Märchenbuch. Die 30 schönsten Kindermärchen der Brüder Grimm zum Vorlesen - Brüder Grimm - E-Book

Märchenbuch. Die 30 schönsten Kindermärchen der Brüder Grimm zum Vorlesen E-Book

Brüder Grimm

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Beschreibung

Dieses Märchenbuch präsentiert 30 ausgewählte Kindermärchen der Brüder Grimm, die seit ihrer Erstveröffentlichung 1812 zu einem bedeutenden Teil des Weltkulturerbes geworden sind. Die Sammlung umfasst bekannte Klassiker wie "Hänsel und Gretel" und "Schneewittchen" sowie weniger verbreitete Erzählungen wie "Die kluge Else". Jedes Märchen wird von kindgerechten Illustrationen begleitet, die das Leseerlebnis bereichern. Die Geschichten vermitteln zeitlose Themen wie Mut, Mitgefühl und die Kraft der Liebe in der charakteristischen Erzählweise der Grimms. Die Sammlung bietet eine Mischung aus Unterhaltung und Lebensweisheit, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht. Sie eignet sich besonders zum Vorlesen und gemeinsamen Entdecken der Grimm'schen Märchenwelt. Inhalt: Der Froschkönig Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen Der Wolf und die sieben jungen Geislein Rapunzel Hänsel und Gretel Das tapfere Schneiderlein Aschenbrödel Frau Holle Die sieben Raben Rotkäppchen Die Bremer Stadtmusikanten Der Teufel mit den drei goldenen Haaren Läuschen und Flöhchen Die kluge Else Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack Dornröschen König Drosselbart Schneewittchen Rumpelstilzchen Die zwei Brüder Die goldene Gans Jorinde und Joringel Der Wolf und der Fuchs Bruder Lustig Hans im Glück Die sieben Schwaben Die zertanzten Schuhe Der Hase und der Igel Die drei Sprachen Der Räuberbräutigam

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Die 30 schönsten Kindermärchen der Brüder Grimm zum Vorlesen

Märchenklassiker für Kinder mit vielen Bildern

Copyright © 2024 Novelaris Verlag

ISBN: 978-3-68931-040-0

Inhaltsverzeichnis

1. Der Froschkönig

2. Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

3. Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

4. Rapunzel

5. Hänsel und Gretel

6. Das tapfere Schneiderlein

7. Aschenbrödel

8. Frau Holle

9. Die sieben Raben

10. Rotkäppchen

11. Die Bremer Stadtmusikanten

12. Der Teufel mit den drei goldenen Haaren

13. Läuschen und Flöhchen

14. Die kluge Else

15. Tischchen deck dich, Goldesel, und Knüppel aus dem Sack

16. Dornröschen

17. König Drosselbart

18. Schneewittchen

19. Rumpelstilzchen

20. Die zwei Brüder

21. Die goldene Gans

22. Jorinde und Joringel

23. Der Wolf und der Fuchs

24. Bruder Lustig

25. Hans im Glück

26. Die sieben Schwaben

27. Die zertanzten Schuhe

28. Der Hase und der Igel

29. Die drei Sprachen

30. Der Räuberbräutigam

Cover

Table of Contents

Text

1. Der Froschkönig

In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte so oft sie ihr ins Gesicht schien. Nahe bei dem Schlosse des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Walde unter einer alten Linde war ein Brunnen: wenn nun der Tag recht heiß war, so ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens: und wenn sie Langeweile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.

Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter nicht in ihr Händchen fiel, das sie in die Höhe gehalten hatte, sondern vorbei auf die Erde schlug und geradezu ins Wasser hinein rollte. Die Königstochter folgte ihr mit den Augen nach, aber die Kugel verschwand, und der Brunnen war tief, so tief dass man keinen Grund sah. Da fing sie an zu weinen und weinte immer lauter und konnte sich gar nicht trösten. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu „was hast du vor, Königstochter, du schreist ja dass sich ein Stein erbarmen möchte.“ Sie sah sich um, woher die Stimme käme, da erblickte sie einen Frosch, der seinen dicken hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte.

„Ach, du bists, alter Wasserpatscher,“ sagte sie, „ich weine über meine goldene Kugel, die mir in den Brunnen hinabgefallen ist.“ „Sei still und weine nicht,“ antwortete der Frosch, „ich kann wohl Rath schaffen, aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielwerk wieder heraufhole?“ „Was du haben willst, lieber Frosch,“ sagte sie, „meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch noch die goldene Krone, die ich trage.“ Der Frosch antwortete „deine Kleider, deine Perlen und Edelsteine, und deine goldene Krone, die mag ich nicht: aber wenn du mich liebhaben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: wenn du mir das versprichst, so will ich hinunter steigen und dir die goldene Kugel wieder herauf holen.“ „Ach ja,“ sagte sie, „ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wieder bringst.“ Sie dachte aber „was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seines Gleichen und quakt, und kann keines Menschen Geselle sein.“

Der Frosch, als er die Zusage erhalten hatte, tauchte seinen Kopf unter, sank hinab und über ein Weilchen kam er wieder herauf gerudert, hatte die Kugel im Maul und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voll Freude, als sie ihr schönes Spielwerk wieder erblickte, hob es auf und sprang damit fort. „Warte, warte,“ rief der Frosch, „nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du.“ Aber was half ihm dass er ihr sein quak quak so laut nachschrie als er konnte! sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte bald den armen Frosch vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinab steigen musste.

Am andern Tage, als sie mit dem König und allen Hofleuten sich zur Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch platsch, plitsch platsch, etwas die Marmortreppe herauf gekrochen, und als es oben angelangt war, klopfte es an der Tür und rief „Königstochter, jüngste, mach mir auf.“ Sie lief und wollte sehen wer draußen wäre, als sie aber aufmachte, so saß der Frosch davor. Da warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und war ihr ganz angst. Der König sah wohl dass ihr das Herz gewaltig klopfte und sprach „mein Kind, was fürchtest du dich, steht etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?“ „Ach nein,“ antwortete sie, „es ist kein Riese, sondern ein garstiger Frosch.“ „Was will der Frosch von dir?“ „Ach lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm er sollte mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr dass er aus seinem Wasser heraus könnte. Nun ist er draußen und will zu mir herein.“ Indem klopfte es zum zweiten Mal und rief

„Königstochter, jüngste,

mach mir auf,

weißt du nicht was gestern

du zu mir gesagt

bei dem kühlen Brunnenwasser?

Königstochter, jüngste,

mach mir auf.“

Da sagte der König „was du versprochen hast, das musst du auch halten; geh nur und mach ihm auf.“ Sie ging und öffnete die Tür, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße nach, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief „heb mich herauf zu dir.“ Sie zauderte bis es endlich der König befahl. Als der Frosch erst auf dem Stuhl war, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sprach er „nun schieb mir dein goldenes Tellerlein näher, damit wir zusammen essen.“ Das tat sie zwar, aber man sah wohl dass sies nicht gerne tat. Der Frosch ließ sichs gut schmecken, aber ihr blieb fast jedes Bißlein im Halse. Endlich sprach er „ich habe mich satt gegessen, und bin müde, nun trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seiden Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen.“ Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen reinen Bettlein schlafen sollte. Der König aber ward zornig und sprach „wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten.“ Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie aber im Bett lag, kam er gekrochen und sprach „ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du: heb mich herauf, oder ich sags deinem Vater.“ Da ward sie erst bitterböse, holte ihn herauf und warf ihn aus allen Kräften wider die Wand, „nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.“

Als er aber herabfiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit schönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen ihr lieber Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und Niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie allein, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen heran gefahren mit acht weißen Pferden bespannt, die hatten weiße Straußfedern auf dem Kopf, und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so betrübt, als sein Herr war in einen Frosch verwandelt worden, dass er drei eiserne Bande hatte um sein Herz legen lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue Heinrich hob beide hinein, stellte sich wieder hinten auf und war voller Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Wegs gefahren waren, hörte der Königssohn, dass es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief

„Heinrich, der Wagen bricht.“

„Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als ihr in dem Brunnen saßt,

als ihr eine Fretsche (Frosch) wast (wart).“

Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer der Wagen bräche, und es waren doch nur die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr erlöst und glücklich war.

2. Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit, und wusste sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie „mit dem wird der Vater noch seine Last haben!“ Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der älteste allzeit ausrichten: hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen, und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl „ach nein, Vater, ich gehe nicht dahin, es gruselt mir!“ denn er fürchtete sich. Oder, wenn abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal „ach, es gruselt mir!“ Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen was es heißen sollte. „Immer sagen sie es gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht: das wird wohl eine Kunst sein, von der ich auch nichts verstehe.“

Nun geschah es, dass der Vater einmal zu ihm sprach „hör du, in der Ecke dort, du wirst groß und stark, du musst auch etwas lernen womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie dein Bruder sich Mühe gibt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“ „Ei, Vater,“ antwortete er, „ich will gerne was lernen; ja, wenns anginge, so möchte ich lernen dass mirs gruselte; davon verstehe ich noch gar nichts.“ Der älteste lachte als er das hörte, und dachte bei sich „du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird sein Lebtag nichts: was ein Häckchen werden will, muss sich bei Zeiten krümmen.“ Der Vater seufzte und antwortete ihm „das Gruseln, das sollst du schon lernen, aber dein Brot wirst du damit nicht verdienen.“

Bald danach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüsste nichts und lernte nichts. „Denkt euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt das Gruseln zu lernen.“ „Wenns weiter nichts ist,“ antwortete der Küster, „das kann er bei mir lernen; tut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden, weil er dachte „der Junge wird doch ein wenig zugestutzt.“ Der Küster nahm ihn also ins Haus, und er musste die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehen, in den Kirchturm steigen und läuten. „Du sollst schon lernen was Gruseln ist,“ dachte er, ging heimlich voraus, und als der Junge oben war, und sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe, dem Schallloch gegenüber, eine weiße Gestalt stehen. „Wer da?“ rief er, aber die Gestalt gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. „Gib Antwort,“ rief der Junge, „oder mache dass du fort kommst, du hast hier in der Nacht nichts zu schaffen.“ Der Küster aber blieb unbeweglich stehen, damit der Junge glauben sollte es wäre ein Gespenst. Der Junge rief zum zweiten Mal „was willst du hier? sprich, wenn du ein ehrlicher Kerl bist, oder ich werfe dich die Treppe hinab.“ Der Küster dachte „das wird so schlimm nicht gemeint sein,“ gab keinen Laut von sich und stand als wenn er von Stein wäre. Da rief ihn der Junge zum drittenmale an, und als das auch vergeblich war, nahm er einen Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, dass es zehn Stufen hinab fiel und in einer Ecke liegen blieb. Darauf läutete er die Glocke, ging heim, legte sich, ohne ein Wort zu sagen, ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete lange Zeit auf ihren Mann, aber er wollte nicht wieder kommen. Da ward ihr endlich angst, sie weckte den Jungen, und fragte „weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist vor dir auf den Thurm gestiegen.“ „Nein,“ antwortete der Junge, „aber da hat einer dem Schallloch gegenüber auf der Treppe gestanden, und weil er keine Antwort geben und auch nicht weggehen wollte, so habe ich ihn für einen Spitzbuben gehalten und hinunter gestoßen. Geht nur hin, so werdet Ihr sehen ob ers gewesen ist, es sollte mir leidtun.“ Die Frau sprang fort, und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag und jammerte, und ein Bein gebrochen hatte.

Sie trug ihn herab und eilte dann mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen. „Euer Junge,“ rief sie, „hat ein großes Unglück angerichtet, meinen Mann hat er die Treppe hinab geworfen dass er ein Bein gebrochen hat: schafft den Taugenichts aus unserm Hause.“ Der Vater erschrak, kam herbeigelaufen und schalt den Jungen aus. „Was sind das für gottlose Streiche, die muss dir der Böse eingegeben haben.“ „Vater,“ antwortete er, „hört nur an, ich bin ganz unschuldig: er stand da in der Nacht, wie einer der böses im Sinne hat. Ich wusste nicht wers war, und habe ihn dreimal ermahnt zu reden oder wegzugehen.“ „Ach,“ sprach der Vater, „mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.“ „Ja, Vater, recht gerne, wartet nur bis Tag ist, da will ich ausgehen und das Gruseln lernen, so versteh ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.“ „Lerne was du willst,“ sprach der Vater, „mir ist alles einerlei. Da hast du funfzig Taler, damit geh in die weite Welt und sage keinem Menschen wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muss mich deiner schämen.“ „Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.“ Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin „wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!“ Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, dass man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm „siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.“ „Wenn weiter nichts dazu gehört,“ antwortete der Junge, „das ist leicht getan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Taler haben: komm nur morgen früh wieder zu mir.“ Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an: aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er „du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.“ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los, und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie rings herum, dass sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er „nehmt euch in Acht, sonst häng ich euch wieder hinauf.“ Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach „wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,“ und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Taler haben und sprach „nun, weißt du was gruseln ist?“ „Nein,“ antwortete er, „woher sollte ichs wissen? die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.“ Da sah der Mann dass er die funfzig Taler heute nicht davon tragen würde, ging fort und sprach „so einer ist mir noch nicht vorgekommen.“

Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden „ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!“ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und fragte „wer bist du?“ „Ich weiß nicht“ antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter „wo bist du her?“ „Ich weiß nicht.“ „Wer ist dein Vater?“ „Das darf ich nicht sagen.“ „Was brummst du beständig in den Bart hinein?“ „Ei,“ antwortete der Junge, „ich wollte, dass mirs gruselte, aber niemand kann mirs lehren.“ „Laß dein dummes Geschwätz,“ sprach der Fuhrmann, „komm, geh mit mir, ich will sehen dass ich dich unterbringe.“ Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und Abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut „wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!“ Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach „wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.“ „Ach schweig stille,“ sprach die Wirtsfrau, „so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.“ Der Junge aber sagte „wenns noch so schwer wäre, ich wills einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.“ Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte was gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, ders wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien: in dem Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geißtern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein aber noch keiner wieder heraus gekommen. Da ging der Junge am andern Morgen vor den König und sprach „wenns erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schlosse wachen.“ Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er „du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und darfst das du mit ins Schloss nehmen.“ Da antwortete er „so bitt ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer.“

Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloss tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „Ach, wenn mirs nur gruselte!“ sprach er, „aber hier werde ichs auch nicht lernen.“ Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hineinblies, da schries plötzlich aus einer Ecke „au, miau! was uns friert!“ „Ihr Narren,“ rief er, „was schreit ihr? wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.“ Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie „Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?“ „warum nicht?“ antwortete er, „aber zeigt einmal eure Pfoten her.“ Da streckten sie die Krallen aus. „Ei,“ sagte er, „was habt ihr lange Nägel! wartet, die muss ich euch erst abschneiden.“ Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. „Euch habe ich auf die Finger gesehen,“ sprach er, „da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,“ schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, dass er sich nicht mehr bergen konnte: die schrien gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser und rief „fort mit dir, du Gesindel,“ und haute auf sie los. Ein Theil sprang weg, die andern schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wieder gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett, „das ist mir eben recht“ sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zutun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren, und fuhr im ganzen Schloss herum. „Recht so,“ sprach er, „nur besser zu.“ Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte „nun mag fahren wer Lust hat,“ legte sich an sein Feuer und schlief bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre tot. Da sprach er „es ist doch schade um den schönen Menschen.“ Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach „so weit ists noch nicht!“ Da verwunderte sich der König, freute sich aber, und fragte wie es ihm gegangen wäre. „Recht gut,“ antwortete er, „eine Nacht wäre herum, die zwei andern werden auch herum gehen.“ Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. „Ich dachte nicht,“ sprach er, „dass ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt was Gruseln ist?“ „Nein,“ sagte er, „es ist alles vergeblich: wenn mirs nur einer sagen könnte!“

Die zweite Nacht ging er abermals hinauf ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an, „wenn mirs nur gruselte!“ Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann wars ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihn hin. „Heda!“ rief er, „noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.“ Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die andere Hälfte auch herab. „Wart,“ sprach er, „ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.“ Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammen gefahren, und saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. „So haben wir nicht gewettet,“ sprach der Junge, „die Bank ist mein.“ Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sichs nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte „hört ihr, kann ich mit sein?“ „Ja, wenn du Geld hast.“ „Geld genug,“ antwortete er, „aber eure Kugeln sind nicht recht rund.“ Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. „So, jetzt werden sie besser schüppeln,“ sprach er, „heida! nun gehts lustig!“ Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf Uhr schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. Er legte sich nieder und schlief ruhig ein. Am andern Morgen kam der König und wollte sich erkundigen. „Wie ist dirs diesmal gegangen?“ fragte er. „Ich habe gekegelt,“ antwortete er, „und ein paar Heller verloren.“ „Hat dir denn nicht gegruselt?“ „Ei was,“ sprach er, „lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüsste was Gruseln wäre?“

In der dritten Nacht setzte er sich wieder auf seine Bank und sprach ganz verdrießlich „wenn es mir nur gruselte!“ Als es spät ward kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Da sprach er „ha ha, das ist gewiss mein Vetterchen, das erst vor ein paar Tagen gestorben ist,“ winkte mit dem Finger und rief „komm, Vetterchen, komm!“ Sie stellten den Sarg auf die Erde, er aber ging hinzu und nahm den Deckel ab: da lag ein toter Mann darin. Er fühlte ihm ans Gesicht, aber es war kalt wie Eis. „Wart,“ sprach er, „ich will dich ein bisschen wärmen,“ ging ans Feuer, wärmte seine Hand und legte sie ihm aufs Gesicht, aber der Todte blieb kalt. Nun nahm er ihn heraus, setzte sich ans Feuer und legte ihn auf seinen Schoß, und rieb ihm die Arme, damit das Blut wieder in Bewegung kommen sollte. Als auch das nichts helfen wollte, fiel ihm ein „wenn zwei zusammen im Bett liegen, so wärmen sie sich,“ brachte ihn ins Bett, deckte ihn zu und legte sich neben ihn. Über ein Weilchen ward auch der Todte warm und fing an sich zu regen. Da sprach der Junge „siehst du, Vetterchen, hätt ich dich nicht gewärmt!“ Der Todte aber hub an und rief „jetzt will ich dich erwürgen.“ „Was,“ sagte er, „ist das mein Dank? gleich sollst du wieder in deinen Sarg,“ hub ihn auf, warf ihn hinein und machte den Deckel zu; da kamen die sechs Männer, und trugen ihn wieder fort. „Es will mir nicht gruseln,“ sagte er, „hier lerne ichs mein Lebtag nicht.“

Da trat ein Mann herein, der war größer als alle andere, und sah fürchterlich aus; er war aber alt und hatte einen langen weißen Bart. „O du Wicht,“ rief er, „nun sollst du bald lernen was Gruseln ist, denn du sollst sterben.“ „Nicht so schnell,“ antwortete der Junge, „soll ich sterben, so muss ich auch dabei sein.“ „Dich will ich schon packen“ sprach der Unhold. „Sachte, sachte, mach dich nicht so breit; so stark wie du bin ich auch, und wohl noch stärker.“ „Das wollen wir sehn,“ sprach der Alte, „bist du stärker als ich, so will ich dich gehn lassen; komm, wir wollens versuchen.“ Da führte er ihn durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, nahm eine Axt und schlug den einen Amboss mit einem Schlag in die Erde. „Das kann ich noch besser“ sprach der Junge, und ging zu dem andern Amboss: der Alte stellte sich neben hin und wollte zusehen, und sein weißer Bart hing herab. Da fasste der Junge die Axt, spaltete den Amboss auf einen Hieb und klemmte den Bart des Alten mit hinein. „Nun hab ich dich,“ sprach der Junge, „jetzt ist das Sterben an dir.“ Dann fasste er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat er möchte aufhören, er wollte ihm große Reichtümer geben. Der Junge zog die Axt raus, und ließ ihn los. Der Alte führte ihn wieder ins Schloss zurück und zeigte ihm in einem Keller drei Kasten voll Gold. „Davon,“ sprach er, „ist ein Theil den Armen, der andere dem König, der dritte dein.“ Indem schlug es zwölfe, und der Geißt verschwand, also dass der Junge im finstern stand. „Ich werde mir doch heraushelfen können“ sprach er, tappte herum, fand den Weg in die Kammer und schlief dort bei seinem Feuer ein. Am andern Morgen kam der König und sagte „nun wirst du gelernt haben was Gruseln ist?“ „Nein,“ antwortete er, „was ists nur? mein toter Vetter war da, und ein bärtiger Mann ist gekommen, der hat mir da unten viel Geld gezeigt, aber was Gruseln ist hat mir keiner gesagt.“ Da sprach der König „du hast das Schloss erlöst und sollst meine Tochter heiraten.“ „Das ist all recht gut,“ antwortete er, „aber ich weiß noch immer nicht was Gruseln ist.“

Da ward das Gold heraufgebracht und die Hochzeit gefeiert, aber der junge König, so lieb er seine Gemahlin hatte und so vergnügt er war, sagte doch immer „wenn mir nur gruselte, wenn mir nur gruselte.“ Das verdross sie endlich. Ihr Kammermädchen sprach „ich will Hilfe schaffen, das Gruseln soll er schon lernen.“ Sie ging hinaus zum Bach, der durch den Garten floss, und ließ sich einen ganzen Eimer voll Gründlinge holen. Nachts, als der junge König schlief, musste seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer voll kalt Wasser mit den Gründlingen über ihn herschütten, dass die kleinen Fische um ihn herum zappelten. Da wachte er auf und rief „ach was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau! Ja, nun weiß ich was Gruseln ist.“

3. Der Wolf und die sieben jungen Geißlein

Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein, und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach „liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf eurer Hut vor dem Wolf, wenn er hereinkommt, so frisst er Euch alle mit Haut und Haar. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.“ Die Geißlein sagten, „liebe Mutter, wir wollen uns schon in Acht nehmen, Ihr könnt ohne Sorge fortgehen.“ Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.

Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die Haustür und rief „macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von Euch etwas mitgebracht.“ Aber die Geißerchen hörten an der rauen Stimme dass es der Wolf war, „wir machen nicht auf,“ riefen sie, „du bist unsere Mutter nicht, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rau; du bist der Wolf.“ Da ging der Wolf fort zu einem Krämer, und kaufte sich ein großes Stück Kreide: die aß er und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief „macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von Euch etwas mitgebracht.“ Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote in das Fenster gelegt, das sahen die Kinder und riefen „wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß, wie du: du bist der Wolf.“ Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sprach „ich habe mich an den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber.“ Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, so lief er zum Müller und sprach „streu mir weißes Mehl auf meine Pfote.“ Der Müller dachte „der Wolf will einen betrügen“ und weigerte sich, aber der Wolf sprach „wenn du es nicht tust, so fresse ich dich.“ Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß. Ja, das sind die Menschen.

Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustüre, klopfte an und sprach „macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heim gekommen und hat jedem von Euch etwas aus dem Walde mitgebracht.“ Die Geißerchen riefen „zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen dass du unser liebes Mütterchen bist.“ Da legte er die Pfote ins Fenster, und als sie sahen, dass sie weiß war, so glaubten sie es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Tür auf. Wer aber hereinkam, das war der Wolf. Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte nicht langes Federlesen: eins nach dem andern schluckte er in seinen Rachen; nur das jüngste in dem Uhrkasten das fand er nicht. Als der Wolf seine Lust gebüßt hatte, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen.

Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was musste sie da erblicken! Die Haustüre stand sperrweit auf: Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decke und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgend waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei Namen, aber niemand antwortete. Endlich als sie an das jüngste kam, da rief eine feine Stimme „liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten.“ Sie holte es heraus, und es erzählte ihr, dass der Wolf gekommen wäre und die andern alle gefressen hätte. Da könnt ihr denken wie sie über ihre armen Kinder geweint hat.