Manne: ausgerechnet Weihnachten - Beate Weirich - E-Book

Manne: ausgerechnet Weihnachten E-Book

Beate Weirich

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Beschreibung

Manne Sollinger ist ein erklärter Weihnachtsmuffel. Da ihre Freundin Anja fest davon überzeugt ist, dass sie für ein neues Leben weitab von ihrer Arbeit an einer Kölner Berufsschule neue Weihnachtsrituale braucht, besucht Manne einen Weihnachtsflohmarkt und einen Adventsbasar, lernt backen und lädt obendrein ihre resolute Tochter mitsamt Ehemann und pubertierenden Töchtern zu einer nostalgischen Weihnachtsfeier in ihr Krähensteiner Häuschen ein. Eine turbulente Vorweihnachtszeit beginnt, in der sich Manne zu allem Überfluss auch noch mit den Launen von Jakob, ihrem sonst so liebenswerten Nachbarn auseinandersetzen muss. "Ausgerechnet Weihnachten" ist ein Buch für Frauen, die die Vorweihnachtszeit lieben und für Frauen, die sich - genau wie die Protagonistin dieser Geschichte - am liebsten an einem weihnachtfreien Ort verstecken würden, bis alle Lebkuchen aufgegessen und die Sterne wieder weggepackt sind. Ein Buch, das Lust macht auf winterliche Evergreens von Bing Crosby, Dean Martin und Frank Sinatra, auf Glühwein und Plätzchenbacken. Im Nikolausstiefel sollte es auch nicht fehlen, denn es ist bestens geeignet, Weihnachtsfans durch den Advent zu begleiten und Weihnachtsmuffel mit der Vorweihnachtszeit zu versöhnen. Eine inspirierende Lektüre für Frauen, die Spaß daran haben, Weihnachten aus einer neuen Perspektive zu betrachten.

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Für alle Frauen, die Weihnachten trotzdem jedes Jahr eine neue Chance geben.

Inhaltsverzeichnis

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Dank der Autorin

Eins

Manne Sollinger saß mit einer Tasse Milchkaffee am Küchentisch und starrte in das trübsinnige Novemberwetter. Vorhin hatte es so ausgesehen, als würde der Regen nachlassen. Rasch hatte sie einen Einkaufszettel geschrieben und ihre Motorradkombi angezogen. Doch auf dem Weg zum Schuppen, in dem außer ihrer BMW auch die Gartengeräte und das Brennholz waren, hatte der Himmel plötzlich wieder die Schleusen geöffnet. Bei den wenigen Schritten bis zur Haustür war sie klatschnass geworden. An eine Fahrt in das nahe gelegene Städtchen Steinweiler war natürlich nicht mehr zu denken gewesen, und inzwischen war es zum Einkaufen zu spät, Bäcker und Metzger machten pünktlich um sechs Feierabend, nur der Supermarkt hatte bis halb acht geöffnet. Sie überlas noch einmal den Einkaufszettel. Außer Brot und Milch stand nichts darauf, was sie unbedingt vor dem Wochenende haben musste, und das konnte sie auch bei dem Bäckerwagen kaufen, der samstags nach Krähenstein kam.

"Ihr bringt mich nicht dazu, aufzugeben." Sie streckte den Wolken die Zunge heraus. "Es tut mir nämlich überhaupt nicht leid, dass ich von Köln an den Dunnberg gezogen bin."

Das entsprach allerdings nicht ganz der Wahrheit. Bei Regenwetter bedauerte sie es schon, dass es hier nicht an einen Ende der Straße eine Bäckereifiliale und am anderen einen türkischen Laden mit frischem Obst und Gemüse, Fleisch und Käse gab. Außerdem hätte sie in Köln mit dem Bus zum Wochenmarkt fahren können, aber das musste sie den Wolken ja nicht auf die Nase binden.

Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Grübeleien. "Sollinger?" "Guten Abend, Mama", flötete ihre Tochter Julia. "Ich hoffe, ich störe nicht. Ich wollte nur mal wieder nachfragen, wie es dir in deinem einsamen Bergdorf geht."

"Den meteorologischen Umständen entsprechend." Sie merkte kaum, dass ihre Hand nach dem Kugelschreiber griff und dicke, dunkle Wolken auf den Rand ihres Einkaufszettels malte.

"Seid ihr da oben schon eingeschneit?"

"Von dir bis zu mir sind es keine dreißig Kilometer und knapp hundert Höhenmeter. Krähenstein liegt nicht in den Alpen. Bei uns regnet es, das ist lästig genug. Ich hatte zwar darüber nachgedacht, mir für die Wintermonate einen Motorschlitten anzuschaffen, aber vielleicht wäre ein Boot doch die bessere Wahl."

"Mama, du bist die Beste." Julia lachte schallend. "Ich kenne nicht viele Frauen, die über einen Motorschlitten nachdenken würden, wenn es auch ein Auto tut."

Jetzt wurde Manne skeptisch. Wenn sie von ihrer Tochter so viel Zustimmung bekam, konnte das nur bedeuten, dass sie etwas für sie tun sollte. Hoffentlich ging es nicht wieder darum, die beiden Enkelinnen zu hüten. Der letzte Versuch hatte in einem Fiasko geendet.

"Sag mal, Mama ..."

"Ja?" Aufpassen, ermahnte sie sich in Gedanken. Du sagst nichts zu, bevor du nicht mindestens eine Nacht darüber geschlafen hast.

"Was machst du eigentlich an Weihnachten?"

"Ich gehe ihm aus dem Weg. Ich suche mir auch dieses Jahr ein sicheres Versteck und hoffe, dass es mich dort nicht findet. Außerdem zerbreche ich mir vergeblich den Kopf über originelle Geschenke und kaufe am Ende wieder nur Gutscheine oder Karten, in denen man Geldscheine verstecken kann." Aus den Wolken am Rand ihrer Einkaufsliste fielen schwere Tropfen auf Milch und Brot. Unter dem Puddingpulver sammelten sie sich zu einer Pfütze.

"Mach dir wegen der Geschenke bitte keine Gedanken. Wir wollen Weihnachten dieses Jahr ganz sparsam feiern. Vor den Feiertagen besuche ich mit den Mädchen eine ehemalige Nachbarin, die mit ihrer Familie nach Essen gezogen ist. Wir kommen am dreiundzwanzigsten zurück und fahren am fünfundzwanzigsten in Urlaub."

"Also fällt Weihnachten dieses Jahr aus?"

"Nicht ganz. Zum Abendessen gibt es Fondue, danach schauen wir einen Weihnachtsfilm. Du bist natürlich herzlich dazu eingeladen, aber es gibt dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum und keine großen Geschenke. Vier Tage Essen und eine Woche Skiurlaub sind teuer genug."

Das klang so wenig weihnachtlich, dass Manne beinahe zugesagt hätte. Zum Glück redete Julia direkt weiter: "Was machst du denn an den Feiertagen und zwischen den Jahren?"

"Ich weiß noch nicht. Vielleicht fahre ich ein paar Tage nach Köln oder ich mache es mir hier gemütlich."

"Würdest du unser Haus hüten? Die jungen Männer wollen feiern ..." Nachdem Manne aus der Einliegerwohnung in Julias Haus ausgezogen war, um das alte Häuschen in Krähenstein zu mieten, waren zwei Söhne aus einer wohlhabenden pakistanischen Familie dort eingezogen. Beide studierten im nahe gelegenen Mainz, der eine Medizin, der andere Wirtschaftswissenschaft. Bis jetzt hatte sie nur Gutes über diese Mieter gehört.

"Ich hatte gedacht, dass die beiden über die Feiertage nach Hause fliegen oder wenigstens zu ihrem Onkel nach Frankfurt fahren", fuhr Julia fort. "Aber Muslime feiern Weihnachten nicht. Sie bleiben hier und bereiten sich auf die Prüfungen vor. Gestern haben sie gefragt, ob sie ein paar Kommilitonen einladen und Silvester feiern dürfen. Ich konnte natürlich nicht Nein sagen, aber so ganz geheuer ist es mir trotzdem nicht, wenn die jungen Leute allein im Haus sind. Sie haben zwar keinen Schlüssel für den Keller oder unsere Wohnung, aber mir wäre trotzdem wohler, wenn du so lange hier sein und ein Auge auf alles haben könntest."

"Warum nicht." Es wäre ihr kleinlich vorgekommen, diese Bitte auszuschlagen.

"Mama, du bist die Beste. Du musst dich auch um nichts kümmern. Sag mir einfach, was du essen willst, dann ..."

"Warte bitte!" Gerade noch rechtzeitig war ihr eingefallen, dass sie nichts zusagen wollte, ohne nicht mindestens eine Nacht darüber zu schlafen. "Bevor ich fest zusage, muss ich mit einer Kölner Freundin telefonieren. Wir haben im Herbst angedacht, dass ich an Silvester zu ihr komme, aber wir haben noch nichts entschieden."

"Bis wann weißt du das?" Julias Stimme klang merklich kühler.

"Nächste Woche, spätestens übernächste."

"Bis nächste Woche reicht. Wenn du nicht kannst, muss ich bei dem

Haus-Care-Service anfragen, der ständig im Wochenblatt inseriert."

Als sie auflegte, war aus der Pfütze am unteren Rand des Einkaufszettels ein Meer geworden. Schaumgekrönte Wellen schwappten in den Parmesankäse, den Manne zuletzt aufgeschrieben hatte. Sie trank einen Schluck Kaffee.

"Bäh!" Er war inzwischen kalt geworden und schmeckte nur noch bitter.

Obwohl es nicht einmal acht war, spielte sie mit dem Gedanken, schlafen zu gehen. Was sollte sie an einem verregneten Novemberabend in einem Einhundertsiebzig-Seelen-Dorf anderes machen?

Der Krähensteiner Hof, in dem vor allem Wanderer und Ausflügler einkehrten, hatte freitags geschlossen, und bis sie mit ihrer BMW das benachbarte Städtchen Steinweiler erreicht und dort eine offene Kneipe gefunden hätte, wäre sie nass bis auf die Knochen.

"Was für eine blöde Idee, ausgerechnet in dieses Kaff zu ziehen", sagte sie zu ihrem Spiegelbild in der Fensterscheibe. Im Sommer hatte das alte Häuschen mit dem verwilderten Garten und dem hilfsbereiten Nachbarn recht romantisch gewirkt, aber jetzt sehnte sie sich in ihre Etagenwohnung am Rand der Kölner Altstadt zurück.

An einem Abend wie heute hätte sie sich vom Strom der Nachtschwärmer in eine Kneipe treiben lassen und die Katerstimmung über einer netten Thekenplauderei schnell vergessen. Oder sie hätte eine Kollegin angerufen, um sich für morgen auf eine Tasse Kaffee zu verabreden. Vermutlich beneideten sie die meisten um ihr Sabbatjahr in dem pittoresken Dorf, von dem sie im Spätsommer und Herbst noch farbenfrohe Bilder nach Köln geschickt hatte. Nur ihre Freundin Anja wusste, wie trübselig der Winter in Krähenstein war.

Anja anrufen, fiel ihr plötzlich ein. Ein Schwätzchen mit ihr war eine Garantie für die Verbesserung ihrer Laune, und jetzt war genau die richtige Zeit dafür. Die Zwillinge waren im Bett, und ihr Mann saß vermutlich vor dem Fernseher. Sie warf noch ein Holzscheit in den Küchenofen, bevor sie die vertraute Nummer wählte.

"Eldermann?"

"Guten Abend, Anja." Sie musste ihren Namen nicht nennen. "Wobei störe ich dich denn gerade?"

"Manne!", jubelte es am anderen Ende der Leitung. "Du störst überhaupt nicht. Du störst nie. Was kann ich für dich tun? Brauchst du mal wieder den Rat der systemischen Familienberaterin, die sich den Körper mit deiner ehemaligen Lieblingskollegin teilt?" Ihrer beiden Kinder und ihrem Job in der Schule zum Trotz, hatte sie in der Elternzeit eine psychologische Ausbildung angefangen und einen Raum in der Praxis einer Freundin gemietet. Manne war von ihren therapeutischen Fähigkeiten allerdings nicht überzeugt. Jedenfalls hatte das Telefoncoaching, das Anja im letzten Sommer mit ihr geführt hatte, kein bisschen dazu beigetragen, die uralten Gräben zwischen Mutter und Tochter zuzuschütten.

"Du sollst ausnahmsweise nichts für mich tun. Ich habe dich angerufen, um dir ..."

"Sag's nicht", quietschte Anja. "Lass mich raten. Du willst mich daran erinnern, dass du heute in einer Woche dreiundsechzig wirst, und anlässlich deines Ehrentages eine große Sause geplant hast."

"Ach herrje!" Manne zog ein Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen.

"Das hatte ich schon fast vergessen." Sie drehte den Einkaufszettel um; wie von selbst zog die Spitze ihres Kugelschreibers flach gedrückte Kreise, der nächste immer ein bisschen größer als sein Vorgänger, um einen unsichtbaren Mittelpunkt.

"Glaub mir, es ist gar nicht schlimm, dreiundsechzig zu werden.

Meine Schwiegermama hat es letztes Jahr auch geschafft. Was hast du denn geplant? Lädst du deine Gäste nach Hause ein oder feierst du in dieser Kneipe auf dem Berg?"

"Im Krähensteiner Hof? Der hat leider nur samstags und sonntags geöffnet. Aber ich wüsste auch nicht, wen ich dahin einladen sollte."

"Dann komm doch zu uns feiern. Ich könnte ein paar Kolleginnen mobil machen und nach der Schule einen Tisch im alten Bahnhof für uns reservieren. Bei der Gelegenheit kannst du dich auch auf den neuesten Stand bringen lassen."

"Für zwei Stunden nach Köln fahren?" Manne schüttelte den Kopf.

"Und was mache ich mit dem Rest des Tages?"

"Einen ausgedehnten Stadtbummel? Ein Museum besuchen? Eine neue Wohnung suchen und einem Makler auf die Nerven gehen?

Ich hab leider nur bis halb vier Zeit. Danach muss ich mit den Kurzen ins Kinderturnen."

"Nee, lass mal. Novembergrau steht Köln ebenso wenig wie jeder anderen Stadt. Hier draußen sehen tief hängende Wolken und Dauerregen beinahe romantisch aus, aber in der Stadt ...? Außerdem soll mein Schlafzimmer dieses Jahr noch fertig werden. Wenn ich spazieren fahre, wird das vermutlich nichts mehr."

"Was hast du denn vor?"

"Das meiste ist schon erledigt. Der Boden ist abgeschliffen und frisch geölt, die Tapeten sind runter, der Putz ist ausgebessert und weiß gestrichen. Ich habe eine Bordüre vorgezeichnet, die muss ich noch fertig ausmalen und die Dielen wachsen."

"Du legst dich aber mächtig ins Zeug."

Manne atmete erleichtert auf. Es war ihr immerhin gelungen, das

Gespräch auf ein weniger verfängliches Terrain zu manövrieren. Die flach gedrückten Kreise bekamen am vorderen Rand einen Absatz, der sie wie eine flache Scheibe aussehen ließ, die mit jedem Strich ein bisschen höher wurde. "Es macht mir Spaß, und ich habe sonst nichts zu tun." Sie erzählte allerdings nicht, dass sie in den letzten zwei Wochen weder die Blätter der zarten Ranken ausgemalt noch den Boden bearbeitet hatte, weil es im ersten Stock ohne Heizung zu kalt war. Sie hatte es mit dem alten Ölradiator versucht, der zur Einrichtung gehörte, aber als die Scheibe des Stromzählers, die sonst träge um sich selbst kreiste, losgaloppiert war, hatte sie ihn wieder ausgeschaltet.

"Was machst du denn nun an deinem Geburtstag?" Offenbar war Anja doch nicht so leicht von einer heißen Spur abzulenken.

"Ich, ähm ...? Nichts. Wenigstens nichts Besonderes. Mit dreiundsechzig ist ein Geburtstag nicht mehr besonders spannend."

"Du kannst dich doch nicht in deine Höhle verkriechen, die Wände anmalen und so tun, als wäre es ein Tag wie jeder andere."

"Warum nicht?"

"Weil es traurig ist, so zu tun, als hätte man den eigenen Geburtstag vergessen. Das ist, als wärst du dir selbst an deinem persönlichsten Feiertag nicht mal ein paar Glückwünsche und Applaus wert."

"Glückwünsche sind okay, aber Applaus ..." Manne rümpfte die Nase. "Wer sollte mir denn applaudieren? Und wozu?"

"Manne!" Anja klang ehrlich empört. "Für mich bist du eine Heldin. Du hast von einem auf den anderen Tag dein ganzes Leben über Bord geworfen und bist mit nichts als deinem Motorrad, deinem Futon, deinem Lieblingssessel und sieben Umzugskartons in die Welt hinausgezogen, um mit dreiundsechzig noch einmal ein neues Leben anzufangen."

"Damals war ich zweiundsechzig."

"Du weißt genau, wie ich das meine."

"Genau genommen bin ich mit diesem neuen Leben gründlich auf die Schnauze gefallen. Ich wollte endlich den Ärger zwischen mir und meiner Tochter ausräumen und ihr etwas näherkommen, aber sie ruft mich nur an, wenn sie einen Haussitter braucht. Ich bin froh, dass mein Sabbatjahr nicht mehr ewig dauert. Spätestens an Ostern komme ich zurück und suche mir wieder eine Wohnung in Köln."

"An Ostern schon? Dann wird es höchste Zeit, dass ich dich in deiner Landidylle besuchen komme, bevor sie Geschichte ist. Und wie willst du jetzt deinen Dreiundsechzigsten feiern?"

Manne holte tief Luft und schnaubte wie ein Pferd. "Ich habe meinen Geburtstag noch nie gefeiert. Ich bin mit euch einen Kaffee trinken gegangen, weil das alle so machen, und mit dir war ich letztes Jahr in der Therme, weil du meine Freundin bist. Warum soll ich denn jetzt auf einmal meinen Geburtstag feiern?"

"Weil du ein neues Leben angefangen hast. So ein neues Leben braucht neue Rituale, und der Geburtstag ist eins der wichtigsten Rituale im Leben eines Menschen."

"Okay", sie seufzte abgrundtief, „dann gib mir einen Tipp."

"Du könnest mit deinem netten Nachbarn schön essen gehen."

"Jakob geht nicht gerne essen. Restaurants sind ihm zu teuer, und das Essen zu Hause schmeckt ihm sowieso besser."

"Dann macht euch doch einen netten Abend zu Hause. Koch etwas Schönes für euch oder lass dich von ihm bekochen."

"Wenn er weiß, dass ich Geburtstag habe, fühlt er sich wahrscheinlich verpflichtet, etwas ganz Besonderes aufzutischen. Fisch oder

Wild oder irgendetwas anderes, was eine Menge Arbeit macht. Wenn ich sehe, wie oft er nachmittags weggeht und erst spät abends nach Hause kommt, weil er wieder jemandem helfen muss, weiß ich, dass er genug zu tun hat." Erstaunt stellte sie fest, dass die wachsende Scheibe auf der Rückseite ihres Einkaufszettels Ähnlichkeit mit einer Torte hatte. Einer Geburtstagstorte vielleicht? Sie dekorierte den Rand mit winzigen Sahnetupfern.

"Und wenn du allein essen gehst? Bei euch in der Gegend gibt es doch sicher auch Restaurants mit freundlichen Kellnern, die dir dabei behilflich sind, zu einem noblen Essen den passenden Wein zu bestellen."

"Dann kriegt der arme Kellner Schnappatmung, weil ich in Mopedklamotten in sein Restaurant gestapft komme."

"Kannst du nicht mal was anderes anziehen und mit dem Taxi vorfahren?"

"Ich hab nur Jeans und Pullover. Ich bin mit sieben Umzugskartons hierhergekommen."

"Dann solltest du deine Geburtstagsfeier mit einem Stadtbummel anfangen und dich passend für ein Rendezvous mit der wichtigsten Person in deinem Leben einkleiden. Oder noch besser, such dir eine Therme mit einem netten Restaurant. Die verleihen Bademäntel an der Kasse, damit bist du dort genau richtig angezogen."

"Ich geh nicht allein in eine Therme. So alt kann man gar nicht werden, dass man nicht von noch älteren Lustmolchen angegafft und bei passender Gelegenheit angekrabbelt wird. Vor allem am Freitagabend. Da ist doch jede Sauna voller Männer, die eine harte Woche hinter sich haben und zur Belohnung einen drauf machen."

"Dann geh am Freitagmorgen, da sind ihre Frauen in der Sauna. Die gucken vielleicht auch, aber sie krabbeln in der Regel nicht."

Lachend schüttelte Manne den Kopf, aber Anja war noch nicht fertig.

"Du könntest deine Tochter fragen, ob sie mitkommt. Glaub mir, alle Frauen gehen gerne in die Sauna. Wenn du sie einlädst, wird sie bestimmt nicht Nein sagen, und zwischen Aufguss und Käffchen kommt ihr euch wie von selbst wieder etwas näher."

"Die Idee hat was. Freitagmorgens sind Meggie und Gwen in der Schule, und wir können uns ein paar nette Stunden machen. Wie hast du das genannt? Mädelszeit oder so ...?"

"Genau!" Anja klang zufrieden. "Und wenn sie absagt, weil ihr etwas anderes wichtiger ist, als ihr altes Mütterlein, feierst du deinen Tag trotzdem. Notfalls lässt du dir eine Pizza kommen, machst dazu eine Flasche Secco auf und legst einen Sesseltag mit einem guten Buch ein."

"Ich könnte mir einen neuen Krimi kaufen."

"Keinen Krimi. Für Geburtstage brauchst du etwas Philosophisches. Pippi Langstrumpf oder so."

"Pippi Langstrumpf? Wie kommst du ausgerechnet auf Pippi Langstrumpf?"

"Sie könnte sehr inspirierend für dich sein. Pippi ist zwar ein paar Jährchen jünger als du, aber sie fängt auch ein neues Leben an, und sie gestaltet dieses Leben so, dass es genau zu ihr passt."

"Pippi Langstrumpf?", wiederholte Manne skeptisch. "Dein Ernst?"

"Sicher. Aber du solltest es trotzdem zuerst mit Julia versuchen."

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, zeichnete Manne noch eine Kerze in die Mitte ihrer Torte.

Zwei

Am nächsten Morgen nutzte Manne eine Regenpause für ihre Fahrt nach Steinweiler. Im Supermarkt kaufte sie alles, was sie im Lauf der nächsten Woche brauchen würde und was in ihre Packtaschen passte: zwei Tüten Milch, eine Dose Erbsen, ein Paket Nudeln, Käse, etwas Obst, Gemüse, Kartoffeln und zwei Rollen Küchenpapier. Dann fuhr sie zurück zum Festplatz in der Mitte des Städtchens, der an gewöhnlichen Tagen als Parkplatz diente, kaufte beim Metzger so viel Wurst und Fleisch wie in die vollere der beiden Taschen passte, vergewisserte sich, dass in der anderen genug Platz für ein Brot war und ging zur Bäckereifiliale, die in eine frühere Boutique gezogen war. Der verblasste Schriftzug über der Tür war unter der Reklametafel des Dunnberg-Bäckers noch zu erkennen.

Im Laden stand links neben der Theke ein hoher Tisch mit zwei Barhockern und Stehplätzen. Außer mittwochs, wenn die Männer von der Müllabfuhr zur Frühstückspause einkehrten, hatte Manne an diesem Tisch noch nie jemanden sitzen oder stehen gesehen. Meistens diente er als Ablage für die Brot- oder Brötchenkörbe, die zwischen der Bäckerei in Sisselsheim und der Filiale in Steinweiler hin- und herreisten. Auf der anderen Seite standen vor einer verschlossenen Tür, die früher in einen Lagerraum oder ein Büro geführt haben mochte, zwei kleine Tische, die auch nicht öfter besetzt waren, obwohl es hier frische Backwaren, ausgezeichneten Kaffee und freies WLAN gab. Manne bestellte an der Theke einen Milchkaffee mit einem Rosinenbrötchen und setzte sich an den hinteren der beiden Tische. Hier war es dunkler, aber das Netz war stabiler. Sie war ja nicht zum Frühstück hergekommen, sondern um eine Sauna zu finden, in die sie ihre Tochter einladen konnte.

Sie zog ihr Handy aus der Innentasche der Motorradjacke und tippte mit spitzen Fingern die Wörter Sauna und Dunnberg in die winzige Tastatur. Zuerst poppte ihr eine Anzeige entgegen, in der ein Biber mittelalterliche Waschzuber und Saunen aus echten alten Weinfässern zum Verkauf oder zur Miete anbot. Die Vorstellung, ihren Geburtstag in einem Badezuber im eigenen Garten zu feiern, gefiel Manne, sie bezweifelte allerdings, ob ihre Tochter dieser Idee etwas abgewinnen konnte. Es gab noch ein Hotel in Dunnfels, das mit einem gepflegten Wellnessbereich punkten wollte, und einen Sauna-Club, dessen Werbung ganz offensichtlich nicht auf die Geburtsgesellschaft einer älteren Dame abzielte.

Weiter unten fand sie den Link zu einem Familienbad mit einer weitläufigen Thermenlandschaft und gehobener Gastronomie in Kaiserbach. Die Preise waren ebenfalls gehoben, aber die Bilder von lachenden Menschen im Whirlpool, von kunstvoll arrangierten Orchideen auf einer Massage-Liege und weiß gedeckten Tischen unter einer gläsernen Kuppel sahen fast nach Urlaub aus. Manne entschied, dass sie sich diesen Luxus zu ihrem dreiundsechzigsten Geburtstag leisten konnte, und wählte Julias Nummer.

"Hallo Mama", tönte es aus dem winzigen Lautsprecher. "Schön, dass du es dir überlegt hast. Wenn du schon weißt, was ich für dich kochen soll, kann ich alles vorbereiten und einfrieren."

Manne schüttelte den Kopf. "Du musst nichts kochen. Ich will lieber bei mir wohnen und einen über den anderen Tag bei euch vorbeischauen. An Silvester bleibe ich da und schlafe bei euch auf der Couch. Sobald es klingt, als wollten deine Studenten die Bude abreißen, wecke ich mein Lehrerinnen-Gen und sorge für Ruhe."

"Damit ist mir schon geholfen. Aber du kannst auch gerne länger hierbleiben, um den Luxus einer Badewanne und einer Heizung zu genießen. Du musst nicht auf der Couch oder im Chaos der Mädchen nächtigen, sondern kannst unser Schlafzimmer benutzen."

"Mach dir keine Umstände, ich habe hier alles, was ich brauche. Aber wenn du gerade von Luxus sprichst ..." Die Überleitung war perfekt. "Ich will am kommenden Freitag nach Kaiserbach in die Therme gehen. Magst du mitkommen? Ich lade dich ein."

"Und wer kümmert sich so lange um meine Kinder?"

"Wir gehen am Freitagmorgen. Ich würde dich auch gerne noch zum Mittagessen einladen, aber wenn dir das zu spät wird, können wir uns auch zum Frühstück dort treffen."

"Hast du im Lotto gewonnen? Oder ..." Julias Lachen klang gekünstelt. "Was ist denn der Freitag für ein Datum?"

"Der dreiundzwanzigste." Wie um sich zu vergewissern, dass sie ihrer Tochter das richtige Datum genannt hatte, malte sie eine Dreiundzwanzig auf ihre Serviette, dahinter eine Elf, eine Neunzehn und zwei Fünfen.

"Lass mich mal schauen." Manne hörte sie blättern. "Mama, das geht nicht. Wir haben am Vierundzwanzigsten einen Vorweihnachtsbasar, und ich habe mich für den Aufbau angemeldet."

"Meinst du nicht, dass das jemand anderes machen könnte? Deine Selbsthilfegruppe hat sicher Verständnis dafür, wenn du ..."

"Ach Mama!" Jetzt klang ihr Lachen echt. "Das hat nichts mit den impulskontrollgestörten Kindern zu tun. Eberhard ist seit September Mitglied im Rotary Club. Dort erwartet man Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit, vor allem auch von den neuen Mitgliedern. Was hältst du davon, wenn wir am Donnerstagmorgen in die Sauna gehen. Oder noch besser am Mittwoch, dann muss ich mich nicht so hetzen, dass ich rechtzeitig wieder zu Hause bin. Mittwochs isst Gwen in der Schule und Meggie kommt sowieso später."