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Maximus führt ein beinahe normales Leben mit seiner Familie auf dem Vamuraischloss. Bis eines Tages der Kopf aus der Zwischenwelt durch das mystische, alte Vamuraibuch mit ihm Kontakt aufnimmt. Das blaue Licht bringt ihn in die Zwischenwelt, wo der Herrscher die Zerstörung der Welt mithilfe der Köpfe auf den Feldern vorbereitet. Chania, die Tochter des Herrschers – das einzige reine Wesen dieser Welt – soll ihrem Vater dabei helfen. Die blauen Tunnel im weißen Raum führen in die fünf Kontinente. Chania und Maximus lernen fremde Länder kennen und verlieben sich ineinander. Was hat es mit den Federn auf sich, die Chania ihrem Vater aus den Kontinenten mitbringen muss? Kann das Rätsel des Vamuraibuches gelöst werden? Wird es gelingen die Welt zu retten?
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Seitenzahl: 468
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Ich danke meinen beiden Töchtern für Ihre Unterstützung als wissbegierige Leserinnen. Sie haben mich immer wieder inspiriert, an diesen Roman weiter zu schreiben und haben an mich geglaubt. Meine Große, die selbst eine Leseratte ist, gab mir immer wieder wertvolle Tipps. Ohne meine jüngere Tochter, wäre dieser Roman niemals entstanden. Sie bat mich damals als siebenjährige, die Geschichten vom kleinen Vampir aufzuschreiben, die ich ihr immer erzählen musste. Aus diesen Kurzgeschichten entstand dann der Beginn eines Romans und ich tauchte ein in die wunderbare Welt der Fantasie und des Schreibens. In meiner Fantasie war alles real und lief wie ein Film vor mir ab. Es war eine wertvolle Erfahrung, die mein Leben bereichert hat.
Über mich: Ich wurde 1962 in München geboren und lebe dort immer noch mit meinen beiden Töchtern und unserem Hund Reggie. Nach einer erfolgreichen Lehre als Industriekauffrau absolvierte ich noch das Studium Wirtschaftsingenieurwesen und versuche mich jetzt am Heilpraktiker. Ich würde mich selber als vielseitig interessierte, sportliche Leseratte bezeichnen. Die Maximus Bücher sind meine ersten Veröffentlichungen.
Vampire existieren nicht! So ein Kinderkram! Denkst du auch so? Na dann hör mir mal gut zu, ich werde dir jetzt eine Geschichte erzählen die dich in zwei Welten einer noch lebenden Vampirfamilie entführen und fesseln wird. Wo du vieles was so passiert in der Welt plötzlich mit anderen Augen sehen wirst. In der du das Universum plötzlich mit anderen Augen betrachtest und es zwischen Himmel und Hölle nicht nur unsere Welt gibt. Ich rede von einer unvorstellbaren Zwischenwelt, in der Wesen gefangen sind, die nicht einmal der Teufel will. Du hast dich sicher schon mal gefragt, warum immer schlimmere Dinge in der Welt passieren. Naturkatastrophen und Unruhen beherrschen die Tagesschau und überfluten eure unbedarften jungen Seelen mit Gewalt, Terror und Einzelschicksalen. Du willst von mir eine kurze schnelle Antwort darauf? Die kann auch ich dir nicht geben. Doch nicht immer ist alles nur Schicksal und Zufall. Verlass deine reale Welt und tauch mit mir in die Geschichte von Maximus dem jungen Vampir ein. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Antwort darauf.
Prolog
Die Zwischenwelt
Die Welt gerät aus den Fugen
Folgenschwere Entscheidung in der Gruft
Ein Kontinent mit klaren Grenzen
Der große gelbe Kontinent
Ein Kontinent voller Vielfalt und Überraschungen
Chanias falscher Weg
Rätselhafte Begegnung in Europa
Des Rätsels Lösung in Bayern
Nachwort
FÜR MEINE BEIDEN LIEBEN
»Brr ist das kalt hier«, waren meine ersten Gedanken, als ich etwas unsanft landete. Ich fühlte die Feuchtigkeit und die Kälte durch alle Poren meines Körpers und sog mühsam die modrige Luft ein. Mein Kopf brummte und schmerzte. Meine Lippen schmeckten die feuchte Erde. Ich lag auf dem Bauch und wagte nicht mich umzudrehen. Wie war ich hergekommen? Es schien alles so unwirklich.
»Das Vamuraibuch! Das blaue Licht!«, schoss es mir durch den Kopf. Ich hätte wohl besser das Kaminzimmer meiden sollen. Warum war ich nur immer so neugierig? Papa hatte mich doch vor dem Buch gewarnt. Mein Leben war doch eigentlich perfekt gewesen. Papa hatte in meiner Lehrerin eine neue Frau gefunden und ich würde bald ein Geschwisterchen bekommen. Dank meiner entwickelten Spezialcreme, die uns damals schon vor den Vampirjägern gerettet hatte, führten wir ein fast normales Leben, das sich kaum von dem anderer unterschied. Naja, außer dass wir in einem großen Schloss wohnten, gräflichem Ursprung waren und übermenschliche Kräfte hatten. Und dass sich mein Vater, der Graf Vamus immer noch gerne in seine Gruft zurückzog.
Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln und konnte mir selbst in dieser Situation das Grinsen nicht verkneifen. Frau Mairose hatte zwar einiges in unserem Leben verändert, aber alle Marotten meines Vaters konnte auch sie nicht verändern. Ich selber hatte in letzter Zeit viele neue Freunde gewonnen und war eigentlich ein glücklicher Teenager. Was war nur in mich gefahren, die Warnungen meines Vaters zu ignorieren? Er hatte mich noch gewarnt: »Was für die Hexen das Hexenbuch ist, ist für die Vampire das Vamuraibuch. In diesem Buch sind all die Antworten enthalten, die für Vampire wichtig sind. Doch es ist sehr gefährlich, und man muss ganz vorsichtig damit umgehen, weil es lebt und unheimliche Kräfte besitzt.«
Ich fand das alles damals ziemlich spannend. Das Vamuraibuch hatte mich von Anfang an in den Bann gezogen. Selbst als es mein Vater geöffnet hatte und ich anfangs etwas enttäuscht war, weil es nur aus leeren Seiten bestand. Mein Vater hatte mir aber erklärt, dass das Buch erst Sätze schreibt und zu einem spricht, wenn man ihm eine Frage stellt. Er hatte mich gleichzeitig vor den Gefahren des Buches gewarnt, und dass man es nur im Notfall verwenden dürfe. Es könne einem auch Schaden zufügen und dazu bringen, in seine Seiten einzutauchen. Dann würde man in einer Zwischenwelt mit gefährlichen Wesen landen. Er erzählte mir außerdem, dass ein Vampir in dieser Zwischenwelt über keine außergewöhnlichen Kräfte verfügen würde.
Tja und das schien jetzt der Fall zu sein. Ich fror fürchterlich und hatte Angst. Meine Gedanken schwelgten weiter. Wie konnte ich mich nur dazu hinreißen lassen. Das erste Erlebnis mit dem Vamuraibuch war schon einige Zeit her gewesen, aber es war mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Immer wieder zog es mich magisch ins Kaminzimmer, doch normalerweise betrachtete ich es immer aus sicherer Entfernung. Bis ich eines Tages die Grenze überschritt.
Meine Eltern waren nicht zuhause und wie von unsichtbarer Hand geführt, ging ich ins Kaminzimmer und stand plötzlich ganz nahe neben dem Vamuraibuch. Ich konnte mich der Magie des Buches nicht mehr entziehen. Wie von selbst griff meine Hand in das Regal, wo das Buch lag. Es war so schwer, dass ich es kaum anheben konnte. Ich nahm es, legte es vor den Kamin auf den Boden und betrachtete es zum ersten Mal näher. Seltsame Ornamente zierten den Umschlag und die Blätter waren außen rot gefärbt. Es sah ganz anders aus, als alle Bücher, die ich bisher gesehen hatte. Als es so vor mir lag, konnte ich einfach nicht widerstehen, ich musste es berühren. Meine Hand strich vorsichtig über den dicken Umschlag. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus Freude und Leid, Gut und Böse. Es roch alt und modrig. Ich sog gierig an diesem Duft, wie ein Verdurstender an einem Strohhalm. Es machte mich ganz benommen und meine Hand begann leicht zu vibrieren.
Doch irgendetwas hielt mich zurück das Buch zu öffnen. Die Warnungen meines Vaters waren tief und fest in meinem Gehirn verankert. Ich wollte schon wieder das Kaminzimmer verlassen, als aus der Seite des Buches ein Hauch blauen Rauches entwich. Es war als wollte das Buch mit mir Kontakt aufnehmen. Gebannt starrte ich den Rauch an, der sich sogleich wieder verzogen hatte. Zurück blieb ein süßlicher, unwiderstehlicher Geruch, der mich an frisches Blut erinnerte. Genüsslich strich meine Zunge über meine Lippen und meine Vampirzähne fingen leicht an zu zittern. Aber nicht dass ihr jetzt denkt, ich wäre ein blutrünstiger Vampir. Ganz im Gegenteil. Ich hatte mich bisher nur von Tier Blut und Beuteln aus der Blutbank ernährt. Seit ich mit der Spezialcreme eins geworden war, schmeckte mir auch normales Essen. Diese Creme hatte nicht nur unser Leben verändert, sondern sie hatte uns zu Halbmenschen gemacht, weil wir jetzt tagsüber existieren konnten. Meine Gedanken wanderten zurück zum Vamuraibuch. Nachdenklich starrte ich es an und berührte es erneut. Doch etwas hielt mich immer noch davon ab, das Buch zu öffnen. Ich wollte meine Hand schon zurück ziehen, doch irgendwie klebte sie jetzt am Einband fest. Es war, als ob sich das Buch weigern würde, mich wieder gehen zu lassen. Ich dachte ich träume und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Was willst du von mir? Lass mich gehen! «
Dabei versuchte ich mit der anderen Hand die klebende Hand wegzuziehen. Doch es half nichts, das alte Vamuraibuch blieb stur und ließ es nicht zu. Ich fasste neuen Mut, nahm stattdessen die andere Hand um das Buch zu öffnen. Das hätte ich wohl besser lassen sollen, denn ich spürte so etwas wie einen Stromschlag durch meinen Arm und dieser wurde plötzlich ganz schwer und heiss. Anschließend durchfloss mich ein angenehmer Schauer, der sich sogleich in meinen ganzen Körper verteilte. Ein letzter Versuch den Arm zurückziehen scheiterte. Wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet, schlug der Deckel des Vamuraibuches plötzlich von alleine auf und das Buch lag geöffnet vor mir. Sanfter blauer Rauch stieg langsam aus dem Buch empor und weil ich den Kopf nach unten gebeugt hatte, stieg mir erneut der süßliche blaue Rauch direkt in die Nase hinein. Hastig und gierig sog ich daran. Ich konnte nicht genug davon bekommen und es machte mich ganz benommen. Noch bevor ich mir über dieses blaue Licht und den Geruch Gedanken machen konnte, begann das Buch plötzlich mit mir zu sprechen: »Ich habe dich erwartet Maximus! Ich warte seit dem Tag an dem du mich zum ersten Mal gesehen hast darauf, dass du mich öffnest! Was willst du wissen?«
Vor Schreck ließ ich den Deckel los, wollte dabei gleichzeitig aufspringen und einen Satz zurück machen, verlor aber mein Gleichgewicht. Ich fiel rücklings um und knallte mit dem Kopf gegen die Couch. Es gab einen dumpfen Schlag und ich hielt mir schmerzerfüllt den Kopf.
»Das gibt es doch gar nicht«, murmelte ich mehr zu mir selbst, »wie kann ein Buch zu mir sprechen?«
Wieder schüttelte ich ungläubig meinen Kopf und starrte erneut das Buch an. Was hatte mir mein Vater letztes Mal gesagt?
»Das Buch lebt!«
Aber dass es auch noch mit mir sprechen würde, darauf war ich einfach nicht vorbereitet gewesen. Ich krabbelte vorsichtig auf allen Vieren zurück zum Buch und sog erneut gierig den süßlichen Duft des blauen Rauches ein. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen und wurde erneut ganz benommen davon. Wie in Trance begann ich schließlich mit dem Buch zu sprechen. »Ich, ich möchte gern«, stammelte ich noch etwas unbeholfen, fasste dann aber meinen ganzen Mut zusammen. »Die Zwischenwelt, was ist das denn genau? Kannst du sie mir bitte zeigen?«
Der blaue Rauch reagierte bei dem Wort Zwischenwelt, als hätte er auf diese Frage gewartet und wurde immer heftiger. Ein kalter Schauer durchzog mich und erneut hatte ich das Gefühl fliehen zu müssen. Doch als ich aufspringen und flüchten wollte, bemerkte ich, wie gelähmt ich war. Ich konnte mich nicht mehr von der Stelle bewegen. Gebannt starrte ich auf den blauen Rauch und musste tatenlos zusehen, wie dieser immer heftiger wurde.
Dann entwickelte sich aus dem blauen Rauch plötzlich ein sich immer schneller drehendes und immer größer werdendes blaues Loch, das versuchte mich hineinzuziehen. Kraftvoll stemmte ich mich dagegen.
»Nein«, versuchte ich es nochmal mit letzter Kraft und hielt mich verkrampft mit der einen Hand am Boden fest. Mit der anderen Hand ergriff ich panisch ein Stuhlbein. Doch diese unheimliche Kraft zog unaufhaltsam an mir. Ein letzter Versuch.
»Ich möchte nicht in diese Zwischenwelt! Ich wollte nur wissen, was sie ist«, probierte ich das Vamuraibuch zu beschwören und zu besänftigen.
Einen Augenblick schien es, als ob der blaue Rauch zögern und sich anders besinnen würde. Doch dann machte sich eine angenehme Wärme in mir breit. Der süßliche Duft betörte mich erneut und machte mich schließlich willenlos. Meine verkrampften Hände gaben nach und ich ließ los. All mein Widerstand war jetzt verflogen und ich fühlte mich plötzlich leicht wie eine Feder. So bemerkte ich erst gar nicht, dass das Buch begann mich aufzusaugen. Der Sog wurde immer heftiger und mein mittlerweile willenloser gebeutelter Körper, wurde wie von einem Staubsauger aufgesogen. Schwindel erfasste mich und bis ich mich versah, verlor ich das Bewusstsein. Das blaue Licht transportierte mich weit weg in diese andere Welt und ich erwachte in diesem düsteren, unheimlichen und kalten Wald.
Mittlerweile hatte ich mich umgedreht, lag auf dem Rücken und starrte auf die düsteren Bäume über mir. Sie bewegten ihre Äste im Wind, als würden sie nach mir greifen wollen und ächzten, als würden sie mich auslachen. Ich bereute, dass ich die Warnungen meines Vaters vor Neugier ignoriert hatte.
Das hatte ich jetzt davon. Mutterseelen allein in dieser düsteren Zwischenwelt, fror ich zum ersten Mal in meinem Leben und machte mir vor lauter Angst fast in die Hose. Schützend umklammerte ich mit den Armen meinen kalten Körper und dachte über mein Leben nach. Was würde mich hier erwarten? Konnte ich irgendwann wieder heim zu meiner Familie? Würde ich jetzt überhaupt noch mein Geschwisterchen kennenlernen, das bald geboren wird?
Verzweifelt blickte ich mich erneut um. Nichts als diese grässlichen Bäume. Ich fühlte mich hilflos und kraftlos und meine Augen blickten müde und angsterfüllt umher. Normalerweise konnte ich mit diesen Augen sehr weit sehen, doch hier in dieser Zwischenwelt nur ein paar Meter. Meine Ohren lauschten den Geräuschen im Wald, doch außer dem Ächzen der Bäume, war es hier still. Keine Tiergeräusche – gar nichts.
Ich hörte mein Vampirherz bis zum Hals schlagen und war überwältigt von meinen eigenen Gefühlsausbrüchen. So etwas kannte ich bisher nicht. Es musste wohl an dieser Zwischenwelt liegen.
War ich hier ein normaler Mensch? Fühlen richtige Menschen immer so?
Ich war verwirrt und fühlte mich in dieser Welt einfach nur hilflos und kraftlos. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben einsam und verlassen. Die Angst schnürte mir den Hals zu. Panisch rang ich nach Luft und sog die modrige und feuchte Luft des Waldes ein. Plötzlich zuckte mein ganzer Körper zusammen.
War da nicht doch ein Geräusch? Ein Hitzewall traf meinen Körper unverhofft und erste Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Panisch blickten meine Augen umher, doch niemand war zu sehen.
»Ich muss hier raus, hilft mir denn keiner! Papa wo bist du?«, wimmerte ich hilflos vor mich hin. Und zu mir selbst: »Reiß dich zusammen du Jammerlappen!« Angst vor der Ungewissheit machte sich erneut in mir breit. Und nichts als diese grässlichen Bäume um mich herum. Ich überlegte noch kurz, ob ich die Nacht hier verbringen und erst bei Tageslicht weiterziehen sollte. Doch angesichts des unheimlichen Ortes verwarf ich den Gedanken sofort wieder.
»Reiß dich endlich zusammen«, schellte ich mich erneut selber, »ich bin doch schließlich ein Vampir. Vor was soll ein Vampir denn Angst haben?«
Das stärkte mein Selbstvertrauen – schließlich war ich immer noch ein Wesen der Nacht. Warum also sollte ich in der Nacht in einem Wald Angst haben. Doch irgendetwas stimmte hier nicht. Mein Blick – er war wirklich nicht normal hier. Ich konnte in der Dunkelheit kaum etwas sehen und das machte mir erneut Angst. »Das kann nicht sein, ich bilde mir das alles nur ein.« Ich machte einfach kurz die Augen zu und wollte alles um mich herum wegzaubern. Das war bestimmt nur ein Traum. So, das müsste genügen. Langsam öffnete ich ein Auge nach dem anderen. Doch nichts hatte sich verändert. Immer noch dieser düstere muffelige Wald. Resignation machte sich in mir breit.
In welche Richtung sollte ich denn jetzt gehen?
Ich wünschte mich zurück in das Kaminzimmer, zurück zu meinen Eltern. Ich vermisste sie bereits jetzt.
Was hatte ich nur getan? Sie machten sich bestimmt Sorgen. Warum hatte ich nur nicht auf Papa gehört? Doch es half alles nichts, ich musste irgendwie alleine aus diesem Wald raus kommen. Vielleicht solle ich mich ja einfach in eine Fledermaus verwandeln.
Ich wollte es gerade tun, musste jedoch feststellen, dass nicht einmal das hier funktionierte.
»So ein Mist«, grummelte ich jetzt missmutig. Ich würde also als ein normal sehender Mensch, diese Welt erkunden müssen und fühlte mich plötzlich verletzlich. Müde und hoffnungslos machte ich mich auf den Weg. Nach einiger Zeit wurde der Wald lichter und die Sterne spenden mehr Licht. Als der Wald zu Ende war, kam ich an ein Feld. Doch das war kein normales Feld. Es wuchs nichts auf diesem Feld, zumindest nichts Fruchtbares. Und dann fielen mir beinahe die Augen raus. Auf dem Feld ragten Holzpfähle heraus. Und auf diesen Pfählen waren Köpfe aufgespießt, die mich jetzt auch noch anschrien:. »Rette uns! Rette uns!« Mein ganzer Körper zuckte zusammen und ich erschauderte. Wie konnten Köpfe ohne Körper reden und was wollten sie von mir?
»Redet ihr Köpfe mit mir? Was wollt ihr? Das gibt es doch gar nicht!«
Dabei stöhnte ich laut auf und stolperte vor Angst und Erregung über eine Wurzel, die auf dem Weg lag. Ich landete mit einem Satz auf dem Bauch und wagte zuerst nicht aufzublicken. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Ganz langsam hob ich den Kopf und rappelte mich auf. Mein Blick fiel erneut auf die Köpfe, die auf den Pfählen aufgespießt waren. Es waren hunderte – nein tausende. Soweit das Auge reichte. Es war unglaublich. Die Köpfe sahen fürchterlich aus und ein Geruch von faulem Fleisch stieg mir in die Nase. Ich rümpfte angewidert die Nase, als die Köpfe erneut riefen: »Rette uns! Rette uns!«
Ich blickte mich um und suchte nach etwas, wovor ich die Köpfe retten sollte, doch ich sah nichts anderes als diese schrecklichen Felder. Etwas mutiger geworden, ging ich zu einer Gruppe von Köpfen und fragte sie neugierig: »Vor wem oder was soll ich euch denn retten? Es ist doch niemand anderes da. Und überhaupt, ihr seid doch schon alle tot, ihr habt doch keine Körper mehr und kein Herz!«
Dabei schüttelte ich angewidert meinen Kopf. »Wer macht denn so etwas Schreckliches, Köpfe abtrennen und dann auf Pfähle stecken?“
Redeten die Köpfe wirklich mit mir, oder bildete ich mir das nur ein? Das war doch alles unmöglich.
Erneut schüttelte ich meinen Kopf, als wollte ich meine Gedanken ordnen. Die Köpfe schienen meinen Zweifel zu bemerken und redeten jetzt alle wirr durcheinander. »Der Herrscher«, »Ein schlimmer Fluch«, »Böse Gräueltaten«, »Die Welt wird vernichtet.«
Das war mir jetzt doch zu viel und ich hielt mir die Ohren zu. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ohne nochmals umzublicken, rannte ich entsetzt an ihnen vorbei. Ich lief und lief, vorbei an vielen Feldern, die ich jetzt einfach ignorierte. Ich wollte nur noch weg von diesem grauenhaften Ort, raus aus der Zwischenwelt. »Warum hilft mir keiner?«, wimmerte ich verzweifelt. Dann waren die Stimmen der Felder verschwunden.
Mittlerweile waren Graf Vamus und die Gräfin wieder in das Schloss zurückgekommen und suchten ihren Sohn überall.
»Wo kann er denn nur sein? Er muss doch hier sein!«, meinte die Gräfin zu ihrem Mann.
Sie machte sich große Sorgen. Es war ja gleich Essenszeit und das ließ Maximus eigentlich nie aus.
»Es wird ihm schon nichts passiert sein«, versuchte Graf Vamus die Gräfin zu beruhigen, »er ist ja wirklich alt genug um auf sich selber aufzupassen!«
Im Kaminzimmer angekommen, stockte ihm plötzlich der Atem. Er hatte auf dem Boden das Vamuraibuch entdeckt. Es war geöffnet und ein Strahl sanften blauen Rauches strömte heraus.
Hatte Maximus etwa das Buch benutzt?
Still und nachdenklich betrachtete er es.
»Maximus wo bist du?«, brüllte Graf Vamus durch das Schloss. Keine Antwort, es blieb still. Der Graf durchsuchte das ganze Schloss nach Maximus. Wieder im Kaminzimmer angekommen, dämmerte es ihm plötzlich. »Er wird doch nicht!«, murmelte der Graf und betrachtete das Vamuraibuch erneut. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Maximus war womöglich mit Hilfe des Buches in die Zwischenwelt gelangt. Jetzt musste er besonders besonnen handeln, denn sein Sohn war in großer Gefahr. Er durfte das Buch auf keinen Fall zuschlagen. Maximus wäre sonst für immer und ewig in der Zwischenwelt gefangen. Und was das bedeuten würde, war Graf Vamus klar. Er erinnerte sich an die Zeit, in der er hilflos dem Herrscher der Zwischenwelt ausgesetzt war. Er wusste, dass es dem jungen Vampir nicht alleine gelingen würde, den Klauen des Buches zu entkommen. Der Herrscher der Zwischenwelt würde sich des kleinen Vampirs bedienen und ihn für seine Machenschaften ausnutzen. Er wagte nicht, den Gedanken weiter zu spinnen und es sich näher auszumalen. Alleine die Bekanntschaft mit diesen bösen Wesen machen zu müssen, würde für seinen Sohn eine schlimme, grausame Erfahrung werden.
»Was soll ich denn nur tun?« rätselte Graf Vamus, »ich kann doch die Gräfin jetzt nicht alleine lassen und mich auf solch ein gefährliches Abenteuer einlassen. Maximus muss eine Weile in der Zwischenwelt alleine klarkommen. Ich kann ihm dieses Mal nicht sofort helfen.«
Er seufzte laut auf. In diesem Moment, kam die Gräfin außer Atem ins Kaminzimmer gelaufen und fand ihren Mann kauernd vor dem Vamuraibuch. Er wirkte auf sie völlig hilflos und verzweifelt. So hatte sie ihren Mann bisher noch nie erlebt.
»Was ist denn los, was ist passiert?«, fragte sie ihn.
»Siehst du dieses offene Buch da?«, meinte er auf das Vamuraibuch deutend, »dies ist das Vamuraibuch. Es ist der Schlüssel zur Zwischenwelt. Maximus befindet sich jetzt in der Zwischenwelt und muss mit den Kreaturen dieser Welt kämpfen. Wir sind zwar auch Wesen der Zwischenwelt, müssen aber nicht in ihr leben. In dieser Zwischenwelt leben alle, die aus der Welt verbannt wurden. Sie sind der Abschaum der Welt. Nicht einmal die Hölle will diese Kreaturen. Erst wenn sich diese Wesen in der Zwischenwelt verdient gemacht haben, dürfen sie in die Hölle. Das Leben dort ist grausam. Du kannst dir das gar nicht vorstellen. Nur ein paar dieser Kreaturen auf der Erde und sie würden alle Menschen, die sich nicht wehren können und zu den Mitläufern gehören, in ihren Bann ziehen. Die Welt würde immer schlechter und grausamer werden.«
Seine Stimme wurde dabei immer leiser. Der Graf erzählte seiner Frau von seinen eigenen Erfahrungen in der Zwischenwelt und wie ihn damals sein Vater gerade noch gerettet hatte. Er war für ihn selber sehr knapp gewesen, doch sein Vater wurde vom Herrscher getötet. Das glaubte zu mindestens Graf Vamus. Vielleicht wurde aus ihm deshalb kein böser blutrünstiger Vampir und er wollte nie wieder in diese Zwischenwelt zurück kehren. Damals beschloss er ein guter Vampir zu werden. Doch jetzt musste wohl er nochmal diese Welt betreten, um seinen Sohn zu retten. Maximus würde sonst für immer und ewig in dieser Welt gefangen sein. Nur er konnte ihn retten und durch den blauen Tunnel mit ihm entfliehen. Doch das würde für Graf Vamus bedeuten, dass er seine Frau und sein bald geborenes Kind verlassen müsste. Im Moment unmöglich. Maximus musste eine Weile alleine klarkommen. Dass das Maximus allerdings prägen und verändern würde, war ihm auch klar. Er wurde abrupt aus seinen Gedanken gerissen. Gräfin Vamus war das plötzlich alles zu viel. »Auf was wartest du? Du musst ihn sofort retten«, schrie sie auf einmal völlig hysterisch und rüttelte wie wild am Arm ihres Mannes.
»Das geht so nicht«, meinte Graf Vamus sanft und nahm ihre Hand in die seine und legte die andere auf ihr Bäuchlein. »Ich kann dich doch in diesem Zustand nicht alleine lassen. Wir müssen erst abwarten, bis das Baby da ist und es dir besser geht. Es ist sehr riskant in diese Welt einzutauchen. Ich kann dir nicht garantieren, dass ich wirklich mit Maximus zurückkommen werde. Ich kann nur hoffen, dass es mir gelingt.«
Die Verzweiflung war aus seinen Worten heraus zuhören. Er ließ seine Frau los, nahm das Vamuraibuch vorsichtig in die Hände und legte es auf den Tisch.
»Sei mutig Maximus«, rief er in das Buch hinein, »ich werde bald kommen und dich retten!«
War da nicht erneut die Stimme von Papa? Hatte er nicht gerade gesagt, dass ich mutig sein soll und dass er bald kommen würde, um mich zu retten? Wieso konnte ich ihn hören?
»Papa, hilf mir – ich hab fürchterliche Angst! Hörst du mich?«. Doch niemand antwortete.
Ich konnte nicht ahnen, dass Papa gerade in diesem Moment mit meiner Mama aus dem Kaminzimmer gegangen war. So hatte er mein Flehen nicht mehr gehört. Ich schöpfte trotzdem neue Hoffnung. Meine Familie konnte also mit mir durch das Vamuraibuch Kontakt aufnehmen. Sie wussten es nur noch nicht. Irgendwann würde ich wieder bei meiner Familie sein. Papa würde mich bestimmt bald retten. Ich konnte in dieser Situation auch nicht verlangen, dass mein Papa mir jetzt half, denn Mama war kurz vor der Niederkunft und brauchte ihn. Es war schon schlimm genug, dass ich ihnen vor lauter Neugier solche Probleme machte. Ich musste mich eben selber durch dieses Schlamassel kämpfen – ich würde das schaffen!
Die Kraft der Gedanken machte mich etwas mutiger und ich kam mir dabei gleich ein bisschen älter und größer vor. Was sich aber dann gleich wieder ins Gegenteil umwandelte, als ich eine riesige Staubwolke auf mich zukommen sah. Ich spürte es in meinem Gesicht, als würde ein eisiger Wind auf mich zukommen. Ich begann innerlich zu frieren, machte vor lauter Schreck einen Satz zur Seite und erblickte einen Busch, der genau richtig war als Versteck. Kauernd legte ich mich hinter diesen und machte die Augen zu. Ich hoffte einfach, wenn ich niemanden sehen würde, dann würde man mich auch keiner sehen. Da kam wohl das Kind in mir wieder durch. So lag ich also ausgestreckt mit geschlossenen Augen am Boden und lauschte den herannahenden Geräuschen. Diese wurden immer lauter und plötzlich hörte ich ein ohrenbetäubendes Trampeln und wirre Schreie in meinen Ohren. Mein Kopf begann zu vibrieren und ich presste mich noch stärker gegen den Boden und versuchte so unsichtbar zu werden. Ich hoffte einfach, dass das Unheil dann an mir vorbeiziehen würde. Abrupt hörte das Trampeln neben meinem Busch auf. Tiere schnaubten laut und Gestalten redeten wild durcheinander.
Ich hob vorsichtig meinen Kopf etwas an, machte meine Augen einen kleinen Spalt auf und spähte blinzelnd durch den Busch. Meine Augen trafen auf ein anderes Augenpaar, das gerade den Busch auseinander geschoben hatte und mich anstarrte. Ich wollte mich wieder ducken, doch es war schon zu spät. Sie hatten mich entdeckt.
»Da ist er«, rief derjenige, der mich entdeckt hatte, »schnappt ihn euch!«
Plötzlich war ich von mehreren merkwürdigen Pferden mit seltsamen Köpfen umzingelt. Auf den Pferden saßen ganz eklige Kreaturen. Sie hatten eine Art Panzer um sich herum und stießen merkwürdige, unheimliche Geräusche aus. Noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte und etwas sagen konnte, fühlte ich plötzlich einen Schlag auf den Kopf und war bewusstlos. Ich wachte erst wieder in einem dunklen, modrigen Verlies auf. Mein Kopf brummte und der merkwürdige Gestank um mich herum machte mich erneut schläfrig. Irgendwie erinnerte mich dieser Geruch an den muffigen Keller im Vamuraischloss.
Ich fühlte mich noch ganz benommen, als mich plötzlich zwei der Kreaturen packten und in einen großen Saal schleppten. Dadurch wurde ich hellwach und schimpfte: »Hey ihr Rüpel. Lasst mich los. Was seid ihr nur für Grobiane. Und wie ihr eklig stinkt!« Ich rümpfte dabei angewidert meine Nase und verzog das Gesicht. »Halts Maul«, meinte da der eine, ließ mich brutal auf den Boden fallen. Dann hob er mich wieder auf und packte mich fest am Arm.
»Kannst selber laufen du komischer Vogel«, meinte der andere und packte mich am anderen Arm.
Ich spürte die brutalen Griffe der beiden und blickte schmerzerfüllt um mich. Stehend konnte ich mich jetzt etwas genauer umschauen. Der große Saal sah fast so aus, wie der Palast eines Königs, doch nicht prachtvoll, sondern grau und düster. Überall roch es modrig, als ob etwas verwesen würde. Es war ein unheimlicher Ort. Am anderen Ende des Saals waren Thronstühle, die sich mächtig aus dem Boden erhoben. Vor dem größten blieben die zwei Kreaturen stehen und warfen mich zu Boden. Als ich mich aufrappelte sah ich in ein Gesicht, das zwar Menschenähnlich aussah, aber durch und durch voller Warzen und gelben Eiterherden bedeckt war. So ein ekliger Kerl. Das musste der Herrscher der Zwischenwelt sein. Ich rümpfte von dem Gestank die Nase. So eklig hatte ich mir den Herrscher nicht vorgestellt. Auf den anderen Thronstuhl saß eine Frau mit Hakennase, wirrem Haar und Warzen im Gesicht. Das musste wohl die Frau des Herrschers sein, die wie eine Hexe aussah. Mein Blick wanderte zwischen die beiden. Ein kleiner zierlicher Stuhl, der irgendwie freundlicher und heller schien. Ich rieb mir die Augen, weil ich zuerst an eine Sinnestäuschung dachte. Doch dann sah ich in die wasserblauen sanften Augen eines wunderhübschen, blonden Mädchens. Sie sah aus wie eine kleine Elfe, eine richtige Prinzessin. Ich rieb mir erneut Augen, dabei dachte ich laut: »Wie kann denn so ein nettes Wesen nur in diese Zwischenwelt kommen?«
Dann wurde ich abrupt aus meinen Träumen gerissen. Das Mädchen schaute mich mit großen sanften Augen zugleich freundlich, aber auch skeptisch an. Mir stockte der Atem und ich zuckte heftig zusammen als mich der Herrscher erbost anfuhr: »Halt´s Maul du Nichtsnutz. Meine Tochter ist für dich tabu du Blutfresser. Was willst du hier? Du bist doch ein Vampir, oder? Ihr Vampire habt in dieser Welt nichts zu suchen. Vampire sind dazu verdammt, in der richtigen Welt zu leben. Als Strafe für dieses Eindringen wirst du mir für immer und ewig dienen müssen. Du wirst in dieser grausamen Welt dem ganzen Abschaum dienen müssen und dir noch wünschen, du hättest niemals den Wunsch gehabt diese Welt zu erkunden!«
Die laute feste Stimme des Herrschers hallte durch den ganzen Saal. Ich erschauderte erneut. Dieser Typ würde mir hier die Hölle heiß machen, soviel war klar. Er schien Vampire nicht besonders zu mögen. Aber dennoch überkam mich ein wohliges Gefühl. Ich ignorierte einfach den bösen Herrscher und schaute die ganze Zeit dieses bezaubernde Wesen an. Darüber wurde der Herrscher jetzt erst richtig sauer. Er lud eine Schimpfkanonade auf mich ab. Doch ich hörte sein Fluchen nicht mehr. Ich war wie verzaubert von diesem elfenhaften Wesen. Meine Gedanken waren ganz wo anders. Dieses Mädchen passte nicht in diese Welt. Wie war sie nur dorthin gekommen?
Ich spürte den verzückten Blick des Mädchens und senkte verlegen den Blick. Es lag Magie und Zauber in der Luft und ich vergaß die missliche Situation, in der ich mich befand. Als ich den Blick wieder schüchtern hob, bemerkte ich, dass auch das Mädchen vor sich hin träumte. Sie sah einfach zauberhaft aus und passte wirklich nicht hier her. Ich konnte ja nicht wissen, dass dieses Mädchen das einzige Wesen in der Zwischenwelt war, das hier nicht her gehörte. Als ihr Vater und ihre Mutter in diese Zwischenwelt verdammt wurden, war ihre Mutter bereits mit ihr schwanger. Dies war jedoch unbemerkt geblieben, ansonsten hätte ihre Mutter dort niemals mit ihr eindringen dürfen. Das war auch der Grund, warum dieser Familie der Zugang zur Hölle versperrt blieb und der Herrscher so die Möglichkeit hatte in dieser Zwischenwelt sein Reich aufzubauen. Das Mädchen war das einzige Wesen, das hier jemals geboren wurde und zugleich der einzig gute Mensch. Sie passte nicht in diese Welt. Doch sie hatte hier auch ihre eigene Welt, denn der liebe Gott hielt schützend die Hand über dieses unschuldige Mädchen. In ihrer Welt gab es eine traumhafte Wiese mit den schönsten Blumen die man sich vorstellen kann. Das Böse dieser Welt bemerkte dieses Mädchen nicht und alles sah freundlich aus, inklusive ihrer Eltern. Sie nahm den Rest der Zwischenwelt nicht wahr, der aus bösen Kreaturen, schlechten Menschen und Tieren bestand, die es nicht einmal verdient hatten in der Hölle, im Fegefeuer verbrannt zu werden. All diese Wesen würden erst alle Qualen in dieser Zwischenwelt erleben müssen, um dann in der Hölle Einlass zu finden. Doch die wenigsten schafften es aus dieser Zwischenwelt zu entkommen. Dies war nämlich nur möglich, wenn sie es schafften, in dieser Welt eine gute Tat zu vollbringen. Das jedoch vermochte der Herrscher fast immer zu verhindern. Nachdem hier jeder gegen jeden kämpfte und jeder nur auf sein eigenes Wohl bedacht war, war dies fast ein unmögliches Unterfangen. Und diejenigen die es dennoch versuchten, wurden vom Herrscher kaltblütig geköpft und wurden so zu seiner wartenden Armee.
»Du mieser kleiner Vampir, hör auf meine Tochter so anzustarren!«, fuhr mich der Herrscher an und riss mich so erneut aus meinen Träumen.
Der Herrscher war Realität und leise begann sich das Übel, das hier auf mich wartete, in mir auszubreiten. Ich musste versuchen gut Freund mit dem bösen Herrscher zu werden, damit ich ihn umstimmen konnte, mich wieder gehen zu lassen.
»Lieber Herrscher, ich komme als Freund, lassen Sie mich bitte wieder gehen! Es war nur ein Versehen, dass ich hier gelandet bin, es war dieses doofe Vamuraibuch. Ich kann doch nichts dafür und ich bin viel zu jung um hier zu bleiben!«
Der Herrscher schaute mich mürrisch an und schüttelte energisch seinen Kopf. »Nichts da mein Freund, du bleibst hier und wirst für mich arbeiten!«
Er blieb hart und unbarmherzig. War er doch froh um jede Hilfe für sein Vorhaben, da kam ich ihm gerade recht. »Du wirst es niemals schaffen, aus dieser Zwischenwelt wieder heil herauszukommen. Besser du gewöhnst dich gleich an diesen Gedanken«, meinte der Herrscher, sah mich dabei mit einem grimmigen Blick an und fing laut an zu lachen.
»Du wirst dir noch wünschen, du hättest diesen Wunsch hier her zukommen niemals ausgesprochen! Hö Hö!«
Doch plötzlich zuckte er innerlich zusammen und wirkte sehr nachdenklich. Ihm war eingefallen, dass es vor Jahren schon einmal einen Vampir gegeben hatte, der den Weg nach draußen wieder gefunden hatte. Sah ihm dieser Knabe nicht sogar etwas ähnlich? Dieser Vampir hatte ihm damals ganz schön die Hölle heiß gemacht. Er war froh gewesen, als er ihn wieder los wurde. Aber wer weiß, dieser junge Vampir konnte ihm vielleicht ganz nützlich sein. Er konnte ihm dabei helfen, seinen Plan die Welt zu erobern, ein bisschen schneller zu realisieren.
Mit hasserfüllten Augen durchbohrte er mich jetzt mit seinem Blick. Mir wurde es richtig übel, hatte Mühe beim Schlucken und bekam einen Klos im Hals. Der Herrscher stand plötzlich auf und kam auf mich zu. Erschrocken machte ich einen Satz zurück und stolperte dabei rücklings.
»Bleib sofort stehen du Nichtsnutz!«, brüllte er mich erneut an und stellte sich breitbeinig vor mich.
Ich lag wie eine hilflose Schildkröte auf dem Rücken vor ihm und starrte ihn ängstlich an. Diese ängstliche Haltung machte den Herrscher allerdings noch dominanter und wütender.
»Verdammter nichtsnutziger Vampir. Du wirst mir dienen und in die Kammer der Geköpften gehen und die abgetrennten Köpfe einsammeln. Dann wirst du diese auf die Pfähle in einem Feld deiner Wahl stecken!«, befahl er mir, packte mich am Genick und hob mich hoch. Dann zog er mich an sein ekliges stinkendes Gesicht heran. Ich konnte seinen üblen Atem riechen, musste würgen und verzog angewidert das Gesicht. »Damit wirst du die nächste Zeit beschäftigt sein«, grunzte der Herrscher laut und mit einem Blick auf seine Tochter gerichtet: »Lass ja die Pfoten von meiner Tochter, sonst wirst du es bereuen.« Dabei lachte er laut auf und sein Lachen ließ mich erneut erschaudern. Es klang einfach grausam.
Ich sollte also in eine Kammer gehen, in der die Köpfe herkommen, die ich auf den Pfählen auf den Feldern gesehen hatte. Woher kamen denn diese Köpfe? Vor lauter Angst verschlug es mir die Sprache. Ich wollte eigentlich den Herrscher danach fragen, brachte aber keinen Laut heraus.
»Was stehst du denn so dumm da, mach dich endlich auf die Socken, sonst gibt es kein Abendessen! Nur wer hier arbeitet bekommt etwas zu essen!«, grollte der Herrscher erneut und ließ mich los. Angewurzelt blieb ich vor ihm stehen.
Dann befahl er seinen beiden zwei Kreaturen mich abzuführen. Sie brachten mich in einen großen Saal, indem viele Köpfe lagerten.
»Wo bin ich hier? Woher kommen denn die ganzen Köpfe?«, fragte ich meine beiden Bewacher und blieb mit offenem Mund an der geöffneten Türe dieser Kammer stehen und starrte dort hinein. Ein riesiger Saal gefüllt mit lauter abgetrennten Köpfen, die auf etwas warteten und mich alle anstarrten.
»Halts Maul und fang an zu arbeiten, das wirst du schon noch mitbekommen, wie die Köpfe hier reinkommen«, rief die eine Kreatur und stieß mich in die Kammer hinein.
Der andere meinte grölend: »Wenn du nicht sofort anfängst zu arbeiten, landet dein Kopf auch hier in der Kammer, hä hä.«
Das war es also. Der Herrscher ließ den Leuten einfach die Köpfe abschlagen. Aber warum nur?
Doch das sollte ich erst viel später erfahren.
Eine ganze Armee von Köpfen, wie sollte ich das bloß schaffen? Doch es half alles nichts. Ich musste gehorchen. Es war furchtbar laut in dieser Kammer. Überall lagen die abgetrennten Köpfe herum und wimmerten. Ich hielt mir verzweifelt die Ohren zu.
»Seid doch endlich still!«
Die Köpfe redeten einfach weiter und beachteten mich nicht sonderlich. Erneut lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter und ich dachte kurz daran wieder umzukehren.
Plötzlich hatte auch ich Angst davor geköpft zu werden. Doch der Weg nach draußen war mir durch die Kreaturen versperrt und es half alles nichts. Ängstlich betrat ich den Saal und ging bedächtig an den Köpfen vorbei. Es war ein fürchterlicher Anblick. Ich hatte in meinem Leben schon einiges gesehen, aber dieser Anblick war einfach zu schrecklich. An den abgetrennten Köpfen klebte überall noch das Blut. Plötzlich ekelte es mich vor dem Blut. Sehr merkwürdig.
»Rette uns«, rief plötzlich einer der Köpfe. »Nur du kannst uns retten – befreie uns von unserem Fluch. Du kannst es wirklich, denn du bist kein Wesen dieser Zwischenwelt. Du bist freiwillig hier.«
Ich blieb abrupt stehen und schaute den Kopf ganz verdattert an.
»Woher willst du das wissen?«, fragte ich ihn neugierig, »du kannst das gar nicht wissen, ich bin doch erst ganz kurz hier. Woher weißt du, dass ich hier nicht hergehöre und dass ich freiwillig hier bin?«
»Ich weiß, dass du ein Vampir bist, weil ich die Verbindung mit dem Vamuraibuch hergestellt habe«, meinte der abgetrennte Kopf und fixierte mich nachdenklich von oben bis unten. »Ich war es, der das Buch dazu gebracht hat, dich in diese Zwischenwelt zu befördern. Ich wollte, dass du uns vor diesem grausamen Herrscher befreist. Der Herrscher weiß nicht, dass ich über das Vamuraibuch Kontakt zur Welt aufnehmen kann. Das darfst du ihm auch niemals sagen.«
Ich starrte den Kopf gebannt an und nickte. Dieser erzählte weiter, was er alles vom Herrscher der Zwischenwelt wusste. Ich staunte nicht schlecht, als er mir von dessen unglaublichen Taten und Plänen erzählte. »Diese Kreatur ist schuld daran, dass seit langem niemand mehr aus dieser Zwischenwelt in die Hölle konnte. Alle müssen zu seinen Untertanen werden und nicht einmal der Teufel hat eine Handhabe gegen ihn, da der Herrscher das Tor zur Hölle verschlossen hat. Jeder der versucht, sich dem Herrscher entgegenzustellen oder eine gute Tat zu vollbringen, wird von ihm geköpft und ist ihm dann ausgeliefert – keiner hat eine Chance gegen ihn. Der Herrscher wird immer mächtiger. Er versammelt eine dunkle Armee und vereint so die bösen Mächte. Irgendwann will er dann mit Hilfe seiner unschuldigen Tochter, zurück in die normale Welt um diese mit dem Bösen infizieren.«
Der Kopf schnaufte und verzog angewidert den Mund. Dabei zuckte ich innerlich zusammen und wieder lief ein eiskalter Schauer durch meinen Körper.
Der Kopf erzählte indessen ungebrochen weiter: »Nur durch die Hilfe seiner Tochter kann er dies erreichen. Doch das Mädchen weiß nichts davon. Sie glaubt an das Gute in ihrem Vater und sieht seine Grausamkeiten nicht. Wenn Sie größer ist, wird sie in der Lage sein, mit Hilfe des Vamuraibuches, das Tor zur Welt zu öffnen. Dann kann der Herrscher die Welt mit dem Bösen überschwemmen und die Macht auf der Erde übernehmen.«
Jetzt fröstelte es mich immer mehr, was ja ungewöhnlich ist bei einem Vampir. Aber in dieser Zwischenwelt war scheinbar alles möglich und vieles anders.
Der Kopf fuhr unbeirrt fort: »Der Herrscher tut sich dabei immer leichter, denn die Menschen auf der Erde werden immer egoistischer, rachsüchtiger und verlogener. Sie bekriegen sich im kleinen und im Großen. Die Menschen haben weder Respekt voreinander, noch vor anderen Lebewesen oder der Natur. Sie vergehen sich immer mehr an der Natur und zerstören diese. Der Herrscher wird auf der Welt ein leichtes Spiel haben, nachdem die Menschheit immer mehr verkommt.«
»Das kann doch gar nicht sein, das darf nicht sein. So schlimm ist meine Welt auch wieder nicht. Es gibt noch viele gute Menschen und die werden sich dagegen wehren. Das Gute wird das Böse auf Erden bekämpfen. Es kann nicht sein, dass der Herrscher meine Welt kaputt macht. Das darf nicht sein –ich muss das verhindern!«
Ich war jetzt sehr verzweifelt, doch dadurch wurde auch mein Kampfgeist geweckt. Ich musste mit all meiner Macht das Böse aufhalten und wollte jetzt alles ganz genau von diesem Kopf wissen. Fieberhaft überlegte ich, was ich dagegen machen könnte und wirre Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum.
Wie konnte der Herrscher durch das Vamuraibuch wieder auf die Welt zurückkommen? Was hatte das mit dem kleinen blonden Mädchen zu tun?
In Gedanken spielte ich bereits den Retter der Welt.
»Das wird möglich sein durch die Liebe seiner Tochter und ihren unzerstörbaren Glauben an das Gute«, erwiderte der Kopf, »wie du bestimmt schon ahnst, ist sie ist das einzige Wesen, das nicht in diese Zwischenwelt gehört. Sie ist ein freundliches, reines Wesen und sie könnte es schaffen, den blauen Tunnel für ihre Rückkehr in die Welt zu öffnen. Der Tunnel würde sich genauso öffnen, wie sich die Hölle für jeden öffnet, der in der Zwischenwelt eine gute Tat vollbringt.«
Der Kopf fokussierte mich noch intensiver, überlegte kurz und sagte dann folgende Worte mit Bedacht und auf eine sehr eindringlich Art und Weise: »Darum darfst du mich niemals auf ein Feld bringen, denn nur von dort aus besteht noch eine Chance für die Köpfe in die Hölle zu wandern. Doch der böse Herrscher hat das Tor zur Hölle versiegelt. Es kann keiner mehr durch und alle Köpfe sind in der Zwischenwelt gefangen. Es sind schon viele tausend und es werden täglich mehr. Bis der Herrscher seine Armee fertig hat und die Invasion auf der Erde beginnt.«
»Ich muss sie zerstören«, murmelte ich.
»Nein, das würde nichts bringen und du würdest den Hass des Herrschers auf dich ziehen. Wir müssen warten bis seine Tochter soweit ist. Nur mit ihr kannst du das Böse aufhalten.«
»Wie will der Herrscher seine Armee auf die Erde bringen?«, fragte ich den Kopf neugierig.
»Wenn der Tunnel zur Welt einmal auf ist, dann kann ihn jeder benutzen und seine Armee kann die Welt durch die fünf Kontinente erobern. Da die Tochter ihren Vater über alles liebt, wird sie nicht merken, dass durch sie allein der Tunnel in den jeweiligen Kontinent offen bleibt und so das Tor für die Armee öffnet. Wie alles genau von statten gehen soll, weiß ich leider noch nicht. Bis jetzt weiß auch seine Tochter noch nichts von ihrer Gabe, dazu muss sie erst noch älter werden. Außerdem muss der Herrscher auch noch warten bis seine Gefolgschaft groß genug ist.«
»Das ist ja schrecklich. Das müssen wir verhindern«, seufzte ich.
»Ja, aber das ist noch nicht alles. Dieser Mistkerl hat außerdem eine Möglichkeit gefunden, böse Menschen in der normalen Welt zu beeinflussen und sie noch böser zu machen. Ich weiß leider noch nicht wie er es macht, aber er kann sie dazu bringen Dinge zu tun, die so schlecht sind, dass sie irgendwann in diese Zwischenwelt gelangen. Danach verwandeln sie sich alle in diese Kreaturen.«
»Aber warum muss er diese Kreaturen dann überhaupt köpfen - was macht das für einen Sinn?«
Der Kopf überlegte kurz und rümpfte die Nase. »Das ist eine gute Frage, die ich dir aber leider nicht beantworten kann. Ich weiß nur, dass er mit dem ganzen Gefolge in die Welt zurückkehren will. Vielleicht geht das nur mit den Köpfen. Auf alle Fälle wird so der ganze Abschaum, den es jemals in der Welt gegeben hat, zurückkehren. Die Welt würde überschwemmt werden vom Bösen und Gewalt. Das wäre eine Katastrophe.« Der Kopf stöhnte leise auf. Er wirkte jetzt sehr deprimiert und hilflos.
»Sag mal - ich will dir ja nicht zu nahe treten - gehörst du nicht auch zum Abschaum der Welt, nachdem du hier bist? Hast du nicht auch Böses getan?«, fragte ich den Kopf schüchtern und fuhr zweifelnd fort, »warum willst du überhaupt die Welt retten? Was hast du für ein Interesse daran?«
Der Kopf senkte verlegen den Kopf.
»Ich bin noch nicht lange in dieser Zwischenwelt. Ich bereue alles was ich getan habe. Ich war nicht ich selbst, als ich diese grausamen Taten getan habe – ich war doch auch nur ein Vampir. Der Herrscher hatte mich beeinflusst und ich habe viele Menschen getötet. Aber ich bereue meine Taten. Sie wären nicht für mein Überleben notwendig gewesen. Ich hätte diese Menschen nicht gleich töten müssen«, seufzte der Kopf und fuhr fort, »meine Familie lebt noch auf der Welt und ich möchte einfach nicht, dass ihnen Böses angetan wird. Ich muss sie und die anderen retten!«
Der Kopf wirkte jetzt völlig verzweifelt und es war fast so, als würde er anfangen zu weinen.
Ich sah, dass es ihm sehr ernst war. Ich überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, dass es auf der Welt nur noch meine Vampir Familie gab. Doch ich wollte ihm nicht all seine Illusionen nehmen. Ich beschloss also alles, was in meiner Macht stand zu tun, um den Herrscher der Zwischenwelt aufzuhalten und die Welt zu retten.
»Was kann ich dabei tun, um ihn aufzuhalten? Ich will alles versuchen, aber ich weiß nicht wie ich das machen soll!«
Mein Gesicht versteinerte sich zu einer ernsthaften Miene. Auf die Schnelle fiel auch mir nichts ein.
Der Kopf zuckte leicht mit den Augenbrauen, doch dann erhellte sich sein Gesicht.
»Vielleicht können wir ihn dazu bringen seiner Tochter etwas Gutes zu tun. Dann müsste er vielleicht aus der Zwischenwelt verschwinden und das Tor zur Hölle wäre wieder offen. Dann könnten alle, die Gutes tun wollten, diese Welt wieder verlassen und Ruhe finden«, meinte der Kopf nachdenklich und fixierte mich, als hoffe er auf meine Zustimmung.
Doch ich blieb stumm.
Nachdenklich fuhr der Kopf deshalb mehr zu sich selber fort. »Na gut, das wird wahrscheinlich bei dem grausamen Herrscher nichts mehr bringen. Er hat schon zu viel verbrochen. Da wird auch eine gute Tat nicht ausreichen!«
Er überlegte kurz und forderte mich dann eindringlich auf: »Du musst auf alle Fälle versuchen meinen Kopf hier zu lassen. Nur dann können wir regelmäßig kommunizieren. Wenn ich erst mal auf einem Feld gelangt bin, wirst du mich nicht mehr wiederfinden.«
Ich nickte. Zwar hatte ich den letzten Satz nicht wirklich verstanden, doch ich gehorchte und sah mich in der Kammer nach einem geeigneten Versteck um. Ich fand einen Mauervorsprung, der mir sehr gefiel und dem Kopf der als Versteck dienen sollte. Vorsichtig nahm ich den Kopf in die Hand und stellte ihn dort ab.
»Ich werde jetzt erst mal verschwinden müssen, um die anderen Köpfe auf die Felder zu bringen«, meinte ich, »der Herrscher darf nicht misstrauisch werden. Ich werde dir vorsichtshalber noch einen Krug darüber stülpen, damit dich keiner entdeckt. Ich werde versuchen, bald wieder zu kommen. Vielleicht fällt dir bis dann ja eine Lösung ein«
Mit diesen Worten schnappte ich mir den nächstbesten Kopf und Pfahl und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Feld. Doch das war gar nicht so einfach. Kaum dachte ich ein leeres Feld entdeckt zu haben, verwandelte sich dieses Feld in ein Neues. Der Herrscher hatte vorgesorgt und hatte die Felder verhext. Damit keiner bestimmte Felder ausfindig machen konnte und bestimmte Köpfe suchen konnte, wechselten die Felder sich immer ab. In dieser Zwischenwelt war einfach alles möglich. Darum also hatte der Kopf gemeint, ich würde ihn sonst nicht wiederfinden. Es wurde mir plötzlich bewusst, dass ich es mit einem sehr ernst zu nehmenden Gegner zu tun hatte. Konnte ich ihn überhaupt ohne fremde Hilfe besiegen? Würde mir das Mädchen dabei helfen?
»Ich muss möglichst bald mit ihr reden«, grummelte ich, dabei blickte ich mich um und sah, dass meine Bewacher mich nicht aus den Augen ließen. Keine Chance mich zu verdrücken. Ich musste sehr vorsichtig sein, damit sich meine Bewacher auf der sicheren Seite fühlten. Erst wenn sie mir vertrauten, würden sie nachlässiger werden. So brachte ich immer wieder neue Köpfe auf die Felder und arbeitete unermüdlich weiter. Doch es schien nicht aufzuhören, die Köpfe wurden irgendwie nicht weniger. Es war eine sehr anstrengende Arbeit und viele der Köpfe schrien so laut, dass mir bald die Ohren dröhnten. Und tatsächlich wurden die Köpfe im Raum wirklich nicht weniger. Kaum hatte ich einen Kopf auf ein Feld gebracht, war ein neuer Kopf in der Kammer. Es war zum Verzweifeln. Ich hatte bald das Gefühl wahnsinnig zu werden. Da fiel mir ein, dass ich noch ein Papiertaschentuch einstecken hatte. Ich teilte es und steckte mir die Tücher in die Ohren. Jetzt wurde es erträglicher und ich konnte besser denken. Ich arbeitete weiter bis zum Umfallen und brachte immer mehr Köpfe auf die Felder. Es schien so, als würden die Köpfe sich immer mehr vermehren, je schneller ich arbeitete.
Wieso wurde dieser verfluchte Raum eigentlich nicht leer? Wie konnten die Köpfe in dem Raum immer wieder nachwachsen? Wie schaffte es der Herrscher nur, die Menschen so schlecht zu machen, dass immer wieder neue Köpfe nach kamen?
Fragen über Fragen. Auch keiner der Köpfe konnte mir diese Fragen beantworten. Nur eines fand ich heraus. Jeder dieser Köpfe war ein Gegner des Herrschers gewesen und jeder von ihnen, hatte versucht in die Hölle zu gelangen und hatte sich ihm entgegengestellt.
»Der Herrscher muss ganz schön viele Gegner in der Zwischenwelt haben«, murmelte ich und wischte mir den Schweiß vom Gesicht, »ist diesem Mistkerl denn keiner gewachsen?«
Ich schaute kurz nach dem Kopf, der immer noch unter dem Krug versteckt war.
»Sag mal Kopf, kann es sein, dass die Menschen die der Herrscher auf so heimtückische Weise in die Zwischenwelt gelotst hat, dann doch noch zur Besinnung kommen und versuchen gegen das Böse anzukämpfen? Vielleicht wehren sie sich ja.«
Der Kopf hatte gerade ein Nickerchen gemacht und blickte mich mit großen fragenden Augen an. »Mm, das könnte natürlich sein. Es ist nicht ganz auszuschließen«, meinte er nachdenklich und räusperte sich, »du könntest damit tatsächlich Recht haben.«
Beide wusste wir ja nicht, dass es tatsächlich so war und dass je schneller ich arbeitete, umso mehr Köpfe dem Herrscher ausgeliefert waren. Ich selber war unbewusst zum Hilfsmittel des Herrschers geworden. Durch die Tat eines »Guten« konnten die Köpfe noch schneller mehr werden. Immer wenn ein Kopf die Kammer verließ, konnte ein neuer dazukommen. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich langsamer gearbeitet. Der Herrscher hatte genau gewusst, dass ich ihn seiner Sache schnell näher bringen würde. Diese Arbeit konnte nur ein Wesen aus der normalen Welt für ihn erledigen. Aber das Problem löste sich wie von selbst, weil ich durch die viele Arbeit schneller müde wurde. Ich schlief einfach in der Kammer der Geköpften ein, ohne vorher noch etwas zu essen. So erschöpft war ich von meinem ersten Arbeitstag gewesen. Ich hatte ja auch wirklich viel erlebt. Zu viel für einen jungen Vampir. So vergingen die Tage und ich hatte keine Zeit mehr über meine Flucht nachzudenken. Ich war in seinen Bann geraten und arbeitete bis zum Umfallen. Nur einmal als ich gerade dabei war einen Kopf auf ein Feld zu bringen, kam mir die Flucht in den Sinn. Ich fand die wunderschöne Wiese von der Tochter des Herrschers. Es gab in dieser verfluchten Welt tatsächlich eine schöne Wiese mit Blumen und einem kleinen Weiher. Hier war die Welt des kleinen Mädchens. Wie diese schöne Wiese in dieser grausamen Welt überhaupt entstehen konnte, war mir ein Rätsel. Doch auch hier hatten wohl irgendwelche Mächte ihr Spiel. Ein so reines Wesen in einer so schlechten Welt, musste einfach eine so schöne Wiese besitzen. Niemanden von den Kreaturen, auch nicht dem Herrscher und seiner Frau, war es vergönnt, diese Wiese zu betreten. Sie konnten sie nicht einmal sehen. Das konnten nur das kleine Mädchen und ich. Warum ich es konnte? Vermutlich weil ich zwar ein Vampir, aber trotzdem ein reines Wesen war. Ich hatte mir noch nie wirklich etwas zu Schulden kommen lassen. Darum konnte auch ich diese Wiese sehen. Wann immer es mir möglich war, ruhte ich mich deshalb auf dieser Wiese aus. Ich lag auch an diesem Tag in der Wiese und verschnaufte ein bisschen, als plötzlich die Tochter des Herrschers vor mir stand.
»Hallo du«, meinte sie, »was machst du auf meiner Wiese? Ich dachte immer diese Wiese würde nur in meiner Einbildung bestehen, weil nur ich sie sehen kann.«
»Hallo, ich bin Maximus. Du träumst nicht, auch ich kann diese Wiese sehen. Es ist ein wunderschöner Ort – so ganz anders als der Rest der Zwischenwelt. Ich war schon öfters hier, wenn ich mich von der anstrengenden Arbeit erholen wollte und habe dich gesucht. Aber du warst nie da.«
»Meine Eltern wissen nichts von meiner Wiese. Das ist mein Geheimnis. Ich glaubte immer, dass nur ich diese Wiese betreten darf. Freut mich, dich endlich kennen zu lernen. Ich heiße Chania.«
Eine leichte Röte durchlief ihr Gesicht.
Ich räusperte mich: »Mhm, ein schöner Name. Du verrätst mich auch nicht? Wenn du das deinem Vater erzählst, dann sperrt er mich bestimmt in ein dunkles Verlies ein.«
»Nein, Maximus ich werde dich nicht verraten. Das würde mein Vater außerdem nie tun. Ich bin froh, hier in dieser Welt endlich einen Freund gefunden zu haben. Du willst doch mein Freund sein?«
In ihrer Stimme klang eine leise Verzweiflung und Hoffnung. Zögerlich reichte sie mir ihre zarte Hand, die leicht schwitzte. Auch ich war sehr aufgeregt, als ich Chania meine Hand reichte.
»Natürlich will ich dein Freund sein.«
Wir betrachteten uns eine Weile schweigend. Keiner verlor ein Wort. Doch wir verstanden uns auch ohne große Worte. Eine tiefe Verbundenheit und gegenseitiges Vertrauen machte sich im Nu breit. Dann durchbrach lautes Getrampel die schöne Stimmung und tiefe Stimmen durchdrangen den Schutzschild der Wiese. »Wo ist denn dieser Mistkerl eigentlich, dieser faule Nichtsnutz!«
Chania erschrak. »Meinen die dich?«
»Ich glaube ja, ich muss leider gehen, sie suchen nach mir«, erwiderte ich traurig und verließ schnellen Schrittes die Wiese. Ich trat unschuldig vor sie, als ob ich gerade von einem Feld käme.
»Da ist er ja«, rief eine der Kreaturen.
Ein anderer schnappte mich und packte mich an der Jacke. »Denk nur nicht du könntest hier treiben was du willst. Du bist hier zum Arbeiten.«
»Ich arbeite doch, ich habe mich nur etwas verlaufen. Bringt ihr mich zum Schloss?«
»Du elender Nichtsnutz«, rief die andere Kreatur, »mach dich sofort wieder an die Arbeit. Du kannst doch alleine zum Schloss laufen, es ist doch da vorne! Verschwinde endlich!« Er ließ mich abrupt los und stieß mich dabei in Richtung des Schlosses.
Während ich mich in der Zwischenwelt behaupten musste, waren meine Eltern mit den Vorbereitungen für das Vampirbaby beschäftigt. Das Kinderzimmer war bereits eingerichtet, allerdings zunächst unten in der Gruft, denn die Spezialcreme konnten sie bei dem Baby noch nicht anwenden. Sie mussten vor allem aufpassen, dass das Baby nicht tagsüber geboren wurde. Das hieß, dass Gräfin Vamus das Schloss nicht mehr verlassen durfte. So musste sich die Gräfin wohl oder übel häuslich in der Gruft einrichten. Das tat sie natürlich auf ihre Art und Weise und so wurde selbst dieser schreckliche Ort noch gemütlich. Graf Vamus erkannte die Gruft nicht wieder, als er eines Abends nach Hause kam. »Du schaffst es selbst aus diesem Ort einen gemütlichen Platz zu machen. Jetzt kann unser Baby kommen. Morgen ist Vollmondnacht. Da müsste das Vampirbaby auf die Welt kommen«, meinte Graf Vamus, streichelte dabei seiner Frau sanft den Babybauch und fuhr fort: »Morgen ist die Nacht der Nächte. Das Vamuraibuch hat mir gesagt, dass für einen kurzen Augenblick die Zwischenwelt aus allen Fugen geraten wird.«
»Wie meinst du das?«, fragte Gräfin Vamus erstaunt und ängstlich zugleich. »Hast du etwa das Buch gefragt? Was passiert in diesen Minuten?«
»Für einen kurzen Augenblick wird sich das Loch auftun. Vielleicht schafft es unser Junge dann zu entfliehen. Ich muss es ihm sofort mitteilen.«
Das Vamuraibuch hatte dem Grafen auch mitgeteilt, dass er zu seinem Jungen durch das Buch Kontakt aufnehmen könne. Deshalb ging er erneut in das Kaminzimmer und blieb skeptisch vor dem Vamuraibuch stehen. Er überlegte kurz, ob er es wirklich wagen sollte und begann dann mit dem Buch zu sprechen.
»Kannst du mir helfen?«, fragte er zögerlich, »wie kann ich mit meinem Jungen Kontakt aufnehmen und ihm meine Worte mitteilen. Ich muss ihm unbedingt Bescheid geben, dass sich bei der Geburt des Babys das Zeitfenster kurz öffnet.«
Graf Vamus war ganz aufgebracht und nervös. Er konnte die Antwort des Buches kaum abwarten. Doch das Vamuraibuch musste nicht lange überlegen und es fing an Worte zu schreiben.
»Sprich deine Worte – ich schreibe sie auf. So wird es gelingen, das Maximus sie hört.«