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Dass ein Aufsatz die geistige und politische Welt grundlegend verändern kann, wird bei keinem Text so augenscheinlich wie bei diesem. Er ist Grundlage und Ausgangspunkt ökonomischer Systeme, politischer Konflikte und nicht zuletzt einer Vielzahl von Missverständnissen, die bis heute das politische Bewusstsein prägen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
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Seitenzahl: 118
Karl Marx | Friedrich Engels
Manifest der Kommunistischen Partei
FISCHER E-Books
Mit einem Vorwort von Iring Fetscher
Der Text folgt der Erstausgabe aus dem Jahr 1848. Orthografie und Interpunktion wurden dem heutigen Gebrauch behutsam angeglichen.
Das »Manifest der Kommunistischen Partei« wurde von Marx, auf der Grundlage von Vorarbeiten seines Freundes Friedrich Engels zwischen Dezember 1847 und Januar 1848 geschrieben und im Februar des gleichen Jahres erstmals in London gedruckt. Nur wenige Exemplare dieser ersten Ausgabe erreichten deutsche Leser. Ein großer Teil wurde an den Grenzen beschlagnahmt. Daher konnte diese neuartige Kampfschrift auf die Revolution des Jahres 1848 kaum noch einwirken. Bald erschienen jedoch Übersetzungen in England, den USA und in Frankreich; polnische, flämische, dänische und russische folgten. Jede wurde mit einer spezifischen Vorrede versehen, von denen hier eine Auswahl abgedruckt ist, weil sie die Umstände und den Kontext des Textes plastisch werden lässt.
Während der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts war das »Manifest« zur meistverbreiteten politischen Programmschrift geworden. Für die kommunistischen Parteien, die im Laufe der Jahre nach 1917 überall entstanden, war der Marx und Engels gemeinsam zugeschriebene Text zum heiligen Buch, zu einer Art »Alten Testament« der weltrevolutionären kommunistischen Bewegung geworden.
Der stilistisch eindeutig allein auf Marx zurückgehende Text unterscheidet sich radikal von früheren »revolutionären Katechismen«, wie sie zuletzt auch von Engels in seinen »Grundsätzen des Kommunismus« mit ihren 25 Fragen und Antworten noch einmal verfasst worden waren (s. Teil IV dieses Bandes). Wie Marx in einem Brief an Engels schrieb, war er zu der Einsicht gelangt, dass es weit wirkungsvoller und überzeugender wäre, den Weg zur kommunistischen Zukunftsgesellschaft in Gestalt einer historischen Beschreibung vorzulegen. Die ersten beiden Teile des »Manifestes« mit den Bezeichnungen »Bourgeois und Proletarier« sowie »Proletarier und Kommunisten« suggerieren im Rückblick und im Vorausblick den Gang der bisherigen und der – wie Marx überzeugt war – unmittelbar bevorstehenden Weltgeschichte. Es handelt sich um eine »materialistische Geschichtstheorie«, von deren überzeugendem Charakter der Autor ausging und mit deren Hilfe er dem wachsenden Proletariat aller Länder (zunächst des industrialisierten Europa und Amerikas) zum Bewusstsein seiner welthistorischen Mission verhelfen wollte.
Die kleine Organisation in London, von der Marx den Auftrag zur Abfassung seines Manifestes erhalten hatte, steht mit ihrer begrenzten Bedeutung in einem grotesken Kontrast zur Wirkung und internationalen Resonanz dieses Textes.
In einem kurzen ersten Absatz suggeriert Marx, dass überall in Europa das »Gespenst des Kommunismus« umgehe und gegen ihn zum Kampf aufgerufen werde. Ihm gehe es darum, an die Stelle dieses Märchens nüchtern die Wirklichkeit der kommunistischen Partei und ihrer Perspektiven aufzuzeigen.
Im ersten Teil blickt Marx auf die abendländische Sozialgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart zurück. Immer seien Gesellschaft und Politik vom Kampf sozialer Gruppen – von Freien und Sklaven, von Patriziern und Plebejern, von Leibeigenen und Feudalherren, Zunftbürgern und Gesellen bestimmt gewesen. Stets sei der historische Fortschritt mit dem Sieg einer aufsteigenden Schicht (Stand oder Klasse) verbunden gewesen. So zuletzt mit dem Sieg der Bourgeoisie, welche die Vorherrschaft der Feudalherren beendet und eine bürgerliche Gesellschaft errichtet habe. Hierauf folgen viele Seiten, auf den mit eindrucksvollen Worten die Fortschritte geschildert werden, die der Bourgeoisie und den von ihr vorangebrachten Produktionsmitteln zu verdanken sind: »Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen, in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, (…) mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde«.
Was Marx hier 1848 beschreibt, ist in den 150 Jahren seither erst vollends Wahrheit geworden. Produktions- wie Kommunikationsmittel haben sich seither noch einmal vervielfacht und zahlreiche Gebiete und Staaten der Erde sind erst im 20. Jahrhundert wirklich in den Weltmarkt einbezogen worden. Zuletzt erst die großen sich »kommunistisch« nennenden Staaten Sowjetunion und China, die sich jahrzehntelang vom freien Weltmarkt abgekoppelt hatten, um eine eigene staatskapitalistische Industrialisierung unter dem fragwürdigen Etikett des »real existierenden Sozialismus« zu realisieren.
Immer wieder hebt Marx in diesem ersten Teil des Manifestes die zivilisatorischen Leistungen der Bourgeoisie hervor. Nicht nur das nie geahnte Wirtschaftswachstum sei der Bourgeoisie zu verdanken, sondern auch die weltweite Verbreitung der Zivilisation einschließlich der Weltliteratur. Selbst Formulierungen, die auf den ersten Blick Bourgeoisie-kritisch scheinen, beschreiben positive Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft: »Alle (…) altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.«
Mit anderen Worten, das Heilige war nur eine schädliche Verschleierung der harten Realität, der ernüchterte Blick, zu dem die bürgerliche Gesellschaft zwingt, lässt endlich klar sehen!
In den Jahren nach dem Scheitern der bürgerlichen Revolutionen in Preußen und Österreich und dem baldigen Ende der französischen Republik im Zweiten Kaiserreich, beschäftigt sich Marx intensiv mit dem Studium der Ökonomie, sowohl mit der realen Wirtschaft als auch mit der theoretischen Reflexion durch die klassischen Theoretiker Smith, Ricardo und ihre Nachfolger. Die im 2. Teil des Manifestes als unmittelbar bevorstehend angenommene proletarische Revolution scheint ihm allerdings zwischenzeitlich in die Ferne gerückt zu sein. Erst am 18. 12. 1857 schreibt Marx wieder hoffnungsvoll in einem Brief an Engels: »Die eigentliche Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft ist die Herstellung des Weltmarkts, wenigstens seinen Umrissen nach, und einer auf seiner Basis ruhenden Produktion. Da die Welt rund ist, scheint das mit der Kolonisation Kaliforniens und Australiens und dem Aufschluß von China und Japan zum Abschluß gebracht.« Eine Feststellung, die wir heute ebenso als voreilig erkennen wie die aus dem Jahr 1848. Marx fügt aber immerhin zögernd hinzu: »Die schwierige Frage für uns ist: auf dem Kontinent (er meint Europa) ist die Revolution imminent und wird auch sofort einen sozialistischen Charakter annehmen, wird sie in diesem kleinen Winkel nicht notwendig gecrusht, da auf viel größerem Terrain die Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft noch im Aufstieg ist?« Da die von Marx 1857 erwartete Revolution erst 60 Jahre später und obendrein in einem rückständigen, halbfeudalen Agrarland siegte, während in der übrigen Welt die bürgerliche Gesellschaft und die Marktwirtschaft noch immer – wenn auch von Krisen erschüttert – weiter existierte, erfüllte sich schließlich die von Marx 1857 befürchtete Zertretung des »real existierenden Sozialismus« erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Der Kapitalismus hatte damals noch ein von Marx nicht geahntes Wachstum vor sich.
Marx’ Annahme, mit der Schaffung des Weltmarktes sei das bourgeoise Zeitalter schon an sein Ziel gelangt, war ebenso übereilt wie seine Interpretation der Entwicklung der modernen Arbeiterklasse.
Auf der einen Seite interpretiert Marx die zyklisch auftretenden Wirtschaftskrisen als Indiz einer in Kürze notwendig werdenden neuen revolutionären Veränderung, auf der anderen hält er das von der modernen Produktionsweise erzeugte Industrieproletariat für die zur Revolution drängende weltrevolutionäre Klasse. Mit der Erzeugung des Proletariats habe die Bourgeoisie ihren eigenen Totengräber erzeugt. Ausgehend von der Annahme, dass sich in der kapitalistischen Gesellschaft eine kleine Minderheit von Kapitalmagnaten und eine große Mehrheit von Lohnarbeitern gegenüber stehen werden, werde bei der künftigen Revolution – im Unterschied zu allen bisherigen – nicht mehr eine neue Minderheitsherrschaft an die Stelle der alten treten, sondern eine egalitäre und freie Weltgesellschaft geschaffen werden. Auch hier unterlag Marx einer, durch drängende Wünsche beflügelten Täuschung. Im Verlauf seiner ungemein umfassenden ökonomischen Studien war Marx zwar wiederholt aufgefallen, dass sich die Mittelklasse vermehrt, auch wenn der absolute Umfang des Industrieproletariats zunimmt. Allerdings sind solche Einsichten nie in die programmatischen Äußerungen von Marx und Engels eingegangen.
Im zweiten Teil des Manifestes stellt Marx die Kommunisten als jene Personen dar, die dem internationalen Proletariat Bewusstsein und Selbstbewusstsein seiner Rolle in der künftigen Revolution vermitteln können.
Ihre Aufgabe sei es nicht, dem Proletariat irgendwelche Ideen von außen zu oktroyieren, sondern den »allgemeinen Ausdruck tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes« zu formulieren. Dabei werden die Ziele der proletarischen Revolution höchst geschickt gegen von damals bis heute verbreitete Kritiken verteidigt:
1. Kommunisten schaffen das Eigentum ab! »Nein«, widerspricht Marx. Die kapitalistische Produktionsweise hat für die große Mehrheit längst das Privateigentum an den Produktionsmitteln (und allein um das geht es) abgeschafft. Die meisten Menschen arbeiten im Rahmen von Fabriken und leisten dabei immer geistlosere Teilarbeiten, die sie nur unter dem Zwang ihrer Armut übernehmen. Die großen modernen Produktionsmittel haben längst gesellschaftlichen Charakter, weil sie nur von einer Vielzahl kooperierender Personen in Gang gesetzt werden können. Es ist daher nur logisch, wenn sie auch in das gesellschaftliche Eigentum der Produzenten überführt werden.
2. Die Kommunisten wollen die Familie aufheben! »Nein«, widerspricht Marx. Die zeitgenössische industrielle Gesellschaft hat die Familie bereits durch die Zunahme von Prostitution, Ehebrüchen der Bourgeoisie und erzwungener Ehelosigkeit der Ärmsten aufgelöst. Friedrich Engels, der sich im Unterschied zu dem privat konventionell lebenden Familienvater Marx für diesen Zukunftsaspekt interessierte, trat für Erleichterung der Ehescheidung ein und betonte, dass Eigentumsverhältnisse künftig Liebesheiraten nicht mehr im Wege stehen würden.
3. Die Kommunisten wollen das Vaterland, die Nationalität abschaffen! Auch hier fällt der Vorwurf auf die Kritiker zurück. Der kapitalistische Weltmarkt mit seiner Anpassung an die bourgeoise Weltzivilisation hat in Wahrheit die nationalen Partikularitäten schon zerstört oder ist jedenfalls dabei es zu tun. Die Bedeutung der Anhänglichkeit der Menschen an ihre nationale und kulturelle Eigenart hat Marx ebenso unterschätzt wie später viele Marxisten. Rosa Luxemburg beispielsweise meinte, durch die Bildung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets im zaristischen Russland seien die »kleinen Sprachen«, wie das Jiddische und sogar das Polnische, zum Untergang verurteilt. Heute wissen wir, mit welcher Anhänglichkeit viele Völker ihre kulturellen und sprachlichen Eigenarten zu bewahren suchen und welch erbitterte Kämpfe um Autonomie immer wieder von ethnisch-kulturellen Minderheiten gegen Zentralstaaten geführt werden. Marx und noch deutlicher Engels hatten für staatenlose kleine Völker – wie den Balkanslaven – nur wenig Verständnis.
Der dritte Teil des Manifests ist kaum noch von aktuellem Interesse. Er vermittelt einen Überblick über damals existierende Richtungen des Sozialismus in Europa und deren Literatur.
Faszinierend bleibt, mit welcher Weitsicht und mit welch großer Bewunderung Marx 1848 die zivilisatorische Leistung der Bourgeoisie – das heißt der Kapitalisten – beschrieben hat und wie sehr er deren künftige Lebensdauer zugleich unterschätzt hat. Für die ökonomischen und zivilisatorischen Aspekte der Globalisierung wie sie heute diskutiert werden, können ohne weiteres Zitate aus dem Manifest als Beschreibung herangezogen werden.
Iring Fetscher
Der Bund der Kommunisten, eine internationale Arbeiterverbindung, die unter den damaligen Verhältnissen selbstredend nur eine geheime sein konnte, beauftragte auf dem in London im November 1847 abgehaltenen Kongresse die Unterzeichneten mit der Abfassung eines für die Öffentlichkeit bestimmten, ausführlichen theoretischen und praktischen Parteiprogramms. So entstand das nachfolgende »Manifest«, dessen Manuskript wenige Wochen vor der Februarrevolution nach London zum Druck wanderte. Zuerst deutsch veröffentlicht, ist es in dieser Sprache in Deutschland, England und Amerika in mindestens zwölf verschiedenen Ausgaben abgedruckt worden. Englisch erschien es zuerst 1850 in London im »Red Republican«, übersetzt von Miss Helen Macfarlane, und 1871 in wenigstens drei verschiedenen Übersetzungen in Amerika. Französisch zuerst in Paris kurz vor der Juni-Insurrektion 1848, neuerdings in »Le Socialiste« von New York. Eine neue Übersetzung wird vorbereitet. Polnisch in London kurz nach seiner ersten deutschen Herausgabe. Russisch in Genf in den sechziger Jahren. Ins Dänische wurde es ebenfalls bald nach seinem Erscheinen übersetzt.
Wie sehr sich auch die Verhältnisse in den letzten fünfundzwanzig Jahren geändert haben, die in diesem »Manifest« entwickelten allgemeinen Grundsätze behalten im ganzen und großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit. Einzelnes wäre hier und da zu bessern. Die praktische Anwendung dieser Grundsätze, erklärt das »Manifest« selbst, wird überall und jederzeit von den geschichtlich vorliegenden Umständen abhängen, und wird deshalb durchaus kein besonderes Gewicht auf die am Ende von Abschnitt II vorgeschlagenen revolutionären Maßregeln gelegt. Dieser Passus würde heute in vieler Beziehung anders lauten. Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß »die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.« (Siehe »Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Association«, deutsche Ausgabe, S. 19, wo dies weiter entwickelt ist.) Ferner ist selbstredend, daß die Kritik der sozialistischen Literatur für heute lückenhaft ist, weil sie nur bis 1847 reicht; ebenso daß die Bemerkungen über die Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen Oppositionsparteien (Abschnitt IV), wenn in den Grundzügen auch heute noch richtig, doch in ihrer Ausführung heute schon deshalb veraltet sind, weil die politische Lage sich total umgestaltet und die geschichtliche Entwicklung die meisten der dort aufgezählten Parteien aus der Welt geschafft hat.
Indes, das »Manifest« ist ein geschichtliches Dokument, an dem zu ändern wir uns nicht mehr das Recht zuschreiben. Eine spätere Ausgabe erscheint vielleicht begleitet von einer den Abstand von 1847 bis jetzt überbrückenden Einleitung; der vorliegende Abdruck kam uns zu unerwartet, um uns Zeit dafür zu lassen.
London, 24. Juni 1872
Karl Marx, Friedrich Engels