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Die Märchen der Brüder Grimm zählen zu den bedeutendsten und bekanntesten Werken der deutschen Literatur. Diese liebevoll gestaltete Originalausgabe versammelt die bekanntesten Geschichten aus der Feder der Brüder Grimm und lässt sie in ihrer ursprünglichen Form neu aufleben. Reichhaltig illustriert mit vielen farbigen Abbildungen, verbindet dieses E-Book kunstvolle Bilder mit den klassisch erzählten Märchen, die seit Jahrhunderten Jung und Alt begeistern.
In den Erzählungen begegnen wir Figuren, die über die Jahrhunderte zu Archetypen der westlichen Literatur und Kultur geworden sind: Schneewittchen, das den Neid der Stiefmutter besiegt, Hänsel und Gretel, die den Gefahren des Waldes trotzen, und Rotkäppchen, das sich dem bösen Wolf stellen muss. Diese Charaktere, die in unserer kollektiven Vorstellung fest verankert sind, ziehen uns durch ihre Einfachheit und Tiefe gleichermaßen in den Bann.
Im Mittelpunkte stehen Geschichten über das ewige Ringen zwischen Gut und Böse, Mut und Furcht, Klugheit und Dummheit. Doch weit über diese grundlegenden Gegensätze hinaus zeigen die Märchen immer wieder, dass es Hoffnung gibt, selbst in den dunkelsten Zeiten. Sie bringen Werte wie Güte, Tapferkeit und Nächstenliebe zum Vorschein, und die Protagonisten werden oft für ihren Mut und ihre Entschlossenheit belohnt. Diese Geschichten sind nicht nur spannend, sondern tragen auch zu einer moralischen Bildung bei, die Generationen geprägt hat.
Diese Sammlung ist ein wahrer Märchenschatz für all jene, die die Ursprünge dieser Geschichten neu erleben möchten. Die wunderschöne Sammlung der Grimms Märchen fesselt mit ihren zeitlosen Erzählungen und den aufwendigen Illustrationen, die jedem Märchen eine besondere Tiefe verleihen. Es bietet eine einzigartige Gelegenheit, die Geschichten, die wir aus unserer eigenen Kindheit kennen, in ihrer ursprünglichen Form wiederzuentdecken und sie in einem neuen Licht zu sehen. Die über farbigen Abbildungen lassen uns die Geschichten nicht nur lesen, sondern auch auf visueller Ebene erfahren, was das Leseerlebnis noch eindrücklicher macht.
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Seitenzahl: 1327
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Jacob und Wilhelm Grimm
Märchen der Brüder Grimm
Reichhaltig illustriert
Novelaris Verlag 2024
1. Auflage
ISBN: 978-3-68931-011-0
Brief an Bettina von Arnim
Vorrede
1. Der Froschkönig
2. Katze und Maus in Gesellschaft
3. Marienkind
4. Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
5. Der Wolf und die sieben jungen Geislein
6. Der treue Johannes
7. Der gute Handel
8. Der wunderliche Spielmann
9. Die zwölf Brüder
10. Das Lumpengesindel
11. Brüderchen und Schwesterchen
12. Rapunzel
13. Die drei Männlein im Walde
14. Die drei Spinnerinnen
15. Hänsel und Grethel
16. Die drei Schlangenblätter
17. Die weiße Schlange
18. Strohhalm, Kohle und Bohne
19. Von dem Fischer un syner Fru
20. Das tapfere Schneiderlein
21. Aschenbuttel
22. Das Räthsel
23. Von dem Mäuschen, Vögelchen und der Bratwurst
24. Frau Holle
25. Die sieben Raben
26. Rothkäppchen
27. Die Bremer Stadtmusikanten
28. Der singende Knochen
29. Der Teufel mit den drei goldenen Haaren
30. Läuschen und Flöhchen
31. Das Mädchen ohne Hände
32. Der gescheite Hans
33. Die drei Sprachen
34. Die kluge Else
35. Der Schneider im Himmel
36. Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack
37. Daumesdick
38. Die Hochzeit der Frau Füchsin
39. Die Wichtelmänner
40. Der Räuberbräutigam
41. Herr Korbes
42. Der Herr Gevatter
43. Frau Trude
44. Der Gevatter Tod
45. Daumerlings Wanderschaft
46. Fitchers Vogel
47. Von dem Machandelboom
48. Der alte Sultan
49. Die sechs Schwäne
50. Dornröschen
51. Fundevogel
52. König Drosselbart
53. Sneewittchen
54. Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein
55. Rumpelstilzchen
56. Der Liebste Roland
57. Der goldene Vogel
58. Der Hund und der Sperling
59. Der Frieder und das Catherlieschen
60. Die zwei Brüder
61. Das Bürle
62. Die Bienenkönigin
63. Die drei Federn
64. Die goldene Gans
65. Allerleirauh
66. Häsichenbraut
67. Die zwölf Jäger
68. De Gaudeif un sien Meester
69. Jorinde und Joringel
70. Die drei Glückskinder
71. Sechse kommen durch die ganze Welt
72. Der Wolf und der Mensch
73. Der Wolf und der Fuchs
74. Der Fuchs und die Frau Gevatterin
75. Der Fuchs und die Katze
76. Die Nelke
77. Das kluge Grethel
78. Der alte Großvater und der Enkel
79. Die Wassernixe
80. Von dem Tode des Hühnchens
81. Bruder Lustig
82. De Spielhansl
83. Hans im Glück
84. Hans heirathet
85. Die Goldkinder
86. Der Fuchs und die Gänse
87. Der Arme und der Reiche
88. Das singende springende Löweneckerchen
89. Die Gänsemagd
90. Der junge Riese
91. Dat Erdmänneken
92. Der König vom goldenen Berg
93. Die Rabe
94. Die kluge Bauerntochter
95. Der alte Hildebrand
96. De drei Vügelkens
97. Das Wasser des Lebens
98. Doctor Allwissend
99. Der Geist im Glas
100. Des Teufels rußiger Bruder
101. Der Bärenhäuter
102. Der Zaunkönig und der Bär
103. Der süße Brei
104. Die klugen Leute
105. Märchen von der Unke
106. Der arme Müllerbursch und das Kätzchen
107. Die beiden Wanderer
108. Hans mein Igel
109. Das Todtenhemdchen
110. Der Jude im Dorn
111. Der gelernte Jäger
112. Der Dreschflegel vom Himmel
113. De beiden Künigeskinner
114. Vom klugen Schneiderlein
115. Die klare Sonne bringts an den Tag
116. Das blaue Licht
117. Das eigensinnige Kind
118. Die drei Feldscherer
119. Die sieben Schwaben
120. Die drei Handwerksburschen
121. Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet
122. Der Krautesel
123. Die Alte im Wald
124. Die drei Brüder
125. Der Teufel und seine Großmutter
126. Ferenand getrü und Ferenand ungetrü
127. Der Eisenofen
128. Die faule Spinnerin
129. Die vier kunstreichen Brüder
130. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein
131. Die schöne Katrinelje und Pif Paf Poltrie
132. Der Fuchs und das Pferd
133. Die zertanzten Schuhe
134. Die sechs Diener
135. Die weiße und die schwarze Braut
136. Der Eisenhans
137. De drei schwatten Princessinnen
138. Knoist un sine dre Sühne
139. Dat Mäken von Brakel
140. Das Hausgesinde
141. Das Lämmchen und Fischchen
142. Simeliberg
143. Up Reisen gohn
144. Das Eselein
145. Der undankbare Sohn
146. Die Rübe
147. Das junggeglühte Männlein
148. Des Herrn und des Teufels Gethier
149. Der Hahnenbalken
150. Die alte Bettelfrau
151. Die drei Faulen
151*. Die zwölf faulen Knechte
152. Das Hirtenbüblein
153. Die Sternthaler
154. Der gestohlene Heller
155. Die Brautschau
156. Die Schlickerlinge
157. Der Sperling und seine vier Kinder
158. Das Märchen vom Schlauraffenland
159. Das Dietmarsische Lügenmärchen
160. Räthselmärchen
161. Schneeweißchen und Rosenroth
162. Der kluge Knecht
163. Der gläserne Sarg
164. Der faule Heinz
165. Der Vogel Greif
166. Der starke Hans
167. Das Bürle im Himmel
168. Die hagere Liese
169. Das Waldhaus
170. Lieb und Leid theilen
171. Der Zaunkönig
172. Die Scholle
173. Rohrdommel und Wiedehopf
174. Die Eule
175. Der Mond
176. Die Lebenszeit
177. Die Boten des Todes
178. Meister Pfriem
179. Die Gänsehirtin am Brunnen
180. Die ungleichen Kinder Evas
181. Die Nixe im Teich
182. Die Geschenke des kleinen Volkes
183. Der Riese und der Schneider
184. Der Nagel
185. Der arme Junge im Grab
186. Die wahre Braut
187. Der Hase und der Igel
188. Spindel, Weberschiffchen und Nadel
189. Der Bauer und der Teufel
190. Die Brosamen auf dem Tisch
191. Das Meerhäschen
192. Der Meisterdieb
193. Der Trommler
194. Die Kornähre
195. Der Grabhügel
196. Oll Rinkrank
197. Die Krystallkugel
198. Jungfrau Maleen
199. Der Stiefel von Büffelleder
200. Der goldene Schlüssel
201. Der heilige Joseph im Walde
202. Die zwölf Apostel
203. Die Rose
204. Armuth und Demuth führen zum Himmel
205. Gottes Speise
206. Die drei grünen Zweige
207. Muttergottesgläschen
208. Das alte Mütterchen
209. Die himmlische Hochzeit
210. Die Haselruthe
An die Frau Bettina von Arnim
Liebe Bettina, dieses Buch kehrt abermals bei Ihnen ein, wie eine ausgeflogene Taube die Heimat wieder sucht und sich da friedlich sonnt. Vor fünf und zwanzig Jahren hat es Ihnen Arnim zuerst, grün eingebunden mit goldenem Schnitt, unter die Weihnachtsgeschenke gelegt. Uns freute, dass er es so werthielt, und er konnte uns einen schöneren Dank nicht sagen. Er war es, der uns, als er in jener Zeit einige Wochen bei uns in Cassel zubrachte, zur Herausgabe angetrieben hatte. Wie nahm er an allem Theil, was eigentümliches Leben zeigte: auch das kleinste beachtete er, wie er ein grünes Blatt, eine Feldblume mit besonderem Geschick anzufassen und sinnvoll zu betrachten wusste. Von unseren Sammlungen gefielen ihm diese Märchen am besten. Er meinte wir sollten nicht zu lange damit zurückhalten, weil bei dem Streben nach Vollständigkeit die Sache am Ende liegen bliebe. „Es ist alles schon so reinlich und sauber geschrieben“ fügte er mit gutmütiger Ironie hinzu, denn bei den kühnen, nicht sehr lesbaren Zügen seiner Hand schien er selbst nicht viel auf deutliche Schrift zu halten. Im Zimmer auf und abgehend las er die einzelnen Blätter, während ein zahmer Kanarienvogel, in zierlicher Bewegung mit den Flügeln sich im Gleichgewicht haltend, auf seinem Kopfe saß, in dessen vollen Locken es ihm sehr behaglich zu sein schien. Dies edle Haupt ruht nun schon seit Jahren im Grab, aber noch heute bewegt mich die Erinnerung daran, als hätte ich ihn erst gestern zum letzten Mal gesehen, als stände er noch auf grüner Erde wie ein Baum, der seine Krone in der Morgensonne schüttelt.
Ihre Kinder sind groß geworden und bedürfen der Märchen nicht mehr: Sie selbst haben schwerlich Veranlassung sie wieder zu lesen, aber die unversiegbare Jugend Ihres Herzens nimmt doch das Geschenk treuer Freundschaft und Liebe gerne von uns an.
Mit diesen Worten sendete ich Ihnen das Buch vor drei Jahren aus Göttingen, heute sende ich es Ihnen wieder aus meinem Geburtslande, wie das erste Mal. Ich konnte in Göttingen aus meinem Arbeitszimmer nur ein paar über die Dächer hinausragende Linden sehen, die Heyne hinter seinem Hause gepflanzt hatte, und die mit dem Ruhm der Universität aufgewachsen waren: ihre Blätter waren gelb und wollten abfallen, als ich am 3ten Oktober 1838 meine Wohnung verließ; ich glaube nicht, dass ich sie je wieder im Frühlingsschmuck erblicke. Ich musste noch einige Wochen dort verweilen und brachte sie in dem Hause eines Freundes zu, im Umgange mit denen, welche mir lieb geworden und lieb geblieben waren. Als ich abreiste wurde mein Wagen von einem Zug aufgehalten: es war die Universität, die einer Leiche folgte. Ich langte in der Dunkelheit hier an und trat in dasselbe Haus, das ich vor acht Jahren in bitterer Kälte verlassen hatte: wie war ich überrascht als ich Sie, liebe Bettine, fand neben den Meinigen sitzend, Beistand und Hilfe meiner kranken Frau leistend. Seit jener verhängnisvollen Zeit, die unser ruhiges Leben zerstörte, haben Sie mit warmer Treue an unserm Geschick Theil genommen, und ich empfinde diese Teilnahme ebenso wohltätig als die Wärme des blauen Himmels, der jetzt in mein Zimmer herein blickt, wo ich die Sonne wieder am Morgen aufsteigen und ihre Bahn über die Berge vollenden sehe, unter welchen der Fluss glänzend herzieht: die Düfte der Orangen und Linden dringen aus dem Park herauf, und ich fühle mich in Liebe und Hass jugendlich erfrischt. Kann ich eine bessere Zeit wünschen um mit diesen Märchen mich wieder zu beschäftigen? hatte ich doch auch im Jahre 1813 an dem zweiten Band geschrieben, als wir Geschwister von der Einquartierung bedrängt waren und russische Soldaten neben in dem Zimmer lärmten, aber damals war das Gefühl der Befreiung der Frühlingshauch, der die Brust erweiterte und jede Sorge aufzehrte.
Diesmal kann ich Ihnen, liebe Bettina, das Buch, das sonst aus der Ferne kam, selbst in die Hand geben. Sie haben uns ein Haus außerhalb der Mauern ausgesucht, wo am Rande des Waldes eine neue Stadt heranwächst, von den Bäumen geschützt, von grünendem Rasen, Rosenhügeln und Blumengewinden umgeben, von dem rasselnden Lärm noch nicht erreicht. Als ich in dem heißen Sommer des vorigen Jahres während der Morgenfrühe in dem Schatten der Eichen auf und ab wandelte, und die kühlende Luft allmählig den Druck löste, der von einer schweren Krankheit auf mir lastete, so empfand ich dankbar wie gut Sie auch darin für uns gesorgt hatten. Ich bringe Ihnen nicht eins von den prächtigen Gewächsen, die hier in den Tiergärten gepflegt werden, auch keine Goldfische aus dem dunkeln Wasser, über dem das griechische Götterbild lächelnd steht: warum aber sollte ich Ihnen diese unschuldigen Blüten, die immer wieder frisch aus der Erde dringen, nicht nochmals darreichen? Habe ich doch selbst gesehen, dass Sie vor einer einfachen Blume stillstanden und mit der Lust der ersten Jugend in ihren Kelch schauten.
Berlin im Frühjahr 1843.
Wilhelm Grimm.
Wir finden es wohl, wenn von Sturm oder anderem Unglück, das der Himmel schickt, eine ganze Saat zu Boden geschlagen wird, dass noch bei niedrigen Hecken oder Sträuchern, die am Wege stehen, ein kleiner Platz sich gesichert hat, und einzelne Ähren aufrecht geblieben sind. Scheint dann die Sonne wieder günstig, so wachsen sie einsam und unbeachtet fort: keine frühe Sichel schneidet sie für die großen Vorratskammern, aber im Spätsommer, wenn sie reif und voll geworden, kommen arme Hände, die sie suchen, und Ähre an Ähre gelegt, sorgfältig gebunden und höher geachtet, als sonst ganze Garben, werden sie heimgetragen, und winterlang sind sie Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft.
So ist es uns vorgekommen, wenn wir gesehen haben wie von so vielem, was in früherer Zeit geblüht hat, nichts mehr übriggeblieben, selbst die Erinnerung daran fast ganz verloren war, als unter dem Volke Lieder, ein paar Bücher, Sagen, und diese unschuldigen Hausmärchen. Die Plätze am Ofen, der Küchenherd, Bodentreppen, Feiertage noch gefeiert, Triften und Wälder in ihrer Stille, vor allem die ungetrübte Phantasie sind die Hecken gewesen, die sie gesichert und einer Zeit aus der andern überliefert haben.
Es war vielleicht gerade Zeit, diese Märchen festzuhalten, da diejenigen, die sie bewahren sollen, immer seltener werden. Freilich, die sie noch wissen, wissen gemeinlich auch recht viel, weil die Menschen ihnen absterben, sie nicht den Menschen: aber die Sitte selber nimmt immer mehr ab, wie alle heimlichen Plätze in Wohnungen und Gärten, die vom Großvater bis zum Enkel fortdauerten, dem stätigen Wechsel einer leeren Prächtigkeit weichen, die dem Lächeln gleicht, womit man von diesen Hausmärchen spricht, welches vornehm aussieht und doch wenig kostet. Wo sie noch da sind, leben sie so, dass man nicht daran denkt, ob sie gut oder schlecht sind, poetisch oder für gescheite Leute abgeschmackt: man weiß sie und liebt sie, weil man sie ebenso empfangen hat, und freut sich daran, ohne einen Grund dafür. So herrlich ist lebendige Sitte, ja auch das hat die Poesie mit allem Unvergänglichen gemein, dass man ihr selbst gegen einen anderen Willen geneigt sein muss. Leicht wird man übrigens bemerken, dass sie nur da gehaftet hat, wo überhaupt eine regere Empfänglichkeit für Poesie, oder eine noch nicht von den Verkehrtheiten des Lebens ausgelöschte Phantasie vorhanden war. Wir wollen in gleichem Sinne diese Märchen nicht rühmen oder gar gegen eine entgegengesetzte Meinung verteidigen: ihr bloßes Dasein reicht hin sie zu schützen. Was so mannigfach und immer wieder von neuem erfreut bewegt und belehrt hat, das trägt seine Notwendigkeit in sich und ist gewiss aus jener ewigen Quelle gekommen, die alles Leben betaut, und wenn es auch nur ein einziger Tropfen wäre, den ein kleines, zusammenhaltendes Blatt gefasst hat, so schimmert er doch in dem ersten Morgenroth.
Darum geht innerlich durch diese Dichtungen jene Reinheit, um derentwillen uns Kinder so wunderbar und selig erscheinen: sie haben gleichsam dieselben blaulichweißen makellosen glänzenden Augen, die nicht mehr wachsen können, während die andern Glieder noch zart, schwach und zum Dienste der Erde ungeschickt sind. Das ist der Grund, warum wir durch unsere Sammlung nicht bloß der Geschichte der Poesie und Mythologie einen Dienst erweisen wollten, sondern es zugleich Absicht war, dass die Poesie selbst, die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreuen kann, also auch, dass es als ein Erziehungsbuch diene. Wir suchen für ein solches nicht jene Reinheit, die durch ein ängstliches Ausscheiden dessen, was Bezug auf gewisse Zustände und Verhältnisse hat, wie sie täglich vorkommen und auf keine Weise verborgen bleiben können, erlangt wird, und wobei man zugleich in der Täuschung ist, dass was in einem gedruckten Buche ausführbar, es auch im wirklichen Leben sei. Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit einer geraden nichts Unrechtes im Rückhalt bergenden Erzählung. Dabei haben wir jeden für das Kinderalter nicht passenden Ausdruck in dieser neuen Auflage sorgfältig gelöscht. Sollte man dennoch einzuwenden haben, dass Eltern eins und das andere in Verlegenheit setze und ihnen anstößig vorkomme, so dass sie das Buch Kindern nicht geradezu in die Hände geben wollten, so mag für einzelne Fälle die Sorge begründet sein, und sie können dann leicht eine Auswahl treffen: im Ganzen, das heißt für einen gesunden Zustand, ist sie gewiss unnötig. Nichts besser kann uns verteidigen als die Natur selber, welche diese Blumen und Blätter in solcher Farbe und Gestalt hat wachsen lassen; wem sie nicht zuträglich sind nach besonderen Bedürfnissen, der kann nicht fordern, dass sie deshalb anders gefärbt und geschnitten werden sollen. Oder auch, Regen und Thau fällt als eine Wohltat für alles herab, was auf der Erde steht, wer seine Pflanzen nicht hineinzustellen getraut, weil sie zu empfindlich sind und Schaden nehmen könnten, sondern sie lieber in der Stube mit abgeschrecktem Wasser begießt, wird doch nicht verlangen, dass Regen und Thau darum ausbleiben sollen. Gedeihlich aber kann alles werden was natürlich ist, und danach sollen wir trachten. Übrigens wissen wir kein gesundes und kräftiges Buch, welches das Volk erbaut hat, wenn wir die Bibel obenan stellen, wo solche Bedenklichkeiten nicht in ungleich größerem Maß einträten; der rechte Gebrauch aber findet nichts Böses heraus, sondern, wie ein schönes Wort sagt, ein Zeugnis unseres Herzens. Kinder deuten ohne Furcht in die Sterne, während andere, nach dem Volksglauben, die Engel damit beleidigen.
Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren, der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefasst hatten. Der zweite Band wurde im Jahre 1814 beendigt und kam schneller zu Stande, teils weil das Buch selbst sich Freunde verschafft hatte, die es nun, wo sie bestimmt sahen was und wie es gemeint war, unterstützten, teils weil uns das Glück begünstigte, das Zufall scheint, aber gewöhnlich beharrlichen und fleißigen Sammlern beisteht. Ist man erst gewöhnt auf dergleichen zu achten, so begegnet es doch häufiger als man sonst glaubt, und das ist überhaupt mit Sitten und Eigentümlichkeiten, Sprüchen und Scherzen des Volkes der Fall. Die schönen plattdeutschen Märchen aus dem Fürstentum Münster und Paderborn verdanken wir besonderer Güte und Freundschaft: das Zutrauliche der Mundart bei der Inneren Vollständigkeit zeigt sich hier besonders günstig. Dort, in den altberühmten Gegenden deutscher Freiheit, haben sich an manchen Orten die Sagen und Märchen als eine fast regelmäßige Vergnügung der Feiertage erhalten, und das Land ist noch reich an ererbten Gebräuchen und Liedern. Da, wo die Schrift teils noch nicht durch Einführung des Fremden stört oder durch Überladung abstumpft, teils, weil sie sichert, dem Gedächtnis noch nicht nachlässig zu werden gestattet, überhaupt bei Völkern, deren Literatur unbedeutend ist, pflegt sich als Ersatz die Überlieferung stärker und ungetrübter zu zeigen. So scheint auch Niedersachsen mehr als alle anderen Gegenden behalten zu haben. Was für eine viel vollständigere und innerlich reichere Sammlung wäre im 15ten Jahrhundert, oder auch noch im 16ten zu Hans Sachsens und Fischarts Zeiten in Deutschland möglich gewesen.
Einer jener guten Zufälle aber war es, dass wir aus dem bei Cassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis, und sagte wohl selbst dass diese Gabe nicht jedem verliehen sei und mancher gar nichts im Zusammenhange behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so dass man ihr mit einiger Übung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich beibehalten und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen sein. Wer an leichte Verfälschung der Überlieferung, Nachlässigkeit bei Aufbewahrung und daher an Unmöglichkeit langer Dauer als Regel glaubt, der hätte hören müssen, wie genau sie immer bei der Erzählung blieb und auf ihre Richtigkeit eifrig war; sie änderte niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache ab und besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in der Rede gleich selber. Die Anhänglichkeit an das Überlieferte ist bei Menschen, die in gleicher Lebensart unabänderlich fortfahren, stärker als wir, zur Veränderung geneigt, begreifen. Eben darum hat es, so vielfach bewährt, eine gewisse eindringliche Nähe und innere Tüchtigkeit, zu der Anderes, das äußerlich viel glänzender erscheinen kann, nicht so leicht gelangt. Der epische Grund der Volksdichtung gleicht dem durch die ganze Natur in mannigfachen Abstufungen verbreiteten Grün, das sättigt und sänftigt, ohne je zu ermüden.
Wir erhielten außer den Märchen des zweiten Bandes auch reichliche Nachträge zu dem ersten, und bessere Erzählungen vieler dort gelieferten gleichfalls aus jener oder andern ähnlichen Quellen. Hessen hat als ein bergiges, von großen Heerstraßen abseits liegendes und zunächst mit dem Ackerbau beschäftigtes Land den Vorteil, dass es alte Sitten und Überlieferungen besser aufbewahren kann. Ein gewisser Ernst, eine gesunde, tüchtige und tapfere Gesinnung, die von der Geschichte nicht wird unbeachtet bleiben, selbst die große und schöne Gestalt der Männer in den Gegenden, wo der eigentliche Sitz der Chatten war, haben sich auf diese Art erhalten und lassen den Mangel an dem Bequemen und Zierlichen, den man im Gegensatz zu andern Ländern, etwa aus Sachsen kommend, leicht bemerkt, eher als einen Gewinn betrachten. Dann empfindet man auch dass die zwar rauheren aber oft ausgezeichnet herrlichen Gegenden, wie eine gewisse Strenge und Dürftigkeit der Lebensweise, zu dem Ganzen gehören. Überhaupt müssen die Hessen zu den Völkern unseres Vaterlandes gezählt werden, die am meisten wie die alten Wohnsitze so auch die Eigenthümlichkeit ihres Wesens durch die Veränderung der Zeit festgehalten haben.
Was wir nun bisher für unsere Sammlung gewonnen hatten, wollten wir bei dieser zweiten Auflage dem Buch einverleiben. Daher ist der erste Band fast ganz umgearbeitet, das Unvollständige ergänzt, manches einfacher und reiner erzählt, und nicht viel Stücke werden sich finden, die nicht in besserer Gestalt erscheinen. Es ist noch einmal geprüft, was verdächtig schien, d.h. was etwa hätte fremden Ursprungs oder durch Zusätze verfälscht sein können, und dann alles ausgeschieden. Dafür sind die neuen Stücke, worunter wir auch Beiträge aus Östreich und Deutschböhmen zählen, eingerückt, so dass man manches bisher ganz Unbekannte finden wird. Für die Anmerkungen war uns früher nur ein enger Raum gegeben, bei dem erweiterten Umfange des Buchs konnten wir für jene nun einen eigenen dritten Band bestimmen. Hierdurch ist es möglich geworden, nicht nur das, was wir früher ungern zurück behielten, mitzutheilen, sondern auch neue, hierher gehörige Abschnitte zu liefern, die, wie wir hoffen, den wissenschaftlichen Werth dieser Überlieferungen noch deutlicher machen werden.
Was die Weise betrifft, in der wir hier gesammelt haben, so ist es uns zuerst auf Treue und Wahrheit angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst verschönert, sondern ihren Inhalt so wiedergegeben, wie wir ihn empfangen hatten; dass der Ausdruck und die Ausführung des Einzelnen großentheils von uns herrührt versteht sich von selbst, doch haben wir jede Eigenthümlichkeit, die wir bemerkten, zu erhalten gesucht, um auch in dieser Hinsicht der Sammlung die Mannigfaltigkeit der Natur zu lassen. Jeder, der sich mit ähnlicher Arbeit befaßt, wird es übrigens begreifen, dass dies kein sorgloses und unachtsames Auffassen kann genannt werden, im Gegentheil ist Aufmerksamkeit und ein Takt nöthig, der sich erst mit der Zeit erwirbt, um das Einfachere, Reinere und doch in sich Vollkommnere von dem Verfälschten zu unterscheiden. Verschiedene Erzählungen haben wir, sobald sie sich ergänzten und zu ihrer Vereinigung keine Widersprüche wegzuschneiden waren, als Eine mitgetheilt, wenn sie aber abwichen, wo dann jede gewöhnlich ihre eigenthümlichen Züge hatte, der besten den Vorzug gegeben und die andern für die Anmerkungen aufbewahrt. Diese Abweichungen nämlich erschienen uns merkwürdiger, als denen, welche darin bloß Abänderungen und Entstellungen eines einmal dagewesenen Urbildes sehen, da es im Gegentheil vielleicht nur Versuche sind, einem im Geist bloß vorhandenen, unerschöpflichen, auf mannigfachen Wegen sich zu nähern. Wiederholungen einzelner Sätze, Züge und Einleitungen, sind wie epische Zeilen zu betrachten, die, sobald der Ton sich rührt, der sie anschlägt, immer wiederkehren, und in einem andern Sinne eigentlich nicht zu verstehen.
Eine entschiedene Mundart haben wir gerne beibehalten. Hätte es überall geschehen können, so würde die Erzählung ohne Zweifel gewonnen haben. Es ist hier ein Fall wo die erlangte Bildung, Feinheit und Kunst der Sprache zu Schanden wird und man fühlt dass eine geläuterte Schriftsprache, so gewandt sie in allem übrigen sein mag, heller und durchsichtiger aber auch schmackloser geworden ist und nicht mehr so fest dem Kerne sich anschließt. Schade, dass die niederhessische Mundart in der Nähe von Cassel, als in den Gränzpunkten des alten sächsischen und fränkischen Hessengaues, eine unbestimmte und nicht reinlich aufzufassende Mischung von Niedersächsischem und Hochdeutschem ist.
In diesem Sinne gibt es unsers Wissens sonst keine Sammlungen von Märchen in Deutschland. Entweder waren es nur ein paar zufällig erhaltene, die man mittheilte, oder man betrachtete sie bloß als rohen Stoff, um größere Erzählungen daraus zu bilden. Gegen solche Bearbeitungen erklären wir uns geradezu. Zwar ist es unbezweifelt, dass in allem lebendigen Gefühl für eine Dichtung ein poetisches Bilden und Fortbilden liegt, ohne welches auch eine Überlieferung etwas Unfruchtbares und Abgestorbenes wäre, ja eben dies ist mit Ursache, warum jede Gegend nach ihrer Eigenthümlichkeit, jeder Mund anders erzählt. Aber es ist doch ein großer Unterschied zwischen jenem halb unbewußten, dem stillen Forttreiben der Pflanzen ähnlichen und von der unmittelbaren Lebensquelle getränkten Einfalten, und einer absichtlichen, alles nach Willkür zusammenknüpfenden und auch wohl leimenden Umänderung: diese aber ist es, welche wir nicht billigen können. Die einzige Richtschnur wäre dann die von seiner Bildung abhängende, gerade vorherrschende Ansicht des Dichters, während bei jenem natürlichen Fortbilden der Geist des Volkes in dem Einzelnen waltet und einem besondern Gelüsten vorzudringen nicht erlaubt. Räumt man den Überlieferungen wissenschaftlichen Werth ein, das heißt gibt man zu dass sich in ihnen Anschauungen und Bildungen der Vorzeit erhalten, so versteht sich von selbst dass dieser Werth durch solche Bearbeitungen fast immer zu Grunde gerichtet wird. Allein die Poesie gewinnt nicht dadurch, denn wo lebt sie wirklich als da, wo sie die Seele trifft, wo sie in der Tat kühlt und erfrischt, oder wärmt und stärkt? Aber jede Bearbeitung dieser Sagen, welche ihre Einfachheit, Unschuld und prunklose Reinheit wegnimmt, reißt sie aus dem Kreiße, welchem sie angehören, und wo sie ohne Überdruß immer wieder begehrt werden. Es kann sein, und dies ist der beste Fall, dass man Feinheit, Geist, besonders Witz, der die Lächerlichkeit der Zeit mit hineinzieht, ein zartes Ausmahlen des Gefühls, wie es einer von der Poesie aller Völker genährten Bildung nicht allzuschwer fällt, dafür gibt: aber diese Gabe hat doch mehr Schimmer als Nutzen, sie denkt an das einmalige Anhören oder Lesen, an das sich unsere Zeit gewöhnt hat, und sammelt und spitzt dafür die Reize. Doch in der Wiederholung ermüdet uns der Witz, und das Dauernde ist etwas Ruhiges Stilles und Reines. Die geübte Hand solcher Bearbeitungen gleicht doch jener unglücklich begabten, die alles, was sie anrührte, auch die Speisen, in Gold verwandelte, und kann uns mitten im Reichthum nicht sättigen und tränken. Gar, wo aus bloßer Einbildungskraft die Mythologie mit ihren Bildern soll angeschafft werden, wie kahl, innerlich leer und gestaltlos sieht dann trotz den besten und stärksten Worten alles aus! Übrigens ist dies nur gegen sogenannte Bearbeitungen gesagt, welche die Märchen zu verschönern und poetischer auszustatten vorhaben, nicht gegen ein freies Auffassen derselben zu eignen, ganz der Zeit angehörenden Dichtungen, denn wer hätte Lust der Poesie Gränzen abzustecken?
Wir übergeben dies Buch wohlwollenden Händen, dabei denken wir an die segnende Kraft, die in ihnen liegt, und wünschen dass denen, welche diese Brosamen der Poesie Armen und Genügsamen nicht gönnen, es gänzlich verborgen bleiben möge.
Cassel am 3ten Julius 1819.
Durch eine Anzahl neuer, dem zweiten Theile zugefügter Märchen, unter welchen einige in schweizerischer Mundart sich auszeichnen, ist unsere Sammlung in gegenwärtiger dritten Auflage wiederum gewachsen und der Vollständigkeit, so weit sie möglich ist, näher gerückt. Außerdem sind viele der frühern Stücke abermals umgearbeitet und durch Zusätze und einzelne, aus mündlichen Erzählungen gewonnene Züge ergänzt und bereichert.
Der dritte Theil, dessen Inhalt sich lediglich auf den wissenschaftlichen Gebrauch der Sammlung bezieht und daher nur in einem viel engern Kreiß Eingang finden konnte, ist diesmal nicht mit abgedruckt, weil davon noch Exemplare in der Reimerschen Buchhandlung zu Berlin vorräthig sind. In der Folge soll dieser dritte Theil als ein für sich bestehendes Werk erscheinen, in welchem auch die in der vorigen Ausgabe vorangesetzten Einleitungen von dem Wesen der Märchen und von Kindersitten einen Platz finden werden.
Die treue Auffassung der Überlieferung, der ungesuchte Ausdruck und, wenn es nicht unbescheiden klingt, der Reichthum und die Mannigfaltigkeit der Sammlung haben ihr fortdauernde Teilnahme unter uns und Beachtung im Auslande verschafft. Unter den verschiedenen Übersetzungen verdient die englische als die vollständigste, und weil die verwandte Sprache sich am genausten anschließt, den Vorzug.4
Eine Auswahl, als kleinere Ausgabe in einem Bändchen, wobei zugleich die Bedenklichkeit derer berücksichtigt ist, welche nicht jedes Stück der größeren Sammlung für Kinder angemessen halten, veranstalteten wir zuerst 1825, sie ist 1833 und 1836 wieder aufgelegt worden.
Der wissenschaftliche Werth dieser Überlieferungen hat sich in mancher überraschenden Verwandtschaft mit alten Göttersagen bewährt, und die deutsche Mythologie nicht selten Gelegenheit gehabt darauf zurückzukommen, ja sie hat in der Übereinstimmung mit nordischen Mythen einen Beweis des ursprünglichen Zusammenhangs gefunden.
Wenn die Gunst für dieses Buch fortdauert, so soll es an weiterer Pflege von unserer Seite nicht fehlen.
Göttingen am 15ten Mai 1837.
Es freut uns, dass unter den neuen Stücken, womit die Sammlung abermals ist vermehrt worden, sich auch eins wieder aus unserer Heimat befindet. Das schöne Märchen von der Lebenszeit (Nr 176) erzählte ein Bauer aus Zwehrn einem meiner Freunde, mit dem er auf dem freien Felde eine Unterredung angeknüpft hatte; man sieht dass die Weisheit auf der Gasse noch nicht ganz untergegangen ist.
Cassel am 17ten September 1840.
Diese fünfte Ausgabe enthält wiederum eine bedeutende Anzahl neuer Märchen; andere sind nach vollständigerer Überlieferung umgearbeitet oder ergänzt worden. Seit dem ersten Erscheinen der Sammlung sind nach und nach über fünfzig Stücke hinzugekommen. Das große sinnreiche Blatt von Dornröschen, das Neureuther (München 1836) erfunden und selbst radiert hat, zeigt die Einwirkung dieser Dichtungen auf die bildende Kunst. Auch artige Bilder von Rothkäppchen haben wir gesehen. Nicht minder verdienen die hübschen Zeichnungen zu einzelnen Märchen von Franz Pocci Erwähnung; sie sind in München erschienen, Sneewittchen (Nr 53) 1837, Hänsel und Grethel (Nr 15) 1838, der Jude im Dorn (Nr 110) unter dem Titel „das lustige Märlein vom kleinen Frieder“ 1839, zuletzt das „Märlein von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ (Nr 4) ohne Angabe des Jahrs. Unsere kleine Ausgabe ist 1839 und 1841 wieder aufgelegt worden.
Berlin am 4ten April 1843.
Auch die sechste Ausgabe hat durch neue Märchen Zuwachs erhalten, und ist im einzelnen verbessert oder vervollständigt worden. Fortwährend bin ich bemüht gewesen Sprüche und eigenthümliche Redensarten des Volks, auf die ich immer horche, einzutragen und will ein Beispiel anführen, weil es zugleich einer Erklärung bedarf: der Landmann, wenn er seine Zufriedenheit mit etwas ausdrücken will, sagt „das muss ich über den grünen Klee loben,“ und nimmt das Bild von dem dicht bewachsenen, frisch grünenden Kleefeld, dessen Anblick sein Herz erfreut: schon altdeutsche Dichter rühmen ihn in diesem Sinne (MS Hag. 2, 66b, 94b).
Erdmannsdorf in Schlesien am 30. September 1850.
Ein Märchen aus dem 15ten Jahrhundert (Nr 151 *) ist in der siebenten Auflage zugefügt worden und drei andere aus lebendiger Überlieferung geschöpfte (Nr 104, 175 und 191) ersetzen ein paar ausgeschiedene, die, wie in der neuen Auflage des dritten Bandes nachgewiesen ist, auf fremdem Boden entsprungen waren. Dort hat auch die Übersicht der Literatur, die sonst hier folgte, einen angemessenern Platz erhalten.
Berlin am 23ten Mai 1857.
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fieng sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.
Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief dass man keinen Grund sah. Da fieng sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu „was hast du vor, Königstochter, du schreist ja dass sich ein Stein erbarmen möchte.“ Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken häßlichen Kopf aus dem Wasser streckte.
„Ach, du bists, alter Wasserpatscher,“ sagte sie, „ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist.“ „Sei still und weine nicht,“ antwortete der Frosch, „ich kann wohl Rath schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?“ „Was du haben willst, lieber Frosch,“ sagte sie, „meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage.“ Der Frosch antwortete „deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich lieb haben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinunter steigen und dir die goldene Kugel wieder herauf holen.“ „Ach ja,“ sagte sie, „ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder bringst.“ Sie dachte aber „was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seines Gleichen und quackt, und kann keines Menschen Geselle sein.“
Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. „Warte, warte,“ rief der Frosch, „nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.“ Aber was half ihm dass er ihr sein quack quack so laut nachschrie als er konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen musste.
Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Thür und rief „Königstochter, jüngste, mach mir auf.“ Sie lief und wollte sehen wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Thür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl dass ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach „mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Thür und will dich holen?“ „Ach nein,“ antwortete sie, „es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch.“ „Was will der Frosch von dir?“ „Ach lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr dass er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.“ Indem klopfte es zum zweiten Mal und rief
„Königstochter, jüngste,
mach mir auf,
weißt du nicht was gestern
du zu mir gesagt
bei dem kühlen Brunnenwasser?
Königstochter, jüngste,
mach mir auf.“
Da sagte der König „was du versprochen hast, das mußt du auch halten; geh nur und mach ihm auf.“ Sie gieng und öffnete die Thüre, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief „heb mich herauf zu dir.“ Sie zauderte bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er „nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.“ Das that sie zwar, aber man sah wohl dass sies nicht gerne that. Der Frosch ließ sichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein im Halse. Endlich sprach er „ich habe mich satt gegessen, und bin müde, nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.“ Die Königstochter fieng an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig und sprach „wer dir geholfen hat, als du in der Noth warst, den sollst du hernach nicht verachten.“ Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach „ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf, oder ich sags deinem Vater.“ Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand, „nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.“
Als er aber herab fiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und Niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen heran gefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf, und giengen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief
„Heinrich, der Wagen bricht.“
„Nein, Herr, der Wagen nicht,
es ist ein Band von meinem Herzen,
das da lag in großen Schmerzen,
als ihr in dem Brunnen saßt,
als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).“
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.
Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr so viel von der großen Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, dass die Maus endlich einwilligte mit ihr zusammen in einem Hause zu wohnen und gemeinschaftliche Wirthschaft zu führen. „Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger,“ sagte die Katze, „du Mäuschen, kannst dich nicht überall hinwagen und geräthst mir am Ende in eine Falle.“ Der gute Rath ward also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wußten aber nicht wo sie es hinstellen sollten, endlich nach langer Überlegung sprach die Katze „ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die Kirche, da getraut sich Niemand etwas wegzunehmen: wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an als bis wir es nöthig haben.“ Das Töpfchen ward also in Sicherheit gebracht, aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüsten danach und sprach zur Maus „was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zu Gevatter gebeten: sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Laß mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein.“ „Ja, ja,“ antwortete die Maus, „geh in Gottes Namen, wenn du was Gutes ißest, so denk an mich: von dem süßen rothen Kindbetterwein tränk ich auch gerne ein Tröpfchen.“ Es war aber alles nicht wahr, die Katze hatte keine Base, und war nicht zu Gevatter gebeten. Sie gieng geradeswegs nach der Kirche, schlich zu dem Fetttöpfchen, fieng an zu lecken und leckte die fette Haut ab.
Dann machte sie einen Spatziergang auf den Dächern der Stadt, besah sich die Gelegenheit, streckte sich hernach in der Sonne aus und wischte sich den Bart so oft sie an das Fetttöpfchen dachte. Erst als es Abend war, kam sie wieder nach Haus. „Nun, da bist du ja wieder,“ sagte die Maus, „du hast gewiss einen lustigen Tag gehabt.“ „Es gieng wohl an“ antwortete die Katze. „Was hat denn das Kind für einen Namen bekommen?“ fragte die Maus. „Hautab“ sagte die Katze ganz trocken. „Hautab,“ rief die Maus, „das ist ja ein wunderlicher und seltsamer Name, ist der in eurer Familie gebräuchlich?“ „Was ist da weiter,“ sagte die Katze, „er ist nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine Pathen heißen.“
Nicht lange danach überkam die Katze wieder ein Gelüsten. Sie sprach zur Maus „du mußt mir den Gefallen thun und nochmals das Hauswesen allein besorgen, ich bin zum zweitenmal zu Gevatter gebeten, und da das Kind einen weißen Ring um den Hals hat, so kann ichs nicht absagen.“ Die gute Maus willigte ein, die Katze aber schlich hinter der Stadtmauer zu der Kirche und fraß den Fetttopf halb aus. „Es schmeckt nichts besser,“ sagte sie, „als was man selber ißt,“ und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden. Als sie heimkam, fragte die Maus „wie ist denn dieses Kind getauft worden?“ „Halbaus“ antwortete die Katze. „Halbaus! was du sagst! den Namen habe ich mein Lebtag noch nicht gehört, ich wette der steht nicht in dem Kalender.“
Der Katze wässerte das Maul bald wieder nach dem Leckerwerk. „Aller guten Dinge sind drei,“ sprach sie zu der Maus, „da soll ich wieder Gevatter stehen, das Kind ist ganz schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib, das trifft sich alle paar Jahr nur einmal: du lässest mich doch ausgehen?“ „Hautab! Halbaus!“ antwortete die Maus, „es sind so kuriose Namen, die machen mich so nachdenksam.“ „Da sitzest du daheim in deinem dunkelgrauen Flausrock und deinem langen Haarzopf,“ sprach die Katze, „und fängst Grillen: das kommt davon wenn man bei Tage nicht ausgeht.“ Die Maus räumte während der Abwesenheit der Katze auf und brachte das Haus in Ordnung, die naschhafte Katze aber fraß den Fetttopf rein aus. „Wenn erst alles aufgezehrt ist, so hat man Ruhe“ sagte sie zu sich selbst und kam satt und dick erst in der Nacht nach Haus. Die Maus fragte gleich nach dem Namen, den das dritte Kind bekommen hätte. „Er wird dir wohl auch nicht gefallen,“ sagte die Katze, „er heißt Ganzaus.“ „Ganzaus!“ rief die Maus, „das ist der allerbedenklichste Namen, gedruckt ist er mir noch nicht vorgekommen. Ganzaus! was soll das bedeuten?“ Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen und legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die Katze zu Gevatter bitten, als aber der Winter herangekommen und draußen nichts mehr zu finden war, gedachte die Maus ihres Vorraths und sprach „komm, Katze, wir wollen zu unserm Fetttopfe gehen, den wir uns aufgespart haben, der wird uns schmecken.“ „Ja wohl,“ antwortete die Katze, „der wird dir schmecken als wenn du deine feine Zunge zum Fenster hinaus streckst.“ Sie machten sich auf den Weg, und als sie anlangten, stand zwar der Fetttopf noch an seinem Platz, er war aber leer. „Ach,“ sagte die Maus, „jetzt merke ich was geschehen ist, jetzt kommts an den Tag, du bist mir die wahre Freundin! aufgefressen hast du alles, wie du zu Gevatter gestanden hast: erst Haut ab, dann halb aus, dann …“ „Willst du schweigen“ rief die Katze, „noch ein Wort, und ich fresse dich auf.“ „Ganz aus“ hatte die arme Maus schon auf der Zunge, kaum war es heraus, so that die Katze einen Satz nach ihr, packte sie und schluckte sie hinunter.
Siehst du, so gehts in der Welt.
Vor einem großen Walde lebte ein Holzhacker mit seiner Frau, der hatte nur ein einziges Kind, das war ein Mädchen von drei Jahren. Sie waren aber so arm, dass sie nicht mehr das tägliche Brot hatten und nicht wußten was sie ihm sollten zu essen geben. Eines Morgens gieng der Holzhacker voller Sorgen hinaus in den Wald an seine Arbeit, und wie er da Holz hackte, stand auf einmal eine schöne große Frau vor ihm, die hatte eine Krone von leuchtenden Sternen auf dem Haupt und sprach zu ihm „ich bin die Jungfrau Maria, die Mutter des Christkindleins: du bist arm und dürftig, bring mir dein Kind, ich will es mit mir nehmen, seine Mutter sein und für es sorgen.“
Der Holzhacker gehorchte, holte sein Kind und übergab es der Jungfrau Maria, die nahm es mit sich hinauf in den Himmel. Da gieng es ihm wohl, es aß Zuckerbrot und trank süße Milch, und seine Kleider waren von Gold, und die Englein spielten mit ihm. Als es nun vierzehn Jahr alt geworden war, rief es einmal die Jungfrau Maria zu sich und sprach „liebes Kind, ich habe eine große Reise vor, da nimm die Schlüssel zu den dreizehn Thüren des Himmelreichs in Verwahrung: zwölf davon darfst du aufschließen und die Herrlichkeiten darin betrachten, aber die dreizehnte, wozu dieser kleine Schlüssel gehört, die ist dir verboten: hüte dich dass du sie nicht aufschließest, sonst wirst du unglücklich.“
Das Mädchen versprach gehorsam zu sein, und als nun die Jungfrau Maria weg war, fieng sie an und besah die Wohnungen des Himmelreichs: jeden Tag schloß es eine auf, bis die zwölfe herum waren. In jeder aber saß ein Apostel, und war von großem Glanz umgeben, und es freute sich über all die Pracht und Herrlichkeit, und die Englein, die es immer begleiteten, freuten sich mit ihm. Nun war die verbotene Thür allein noch übrig, da empfand es eine große Lust zu wissen was dahinter verborgen wäre, und sprach zu den Englein „ganz aufmachen will ich sie nicht und will auch nicht hinein gehen, aber ich will sie aufschließen, damit wir ein wenig durch den Ritz sehen.“ „Ach nein,“ sagten die Englein, „das wäre Sünde: die Jungfrau Maria hats verboten, und es könnte leicht dein Unglück werden.“ Da schwieg es still, aber die Begierde in seinem Herzen schwieg nicht still, sondern nagte und pickte ordentlich daran und ließ ihm keine Ruhe. Und als die Englein einmal alle hinausgegangen waren, dachte es „nun bin ich ganz allein und könnte hinein gucken, es weiß es ja niemand, wenn ichs thue.“ Es suchte den Schlüssel heraus und als es ihn in der Hand hielt, steckte es ihn auch in das Schloß, und als es ihn hinein gesteckt hatte, drehte es auch um. Da sprang die Thüre auf, und es sah da die Dreieinigkeit im Feuer und Glanz sitzen. Es blieb ein Weilchen stehen und betrachtete alles mit Erstaunen, dann rührte es ein wenig mit dem Finger an den Glanz, da ward der Finger ganz golden. Alsbald empfand es eine gewaltige Angst, schlug die Thüre heftig zu und lief fort. Die Angst wollte auch nicht wieder weichen, es mochte anfangen was es wollte, und das Herz klopfte in einem fort und wollte nicht ruhig werden: auch das Gold blieb an dem Finger und gieng nicht ab, es mochte waschen und reiben so viel es wollte.
Gar nicht lange, so kam die Jungfrau Maria von ihrer Reise zurück. Sie rief das Mädchen zu sich und forderte ihm die Himmelsschlüssel wieder ab. Als es den Bund hinreichte, blickte ihm die Jungfrau in die Augen, und sprach „hast du auch nicht die dreizehnte Thüre geöffnet?“ „Nein“ antwortete es. Da legte sie ihre Hand auf sein Herz, fühlte wie es klopfte und klopfte, und merkte wohl dass es ihr Gebot übertreten und die Thüre aufgeschlossen hatte. Da sprach sie noch einmal „hast du es gewis nicht gethan?“ „Nein“ sagte das Mädchen zum zweitenmal. Da erblickte sie den Finger der von der Berührung des himmlischen Feuers golden geworden war, sah wohl dass es gesündigt hatte und sprach zum drittenmal „hast du es nicht gethan?“ „Nein“ sagte das Mädchen zum drittenmal. Da sprach die Jungfrau Maria „du hast mir nicht gehorcht, und hast noch dazu gelogen, du bist nicht mehr würdig im Himmel zu sein.“
Da versank das Mädchen in einen tiefen Schlaf, und als es erwachte, lag es unten auf der Erde, mitten in einer Wildnis. Es wollte rufen, aber es konnte keinen Laut hervorbringen. Es sprang auf und wollte fortlaufen, aber wo es sich hinwendete, immer ward es von dichten Dornhecken zurück gehalten, die es nicht durchbrechen konnte. In der Einöde, in welche es eingeschlossen war, stand ein alter hohler Baum, das musste seine Wohnung sein. Da kroch es hinein, wenn die Nacht kam, und schlief darin, und wenn es stürmte und regnete, fand es darin Schutz: aber es war ein jämmerliches Leben, und wenn es daran dachte, wie es im Himmel so schön gewesen war, und die Engel mit ihm gespielt hatten, so weinte es bitterlich. Wurzeln und Waldbeeren waren seine einzige Nahrung, die suchte es sich, so weit es kommen konnte. Im Herbst sammelte es die herabgefallenen Nüsse und Blätter und trug sie in die Höhle, die Nüsse waren im Winter seine Speise und wenn Schnee und Eis kam, so kroch es, wie ein armes Thierchen in die Blätter, dass es nicht fror. Nicht lange, so zerrissen seine Kleider und fiel ein Stück nach dem andern vom Leib herab. Sobald dann die Sonne wieder warm schien, gieng es heraus und setzte sich vor den Baum, und seine langen Haare bedeckten es von allen Seiten wie ein Mantel. So saß es ein Jahr nach dem andern und fühlte den Jammer und das Elend der Welt.
Einmal, als die Bäume wieder in frischem Grün standen, jagte der König des Landes in dem Wald und verfolgte ein Reh, und weil es in das Gebüsch geflohen war, das den Waldplatz einschloß, stieg er vom Pferd, riß das Gestrüppe aus einander und hieb sich mit seinem Schwert einen Weg. Als er endlich hindurch gedrungen war, sah er unter dem Baum ein wunderschönes Mädchen sitzen, das saß da und war von seinem goldenen Haar bis zu den Fußzehen bedeckt. Er stand still und betrachtete es voll Erstaunen, dann redete er es an und sprach „wer bist du? warum sitzest du hier in der Einöde?“
Es gab aber keine Antwort, denn es konnte seinen Mund nicht aufthun. Der König sprach weiter „willst du mit mir auf mein Schloß gehen?“ Da nickte es nur ein wenig mit dem Kopf. Der König nahm es auf seinen Arm, trug es auf sein Pferd und ritt mit ihm heim, und als er auf das königliche Schloß kam, ließ er ihm schöne Kleider anziehen und gab ihm alles im Überfluß. Und ob es gleich nicht sprechen konnte, so war es doch schön und holdselig, dass er es von Herzen lieb gewann, und es dauerte nicht lange, da vermählte er sich mit ihm.
Als etwa ein Jahr verflossen war, brachte die Königin einen Sohn zur Welt. Darauf in der Nacht, wo sie allein in ihrem Bette lag, erschien ihr die Jungfrau Maria und sprach „willst du die Wahrheit sagen und gestehen dass du die verbotene Thür aufgeschlossen hast, so will ich deinen Mund öffnen und dir die Sprache wieder geben: verharrst du aber in der Sünde, und leugnest hartnäckig, so nehm ich dein neugebornes Kind mit mir.“ Da war der Königin verliehen zu antworten, sie blieb aber verstockt und sprach „nein, ich habe die verbotene Thür nicht aufgemacht,“ und die Jungfrau Maria nahm das neugeborene Kind ihr aus den Armen und verschwand damit. Am andern Morgen, als das Kind nicht zu finden war, gieng ein Gemurmel unter den Leuten, die Königin wäre eine Menschenfresserin und hätte ihr eigenes Kind umgebracht. Sie hörte alles und konnte nichts dagegen sagen, der König aber wollte es nicht glauben weil er sie so lieb hatte.
Nach einem Jahr gebar die Königin wieder einen Sohn. In der Nacht trat auch wieder die Jungfrau Maria zu ihr herein und sprach „willst du gestehen dass du die verbotene Thüre geöffnet hast, so will ich dir dein Kind wiedergeben und deine Zunge lösen: verharrst du aber in der Sünde und leugnest, so nehme ich auch dieses neugeborne mit mir.“ Da sprach die Königin wiederum „nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet,“ und die Jungfrau nahm ihr das Kind aus den Armen weg und mit sich in den Himmel. Am Morgen, als das Kind abermals verschwunden war, sagten die Leute ganz laut die Königin hätte es verschlungen, und des Königs Räthe verlangten dass sie sollte gerichtet werden. Der König aber hatte sie so lieb dass er es nicht glauben wollte, und befahl den Räthen bei Leibes-und Lebensstrafe nichts mehr darüber zu sprechen.
Im nächsten Jahre gebar die Königin ein schönes Töchterlein, da erschien ihr zum drittenmal Nachts die Jungfrau Maria und sprach „folge mir.“ Sie nahm sie bei der Hand und führte sie in den Himmel, und zeigte ihr da ihre beiden ältesten Kinder, die lachten sie an und spielten mit der Weltkugel. Als sich die Königin darüber freuete, sprach die Jungfrau Maria „ist dein Herz noch nicht erweicht? wenn du eingestehst dass du die verbotene Thür geöffnet hast, so will ich dir deine beiden Söhnlein zurück geben.“ Aber die Königin antwortete zum drittenmal „nein, ich habe die verbotene Thür nicht geöffnet.“ Da ließ sie die Jungfrau wieder zur Erde herabsinken und nahm ihr auch das dritte Kind.
Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut „die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muss verurtheilt werden,“ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es ward ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht verteidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie an einen Pfahl festgebunden war und das Feuer rings umher zu brennen anfieng, da schmolz das harte Eis des Stolzes und ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte „könnt ich nur noch vor meinem Tode gestehen dass ich die Thür geöffnet habe,“ da kam ihr die Stimme dass sie laut ausrief „ja, Maria, ich habe es gethan!“ Und alsbald fieng der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Söhnlein zu ihren Seiten und das neugeborne Töchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr „wer seine Sünde bereut und eingesteht, dem ist sie vergeben,“ und reichte ihr die drei Kinder, löste ihr die Zunge, und gab ihr Glück für das ganze Leben.
Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheidt, und wusste sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie „mit dem wird der Vater noch seine Last haben!“ Wenn nun etwas zu thun war, so musste es der älteste allzeit ausrichten: hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg gieng dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl „ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!“ denn er fürchtete sich. Oder, wenn Abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal „ach, es gruselt mir!“ Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen was es heißen sollte. „Immer sagen sie es gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht: das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.“
Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach „hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du mußt auch etwas lernen womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“ „Ei, Vater,“ antwortete er, „ich will gerne was lernen; ja, wenns angienge, so möchte ich lernen dass mirs gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts.“ Der älteste lachte als er das hörte, und dachte bei sich „du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts: was ein Häckchen werden will, muss sich bei Zeiten krümmen.“ Der Vater seufzte und antwortete ihm „das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.“
Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzählte wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüßte nichts und lernte nichts. „Denkt euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt das Gruseln zu lernen.“ „Wenns weiter nichts ist,“ antwortete der Küster, „das kann er bei mir lernen; thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte „der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.“ Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er musste die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchthurm steigen und läuten. „Du sollst schon lernen was Gruseln ist,“ dachte er, gieng heimlich voraus, und als der Junge oben war, und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schallloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen. „Wer da?“ rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. „Gib Antwort,“ rief der Junge, „oder mache dass du fort kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen.“ Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweitenmal „was willst du hier? sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab.“ Der Küster dachte „das wird so schlimm nicht gemeint sein,“ gab keinen Laut von sich und stand als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmale an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, dass es zehn Stufen hinab fiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, gieng heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte „weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.“ „Nein,“ antwortete der Junge, „aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leid thun.“ Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.