Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Ein Trainer muss brüllen können. Ich übrigens brülle nicht. Es sieht aus wie Brüllen, aber in Wirklichkeit ist es Denken, und zwar sehr leidenschaftliches Denken." Von Selbstzweifeln angekränkelt und introvertiert ist Brussigs Trainer nicht gerade, wenn er über die Parallelen zwischen Theater und Fußball schwadroniert, gleich mal Goethe und Shakespeare bemüht und über die Unterschiede zwischen Fußball und Tischtennis philosophiert. Ohnehin lässt er kein Thema aus, ob Corona-Impfungen, Frauenfußball, Sprachverbote oder die WM-Vergabe nach Katar. Selbst darüber, ob man gern einen Boateng zum Nachbarn hätte, sinniert er und stellt die Rettungstat, als der 2016 im Spiel gegen die Ukraine den Ball noch von der Linie spitzelte, in aktuelle Bezüge. Mit "Mats Hummels auf Parship" führt Thomas Brussig seinen Fußballmonolog "Leben bis Männer" fort und aktualisiert ihn. Aus dem Wendeverlierer aus der Börde ist gewissermaßen ein Wutbürger geworden. Brussig hat mit "Schiedsrichter fertig" einem Schiedsrichter eine so wahre wie Widerspruch fordernde und hoch komische Litanei im Bernhard`schen Ton gewidmet. Dieses Buch vereint alle drei Fußball-Monologe des Autors.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 167
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Von Selbstzweifeln angekränkelt und introvertiert ist Brussigs Trainer nicht gerade, wenn er über die Parallelen zwischen Theater und Fußball schwadroniert, gleich mal Goethe und Shakespeare bemüht und über die Unterschiede zwischen Fußball und Tischtennis philosophiert. Ohnehin lässt er kein Thema aus, ob Corona-Impfungen, Frauenfußball, Sprachverbote oder die WM-Vergabe nach Katar. Selbst darüber, ob man gern einen Boateng zum Nachbarn hätte, sinniert er und stellt die Rettungstat, als der 2016 im Spiel gegen die Ukraine den Ball noch von der Linie spitzelte, in aktuelle Bezüge. Mit »Mats Hummels auf Parship« führt Thomas Brussig seinen Fußballmonolog »Leben bis Männer« fort und aktualisiert ihn. Aus dem Wendeverlierer aus der Börde ist gewissermaßen ein Wutbürger geworden. Brussig hat mit »Schiedsrichter fertig« einem Schiedsrichter eine so wahre wie Widerspruch fordernde und hoch komische Litanei im Bernhard’schen Ton gewidmet. Dieses Buch vereint alle drei Fußball-Monologe des Autors.
Thomas Brussig wurde 1964 in Berlin geboren und hatte 1995 seinen Durchbruch mit »Helden wie wir«. Es folgten u. a. »Am kürzeren Ende der Sonnenallee« (1999), »Wie es leuchtet« (2004) und »Das gibt’s in keinem Russenfilm« (2015). Seine Werke wurden in 30 Sprachen übersetzt.
Thomas Brussig
Mats Hummels auf Parship
Der Monolog »Leben bis Männer« geht zurück auf eine Anregung des Regisseurs Arie Zinger, der für die Expo 2000 einen Theaterabend unter dem Titel »Die erste Stunde nach der letzten« auf die Beine stellen sollte. Er bat mich, eine ca. 15-minütige Szene zu schreiben, die was typisch Deutsches enthält, und ich erinnerte mich an eine Reportage von Christoph Dieckmann über den ersten Mauerschützenprozess einige Jahre zuvor. Im Gerichtspublikum hatte auch der Fußballtrainer von einem der Angeklagten gesessen, und Christoph Dieckmann kam während einer Verhandlungspause mit ihm ins Gespräch. Der Trainer sagte Dinge wie Man soll die Jungs mal in Ruhe lassen, die haben doch nur ihre Pflicht erfüllt. – Mauerschützen, Fußball und Provinz fand ich schon mal sehr deutsch, und so kam in meiner Phantasie leicht was ins Rollen, das durch den Schauspieler Hermann Lause auf der Expo gezeigt wurde. An der Redewut dieses Fußballtrainers hatte ich so viel Freude, dass ich seinen Monolog auf einen ganzen Theaterabend ausweitete, der unter dem Titel »Leben bis Männer« Ende 2001 mit Jörg Gudzuhn seine Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin erlebte (Regie: Peter Ensikat). Der Monolog wurde allein am Deutschen Theater hundert Mal gespielt, und zahlreiche Theater spielten ihn nach. In Göttingen soll es 2006 sogar eine Inszenierung gegeben haben, bei der die Aufführung parallel zu einem Live-Fußballspiel auf der Leinwand gezeigt wurde, so dass der Trainer-Darsteller immer wieder auf das unvorhersehbare Live-Geschehen reagieren musste.
Diese Aufführung sah der Student Jonas Hennicke, der Jahre später Dramaturg des Oldenburger Staatstheaters wurde und anlässlich der Fußball-WM 2022 genau so was ins Programm nehmen wollte. Doch der Text von 2001 hatte inzwischen Patina angesetzt, und so bat er mich um eine Art Textrenovierung: Der Typ, damals »Wendeverlierer«, inzwischen »Wutbürger«, sollte erhalten bleiben, nur sollte er sich an heutigen Themen abarbeiten. Das Ergebnis war der Monolog »Mats Hummels auf Parship«, der mit dem Beginn der Fußball-WM seine Uraufführung am Oldenburger Staatstheater (mit Matthias Kleinert, Regie: Peter Hailer) und am Volkstheater Rostock (mit Steffen Schreier, Regie: Peter Stuppner) hatte. Aus dem älteren Text sind dennoch etliche Ideen, sogar einige wortgetreue Passagen verwendet worden, und weil der neue Text mit einem Live-Fußballspiel verwoben werden sollte, habe ich dem Schauspieler ein paar Sätze angeboten, die er, je nach Situation, verwenden kann.
Es gibt einen weiteren Fußball-Monolog, der entstand, nachdem mich 2007 Claudia Romeder, damals gerade Leiterin des Residenz-Verlages geworden, fragte, ob ich nicht die Reihe »Eine Litanei« eröffnen wolle. Ich hörte Residenz, dachte aber Thomas Bernhard und sagte zu, ohne eine Idee zu haben, wo es mich hinlitaneiisieren könnte. Hauptsache seitenweise Blocksatz, Blocksatz, Blocksatz. Warum es ausgerechnet einen Schiedsrichter traf? Ich fand es verlockend, eine Schiedsrichtergestalt zu Wort kommen zu lassen; mich reizte der Widerspruch, dass eine altmodische, weil autoritäre Figur in dieser hypermodernen, geldstrotzenden, medial durchinszenierten Fußball-Welt eine Schlüsselrolle einnimmt. Obwohl ich, das thomasbernhardsche Erbe aufgreifend, den gesamten Text als einen Absatz schrieb, verwehrte mir Residenz den markanten thomasbernhardschen Blocksatz. Ich fühlte mich reingelegt. Jetzt endlich, in dieser Ausgabe, findet dank des Layouts etwas statt, das man im Film »Director’s Cut« nennt. Nicht geändert wurden jedoch die Texte. Nach einiger Diskussion einigten sich Verlag und Autor, auf weitere Revisionen zu verzichten, auch wenn sich im Lauf der Zeit etliche Passagen nicht nur als fehlerhaft, irrtümlich oder unzeitgemäß erweisen, sondern auch als potentiell shitstormerweckend. Dass neuerdings längst erschienene Bücher entlang aktueller Empfindlichkeiten überarbeitet werden, mag »eifrig« oder »aktivistisch«, »respektvoll« oder »achtsam« genannt werden – es stellt jedoch eine Bereinigung dar, wo keine Bereinigung geboten ist. Die Literatur war ganz nebenbei immer ein Archiv sowohl von Irrtümern und Dummheiten wie auch von Machtverhältnissen, und wer ihr diese Eigenschaft rauben will, der liebt sie nicht.
»Schiedsrichter Fertig« wurde – etwas gekürzt –bald von etlichen Theatern als Monolog auf die Bühne gebracht, die rezeptionstechnische Fußnote wurde aber durch Angela Merkel gesetzt. So erzählte mir ein Journalist, dass die Kanzlerin auf einem Transatlantikflug im Regierungsflieger »Schiedsrichter Fertig« erst still für sich gelesen, dann aber alle untätigen Journalisten herbeigewinkt und minutenlang und hoch amüsiert daraus vorgetragen habe. Bereits davor war ein anderer Journalist zufälliger Zeuge gewesen, als Angela Merkel ein Buchgeschäft betreten hatte, nur um drei Exemplare von »Schiedsrichter Fertig« zu kaufen.
Weil »Mats Hummels auf Parship« für ein eigenes Buch zu kurz ist (schon die gedruckten Einzelausgaben von »Leben bis Männer« und »Schiedsrichter Fertig« fand ich für ein Buch gewagt), hat sich der Wallstein Verlag entschlossen, meine drei Fußball-Monologe nun in einem Buch herauszubringen.
Falls dir, lieber Leser, beim Lesen dieser einleitenden Worte aufgefallen ist, dass ich eigentlich nur nach Anregung durch Andere mit der Arbeit beginne: Ist mir auch aufgefallen, und es war mir nicht mal bewusst. Vermutlich wäre mir sogar diese Erkenntnis lange, wenn nicht sogar für immer verschlossen geblieben, hätte mich nicht Thorsten Ahrend vom Wallstein Verlag gebeten, diese einleitenden Worte zu schreiben.
Ein Fußballtrainer kommt aus den Umkleideräumen auf die Bühne, die einen Fußballacker darstellt. Der Trainer ist über fünfzig, hat kurze krumme Beine und einen Bierbauch. Er schleppt ein riesiges Netz voller Fußbälle auf dem Rücken. Vor seiner Brust baumelt eine Trillerpfeife.
Plötzlich hält er inne, lauscht und schaut zum Himmel.
Ruhig mal! Hörn Sie? Die Autobahn! Kein Lüftchen, und ganz weit die Autobahn – ruhig! Da! – Nachher wird schwer was runterkommen. Im Radio haben sie gesagt, wechselnde Bewölkung. Aber wenn ich die Autobahn hör, bei Windstille, dann kommt was runter, und nicht zu knapp. In spätestens anderthalb Stunden. Wenns Training losgeht. Das erste Training mit der neuen Mannschaft. Und dann gleich Regen.
Er wirft die Bälle ab und beginnt das Spielfeld für das Training vorzubereiten – eine Tätigkeit, die bis zum Ende des Stückes andauert: Grasballen eintreten, Tore aufstellen, Tornetze aus dem Geräteraum schaffen und an den Toren anbringen, Eckfahnen einschlagen, Kreide einfüllen und Linien kreiden, Bälle aufpumpen, usw.
Noch nie n Trainer gesehen? Bitte, ich hab nichts zu verbergen. Seh ich aus wie einer, der was zu verbergen hat?
Er stellt sich an die Absperrung, die Spielfeldrand und Tribünen voneinander trennt.
Meine Dame, zugucken gerne – aber nicht einmischen! Frauen und Fußball ist immer prekär. Je emanzipierter, um so schlimmer. Abseits, Libero – das kann man ihnen noch erklären. Irgendwann begreifen sie es sogar. Aber Frauen verstehen nie, wieso Fußball.
Ich bin absolut kein Frauenfeind. Aber Frauen und Fußball – nee. Kennen Sie auch nur eine Fußballtrainerin? Nennen Sie mir nur eine einzige, und ich halte meinen Mund. Es gibt Fußballtrainer, die nie Fußball gespielt haben – Uruguay ist sogar mal Weltmeister geworden mit einem Trainer, der nie Fußball gespielt hat. Das ist alles möglich, aber dass ne Frau Fußballtrainer ist – ausgeschlossen. schreit Heiko steht! normal Oder vor Gericht. Schon bei der Scheidung ist ne Frau als Richter schlimm, kann ich Ihnen sagen, aber wenn sogar bei diesen sogenannten Mauerschützenprozessen – das muss man sich mal vorstellen! Die hat doch keine Ahnung, wies zugeht in ner militärischen Einheit, mit Befehl und … So ne Richterin weiß doch nicht mal, was Vergatterung bedeutet. Wenn ichs Ihnen sage! Fragen Sie irgendeine Frau, was Vergatterung bedeutet. Nein, nicht irgendeine – fragen Sie die klügste Frau, die Sie kennen, was Vergatterung bedeutet. Ich garantiere Ihnen: Keine weiß es. Sie glauben, dass sies wissen, aber sie wissens nicht. Und so was darf dann Urteile sprechen. Die versteht doch überhaupt nicht, was es heißt, dass ein Mann an seinen Platz gestellt wird und seine Pflicht zu erfüllen hat. Versteht die nicht. Ein Trainer versteht so was sofort. Und wenn einer rübermachen wollte, wusste der doch, was ihn erwartet. Ist meine Ansicht. Gab auch andere Wege. Musste doch nicht so nen armen kleinen Grenzsoldaten in Konflikte stürzen. Hätte jeden treffen können. Wehrpflicht, Fahneneid, Befehle – da hatte man keine Wahl als kleiner Grenzsoldat. Da wurden nun mal welche erschossen. Ich sage: Leider. Aber die Prozesse, Jahre später – die machten doch keinen mehr lebendig. Und dann ne Frau. Keine Ahnung von Vergatterung. Aber wenn dann die Mutter von dem Vollidioten, ich nenn ihn jetzt mal so, von diesem Vollidioten, der sich unbedingt erschießen lassen wollte – leider! –, wenn also die Mutter vor Gericht erschien, dann können Sie sich doch denken, wie das lief. Die Richterin sieht die Mutter … Dann hatte doch so n kleiner Grenzsoldat verloren, der konnte sich doch gar nicht begreiflich machen mit Befehl und Vergatterung … Ich weiß, wovon ich rede. Ich hab selbst mal in so nem Gerichtssaal gesessen. Nicht auf der Bank, sondern als ganz unbeteiligter, unvoreingenommener Zuschauer. Aber als ich mitgekriegt habe, dass da ne Frau als Richter – also da wars aus. Ich bin kein Frauenfeind, aber es gibt einfach Grenzen. Gibt ja auch keine Fußballtrainerin. schreit Heiko steht! normal Das kann ne Frau doch gar nicht. Die würde kein Mensch hören. Ein Trainer muss brüllen können, sonst braucht er gar nicht erst anzufangen. Ich übrigens brülle nicht. Es sieht aus wie Brüllen, aber in Wirklichkeit ist es Denken, und zwar sehr leidenschaftliches Denken. Das Brüllen geht ganz von allein, da muss ich gar nichts für tun. Die andern Trainer gucken bloß zu oder sagen alle zehn Minuten mal was, von denen sie fünf Minuten nachdenken, wie sies sagen sollen – nicht bei mir. Meine Spieler wissen, was ich denke, mit minimalster Verzögerung, nur durch die Gehirnströme, ein paar Millisekunden – jeder Gehirnpsychologe oder so was kann das bestätigen! – Luft holen, und dann ist die Nachricht mit Schallgeschwindigkeit bei den Spielern, dreihundert Meter pro Sekunde, also überschlagsmäßig spätestens in Null Komma drei Sekunden. Im Winter sogar noch schneller, weil Schall im Winter, das kann Ihnen jeder Tontechniker oder Physiker bestätigen. Ein paar Millisekunden später hat der Spieler meine Botschaft verstanden und weiß, was zu tun ist. Und ganz unter uns – das ist wirklich der einzige Weg. Wenn die Spieler auflaufen und wissen, es geht um was, da haben sie Angst. Das sind ganz tiefe Urinstinkte. Sie haben Angst, was falsch zu machen, Gegner ist unbekannt, und sie halten die blanken Knochen hin. Da brauchen sie doch einen, der ihnen sagt, was sie machen sollen. Da ist ne klare Anweisung die Erlösung. Ich will Ihnen ein Beispiel bringen, wie dringend ein Spieler ne klare Anweisung will. Ich hab mal zu nem Spieler ganz ruhig gesagt, er soll sich die Schuhe zubinden. Seine Schuhe waren zu. Und was macht der? Hockt sich mitten im Spiel hin und bindet sich die Schuhe zu. War ne volle Minute außer Gefecht gesetzt. Aber jetzt kommt der Clou: Der war von der Gegenmannschaft. Dem fehlte einfach ne klare Anweisung, und von mir hat er eine gekriegt. Das funktioniert aber nur, wenn der andere Trainer kein Platzbrüller ist, sondern ein Kabinenbrüller. Aus Angst, sich zum Maxe zu machen. Ich bin ein Platzbrüller, obwohl ich nicht brülle, sondern denke, leidenschaftlich denke, denke und lenke. Der Stratege am Rand. Der Julius Cäsar der Seitenlinie. Wenn Sie bei einem Spiel plötzlich ganz leidenschaftlich denken, was die Spieler machen müssten – und die Spieler machen das auch, weil Sie der Trainer sind –, nicht zu unterschätzen, das Gefühl, nicht zu unterschätzen. Was ich denke, sehr leidenschaftlich denke brüllt, das passiert auch! normal Nicht zu unterschätzen.
Das war der Heiko, der mit den Schuhen. Neun war er damals. Als der sich die Schuhe zuschnürte, machten meine ein Tor. Hat der Heiko geweint. Da tats mir natürlich leid – wenn ein Erwachsener was zu nem Neunjährigen sagt, die können das nicht unterscheiden. Der Trainer vom Heiko hat ihn angefaucht: Bist du n Mädchen oder warum flennste! Da hab ich den Heiko getröstet. Bin doch kein Unmensch. Und weil er immer noch geweint hat und einfach nicht aufhören wollte, hab ich zu ihm gesagt, dass er ein toller Spieler ist, einer wie Jürgen Sparwasser, und dass ich ihn jederzeit in meine Mannschaft nehmen würde. Da hat der Heiko aufgehört zu weinen und ist in meine Mannschaft. Sofort. Hat sich schon in meiner Kabine umgezogen nach dem Spiel. War wie adoptiert. Und den Trick mit dem Schuhezubinden hab ich mir gemerkt, für später. Bei Kindern ist es ja keine Kunst. Aber der funktioniert auch bei den Männern! Klare Anweisungen sind die Erlösung aufm Platz. Wo kämen wir hin, wenn alle Individualitäten wären? Mit diesen ganzen antiautoritären Moden muss mir niemand kommen. Bloß weil Sie vielleicht nen Doppelnamen haben, müssen Sie sich nicht für was Besseres halten als ein Fußballtrainer. Sie wissen doch genau, wenn gespielt wird, kommt das übrige Leben komplett zum Erliegen. Das ist das Fußball-Gefühl! Alle gucken Fußball. Und warum wollen alle Fußball gucken?
Das ist ne interessante Frage. – Es gibt Experten fürs Fernsehen, die von früh bis spät nichts anderes machen, als sich Spiele auszudenken, die im Fernsehen laufen sollen. Die denken sich so was aus wie das Millionenspiel oder Big Brother. Aber das ist noch gar nichts gegen Fußball. So was wie Fußball würden die gern erfinden. Geht aber nicht, weil – es ist schon erfunden.
Ich will Ihnen mal was verraten. Das hat nix mit dem Heiko zu tun – aber das ist ja auch völlig uninteressant für Sie, mit dem Heiko das. Muss ich ja nicht lang und breit und so. – Fußball. Fußball ist ja nicht das einzige Spiel, wo was mit Ball und Tor und Mannschaft, gibt ja auch Basketball, Rugby, Handball, Volleyball, Eishockey, und, und, und. Wasserball! Aber nur Fußball ist ein Spiel fürs Auge. Sie sehen, wie der Ball läuft, haben immer den Überblick vorm Fernseher, und wenns spannend wird, dann kriegen Sie das auch mit. Nicht so wie beim Eishockey, wo kein Mensch sieht, wie ein Tor fällt. Wenn die Spieler die Arme hochreißen, dann weiß der Zuschauer: Ah, ein Tor ist gefallen. Na ja. Ist ja auch idiotisch, ein Spiel mit diesem viel zu kleinen Puck. Ist doch nix fürs Auge. Ein Ball, ein FUßBALL – das ist was fürs Auge.
Außerdem ist ein Fußballspiel fast immer spannend. Nehmen Sie Volleyball: Da kommt die Aufgabe, dann Stoppen, Zuspiel, Schmettern. Da ist ein Spiel wie das andere. Haben Sie je ein Volleyballspiel gesehen, wo Sie noch Jahre später sagen: Ja, das war doch dieses … Oder wenn Sie mittendrin mal aufs Klo müssen und kommen zurück in die Halle, dann schauen Sie auf die Anzeigetafel, sehen den Spielstand und wissen Bescheid. Aber sie kommen nicht auf die Idee, Ihren Nachbarn zu fragen, ob Sie was verpasst haben. Der wird Sie wahrscheinlich angucken wie … Und wenn Sie nichts verpasst haben, weil Sie nichts verpassen können – warum schaun Sie es sich überhaupt an? Na, Sie schaun sichs ja nicht an. Genau so wenig wie Handball: Die eine Mannschaft greift an, die andere verteidigt, und dann spielen die sich am Kreis – Kreis! Das heißt Kreis, obwohl kein Mensch weiß, was an diesem Kreis ein Kreis ist! Ist auch kein Halbkreis, eher ein Halb-Ei … Beim Fußball ist der Mittelkreis ein Kreis! – Da spielen also die Angreifer den Ball hin und her, hin und her, ewig geht das, und das Publikum klatscht mit, wie beim Parteitag. Wie beim SED-Parteitag, wenn Ihnen das was sagt. Mich haben die da mal hingeschickt. Vom Betrieb aus. Gut, dachte ich, schaden kanns nicht. Die Hälfte von denen, die da saßen im Palast der Republik, waren, ich will mal sagen, einfache Menschen. Ganz normal. Mitklatschen war angesagt, und bloß nicht einschlafen. Alles klatschte im Rhythmus, obwohl es total langweilig war. Beim Handball gehts genau so zu. Wenn schließlich einer wirft, wird es Tor oder nicht – und das ist auch ein Problem von Handball. Beim Handball fallen zu viele Tore, vom Basketball ganz zu schweigen – aber beim Fußball kann ein einziges Tor die ganze Situation auf den Kopf stellen. Drei Minuten vor Schluss, es steht zweizwei, und dann fällt ein Tor, das ist doch schicksalsentscheidend! Aufstieg oder nicht, in eine ganz andere Liga vorstoßen oder nicht, die Krönung eines Lebenswerkes, nur wegen einem einzigen Tor! Beim Handball ist es scheißegal, ob ein Tor fällt oder nicht. Und wenns sowieso egal ist, braucht man gar nicht erst anzufangen.
Und dann ist noch ein einfacher Grund, und das ist wegen den Regeln. Es ist wichtig, dass man von einem Spiel die Regeln versteht. Wenn man nicht versteht, was läuft, ist es auch nicht spannend. Fußball ist so einfach, dass es ein Sechsjähriger kapiert. Wenn im Stadion einer aus Amerika neben Ihnen sitzt, Amerika, sag ich jetzt mal so, dann müssen Sie ihm nur erklären, warum der Schiedsrichter pfeift, und dann hat der nach einem einzigen Spiel für den Rest seines Lebens die Fußballregeln begriffen. Wenn er helle ist, begreift er sie sogar allein, ohne dass einer daneben sitzt. Aber umgekehrt klappt das nicht: Was bei denen der Nationalsport ist, Baseball – da kann man die Regeln nicht vom Zuschauen verstehn. Nicht nach einem und auch nicht nach hundert Spielen. Ich guck manchmal nachts Sport. Ich guck gern nachts fern! Nicht nur wegen der Werbung, ist klar, dass sie diesen Schweinekram tagsüber nicht senden können, wenn das Kinder sehn, das ist doch nix, oder wenn die dann plötzlich auf die Idee kommen würden, so ne Nummer anzurufen. Dann haben Sie so ne Rechnung und nicht mal selbst … Telefon macht was aus. Meine Rechnung ist immer hoch, also jetzt nicht nur deswegen, aber was man als Trainer immer der Mannschaft hinterhertelefonieren muss … Ich, bei meiner Telefonrechnung, hab immer gedacht: Mensch, von denen müsste man Aktien haben. Die stiegen und stiegen. Bei achtzig bin ich rein, dann gingen sie rauf auf hundertdrei, und jetzt sind sie schon ein halbes Jahr unter dreißig … Wie bin ich jetzt darauf gekommen? Richtig, wegen Baseball, wo man die Regeln nicht versteht. Nicht mal, wenn man im Stadion neben einem Amerikaner sitzt und sie einem erklärt werden. Weil – die verstehn ja selber nicht die Regeln. Tatsache. Es gibt keinen Amerikaner, der die Regeln der amerikanischen Nationalsportart kennt. Ich bitte Sie – das will ne Weltmacht sein? Wenn die nicht mal die Regeln von ihrem eigenen Nationalsport kennen, was haben die denn überhaupt für ein Verhältnis zu Regeln? Frag ich jetzt mal so! Der Engländer, Fußball, klare Regeln, klare Sache. Als der Adolf denen Coventry zerdonnert hat, ist der Engländer auf Hamburg und Dresden los. Lag einsnull zurück, der Engländer, hats aber drehen können: zweieins. Aber der Amerikaner, der schmeißt zwei Mal die Atombombe, wegen Pearl Harbor. Aber eigentlich wegen Baseball. Der Amerikaner schert sich null Komma nichts um Regeln, hat er ja auch nie gelernt, bei seinem Baseball. Könnse mal nem Botschafter erzählen, da kommt der bestimmt ins Grübeln.