Manne: ausgerechnet Alpakas - Beate Weirich - E-Book

Manne: ausgerechnet Alpakas E-Book

Beate Weirich

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Beschreibung

Manne Sollinger, eine 60-jährige Berufsschullehrerin hat ihr Sabbatjahr genutzt, um ein neues Leben anzufangen. Zunächst zieht sie aus aus der pulsierenden Metropole Köln zu ihrer Tochter und deren Familie in das Provinzstädtchen Sisselsheim. Als die Konflikte zwischen den beiden Frauen überhand nehmen, flüchtet Manne in ein kleines altes Haus in dem verschlafenes Dorf Krähenstein am Rand des Dunnbergs. Da es in Krähenstein keine Schafe mehr gibt, die die Streuobstwiese hinter den Gärten von Manne und ihrem Nachbarn Jakob abweiden, soll daraus ein Maisfeld werden. Auf der Suche nach unkomplizierten Schafen, die das Gelände vor den Plänen eines landhungrigen Bauern und intriganten Bürgermeisters retten sollen, verliebt sich Manne in Percy und Stuart, zwei Alpakas, die auf einem Ziegennothilfe-Hof gestrandet sind. Die bezaubernden Kleinkamele mit den großen Augen stellen ihre neue Hüterin jedoch vor ungeahnte Herausforderungen. Gleichzeitig ist dem Bauern Mück kein Trick zu schmutzig, um sicherzustellen, dass Manne für immer aus Krähenstein verschwindet.

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Für alle Freundinnen und Freunde der charmanten Minikamele aus den Anden.

Inhaltsverzeichnis

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Einundzwanzig

Zweiundzwanzig

Dreiundzwanzig

Vierundzwanzig

Fünfundzwanzig

Sechsundzwanzig: Mittwoch, 03.04.2023

Siebenundzwanzig

Achtundzwanzig

Eins

Mit einem Seufzen der Resignation klappte Manne Sollinger den Krimi zu, den sie letzte Woche aus einem Bücherschrank gefischt hatte, und legte ihn auf die Ofenbank. Obwohl die Turmuhr gerade erst viermal geläutet hatte, war es so dunkel, dass sie entscheiden musste, ob sie das Licht einschalten oder eine Lesepause einlegen wollte. Sie könnte sich auch eine Tasse Kaffee kochen und dazu die letzten Kekse essen, die ihr Nachbar Jakob zu Weihnachten gebacken hatte. Außerdem musste sie Holz nachlegen, wenn sie nicht demnächst im Kalten sitzen wollte. Das Klingeln des Telefons nahm ihr die Entscheidung fürs Erste ab.

"Sollinger?" Sie klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, damit sie die Ofenklappe öffnen konnte.

"Hallo Manne-Schätzchen!" Die Stimme ihrer Freundin Anja hätte sie auch erkannt, wenn der Anruf sie aus dem Tiefschlaf gerissen hätte.

"Meine drei Männer haben mir frei gegeben und sind ohne mich ins Schwimmbad gefahren. Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit für ein Schwätzchen mit meiner ehemaligen und zukünftigen Lieblingskollegin. Wie geht es dir denn?"

"Ähm, gut."

"Geht es dir gut oder nur ähm-gut?" Seit Anja ihre Ausbildung zur systemischen Familienberaterin abgeschlossen hatte, legte sie jedes Wort auf die Goldwaage.

"Bis eben ging es mir so gut, wie es mir mit einem mäßig spannenden Krimi an einem trüben Januarnachmittag gehen kann. Jetzt, wo du mich daran erinnerst, dass mein Sabbatjahr bald zu Ende ist, weiß ich noch nicht, ob ich mich darauf freue, mein altes Häuschen am Ende der Welt zu verlassen und in die pulsierende Metropole am Rhein zurückzukehren."

"Wir warten jedenfalls sehnsüchtig auf dich. Der neue BGJ-Jahrgang ist so ätzend, dass wir den roten Teppich ausrollen, wenn unsere sturmerprobte Gangsta-Bändigerin endlich zurückkommt."

Manne lachte geschmeichelt, die aufmüpfigen Halbstarken aus dem Berufsgrundschuljahr waren immer ihre Lieblingsschüler gewesen.

Obwohl sie mit über sechzig die Älteste im Team war, fand sie in der Regel den besten Draht zu den jungen Leuten, die weder eine Ausbildungsstelle noch Spaß an der Schule hatten.

"Ich weiß wirklich noch nicht, ob ich zurückkomme", entgegnete sie. "Irgendwann bin ich zu alt, um Bonsai-Gangster zu bändigen.

Wer weiß, ob ich dann noch mal so einen schönen Platz finde. Das Leben ist hier viel billiger als in Köln. Wenn ich nicht übermütig werde, kann ich die zwei Jahre bis zur Rente mit meinen Ersparnissen überbrücken."

"Und was machst du den ganzen Tag?"

"Ich, ähm ..." Wie von selbst griff ihre Hand nach dem Kugelschreiber und dem Notizblock neben ihrem Telefon. Kleine Kreise wurden zu exotischen Blüten an zierlichen Ranken. "Morgens lasse ich es einigermaßen gemütlich angehen und erledige alles, was im Haushalt zu erledigen ist. Es gibt nur noch selten Fastfood, weil ich fast jeden Tag etwas Anständiges für mich koche, und dienstagabends kommt Jakob zum Abendessen zu mir rüber."

"Er lässt sich wirklich von dir bekochen? Ich dachte, dein Supernachbar kann nicht nur Häuser und Gärten in Schuss halten, sondern auch so gut kochen und backen, dass er alle Kochshows von hinten aufrollen würde, wenn er nicht so schüchtern wäre."

"Du bist albern", protestierte Manne, fiel aber trotzdem in Anjas Kichern mit ein. "Ich habe ihm erzählt, dass ich mehr Übung und ehrliche Rückmeldungen brauche, um öfter für meine Tochter und ihre Familie zu kochen. Wenn es für eine gute Sache ist, lässt er sich auch zum Essen einladen, und zum Ausgleich kocht er am Sonntagmittag für uns."

"Apropos Familie", griff Anja das Stichwort auf. "Wie läuft es denn inzwischen mit dir und Julia?"

"Ach das ..." Der Zettel wurde allmählich zu klein für die Blätter und Blüten. "An Weihnachten dachte ich, dass wir den Neuanfang geschafft hätten, aber inzwischen ist wieder alles beim Alten. Julia ruft jeden Sonntagabend an, wenn die Mädchen im Bett sind, und will wissen, wie meine Woche war. Und wenn ich frage, ob wir uns mal wieder auf eine Tasse Kaffee treffen wollen, hat sie keine Zeit."

"Familienmanagement ist harte Arbeit, und du bist in ihrem System immer noch die Neue, für die sie keinen rechten Platz findet. Frag sie doch einfach, ob du ihr etwas helfen kannst."

"Was soll ich ihr denn helfen? In Julias perfekt durchorganisiertem Haushalt gibt es keinen Platz für mein Improvisationstalent."

"Du könntest ihr für einen Nachmittag die Mädchen abnehmen, damit sie mal wieder ein bisschen Zeit für sich hat."

"Alles, nur das nicht!" Allein die Vorstellung, einen ganzen Nachmittag dafür zuständig zu sein, dass in Julias Familie alles nach Plan lief, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. "Eher komme ich nach Köln und hüte Berufsgrundschüler."

"Du hast dich doch an Weihnachten feierlich mit den Mädchen versöhnt."

"Mit Gwen würde ich vielleicht zurechtkommen, aber wenn Meggie es darauf anlegt, sie auf die Palme zu bringen ..."

"Ich dachte, Meggie liebt dich, weil du ihr diesen tollen Tisch geschenkt hast."

"Sie liebt den Schreibtisch, aber das bedeutet nicht, dass sie darauf verzichtet, mich oder ihre kleine Schwester anzuzicken. Und wenn wir an dem Punkt sind, kann ich nichts mehr richtig machen."

"Und wenn du sie zu dir einlädst? In einer fremden Umgebung werden sie sich erst mal ein bisschen zurückhalten, und wenn es trotzdem rappelt, kannst du dich darauf berufen, dass in deinem Haus andere Regeln gelten."

"Ja, aber ..." Es dauerte einen Augenblick, bis ihr ein ausreichend gewichtiges Gegenargument eingefallen war. "Wie sollen die zwei nach Krähenstein kommen? Ich kann sie doch nicht mit meinem Moped abholen."

"Wenn dir aus dem Stegreif so eine kreative Ausrede einfällt, findest du sicher auch eine Lösung für dieses Problem."

Der Urwald auf Mannes Notizzettel drohte bereits über die Ränder zu wuchern, aber Anja gab noch nicht auf. "Du kannst dir natürlich auch einen anderen Grund ausdenken, warum du dich mit Julia treffen willst. Frag sie, ob sie dir hilft, Schlafzimmermöbel auszusuchen oder eine neue Hose. Das Thema ist egal. Wichtig ist nur, dass sie sich als kompetente Partnerin erleben kann. Jede Begegnung auf Augenhöhe reißt einen Stein aus der Mauer, die ihr zwischen euch aufgebaut habt."

Manne wollte entgegnen, dass sie nie eine Mauer aufgebaut hatte.

Stattdessen bedankte sie sich für die gute Idee und versprach, ihre Tochter morgen oder übermorgen anzurufen.

"Weißt du schon, in welcher Frage du sie um Rat bitten willst?"

"Nein." Nachdenklich betrachtete den Urwald, auf ihrem Notizblock.

"Oder doch! Ich könnte sie fragen, wie ich meinen Garten anlegen soll."

"Warum nicht? Ich erinnere mich, dass du letzten Sommer von Julias Garten geschwärmt hast. Wir können also davon ausgehen, dass sie sich für dieses Thema interessiert. Du musst einfach dranbleiben."

"Alles klar. Vielleicht ruf ich sie gleich an."

"Gute Idee. Überleg dir aber auch, ob du im Sommer wieder bei uns anheuerst."

"Ich denk darüber nach. Grüß die Kollegen von mir."

"Mach ich. Und du sagst mir, wie du dich entschieden hast."

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, überlegte Manne, ob sie Anjas Rat folgen und Julia direkt anrufen sollte. Sie könnte sich vorher auch noch eine Tasse Kaffee kochen. Bevor sie sich entschieden hatte, klingelte das Telefon erneut.

"Sollinger."

"Guten Abend, Mama", flötete ihre Tochter Julia. "Störe ich dich?"

"Ich wollte einen Kaffee aufsetzen." Der Urwald auf dem Notizblock wanderte in den Korb mit dem Anmachholz. "Aber das eilt nicht."

"Es ist schon fast fünf. Wenn ich um die Uhrzeit noch Kaffee trinken würde, würde ich die ganze Nacht kein Auge zutun."

In diese Diskussion wollte Manne gar nicht erst einsteigen. "Was gibts? Was kann ich für dich tun?" Wenn ihre Tochter unter der Woche anrief, wollte sie sicher nicht nur ein bisschen schwatzen.

"Kannst du Gedanken lesen? Ich wollte dich tatsächlich um einen Gefallen bitten. Ich habe mich vor Wochen zur Betriebsbesichtigung bei einem Feinkost-Lieferanten mit den Frauen der Rotarier angemeldet, und gerade eben ist Eberhard mit der Nachricht um die Ecke gekommen, dass er sich ausgerechnet morgen nicht um die Mädchen kümmern kann, weil er einen Nachrückerplatz für eine Schulung in Frankfurt bekommen hat. Kannst du vielleicht ...?"

"Bist du sicher, dass ich eine Hilfe für dich bin?" Sie erinnerte sich mit Schrecken an den Abend, als Julia sie zum ersten und bisher einzigen Mal gebeten hatte, ihre Töchter, die achtjährige Gwen und die dreizehnjährige Meggie zu hüten. Die Mädchen hatten gestritten, und Mannes Versuch, eine handfeste Eskalation zu verhindern, hatte die Situation noch verschlimmert. "Nach dem letzten Versuch haben wir wochenlang kein normales Wort miteinander gewechselt."

"Ach Mama." Julia lachte so laut, als wolle sie alle Bedenken übertönen. "Das war letzten Sommer. Damals kannten dich die Mädchen doch noch gar nicht."

"Ich glaube nicht, dass sie mich inzwischen viel besser kennen."

"Sie schwärmen immer noch von dem Weihnachtsfest bei dir."

"Aber seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen."

"Nach unserem Urlaub wurde es in der Schule ziemlich stressig.

Meggie hat letzte Woche zwei Arbeiten und drei Tests geschrieben.

Nächste Woche gibt es Zeugnisse, dann wird es wieder ruhiger, und wir kommen dich mal besuchen."

"Gerne, aber morgen Nachmittag ..."

"Du musst dir keine Sorgen machen, Mama. Mit Gwen verstehst du dich doch prima, und Meggie ist nicht da. Sie bleibt über Mittag in der Schule, und nach dem Nachmittagsunterricht darf sie noch bis halb sechs zu einer Freundin. Eberhard kommt zwischen sechs und halb sieben zurück. Du bist allerhöchstens eine halbe Stunde mit den Mädchen allein. Sie haben mir Stein und Bein geschworen, dass es keinen Ärger gibt, und du musst auch kein Risotto kochen. Gwen hat sich Käsespätzle zum Mittagessen gewünscht, und ich habe schon alles vorbereitet. Du kommst doch, oder?"

"Ich weiß nicht. Ich ähm ..." Julias Worte weckten Erinnerungen, die sich wie Zahnschmerzen anfühlten. Am liebsten hätte Manne ein unaufschiebbares Bedürfnis vorgetäuscht und ihrer Tochter einen baldigen Rückruf versprochen, um alles in Ruhe zu überdenken.

Plötzlich tauchte aus dem Nebel in ihrem Gehirn eine Idee auf.

"Kann Gwen morgen zu mir kommen?"

"Nach Krähenstein? Wie soll das denn gehen?"

"Ich hol sie nach der Schule ab und bring sie zurück, bevor Meggie heimkommt."

"Mit deinem Motorrad?"

"Das würde ihr sicher gefallen."

"Mama!" Ihre Stimme überschlug sich fast vor Entsetzen. "Das kann doch nicht dein Ernst sein."

"Nicht wirklich." Manne schüttelte lachend den Kopf. "Ich frage Jakob, ob er mir sein Auto leiht."

"Bitte mach solche Scherze nie, wenn Gwen in der Nähe ist. Sie würde jedes Wort für bare Münze nehmen, und wenn du dein Versprechen nicht hältst, fühlt sie sich belogen und betrogen."

"Wer will mich betrügen?", tönte Gwens Stimme aus dem Hintergrund.

Julia schnappte erschrocken nach Luft. Sie hatte ihre jüngste Tochter vermutlich nicht kommen hören. "Niemand, mein Schatz. Es geht überhaupt nicht um dich."

"Doch es geht um mich. Du hast meinen Namen gesagt und dann hast du gesagt, dass mich jemand betrügen will oder so ähnlich."

"Eher so ähnlich", mischte sich Manne ein.

"Oma?" Die Geräusche aus dem winzigen Lautsprecher ließen darauf schließen, dass sie ihrer Mutter den Telefonhörer abnehmen wollte.

"Nein, mein Schatz, so geht das nicht", ertönte die gedämpfte Stimme von Julia. "Ich will mit Oma etwas besprechen, was vorerst nur uns Erwachsene etwas angeht. Wenn wir das geklärt haben, kannst du auch noch einen Moment mit ihr telefonieren."

"Ich will aber gleich mit ihr telefonieren. Stell sie doch wenigstens laut."

Plötzlich waren die Nebengeräusche lauter als die beiden Stimmen.

"Jetzt nicht." Die Geräusche wurden leiser. "Ich habe dir doch gesagt, dass wir Erwachsene zuerst etwas besprechen müssen."

"Ich will aber!" Jetzt waren sie wieder laut.

"Nein!" Manne hoffte, dass sie genug Überzeugungskraft in dieses Wort gelegt hatte. "Mach den Lautsprecher aus, sonst will ich nachher auch nicht mehr mit dir telefonieren."

"Ich will aber jetzt ..."

"Deine Entscheidung."

"Menno!" Die Nebengeräusche wurden leise und blieben auch auf diesem Geräuschpegel.

"Soll ich Jakob fragen, ob er mir sein Auto leiht?"

"Ich denke ja, dass er sein Auto morgen selbst braucht? Wie soll er denn sonst zur Arbeit kommen."

"Ich kann ihn vor der Arbeit nach Steinweiler fahren. Wenn Gwen und ich zurückkommen, holen wir ihn ab. Oder ich komme doch mit dem Moped und leih mir einen Wagen aus Eberhards Autohaus."

"Mir wäre es lieber, wenn du zu uns kommen könntest. Es ist doch nicht so, dass du in unserem Haus völlig fremd bist."

"Ich würde mit Gwen lieber nach Krähenstein fahren. Das erspart mir sicher einige Diskussionen."

"Wie du meinst." Sie seufzte abgrundtief. "Ich frage Eberhard, ob der Leihwagen frei ist? Willst du so lange mit Gwen telefonieren."

Bevor Manne die Fragen beantworten konnte, gellte die fröhliche Kinderstimme in ihr Ohr. "Geht es dir gut, Oma?"

"Bei mir ist alles im grünen Bereich und bei dir?"

"Alles okidoki. Wann darf ich dich denn mal wieder besuchen."

"Wenn alles gut läuft, morgen."

"Echt? Morgen schon?" Sie hörte das Patschen von Gwens Füßen auf dem Parkett. Vermutlich hopste sie vor lauter Vorfreude wie ein Flummi auf und ab. "Holst du mich mit deinem Moped ab?"

"Nein, auf dem Moped ist es um diese Jahreszeit zu kalt. Wir fahren mit dem Auto."

"Egal. Hauptsache ich darf zu dir."

"Aber nur, wenn alles gut läuft."

"In der Schule läuft es grad ziemlich gut. Oder ..." Sie schien einen Augenblick nachzudenken. "Jedenfalls kann ich dafür sorgen, dass morgen alles gut läuft."

"Prima. Und zu Hause?"

"Auch alles okay. Ich hab mich schon ewig nicht mehr mit Meggie gestritten. Wenigstens drei Tage. Was muss ich denn noch machen, damit ich dich morgen besuchen darf?"

"Daumen drücken, dass dein Vater ein Auto für uns hat."

"Papa hat ganz viele Autos, er gibt uns sicher eins. Wir müssen ihm nur versprechen, dass wir gut darauf aufpassen."

Im Hintergrund hörte Manne Julias Stimme.

"Nein, jetzt telefoniere ich mit ihr. Ich hab vorhin auch warten müssen", fauchte Gwen, bevor sie im normalen Plauderton fortfuhr: "Soll ich ihn gleich mal fragen? Wenn er Nein sagt, fahren wir halt doch mit deinem Moped. Ich kann ja meinen Skianzug anziehen."

"Du sollst deiner Mutter das Telefon geben", entgegnete Manne.

"Sonst wird das morgen nichts mit deinem Besuch."

"Okidoki. Tschüss, Oma."

"Tschüss, und ..." Doch Gwen hatte den Hörer schon weitergereicht.

"Eberhard sagt, dass der Bus morgen nicht gebraucht wird", hörte sie Julia sagen. "Kommst du mit dem zurecht?"

"Ich denke schon." Vermutlich traute Eberhard ihren Fahrkünsten nicht weiter als bis zur nächsten Ecke, wenn er sie lieber mit dem alten Bus als mit dem Leihwagen fahren ließ.

"Dann hole ich dich morgen früh mit dem Bus ab, und du fährst mich zurück nach Sisselsheim. Passt es dir um halb acht?"

"Meine Güte, noch vor dem Aufstehen!"

"Die Rotarier-Frauen treffen sich um halb neun."

"Wie lange hat Gwen denn Schule?"

"Bis um halb eins."

"Dann reicht es doch völlig, wenn ich gegen zwölf bei euch bin, mein Moped gegen den Bus tausche und gleich wieder losfahre."

"Ich muss dir noch erklären, wie du die Käsespätzle für Gwen machen musst, ihre Lieblingssalatsoße bringe ich gleich mit. Außerdem ist es besser, wenn wir die erste Tour zusammen fahren. Dann kann ich dir unterwegs noch ein paar Tipps geben."

Manne grinste, offenbar zweifelte nicht nur Eberhard an ihren Fahrkünsten. "Meinetwegen. Ich bin um halb acht startklar für die Fahrstunde, und du lässt deine Salatsoße daheim. Gwen wird damit zurechtkommen, dass bei ihrer Oma alles ein bisschen anders ist."

Nachdem sie aufgelegt hatte, stellte sie erstaunt fest, dass auf ihrem Notizblock ein neuer Urwald gewachsen war. Offenbar führten ihre Hände bei einem Telefonat mit Anja oder Julia ein ähnliches Eigenleben wie bei Konferenzen, bei denen sie die Tagesordnungen mit stilisierten Figuren und skurrilen kleinen Szenen verziert hatte.

Zwei

"Oma!" Ein roter Lockenkopf pflügte durch das Gedränge vor der Grundschule in Sisselsheim. Ehe Manne wusste, wie ihr geschah, schlang Gwen die Arme um ihren Hals, zerrte sie zu sich herunter und drückte ihr einen lauten Kuss auf die Wange. "Heute war alles super. Frau Förster hat mir lauter grüne Stempel ins Mitteilungsheft gemacht. Willst du sie sehen?"

"Später. Jetzt fahren wir erst mal nach Hause, kochen."

"Hat Mama dir meine Lieblingsspätzle eingepackt?"

"Nein, ich dachte ..."

"Billige Spätzle mag ich nicht", maulte Gwen. "Die sind klebrig."

"Ich dachte, es könnte dir mehr Spaß machen, wenn wir heute unsere eigenen Spätzle kochen."

"Kannst du das überhaupt? Meggie sagt, Spätzle sind Nudeln und Nudeln macht man mit einer Maschine."

"Zum Spätzle-Machen braucht man keine Nudelmaschine, sondern ein Holzbrett und ein Messer."

"Ein richtig großes Messer?"

"Ein ganz normales Messer."

"Ach so." Gwen wirkte nicht sehr begeistert. "Und wo ist der Bus?

Papa hat mir versprochen, dass er dir den Bus leiht."

"Vor der Schule war es mir zu voll. Deshalb bin ich auf den Parkplatz vor dem Supermarkt gefahren."

"Da sind die Parkplätze größer", stellte sie breit grinsend fest. "Gell, du kannst nicht so gut einparken."

"Mit diesem alten Bus kann keiner gut einparken."

"Papa kann es."

"Wir müssen noch Käse kaufen", wechselte Manne das Thema. "Deine Mutter sagt, dass du nur Gouda magst, aber vielleicht willst du bei mir mal eine andere Sorte probieren."

"Nein, will ich nicht. Und ich will den Gouda mit der Kuh. Die anderen Sorten sind mir zu grob gerieben."

"Wir reiben unseren Gouda selbst", erklärte Manne. "Dann können wir auch selbst entscheiden, ob wir ihn grob oder fein wollen."

"Hast du denn eine Käsereibmaschine?"

Lachend schüttelte Manne den Kopf. "Zum Käsereiben braucht man auch keine Maschine."

Auf dem Weg nach Krähenstein sparte Gwen nicht mit kritischen Kommentaren über den Fahrstil ihrer Großmutter. Die versuchte zuerst, ihre Möchtegern-Fahrlehrerin mit witzigen Erwiderungen abzulenken, dann tat sie so, als würde sie die Ratschläge überhaupt nicht hören. Irgendwann wurde es ihr zu dumm, sie fuhr auf einen kleinen Parkplatz am Rand der Straße und schaltete den Motor aus.

"Was ist jetzt?", wollte Gwen wissen.

"Jetzt musst du eine Entscheidung treffen."

"Was für eine Entscheidung?"

"Du entscheidest, ob ich für deinen Geschmack gut genug fahre, oder ob wir auf der Stelle zurück nach Sisselsheim fahren."

"Machen wir die Spätzle zu Hause auch selbst?"

"Nein, deine Mutter hat alles genau so vorbereitet, wie du es am liebsten magst. Sie hat deine Lieblingsspätzle und deinen Lieblingskäse gekauft, deine Lieblingssalatsoße in den Kühlschrank gestellt, und zum Nachtisch liegt dein Lieblingseis im Kühlfach."

"Und bei dir?"

"Bei mir findest du heraus, wie man Spätzle selbst macht, du reibst den Käse so wie du magst, probierst meine Salatsoße und entscheidest, ob wir zum Nachtisch Obstsalat schnippeln oder Schokopudding kochen."

Vielleicht war es der Pudding, der den Ausschlag gab. "Wir fahren zu dir."

"Ohne weitere Kommentare."

"Versprochen! Ich versuch's wenigstens."

"Versuchen ist okay. Und wenn du es nicht schaffst, fahren wir halt zurück nach Sisselsheim."

"Dann bin ich einfach ganz still."

Dieses Vorhaben gab sie jedoch nach fünfhundert Metern auf, weil sie unbedingt von dem Eichhörnchen erzählen musste, das mitten in der zweiten Stunde durchs Fenster in die Klasse gesprungen war, einen Schokoriegel gemopst hatte und mit der Beute geflüchtet war.

Sie krittelte jedoch nicht mehr am Fahrstil ihrer Großmutter herum, sondern nickte anerkennend, als sie auf der steilen Hauptstraße von Krähenstein anhielt und rückwärts in die schmale Einfahrt fuhr.

"Das ist aber eng", stellte sie mit nachdenklich gespitzten Lippen fest. "Ich wette, Mama wäre mit dem Bus nicht da reingekommen."

Dazu sagte Manne nichts, aber insgeheim war sie mächtig stolz auf das Kompliment.

RUMS! Gwen war noch nicht richtig im Haus, als ihr Ranzen auch schon quer durch den Flur schlitterte und unter der Garderobe gegen die Wand knallte.

"Wie geht es jetzt weiter? Wie werden deine Spätzle gemacht?"

"Es geht weiter, wenn du den Ranzen ordentlich weggeräumt und dich umgezogen hast. Deine Mutter hat andere Kleider für dich mitgebracht." Manne deutete auf die Tasche neben dem Schuhschrank.

"Okidoki." Gwen hängte die Tasche über die eine und den Ranzen über die andere Schulter. "Wo soll ich mich umziehen?"

"In der Küche oder in der guten Stube. Das ist mir egal."

"Darf ich mich auch in deinem Kinderzimmer umziehen?"

"Da oben ist nicht geheizt."

"Das macht nichts. Ich frier nicht so schnell."

"Wenn du dich erkältest, darfst du vermutlich nie wieder hierherkommen."

"Ich erkälte mich nie. Wenn doch, sage ich, dass alle anderen Kinder in unserer Klasse erkältet sind, und dass ich mich angesteckt habe."

Manne konnte sich das Lachen nicht verkneifen. "Ich denke, du lügst nicht."

"Das ist auch nicht gelogen. Das ist nur ein bisschen übertrieben und Meggie sagt, übertreiben ist nicht dasselbe wie lügen. Mara ist wirklich erkältet und Jonas war letzte Woche sogar zwei Tage zu Hause."

"Dann mach. Aber beeil dich mit dem Umziehen, damit du dich nicht doch noch erkältest."

"Fertig." Manne hatte gerade erst den großen Topf auf den Herd gestellt und Holz nachgelegt, als Gwen die Treppe heruntergehopst kam. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, worin sich ihre Schulkleider von den Spielkleidern unterschieden, die Julia eingepackt hatte. Die Hose und das Sweatshirt waren blitzsauber und kein bisschen abgenutzt.

"Willst du schon mal Käse reiben? Danach kannst du zuschauen, wie Spätzle geschabt werden."

"Nein, ich will die Spätzle selbst schaben."

"Meine Spätzle kleckern manchmal." Nachdenklich rieb sich Manne das Kinn. "Weißt du was, ich bastle dir schnell eine Schürze."

"Ich will aber keine Schürze." Unter den fuchsroten Locken bildete sich eine Unmutsfalte.

"Na gut, dann reibst du den Käse und ich ..."

"Ich will Spätzle schaben."

"Dann musst du eine Schürze anziehen."

"Ich will ..."

"Deine Entscheidung."

"Oma, du bist gemein."

"Soll ich dir die Schürze basteln oder das Reibeisen holen?"

Gwens Miene verdüstere sich. "Dann nehm ich halt die Schürze."

Manne befestigte mit Sicherheitsnadeln ein Geschenkband an einem Küchenhandtuch, zog es ihrer Enkelin über den Kopf, ließ sie sie auf einen Hocker klettern und band die improvisierte Schürze mit einem zweiten Geschenkband um die Taille.

"Geht das nicht schneller?" Gwen zappelte ungeduldig hin und her.

"Wenn du stillhältst, geht es schneller. Nimm mal die Arme hoch."

Skeptisch begutachtete Manne ihr Werk. "Ich denke, so geht es."

"Und jetzt darf ich Spätzle machen? Zeigst du mir, wie das geht?"

"Wir müssen warten, bis das Wasser kocht."

"Stell doch deinen Herd ein bisschen höher."

"Diesen Herd kann man nicht höher stellen, und wenn ich mehr Holz nachlege, wird die Platte so heiß, dass alles überkocht."

"Menno!" Sie stampfte mit dem Fuß. "Bei dir ist alles so kompliziert.

Warum nehmen wir nicht den richtigen Herd?" Sie deutete auf den Elektroherd an der gegenüberliegenden Wand, der aussah, als wäre er gestern erst geliefert worden, obwohl er schon fast zwanzig Jahre alt war. Die neue Küche war der ganze Stolz der alten Dame gewesen, die vorher hier gewohnt hatte.

"Weil ich den Ofen anheizen muss, damit wir nicht im Kalten sitzen", entgegnete Manne ungerührt. "Und wenn er sowieso schon heiß ist, können wir auch unser Mittagessen darauf kochen."

Mit einem Seufzen der Resignation nickte Gwen. "Darf ich noch ein bisschen rausgehen, bis das Wasser endlich kocht?"

"Das lohnt sich nicht. Wenn du jetzt rausgehst, müssen wir noch mal von vorne anfangen. Ich muss dir die Schürze wieder anziehen, du musst deine Hände waschen ... - Apropos Händewaschen ..."

"Das hab ich schon."

"Wann denn?"

"Nach dem Klo."

"Und wann warst du auf der Toilette?"

"In der großen Pause."

"Müssen wir das ausdiskutieren?"

"Nee", kicherte Gwen. "Diskutieren mit dir ist doof. Du mogelst."

"Mogeln?" Manne konnte nicht länger ernst bleiben. "Meine besten Lehrertricks nennst du mogeln? Schaff dich ans Waschbecken und komm erst an den Herd zurück, wenn deine Hände sauber sind."

Gwen folgte ohne ein Widerwort, "Aber gell, du hättest es auch fast vergessen", triumphierte sie noch.

Als sie ihre Hände gewaschen hatte, fing auch das Wasser zu kochen an. Manne holte die Schüssel mit dem zähflüssigen Teig aus dem Kühlschrank.

Gwen drängte sich an ihr vorbei, um einen Blick in die Schüssel zu werfen. "Das ist eine tolle Pampe. Fast wie Pfannkuchen. Zeigst du mir jetzt, wie wir daraus Spätzle machen?"

"Hol dir den Hocker und stell ihn vor den Herd, damit du in den Topf gucken kannst." Während Gwen die Fußbank geräuschvoll über den Küchenboden schob, schöpfte sie mit einer Suppenkelle Teig auf ein Holzbrett. Sie legte es am Topfrand auf, hielt es schräg, damit der Teig langsam auf die Brettkante zulief, und schabte mit dem Messer kleine Teigröllchen ins kochende Wasser.

"Das ist leicht. Darf ich jetzt?" Gwen versuchte, nach dem Brett zu angeln, aber Manne schüttelte den Kopf.

"Wir müssen warten, bis die Spätzle oben schwimmen, dann sind sie gar und wir können sie aus dem Wasser fischen."

Sie drückte ihrer Helferin einen Schaumlöffel in die Hand, mit dem sie durch das kochende Wasser pflügte, um das Auftauchen der Spätzle zu beschleunigen. Wie gebannt starrte sie in den Topf.

"Da sind sie. Darf ich sie rausfischen?"

"Ja, mach."

"Jetzt ich." Nachdem Gwen das Wasser für spätzlefrei erklärt hatte, hopste sie vom Hocker und wollte eine Kelle Teig auf das Brett klatschen. Manne konnte sie gerade noch bremsen.

"Warte! Stell dich an den Herd, ich geb dir das Brett."

"Das ist aber wenig Teig." Enttäuscht starrte Gwen auf den winzigen weißen Klecks in der Mitte des Holzbretts.

"Für den Anfang reicht das."

"Nein, das reicht nicht. Entweder du gibst mir mehr Teig oder ich mache gar nichts mehr."

"Na gut, dann mache ich die Spätzle und du schaust mir zu."

"Wenn ich nicht helfen darf, esse ich auch nichts."

"Deine Entscheidung."

"Aber Mama schimpft mit dir, wenn ich nichts gegessen habe."

"Dann schimpft sie halt."

"Und das macht dir gar nichts aus?"

"Doch. Aber ich lass mir doch nicht in meiner eigenen Küche von einem Dreikäsehoch wie dir auf der Nase herumtanzen."

"Ich soll auf deiner Nase tanzen?" Gwen quietschte von Lachen. "Du bist echt komisch."

"Und du bist echt anstrengend." Manne drückte ihr das Schabebrett in die Hand.

"Du auch", entgegnete sie mit einem herzzerreißenden Seufzen.

Am Anfang fiel es der Nachwuchsköchin schwer, das Brett so zu halten, dass der Teig langsam und gleichmäßig zum unteren Rand floss. Manchmal flogen unter den energischen Messerstrichen nur dünne Teigfäden in den Topf, manchmal landeten ganze Teigfladen im Kochwasser. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sie den richtigen Dreh heraus hatte, und Manne den Käse reiben, die Zwiebeln anbraten und den Salat anmachen konnte.

Als sie die letzten Teigreste auf das Schabebrett kratzte, war durchs offene Küchenfenster ein metallisches Quietschen zu hören. Gwen blickte neugierig auf.

"Was war das?"

"Jakob ist von der Arbeit zurückgekommen und hat sein Garagentor aufgemacht."

"Onkel Jakob!" Mit einem lauten Juchzer ließ sie das Brett in den Topf fallen, hopste von ihrem Hocker und stürmte hinaus.

"Wo willst du denn hin?" Mit dem Schaumlöffel angelte Manne das Brett aus dem Topf und versuchte zu retten, was noch zu retten war.

"Onkel Jakob zum Essen einladen", tönte es von draußen.

"Ich glaube nicht, dass er kommt. Er hat sicher schon ..." Bevor sie den Satz beenden konnte, hörte sie die Haustür ins Schloss fallen.

Manne fischte die letzten Spätzle aus dem Wasser, streute Käse darüber und rührte alles durch, bevor sie die heiße Butter mit den Zwiebeln darauf verteilte. Jakob würde die Einladung ausschlagen.

Schließlich kam er dienstags zum Essen zu ihr, und heute war Donnerstag. Bestimmt hatte er sein Mittagessen längst vorbereitet.

Seine gut organisierte Vorrats- und Essensplanung hatte nichts mit den gängigen Klischees einer Junggesellenküche gemein.

Als sie die Schüssel auf den Küchentisch stellte, schepperte ihre Türglocke. Sie ging in den Flur, um ihre impulsive Enkelin darüber hinwegzutrösten, dass er ihr einen Korb gegeben hatte.

"Onkel Jakob hat dir sicher erklärt, dass ..."

"Er kommt." Sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht.

"Er muss sich nur noch umziehen. Er hat gesagt, dass es heute Pfannkuchen bei ihm geben sollte, und dass wir ihm nachher noch helfen müssen, alle aufzuessen, aber das mache ich gerne."

"Ich auch." Sie nickte anerkennend. Offenbar war ihre Enkelin nicht nur diskussionsfreudig, sondern auch überzeugend.

"Hast du dir inzwischen überlegt, wie ich den Garten anlegen soll?", erkundigte sich Jakob, als Gwen die allerletzten Spätzle aus der Schüssel kratzte.

Bei dem Wort Garten, horchte sie auf. "Kann ich dir dabei helfen?"

"Warum nicht? Aber zuerst müssen wir wissen, was wir tun sollen."

Manne zog die Schultern hoch. "Wir haben erst Februar. Was gibt es denn jetzt schon im Garten anzulegen?"

"Wir haben keinen Frost mehr und der Boden ist nicht zu nass. Wir können umgraben und die Beete neu abstecken."

"Oh ja", freute sich Gwen. "Umgraben ist toll."

Aber Manne blieb skeptisch. "Was für Beete?"

"Früher waren im vorderen Teil des Gartens Obst- und Gemüsebeete. Die sind inzwischen eingefallen, weil Luise in den letzten Jahren nicht mehr viel im Garten machen konnte. Zwischen dem ehemaligen Stall und der Wiese war ihr Hühnerhof. Aber Hühner hatte sie schon lange nicht mehr."

"Ich will auch keine Hühner, und Gemüsebeete will ich auch nicht."

"Dann kann ich ja gar nichts helfen." Gwen seufzte herzzerreißend.

"Du kannst deine Hausaufgaben machen", schlug Manne vor.

Unter den fuchsroten Locken bildeten sich düstere Falten. "Wir haben eigentlich gar nichts auf. Nur ein bisschen Mathe und ein bisschen schreiben. Aber das muss erst am Montag fertig sein."

"Wenn es nur ein bisschen ist, bist du sicher schnell damit fertig."

"Ich mach die Aufgaben morgen."

"Du machst deine Aufgaben jetzt, sonst schimpft deine Mutter heute Abend mit mir."

"Das ist mir egal."

"Mir nicht."

"Oma!" Mit schmalen Augen starrte Gwen ihre Großmutter an, doch Manne starrte ungerührt zurück. "Du bist gemein."

"Ja."

"Ich mache meine Hausaufgaben nicht jetzt. Und wenn du nicht aufhörst, zu quengeln, mache ich sie gar nicht."

Manne hatte Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. "Deine Entscheidung."

"Menno!" Gwen schob den leeren Teller so schwungvoll beiseite, dass er fast über die Tischkante gekippt wäre und stürmte hinaus.

"Wenn ich an diesem Ausbruch schuld bin ..."

Manne schüttelte den Kopf. "Erstens bist du nicht schuld und zweitens ist das kein Ausbruch, sondern nur heiße Luft."

Es dauerte nicht mal eine Minute, bis Gwen wieder hereingestürmt kam. "Wenn du unbedingt willst, dass ich die Aufgaben jetzt mache, musst du mir erlauben, dass ich sie im Kinderzimmer mache."

"Da oben ist immer noch nicht geheizt."

"Und ich frier immer noch nicht so schnell."

"Dann zieh dir wenigstens was über. Du kannst meine Strickweste nehmen." Sie bot ihr die Jacke an, die über der Lehne ihres Stuhls hing. "Ich krempel dir die Ärmel hoch, und wir binden sie vorne zu.

Dann hast du einen schönen warmen Hausmantel."

"Ich will aber keinen Hausmantel." Gwen gab sich große Mühe, eine finstere Miene zu ziehen, aber ihre Mundwinkel zuckten vor unterdrücktem Lachen.

"Nimm sie wenigstens mit hoch. Bitte."

"Meinetwegen",erwiderte sie mit hoheitsvoller Miene. "Wenn es dir so wichtig ist, tu ich dir halt den Gefallen. Aber glaub bloß nicht, dass ich sie auch noch anziehe."

"Ein schwieriges Kind", stellte Jakob fest, als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war.

Manne winkte ab. "Gwen braucht nichts weiter als ein bisschen mehr Auslauf und klare Ansagen." Sie stellte die Teller zusammen, um sie zur Spüle zu bringen, aber Jakob nahm sie ihr aus den Händen.

"Du hast gekocht, ich spüle. Es wäre ja noch schöner, wenn ich mich bei dir an den gemachten Tisch setze, den Mund abwische und wieder gehe."

"Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass jeder in seiner Küche kocht, spült und aufräumt, weil wir so schlechte Teamplayer sind."

"Das gilt dienstags und sonntags. Aber nicht, wenn ich dich mitten unter Woche überfalle und mich bei dir zum Essen einlade."

"Du hast mich nicht überfallen, Gwen hat dich überfallen. Und wenn wir zum Nachtisch Pfannkuchen kriegen, sind wir sowieso quitt."

"Pfannkuchen machen doch keine Arbeit."

"Käsespätzle auch nicht. Vor allem dann nicht, wenn man eine hoch motivierte Küchenhelferin hat."

Manne brauchte fast eine Stunde, um die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Das lag vor allem an den eingetrockneten Teigspritzern rund um den Herd. Erst als sie den Wischlappen auswusch und über den Rand des Putzeimers hängte, fiel ihr auf, dass es im ehemaligen Kinderzimmer über der Küche auffallend ruhig war. Sie brachte den Putzeimer ins Bad und warf die improvisierte Küchenschürze in den Wäschekorb, bevor sie sich auf den Weg nach oben machte. Auf der hölzernen Treppe polterte sie absichtlich, um ihrem Gast die Gelegenheit zu geben, alles wegzuräumen, was sie möglicherweise nicht sehen sollte. Aber im Kinderzimmer blieb es still. Leise klopfte sie an.

"Hallo Oma." Gwen hob nicht einmal den Kopf, als sie eintrat. "Ich bin gleich fertig. Nur noch zwei Zeilen." Obwohl die Hitze des Kamins fast ausreichte, um das Zimmerchen warm zu halten, hatte sie sogar die Strickjacke angezogen, die sie nur unter Protest mitgenommen hatte.

Über ihre Schulter erkannte Manne, dass es Schreibübungen waren, die sie in die Zeilen eines alten Erst-Klässer-Heftes quetschte.

"Das ist freiwillig", erläuterte sie, ohne den Stift abzusetzen. "Guckst du schon mal Deutsch und Mathe nach?"

Als Manne die Arbeitshefte aufsammelte, die aufgeschlagen neben dem winzigen Schreibtisch auf dem Boden lagen, erkannte sie den Grund für die Schreibübungen. Die Abstände zwischen den leeren Zeilen unter den Textblöcken im Deutsch-Arbeitsheft waren für die krakeligen Buchstaben viel zu klein, und die Zahlen im Matheheft ragten in die Kästchen darüber. In den Rechnungen fand Manne nur einen Fehler, im Deutschheft gab es mehr zu verbessern.

"Muss ich das gleich machen?" Gwen sah sie flehentlich an. "Wir müssen bestimmt gleich heim, und ich will doch noch spielen. Oder lieber helfen. Darf ich Onkel Jakob fragen, ob ich ihm etwas helfen kann?"

"Zuerst helfe ich dir bei den Verbesserungen", entgegnete Manne. "Wenn wir das zusammen machen, bist du im Handumdrehen fertig." Zu ihrem größten Erstaunen gab es über diesen Punkt nicht einmal den Ansatz einer Diskussion.

"Naaa gut. Du radierst, ich schreibe."

Als alle Fehler mit zusammen gequetschten Krakelbuchstaben notdürftig ausgebessert waren, klappte Gwen ihre Hefte zu und stopfte sie mit dem Mäppchen zurück in den Ranzen.

"Darf ich jetzt zu Onkel Jakob? Er hat mir versprochen, dass er mir seine Werkstatt zeigt."

"Ich weiß nicht, ob es ihm recht ist, wenn du schon wieder auf der Matte stehst. Ich denke, dass er in der Küche zu tun hat. Schließlich will er noch unsere Pfannkuchen backen."

"Dabei kann ich ihm auch helfen."

"Das glaube ich nicht."

"Aber ich kann ihn wenigstens fragen. Bitte!"

"Aber wenn er sagt, dass es nicht passt, kommst du sofort zurück."

"Versprochen."

"Ohne Widerworte oder Diskussionen."

"Ja-ha." Mit einem übermütigen Juchzen drehte sie sich einmal um die eigene Achse, bevor sie hinauswirbelte.

Manne war noch damit beschäftigt, die restlichen Schulsachen in den Ranzen zu packen und die grünen Stempel im Mitteilungsheft zu bewundern, als es unten schon wieder Sturm klingelte.

"Ich komme ja schon!" So schnell sie konnte, eilte sie die schmale Holzstiege hinunter, obwohl die erfahrene Pädagogin in ihr darauf bestand, jetzt erst recht langsam zu machen. Gwen musste unbedingt lernen, dass die Welt nicht um sie kreiste.

"Was gibt es denn so Eiliges?" Sie wollte eine grimmige Miene ziehen und ihre Worte streng klingen lassen, aber ein Blick in die strahlend grünen Augen in dem sommersprossigen Koboldgesicht machten ihre Vorsätze zunichte.

"Onkel Jakob will mir die Wiese zeigen. Darf ich?"

"Die Wiese ist doch sicher ..." nass, hatte sie sagen wollen, aber das Koboldmädchen ließ sie kaum zu Wort kommen.

"Bitte sag ja. Bitte! Ich bin Punkt vier wieder da. Onkel Jakob hat mir gesagt, dass ich auf die Glocken hören soll. Du sollst auch um vier zum Pfannkuchenessen rüberkommen. Bitte, Oma, darf ich?"

"Meinetwegen. Aber wehe, wenn wir..."

"Danke Oma." Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte davon.

Dann kann ich jetzt meinen Kram zu erledigen, stellte Manne fest, aber ihr fiel nichts Sinnvolles ein, was sie erledigen könnte. Also ging sie wieder hinauf, räumte den Ranzen fertig ein, legte die Schulkleider ordentlich zusammen und packte sie in die Tüte, in der die Spielkleider gewesen waren. Dann schürte sie den Küchenofen noch einmal, legte im Kachelofen der guten Stube Holz nach, setzte sich auf die Ofenbank und schlief ein ...

Drei

Vorsichtig steuert Manne den Bus durch die Gassen der Kölner Altstadt. Sie hat ihrer Tochter versprochen, Gwen pünktlich um zwölf am Kölner Hauptbahnhof abzuholen. Jetzt ist es schon fünf vor zwölf und hier geht es nicht zum Bahnhof. Sie ärgert sich, dass sie den Umleitungsschildern gefolgt und in einer Baustelle gelandet ist. Warum muss der Unterricht ausgerechnet heute in dem neuen Großraumwagen der Bundesbahn stattfinden? Wenn sie nicht gehorsam genickt hätte, als Julia ihr die Busschlüssel in die Hand gedrückt hatte, sondern mit dem Moped gefahren wäre, müsste sie jetzt nicht hinter dem verflixten Bagger hertuckern, sondern könnte über den Gehsteig fahren. Aber Julia will nicht, dass Gwen auf der BMW mitfährt. Zu gefährlich, sagt sie. Als ob die vielen Löcher in der Straße weniger gefährlich wären. Auf dem Armaturenbrett tickt der Wecker, den ihre Tochter dahin gestellt hat, damit sie sich auch ja nicht verspätet. Unbarmherzig rücken die zwei Zeiger der Zwölf entgegen ...

Ein ohrenbetäubendes Scheppern ließ sie aus dem Traum hochschrecken. Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass das Geräusch nichts mit dem Wecker auf ihrem Armaturenbrett zu tun hatte. Jemand läutete an ihrer Türglocke Sturm.

"Ich komme ja schon." Ächzend nötigte sie die steifen Gelenke dazu, ihren Körper auf die Füße zu stellen. Sie hätte sich gerne ausgiebig gereckt, aber das Dauerläuten trieb sie zur Eile an.

"Was..."

"Wo bleibst du denn?" In dem dreckverschmierten Kindergesicht strahlten frühlingsgrüne Augen. "Wir warten schon ewig auf dich.

Du willst doch nicht, dass Onkel Jakobs Pfannkuchen kalt werden."

"Schon so spät?"

"Zehn nach vier. Komm endlich."

"Ich bin ja schon unterwegs." Manne legte noch einmal Holz nach, zog eine Jacke über, schlüpfte in ihre Stiefel und folgte ihr zu dem Loch im Zaun.

Erst als sie am Tisch saßen, fiel ihr auf, dass Gwens Hose nass war und eine schwer zu bestimmende Farbe hatte. Die Ärmelbündchen des Pullovers hatten ebenfalls schlammgraue Ränder, sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie der Anorak aussah.

"Vielleicht hättest du dir die Wiese aufheben sollen, bis sie etwas trockener ist", seufzte sie. "Ich fürchte, wenn ich dich so zu Hause abliefere, kriegen wir Ärger."

"Kriegen wir nicht." Gwen winkte ab. "Das sind doch nur meine Spielkleider."

"Es kann Frühsommer werden, bis diese Wiese richtig trocken ist", leistete Jakob ihr Schützenhilfe. "Wer weiß, ob es sie bis dahin noch gibt."

"Wieso sollte es sie nicht mehr geben?", wunderte sich Manne.

"Weil sie neu verpachtet wird, und der künftige Pächter einen Maisacker daraus machen will."

"Kann man sie dann nicht an jemand anderen verpachten?"

"Wir suchen seit zwei Jahren einen neuen Pächter. Außer Herrn Mück gibt es leider niemanden, der eine nasse Wiese haben will."

"Ich will sie haben", verkündete Gwen. "Und dann komme ich jeden Tag zum Spielen hierher."

"Das kostet Geld", wandte Manne ein. "Pachten ist fast dasselbe wie mieten, so eine große Wiese kostet vermutlich ziemlich viel Miete."

"Den früheren Pächtern haben wir sie umsonst überlassen, aber der Gemeinderat hat beschlossen, dass die Pacht in Zukunft hundertzwanzig Euro im Jahr kostet."

"Hundertzwanzig Euro im Jahr, das sind im Monat ..." Gwen kniff die Augen zusammen und legte die Stirn in Falten. "Das sind zehn Euro im Monat. Dafür reicht mein Taschengeld. Und wenn es nicht reicht, kann ich mir bei meinem Papa was dazuverdienen. Letzte Woche hat er mir drei Euro bezahlt, weil ich den ganzen Hof gekehrt habe.

Darf ich gleich noch mal raus?"

Manne schüttelte den Kopf. "Dafür ist es jetzt zu spät. Wir machen dich noch ein bisschen stadtfein, dann fahren wir. Ich will nicht riskieren, dass Meggie vor verschlossener Tür steht, wenn sie von der Schule nach Hause kommt."

"Meggie hat einen Schlüssel, und ich muss mein Lager noch fertig bauen."

"Dein Lager muss bis zu deinem nächsten Besuch warten. Wenn wir fertig gegessen haben, fahren wir nach Hause."

"Darf ich morgen wiederkommen?"

"Ich fürchte, morgen braucht dein Papa den Bus wieder. Aber wir können fragen, ob du mich nächste Woche besuchen darfst."

"Bis nächste Woche ist zu lang." Sie rümpfte empört die Nase. "Dann muss ich halt doch heute noch mal ran. Wenn es dunkel wird, bin ich wieder da." Sie rutschte von der Bank und wollte nach ihrer Jacke greifen, aber Manne vertrat ihr den Weg.

"Du bleibst hier. Wir beenden das Essen gemeinsam, dann gehen wir zu mir, du wäschst dich, ziehst dir saubere Kleider an und wir fahren nach Hause."

"Nein." Zornig stampfte Gwen mit dem Fuß auf. "Du hast mir gar nichts zu sagen. Erst recht nicht in dem Ton."

"Denkt ihr nicht …", wollte Jakob vermittelnd eingreifen.

"Wenn ich dir nichts zu sagen habe, kannst du mich nicht mehr besuchen kommen", fiel Manne ihm ins Wort. "Bei deinen vielen verrückten Ideen ist mir das zu gefährlich."

"Ich bin nicht verrückt", keifte Gwen, und ihre Augen schimmerten plötzlich feucht. "Und du bist gemein, wenn du so was sagst."

"Deine Oma hat das nicht so gemeint", versuchte Jakob noch einmal, die Wogen zu glätten, weder Manne noch ihre Enkelin schienen seinen Einwand zu hören. Reglos starrten sie sich an.

"Dein Ernst?", fragte Manne schließlich.

"Mein heiliger Ernst."

"Schade", seufzte sie. "Ich hatte so gehofft, dass ich nicht mehr die einzige Verrückte in dieser Familie bin."

Gwen machte große Augen und war für einen Moment sprachlos.

"Du bist auch nicht verrückt", flüsterte sie. "Du bist halt nur ..." Sie zog die Schultern hoch.

"Ich bin nur anders", entgegnete Manne ebenso leise. "Genau wie du und ..."

"Onkel Jakob ...?"

"Ähm, ja, der ist auch irgendwie anders."

"Ich mag irgendwie anders." Gwen lachte schon wieder. "Darf ich jetzt noch mal raus spielen?"

"Nein. Jetzt gehst du mit hinüber, wäschst dich und ziehst saubere Kleider an. Dann fahren wir zurück nach Sisselsheim."

"Menno ..."

Vielleicht lag es daran, dass es schon dunkel war oder, dass Gwen ohne Punkt und Komma von ihren Abenteuern erzählte, der Bachüberquerung, ihrem Räuberlager unter einer Tanne und dem Reh, das sie gesehen hatte. Jedenfalls hatte sie auf der Heimfahrt nichts mehr an Mannes Fahrstil zu bemängeln.

Sie bogen in die Straße mit dem Autohaus ein, und Gwen erkannte die schlanke Gestalt mit den langen blonden Haaren unter der übernächsten Laterne sofort.

"Guck mal, da ist Meggie. Wollen wir sie mitnehmen?" Während Manne abbremste, den Blinker setzte und mit zwei Rädern auf den flachen Bordstein fuhr, kurbelte sie das Fenster herunter und schnallte sich vorsorglich schon los, um in die Mitte der Sitzbank zu rücken.

Die Gestalt auf den Gehsteig ging zwar noch langsamer, machte aber keine Anstalten, stehen zu bleiben.

"Meggie", brüllte Gwen aus dem Fenster. "Willst du mitfahren?"

"Ach, ihr seid das?" Mit aufreizender Langsamkeit drehte sie sich um.

"Hallo Schwesterherz, hallo Oma. Puh ..." Sie rümpfte die Nase. "Bei euch stinkt es nach Öl und ... nassem Hund?"

"Das sind nur meine dreckigen Klamotten." Gwen lachte schallend über die Idee, dass sie einen Hund dabei haben könnten. "Und du riechst nach Stall. Aber du darfst trotzdem rein."

"Oh je!" Meggie zog ihre schmal gezupften Augenbrauen in die Höhe. "Ich fürchte, das gibt Ärger. Du weißt doch, wie Mama auf verdreckte Klamotten abfährt."

"Das sind nur meine Spielklamotten." Gwen winkte großspurig ab.

"Außerdem krieg ich keinen Ärger, weil ich alle Hausaufgaben und die freiwilligen Zusatzaufgaben gemacht habe, obwohl ich sie erst bis Montag aufhabe."

"Pfft!" Ihre Schwester blies die Backen auf und ließ die Luft geräuschvoll entweichen. "Als ob Mama Hausaufgaben mit dreckigen Klamotten verrechnen würde."

"Willst du jetzt mitfahren oder nicht?", beendete Manne die Diskussion.

"Die paar Schritte laufe ich lieber."

"Gut, dann schnall dich wieder an, Kurze, und mach das Fenster zu.

Ich liebe den Geruch nach Öl und nassem Hund."

Darüber musste Gwen so lachen, dass sie kaum noch die schwere Scheibe hochkurbeln konnte. "Och Oma", japste sie, als sie es schließlich doch geschafft hatte. "Jetzt hast du geschwindelt. Kein Mensch liebt Öl und nasse Hunde. Da muss man ja verrückt sein."

"Sag ich doch."

Sie kicherten und glucksten immer noch, als sie vom Parkplatz hinter der Werkstatt zum Haus gingen. Kurz nach ihnen schlenderte Meggie die Einfahrt herunter, und beim Anblick ihrer Schwester explodierte Gwens Giggeln in einem schallenden Gelächter.

"Ich liebe den Geruch nach Öl und nassem Hund", wiederholte sie.

Um nicht mitlachen zu müssen, wandte sich Manne ab und stocherte mit Julias Ersatzschlüssel nach dem Schlüsselloch.

"Ach herrje!" Meggie verdrehte ausdrucksvoll die Augen. "Du bist ja mal wieder völlig irre."

Doch wenn sie gehofft hatte, ihre kleine Schwester mit dieser Bemerkung auf die Palme zu bringen, hatte sie sich gründlich geirrt.

Gwen krümmte sich vor Lachen.

"Sag. Ich. Doch", quetschte sie zwischen den Lachsalven heraus.

"Ich bin gespannt, ob Mama das genauso komisch findet", entgegnete Meggie mit spitzer Stimme. "Da kommt sie nämlich gerade."

Tatsächlich bog Julias Sportwagen um die Ecke, und gleich darauf setzte sich das schwere Rolltor vor der Garage in Bewegung.

"Mama!" Mit einem zweistimmigen Jubel rannten die Mädchen die Treppe hinunter. "Hast du mir was mitgebracht?"

"Ich habe uns allen etwas mitgebracht." Julia trug eine ausladende Tüte so stolz vor sich her, als wäre es eine erbeutete Flagge. "Salate von Feinkost Maissy. Alles nur Versuchsportionen, aber wenn ich uns ein paar Kartoffeln dazu koche, werden wir alle satt."

Gwen rümpfte die Nase. "Salat gab es schon heute Mittag."

"Dummerchen", triumphierte Meggie. "Das ist kein gewöhnlicher Salat, sondern Nudelsalat oder Wurstsalat und lauter so Sachen."

"Waldorfsalat, Dillhäppchen, Thunfischsalat und mindestens ein Dutzend anderer Köstlichkeiten."

Nun rümpfte auch Meggie die Nase. "Danke, aber ich hab schon bei Sarah gegessen."

"Muss ich das essen?" Gwen starrte auf die Tüte, als hätte sie Angst, dass jeden Moment etwas herausspringen könnte, das versuchen würde, sie zu essen.

"Musst du nicht. Du kannst dir ein Wurstbrot machen. Du kannst aber auch die verschiedenen Chipssorten und Dips probieren, die ich mitgebracht habe."

"Chips ...?" Gwens Augen leuchteten.

Selbst Meggie gab ihre vornehme Zurückhaltung auf. "Gibt's zum Abendessen wirklich Chips?"

"Ich hab euch doch erzählt, dass ich mit den Rotarierfrauen eine Betriebsbesichtigung mache. Wir haben uns angesehen, wo und wie die Sachen hergestellt werden, die wir für den Oster-Brunch bestellen wollen. Wir durften alles probieren und die Reste mitnehmen. Die Salate müssen wir auf jeden Fall heute oder morgen essen und die Chips werden auch nicht frischer. Bei Maissys wurden sie als Vorspeise serviert, aber ich denke, ihr solltet zuerst etwas Gesundes essen, bevor ihr euch den Bauch mit Knabberkram vollschlagt."

"Können wir machen", stimmte Meggie zu.

Gwen nickte gnädig. "Dann ess ich halt zweimal Salat, aber keinen mit Fisch. Darf ich noch ein bisschen spielen, bevor wir essen?"

"Sind deine Hausaufgaben erledigt?"

Gwen nickte voller Stolz. "Ich hab sogar die freiwilligen Übungsaufgaben gemacht. Unter dem schiefen Fenster von Oma Manne geht das viel schneller als an meinem Schreibtisch. Frau Förster hat mir auch lauter grüne Stempel gegeben."

Julia nickte anerkennend. "Das gab es schon lange nicht mehr. Ich glaube fast, wir sollten dich öfter zu deiner Oma schicken."

"Oh ja!" Gwen riss die Arme hoch und wirbelte im Kreis wie eine Ballerina.

"Wart ab, bis du ihre Kleider auspackst", mischte sich Meggie ein.

"Wenn sie so aussehen, wie sie riechen, solltest du Gwen immer nur kurz vor der Müllabfuhr zu Oma Manne schicken."

"Sei nicht so garstig zu deiner kleinen Schwester." Julia schüttelte den Kopf. "Du riechst nach Pferdestall, das ist auch nicht besser."

"Sarah hat ein Pflegepferd, dass sie ganz allein aus dem Stall holen und putzen darf. Sie darf sogar mit ihm spazieren gehen. Krieg ich auch ein Pflegepferd?"

Julia schien die Frage überhaupt nicht gehört zu haben. "Geht hoch, duscht euch, zieht schon mal die Schlafanzüge an und kommt zum Essen wieder runter", sagte sie auf dem Weg zur Küche. "Bis dahin habe ich den Tisch gedeckt und die Chips warm gemacht."

"Warme Chips?", wunderte sich Meggie.

"Ich habe mich auch erst gewundert", stimmte Julia ihr zu. "Aber das schmeckt köstlich, und die Frau, die uns herumgeführt hat, hat gesagt, dass man sie im Backofen aufwärmen kann. Das will ich gleich probieren."

Mit einem Satz war Gwen auf der Treppe. "Erste im Bad", schrie sie, dann knallte die Zimmertür hinter ihr ins Schloss.

"Warum ist dieses schreckliche Kind immer so laut?" Meggie zog ein Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. Es lag Manne schon auf der Zunge, zu sagen, dass laute Kinder nicht schrecklich, sondern normal waren, aber als Julia kommentarlos in die Küche ging, verkniff sie sich die Bemerkung.

"Seid ihr auf Sarahs Pflegepferd denn auch geritten?", erkundigte sie sich stattdessen. Aus einer verstaubten Ecke in ihrem Gehirn war plötzlich einer von Anjas Tipp aufgetaucht: sie musste Interesse an den Themen der Mädchen zeigen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Meggie winkte ab. "Amigo ist viel zu alt. Sarah darf manchmal auf dem jungen Pferd von seiner Besitzerin reiten, aber die kommt erst abends in den Stall."

Um das Gespräch nicht direkt wieder abreißen zu lassen, zermarterte sich Manne das Gehirn nach einer neuen Frage zu Pferden im Allgemeinen oder Sarahs Pflegepferd im Besonderen.

"Kommst du noch mit hoch?" Offenbar wollte Meggie das Gespräch auch nicht abreißen lassen. "Ich muss dir unbedingt zeigen, wo der Schreibtisch von dir steht."

Der ehemalige Frisiertisch, der im Shabby-Chic-Look weiß gestrichen und mit rosa-goldenen Blumenornamenten im Biedermeier-Stil verziert war, stand vor dem Fenster genau wie der alte Schreibtisch. Doch die rosa Tüllgardine, die Meggie von ihrem Himmelbett abgenommen und mit Reißzwecken an der Decke darüber befestigt hatte, verwandelte den Arbeitsplatz in einen magischen Ort.

"Magst du mit reinkommen?" Meggie hielt den Schlitz in der Gardine für ihre Großmutter auf. Der klobige Terrassenstuhl passte zwar überhaupt nicht zu dem eleganten Tisch, aber der Schreibtischstuhl, der früher hier gestanden hatte, hätte noch unpassender ausgesehen.

"Setz dich." Sie sah Manne erwartungsvoll an. "Spürst du es auch?"

"Du hast es dir hier so richtig gemütlich gemacht." Auf der Fensterseite hatte sie die Gardine mit Haarspangen gerafft, sodass sie den beleuchteten Hof der Schreinerei in der Nachbarschaft wie durch einen Rahmen aus Zuckerwatte betrachtete. "Von hier drin sieht die Welt ganz anders aus."

"Du spürst es also auch." In kindlicher Begeisterung klatschte sie in die Hände. "Der Schreibtisch kommt aus einer anderen Welt. Er hat schon so viel gesehen und erlebt. Wenn du ihm zuhörst, erzählt er dir seine Geschichten. Probier's mal, Oma."

Um ihrer Enkelin den Gefallen zu tun, legte sie beide Hände auf die Tischplatte, schloss die Augen und lauschte angestrengt, aber sie konnte nur das Rauschen der Dusche nebenan hören.

"Ich fürchte, ich bin schon zu alt und schwerhörig."

"Bist du nicht." Meggies Lachen klang kein bisschen boshaft. "Nach einem Tag mit Gwen könnte ich ihn auch nicht mehr hören, weil mir die Ohren klingeln."

Ein übermütiges Quietschen übertönte das Plätschern des Duschwassers. Sie sahen sich an und lachten gemeinsam.

"Genau das habe ich gemeint", fügte Meggie hinzu.

"Und was erzählt er dir?", erkundigte sich Manne.

Das zarte Jungmädchengesicht sah ernst, beinahe streng aus. Sie rechnete damit, dass Meggie ihr eine Abfuhr erteilen und auf ihre Privatsphäre verweisen würde. Stattdessen nickte sie. "Geschichten von Feen, die gegen den schwarzen König kämpfen. Seine Jäger wollen alle Einhörner töten, um die Feen-Magie ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Das Mädchen, dem dieser Schreibtisch früher gehört hat, hat angefangen, die Geschichte aufzuschreiben, und eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Vermutlich hat sie einen Eingang in die Feenwelt gefunden und ist dortgeblieben, um die Feen bei ihrem Kampf zu unterstützen. Ohne die Hilfe der Menschen können sie die Einhörner nicht retten. Ich, ähm ..." Plötzlich wurde Meggie puterrot. Anstatt weiterzureden, zupfte sie ein unsichtbares Stäubchen vom Ärmel ihres Pullovers.

"Du schreibst jetzt auch Bücher", half Manne ihr auf die Sprünge.

"Der Schreibtisch hat gesagt, dass sie Amelie heißt, und erst wenn jemand ihre Geschichte aufschreibt, kann sie in die Menschenwelt zurückkehren." Sie sah dabei nicht von ihrem Ärmel hoch und ihre langen weizenblonden Haare hingen wie ein schützender Vorhang zwischen ihr und den Blicken der Welt.