendeine Nacht; sie hatten ein neues Kind, das sich bei ihnen einleben musste. Erin hatte sich zwei Monate freigenommen, damit sie ihre Aufmerksamkeit nicht zwischen dem Krankenhaus und zu Hause teilen musste. Und Lucas hatte ihr zwei volle Wochen Weihnachtsferien versprochen, und dann hatte er es nicht einmal rechtzeitig zum Abendessen nach Hause geschafft. Was zum Teufel machte das mit seiner Glaubwürdigkeit? Es interessierte sie nicht, dass er von den Nachrichten aufgerüttelt worden war und etwas zu viel Zeit beim Kauf des Weihnachtsbaums vertrödelt hatte. Es ging hier um ein Kind, nicht um eine akademische Übung – Absichten zählten nicht, sondern nur Resultate.
Er stellte die Tassen in das Regal, während der Sturm draußen vor dem Küchenfenster losging. Die Lichter in Dingos Wohnung über der Garage brannten, und Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein.
Der Winter hatte schon im November angefangen, und der erste Schnee des Jahres war zehn Tage vor Thanksgiving heruntergekommen. Der Hinterhof war wochenlang darunter begraben gewesen, und erst jetzt wurde das Schaukelgerüst wieder über dem Schnee sichtbar, wie eine verlassene Bohrinsel. Der Schnee machte jedoch keine Anstalten, aufzugeben. Lucas konnte sich nicht daran erinnern, dass es um diese Zeit jemals so ausgesehen hatte. Bereits jetzt hatte die Schneemenge dieses Winters alle früheren Rekorde gebrochen. Der Duft von Kiefernadeln in Verbindung mit der Szenerie draußen gab die Stimmung vor, und um Johnny Mathis zu paraphrasieren: Es fühlte sich allmählich tatsächlich wie Weihnachten an.
Er versuchte, sich auf das Geschirr zu konzentrieren, aber seine Aufmerksamkeit glitt immer wieder zum Fernseher.
Der leuchtende Bildschirm erfüllte die Küche für gewöhnlich mit einer nicht fassbaren Wärme, doch heute Abend fügte er dem rostfreien Stahl und Marmor eine unheimliche, bläulich schimmernde Qualität hinzu. Lucas hatte den Ton abgestellt, als der Nachrichtensprecher am Rand seines Blickfelds seine beste James-Earl-Jones-Parodie zum Besten gab. Und bei jedem kleinen Detail quietschte seine alte innere Maschinerie, als sie versuchte, hochzufahren.
Er wischte gerade die Spüle aus, als dieselbe Gestalt wie zuvor seine Aufmerksamkeit erregte. Es war dieselbe Silhouette. Dieselbe Kleidung. Nur ein Mann sah so aus.
Lucas stellte das Wasser ab, trocknete sich die Hände ab und machte den Fernseher lauter. Er lehnte am Tresen, als Erin hereinkam. »Was gibt’s denn in den Nachrichten?« Sie blieb stehen, als sie seine Miene sah, und drehte sich zum Fernsehgerät herum, sah wieder zu ihm und bannte ihn mit einem ihrer besonderen Blicke. »Luke?«
Er bemerkte, wie sie von seinem guten Auge zu seinem schlechten hin und her sah, was sie nur tat, wenn sie wütend oder enttäuscht war. Im Moment traf beides zu, das war ihm klar. Er hätte einiges dazu sagen können, aber er wollte auf keinen Fall den Eindruck machen, dass er sich verteidigte.
Anderson Cooper teilte sich jetzt den Splitscreen mit Wolf Blitzer im Studio. Blitzer bemühte sich so gut er konnte, seriös auszusehen, während Cooper vage Spekulationen über einen unbekannten Verdächtigen von sich gab, über das unbekannte Motiv, das unbekannte Opfer und den unbekannten Typ von Waffe. Gewiss war offensichtlich nur, dass das Wetter die Ermittlungen beeinträchtigen würde.
Lucas deutete mit einem Nicken auf den Bildschirm, über dessen unteren Rand die Textschleife lief, als hinter Cooper erneut diese Gestalt über die Straße ging. »Erinnerst du dich noch an ihn?«
Erin richtete ihre Aufmerksamkeit widerwillig auf den Bildschirm. Als sie die Person sah, auf die er anspielte, versteifte sie sich.
»Wir sind fertig!«, rief Maude aus dem vorderen Flur.
Erin rührte sich nicht. Sie beobachtete einfach nur, was auf dem Bildschirm passierte. »Das ist Brett Kehoe«, stellte sie nüchtern fest.
»Ja.«
Maude rief sie wieder.
»In einer Minute!«, fuhr Erin sie an, milderte es jedoch sofort mit einem freundlicheren: »Gib mir eine Minute, okay?« ab. Dabei starrte sie unverwandt auf den Bildschirm. »Wirst du da mit hineingezogen?«, wollte sie von Lucas wissen.
Kehoe ging gerade zu einer Gruppe von Frauen und Männern in FBI-Parkas. »Ich weiß es nicht.«
Erin schnappte sich die Fernbedienung vom Tresen, schaltete den Fernseher aus und warf die Bedienung wieder auf die Marmorplatte. Der Batteriedeckel löste sich, die kleinen Batterien rollten heraus und fielen auf den Boden. »Dann hör auf, dir diesen Scheiß anzusehen. Es ist Geschichten-Zeit.«
Fünfzehn Minuten später waren die Gespensterbilder einer lange zurückliegenden Weihnacht verblasst, und Lucas las etwas aus einem Sesamstraßen-Buch vor. Die Kinder waren in die gewöhnliche Fast-Ruhe nach ihrer Spielzeit und vor ihrer Schlafenszeit verfallen. Das Buch war zwar schon ein bisschen älter, und er hatte Schwierigkeiten, andere Stimmen als die von Mr. Snuffleupagus, dem Mammut, nachzumachen, aber die Kinder waren wie immer von seinem Gesang begeistert.
Maude machte ihre Hausaufgaben am großen Eichenschreibtisch, zweifellos war das ihre letzte Vorbereitung für ihren morgigen Algebra-Test, und Erin saß in dem großen Morris Chair am Kamin. Damien und Hector lagen neben dem Baum auf dem Boden und waren in ein erfundenes Spiel mit dem Ouija Board vertieft – sie hatten es Luigi-Brett umgetauft. Alisha war jetzt seit drei Tagen bei ihnen und lag mit Laurie und dem Hund auf der Fensterbank. Alisha freundete sich gerade mit Laurie an, die zum ersten Mal ihre Rolle als große Schwester genießen konnte. Erins Körpersprache hatte sich ein bisschen gemildert, zweifellos als Reaktion auf Lucas’ Grobi-Darbietung. Es war einer dieser Momente, wo alles im Page-Land gut zu sein schien – fast.
Er war mitten in einer grottenschlechten Darbietung von »das Alphabet-Lied«, als Alishas und Lauries Aufmerksamkeit sich auf etwas draußen vor dem Fenster richtete. Zuerst schienen sie einfach nur neugierig, aber als Alisha Lemmy an sich drückte, hörte Lucas auf zu singen. Er war bei »G ist für ein Glas Gurken« angekommen, schloss das Buch und trat ans Fenster. Er sah in der spiegelnden Scheibe, wie Erin hinter ihm aus dem Sessel aufstand.
Zwei Polizeiwagen nahmen zwei schwarze SUVs am Bordstein in die Mitte. Die Wagen parkten in zweiter Reihe, und die Blinklichter blitzten. Die Türen an allen vier Fahrzeugen wurden gleichzeitig geöffnet, und in dem Schneetreiben stiegen so viele Männer aus, dass man ein Football Team hätte zusammenstellen können. Es waren sechs Polizeibeamte aus den beiden Streifenwagen und acht Zombies aus den SUVs. Der Einzige, den Lucas erkannte, war der gut gekleidete Typ aus dem Fernsehen. Das machte summa summarum sieben Zombies plus Brett Kehoe.
Kehoe löste sich von der Gruppe und ging zur Haustür. Der Rest bezog Position auf dem Bürgersteig. Lucas registrierte, dass sie sich strategisch aufstellten. Wie immer umgab Kehoe sich mit guten Leuten.
Lucas legte seine rechte Hand auf Alishas Schulter. »Mach dir keine Sorgen, Süße. Sie sind nicht deinetwegen hier.«
»Pfui«, sagte Erin hinter ihm. Es verblüffte ihn, dass sie sich selbst angesichts der kleinen Armee auf dem Bürgersteig vor den Kindern beherrschen konnte. Das war ein weiteres Beispiel für die Magie, die er so anziehend an ihr fand.
Allerdings hütete er sich, sie anzusehen, als er zur Tür ging.
Die Türglocke läutete, und er atmete ein paar Mal durch, bevor er die schwere Eichentür mit dem Milchglasfenster öffnete, vor der der für Manhattan zuständige FBI Special Agent stand. Vier Klone mit Mänteln stiegen die Stufen hinter ihm hoch.
Kehoe sagte nicht Hallo. Er lächelte auch nicht. Er streckte nicht einmal die Hand aus. »Haben Sie die Nachrichten gesehen?«, war alles, was er fragte.
Lucas räumte den Geschirrspüler aus, während Kehoe seinen Werbetext anstimmte. Er bot dem Mann nicht an, ihm den Mantel abzunehmen. Er wollte nicht, dass er sich zu heimisch fühlte. Lucas hatte diesen Leuten nichts mehr zu geben. Es sei denn, sie wollten sich eine Dosis Ablehnung abholen.
Kehoe begann nicht mit einer Entschuldigung, und er verlangte auch keine, obwohl beides verständlich gewesen wäre. Aber ein Jahrzehnt war eine lange Zeitspanne, und Kehoe war intellektuell nicht gerade träge. Er hatte zweifellos seine Gefühle bezüglich der Art und Weise geklärt, wie die Sache damals gelaufen war.
Falls er überhaupt Gefühle hatte.
Natürlich war am Ende dabei herausgekommen, dass es niemandes Schuld gewesen war. Was passiert war, hatte sich ohne Hintergedanken, Zweck oder auch nur eine Absicht ereignet. Das Universum hatte einfach die Arme geschwungen und ein willkürliches Fick dich verteilt. Und das nur, weil sie an genau dem falschen Ort zu genau der richtigen Zeit gewesen waren.
Kehoe legte ein Diagramm auf den Tisch. Es war eine Tatort-Schablone mit Maßen und Aufrissen, die mit Bleistift eingetragen worden waren. Alle in digitaler CAD-Präzision, ein weiterer Beweis von Kehoes Effizienz. »Das Opfer fuhr auf der Zweiundvierzigsten nach Westen und wurde getroffen, als es unter dem Park-Viadukt herauskam. Der Schuss kam aus südlicher Richtung.«
Bevor Lucas es verhindern konnte, legte er seinen Aluminiumfinger auf die Stelle, wo sich die beiden Routen überlappten. »Durch diese Schlucht?« Das Diner unter der Überführung war einer der Plätze, an denen er oft mit den Kindern frühstückte, wenn sie ihren Sonntagmorgenausflug zur Bibliothek hinter sich hatten. »Von wo genau ist der Schuss gekommen?«
»Wir wissen nur, dass das Opfer auf der Kreuzung getroffen wurde. Zeugen sagen, der Knall des Schusses wäre mindestens zwei bis drei Sekunden später ertönt.«
Zeugen waren dafür berüchtigt, dass sie die Zeit schlecht einschätzen konnten, aber wenn die Verzögerung zwischen dem Einschlag und der Schallwelle groß genug gewesen war, um überhaupt bemerkt zu werden, sprach das für eine erhebliche Differenz in der Gleichung. Außerdem bedeutete es, der Schütze hatte keinen Schalldämpfer benutzt.
»Kaliber?«
»Die Kugel hat das Fahrzeug durchschlagen, und wir haben sie bis jetzt noch nicht gefunden.«
»Sie meinen, sie hat die Fensterscheibe durchschlagen.«
»Nein, das meine ich nicht. Sie hat den Wagen durchschlagen.«
Jetzt wusste er, warum Kehoe in seiner Küche stand.
Lucas dachte an die Schneise auf der Park Avenue, eine Schlucht aus Hochhäusern und Fenstern, die eine Million und einen Aussichtspunkt für einen Mann mit einem Gewehr bot.
»Ein zweites Opfer wurde von dem Wagen überrollt, nachdem der Fahrer die Kontrolle verloren hatte. Sie war beim New York Ballett. Sie ist tot.«
Mit jedem kleinen Legostein, den Kehoe an seine Stelle setzte, wurde seine Motivation klarer. Das war genau die Art von Vorfall, die sehr schnell den Glauben der Öffentlichkeit an die Obrigkeit unterminieren konnte. Und in einem so geschlossenen Ökosystem wie New York City war der unausgesprochene Sozialvertrag der Einwohner das Einzige, was wirklich verhinderte, dass das Experiment ins Chaos abdriftete.
»Ich verstehe Ihr Problem, aber nicht, wie ich helfen könnte. Ich war schon außer Dienst, bevor Sie hereingekommen sind, und das bin ich jetzt erst recht«, erwiderte Lucas.
Kehoe beobachtete ihn eine Weile. Lucas kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er noch nicht fertig war. Das war jetzt der Moment, an dem Kehoe versuchen würde, seine Finger in Lucas’ Kopf zu bekommen. Also wartete er.
»Da wäre noch eine Sache.« Kehoes Eröffnung sagte Lucas, dass jetzt der eigentliche Anlass seines Besuches kam.
Lucas starrte ihn mit seinem gesunden Auge an. »Ich sagte Ihnen ja schon – ich habe meinen Dienst quittiert.«
Kehoe nahm die Diagramme vom Tisch. Er rollte sie zusammen, nickte ernst und schien wirklich gehen zu wollen. Dann hielt er inne und lächelte traurig. »Es interessiert Sie vielleicht trotzdem, dass das Opfer Ihr alter Partner war, Doug Hartke.«
ZWEIUNDVIERZIGSTE STRASSE ECKE PARK AVENUE
Lucas stand mit den Vektor-Ausdrucken in der Hand auf der Zweiundvierzigsten im Schatten des Park-Avenue-Viadukt. Sie waren laminiert und in einer dünnen Heftmappe geordnet, die das Logo des Bureaus trug. All das hatte bereits feinsäuberlich auf ihn gewartet, als Kehoes SUV vor dem großen Blue-Bird-Kommandofahrzeug hielt, das an dem Tatort parkte. Nur waren sie vollkommen nutzlos.
Die Zweiundvierzigste war in beiden Richtungen gesperrt, und die Park Avenue war drei Blocks weiter südlich abgeriegelt worden. Dadurch herrschte ein Verkehrsstau wie sonst nur im Juli. Die Straße war von NYPD-Streifenwagen und FBI-SUVs verstopft, die Blinklichter spiegelten sich im Schnee, im Beton und im Glas und verliehen der ganzen Show einen unterweltlichen Discoeffekt.
Es fror, und der Wind fegte zwischen den Gebäuden hindurch, die Park Avenue hoch und trieb Schneetromben vor sich her, die zu jedem anderen Zeitpunkt wunderschön gewesen wären. Den Asphalt überzog eine schmutzige gefrorene Kruste, die knirschte wie Kartoffelchips, und Lucas hatte Schwierigkeiten, auf dem unebenen Boden sein Gleichgewicht zu halten. Sein Knöchel versteifte sich immer bei niedrigen Temperaturen. Die Prothese selbst war zum größten Teil aus Aluminium, aber die Gelenke bestanden aus rostfreiem Stahl. Ein anderer Teil der anderen Technik war aus Titan oder Carbonfasern gefertigt, und jede Legierung zog sich bei Kälte unterschiedlich stark zusammen, was seine Mobilität beeinträchtigte. Um das zu kompensieren, hüpfte er etwas auf seinem gesunden Bein, wodurch sein Gang eine sehr eigentümliche Signatur annahm.
Als sie am Tatort eintrafen, erkundigte sich Lucas nach der Hierarchie, und Kehoe deutete auf das breite Kreuz einer Gestalt in der Nähe des Zeltes der Spurensicherung. Lucas erkannte die unverkennbare Figur von Grover Graves. Der Mann und er hatten sich nie verstanden. Es war eine dieser Abneigungen, die auf eine sich gegenseitig abstoßende Chemie zurückzuführen war. Alles Händeschütteln und Lächeln und selbst die besten Absichten konnten diese Abneigung nicht überwinden. Graves war auch die einzige ihm bekannte Ausnahme von Kehoes Regel, nur die besten Leute einzusetzen. Dass der Mann einen Fall von solcher Bedeutung leitete, fühlte sich nicht nach einer Entscheidung Kehoes an.
Nachdem sich Lucas und Graves quer über die Straße zugenickt hatten, verriet Kehoe Ersterem, dass Hartke die letzten Jahre unter Graves gearbeitet hatte. Dieses Detail überraschte Lucas. Hartke hatte Dummheit genauso gehasst wie Lucas, und Lucas konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann Befehle von Graves entgegennahm, ganz gleich in welcher Lage. Aber es war eine mögliche Erklärung, warum Kehoe Graves diese Ermittlungen leiten ließ. Damit zwang er ihn, Verantwortung für seine eigenen Leute zu übernehmen.
Wenigstens musste Lucas nicht mit Graves zusammenarbeiten. Ebenso wenig wie mit Kehoe. Er war nur hier, um seinem alten Partner Tribut zu zollen. Hartke war vieles gewesen, und das meiste davon war alles andere als nett, aber er war auch so etwas wie ein Freund gewesen. Also schuldete Lucas ihm etwas. Deshalb war er hier. Deshalb stand er hier auf der Straße und wartete, dass er in seine Rolle schlüpfen konnte.
Die beiden Agenten, die Kehoe ihm an die Seite gestellt hatte, hielten sich zurück und drückten sich in der Nähe der Hausecke herum. Sie betrachteten ihn mit dem vorprogrammierten Desinteresse ihrer Spezies. Der eine von ihnen war ein typischer Bureau-Typ, der aussah, als hätte man ihn direkt von der Central-Casting-Agentur verpflichtet – leicht zu vergessen und nichtssagend. Die andere war eine junge Schwarze, die sich mit der bedächtigen, überlegten Gelassenheit eines harten Typen bewegte. Sie waren beide unauffällig und professionell und kamen ihm nicht in die Quere.
Nachdem Lucas ein paar Sekunden lang die Topografie in sich aufgenommen hatte, fiel ihm auf, dass er hinter eine Laterne getreten war. Das bedeutete, sein Betriebssystem updatete sich automatisch. Es war verblüffend, wie schnell diese Art von Denken zu einem Instinkt wurde – und noch erstaunlicher war, wie lange sie an einem hängen blieb, auch wenn sie nicht mehr notwendig war. Wie ein Phantomglied. Nach den Krankenhäusern, den Operationen, der Rehabilitation und den Alpträumen hatte er fast ein ganzes Jahr gebraucht, um sich wieder in eine Menschenmenge mischen zu können. Es hatte Zeit gekostet, aber allmählich hatte sich die Furcht in den Äther verflüchtigt. Bis jetzt.
Aber ein bisschen Vorsicht hier draußen war nicht nur klug, sondern sie war von essenzieller Bedeutung. Relativ gesehen gab es nichts Schlimmeres, als einen Mann mit einem Gewehr in einer Stadt aus Fenstern zu jagen.
»Scheiße«, flüsterte er in gedämpfter Kirchenlautstärke und trat auf die Kreuzung.
Das Opfer, sein früherer Partner und einziger Freund, saß immer noch in seinem Wagen. Das Fahrzeug war von einem Tatortzelt abgesperrt worden, aber Kehoe hatte ihn durch die Absperrung geführt. Lucas würde niemals vergessen, wie Hartke aussah. Wenn man jemandem die Schädeldecke wegschoss, setzte man eine Blutfontäne frei, die mit einem Druck von anderthalb Pfund pro Quadratzentimeter etwa acht Liter Blut aus dem Körper pumpte. In einem kleinen, geschlossenen Raum wie einem Fahrzeug verursachte das schlechte Träume, die einen sein Leben lang nicht mehr losließen. Und davon hatte Lucas bereits eine ziemlich umfassende Sammlung.
Er hatte sich seit mehr als drei Jahren nicht mehr mit Hartke getroffen, aber sie hatten sich Weihnachtskarten geschrieben und gelegentlich Mails geschickt, alles ausgeschmückt mit der Androhung von Besuchen, die nur sehr selten in die Tat umgesetzt wurden. Lucas konnte es dem Mann nicht verübeln. Was ihm, Lucas, passiert war, war einfach eine zu deutliche Mahnung daran, wie verdammt schief die Dinge in seinem Beruf laufen konnten. Und Polizisten, vor allem solche der alten Schule wie Hartke, waren notorisch abergläubisch. Selbst wenn er es niemals zugegeben hätte, musste sich irgendein Teil seines Reptilienhirns Sorgen gemacht haben, dass Lucas’ Pech rückwirkend ansteckend sein könnte. Also hatte Lucas ihm sein Verhalten nie angekreidet.
Er blickte die Straße hinauf und holte tief Luft, bevor er das Wetter, die blitzenden Blinklichter, die Armee aus Männern in Blau, den riesigen Weihnachtsschmuck und das Zelt der Spurensicherung mit seinem toten Partner aus seinen Gedanken verbannte.
Hatte er es noch drauf? Schließlich konnte er nach allem, was alle sagten, die Dinge, die er angeblich bewerkstelligen konnte, eigentlich nicht wirklich tun. Jedenfalls nicht mit einem menschlichen Gehirn.
Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass es anfing.
Er dachte an das, was er in dem Zelt gesehen hatte. Er dachte an das zerschmetterte Autofenster, an das zerfetzte Gehirn seines Freundes. Er dachte an die Aufnahmen der Dashcam, die Kehoe ihm gezeigt hatte, und an den Vier-Sekunden-Rahmen für die heranpfeifende Kugel. Er dachte daran, wer er war und warum er eingewilligt hatte, hierher zu kommen.
Dann öffnete er die Augen, und die Welt rutschte in den Kontext.
Sofort.
Automatisch.
Die Straße wurde auf eine Art und Weise lebendig, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Es fühlte sich an, als wäre er in die Halluzination eines anderen getreten.
Die Welt war plötzlich auf eine komplizierte Geometrie reduziert.
Die kleineren Komponenten der Stadt nahmen Werte an. Die Ziegelsteine und Steinblöcke wurden Maßeinheiten. Diese Maßeinheiten verbanden sich zu größeren Flächen, den Fenstern, Türen und Laternenpfählen, die ihrerseits ihre eigene numerische Bedeutung aufwiesen. Und zwar jede relativ zu allen anderen. Plötzlich war alles eins, und die Stadt wurde eine Matrix aus miteinander verbundenen Ziffern, ein Mosaik aus Zahlen, das sich bis zum Horizont erstreckte.
Lucas stand auf der Kreuzung, hob die Arme und drehte sich langsam um seine Achse. Er absorbierte die City in einem numerischen Panorama, das durch seinen Kopf pulsierte, tanzte und blitzte. Er nahm die Zahlen um sich herum auf, fütterte die Daten in einer Reihe von instinktiven Algorithmen, die selbst er nicht ganz verstand. Es war ein unmittelbarer Prozess, angetrieben von einem Automatismus, den er nicht erklären konnte. Es war, als befände er sich im Zentrum eines Strudels, und die Reihen mit den Codes, die die Landschaft wie ein Teppich überzogen, wirbelten so schnell um ihn herum, dass man sie nicht auf eine bewusste Art absorbieren konnte.
Als er eine ganze Umdrehung beendet hatte, konnte er die Gebäude oder Bürgersteige oder Streifenwagen oder Blitzlichter nicht mehr sehen. Er vergaß die Polizeiwagen, die die Straße säumten, und die Frauen und Männer in Blau, die über den schneebedeckten Bürgersteig marschierten. Alles, was er sah, alles, womit er sich in Beziehung setzen konnte, waren die Zahlen.
Überall.
Sie repräsentierten alles.
Und dann …
War es vorbei.
Er blinzelte, und der ganze Zirkus fuhr herunter. Alles, die Zahlen, die Geometrie, die Entfernungen. Übrig blieb nur eine eisige Winterszenerie mit zu vielen Streifenwagen und nicht genug Verkehr.
Lucas blickte die Park Avenue entlang, und sein Verstand verband die einzelnen Komponenten miteinander. Er hörte das Hupen des umgeleiteten Verkehrs nicht mehr, ebenso wenig fühlte er den schwiegermütterlichen Kuss der Winterkälte und blickte auch nicht mehr in den sacht herabrieselnden Schnee. Er konnte nur auf die Spindel aus Ziegelstein zu starren, die sich aus der Erde erhob. Es war das einzige Gebäude auf der Avenue, das in einem Fünfundvierzig-Grad-Winkel zu den anderen versetzt errichtet worden war. Dadurch deutete eine Kante des Hochhauses zur Straße, und es erhob sich hoch über die Park Avenue. Es lag siebenhundertzweiundsiebzig Meter vom Einschlagpunkt der Kugel entfernt, plus minus eine Handvoll Zentimeter.
Es war perfekt.
Er drehte sich zu der jungen Schwarzen herum. »Wie heißen Sie?«
»Whitaker.« Ihr freundlicher Tonfall stand in krassem Gegensatz zu ihrer harten Attitüde. Das einzig Sichtbare an ihr waren ihre Zähne, die im Schatten der FBI-Kapuze leuchteten.
»Whitaker, sagen Sie Kehoe, ich weiß, woher der Schuss gekommen ist.«
Lucas deutete mit einem Nicken auf das, was, wie er wusste, ein Gebäude in der Ferne war, was sich aber jetzt wieder in eine Reihe von geometrischen Flächen verwandelt hatte, mit dem Rest der City durch Zahlen verbunden. Er hob seine Aluminiumhand und deutete auf den Turm. »Vom Dach des Hauses Park Avenue 3.«
Obwohl Park Avenue 3 vom selben Architektenbüro entworfen wurde, das der Welt das Empire State Building geschenkt hatte, besaß ersteres Gebäude nichts von der Pracht der krönenden Errungenschaft dieser Firma. Der unauffällige Monolith erhob sich exakt 556 Fuß hoch in die Skyline von Manhattan und ähnelte eher einem Block mit Eigentumswohnungen. Es mangelte ihm selbst an der Chuzpe zur Trump-Geschmacklosigkeit, dafür gelang es ihm jedoch, auszusehen, als würde es sich nach Kräften darum bemühen. Es hätte überall auf der Welt errichtet worden sein können und wäre trotzdem niemals für irgendeinen Preis nominiert worden.
Das Dach hatte die Größe eines Football-Feldes, auf dem zwei Nebengebäude standen, in denen sich ein Zugang zum Dach und verschiedene Versorgungseinrichtungen befanden sowie ein Wasserreservoir und eine Reihe von anhängergroßen Einheiten für Heizung, Lüftung und Klimaanlagen, kurz HVAC, die auf voller Leistung liefen, so dass der ganze Boden vibrierte. Das Dach selbst war wie eine mittelalterliche Burg konzipiert – oder wie ein Gefängnishof. Eine gut sieben Meter hohe Mauer umschloss den himmelhohen Hof wie ein Verteidigungsbollwerk. Der Wind wurde in diesen ummauerten Raum geleitet und wirkte wie eine Turbine, die einen in sich geschlossenen Schneesturm erzeugte.
Alle drehten sich zu Lucas herum und warteten darauf, dass seine Magie einsetzte. Aber hier gab es nicht viel über Positionen nachzudenken. Der Schütze musste in der Nähe der nordwestlichen Ecke gewesen sein, an der am weitesten links stehenden Wärmepumpe, die warme Luft in das Gebäude speiste. In der dichten Schneedecke waren Spuren sichtbar, aber der Wind hatte sein Werk verrichtet. Aus dieser Fährte konnten sie nicht sehr viel mehr herauslesen als eine ungefähre Einschätzung des Ganges.
Die Fußspuren führten zur Ecke neben den HVAC-Einheiten, direkt zu dem rudimentären Gerüst, das an die Mauer geschraubt war. Zweifellos war es für Reparaturarbeiten installiert worden, bevor die eisigen Temperaturen alle Arbeiten verhindert hatten.
Es gab nicht viele Möglichkeiten, auf das Gerüst heraufzukommen. Die integrierten Leitern an der Seite waren die einzige Möglichkeit. Es gab vier Ebenen bis zu den Zäunen. Wer auch immer das Gerüst benutzt hatte, hatte Handschuhe getragen, also brauchte man sich keine Gedanken über Fingerabdrücke oder versteckte DNA zu machen. Und was auch immer an Beweisen zurückgeblieben sein mochte, war mittlerweile längst bis Hoboken und darüber hinaus geweht worden. Lucas kletterte langsam das Gerüst hinauf.
Seine Prothesenhand ließ sich kaum bewegen, und er musste seinen Ellbogen über jede zweite Sprosse klemmen. Sein Bein arretierte jedes Mal, wenn er den Schenkel zurückschwang, so dass er die gefrorenen Sprossen wie Spider Man hinaufklettern konnte. Aber es ging sehr viel langsamer als bei jemandem mit intakter Biomechanik.
Der Wind hatte die oberste Plattform freigefegt, und es gab keinerlei Spuren, dass sich hier ein Mann aufgehalten haben könnte. Lucas drehte sich herum und zog sich auf die oberste Plattform.
Hier draußen, so hoch über der Stadt, wurde der Wind zu etwas, das man fürchten lernte. Um hier hinaufzuklettern, brauchte man mehr als nur Motivation und Entschlossenheit – man musste masochistisch veranlagt sein. Es gab tausend andere Orte auf der Park Avenue oder der Zweiundvierzigsten Straße, die besser für taktische Überlegungen geeignet gewesen wären als dieser.
Warum also hier?
Lucas trat zu der etwa einen Meter hohen Ziegelmauer, die einen äußeren Vorsprung von etwa acht Fuß bildete, bevor sie abfiel. Er erhob sich langsam und hielt seinen Schwerpunkt niedrig. Die psychologische Hürde, zu wissen, dass man einundvierzig Stockwerke hoch oben war, fügte alle möglichen Arten von weißem Rauschen zu einer ohnehin schon höchst beunruhigenden Übung hinzu. Er hatte keine Angst vor Höhen, aber man wäre ein Narr, wenn man nicht respektierte, was Schwerkraft und ein Bürgersteig mit einem fallenden Körper anrichten konnten.
Die Park Avenue bis zur Zweiundvierzigsten hinunterzusehen ähnelte einem Blick durch eine lange, schmale Schlucht, was diese Übung einfach zu machen schien. Doch wenn man einen sprichwörtlichen Schritt zurücktrat und die Variablen untersuchte, dann hatte dieser verdammte Mistkerl einen ganzen Haufen Mathematik zu Hilfe genommen: den Wind, das unberechenbare Tageslicht, den Schnee, reduzierte Sicht, die Anpassung der Waffe und ein in dem Punkt mögliches Scheitern, die Wahl der Kleidung und die Entfernung. Und dazu einen winzigen Zeitraum, um das alles auf die Reihe zu bekommen. Das war kein Schuss, den jeder hätte machen können, der wusste, wo das heiße Ende eines Gewehrs war.
Lucas zog sein Fernrohr heraus und blickte über die Park Avenue. Grand Central Terminal füllte das ganze Fadenkreuz, und die Kreuzung war eine Art Kaleidoskop aus Blinklichtern und Polizeiwagen. Und das alles für eine einzige Kugel, die gerade alle bis zu ihrem Ursprungspunkt zurückzuverfolgen versuchten.
Einen Schuss von hier aus abzugeben ähnelte dem Versuch, einen Faden in eine Nadel einzufädeln, während man auf einem mechanischen Bullen ritt, der sich zu Musik von Motörhead bewegte. Der Wagen hätte schon die erste Hälfte der Kreuzung überquert, bis der Schütze das Ziel erfassen könnte. Was nur ein winziges Zeitfenster übrig ließ, sich zu fokussieren, Luft zu holen, den Vorhalt zu kalkulieren und abzudrücken.
Es war nahezu unmöglich.
Lucas hätte aus dem Stegreif höchstens drei Männer nennen können, die dazu in der Lage gewesen wären, und selbst bei denen sprach die Statistik gegen sie.
Aber für ihren Kerl war es machbar gewesen. Schwierig und unwahrscheinlich, sicher, aber machbar. Man brauchte nur Doug Hartke zu fragen.
Die Plattform war vom Wind praktisch sauber gefegt worden. Es gab weder Kratzer noch Taubenkot noch irgendwelche anderen Flecken auf dem Kompositstein, weder natürliche noch von Menschen verursachte Spuren.
Lucas drehte sich wieder zum Dach um, zurück zu dem tosenden Sturm und der Stadt hinter dem Schleier. Er sah auf die Forensiker herunter, die mit der mühevollen Schwerstarbeit beschäftigt waren, die Millionen winziger Müllteile aufzusammeln, die hier herumlagen und von denen sich nur sehr wenige als nützlich erweisen würden – wenn überhaupt.
In seinem Kopf entwickelte sich mittlerweile ein Bild des Mannes, nach dem sie suchten. So ein Kerl war nicht in einem Vakuum aufgezogen worden; er hatte ein Leben da draußen. Und er hatte so etwas schon einmal gemacht.
In dem Moment übertönte Kehoe den Wind. »Page? Was halten Sie davon?«, brüllte er ihm vom Dach unten zu.
Lucas wandte den Kopf und betrachtete ihn eine Sekunde. Er hatte seine Meinung bereits geäußert und war nur aus morbider Neugier hier oben.
»Bingo«, sagte er.
Lucas hockte in der Ecke unter dem Netzwerk aus isolierten Rohren, die in der Sackgasse hinter dem Lastenaufzug verschwanden. Der Kaffee, den Whitaker ihm brachte, war erheblich besser als das Zeug, das man sonst im Außeneinsatz verteilte. Ganz offensichtlich hatte sich die Starbuckisation von Amerika auch beim FBI ausgebreitet. Die meisten seiner Körperteile waren mittlerweile aufgetaut, und seine Prothesen funktionierten geschmeidiger.
Aber Lucas dachte ebenso wenig über den Kaffee nach, wie er sich Sorgen um die Staatsverschuldung machte. Er war mit dem beschäftigt, was man ihm nicht erzählte.
Kehoe hielt irgendetwas zurück. Lucas hatte keine Ahnung, was es sein mochte, er wusste nur, dass es da etwas gab, und zwar in allem, was er sagte und – wichtiger noch – in dem, was er nicht sagte. Es lag in den Pausen und in dem winzigen Zögern, bevor er eine Frage beantwortete. Es lag darin, wenn er Lucas in die Augen sah, und in der Art, wie er ihn beobachtete.
Das Verräterischste war, dass alle außer Whitaker ihn mieden, und zwar nicht aus Verlegenheit. Er war daran gewöhnt, dass er den Leuten Unbehagen einflößte, aber das galt für die Welt allgemein. Bei den Leuten hier würde er kaum Eindruck machen. Nein, sie mieden ihn, weil man es ihnen befohlen hatte.
Typisch Kehoe.
Er trank seinen dritten Becher Kaffee, als Kehoes perfekt geschneiderte Silhouette um die Ecke bog, mit Grover Graves im Schlepptau. Agent Whitaker folgte ihnen, blieb jedoch an der Ecke des Aufzuggebäudes stehen. Lucas erwärmte sich allmählich für sie, nicht nur wegen ihres fast übernatürlichen Schweigens. Er spürte, dass sie auf ihn aufpasste, obwohl er nicht hätte sagen können, warum. Es hatte an der Kreuzung von Park Avenue und Zweiundvierzigster angefangen, und es hatte sich durch die Art verstärkt, wie sie ihn mit Kaffee versorgte.
Kehoe zog seine Handschuhe aus und hauchte in seine Fäuste. Trotz des Ventilationsschlitzes über ihm spürte Lucas die Kälte, die er ausstrahlte. Graves trat zu ihnen. Er wirkte sichtlich unglücklich.
Kehoe ließ eine kleine Pause entstehen, bevor er etwas sagte. »Sie haben uns viel Zeit erspart.«
»Sie hätten es selbst herausgefunden …«
»Ja, hätten wir«, unterbrach ihn Graves und demonstrierte damit, dass die schlechten alten Zeiten für ihn noch sehr konkret waren.
Lucas lächelte ihn freundlich an, bevor er seinen Satz beendete. »In ein bis zwei Wochen.«
Whitaker an der Ecke des Aufzugsgehäuses kaschierte ihr Grinsen mit einem Husten in ihre behandschuhte Faust.
Kehoe ignorierte diese kleinkarierte Feindseligkeit, warf Graves jedoch einen Blick zu, der ihm das Maul stopfte. Kehoe war einer der wenigen Leute im Bureau, die richtig gut in ihrem Job waren, weil er ergebnisorientiert war und sich nicht von Politik motivieren ließ. In einer Organisation, wo ein Aufstieg auf der Karriereleiter genauso heiß begehrt war wie Ergebnisse, hätte er göttlichen Schutz errungen, hätte er seinen Karteischrank mit einem Haufen von hervorragend gelösten Fällen gefüllt. Stattdessen schwammen in seinem Kielwasser Karteileichen – verlorene Fälle, die niemand sonst wollte. Dafür war er berühmt. Und obwohl er unbedingt Außenagent bleiben wollte, war er trotzdem von seinen Vorgesetzten die Karriereleiter hinaufgeschoben worden, bis er jetzt, nach fast drei Jahrzehnten im Dienst, der amtierende leitende Agent für ganz New York City war. Und zudem einer der am meisten respektierten in der Geschichte von Manhattan.
Kehoe fuhr fort. »Ich möchte, dass Sie bei diesem Fall weiter mitarbeiten. Meinetwegen und wegen Hartke. Er hätte Sie dabeihaben wollen.«
Lucas fragte sich, ob sich das für alle so unaufrichtig angehört hatte wie für ihn. Nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, wurde ihm klar, dass das hier nicht mehr seine Leute waren. Und er würde sich nicht manipulieren lassen. Außerdem konnte er ihnen nichts mehr geben. »Nein, danke«, sagte er und ging zum Aufzug.
»Wohin wollen Sie?«
»Nach Hause. Wir haben gerade ein kleines Mädchen bekommen, und es schläft noch nicht besonders gut.« Er deutete mit einem Nicken auf Whitaker. »Sie fährt mich.«
Kehoe wollte protestieren, aber Lucas hatte sich bereits abgewendet.
»Sie haben nicht sehr viele Freunde, stimmt’s?«, erkundigte sich Whitaker, als sie zusammen in den Aufzug traten.
Lucas streckte die Hand aus und drückte mit einem grün eloxierten Knöchel auf den Knopf fürs Erdgeschoss. Die Türen glitten zu und schlossen Graves und Kehoe aus.
»Freunde? Was ist das?«, fragte er zurück.
Als Lucas durch die Tür trat, saß Erin im Arbeitszimmer auf dem Sofa zwischen dem Kamin und dem neuen, noch ungeschmückten Weihnachtsbaum. Sie starrte ins Feuer und hatte abgeschaltet, mit einem Glas Sauvignon Blanc und dieser beschissenen Musik, die sie so mochte und die für ihn in den Aufzug bei Saks gehörte. Heute klang es nach den Smiths. Sie blickte nicht vom Feuer hoch, und er hoffte, dass sie nicht wütend auf ihn war. Mit Enttäuschung konnte er umgehen, aber wenn sie wütend war, reduzierte sich ihre Kommunikation auf zugeschlagene Türen und Schweigen.
Er hängte seinen Mantel an den Kleiderständer neben der Treppe, zog sich die Stiefel aus und ging zu dem Zweier-Sofa. Er ließ sich in das weiche Leder fallen und streckte seine Prothese gerade vor sich aus. »He, Baby.«
Sie antwortete nicht sofort, und als sie dann sprach, kam nur ein: »Gehst du wieder zurück?«
Erin war furchtlos, immer, und wenn irgendetwas ihr Universum erschütterte, nahm sie es sofort aufs Korn. Da ihr Gesicht nur etwas mehr als eine Armlänge entfernt war, sah er, wie ihre Wangenmuskeln in unterdrücktem Ärger arbeiteten.
Lucas streckte seine Hand aus und legte sie auf die Seite ihres schmalen Gesichts. Sie schloss die Augen und drückte ihre Wange in seine Handfläche. Sie fühlte sich warm an.
»Du siehst …« Alle Emotionen, bis auf Enttäuschung, schwanden aus ihrer Stimme. »… anders aus.«
Er setzte an, sie zu fragen, wie anders, aber er wusste, was sie meinte. Er spürte es auch.
Erin legte ihre Füße auf seinen Schoß, und er massierte sie mit seiner guten Hand. Sie beobachtete ihn eine Weile, bevor sie sprach. »Du bist keine fünfunddreißig mehr.«
Was sie sagte, hatte nichts mit dem zu tun, was sie meinte. Klar, sein altes Selbst hatte beide Arme, beide Beine und beide Augen gehabt. Aber eigentlich sprach sie über sich selbst und die Kinder.
»Lass mich einfach nur ein paar Sachen durchdenken.«
Bei diesen Worten zog sie ihre Füße von seinem Schoß und griff nach der Flasche auf dem Couchtisch. »Bei dieser Sache gibt es ein Wir, weißt du.« Erin füllte ihr Glas und stand auf. »Ich gehe nach oben. Ich hatte einen langen Tag mit den Kindern.«
Er wollte ihr einen Gutenachtkuss gegeben, aber sie hatte den Raum bereits verlassen.
Lucas blieb noch eine Weile auf dem Sofa sitzen, fuhr die alte Maschinerie herunter und versetzte sein Betriebssystem allmählich in den Winterschlaf. Das Adrenalin, das ihn durchströmt hatte, weil er wieder im Außeneinsatz gewesen war, sickerte langsam aus seinen Fasern und hinterließ Schuldgefühle. Erin hatte recht – er wäre ein völliger Idiot, wenn er vergaß, was das letzte Mal passiert war, als er mit einer Marke am Gürtel da draußen in der Welt herumgelaufen war.
Als die Zahnräder in seinem Kopf endlich aufhörten, sich zu drehen, war das Feuer zu einer Matte aus Glut heruntergebrannt. Es war kühl in dem Raum, und sein gutes Bein war eingeschlafen. Er packte die Armlehne und zog sich aus dem Sofa hoch. Das einzig Positive, was er über seine Prothesen sagen konnte, jedenfalls über den Arm und das Bein, war, dass sie nie unter Erschöpfung litten. Sie verkrampften sich nie, und sie schliefen niemals ein. Er stand eine Weile da, während das Blut in die kleineren Adern und Kapillaren seines gesunden Beines zurückströmte. Es fühlte sich an, als würde eine Armee aus Ameisen unter seiner Haut entlangmarschieren und sich dabei durch Muskeln, Sehnen und Fleisch beißen.
Er verlagerte sein Gewicht von der Prothese auf das gesunde Bein, als die imaginierten neuralen Insekten ihre Arbeit beendet hatten. Als sie verschwunden waren, ging er durch den Flur in die Küche und goss sich ein Glas Milch aus der Tüte im Kühlschrank ein. Er fragte sich, wie es den Kindern da oben wohl ging, welche Träume durch ihre kleinen unbewussten Universen wehten.
Mit Alisha hatten sie jetzt fünf Kinder im Haus. Es waren alles Kinder, deren biologische Eltern sie im Stich gelassen hatten und die das System aufgegeben hatte. Einige waren aus üblen Heimen gekommen. Andere aus schrecklichen Heimen. Und einige aus gar keinem. Aber irgendwie waren sie wie durch Magie hier gelandet, bei ihm und Erin. Man brauchte kein Diplom in Freudianischer Psychotherapie, um zu begreifen, dass sie beide versuchten, die zerbrochenen Teile ihrer eigenen Kindheit zu reparieren. Nachdem jetzt auch Alisha zu der fröhlichen Rasselbande gestoßen war, schienen sie ihre kritische Masse erreicht zu haben. Sie hatten nicht vor, die Ränge noch weiter aufzufüllen. Jedenfalls hatten sie sich das versprochen.
Lucas zählte die Milchkartons im Kühlschrank, um sicherzugehen, dass noch genug für das Frühstück morgen früh da war. Es war wirklich verblüffend, wie viel Milch Kinder an einem Tag verbrauchen konnten. Es gab noch sechs volle Zwei-Liter-Kartons, also genehmigte er sich ein weiteres Glas. Dann verspeiste er ein Stück trockenen Cheddar, das er ganz hinten im Gemüsefach fand.
Nachdem er die Geschirrspülmaschine ausgeräumt hatte, schnappte er sich einen Apfel aus der großen Schale mit Früchten, die immer auf der Kücheninsel stand, und überprüfte die Hintertür. In Dingos Apartment brannte immer noch Licht, und in jeder anderen Winternacht wäre er hinübergegangen. Dingo war immer für ein Bier und ein kurzes Gespräch zu haben, wenn Lucas nicht schlafen konnte. Aber er musste dringend ins Bett. Nachdem er das Schloss noch einmal überprüft hatte, ging er durch den Flur.
Der Apfel schmeckte, als wäre er gerade aus dem Kühlschrank gekommen. Er blieb stehen und verstellte den programmierbaren Thermostat. Dann inspizierte er die Haustür und ging im Dunkeln die Treppe hinauf.
Kurz hinter dem rosafarbenen Elefanten-Nachtlicht auf dem Treppenabsatz blieb er stehen. Laurie campierte in einem Schlafsack in Alishas Zimmer. Alisha lag mit dem Hund im Bett. Das Zimmer roch nach einer Mischung aus Hundefürzen und Babyshampoo, aber sie wirkte friedlich. Sie hatte Lemmy ins Herz geschlossen, und wenn Lucas etwas wusste, dann dass einem Kind nichts so gut half wie ein großer pelziger Freund, der einem mit Wonne das Gesicht abschleckte. Und Lemmy liebte Kinder, obwohl er wie ein Kampfhund aussah. Das waren seine Gene, eine Mischung aus Deutscher Dogge und Mastiff. Besonders gern mochte er die Kinder, die die meiste Hilfe brauchten. Lucas und Erin hatten beobachtet, wie sich Lemmy Neuankömmlingen näherte, was ihrem eigenen Herangehen half. Die Technik war zwar kein Evangelium, aber Lemmy demonstrierte Instinkte, die oft ans Mystische grenzten.
Dann blieb Lucas auf der anderen Seite des Treppenabsatzes stehen, neben Maudes Schlafzimmer. Sie schlief immer hinter verschlossener Tür, und fürs Erste hatten sie es ihr erlaubt. Immerhin hatte sie zugestimmt, dass Erin einen Schlüssel zu der Tür um den Hals trug. Er hörte ihre Atmung auf der anderen Seite der Tür. Ein gleichmäßiges Rasseln, das irgendwie im Rhythmus mit dem Haus zu sein schien. Das Mädchen war jetzt dreizehn und bereits eine junge Frau. Sie hatte sieben lange Monate in einer Einrichtung im Hinterland verbracht, bevor sie hierhergekommen war. Davor hatte sie bei einer Mittelschichtfamilie auf Staten Island gelebt, ein Ort, den sie so gut wie möglich zu vergessen suchte. Männer flößten ihr immer noch Unbehagen ein, und Lucas verbrachte nie allein Zeit mit ihr. Er wollte nicht, dass sie sich auch nur im Entferntesten unbehaglich fühlte, also wartete er immer darauf, dass sie zu ihm kam. Sie war jetzt zwei Jahre bei ihnen, und er hatte hart gearbeitet, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Allmählich zahlte es sich aus. Als sie sich mit ihr zusammengesetzt hatten, um sie zu fragen, ob sie sie ganz legal adoptieren könnten, hatte sie ihn umarmt, richtig umarmt. Er konnte sich an nichts erinnern, was dieses Gefühl übertraf, nicht einmal dieser erste große Atemzug, als er im Krankenhaus aufgewacht war und ihm ein paar Körperteile gefehlt hatten. Es war einer der größten Erfolge seines Lebens.
Dann sah er nach Damien und Hector, die eingemummelt in ihren Decken schliefen, als gäbe es auf der Welt keine Männer mit Gewehren. Lucas überzeugte sich, dass sie wirklich richtig zugedeckt waren, und drückte beiden einen Kuss auf die Stirn. Es würde nicht mehr lange dauern, bis Damien ein gereizter Teenager sein würde, und Lucas wollte vor diesem Termin all seine Küsse unterbringen.