Maria Stuart - Friedrich Schiller - E-Book

Maria Stuart E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

In Schillers Drama stehen sich zwei rivalisierende Königinnen gegenüber, die leidenschaftliche Maria Stuart von Schottland und die unnahbare Elisabeth von England. Ihr politischer und persönlicher Machtkampf mündet schließlich in eine tödliche Entscheidung. Der Text folgt der Erstausgabe von 1801. Der Anhang bietet Auszüge aus frühen Theatermanuskripten, aus der ersten englischen Übersetzung sowie aus zeitgenössischen Rezensionen. Detaillierte Kommentare und ein Nachwort informieren über den historischen Hintergrund und die Rezeption des Stücks. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden. 

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Seitenzahl: 311

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Friedrich Schiller

Maria Stuart

Trauerspiel in fünf AufzügenStudienausgabe

Herausgegeben von Nikolas Immer

Reclam

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962307

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962307-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014574-6

www.reclam.de

Inhalt

Maria Stuart

| 3 | PERSONEN

| 5 | Erster Aufzug.

| 62 | Zweiter Aufzug.

| 116 | Dritter Aufzug.

| 151 | Vierter Aufzug.

| 196 | Fünfter Aufzug.

1 Zu dieser Ausgabe

1.1 Zur Überlieferung des Trauerspiels

1.2 Textgrundlage und Edition

1.3 Emendationen

2 Dokumente

2.1 Das erste Hamburger Theatermanuskript (1801)

2.2 Die Teilübersetzung von Joseph Charles Mellish (1800)

2.3 Dokumente zur Entstehung und Rezeption

3 Anmerkungen

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

4 Literaturhinweise

4.1 Siglen

4.2 Quellen

4.3 Zitierte Forschungsliteratur

4.4 Weiterführende Forschungsliteratur

5 Nachwort

5.1 Entstehung

5.2 Aufführung

5.3 Übersetzung

5.4 Geschichtlicher Kontext

5.5 Historiographische Quellen

5.6 Literarische Quellen

5.7 Frühe Rezeption

6 Abbildungsverzeichnis

Maria Stuart

Trauerspiel

Abb. 1: Titelblatt des Erstdrucks von 1801

| 3 |PERSONEN

ELISABETH, Königin von England.

MARIA STUART, Königin von Schottland, Gefangne in England.

ROBERT DUDLEY, Graf von LEICESTER.

GEORG TALBOT, Graf von SCHREWSBURY.

WILHELM CECIL, Baron von BURLEIGH, Großschatzmeister.

GRAF VON KENT.

WILHELM DAVISON, Staatssecretair.

AMIAS PAULET, Ritter, Hüter der Maria.

MORTIMER, sein Neffe.

GRAF AUBESPINE, französischer Gesandter.

GRAF BELLIEVRE, außerordentlicher Botschafter von Frankreich.

OKELLY, Mortimers Freund.

DRUGEON DRURY, zweiter Hüter der Maria.

MELVIL, ihr Haushofmeister.

BURGOYN, ihr Arzt.

HANNA KENNEDY, ihre Amme.

MARGARETHA KURL, ihre Kammerfrau.

SCHERIF der Grafschaft.

OFFIZIER DER LEIBWACHE.

FRANZÖSISCHE UND ENGLISCHE HERREN.

TRABANTEN.

HOFDIENER der Königin von England.

DIENER und DIENERINNEN der Königin von Schottland.

| 5 | Erster Aufzug.

Im Schloß zu Fotheringhay.

(Ein Zimmer.)

Erster Auftritt.

HANNA KENNEDY, Amme der Königin von Schottland in heftigem Streit mitPAULET, der im Begriff ist, einen Schrank zu öffnen. DRUGEON DRURY, sein Gehilfe, mit Brecheisen.

KENNEDY.

Was macht ihr, Sir? Welch neue Dreistigkeit!

Zurück von diesem Schrank!

PAULET.

    Wo kam der Schmuck her?

Vom obern Stock ward er herabgeworfen,

Der Gärtner hat bestochen werden sollen

Mit diesem Schmuck – Fluch über Weiberlist!5

Trotz meiner Aufsicht, meinem scharfen Suchen,

Noch Kostbarkeiten, noch geheime Schätze!

(Sich über den Schrank machend)

Wo das gesteckt hat, liegt noch mehr!

| 6 | KENNEDY.

    Zurück, Verwegner!

Hier liegen die Geheimnisse der Lady.

PAULET.

Die eben such’ ich. (Schriften hervorziehend)10

KENNEDY.

    Unbedeutende

Papiere, bloße Uibungen der Feder,

Des Kerkers traur’ge Weile zu verkürzen.

PAULET.

In müß’ger Weile schafft der böse Geist.

KENNEDY.

Es sind französische Schriften.

PAULET.

    Desto schlimmer!

Die Sprache redet Englands Feind.15

KENNEDY.

    Concepte

Von Briefen an die Königin von England.

PAULET.

Die überliefr’ ich – Sieh! Was schimmert hier?

(er hat einen geheimen Ressort geöffnet, und zieht aus einem verborgnen Fach Geschmeide hervor)

| 7 | Ein königliches Stirnband, reich an Steinen,

Durchzogen mit den Lilien von Frankreich!

(er giebt es seinem Begleiter)

Verwahrt’s, Drury. Legt’s zu dem übrigen!20

(Drury geht ab.)

KENNEDY.

O schimpfliche Gewalt, die wir erleiden!

PAULET.

So lang sie noch besitzt, kann sie noch schaden,

Denn alles wird Gewehr in ihrer Hand.

KENNEDY.

Seyd gütig, Sir. Nehmt nicht den letzten Schmuck

Aus unserm Leben weg! Die Jammervolle25

Erfreut der Anblick alter Herrlichkeit,

Denn alles andre habt ihr uns entrissen.

PAULET.

Es liegt in guter Hand. Gewissenhaft

Wird es zu seiner Zeit zurück gegeben!

KENNEDY.

Wer sieht es diesen kahlen Wänden an,30

Daß eine Königin hier wohnt? Wo ist

Die Himmeldecke über ihrem Sitz?

Muß sie den zärtlich weichgewöhnten Fuß

Nicht auf gemeinen rauhen Boden setzen?

| 8 | Mit grobem Zinn, die schlechtste Edelfrau35

Würd’ es verschmähn, bedient man ihre Tafel.

PAULET.

So speißte sie zu Sterlyn ihren Gatten,

Da sie aus Gold mit ihrem Buhlen trank.

KENNEDY.

Sogar des Spiegels kleine Nothdurft mangelt.

PAULET.

So lang sie noch ihr eitles Bild beschaut,40

Hört sie nicht auf, zu hoffen und zu wagen.

KENNEDY.

An Büchern fehlts, den Geist zu unterhalten.

PAULET.

Die Bibel ließ man ihr, das Herz zu bessern.

KENNEDY.

Selbst ihre Laute ward ihr weggenommen.

PAULET.

Weil sie verbuhlte Lieder drauf gespielt.45

KENNEDY.

Ist das ein Schicksal für die weicherzogne,

Die in der Wiege Königin schon war,

Am üpp’gen Hof der Medizäerin

In jeder Freuden Fülle aufgewachsen.

| 9 | Es sey genug, daß man die Macht ihr nahm,50

Muß man die armen Flitter ihr misgönnen?

In großes Unglück lehrt ein edles Herz

Sich endlich finden, aber wehe thuts,

Des Lebens kleine Zierden zu entbehren.

PAULET.

Sie wenden nur das Herz dem eiteln zu,55

Das in sich gehen und bereuen soll.

Ein üppig lastervolles Leben büßt sich

In Mangel und Erniedrigung allein.

KENNEDY.

Wenn ihre zarte Jugend sich vergieng,

Mag sie’s mit Gott abthun und ihrem Herzen,60

In England ist kein Richter über sie.

PAULET.

Sie wird gerichtet, wo sie frevelte.

KENNEDY.

Zum Freveln fesseln sie zu enge Bande.

PAULET.

Doch wußte sie aus diesen engen Banden

Den Arm zu strecken in die Welt, die Fackel65

Des Bürgerkrieges in das Reich zu schleudern,

Und gegen unsre Königin, die Gott

Erhalte! Meuchelrotten zu bewaffnen.

| 10 | Erregte sie aus diesen Mauern nicht

Den Bößwicht Parry und den Babington70

Zu der verfluchten That des Königsmords?

Hielt dieses Eisengitter sie zurück,

Das edle Herz des Norfolk zu umstricken?

Für sie geopfert fiel das beste Haupt

Auf dieser Insel unterm Henkerbeil –75

Und schreckte dieses jammervolle Beispiel

Die Rasenden zurück, die sich wetteifernd

Um ihrentwillen in den Abgrund stürzen?

Die Blutgerüste füllen sich für sie

Mit immer neuen Todesopfern an,80

Und das wird nimmer enden, bis sie selbst,

Die Schuldigste, darauf geopfert ist.

– O Fluch dem Tag, da dieses Landes Küste

Gastfreundlich diese Helena empfing.

KENNEDY.

Gastfreundlich hätte England sie empfangen?85

Die Unglückselige, die seit dem Tag,

Da sie den Fuß gesetzt in dieses Land,

Als eine Hilfeflehende, Vertriebne

Bei der Verwandten Schutz zu suchen kam,

Sich wider Völkerrecht und Königswürde90

Gefangen sieht, in enger Kerkerhaft

Der Jugend schöne Jahre muß vertrauern. –

| 11 | Die jetzt, nachdem sie alles hat erfahren,

Was das Gefängniß bittres hat, gemeinen

Verbrechern gleich, vor des Gerichtes Schranken95

Gefodert wird und schimpflich angeklagt

Auf Leib und Leben – eine Königin!

PAULET.

Sie kam ins Land als eine Mörderin,

Verjagt von ihrem Volk, des Throns entsetzt,

Den sie mit schwerer Greuelthat geschändet.100

Verschworen kam sie gegen Englands Glück,

Der spanischen Maria blut’ge Zeiten

Zurück zu bringen, Engelland katholisch

Zu machen, an den Franzmann zu verrathen.

Warum verschmähte sie’s, den Edimburger105

Vertrag zu unterschreiben, ihren Anspruch

An England aufzugeben, und den Weg

Aus diesem Kerker schnell sich aufzuthun,

Mit einem Federstrich? Sie wollte lieber

Gefangen bleiben, sich mißhandelt sehn,110

Als dieses Titels leerem Prunk entsagen.

Weswegen that sie das? Weil sie den Ränken

Vertraut, den bösen Künsten der Verschwörung,

Und Unheilspinnend diese ganze Insel

Aus ihrem Kerker zu erobern hofft.115

| 12 | KENNEDY.

Ihr spottet, Sir – Zur Härte fügt ihr noch

Den bittern Hohn! Sie hegte solche Träume,

Die hier lebendig eingemauert lebt,

Zu der kein Schall des Trostes, keine Stimme

Der Freundschaft aus der lieben Heimat dringt,120

Die längst kein Menschenangesicht mehr schaute,

Als ihrer Kerkermeister finstre Stirn,

Die erst seit kurzem einen neuen Wächter

Erhielt in eurem rauhen Anverwandten,

Von neuen Stäben sich umgittert sieht –125

PAULET.

Kein Eisengitter schützt vor ihrer List.

Weiß ich, ob diese Stäbe nicht durchfeilt,

Nicht dieses Zimmers Boden, diese Wände,

Von außen fest, nicht hohl von innen sind,

Und den Verrath einlassen, wenn ich schlafe?130

Fluchvolles Amt, das mir geworden ist,

Die Unheilbrütend listige zu hüten.

Vom Schlummer jagt die Furcht mich auf, ich gehe

Nachts um, wie ein gequälter Geist, erprobe

Des Schlosses Riegel und der Wächter Treu,135

Und sehe zitternd jeden Morgen kommen,

Der meine Furcht wahr machen kann. Doch wohl mir!

Wohl! Es ist Hoffnung, daß es bald nun endet.

| 13 | Denn lieber möcht ich der Verdammten Schaar

Wachstehend an der Höllenpforte hüten,140

Als diese ränkevolle Königin.

KENNEDY.

Da kommt sie selbst!

PAULET.

    Den Christus in der Hand,

Die Hoffart und die Weltlust in dem Herzen.

Zweiter Auftritt.

MARIAim Schleier, ein Krucifix in der Hand. DieVORIGEN.

KENNEDY

(ihr entgegen eilend).

O Königin! Man tritt uns ganz mit Füßen,

Der Tyranney, der Härte wird kein Ziel,145

Und jeder neue Tag häuft neue Leiden

Und Schmach auf dein gekröntes Haupt.

MARIA.

    Faß dich!

Sag an, was neu geschehen ist?

KENNEDY.

    Sieh her!

Dein Pult ist aufgebrochen, deine Schriften,

Dein einz’ger Schatz, den wir mit Müh’ gerettet,150

Der letzte Rest von deinem Brautgeschmeide

| 14 | Aus Frankreich ist in seiner Hand. Du hast nun

Nichts Königliches mehr, bist ganz beraubt.

MARIA.

Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter machen

Die Königin nicht aus. Man kann uns niedrig155

Behandeln, nicht erniedrigen. Ich habe

In England mich an viel gewöhnen lernen,

Ich kann auch das verschmerzen. Sir, ihr habt euch

Gewaltsam zugeeignet, was ich euch

Noch heut’ zu übergeben willens war.160

Bei diesen Schriften findet sich ein Brief,

Bestimmt für meine königliche Schwester

Von England – Gebt mir euer Wort, daß ihr

Ihn redlich an sie selbst wollt übergeben,

Und nicht in Burleighs ungetreue Hand.165

PAULET.

Ich werde mich bedenken, was zu thun ist.

MARIA.

Ihr sollt den Inhalt wissen, Sir. Ich bitte

In diesem Brief um eine große Gunst –

– Um eine Unterredung mit ihr selbst,

Die ich mit Augen nie gesehn – Man hat mich170

Vor ein Gericht von Männern vorgefodert,

Die ich als meines Gleichen nicht erkennen,

Zu denen ich kein Herz mir fassen kann.

| 15 | Elisabeth ist meines Stammes, meines

Geschlechts und Ranges – Ihr allein, der Schwester,175

Der Königin, der Frau kann ich mich öffnen.

PAULET.

Sehr oft, Milady, habt ihr euer Schicksal

Und eure Ehre Männern anvertraut,

Die eurer Achtung minder würdig waren.

MARIA.

Ich bitte noch um eine zweite Gunst,180

Unmenschlichkeit allein kann mir sie weigern.

Schon lange Zeit entbehr’ ich im Gefängniß

Der Kirche Trost, der Sakramente Wohlthat,

Und die mir Kron’ und Freiheit hat geraubt,

Die meinem Leben selber droht, wird mir185

Die Himmelsthüre nicht verschließen wollen.

PAULET.

Auf euren Wunsch wird der Dechant des Orts –

MARIA

(unterbricht ihn lebhaft).

Ich will nichts vom Dechanten. Einen Priester

Von meiner eignen Kirche fodre ich.

– Auch Schreiber und Notarien verlang’ ich,190

Um meinen letzten Willen aufzusetzen.

Der Gram, das lange Kerkerelend nagt

An meinem Leben. Meine Tage sind

| 16 | Gezählt, befürcht’ ich, und ich achte mich

Gleich einer Sterbenden.

PAULET.

    Da thut ihr wohl,195

Das sind Betrachtungen, die euch geziemen.

MARIA.

Und weiß ich, ob nicht eine schnelle Hand

Des Kummers langsames Geschäft beschleunigt?

Ich will mein Testament aufsetzen, will

Verfügung treffen über das, was mein ist.200

PAULET.

Die Freiheit habt ihr. Englands Königin

Will sich mit eurem Raube nicht bereichern.

MARIA.

Man hat von meinen treuen Kammerfrauen,

Von meinen Dienern mich getrennt – Wo sind sie?

Was ist ihr Schicksal? Ihrer Dienste kann ich205

Entrathen, doch beruhigt will ich seyn,

Daß die Getreu’n nicht leiden und entbehren.

PAULET.

Für Eure Diener ist gesorgt.

(Er will gehen.)

MARIA.

Ihr geht, Sir? Ihr verlaßt mich abermals,

Und ohne mein geängstigt fürchtend Herz210

| 17 | Der Qual der Ungewißheit zu entladen.

Ich bin, Dank eurer Späher Wachsamkeit,

Von aller Welt geschieden, keine Kunde

Gelangt zu mir durch diese Kerkermauern,

Mein Schicksal liegt in meiner Feinde Hand.215

Ein peinlich langer Monat ist vorüber,

Seitdem die vierzig Kommissarien

In diesem Schloß mich überfallen, Schranken

Errichtet, schnell, mit unanständiger Eile,

Mich unbereitet, ohne Anwalds Hülfe,220

Vor ein noch nie erhört Gericht gestellt,

Auf schlaugefaßte schwere Klagepunkte

Mich, die betäubte, überraschte, flugs

Aus dem Gedächtniß Rede stehen lassen –

Wie Geister kamen sie und schwanden wieder.225

Seit diesem Tage schweigt mir jeder Mund,

Ich such’ umsonst in eurem Blick zu lesen,

Ob meine Unschuld, meiner Freunde Eifer,

Ob meiner Feinde böser Rath gesiegt.

Brecht endlich euer Schweigen – laßt mich wissen,230

Was ich zu fürchten, was zu hoffen habe.

PAULET

(nach einer Pause).

Schließt eure Rechnung mit dem Himmel ab.

MARIA.

Ich hoff’ auf seine Gnade, Sir – und hoffe

Auf strenges Recht von meinen ird’schen Richtern.

| 18 | PAULET.

Recht soll euch werden. Zweifelt nicht daran.235

MARIA.

Ist mein Prozeß entschieden, Sir?

PAULET.

    Ich weiß nicht.

MARIA.

Bin ich verurtheilt?

PAULET.

    Ich weiß nichts, Milady.

MARIA.

Man liebt hier rasch zu Werk zu gehn. Soll mich

Der Mörder überfallen wie die Richter?

PAULET.

Denkt immerhin, es sey so, und er wird euch240

In beßrer Fassung dann als diese finden.

MARIA.

Nichts soll mich in Erstaunen setzen, Sir,

Was ein Gerichtshof in Westminsterhall,

Den Burleighs Haß und Hattons Eifer lenkt,

Zu urtheln sich erdreiste – Weiß ich doch,245

Was Englands Königin wagen darf zu thun.

PAULET.

Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen,

Als ihr Gewissen und ihr Parlament.

| 19 | Was die Gerechtigkeit gesprochen, furchtlos,

Vor aller Welt wird es die Macht vollziehn.250

Dritter Auftritt.

DIE VORIGEN. MORTIMER, Paulets Neffe, tritt herein und ohne der Königin einige Aufmerksamkeit zu bezeugen, zu Paulet.

MORTIMER.

Man sucht euch, Oheim.

(Er entfernt sich auf eben die Weise. Die Königin bemerkt es mit Unwillen und wendet sich zu Paulet, der ihm folgen will.)

MARIA.

 Sir, noch eine Bitte.

Wenn ihr mir was zu sagen habt – Von euch

Ertrag ich viel, ich ehre euer Alter.

Den Uebermuth des Jünglings trag’ ich nicht,

Spart mir den Anblick seiner rohen Sitten.255

PAULET.

Was ihn euch widrig macht, macht mir ihn werth.

Wohl ist es keiner von den weichen Thoren,

Die eine falsche Weiberthräne schmelzt –

Er ist gereist, kommt aus Paris und Rheims,

Und bringt sein treu altenglisch Herz zurück,260

Lady, an dem ist eure Kunst verloren!

(geht ab.)

| 20 | Vierter Auftritt.

MARIA. KENNEDY.

KENNEDY.

Darf euch der Rohe das ins Antlitz sagen!

O es ist hart!

MARIA

(in Nachdenken verloren).

Wir haben in den Tagen unsers Glanzes

Dem Schmeichler ein zu willig Ohr geliehn,265

Gerecht ist’s, gute Kennedy, daß wir

Des Vorwurfs ernste Stimme nun vernehmen.

KENNEDY.

Wie? so gebeugt, so muthlos, theure Lady?

Wart ihr doch sonst so froh, ihr pflegtet mich zu trösten,

Und eher mußt ich euren Flattersinn270

Als eure Schwermut schelten.

MARIA.

    Ich erkenn’ ihn.

Es ist der blut’ge Schatten König Darnleys,

Der zürnend aus dem Gruftgewölbe steigt,

Und er wird nimmer Friede mit mir machen,

Bis meines Unglücks Maaß erfüllet ist.275

KENNEDY.

Was für Gedanken –

| 21 | MARIA.

    Du vergissest, Hanna –

Ich aber habe ein getreu Gedächtniß –

Der Jahrstag dieser unglückseligen That

Ist heute abermals zurückgekehrt,

Er ist’s, den ich mit Buß und Fasten feyre.280

KENNEDY.

Schickt endlich diesen bösen Geist zur Ruh’.

Ihr habt die That mit Jahrelanger Reu’,

Mit schweren Leidensproben abgebüßt.

Die Kirche, die den Löseschlüssel hat

Für jede Schuld, der Himmel hat vergeben.285

MARIA.

Frischblutend steigt die längst vergebne Schuld

Aus ihrem leichtbedeckten Grab empor!

Des Gatten Rachefoderndes Gespenst

Schickt keines Messedieners Glocke, kein

Hochwürdiges in Priesters Hand zur Gruft.290

KENNEDY.

Nicht ihr habt ihn gemordet! Andre thatens!

MARIA.

Ich wußte drum. Ich ließ die That geschehn,

Und lockt’ ihn schmeichelnd in das Todesnetz.

| 22 | KENNEDY.

Die Jugend mildert eure Schuld. Ihr wart

So zarten Alters noch.295

MARIA.

    So zart, und lud

Die schwere Schuld auf mein so junges Leben.

KENNEDY.

Ihr wart durch blutige Beleidigung

Gereizt und durch des Mannes Uebermuth,

Den eure Liebe aus der Dunkelheit

Wie eine Götterhand hervorgezogen,300

Den ihr durch euer Brautgemach zum Throne

Geführt, mit eurer blühenden Person

Beglückt und eurer angestammten Krone.

Konnt er vergessen, daß sein prangend Loos

Der Liebe großmuthsvolle Schöpfung war?305

Und doch vergaß er’s, der Unwürdige!

Beleidigte mit niedrigem Verdacht,

Mit rohen Sitten eure Zärtlichkeit,

Und widerwärtig wurd’ er euren Augen.

Der Zauber schwand, der euren Blick getäuscht,310

Ihr floht erzürnt des Schändlichen Umarmung

Und gabt ihn der Verachtung preiß – Und er –

Versucht er’s, eure Gunst zurück zu rufen?

Bat er um Gnade? Warf er sich bereuend

| 23 | Zu euren Füßen, Besserung versprechend?315

Trotz bot euch der Abscheuliche – Der euer

Geschöpf war, euren König wollt er spielen,

Vor euren Augen ließ er euch den Liebling

Den schönen Sänger Rizio durchbohren –

Ihr rächtet blutig nur die blut’ge That.320

MARIA.

Und blutig wird sie auch an mir sich rächen,

Du sprichst mein Urtheil aus, da du mich tröstest.

KENNEDY.

Da ihr die That geschehn ließt, wart ihr nicht

Ihr selbst, gehörtet euch nicht selbst. Ergriffen

Hatt’ euch der Wahnsinn blinder Liebesglut,325

Euch unterjocht dem furchtbaren Verführer

Dem unglückselgen Bothwell – Ueber euch

Mit übermüthgem Männerwillen herrschte

Der Schreckliche, der euch durch Zaubertränke,

Durch Höllenkünste das Gemüth verwirrend330

Erhitzte –

MARIA.

    Seine Künste waren keine andre,

Als seine Männerkraft und meine Schwachheit.

KENNEDY.

Nein, sag’ ich. Alle Geister der Verdammniß

Mußt’ er zu Hülfe rufen, der dieß Band

| 24 | Um eure hellen Sinne wob. Ihr hattet335

Kein Ohr mehr für der Freundin Warnungsstimme,

Kein Aug’ für das, was wohlanständig war.

Verlassen hatte euch die zarte Scheu

Der Menschen, eure Wangen, sonst der Sitz

Schaamhaft erröthender Bescheidenheit,340

Sie glühten nur vom Feuer des Verlangens.

Ihr warft den Schleier des Geheimnisses

Von euch, des Mannes keckes Laster hatte

Auch Eure Blödigkeit besiegt, ihr stelltet

Mit dreister Stirne eure Schmach zur Schau.345

Ihr ließt das königliche Schwerdt von Schottland

Durch ihn, den Mörder, dem des Volkes Flüche

Nachschallten, durch die Gassen Edimburgs,

Vor euch hertragen im Triumph, umringtet

Mit Waffen euer Parlament, und hier,350

Im eignen Tempel der Gerechtigkeit,

Zwangt ihr mit frechem Possenspiel die Richter,

Den Schuldigen des Mordes loszusprechen –

Ihr giengt noch weiter – Gott!

MARIA.

    Vollende nur!

Und reicht’ ihm meine Hand vor dem Altare!355

KENNEDY.

O laßt ein ewig Schweigen diese That

Bedecken! Sie ist schauderhaft, empörend,

| 25 | Ist einer ganz Verlornen werth – Doch ihr seid keine

Verlorne – ich kenn’ euch ja, ich bin’s,

Die eure Kindheit auferzogen. Weich360

Ist euer Herz gebildet, offen ist’s

Der Schaam – der Leichtsinn nur ist euer Laster.

Ich wiederhohl’ es, es giebt böse Geister,

Die in des Menschen unverwahrter Brust

Sich augenblicklich ihren Wohnplatz nehmen,365

Die schnell in uns das Schreckliche begehn

Und zu der Höll’ entfliehend das Entsetzen

In dem befleckten Busen hinterlassen.

Seit dieser That, die euer Leben schwärzt,

Habt ihr nichts lasterhaftes mehr begangen,370

Ich bin ein Zeuge eurer Besserung.

Drum fasset Muth! Macht Friede mit euch selbst!

Was ihr auch zu bereuen habt, in England

Seid ihr nicht schuldig, nicht Elisabeth,

Nicht Englands Parlament ist euer Richter.375

Macht ist’s, die euch hier unterdrückt, vor diesen

Anmaßlichen Gerichtshof dürft ihr euch

Hinstellen mit dem ganzen Muth der Unschuld.

MARIA.

Wer kommt?

(Mortimer zeigt sich an der Thüre)

KENNEDY.

 Es ist der Neffe. Geht hinein.

| 26 | Fünfter Auftritt.

DIE VORIGEN. MORTIMERscheu hereintretend.

MORTIMER

(zur Amme).

Entfernt euch, haltet Wache vor der Thür,380

Ich habe mit der Königin zu reden.

MARIA

(mit Ansehn).

Hanna, du bleibst.

MORTIMER.

Habt keine Furcht, Milady. Lernt mich kennen.

(Er überreicht ihr eine Charte.)

MARIA.

(sieht sie an und fährt bestürzt zurück)

Ha! Was ist das?

MORTIMER

(zur Amme).

 Geht, Dame Kennedy.

Sorgt, daß mein Oheim uns nicht überfalle!385

MARIA.

(zur Amme, welche zaudert und die Königin fragend ansieht)

Geh! Geh! Thu was er sagt.

(Die Amme entfernt sich mit Zeichen der Verwunderung)

Sechster Auftritt.

MORTIMER. MARIA.

MARIA.

 Von meinem Oheim!

Dem Kardinal von Lothringen aus Frankreich! (liest)

| 27 | »Traut dem Sir Mortimer, der euch dieß bringt,

Denn keinen treuern Freund habt ihr in England.«

(Mortimern mit Erstaunen ansehend)

Ist’s möglich? Ist’s kein Blendwerk, das mich täuscht?

So nahe find ich einen Freund und wähnte mich391

Verlassen schon von aller Welt – find ihn

In euch, dem Neffen meines Kerkermeisters,

In dem ich meinen schlimmsten Feind –

MORTIMER

(sich ihr zu Füßen werfend).

 Verzeihung

Für diese verhaßte Larve, Königin,395

Die mir zu tragen Kampf genug gekostet,

Doch der ich’s danke, daß ich mich euch nahen,

Euch Hülfe und Errettung bringen kann.

MARIA.

Steht auf – Ihr überrascht mich, Sir – Ich kann

So schnell nicht aus der Tiefe meines Elends400

Zur Hoffnung übergehen – Redet, Sir –

Macht mir dieß Glück begreiflich, daß ich’s glaube.

MORTIMER

(steht auf).

Die Zeit verrinnt. Bald wird mein Oheim hier seyn,

Und ein verhaßter Mensch begleitet ihn.

Eh euch ihr Schreckensauftrag überrascht,405

Hört an, wie euch der Himmel Rettung schickt.

| 28 | MARIA.

Er schickt sie durch ein Wunder seiner Allmacht!

MORTIMER.

Erlaubt, daß ich von mir beginne.

MARIA.

    Redet, Sir!

MORTIMER.

Ich zählte zwanzig Jahre, Königin,

In strengen Pflichten war ich aufgewachsen,410

In finsterm Haß des Pabstthums aufgesäugt,

Als mich die unbezwingliche Begierde

Hinaus trieb auf das feste Land. Ich ließ

Der Puritaner dumpfe Predigtstuben,

Die Heimat hinter mir, in schnellem Lauf415

Durchzog ich Frankreich, das gepriesene

Italien mit heißem Wunsche suchend.

 Es war die Zeit des großen Kirchenfests,

Von Pilgerschaaren wimmelten die Wege,

Bekränzt war jedes Gottesbild, es war,420

Als ob die Menschheit auf der Wandrung wäre,

Wallfahrend nach dem Himmelreich – Mich selbst

Ergriff der Strom der glaubenvollen Menge,

Und riß mich in das Weichbild Roms –

 Wie ward mir, Königin!425

Als mir der Säulen Pracht und Siegesbogen,

| 29 | Entgegenstieg, des Kolosseums Herrlichkeit

Den Staunenden umfing, ein hoher Bildnergeist

In seine heitre Wunderwelt mich schloß!

Ich hatte nie der Künste Macht gefühlt,430

Es haßt die Kirche, die mich auferzog,

Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet sie,

Allein das Körperlose Wort verehrend.

Wie wurde mir, als ich ins Innre nun

Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel435

Herunterstieg, und der Gestalten Fülle

Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll,

Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig,

Vor den entzückten Sinnen sich bewegte,

Als ich sie selbst nun sah, die Göttlichen,440

Den Gruß des Engels, die Geburt des Herrn,

Die heilge Mutter, die herabgestiegne

Dreifaltigkeit, die leuchtende Verklärung –

Als ich den Pabst drauf sah in seiner Pracht

Das Hochamt halten und die Völker segnen.445

O was ist Goldes, was Juweelen Schein,

Womit der Erde Könige sich schmücken!

Nur Er ist mit dem Göttlichen umgeben.

Ein wahrhaft Reich der Himmel ist sein Haus,

Denn nicht von dieser Welt sind diese Formen.450

MARIA.

O schonet mein! Nicht weiter. Höret auf,

| 30 | Den frischen Lebensteppich vor mir aus

Zu breiten – Ich bin elend und gefangen.

MORTIMER.

Auch ich wars, Königin! und mein Gefängniß

Sprang auf und frei auf einmal fühlte sich455

Der Geist, des Lebens schönen Tag begrüßend.

Haß schwur ich nun dem engen dumpfen Buch,

Mit frischem Kranz die Schläfe mir zu schmücken,

Mich fröhlich an die Fröhlichen zu schließen.

Viel edle Schotten drängten sich an mich460

Und der Franzosen muntre Landsmannschaften.

Sie brachten mich zu eurem edeln Oheim,

Dem Kardinal von Guise – Welch ein Mann!

Wie sicher, klar und männlich groß! – Wie ganz

Gebohren, um die Geister zu regieren!465

Das Muster eines königlichen Priesters,

Ein Fürst der Kirche, wie ich keinen sah!

MARIA.

Ihr habt sein theures Angesicht gesehn,

Des vielgeliebten, des erhabnen Mannes,

Der meiner zarten Jugend Führer war.470

O redet mir von ihm. Denkt er noch mein?

Liebt ihn das Glück, blüht ihm das Leben noch,

Steht er noch herrlich da, ein Fels der Kirche?

MORTIMER.

| 31 | Der Treffliche ließ selber sich herab,

Die hohen Glaubenslehren mir zu deuten,475

Und meines Herzens Zweifel zu zerstreun.

Er zeigte mir, daß grübelnde Vernunft

Den Menschen ewig in der Irre leitet,

Daß seine Augen sehen müssen, was

Das Herz soll glauben, daß ein sichtbar Haupt480

Der Kirche Noth thut, daß der Geist der Wahrheit

Geruht hat auf den Sitzungen der Väter.

Die Wahnbegriffe meiner kind’schen Seele,

Wie schwanden sie vor seinem siegenden

Verstand und vor der Suada seines Mundes!485

Ich kehrte in der Kirche Schooß zurück,

Schwur meinen Irrthum ab in seine Hände.

MARIA.

So seid ihr einer jener Tausende,

Die er mit seiner Rede Himmelskraft

Wie der erhabne Prediger des Berges490

Ergriffen und zum ew’gen Heil geführt!

MORTIMER.

Als ihn des Amtes Pflichten bald darauf

Nach Frankreich riefen, sandt’ er mich nach Rheims,

Wo die Gesellschaft Jesu, fromm geschäftig,

Für Englands Kirche Priester auferzieht.495

| 32 | Den edeln Schotten Morgan fand ich hier,

Auch euren treuen Leßley, den gelehrten

Bischof von Roße, die auf Frankreichs Boden

Freudlose Tage der Verbannung leben –

Eng schloß ich mich an diese Würdigen,500

Und stärkte mich im Glauben – Eines Tags,

Als ich mich umsah in des Bischofs Wohnung,

Fiel mir ein weiblich Bildniß in die Augen,

Von rührend wundersamem Reiz, gewaltig

Ergriff es mich in meiner tiefsten Seele,505

Und des Gefühls nicht mächtig stand ich da.

Da sagte mir der Bischof: Wohl mit Recht

Mögt ihr gerührt bei diesem Bilde weilen.

Die schönste aller Frauen, welche leben,

Ist auch die jammernswürdigste von allen,510

Um unsers Glaubens willen duldet sie

Und euer Vaterland ist’s, wo sie leidet.

MARIA.

Der Redliche! Nein, ich verlor nicht alles,

Da solcher Freund im Unglück mir geblieben.

MORTIMER.

Drauf fing er an, mit herzerschütternder515

Beredsamkeit mir euer Märtyrthum

Und eurer Feinde Blutgier abzuschildern.

Auch euern Stammbaum wieß er mir, er zeigte

| 33 | Mir eure Abkunft von dem hohen Hause

Der Tudor, überzeugte mich, daß euch520

Allein gebührt in Engelland zu herrschen,

Nicht dieser Afterkönigin, gezeugt

In ehebrecherischem Bett, die Heinrich,

Ihr Vater, selbst verwarf als Bastardtochter.

Nicht seinem einz’gen Zeugniß wollt ich traun,525

Ich hohlte Rath bei allen Rechtsgelehrten,

Viel alte Wappenbücher schlug ich nach,

Und alle Kundige, die ich befragte,

Bestätigten mir eures Anspruchs Kraft.

Ich weiß nunmehr, daß euer gutes Recht530

An England euer ganzes Unrecht ist,

Daß euch dieß Reich als Eigenthum gehört,

Worin ihr schuldlos als Gefangne schmachtet.

MARIA.

O dieses unglücksvolle Recht! Es ist

Die einz’ge Quelle aller meiner Leiden.535

MORTIMER.

Um diese Zeit kam mir die Kunde zu,

Daß ihr aus Talbots Schloß hinweggeführt,

Und meinem Oheim übergeben worden –

Des Himmels wundervolle Rettungshand

Glaubt ich in dieser Fügung zu erkennen,540

| 34 | Ein lauter Ruf des Schicksals war sie mir,

Das meinen Arm gewählt, euch zu befreien.

Die Freunde stimmen freudig bei, es giebt

Der Kardinal mir seinen Rath und Segen,

Und lehrt mich der Verstellung schwere Kunst.545

Schnell ward der Plan entworfen, und ich trete

Den Rückweg an ins Vaterland, wo ich,

Ihr wißt’s, vor zehen Tagen bin gelandet.

(Er hält inne.)

Ich sah euch, Königin – Euch selbst!

Nicht euer Bild! – O welchen Schatz bewahrt550

Dieß Schloß! Kein Kerker! Eine Götterhalle,

Glanzvoller als der königliche Hof

Von England – O des glücklichen, dem es

Vergönnt ist, eine Luft mit euch zu athmen!

Wohl hat sie Recht, die euch so tief verbirgt!555

Aufstehen würde Englands ganze Jugend,

Kein Schwerdt in seiner Scheide müßig bleiben,

Und die Empörung mit gigantischem Haupt

Durch diese Friedensinsel schreiten, sähe

Der Britte seine Königin!560

MARIA.

    Wohl ihr!

Säh jeder Britte sie mit euren Augen!

| 35 | MORTIMER.

Wär er, wie ich, ein Zeuge eurer Leiden,

Der Sanftmuth Zeuge und der edlen Fassung,

Womit ihr das Unwürdige erduldet.

Denn geht ihr nicht aus allen Leidensproben,565

Als eine Königin hervor? Raubt euch

Des Kerkers Schmach von eurem Schönheitsglanze?

Euch mangelt alles, was das Leben schmückt,

Und doch umfließt euch ewig Licht und Leben.

Nie setz’ ich meinen Fuß auf diese Schwelle,570

Daß nicht mein Herz zerrissen wird von Qualen,

Nicht von der Lust entzückt, euch anzuschauen! –

Doch furchtbar naht sich die Entscheidung, wachsend

Mit jeder Stunde dringet die Gefahr,

Ich darf nicht länger säumen – Euch nicht länger575

Das Schreckliche verbergen –

MARIA.

    Ist mein Urtheil

Gefällt? Entdeckt mir’s frei. Ich kann es hören.

MORTIMER.

Es ist gefällt. Die zwey und vierzig Richter haben

Ihr Schuldig ausgesprochen über euch. Das Haus

Der Lords und der Gemeinen, die Stadt London580

Bestehen heftig dringend auf des Urtheils

Vollstreckung, nur die Königin säumt noch,

| 36 | – Aus arger List, daß man sie nöthige,

Nicht aus Gefühl der Menschlichkeit und Schonung.

MARIA

(mit Fassung).

Sir Mortimer, ihr überrascht mich nicht,585

Erschreckt mich nicht. Auf solche Botschaft war ich

Schon längst gefaßt. Ich kenne meine Richter.

Nach den Mißhandlungen, die ich erlitten,

Begreif’ ich wohl, daß man die Freiheit mir

Nicht schenken kann – Ich weiß, wo man hinaus will.590

In ew’gem Kerker will man mich bewahren,

Und meine Rache, meinen Rechtsanspruch

Mit mir verscharren in Gefängnißnacht.

MORTIMER.

Nein, Königin – o nein! nein! Dabei steht man

Nicht still. Die Tyranney begnügt sich nicht,595

Ihr Werk nur halb zu thun. So lang ihr lebt,

Lebt auch die Furcht der Königin von England.

Euch kann kein Kerker tief genug begraben,

Nur euer Tod versichert ihren Thron.

MARIA.

Sie könnt’ es wagen, mein gekröntes Haupt600

Schmachvoll auf einen Henkerblock zu legen?

MORTIMER.

Sie wird es wagen. Zweifelt nicht daran.

MARIA.

| 37 | Sie könnte so die eigne Majestät

Und aller Könige im Staube wälzen?

Und fürchtet sie die Rache Frankreichs nicht?605

MORTIMER.

Sie schließt mit Frankreich einen ew’gen Frieden,

Dem Düc von Anjou schenkt sie Thron und Hand.

MARIA.

Wird sich der König Spaniens nicht waffnen?

MORTIMER.

Nicht eine Welt in Waffen fürchtet sie,

So lang sie Frieden hat mit ihrem Volke.610

MARIA.

Den Britten wollte sie dieß Schauspiel geben?

MORTIMER.

Dieß Land, Milady, hat in letzten Zeiten

Der königlichen Frauen mehr vom Thron

Herab aufs Blutgerüste steigen sehn.

Die eigne Mutter der Elisabeth615

Gieng diesen Weg, und Catharina Howard,

Auch Lady Gray war ein gekröntes Haupt.

MARIA

(nach einer Pause).

Nein, Mortimer! Euch blendet eitle Furcht.

Es ist die Sorge eures treuen Herzens,

| 38 | Die euch vergebne Schrecknisse erschafft.620

Nicht das Schafott ist’s, das ich fürchte, Sir.

Es giebt noch andre Mittel, stillere,

Wodurch sich die Beherrscherin von England

Vor meinem Anspruch Ruhe schaffen kann.

Eh’ sich ein Henker für mich findet, wird625

Noch eher sich ein Mörder dingen lassen.

– Das ist’s, wovor ich zittre, Sir! und nie

Setz ich des Bechers Rand an meine Lippen,

Daß nicht ein Schauder mich ergreift, er könnte

Kredenzt seyn von der Liebe meiner Schwester.630

MORTIMER.

Nicht offenbar noch heimlich soll’s dem Mord

Gelingen, euer Leben anzutasten.

Seid ohne Furcht! Bereitet ist schon alles,

Zwölf edle Jünglinge des Landes sind

In meinem Bündniß, haben heute früh635

Das Sakrament darauf empfangen, euch

Mit starkem Arm aus diesem Schloß zu führen.

Graf Aubespine, der Abgesandte Frankreichs,

Weiß um den Bund, er bietet selbst die Hände,

Und sein Pallast ist’s, wo wir uns versammeln.640

MARIA.

Ihr macht mich zittern, Sir – doch nicht für Freude.

Mir fliegt ein böses Ahnden durch das Herz.

| 39 | Was unternehmt ihr? Wißt ihr’s? Schrecken euch

Nicht Babingtons, nicht Tichburns blut’ge Häupter,

Auf Londons Brücke warnend aufgesteckt,645

Nicht das Verderben der unzähligen,

Die ihren Tod in gleichem Wagstück fanden,

Und meine Ketten schwerer nur gemacht?

Unglücklicher, verführter Jüngling – flieht!649

Flieht, wenn’s noch Zeit ist – wenn der Späher Burleigh

Nicht jetzt schon Kundschaft hat von euch, nicht schon

In eure Mitte den Verräther mischte.

Flieht aus dem Reiche schnell! Marien Stuart

Hat noch kein Glücklicher beschützt.

MORTIMER.

    Mich schrecken

Nicht Babingtons, nicht Tichburns blut’ge Häupter,655

Auf Londons Brücke warnend aufgesteckt,

Nicht das Verderben der unzähl’gen andern,

Die ihren Tod in gleichem Wagstück fanden,

Sie fanden auch darin den ew’gen Ruhm,

Und Glück schon ist’s, für eure Rettung sterben.660

MARIA.

Umsonst! Mich rettet nicht Gewalt, nicht List.

Der Feind ist wachsam und die Macht ist sein.

Nicht Paulet nur und seiner Wächter Schaar,

Ganz England hütet meines Kerkers Thore.

| 40 | Der freie Wille der Elisabeth allein665

Kann sie mir aufthun.

MORTIMER.

    O das hoffet nie!

MARIA.

Ein einz’ger Mann lebt, der sie öffnen kann.

MORTIMER.

O nennt mir diesen Mann –

MARIA.

    Graf Lester.

MORTIMER

(tritt erstaunt zurück).

 Lester!

Graf Lester! – Euer blutigster Verfolger,

Der Günstling der Elisabeth – von diesem –670

MARIA.

Bin ich zu retten, ist’s allein durch ihn.

– Geht zu ihm. Oeffnet euch ihm frei.

Und zur Gewähr, daß ichs bin, die euch sendet,

Bringt ihm dieß Schreiben. Es enthält mein Bildniß.

(Sie zieht ein Papier aus dem Busen, Mortimer tritt zurück und zögert, es anzunehmen.)

Nehmt hin. Ich trag’ es lange schon bei mir,675

Weil eures Oheims strenge Wachsamkeit

Mir jeden Weg zu ihm gehemmt – Euch sandte

Mein guter Engel –

| 41 | MORTIMER.

    Königin – dieß Räthsel –

Erklärt es mir –

MARIA.

    Graf Lester wird’s euch lösen.

Vertraut ihm, er wird euch vertraun – Wer kommt?680

KENNEDY

(eilfertig eintretend).

Sir Paulet naht mit einem Herrn vom Hofe.

MORTIMER.

Es ist Lord Burleigh. Faßt euch, Königin!

Hört es mit Gleichmut an, was er euch bringt.

(Er entfernt sich durch eine Seitenthür, Kennedy folgt ihm.)

Siebenter Auftritt.

MARIA. LORD BURLEIGH, Großschatzmeister von England, undRITTER PAULET.

PAULET.

Ihr wünschtet heut Gewißheit eures Schicksals,

Gewißheit bringt euch Seine Herrlichkeit,685

Milord von Burleigh. Tragt sie mit Ergebung.

MARIA.

Mit Würde, hoff’ ich, die der Unschuld ziemt.

BURLEIGH.

Ich komme als Gesandter des Gerichts.

| 42 | MARIA.

Lord Burleigh leiht dienstfertig dem Gerichte,

Dem er den Geist geliehn, nun auch den Mund.690

PAULET.

Ihr sprecht, als wüßtet ihr bereits das Urtheil.

MARIA.

Da es Lord Burleigh bringt, so weiß ich es.

– Zur Sache, Sir.

BURLEIGH.

    Ihr habt euch dem Gericht

Der zwey und vierzig unterworfen, Lady –

MARIA.

Verzeiht, Milord, daß ich euch gleich zu Anfang695

Ins Wort muß fallen – Unterworfen hätt’ ich mich

Dem Richterspruch der zwey und vierzig, sagt ihr?

Ich habe keineswegs mich unterworfen.

Nie konnt’ ich das – ich konnte meinem Rang,

Der Würde meines Volks und meines Sohnes700

Und aller Fürsten nicht so viel vergeben.

Verordnet ist im englischen Gesetz,

Daß jeder Angeklagte durch Geschworne

Von seines Gleichen soll gerichtet werden.

Wer in der Kommittee ist meines Gleichen?705

Nur Könige sind meine Peers.

| 43 | BURLEIGH.

    Ihr hörtet

Die Klagartikel an, ließt euch darüber

Vernehmen vor Gerichte –

MARIA.

    Ja, ich habe mich

Durch Hattons arge List verleiten lassen,

Bloß meiner Ehre wegen, und im Glauben710

An meiner Gründe siegende Gewalt,

Ein Ohr zu leihen jenen Klagepunkten

Und ihren Ungrund darzuthun – Das that ich

Aus Achtung für die würdigen Personen

Der Lords, nicht für ihr Amt, das ich verwerfe.715

BURLEIGH.

Ob ihr sie anerkennt, ob nicht, Milady,

Das ist nur eine leere Förmlichkeit,

Die des Gerichtes Lauf nicht hemmen kann.

Ihr athmet Englands Luft, genießt den Schutz,

Die Wohlthat des Gesetzes, und so seid ihr720

Auch seiner Herrschaft Unterthan!

MARIA.

    Ich athme

Die Luft in einem englischen Gefängniß.

Heißt das in England leben, der Gesetze

Wohlthat genießen? Kenn’ ich sie doch kaum.

| 44 | Nie hab’ ich eingewilligt, sie zu halten.725

Ich bin nicht dieses Reiches Bürgerin,

Bin eine freie Königin des Auslands.

BURLEIGH.

Und denkt ihr, daß der königliche Name

Zum Freibrief dienen könne, blut’ge Zwietracht

In fremdem Lande straflos auszusäen?730

Wie stünd’ es um die Sicherheit der Staaten,

Wenn das gerechte Schwerdt der Themis nicht

Die schuld’ge Stirn des königlichen Gastes

Erreichen könnte, wie des Bettlers Haupt?

MARIA.

Ich will mich nicht der Rechenschaft entziehn,735

Die Richter sind es nur, die ich verwerfe.

BURLEIGH.

Die Richter! Wie Milady? Sind es etwa

Vom Pöbel aufgegriffene Verworfne,

Schaamlose Zungendrescher, denen Recht

Und Wahrheit feil ist, die sich zum Organ740

Der Unterdrückung willig dingen lassen?

Sind’s nicht die ersten Männer dieses Landes,

Selbständig gnug, um wahrhaft seyn zu dürfen,

Um über Fürstenfurcht und niedrige

Bestechung weit erhaben sich zu sehn?745

Sind’s nicht dieselben, die ein edles Volk

| 45 | Frei und gerecht regieren, deren Namen

Man nur zu nennen braucht, um jeden Zweifel,

Um jeden Argwohn schleunig stumm zu machen?

An ihrer Spitze steht der Völkerhirte,750

Der fromme Primas von Kanterbury,

Der weise Talbot, der des Siegels wahret,

Und Howard, der des Reiches Flotten führt.

Sagt! Konnte die Beherrscherin von England

Mehr thun, als aus der ganzen Monarchie755

Die edelsten auslesen und zu Richtern

In diesem königlichen Streit bestellen?

Und wär’s zu denken, daß Partheienhaß

Den einzelnen bestäche – Können vierzig

Erles’ne Männer sich in einem Spruche760

Der Leidenschaft vereinigen?

MARIA

(nach einigem Stillschweigen).

Ich höre staunend die Gewalt des Mundes,

Der mir von je so unheilbringend war –

Wie werd’ ich mich, ein ungelehrtes Weib,

Mit so kunstfert’gem Redner messen können! –765

Wohl! wären diese Lords, wie ihr sie schildert,

Verstummen müßt’ ich, hoffnungslos verloren

Wär meine Sache, sprächen sie mich schuldig.

Doch diese Namen, die ihr preisend nennt,

Die mich durch ihr Gewicht zermalmen sollen,770

| 46 | Milord, ganz andere Rollen, seh’ ich sie

In den Geschichten dieses Landes spielen.

Ich sehe diesen hohen Adel Englands,

Des Reiches majestätischen Senat,

Gleich Sklaven des Serails den Sultanslaunen775

Heinrichs des Achten, meines Großohms, schmeicheln –

Ich sehe dieses edle Oberhaus,

Gleich feil mit den erkäuflichen Gemeinen,

Gesetze prägen und verrufen, Ehen

Auflösen, binden, wie der Mächtige780

Gebietet, Englands Fürstentöchter heute

Enterben, mit dem Bastardnamen schänden,

Und morgen sie zu Königinnen krönen.

Ich sehe diese würd’gen Peers mit schnell

Vertauschter Ueberzeugung unter vier785

Regierungen den Glauben viermal ändern –

BURLEIGH.

Ihr nennt euch fremd in Englands Reichsgesetzen,

In Englands Unglück seid ihr sehr bewandert.

MARIA.

Und das sind meine Richter! – Lord Schatzmeister!

Ich will gerecht seyn gegen euch! Seid ihr’s790

Auch gegen mich – Man sagt, ihr meint es gut