Mehr Demokratie wagen - Hartmut Gabler - E-Book

Mehr Demokratie wagen E-Book

Hartmut Gabler

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Beschreibung

Seit meiner Jugend interessiere ich mich für gesellschaftspolitische Fragen. Nach meinem Ausscheiden aus meiner beruflichen Tätigkeit konnte ich mich diesen Fragen intensiver widmen. Als Corona im Jahr 2020 begann und die Gesellschaft erschütterte, stellte ich fest, dass dadurch die Schwächen unserer Demokratie sichtbar wurden. Aufgrund des Erstarkens der AfD, internationaler Entwicklungen und des Kriegs Russlands gegen die Ukraine wurde immer deutlicher, dass die Gefahren für die Demokratie zunahmen und damit die Notwendigkeit, sich gegen diese Gefahren zu wehren. So entstand dieser Text.

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Ich bin 1940 in Stuttgart geboren. Nach dem Studium an der Sporthochschule Köln und an den Psychologischen Instituten in Köln und Tübingen war ich von 1966 bis 1977 als Assistent und Akademischer Rat und von 1977 bis 2005 am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen als Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sportpsychologie tätig.

Inhalt

Einleitung

1. Internationale Entwicklung

2. Die Basis der Demokratie in Deutschland

Legislative

Exekutive

Judikative

Föderalismus

3. Kommunikation und Medien

Klassische Kommunikation und Medien

Soziale Medien

4. Corona als sichtbares Symptom der Schwächen der Demokratie

Die Entwicklung der Pandemie

Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie

Empfehlungen der Wissenschaft und Entscheidungen der Politik

Kommunikation

Auswirkungen und Konsequenzen

5. Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile

6. Die Wirtschaft

Der Kapitalismus

Die Soziale Marktwirtschaft

Die liberale Marktwirtschaft

Markt versus Staat

Privatisierung

7. Soziale Gerechtigkeit

Einkommen und Vermögen

Rente

Steuern

Armut

Wohnen

Gleichberechtigung

8. Pluralistische Gesellschaft

Identität

Migration

Der Islam

Rechtspopulismus

Extremismus

9. Globalisierung

Die Globalisierung der Wirtschaft und der Finanzen

Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben

Digitalisierung

10. Zusammenfassung

11. Individuelle Freiheit versus soziale Verantwortung

Freiheit und Pflicht

Soziale Verantwortung, Verzicht, Solidarität

Soziales Engagement

12. Ausblick

Einleitung

Als sich im März 2020 ein bis dahin unbekanntes Virus blitzschnell und weltweit ausbreitete, stellte sich u.a. die Frage, wie die einzelnen Staaten mit dieser bedrohlichen Pandemie umgehen. Dies betrifft im Besonderen die Frage, ob sich autoritäre und demokratische Staaten darin unterschieden, wie erfolgreich sie die Pandemie bekämpften, da schnelle Entscheidungen notwendig waren. Bald stellte sich heraus, dass sich die Pandemie auf alle Bereiche der verschiedenen Staaten auswirkte. Unabhängig davon, ob autoritäre Staaten Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie schneller und erfolgreicher treffen können, wurden in Deutschland symptomatisch die Schwächen der Demokratie deutlich. Gleichzeitig wurde sichtbar, dass die Demokratie in Deutschland in zunehmendem Maße von außen und von innen bedroht wird. Dies führte dazu, dass ich mich auch nach dem Auslaufen der Pandemie mit dem Thema beschäftigte.

Hinzu kommt, dass ich 1956 als Jugendlicher den Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais sehen konnte. Er gibt Zeugnis über den Holocaust und das Morden in den Konzentrationslagern.

Resnais verwandte filmische Dokumente der Alliierten von der Befreiung von Auschwitz im Januar 1945. Man konnte noch Leichenberge von nackten Menschen sehen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 3. Mai 1957, man habe beschlossen, den Film Jugendlichen nicht zu zeigen, weil man ihnen dies nicht zumuten könne.

Der Film war die Grundlage dafür, dass ich mich danach immer wieder mit der Frage beschäftigte, wie es zu dieser Diktatur kommen konnte, aber auch, wie sich die Demokratie in der Nachkriegszeit entwickeln konnte und insbesondere, wie sie heute bewahrt werden kann. Die Beschäftigung mit „Mehr Demokratie wagen…“ habe ich im März 2024 abgeschlossen, d.h., dass sich die zeitlichen Bezüge bis zu diesem Zeitpunkt erstrecken.

Ich werde das sog. Gendern nicht anwenden, obwohl ich der Meinung bin, dass die Gleichberechtigung auch in der Sprache zum Ausdruck kommen sollte. Denn es fällt mir schwer, die verschiedenen Möglichkeiten der Zeichensetzung anzuwenden, da dadurch die Lesbarkeit leidet. Dabei lehne ich mich an den Rechtschreibrat an, der sich mit dem Gebrauch der deutschen Rechtschreibung befasst. Er empfiehlt, das Gendern nicht zu benutzen.

Die Demokratie (altgriechisch Volksherrschaft) ist grundsätzlich eine Staats- und Gesellschaftsform, in der die Staatsgewalt und die auf unterschiedlichen Ebenen agierenden Regierungen und Parlamente per Wahlen und Abstimmungen vom Volk ausgehen. Willy Brandt formulierte in seiner Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 u.a.: „Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, dass nicht nur durch Anhörung im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken“. Nach Brandt stand demnach die Mitverantwortung der Bürger, also ihr demokratisches Engagement im Rahmen seiner angestrebten Reformen im Übergang von den 60er zu den 70er Jahren, im Vordergrund.

Corona als sichtbares Symptom der Schwächen der Demokratie in Deutschland und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, sich gegen zunehmende Gefahren für die Demokratie haben mich veranlasst, mich mit diesen Gefahren zu beschäftigen. Die Corona-Politik ist bis heute nicht aufgearbeitet worden, obwohl dies immer wieder von einzelnen Bundestagsabgeordneten gefordert wurde.

Als sich die Corona-Pandemie im März 2020 weltweit entwickelte und Ende März in Deutschland der erste Lockdown beschlossen wurde, konnte man einerseits zunächst mit Erstaunen feststellen, welch große Bedeutung das Thema Kommunikation im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Pandemie bekam. Politiker, Wissenschaftler und Journalisten stritten um neue Erkenntnisse über das bisher unbekannte Virus und um die Richtigkeit der Maßnahmen, die mehr oder weniger existenziell alle betrafen. Andererseits konnte man aber auch feststellen, dass dem Anliegen von Brandt nach klarer und gemeinsamer Unterrichtung der Bevölkerung sowie nach Mitverantwortung der Bürger nur mangelhaft entsprochen wurde.

Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Demokratie in Deutschland durch ihr politisches System und durch die mit ihr verbundenen Grundwerte geprägt. Die Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus führten nach Kriegsende dazu, dass das liberal-demokratische System als Rechts- und Sozialstaat und seine Werte (wie Meinungs- und Pressefreiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit u.a.) besonders stark ausgeprägt sind.

Die internationale und nationale Entwicklung in den letzten Jahren hat gezeigt, dass diese Basis der deutschen Demokratie ins Wanken geraten und in erheblicher Weise gefährdet ist. Dazu beigetragen haben sowohl (von außen) geopolitische und europäische als auch (von innen) nationale Entwicklungen.

Von außen. China und Russland bekämpfen das liberal-demokratische System des Westens. Der „Trumpismus“ in den USA und die Republikaner verachten Werte wie Gleichheit, Schutz der Minderheiten und soziale Gerechtigkeit.

In Europa nehmen populistische und nationalistische Entwicklungen zu. So wird vor allem die Unabhängigkeit der Legislative und der Judikative bedroht.

Von innen. In Deutschland wirken sich die internationalen Entwicklungen in dreierlei Hinsicht aus. Deutschland ist keine Insel im Rahmen der Globalisierung. Die enge Vernetzung mit anderen Staaten auf der ganzen Welt beeinflusst auch die nationale Entwicklung in starkem Maße. Besonders der Krieg in der Ukraine hat extreme Auswirkungen auf viele Bereiche der Gesellschaft.

Die deutsche Gesellschaft hat sich zu einer pluralistischen Gesellschaft entwickelt. Die Menschen kommen aus unterschiedlichen Kulturen mit entsprechenden Werten.

Im Laufe der letzten Jahre ist der Anteil der Bevölkerung, der eine rechtsextreme Ideologie vertritt, immer größer geworden. Rechtsextreme Gruppen lehnen die demokratischen Pfeiler wie Menschenrechte, Gleichheit, Verbot der Diskriminierung und Schutz von Minderheiten ab. So werden vom Verfassungsschutz einzelne Landesverbände der AfD als Prüffall und die Jugendorganisation der AfD als Verdachtsfall eingestuft. Diese Ideologie ist mit dem politischen System und den Werten der liberalen Demokratie in Deutschland nicht vereinbar.

Die Gefahren von innen stellen schleichende Entwicklungen dar. Die Bevölkerung wird aufgrund von zunehmenden inneren Problemen (die Kluft zwischen Arm und Reich, die Wohnungsprobleme, die Migrationsprobleme u.a.) immer unzufriedener. Im Jahr 2023 stimmten 54 Prozent der von der Körperstiftung Befragten der Aussage zu, ihr Vertrauen in die Demokratie würde nachlassen.

Es ist nicht klar, ob das Modell der Demokratie als repräsentative Demokratie und als Rechtsstaat mit seinen vielfältigen individuellen Freiheiten angesichts der weltweiten Probleme (Folgen des Klimawandels, wirtschaftliche Abhängigkeit, Kriegsgefahren u.a.) im Vergleich zu den autoritären Staaten überlegen ist. So ist die chinesische Führung der Auffassung, das chinesische autokratische Modell sei auf die Dauer dem demokratischen Modell überlegen.

„Sich wehren gegen zunehmende Gefahren für die Demokratie“ ist mit der Frage verbunden, welche einzelnen Entwicklungen die Stabilität unserer Demokratie gefährden und welche Lösungen sich anbieten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

verpflichtet den Staat, sich als „wehrhafte“ Demokratie gegen die Gegner der Demokratie zu wehren. Sich gegen zunehmende Gefahren zu wehren, betrifft vor allem drei Fragen:

Wie kann man den Gefahren für die Demokratie begegnen, die sich aus den Grundwerten der Demokratie wie Schutz der Menschenwürde und Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit und Solidarität sowie Verbot der Diskriminierung und Schutz der Minderheiten ergeben?

Wie kann man den Gefahren für die Demokratie begegnen, die sich aus dem Anspruch Deutschlands, ein Sozialstaat zu sein, ableiten? In ihm stehen soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt im Vordergrund. Und schließlich: Was können wir selbst als Bürger dazu beitragen, um diesen Gefahren zu begegnen, welche soziale Verantwortung haben wir?

Bei der Beantwortung dieser Fragen geht es mir weniger darum, praktikable Lösungen zu finden, sondern mehr darum, die vielfältigen Themen, die mit diesen Fragen verbunden sind, zu analysieren. Diese Analyse soll lediglich die Basis für Lösungen darzustellen.

Auf der Grundlage dieser gesamten Perspektive ergibt sich der Aufbau dieser Arbeit. Zuerst wird die formale Basis der Demokratie in Deutschland dargestellt. Sie funktioniert durch Form und Inhalt der Wirtschaft sowie durch die Merkmale des Sozialstaats. Und sie wird in starkem Maße durch die Einflüsse des Pluralismus und der Globalisierung bestimmt.

1. Internationale Entwicklung

Deutschland ist keine Insel im globalen Ozean, sondern eingebettet in internationale Entwicklungen. Diese sind durch einen weltweit zunehmenden nationalistischen Rechtsruck und durch eine Abnahme der Zahl der Demokratien gekennzeichnet. Im folgenden geht es deshalb um die Frage, welche internationalen Entwicklungen von außen gegeben sind, die (vor allem im Vergleich zu anderen Ländern) die noch gegebene Stabilität in Deutschland gefährden. Wir leben seit der Nachkriegszeit in einer Demokratie als sei dies selbstverständlich. Laut einer repräsentativen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die alle zwei Jahre demokratiegefährdende Einstellungen untersucht, hat inzwischen jede zwölfte Person in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild. So wählte z.B. (auch wenn dies nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betrifft) die große Mehrheit der Türken, die in Deutschland leben, bei der Wahl des Präsidenten der Türkei im Jahre 2023 den Amtsinhaber Erdogan. Zum großen Teil wuchsen sie in einer Gesellschaft auf, in der Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit gegeben sind und wählten doch ein Staatsoberhaupt, das das Gegenteil vertritt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm die Zahl der Demokratien zunächst deutlich zu. Die USA waren die dominierende Nation. Und die westlichen Werte wurden weltweit propagiert. Im Zuge der Globalisierung veränderte sich jedoch die geopolitische Lage. Insbesondere China gewann an Bedeutung. Aufgrund der geopolitischen Veränderungen sank die Zahl der demokratisch regierten Länder. Inzwischen lebt nur noch 20 Prozent der Weltbevölkerung in ihnen. Allerdings kann in der Realität nicht streng zwischen autokratischen und demokratischen Staaten unterschieden werden. So gibt es auch scheindemokratische Staaten, in denen es zwar ein Wahlrecht gibt, jedoch keine Wahlfreiheit im engen Sinne und keine Gewaltenteilung. Die Grenzen sind fließend.

Europa. Dass Demokratien selbst in Europa nicht stabil sind, zeigt sich besonders an den antiliberalen Staaten Türkei und Ungarn. Sie entwickeln sich immer mehr zu autoritären und nationalistischen Staaten.

In der Türkei nimmt die Dominanz der Partei von Erdogan (AKP) zu, indem sie zentrale Bereiche des politischen Systems vereinnahmt.

Die EU wirft Ungarn unter Orban Einschränkungen der Justiz, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Rechte von Minderheiten, z.B. von Schwulen und Lesben, vor. So hat das Europaparlament im September 2022 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Ungarn keine vollwertige Demokratie mehr ist. Ungarn sei eine „Wahlautokratie“.

Polen mit der Partei PiS unter Kaczinski schränkte durch eine Justizreform die Rechtsstaatlichkeit ein. Nach der Parlamentswahl 2023 wurde sie zwar nur zweitstärkste Partei, versucht jedoch trotzdem, ihre antiliberale Ideologie gegen die Bestrebungen der neuen Regierung massiv zu verteidigen.

Besorgniserregend sind auch antiliberale Bewegungen in Frankreich, Italien, in den Niederlanden, Slowakei und in Serbien, aber auch in den skandinavischen Ländern Dänemark, Finnland und Schweden. Bei der französischen Präsidentschaftswahl im April 2022 errang die rechtsgerichtete Kandidatin Marine Le Pen 42% der Stimmen. In Italien werden immer wieder Regierungen durch rechtsgerichtete Politiker wie Berlusconi und Salvini gestürzt. 2022 kam die ebenfalls rechtsgerichtete Georgia Meloni mit faschistischem Hintergrund an die Macht. In Schweden hat bei der Parlamentswahl am 11. September 2022 das populistische und rechtsgerichtete Parteienbündnis die Wahl gewonnen. In den Niederlanden erhielt im November 2023 der Nationalist und Fremdenfeind Geert Wilders die meisten Stimmen. Er gewann vor allem aufgrund folgender Versprechen: Er werde die Zahl der Asylsuchenden „sofort auf Null“ begrenzen, die Klimapolitik abschaffen und aus der EU austreten. Wie er seine Ziele umsetzen will, sagte er nicht. Ebenfalls im November 2023 gewann in der Slowakei der linksgerichtete prorussische Populist Robert Fico die Parlamentswahl. Im Dezember 2023 gewann der nationalistische und korrupte Präsident Vucic (Serbien) erneut die Präsidentschaftswahl.

Die bisherige Kennzeichnung von Parteien, die als rechts, links oder in der Mitte verortet wurden, ist überholt. Rechtsgerichtete und populistische Parteien in Europa setzen auf mehr Nationalstaat und weniger auf die EU sowie auf einen Abbau des Parlamentarismus. Sie wenden sich gegen die Asylpolitik und befürworten eine eigene ethnische Identität, das heißt, sie möchten bestimmen, wer zum Volk gehört. Diese Tendenz zur Verbreitung des Nationalismus wird auch dadurch verstärkt, dass sich fast alle westlichen Demokratien diverser und multiethnischer entwickeln.

Israel. Israel ist der einzige jüdische und als demokratisch bezeichneter Staat. Er war bisher der Zufluchtsort, in dem sich Juden sicher fühlten. Seit 2022 ist Netanjahu Ministerpräsident (wie schon fünfmal zuvor). Er koaliert mit rechtsextremen Parteien. Das Land ist gespalten zwischen den Rechten und Ultraorthodoxen auf der einen Seite und den Säkularen auf der anderen Seite. Die Säkularen wehrten sich vor dem Krieg der Hamas gegen Israel im Rahmen von Massendemonstrationen gegen die geplante Justizreform der ultranationalen Regierung und den Abbau der Demokratie.

Mit der Justizreform würde der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit als ein zentraler Grundpfeiler der Demokratie verletzt, da das Drei-Gewalten-Prinzip aufgelöst wäre. Dies bedeutet, dass die Macht des Obersten Gerichtshofs zugunsten der Regierung und des Parlaments massiv eingeschränkt wäre.

Die Demokratie ist in Israel auch deshalb gefährdet, weil es verschiedene Gruppen in der Gesellschaft gibt, die die Heterogenität der israelischen Gesellschaft ausmachen. Dadurch ist der Zusammenhalt nur schwach ausgeprägt ist: die liberalen Säkularen, die Religiösen, die Orthodoxen und Ultraorthodoxen, die Zionisten und die Siedler sowie schließlich die palästinensischen Israelis. Die Zugehörigkeit einzelner Gruppen überlappt sich mit anderen Gruppen.

Insbesondere die Ultraorthodoxen richten sich eher an den Worten der Rabbiner aus als an den Mehrheitsentscheidungen des Parlaments. Im Januar 2023 erhielten die in der Koalition vertretenen Religiösen und Siedler trotz steigender Kriegskosten einen erheblichen Teil im Staatshaushalt - ein erschreckendes Zeichen für die mangelnde Solidarität einzelner Gruppen, vor allem im Blick auf die angestrebte Vernichtung der Hamas durch aller Gruppen.

In Israel gelten für die Palästinenser nicht die gleichen Rechte wie den Juden, was gegen das Prinzip der Gleichheit in einer Demokratie verstößt.

Die seit der UN-Resolution von 1947 bestehenden Konflikte und Kriege zwischen den arabischen Staaten und Israel hängen vor allem mit der Frage zusammen, wem das Land gehört und wer deshalb auf dem Territorium wo leben darf. Die Hamas will Israel auslöschen. Zionistische Gruppen wollen dagegen einen einzigen Staat, in dem nur Juden leben. Zum Hintergrund dieser Frage gehören tiefsitzende religiöse Überzeugungen sowohl auf der arabischen als auch auf der israelischen Seite (insbesondere der Zionisten und ultraorthodoxen Israelis). Sie entzünden sich vor allem am Status von Jerusalem. Auch der illegale Siedlungsbau im palästinensischen Westjordanland befeuert den Konflikt. Im März 2024 kündigte die israelische Regierung an, eine große Fläche im Westjordanland, über 800 Hektar Land in den palästinensischen Gebieten, als israelisches Staatsland zu konfiszieren. Nach Zählung der Organisation Peace Now hat sich die Zahl der jüdischen Siedler von 1993 bis heute auf 695.000 fast verdreifacht. Im Februar 2024 genehmigte die Regierung den Bau von 7.000 neuen Wohnungen.

Argentinien, Brasilien und Indien. Entwicklungen in einzelnen Ländern im Sinne von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit breiten sich weltweit aus. So entwickelte sich Brasilien durch Bolsonaro (bis zu seiner Abwahl 2022) und aktuell Indien durch Modi in zunehmendem Maße zu autoritär regierten Staaten. Im November 2023 gewann der Rechtspopulist Xavier Milei die Wahl zum Präsidenten Argentiniens – ein politisch völlig unerfahrener Politiker mit dem Wahlmotto „Alles anders“, gewählt durch zum Teil wütende Bürger, die von der bisherigen Politik enttäuscht waren. Er bezeichnet sich selbst als „Anarchokapitalist“ und als „libertärer Populist“.

Afrika. Nachdem sich aufgrund demokratischer Bewegungen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Demokratien einwickelten, gibt es inzwischen nur noch wenige Staaten, die als liberale Demokratien gelten können. In manchen Staaten gibt es zwar freie Wahlen, die Gewaltenteilung ist jedoch eingeschränkt. Dadurch haben die Präsidenten eine große Macht und halten sich über eine lange Regierungszeit. Die meisten afrikanischen Staaten sind Diktaturen. Da die Zahl der Militärputsche zunimmt, erhöht sich die Zahl der Diktaturen.

Iran. Der Iran wird diktatorisch regiert und ist seit der Islamistischen Revolution ein besonders strenger islamischer Staat, in dem die Religion das soziale Leben bestimmt. Der Iran fördert vor allem finanziell extremistische Kräfte im Ausland, als Feinde des Westens. Neben der Hamas im Gaza sind dies Terroristen im Libanon, in Syrien, im Irak und im Jemen. Ziel ist der „schiitische Halbmond“, ein Verbund der Länder im Nahen Osten, deren Bevölkerung vorwiegend schiitisch ist.

Russland. Putin ist seit 1999 an der Macht. In dieser Zeit baute er den Staat von einem pseudodemokratischen in einen diktatorischen und zunehmend imperialistischen Staat um. Das Volk wird unterdrückt, Nichtregierungsorganisationen werden verboten, Gegner des Regimes werden getötet, und die Medien werden gleichgeschaltet. Das gesamte System wird vom Geheimdienst kontrolliert. Der Krieg gegen die Ukraine macht deutlich, wie er seine imperialen Ziele ohne Rücksicht auf die Bevölkerung umzusetzen versucht. Dementsprechend rüstet er immer mehr auf. Die Kriegswirtschaft hat entsprechende Folgen für den eh schon niedrigen Lebensstandard der Bevölkerung, auch wenn dies derzeit wenig sichtbar wird. Zusammen mit China trägt Russland zur Veränderung der Weltordnung bei.

China. Die Entwicklung eines Staats, in dem das Kollektiv im Vordergrund steht und die Freiheit des Einzelnen völlig untergeordnet ist, zeigt sich besonders deutlich am Aufstieg Chinas als autoritäre Weltmacht.

Die Volksrepublik China wird totalitär von der kommunistischen Partei regiert. Ihr Vorsitzender Xi Jinping (der „überragende Führer“) hat eine uneingeschränkte Macht. Die Bevölkerung wird aufgrund der sich schnell entwickelnden Digitalisierung überwacht, streng kontrolliert und bei Verstößen bestraft.

Das Wirtschaftssystem kann als Staatskapitalismus bezeichnet werden. Grundzüge des Kapitalismus wie das Profitstreben einzelner Unternehmen werden mit einer strengen Steuerung durch den Staat verbunden. Trotzdem gibt es zahlreiche Oligarchen (wie auch in Russland) mit großem Vermögen.

Diese Entwicklung ist auch (wie schon erwähnt) mit dem Bestreben verbunden, aufzuzeigen, dass das Modell des chinesischen politischen Systems den westlichen Demokratien überlegen ist. China verfolgt eine Politik nach dem Motto „China unabhängig von der Welt machen – und die Welt abhängig machen von China“ (so Bundespräsident Steinmeier).

In diesem Sinne setzt China seit 2013 Projekte mit dem Ziel um, eine alte Handelsroute auf dem Landund Seeweg, die Seidenstraße, neu zu beleben. Dadurch gewinnt China auch Einfluss auf die betroffenen Länder in Asien, Osteuropa u.a.

Das Modell von China und Russland. Die Diktaturen in Russland und China stellen das Gegenbild zur Demokratie im Westen dar, in der die Staatsgewalt prinzipiell vom Volk ausgeht. Denn der Personenkult um Xi Jinping und Putin, ihre totalitären Maßnahmen zur Unterdrückung der individuellen Freiheit, die Aussetzung des Rechtssystems und die Ausschaltung der kritischen Medien lassen keine Beteiligung der Bürger an der Entwicklung ihres Staats zu. Viele Bürger leben zudem in einem repressiven Klima der Angst.

China vertritt aus historischer Sicht die Auffassung, das demokratische Taiwan gehöre zu China. Dieser pseudohistorische, imperialistische Anspruch entspricht auch dem Denken von Putin im Blick auf die Ukraine und auf andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Es erstaunt nicht, dass sich Russland und China zu Beginn des Kriegs in der Ukraine ihre volle Partnerschaft bestätigten.

Russland und China versuchen, ihre imperialistischen Ziele auch dadurch umzusetzen, dass sie afrikanische Staaten unterstützen und damit zum Teil abhängig machen. Dabei geht es ihnen vor allem um Rohstoffe, die in einzelnen Ländern in Afrika noch in beträchtlichem Umfang vorhanden sind.

Das gemeinsame geopolitische Ziel ist die Zurückdrängung des Westens zugunsten des Ostens.

UNO. Demokratie gehört offiziell zu den Grundwerten der Vereinten Nationen. 1948 wurde von der Generalversammlung die Erklärung der Menschenrechte angenommen: die Gewaltenteilung, das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Möglichkeit, an den Angelegenheiten des Staats durch freie Wahlen teilzunehmen u.a.

Eine Reihe von Institutionen und Programme versuchen, diese Grundwerte umzusetzen: der Menschenrechtsrat, die Friedensmissionen, UNICEF u.a. Da die große Mehrzahl der Staaten den Anforderungen der 1948 beschlossenen Grundwerten nicht mehr entspricht, ist die UNO allerdings in der Realität keine demokratische Institution im engen Sinne mehr. Im folgenden beschreibe ich die Entwicklung in den USA, den Krieg Russlands gegen die Ukraine und den Krieg der Hamas gegen Israel so ausführlich, weil sie die Demokratie auch in Deutschland massiv beeinflussen und bereits derzeit zu erheblichen geopolitischen Veränderungen führten.

USA. Die Demokratie in den USA war vor einiger Zeit noch nicht vorstellbar gefährdet. Ein extremes Ereignis, das die amerikanische Demokratie erschütterte, war der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 und seine Hintergründe. Dass dieser Angriff auf das Herz der ältesten Demokratie, der fünf Menschenleben und viele Verletzte forderte, dass dieser Umsturzversuch, gesteuert vom damals noch amtierenden, jedoch abgewählten Präsidenten Trump und seinen Unterstützern (was später gerichtlich festgestellt wurde), möglich war, zeigt, wie fragil die Demokratie in den USA geworden ist. Trump hatte die „Proud Boys“, eine rechtsextreme Miliz ehemaliger Polizisten und Kriegsveteranen, öffentlich aufgefordert, sich das Land des weißen Mannes zurückzuholen. Neben den Proud Boys gibt es noch weitere rechtsradikale, rassistische und gewaltbereite Gruppen, die sich das Land des weißen Mannes zurückholen wollen.

Hinzu kommt, dass Trump, die Mehrheit seiner Republikaner und viele Anhänger den Wahlsieg von Biden nicht anerkannten und von Wahlbetrug sprachen und immer noch sprechen. Wer einen Wahlsieg nicht anerkennt, erschüttert einen Grundpfeiler der Demokratie. 8% der Bevölkerung (11 Millionen Bürger) hielten noch 2023 Biden für einen illegitimen Präsidenten und waren bereit, Gewalt anzuwenden, um Trump wieder als Präsident einzusetzen.

Bei den Midterm-Wahlen im November 2022 kam es zu Wählereinschüchterungen. Gruppen von Wählern wurden an der Stimmabgabe gehindert.

Im Januar 2023 gelang es den Republikanern erst im 16. Wahlgang, Kevin McCarthy, ihren eigenen Kandidaten, zum Vorsitzenden im Repräsentantenhaus, dem dritthöchsten Amt in den USA, zu wählen. Eine kleine Minderheit der republikanischen Anhänger von Trump verweigerte der großen Mehrheit der eigenen Partei bis zum 16. Wahlgang die Zustimmung, weil die Partei aus ihrer Sicht nicht genügend konservativ und nationalistisch orientiert sei. Das heißt, eine Minderheit von 20 Abgeordneten akzeptierte keine Entscheidung der großen Mehrheit ihrer eigenen Fraktion und blockierte die Wahl ihres Sprechers. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war dann im September 2023 die in der Geschichte der USA einmalige Absetzung von McCarthy, gestürzt von einer ebenfalls kleinen Gruppe radikaler Abgeordneter der eigenen Partei. Anlass war der Kompromiss, den McCarthy mit den Demokraten schloss, um eine weitreichende Haushaltssperre zu verhindern. Diese radikale Gruppe lehnte jeden Kompromiss mit den Demokraten ab. Danach bekämpften sich innerhalb der Republikaner die gemäßigten Republikaner mit den „Trumpisten“, bis nach drei Wochen schließlich im vierten Wahlgang ein Trumpist den Kampf beendete. Der Kongress war in dieser Zeit nicht in der Lage, einen Beschluss zu fassen, um den Angriff der Hamas auf Israel zu verurteilen und Hilfsgelder für die Ukraine in Aussicht zu stellen – ein immenser Schaden für die Demokratie.

Wenn in einer Demokratie kein Kompromiss mehr möglich ist, lähmt sich der Staat zu Lasten seiner Bürger. Ein grundsätzliches Problem der Demokratie in den USA ist auch das Zwei-Parteien-System. Es fördert die Polarisierung und verringert den Kompromiss.

Dass ein einziger Politiker, der als notorischer Lügner einerseits die Kluft zwischen Arm und Reich und die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft drastisch vergrößert hat und andererseits nach wie vor einen solch großen Rückhalt in der Bevölkerung hat, ist für Demokraten auf der ganzen Welt schwer nachvollziehbar.

Seine Hetzjagd auf Andersdenkende und die Sprache sowie die Lautstärke, die er dabei anwendet, verroht das Klima der politischen Auseinandersetzung. So hielt Trump im November 2023 bei einer Wahlkampfveranstaltung im Bundesstaat New Hampshire eine Rede. Er sagte dabei: "Wir werden die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und linksradikale Gangster ausrotten, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben, die lügen, stehlen und bei Wahlen schummeln und alles in ihrer Macht Stehende unternehmen werden - legal oder illegal - um Amerika zu zerstören und den amerikanischen Traum zu zerstören." Auf einer anderen Veranstaltung rief er, er werde für einen Tag seiner neuen Amtszeit ein Diktator sein. Im März 2024 sagte er: „Wenn ich nicht gewählt werde, wird es ein Blutbad geben, das ist das Mindeste sein, es wird ein Blutbad sein“. Selbst wenn dies nur eine Drohung war, verstärken solche Aussagen die aggressive Stimmung und speziell die Gewaltbereitschaft eines Teils seiner Anhänger.

Bei einem Vortrag sagte er: „Bitte erheben Sie sich für die schrecklich behandelten Geiseln des 6. Januars.“

Er forderte, dass die US-Verfassung außer Kraft gesetzt werde und wünschte sich, dass seine politischen Gegner „zur Hölle gehen“. Vor Gericht wütete er minutenlang und beschimpfte den Richter. Wer die Gerichte nicht anerkennt, wer 91 strafrechtliche Verfahren am Hals hat, gefährdet nicht nur die Demokratie in den USA, sondern sendet auch weltweit gefährliche Signale.

So infizierte z.B. das von Trump ausgehende Gift in Argentinien die Anhänger von Bolsonaro nach dessen Abwahl. Auch sie erkannten das Wahlergebnis nicht an. Mehrere Tausend Anhänger erstürmten im Januar 2023 das Regierungszentrum in der brasilianische Hauptstadt Brasilia, also den Kongress, den Präsidentenpalast und den Gerichtshof. Sie besetzten stundenlang das Kongressgebäude und verwüsteten es. Ein Teil der Polizei schaute zu.

Vor Trump war Obama acht Jahre im Amt. Er stand voll auf der Seite der Demokratie. Es ist grotesk: Die USA, deren Demokratie über 200 Jahre alt ist und die wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eine relativ stabile Demokratie entwickeln konnte, sieht nun ihre eigene gefährdet. Die extremen Unterschiede zwischen Arm und Reich, die große Polarisierung zwischen den Demokraten und Republikanern, die nach dem 6. Januar noch zunahm, und das Auseinanderdriften der verschiedenen Bevölkerungsgruppen machen den Traum vom „American Dream“ zunichte. Man kann nicht mehr von den „Vereinigten Staaten von Amerika“ sprechen. Die USA sind ein Land ohne Mitte geworden. Das undemokratische Verhalten der Republikaner kommt z.B. im folgendem zum Ausdruck: Da die weiße Bevölkerung schrumpft und stattdessen die Bevölkerung diverser wird, versuchen die Republikaner, die Kongresswahl-Zuschnitte so zu verändern, dass die Demokraten den betroffenen Wahlkreis nicht gewinnen können. Die Republikaner haben mit Hilfe von fundamentalistischen Richtern, die Trump eingesetzt hat, erreicht, dass Abtreibung nur noch in wenigen Staaten möglich ist, dass der Besitz von Waffen ausgeweitet wurde, und sie versuchen, die gleichgeschlechtliche Ehe sowie den Zugang zu Verhütungsmitteln zu blockieren und all dies gegen die Mehrheit der Bevölkerung.

Trump, der das Rechtssystem unterhöhlte und die ihm nicht willfährigen Medien angegriffen hat, der den Nationalismus predigt, der die soziale Ungerechtigkeit vorantrieb, der die Werte der Demokratie verachtet, indem er z.B. ständig und ohne Skrupel lügt, hat nach wie vor Aussicht, wiedergewählt zu werden. Im Sommer 2023 erfolgte die vierte (und historische) Anklage gegen Trump. Sie betraf die Wahlbeeinflussung 2021 im Bundesstaat Georgia. Am 24. August musste er ins Gefängnis in Atlanta, um erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Im Februar 2024 wurde er wegen Steuerbetrugs zu einer Kaution von 450 Millionen Euro (die er nicht aufbringen konnte) und zum Verbot, eine Firma in New York zu führen, verurteilt.

All dies ist historisch. Trotz dieser Prozessverfahren sind seine Umfragewerte nach wie vor hoch. Er stellt sich als Märtyrer dar. Seine Partei hat er fest im Griff. Dies gilt auch für die Nominierung seiner Partei für die Präsidentschaftswahl 2024. Einen Tag vor dem 24. August trafen sich die acht Mitbewerber zu einer Fernsehdebatte. Auf die Frage des Moderators, ob sie Trump im Falle seiner Verurteilung auch aus dem Gefängnis heraus unterstützen würden, antworteten sieben mit Ja. Selbst namhafte Republikaner sehen die Gewaltenteilung in den USA in Gefahr, sollte Trump die Wahl gewinnen, da er die Straf- und Zivilprozessordnung verändern würde.

Im Februar 2024 drohte er Staaten, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, gegen einen russischen Angriff nicht zu verteidigen. Er werde Russland vielmehr dazu ermutigen, zu tun, „was immer sie wollen“.

Der Krieg in der Ukraine. Die Gefährdung der Demokratie zeigt sich aktuell auch beim Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022. Russland erklärte das Minsker Abkommen, das unter der Beteiligung Russlands vereinbart worden war, von sich aus für ungültig. In der 2015 getroffenen „Minsker Vereinbarung“ war ein Waffenstillstand in der Ostukraine vereinbart worden, um durch verschiedene Maßnahmen einen dauerhaften Frieden zu erreichen. Russland hält sich jedoch an keine internationalen Regeln und Vereinbarungen. So gab die Ukraine 1994 ihre Atomwaffen im Rahmen des Budapester Abkommens ab. Dafür garantierte Russland der Ukraine ihre staatliche Souveränität.

Bis zum Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine war die deutsche Regierung blauäugig und wollte nicht wahrhaben, welch imperialistische Ziele Putin verfolgt. Er befehligte kurz nach seiner „Inthronisierung“ 1999 den grausamen Tschetschenischen Krieg, der von 1999 bis 2009 dauerte und mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden war. Russland besetzte 2014 die Krim, das zur Ukraine gehört. Seit 2014 führt Russland einen Krieg im Donbass, das ebenfalls zur Ukraine gehört. Und trotz allem ging die deutsche Regierung noch im Februar 2022, als Putin 200.000 Soldaten zur ukrainischen Grenze marschieren ließ, davon aus, dass dies nur eine Drohung sei.

In einer Fernsehansprache kurz vor dem Einmarsch erklärte Putin: “Wir haben nicht die Absicht, ukrainisches Gebiet zu erobern...Unsere Maßnahmen dienen der Selbstverteidigung gegen Bedrohungen.“ An anderer Stelle meinte er, das Problem bestehe darin, dass in den Russland angrenzenden, eigenen historischen Gebieten feindlich gesinntes Anti-Russland entstehe. Für Russland sei die „Spezialoperation“ eine Frage von Leben und Tod.

Deutschland war seit der Besetzung der Krim und den nachfolgenden Kriegen zu blauäugig. Man hätte bereits nach dem Überfall Russlands auf die Krim und dem Einmarsch in den Donbass davon ausgehen müssen, dass Russland auch die Ukraine überfallen wird.

Beim Überfall Russlands auf die Ukraine (als souveräner und demokratischer Staat) handelt es sich um die größte militärische Intervention seit dem Zweiten Weltkrieg und dies mitten in Europa. Bei anderen Kriegen weltweit handelt es sich eher um innerstaatliche Kriege, d.h. um Bürgerkriege. Beim Krieg in der Ukraine geht es jedoch um einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg: um die Zerstörung von Städten, um den Tod von Zivilisten (insbesondere auch von Frauen und Kindern), um die Verschleppung von Kindern und um die Schädigung der Wirtschaft sowie der Infrastruktur. In den besetzten Gebieten im Osten wurde ein riesiger Minengürtel gelegt. Sollte der Osten befreit werden, wird es viele Jahre dauern, bis Menschen zurückkehren können.

Die Schädigung der Infrastruktur führte z.B. dazu, dass im Winter 2022/23 im Osten zeitweise kein Strom mehr zur Verfügung stand, was bei der Bevölkerung zu katastrophalen Zuständen führte. Die massive Bombardierung der Infrastruktur setzte sich bis heute (März 2024) fort. Die Sperrung des Hafens von Odessa verhinderte, dass große Mengen an Getreide vor allem nach Afrika exportiert werden konnten, was dort zu großem Hunger führte.

In den besetzten Gebieten wurden die Menschen gefoltert, getötet oder nach Russland verschleppt. Die Gefangenen wurden gleichfalls gefoltert. Etwa 20.000 Kinder wurden nach Russland verschleppt, um dort „russifiziert“ zu werden.

Der Krieg wird ohne Rücksicht auf Menschenrechte mit menschenverachtenden Mitteln geführt. So erschossenen russische Soldaten in besetzten Dörfern Zivilisten auf der Straße, Frauen wurden vergewaltigt, Gefangene wurden hingerichtet. Die entsprechenden Videos wurden ins Netz gestellt.

Die konventionelle militärische Kriegsführung wurde durch einen auf Europa, insbesondere auf Deutschland, gerichteten hybriden Cyberkrieg ergänzt. Der Cyberkrieg ist ein Angriff gegen die Infrastruktur und soll zur Destabilisierung der angegriffenen Staaten beitragen. Durch seine vielen Fake News und der Drohung eines atomaren Angriffs versucht Putin, die Stimmung in den Gesellschaften zu beeinflussen, Verunsicherung und Angst zu erzeugen. Dies soll zu einer Destabilisierung der Gesellschaften führen.

Aufgrund verschiedener Reden von Putin kann man von folgenden Motiven seines Überfalls auf die Ukraine ausgehen: Er führt den für die Ukraine und seine Zivilbevölkerung unmenschlichen Krieg nicht nur mit dem historisch begründeten Ziel, das Großrussische Reich wieder herzustellen, sondern verbindet ihn auch mit der Vorstellung, die Demokratie der benachbarten Staaten zu zerstören und Länder wie Belarus und die Ukraine wieder in das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einzugliedern. Aus seiner Sicht gehören diese beiden Länder zu Russland. Im Februar 2024 erklärte er öffentlich, die faschistischen Staaten des Baltikums (Estland, Lettland und Litauen) würden Russland bedrohen. Das von Russland unterstützte, jedoch international nicht anerkannte Transnistrien, das zur Republik Moldau gehört und an die Ukraine angrenzt, hat Russland um Schutz gebeten. Die Republik Moldau würde immer mehr Druck ausüben, was diese jedoch zurückwies. Sind dies Vorbereitungen für einen Einmarsch in die Republik Moldau?

Bei der Unterstützung der Ukraine als demokratisches Land geht es deshalb auch um die Verteidigung der eigenen Demokratie in Deutschland und ihrer Werte. Und es geht um die eh brüchige Stabilität der Einheit der EU. 31 Nationen der Nato haben im Jahr 2022 erklärt, dass Russland die größte Bedrohung für die Sicherheit Europas ist. Seither rüstet die Nato auf.

Ein Teil der deutschen Politiker und der Bevölkerung tut sich schwer, Waffen an die Ukraine zu liefern. Das Motto „Nie wieder Krieg“, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, bleibt lebendig. Stattdessen soll verhandelt werden. Dabei wird allerdings zu wenig berücksichtigt, dass Putin erklärtermaßen nicht verhandeln will, dass er seine Soldaten ohne Skrupel opfert und deshalb der Frieden in der Ukraine nur durch Waffen erreicht werden kann. Unabhängig davon, dass Putin seit der Eroberung der Krim seine imperialistischen Ziele militärisch verfolgt und nicht bereit ist, zu verhandeln, stellt sich die Frage, mit welchem Ziel die Ukraine in Verhandlungen gehen könnte. All jene, die Verhandlungen fordern, geben hierzu keine Antwort.

Selbst wenn sich Putin auf Verhandlungen einlassen würde, was wäre ein Verhandlungsergebnis wert? Im Budapester Abkommen von 1994 vereinbarten Russland, die USA und das Vereinigte Königreich als Gegenleistung für die Anerkennung der Souveränität der Ukraine einen Nuklearverzicht der Ukraine. Bis zu diesem Zeitpunkt besaß die Ukraine das drittgrößte Atomwaffenarsenal der Welt. Im Minsker Abkommen von 2015, das von Russland, Frankreich und Deutschland sowie von der Ukraine unterzeichnet wurde, sollte verschiedene Maßnahmen zur Beendigung des Kriegs in der Ost-Ukraine umgesetzt werden. Putin hielt sich nicht an die Vereinbarungen. Vielmehr erklärte er zu Beginn des Einmarschs Russlands in die Ukraine, das Minsker Abkommen für gescheitert.

Putin stellt die Wirtschaft Russlands auf Kriegswirtschaft um und steigert die Waffenproduktion massiv. Er rekrutiert laufend Soldaten. zdfheute berichtet, dass nach einem Bericht des britischen Geheimdienstes Russland monatlich 30.000 Soldaten rekrutiert werden. Was wäre geschehen, wenn der Westen nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine keine Waffen geliefert hätte? Auch für mich steht der Wunsch nach Frieden an oberster Stelle. Die Friedensbewegung kann dieses Ziel nicht für sich in Anspruch nehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, vertrete ich das Motto „Frieden schaffen mit Waffen.“

Deutschland lieferte zu Beginn wenige, insbesondere keine schweren Waffen. Bundeskanzler Scholz argumentiert bis heute, man wolle nicht zur Eskalation beitragen. In zunehmendem Maße wurden jedoch trotzdem Waffen geliefert, allerdings ohne zu begründen, warum dies nicht schon früher hätte geschehen können. Es steht außer Zweifel, dass der Krieg zu Beginn noch viel erfolgreicher, vor allem mit weniger Toten, hätte geführt werden können, wenn mehr Waffen zur Verfügung gestanden hätten. Scholz beteuert immer wieder: „Wir unterstützen die Ukraine so lange wie nötig“ – ohne dies jedoch zu konkretisieren.

Da der Krieg auch für Europa erhebliche Belastungen mit sich bringt, insbesondere eine Energiekrise durch das Ausbleiben der Öl- und Gaslieferungen, versucht Putin, die aus seiner Perspektive dekadenten europäischen Gesellschaften zu spalten. Auch hier wird deutlich, dass Russland nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine führt.

Es lohnt sich, sich an Gorbatschow zu erinnern, um die Entwicklung in Russland einschätzen zu können. Völlig überraschend setzte er in den 80er Jahren mit „Glasnost“ (Offenheit) und „Perestroika“ (Umbau) neue Akzente in der sowjetischen Politik. Glasnost bedeutete größere Offenheit der Staatsführung gegenüber der Bevölkerung. Perestroika bedeutete Modernisierung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems der Sowjetunion hin zu einer sozialen Marktwirtschaft und einer Demokratie. In seinem 1987 erschienenen Buch „Perestroika. Die zweite Revolution. Eine neue Politik für Europa und die Welt“ sind folgende Sätze enthalten: „Das Perestroika-Programm gründet sich auf dem Prinzip von mehr Sozialismus und mehr Demokratie...Mehr Sozialismus bedeutet mehr Demokratie, Offenheit und Kollektivismus im Alltag, mehr Kultur und Humanität in der Produktion, soziale und persönliche Beziehungen zwischen den Menschen, mehr Würde und Selbstachtung für das Individuum...Wir respektieren das Recht aller Völker, nach ihren eigenen Regeln und Gesetzen, ihren Sitten und Neigungen zu leben…Aber wir wollen Zusammenarbeit auf der Basis von Gleichheit, Gegenseitigkeit und beiderseitigem Verständnis….Wir brauchen einen konstruktiven und umfassenden Dialog, und zwar jetzt.“