Mein lieber Matz!....Ach Papa.... - Gerda Smorra - E-Book

Mein lieber Matz!....Ach Papa.... E-Book

Gerda Smorra

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Beschreibung

Drei Jahre Stellungskrieg in der arktischen Tundra an der russischen Eismeerfront - 600 Kilometer nördlich des Polarkreises - ein Leben in Eishöhlen mit ständigen Kämpfen Mann gegen Mann und besonders nationalsozialistischen Vorgesetzten wie Dietl und Schörner - davon erzählen die authentischen Briefe, Kalenderaufzeichnungen, Fotos, die mein unbekannter Vater an seine "Matz", meine Mutter schickte. Und sie erzählen von Träumen und Hoffnungen....- historisches Material vom Alltag eines "führertreuen" Frontsoldaten an einer der unbekanntesten und furchtbarsten Fronten des 2. Weltkriegs. Nach 67 Jahren findet die Tochter die Briefe, Aufzeichnungen, Fotos ihres unbekannten Vaters und antwortet ihm - in Briefform: eine Vatersuche und eine Auseinandersetzung mit dem unseligen Geist jener Zeit. Sie stellt die Fragen, die unzählige Töchter,Söhne, EnkelInnen ihren schweigenden oder toten Vätern / Großvätern stellen würden, sucht nach Antworten.... Großformat, 324 Seiten, über 200 historische Fotos aus persönlichem Besitz, umfangreiches Quellenmaterial

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Inhalt

 

Statt eines Vorwortes (Oktober 2011)

 

 

1. August/September 1941 – Abschied in Österreich

 

2. September/Oktober 1941: Fahrt/Marsch zur Eismeerfront

 

3. Oktober 1941 – April 1942: Der erste Winter an der Liza-Front

 

4. April/Mai 1942: Frühjahrsoffensive

 

5. Mai/Juni 1942: Nach der Schlacht

 

6. Juni /Juli 1942: Urlaub

 

7. Juli 1942: Fahrt zurück zur Eismeerfront

 

8. August 1942: Wieder an der Liza-Front

 

9. August 1942 – Juli 1943: Im rückwärtigen Lager in Norwegen

 

10.Juli/August 1943: Letzter Urlaub

 

11.August/September 1943: Fahrt zurück zur Eismeerfront

 

12.September 1943: Marsch zur Liza-Front

 

13.September 1943 – Februar 1944: Zweiter Winter an der Liza-Front/Tod

 

14.Nach dem Tod: Februar 1944 – Juni 1944

 

 

PS. Juli 2013

 

Quellenangaben

Statt eines Vorwortes…          2011

Papa,

ich hab dich nie gekannt. Du starbst zwei Monate vor meiner Geburt an der Eismeerfront, der Murmanskfront, im heutigen Russland –warst in der 6. Gebirgsdivision (der mit dem stolzen gelben Edelweiß), obwohl du doch aus der norddeutschen Tiefebene stammst. Wie bist du nur dahin geraten?

Seit fast einem Jahr lern ich dich kennen. Du warst vorher nur ein seltsames Soldatenbild im Wohnzimmer meiner Mutter und interessiertest mich nur beiläufig, manchmal aber auch sehr – z. Bsp., als ich mit 14 zum ersten Mal Bölls Kurzgeschichten (Wanderer, kommst du nach Spa…) und vor allem Borcherts Kurzgeschichten las. Da tauchten Fragen auf, die ich niemandem stellen konnte.

Ich wusste nichts von dir, außer was meine Mutter an wenigen Einzelanekdoten erzählte – und die betrafen vorwiegend ihr Erleben vorm Krieg. Ich hatte auch kein Interesse an dir, du warst ein Soldatenbild im Wohnzimmer, und dieser Soldat, der offensichtlich ein Nazi war, hatte mit mir nichts zu tun.

Im Herbst des letzten Jahres schickte meine Mutter mich auf den Boden meines Elternhauses mit den Worten:“ Da ist eine alte Kiste mit Briefen deines Papas.“ Warum sie das tat, weiß sie selbst nicht, es war wohl einfach die Zeit. Und ich fand die alte Kiste mit deinen über tausend Briefen, Tageskalendern, Fotos und Orden und Degen - aus den Jahren 1935 bis 1944 (Februar), als du da oben in der Eiswüste starbst.

Ich hab monatelang diese Briefe gelesen, kopfschüttelnd, tief erschüttert, immer wieder – und manchmal warst du mir nah – und meistens warst du mir ganz fern. Ich hab mir deine Hunderte von kleinformatigen Fotos angeschaut, sie geordnet – wie du es gern getan hättest nach dem Krieg. Das hättest du deiner unbekannten Tochter zugute gehalten – vieles anderes wahrscheinlich nicht. – Aber: ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie du aus diesem Krieg herausgekommen wärst – nach all dem, was du erlebt hast und all den Enttäuschungen, wenn du den Rückzug dort oben an der Eismeerfront noch hättest mitmachen müssen. Du starbst vorher. Ich hab deine letzten Briefe von Januar und Anfang Februar 1944 gelesen, auch noch den vom 3. Februar, dem Abend vor deinem Tod, ungewöhnlich kurz, schmerzhaft – Briefe, die noch ungeöffnet waren, weil meine Mutter nach der Todesnachricht nicht imstande war, die später angekommenen Briefe noch zu öffnen.

Ich hab im Internet geforscht und dein Grab gefunden – Petschenga, heute Russland. Ich hab alles über diese Region gelesen, wo du 3 Jahre verbrachtest. Hab alle verfügbaren Bücher über deine und weitere Gebirgsdivisionen gelesen, Lagepläne studiert…, hab nach deinen Kriegskameraden erfolglos im Internet gesucht, natürlich viele Gespräche mit meiner Mutter, deiner Marga, gehabt, intensiver als je zuvor, dann aber gemerkt, dass sie diese nicht verkraftet, sie ist über 90 und müde.

Und das Thema lässt mich nicht los. Warum? Ich weiß es nicht genau: ein diffuses Gefühl, Nähe zu spüren zu dem, der mein Vater ist und den ich nie kannte. Und: verstehen lernen.

Und ich wollte dahin, nach Kirkenes, nach Petschenga, an die ehemalige Liza-Front, die zu großen Teilen russisches Sperrgebiet ist – und immer noch Einöde. Ich hatte weder das Geld dazu noch den Mut, allein in diese Einöde zu reisen mit meinen 67 Jahren. Aber ich wollte dahin. Ich wollte sehen/spüren, wo du du mehr als drei Jahre warst und starbst. –

Ich habe die Reise gemacht im April 2011. Hab sie mit deinen Briefen im Gepäck gemacht, hab dir eine Rose auf dem Soldatenfriedhof Petschenga, wo ich deinen Namen fand, in den Schnee gesteckt, bin an der Liza gewesen, eurem Schicksalsfluss, wusste, dass dein Bunker irgendwo hinter dem zweiten Hügel rechts lag, wusste, dass du hier deinen Todesschuss erhieltest, von deinen Kameraden mit Hundeschlitten auf die Straße transportierst wurdest und dann auf dieser „Russenstraße“, wie ihr sie damals nanntet, nach Parkkina (heute Petschenga), dem Hauptverbandsplatz gebracht wurdest und dort bei der OP verstarbst. Ich hab all deine in den Kalendern benannten Orte in Norwegen und Russland besucht. Und dich gesucht.

Als „stolzer“ Soldat stehst du auch hier bei mir auf der Fensterbank, mit diesem Bild kann ich gar nichts anfangen – aber das warst du (auch) –.

Nach deinem Tod bist du Hauptmann geworden – Offizierslaufbahn – ein ganz großer Traum von dir, wo du so oft beklagtest, dass nur die Akademikersöhne in den Genuss kamen. Und – ich muss gestehen – diese deine Auszeichnung hab ich als 10-Jährige in den verquasten 50ger-Jahren genutzt, um mich meinen KlassenkameradInnen des Mädchengymnasiums ebenbürtig zu fühlen, wenn nach dem Beruf des Vaters gefragt wurde: Alle waren Rechtsanwälte, Ärzte – mein Vater war Haupmann/Offizier! – obwohl mein 2. Vater zu der Zeit Arbeiter war. Ich hab ihn schlichtweg verleugnet, obwohl ich ihn besser kannte als dich. Erst sehr viel später, Anfang der 60ger war ich stolz auf meine Arbeiterherkunft (und vergaß dich mit all den Fragen ohne Antworten gern als NS-verdammte unmögliche Vergangenheit). Ich ging barfuß zur Schule, riskierte Verweisungen, nicht nur deswegen. Du hättest diese Tochter – so wie ich dich glaube zu kennen – völlig unmöglich gefunden und wir hätten unglaubliche Konflikte gehabt! – Aber auch das weiß ich nicht.

Papa: dieser Name für dich ist mir von meiner Mutter für das Soldatenbild zugewiesen worden, besonders, nachdem es einen 2. Vater gab, den ichVati nennen sollte.

Du warst über so lange Jahre nur ein Soldatenbild - jetzt sitzt hier deine inzwischen alte Tochter, die du nie kennen lerntest und fragt: wer warst du?

Was in dir bin ich auch? – Was kann ich annehmen, was ist unannehmbar an dir als führertreuer Soldat? – Ich les deine Briefe, ordne deine Bilder, deine Kamera steht in meinem Schlafzimmer, nicht mehr funktionsfähig, aber ein Stück von dir -

Deine Marga, dein Matz, meine Mutter ist inzwischen ganz krumm – mit vielen Schmerzen - aber immer noch hellwach. Sie hatte große Angst, als ich allein zum Norden fuhr, um dich zu suchen. Ich kam zurück, zeigte ihr meine Bilder, erzählte. Wir drei waren uns da ganz nah.

Ich weiß nicht, ob wir eine Chance gehabt hätten, einander zu verstehen, wenn du von dieser unsäglichen, von Anfang an aussichtslosen Eismeerfront zurückgekommen wärst. Aber deine und Margas Geschichte (und meine Suche nach euch und damit auch nach meinen Wurzeln - im nationalsozialistischen Umfeld- ) sind mein Thema geworden, seit ich die Kiste mit deinen Briefen, Fotos, Taschenkalendern, Auszeichnungen etc. fand.

Ich lass dabei all deine Briefe ab 1935, als du Marga,16-jährig, kennen lerntest (du warst 20 und hast wunderbare Liebesbriefe geschrieben im Auf und Ab eurer Beziehung) außen vor, auch die Briefe und Aufzeichnungen vom Frankreich- und Balkanfeldzug, denn hier wart ihr immer die Sieger im schnellen Zugriff – wenn auch mit unzähligen Opfern.

Sieger wart ihr nicht an der Eismeerfront, von vornherein eine völlig aussichtslose Front (wie ich heute weiß, du damals nicht) – gänzlich abseits vom aktuellen Kampfgeschehen und somit auch eher nebensächlich in den damaligen Medien. Ihr solltet natürlich den eisfreien Hafen Murmansk erobern, die Versorgung der Feinde über die Murmanbahn unterbrechen, die Erzminen in Nikel sichern. Da hast du fast drei Jahre deines jungen Lebens in Eishöhlen und - wenn du Glück hattest – in rückwärtigen Etappen verbracht. Und bist da gestorben.

Darum beginnt mein Suche nach dir hier, an der Eismeerfront, bei eurem Scheitern.

1. August/September 1941: Abschied in Österreich

Kalender 20.8-31.8. 1941

Quartier Erlach. Hauptwachtmeisteraufgaben.

Kalender 2.9.1941

Quartier Erlach. Hauptwachtmeister zurück. Geschäfte übergeben.

Papa,

deine 6. Gebirgsdivision hatte nur 18 Tage Zeit, sich nach der Hitze Griechenlands in Österreich auf die Eismeerfront vorzubereiten – ohne Urlaub.

477 von euch waren während des Balkanfeldzugs gefallen, 401 verwundet, 600 in Griechenland erkrankt, 400 Verwundete und Kranke starben in Griechenland, auf dem Rückmarsch oder in der Heimat.1

Vorbereitet wurde eure erschöpfte Division durch Vorträge über die Wesensart der „Bolschewiken“ („tapfer„ zäh, verschlagen“2, „seelenlose, dumpfe, ja „tierische“ Kämpfer“3 ), täglichen Alltagsdrill, Märsche, Biwaks. Ziel war, dass ihr Mitte September an der Murmanskfront die abziehende 2. Division ablöstet und einen entscheidenden Schlag gegen die Russen führtet, die den Deutschen seit Juni 1941 im Stellungskrieg da oben in der Tundra gegenüberlagen.

Murmansk sollte eingenommen werden, ein eisfreier Nachschubhafen, die Murmanbahn zerstört werden, und die Erzgebiete um Petsamo/Parkkina waren sehr interessant. Die „finnischen Waffenbrüder“ standen an eurer Seite, sie wollten einfach ihr von den Russen okkupiertes Gebiet zurück und hofften, dies mit Hilfe der Deutschen zu erreichen - später änderte sich diese Haltung.

Was euch sicher nicht erzählt wurde, war die Tatsache, dass eure Vorgänger allein in den drei Monaten ihres Eismeereinsatzes 10 942 Verwundete, Vermisste, Tote zu beklagen hatten.4 Allein beim Gebirgsjägerregiment 137 starben vom 14.7. bis 7.9.41 1293 Soldaten.5

Und was du und deine Kameraden auch nicht wissen konnten: ein massiver Angriff konnte in der Kürze der Zeit bis Mitte September, vor Wintereinbruch mit 40 Minusgraden und fast ständiger Polarnacht, gar nicht realisiert werden – die Anreise bis Rovaniemi und 600km und mehr Fußmarsch bis zu den Stellungen würde deine Division zersplittern. Wie eigentlich vorauszusehen war, würden dann einzelne Abteilungen, die schließlich dort ankamen, hineingestopft, wo gerade Not am Mann war. Von einem massiven neuen Angriff konnte auch aus anderen Gründen keine Rede sein: deine 6., aus dem heißen Griechenland kommende Division, war, was die Ausrüstung betraf, überhaupt nicht auf die arktischen Temperaturen vorbereitet – mit euren dicken Bergschuhen bspw. würdet ihr ganz einfach im Schnee versinken - und bis weiße Schneemäntel, Skier, Pelze etc., geschweige denn Nachschubmaterialien für den Eisbunkerbau in der Eiswüste ankämen, würde viel wertvolle Zeit vergehen.

Hinzu kommt, dass ihr euch da oben in einer Tabula Rasa befindet, es gab kaum Kartenmaterial, und wenn, war es oft irreleitend (für Wege gehaltene Linien waren Telefonleitungen u.ä,). Außer der nordgehenden„Eismeerstraße“ und der west-ost- gehenden „Russenstraße“ gab es kaum Wege, geschweige denn Straßen. Selbst der damals noch mit den Deutschen verbündete finnische Oberbefehlshaber Mannersheim hielt den Krieg da oben in der Eiswüste für nicht machbar6. Und auch der damals von euch als „Held von Narvik“ verehrte oberste Kommandeur an der Eismeerfront Dietl (der ein „Hardliner“war und die NS-Ideologie bis zur letzten Konsequenz durchzog) wies „den Führer“ im April 41 vehement darauf hin, dass mit der jetzt vorhandenen Ausrüstung und Nachschubstrategie eine erfolgreiche Kriegsführung dort oben in der Eiswüste aussichtslos sei.7

Aber all das wusstest Du nicht, Papa, du hast dich auf ein neues „Abenteuer“ vorbereitet. Nach dem schnellen Frankreichfeldzug und Balkanfeldzug vertrautest du unbedingt dem „Führer“ – und jetzt ging es eben in den Norden. Musste so sein, wegen des Endsiegs – und wegen Marga und eurer Zukunft. Waren das deine Gedanken, Papa?

Und da du keinen Urlaub zwischen Griechenland und Eismeer bekamst, kam Marga zu dir, eine gemeinsame Woche in Erlach/Österreich, 9 Monate nach eurem kurzen Hochzeitsurlaub zwischen Frankreich-und Balkanfeldzug, beschränkt natürlich nur auf deine Freizeit, Papa. Welche Aufregung für sie, die bisher so dörflich behütete Marga, eine Fahrt und eine Pension zu buchen und loszufahren in Kriegszeiten, um ihren Geliebten und Ehemann im für sie weit entfernten Österreich zu sehen. Sie reist mit Grippe an, muss viel liegen, aber ihr verbringt deine Freizeit zusammen, erlebt wunderbare Momente. Reiten hast du ihr nicht beibringen können in der Kürze der Zeit, wie du so gerne wolltest, auch das wird verschoben auf ein „Später“, wie alles. Marga, so sportlich, wie sie war, hätte es sicher schnell gelernt. Den Traum von gemeinsamen Ausritten habt ihr euch nie erfüllen können.

Ihr seid seit fast einem Jahr verheiratet, habt aber nie zusammen leben können und nun geht’s wieder so weit auseinander. „Wir haben immer nur an uns gedacht, überPolitisches haben wir nie gesprochen, wir hatten ja nur so wenig Zeit miteinander, da ging`s nur um uns.“ Marga betont das heute immer wieder.

War das für dich auch so, Papa?

Natürlich ging`s, wenn ihr zusammen wart, erst einmal nur um euch, aber was hattest du alles erlebt, in Frankreich, im Balkan – warum hast du mit Marga darüber nie reden können? Sie hatte nur ihre Dorf, ihre Eltern, ihre Arbeit im Fernsprechamt, ihre Freundinnen und ihren Turnverein. Und natürlich auch die ersten Auswirkungen des Krieges: Luftangriffe der Engländer auf die benachbarten Städte Bremen und Hannover, Flüchten in den eigenen Keller.

Papa, war da nur Trennungsschmerz, Glück über das Zusammensein in Erlach oder gab es auch GESPRÄCHE über die Situation, in der ihr beide wart? Marga sagt, darüber gab`s keine Gespräche, nur das Glück, zusammen sein zu können.

Du, Papa, hast du das auch gedacht, kurz vor der neuen Herausforderung „Eismeer“?

August 1941. Marga und Gerd in Erlach

Der Abschied kam, in Wien-Neustadt.

Und eure Züge fuhren auf benachbarten Gleisen (welch ein Zufall! ) in ganz verschiedene Richtungen: du jenseits des Polarkreises in die unbekannte Eismeerwüste, Marga zurück zu den Eltern in die damals noch relativ kriegsunversehrte Dorfidylle, in der natürlich auch derNaziungeist sein Wesen längst trieb (aus deiner Sicht natürlich nicht).

„Sag zum Abschied leise Servus“ sangen und spielten BDM- Mädchen für euch abziehende Soldaten. Marga saß im Zug auf dem Gleis gegenüber, sah dich winkend aus dem Zugfenster lehnen, hörte dieses Lied.

Es hat sie ein Leben lang begleitet.

An ihrem 90. Geburtstag habe ich es (mit meiner Band) neben allen sonst lebensrelevanten Titeln für sie gespielt, aber dies war das Wichtigste: Sag zum Abschied leise Servus. Du, Papa, lagst da schon 65 Jahre in deinem nordischen Grab.

In Erlach war eigentlich euer endgültiger Abschied. Doch ihr saht Zukunft – ganz unbedingt - für euch. Aber eure Zukunft war schon zu lange, seit den zwanziger Jahren und erst recht seit 1933 von außen bestimmt.

Ich als erst 1944 geborene Tochter hab leicht reden, ich weiß, Papa.

Doch ich empfinde den Schmerz von dir und Marga auf den Bahnsteigen von Wien-Neustadt.

4. September 1941. BDM-Mädchen singen und spielen zum Abschied in Wien-Neustadt: “Sag zum Abschied leise Servus“

Kalender 3.9.41

Vorbereitungen zum Abmarsch.

Kalender 4.9.41

3,00 Wecken, 5.00 Abmarsch Erlach, Abschied von Marga, Wiedersehen in Wien-Neustadt, Verladen in Wien-Neustadt, Abfahrt 19.00 Uhr über die Steiermark.

Einschub: Feldpostbrief 22.3.42

(,,,)

Schön war, daß wir uns ins Erlach noch kurze Tage sehen durften, wenn auch ein Urlaub daheim angenehmer für uns gewesen wäre. Die Zeit war halt dienstlich zu sehr in Anspruch genommen, und da hab ich mehr bei der Batterie als bei dir sein können. Du hast es auch nicht immer geglaubt, daß es notwendig war, dass ich arbeitete. War aber für ungeheure Vorbereitungen solch einer weiten Reise und langem Aufenthalt in solch unwirtlichem Land nötig. Und was man jetzt noch alles bräuchte, das lernt man jetzt. Man hätte es damals beschaffen müssen.(...)

Ja, Papa,

aber das habt ihr damals nicht gewusst – ihr habt es schmerzlich erfahren müssen.Und dass Marga enttäuscht war, dass du dein derzeitiges Engagement z. Teil über euer Treffen stelltest, stellen wollest/musstest, kann ich vollends mitempfinden. Sie wollte nur ihren Geliebten und Ehemann sehen, lieben, bevor er in ein so unbekanntes Gebiet verschickt wurde, aber er steckte in dienstlichen Belangen, die sie nicht teilen konnte, weil sie sie nicht kannte und nicht wissen durfte, und sie, grippig und voller Sehnsucht, genoss ungefragt die wenigen Freizeiten.

Aber: Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass deine Vorgesetzten damals furchtbar blauäugig (inkompetent) euch da oben hingeschickt haben? Ist da nie ein Zweifel gewesen?

Klar, ich bin in einer anderen Zeit groß geworden, („die Gnade der späten Geburt“), ich kann es nicht verstehen. Aber ich würde so gern verstehen...

_______________________

1 Karl Ruef, Gebirgsjäger zwischen Kreta und Murmansk., S. 208

2 Ruef, s.o., S. 216

3 Sönke Neitzel, Harald Welzer, Soldaten, Protokolle vom Kämpfen, Töten, Sterben, S.336

4 Ruef, Gebirgsjäger.., s.o., S. 232

5 Alex Buchner, Die deutsche Gebirgstruppe 1939–1945, S. 126

6 Ruef, Gebirgsjäger, s.o., S.233

7 Ruef, Gebirgsjäger, s.o., S.204

2. September/Oktober 1941: Fahrt/Marsch zur Eismeerfront

Kalender 5.9.1941

Bahnfahrt. Transport nach Stettin

Papa,

hast du gewusst, dass vor euch die Transporte per Schiff über das besetzte Norwegen gingen, dann aber zu viele Transportschiffe von den Engländern zerstört wurden, so dass deine „Nordlandfahrt“ sicherheitshalber über das Land der„finnischen Waffenbrüder“ verlaufen musste?

Die Engländer hast du gehasst, die Propaganda über das „verjudete“ England hatte bei dir ihre volle Wirkung entfaltet – oder waren es eher die Nachrichten von deiner Marga, dass sie immer wieder wegen englischer Bombenangriffen in den Keller musste? Bereits bei der Frankreichbesetzung wartetest du an der Kanalküste vor einem Jahr sehnlichst darauf, endlich gegen England eingesetzt zu werden, was ja der „Führer“ dann verschob. („Der Führer versucht mit möglichst wenigen Opfern den Krieg zu beenden“ (Brief vom 23.9.40). Und auch beim Balkanfeldzug 1941 hofftest du in Griechenland endlich auf die verhassten Engländer zu stoßen („Ich freue mich, dabei sein zu dürfen. Hoffentlich treffen wir hier auf die Engländer.“(Brief 4.3.41). Bei der Besetzung Griechenlands (mit Hitze, Wassermangel, Krankheiten und täglichem Drill) hattest du aber ein neues Ziel vor Augen: Russland („Warum dürfen wir nicht in Russland dabei sein?“(Brief 16.7.1941). Jetzt durftest du - auch wenn du nicht wusstest, wo genau.

Ich steh stumm vor diesen Aussagen, Papa.

Aber wenn ich in dem von dir geliebten Buch „Das gelbe Edelweiß“ (1943) lese, wie eure beiden Hauptfeinde genannt wurden - „die grinsenden Fratzen des Weltbolschewismus und des Weltpolypen England“8 - dann erahne ich den verheerenden Sog deiner Zeit. (Du hast Marga dieses Buch 1943 stolz aus dem hohen Norden geschickt, behandelte es doch deine Gebirgsdivision, dein späterer Divisionskommandeur Philipp hatte das Vorwort geschrieben. ) Und wahrscheinlich hast du an jenem 22. Juni in Griechenland ähnliche Empfindungen gehabt wie die in diesem Buch beschriebenen bei der Proklamation deines „Führers“, den Russlandfeldzug betreffend: „Die Jäger spüren, nie noch ist ihnen das Wesen ihres Führers so sehr ins Herz gegangen als jetzt, wo sie zum ersten Male ahnen können, welche Überlast von Sorgen er stumm für sein ganzes Volk in sich getragen hat. Und in keinem Mann der Division ist in dieser Minute ein anderes Gefühl, als dass die liebste Antwort wäre: Verladen, fort, wieder durch Rumänien – angreifen!“9 Ihr wolltet nach Russland, am besten sofort – zumindest behauptet das dieses nationalsozialistische Buch. Und du beklagtest ja auch im Juli, als du immer noch in Griechenland saßt, dass du noch nicht gegen Russland marschieren durftest.

Was hatte euer „Führer“ euch erzählt, dass ihr so begierig auf diesen Ostfeldzug wart? „(...)Wenn ich aber bisher durch die Umstände gezwungen war, wieder zu schweigen, so ist doch jetzt der Augenblick gekommen, wo ein weiteres Zusehen nicht nur eine Unterlassungssünde, sondern ein Verbrechen am deutschen Volk, ja, an ganz Europa wäre. Heute stehen rund 160 russische Divisionen an unserer Grenze! Seit Wochen finden dauernde Verletzungen dieser Grenze statt, nicht nur bei uns, sondern ebenso im hohen Norden wie in Rumänien. Russische Flieger machen es sich zum Vergnügen, unbekümmert diese Grenzen einfach zu übersehen, um uns wohl dadurch zu beweisen, dass sie sich bereits als die Herren dieser Gebiete fühlen. In der Nacht vom 17. zum 18. Juni haben wieder russische Patrouillen auf deutsches Reichsgebiet vorgefühlt und konnten erst nach längerem Feuergefecht zurückgetrieben werden. Damit ist aber nunmehr die Stunde gekommen, diesem Komplott der jüdisch-angelsächsischen Kriegsanstifter und der jüdischen Machthaber der bolschewistischen Moskauer Zentrale entgegenzutreten! In diesem Augenblick, Soldaten der Ostfront, vollzieht sich ein Aufmarsch, der in Ausdehnung und Umfang der größte ist, den die Welt je gesehen hat. (...)Wenn diese größte Front der Weltgeschichte nunmehr antritt, dann geschieht es nicht nur um die Voraussetzungen zu schaffen für den endgültigen Abschluss des großen Krieges überhaupt oder um die im Augenblick betroffenen Länder zu schützen, sondern um die ganze europäische Zivilisation und Kultur zu retten.(...)“10

Du wolltest dabei sein bei der Rettung der europäischen Zivilisation und Kultur konntest natürlich die Lügen in den Reden nicht erkennen, und ganz sicher wolltest du den schnellen Kriegsschluss und dein Leben mit Marga „danach“ - wobei das „Danach“ immer für dich ganz nah war. Bereits am 21.5.1940, nachdem du dich im April des Jahres freiwillig an die Front gemeldet hattest von deinem sicheren Job im Kreiswehrersatzamt, schriebst du: „Der Krieg ist bald zuende“. Beim Frankreichfeldzug warst du überzeugt davon, dass der Krieg Ende des Jahres 1940 vorbei sein würde, beimBalkanfeldzug glaubtest du, dass alles Ende 1941 siegreich beendet würde.

Hatten dich die scheinbaren „Blitzfeldzüge“ so beeinflusst, dass du dir die Schwierigkeiten eines Viel -Fronten-Krieges nicht vorstellen konntest – oder hattest du alles Denken einfach an deinen „Führer“ übergeben?

Ich hätte so gern deine Gedanken gewusst, Papa, bei deinem Aufbruch in den Osten, dem „Unternehmen Barbarossa“, also einem neuen „Kreuzzug“!

Kalender 6.9.1941

Über Berlin. Nette Fahrt. Stettin 22.00Uhr. Sofort ausladen, Marsch zum Hafen, Pferde am Zaun, Schlafen um 2.00 Uhr unter Deck im Dampfer Veste.

Kalender 7.9.1 941

6.00Uhr Wecken im Schiff, 7.00 Uhr Beginn des Verladens, Fahrzeuge auf Veste, Pferde auf Mar del Plata, ging flott, als letztes das Gerät. 19.00 Gang in die Stadt, Bier trinken, kein Telefon, um Marga anzurufen. Um 1.30 todmüde in die Koje.

7. Sept. 1941.Im Hafen von Stettin

Verladen zum Osteinsatz

Kalender 8.9.1941

8.00-9.00Uhr Übung: Anlegen der Schwimmwesten, vormittags in Stettin eingekauft. (Hesterberg getroffen). 13.00 Abfahrt der Veste, Mar del Plata und Tübingen. Durch die Odermündung, viele kleine Kriegsfahrzeuge, bis vor Swinemünde. Nacht draußen vor Swinemünde, warten, viele Feindballone über Swinemünde (ca 60).

Kalender 9.9.1941

5.00 Uhr Weiterfahrt, Geleitzug von vier Dampfern und zwei deutschen Torpedobooten. Gegen 10.00Uhr Insel Rügen links, Sassnitz in der Ferne, rechts in weiter Ferne die Insel Bornholm. Viel Zick-Zack-Kurs. Abends 23.00 Uhr liegt das Schiff still vor der Kanö-Bucht, deutscher Lotse, deutsche Kriegsschiffe verlassen uns. Dreimeilenzone Schweden.

Papa,

dies war dein 2. Tag auf See.

An meinem 2. Tag auf See hoch zum Eismeer„auf deinen Spuren“ hatte ich eine seltsame Begegnung. Meine Route führte an der norwegischen Küste entlang bis Kirkenes, ein Weg, den ihr wegen der vielen englischen Angriffe nicht mehr nehmen konntet.

Eismeerfahrt April 2011: Norwegische Küste,, am Nordkap (deine unbekannte Tochter)

In Alesund stieg eine Frau zu, die mir sofort auffiel, weil sie so gänzlich anders war als die anderen Passagiere an Bord. Sie war ca Mitte 50, schmal, hatte blond gefärbte Haare, hinten zu einem Knoten gebunden. Sie trug einen halblangen Rock weiße gehäkelte Strümpfe, eine weiße Stola über einem dicken Pullover und einen kuscheligen Pelzschal, der Taschen für die Hände hatte. Sie saß abends an Deck, rauchte und telefonierte. Als sie mich erblickte, sprach sie mich auf Norwegisch an und wir kamen auf Englisch ins Gespräch. Sie machte mir Komplimente über die roten Strähnen in meinem weißen Haar –dadurch war ich ihr aufgefallen.Sie kam aus Alesund und war auf dem Weg zum Krankenhaus in Trondheim. Sie litt seit über zehn Jahren an einer sehr seltenen Krankheit, einer Übermobilität in den Gelenken, nach und nach mussten alle versteift werden.

Sie fragte nach dem Grund meiner Reise, und als ich ihr von dir erzählte, schossen ihr die Tränen in die Augen und sie beteuerte, du würdest mich sehen. Das sei einfach so. Mich überraschte ihre Emotionalität, aber der Ausspruch „Dein Vater sieht dich“ war für mich doch eher eine esoterische Phrase.

Dann erzählte sie von ihrer Sehnsucht, die Familie ihrer Großmutter zu finden. Ihre Großmutter sei eine Indianerprinzessin gewesen, ihr Großvater ein Alaskaforscher.

Und statt den Kopf zu schütteln, fragte ich nach, denn ich kannte dieses seltsame Paar aus einer Fernsehdokumentation, die mich sehr berührt hatte. Sie hatte von ihrer Kusine das Originaltestament ihres Großvaters erhalten, in dem er seiner Frau ein Bärenfell, eine Flinte und weitere ähnliche Dinge vermachte. Ihre Großmutter hatte damals diese Erbschaft abgelehnt, weil ihr Ehemann längst mit einer anderen Frau in der Hütte in Alaska gelebt hatte, und die Sachen waren verkauft worden. Sie war jetzt auf der Suche nach dieser Erbschaft und den Nachfahren ihrer indianischen Großmutter.

Was für eine seltsame Begegnung zweier „suchender“ Frauen, wie verschieden die Suche auch war! Papa, ich bin eher eine realitätsbezogene Frau. Aber an diesem Abend war eine so magische Übereinstimmung da, dass sie mich einfach gefangen nahm.

Wir waren allein da oben an Deck, es war kalt, immerhin April, regnerisch, stürmisch. Wir hüllten uns in die bordeigenen Decken und redeten.Sie fragte nach meiner Mutter, deiner Marga, und als ich ihr erzählte, welche Ängste sie meine Reise betreffend hatte, kramte sie in ihrer Tasche und holte einen Stein an einem Band heraus – sie hatte ihn seit 16 Jahren bei sich gehabt – und gab ihn mir. Als ich einwendete, sie brauche ihn viel mehr im Krankenhaus, betonte sie, er beschütze mich: „You must believe!“ Ich sollte ihn reinigen und bei mir tragen. Und dann sagte sie: „Your father is standing behind you“ und hatte wieder Tränen in den Augen. Und da hab ich dich gespürt, Papa - und es war ein ganz tröstliches, warmes Gefühl.Und dies Gefühl hat mich die gesamte weitere Reise begleitet.

Grethe, meine Gesprächspartnerin, habe ich nicht wiedergesehen, sie verließ das Schiff früh am nächsten Morgen. Für sie war unsere Begegnung kein Zufall gewesen, sie hatte seit Wochen auf den Krankenhaustermin gewartet und eine Stunde vor Auslaufen des Schiffes in Alesund den Termin bekommen - sie sollte mich treffen.

Und ihren Stein habe ich während der ganzen Reise in deine Eiswüste bei mir gehabt...

Fast 70 Jahre liegen zwischen deiner ersten Nordfahrt und meiner, Papa - du wusstest nicht, was dich erwartet, ich wusste, was ich da oben wollte, dir näher kommen.

Brief 9.9.1941 (auf See)

(….)Jedes Schreiben von Briefen und Karten war leider strengstens verboten.(…) In Stettin war ich zum Einkauf mit dem Spieß (für die Batterie), konnte dich aber nicht anrufen. Nach all den Belehrungen wäre es ein Verbrechen gewesen, dich anzurufen. Hoffentlich schimpfst du jetzt nicht mit mir, sondern siehst es ein. Nicht wahr, du bist vernünftig, mein Lieb? Gut, dass ich mit meinen Kameraden weiterhin zusammen sein kann. (…) Du bist hoffentlich gut und gesund daheim angekommen.(…) Schön, daß wir uns in Wien-Neustadt noch mal sehen konnten.(…)

Ach, Papa,

SO wichtig und geheimnisvoll war eure Murmansk-Front-Mission! Ein Telefonanruf, auf den Marga so wartete, wäre ein Verbrechen gewesen! Bloß keine Spuren verraten - Aber für dich war jede Order unbedingter Befehl, wirklich ungefragt?

Wenn ich lese, dass 9523 Wehrmachtsangehörige bis Ende 1944 standrechtlich erschossen wurden wegen „Wehrkraftzersetzung“ 11 - und das konnte auch eine verbotene Äußerung in einem Brief oder Anruf sein – dann schleicht in mir die unangenehme Erkenntnis hoch, dass ich nichts, aber auch wirklich nichts von deiner Zeit verstehe, Papa...

Kalender 10.9.1941

5.00 Uhr Weiterfahrt, vormittags stürmisch, viele Kameraden seekrank, nachmittags einigermaßen ruhige See, schwedische Kanonenboote-Begleitung.

Hübsche Städte auf schwedischem Festland, 23.00 Schiffshalt, Nachtruhe.(Schwedische Hoheitsgewässer).

10..9.41 Schwedische Kanonenbootbegleitung

Transport über See

Brief 10.9.41

(…) Ich habe bis 8.00Uhr unter Deck in der Koje gelegen. Es ist alles verstopft mit Fahrzeugen, Pferden und Menschen. Unser Schiff ist das kleinste, die anderen haben 10000 oder 13000 Tonnen. Ein Teil meiner Batterie mit dem Chef und dem Spieß sind auf dem ganz großen Schiff mit den anderen Truppen zusammen. Ein Leutnant und ich sind mit 90 Mann auf dem kleinen Pott, (…) Von 9.00-10.00 haben wir über Finnland und seine Eigenarten gesprochen, war ganz interessant. Ab 11.00 Uhr unruhige See, prasselnder Regen und steifer Wind. Viele Seekranke. Um 16.00 Uhr hatten wir Singen von Soldatenliedern, dann haute sich jeder wieder in die Koje. (...) Ich denke viel an dich. Als wir Abschied nahmen und du noch ein Stückchen neben meinem Pferd hergingst, war ich sehr sehr traurig. Gut, dass es dunkel war, sonst hätte ich mich schämen müssen. Während der Bahnfahrt war ich mit meinen

Gedanken auch ständig bei dir. Es ist so schwer, sich gleich wieder allein zurechtzufinden, es geht jedoch langsam alles seinen Weg. Das Wörtchen „muß“ ist mächtig. (…)

Ja Papa,

ich weiß, dass neben Tapferkeit und Gehorsam auch die Pflichterfüllung zu den dir anerzogenen soldatischen Tugenden gehörte. Die Normen des Militärs waren für dich akzeptierte Werte, du warst ja schon lange genug dabei. Du hattest dich bereits im April 33 mit fliegenden Fahnen zur Wehrmacht gemeldet und dich für 12 Jahre verpflichtet, da warst du noch nicht mal 18! (Du warst ein „Zwölfender“, wie Marga sagt.).

Wie überzeugt musst du gewesen sein, dass dies der einzige richtige Weg für dich war! Oder hattest du nur die Rechtsanwaltsschreibstube satt, wo du eine Lehre absolviert hast? Ich weiß es nicht, ich würde es gern wissen.

Dein Sinn stand dir immer nach Abenteuer, schon als Kind und Jugendlicher, das weiß ich von deiner Marga. Du hast zwar die Mittelschule erfolgreich beendet, hast aber manche Schulstunden Boot fahrend auf dem Fluss verbracht zum Kummer deiner Eltern. Da war`s mit der Pflichterfüllung noch nicht weit her.

Und diese Seite an dir ist mir sehr sympathisch, auch ich verbrachte manche unliebsame Schulstunde am Fluss.

Gerd 1931 (16 Jahre)

Gerd 1933 (18 Jahre)

Aber dann kam ja die „neue“ Zeit, ein wiedergewonnener Nationalstolz, die Identifikation mit dem „Führer“, jetzt ging es wieder aufwärts – und da wolltest du dabei sein. Also raus aus der Rechtsanwaltspraxis und hin zu dieser neuen Bewegung. War es so, Papa? Dein „alter Herr“, mein Opa, war gar nicht damit einverstanden, dass du zur Wehrmacht gingst. Er war Sozialdemokrat, hatte im 1.Weltkrieg in Frankreich sehr gelitten und diese „neue Zeit“ war ihm nicht geheuer. Es hat sicher manche Diskussionen bei euch zu Haus gegeben – aber Eltern sind ja, was Neuerungen betrifft, immer einen Schritt zurück, so magst du gedacht haben und hast dich durchgesetzt.

Außerdem wolltest du unbedingt weg aus dem für dich zu engem Elternhaus, und Soldat zu werden war immer schon ein Traum von dir, sagt wenigstens Marga. Warum bloß?

So landetest du in der Kreisstadt, nur wenige Kilometer vom Dorf deiner Marga entfernt, die du 1935 (sie war 16) auf dem dörflichen Turnerball kennen lerntest.

Du warst zunächst in der Reiter-Abteilung, was dir sicher sehr gefiel – hoch zu Ross zu Manövern und Paraden. Dann arbeitetest du auf dem Kreiswehrersatzamt wurdest dort zum Unteroffizier befördert. Auch das hat dir sicher am Militär gefallen: dauernd wurde man befördert. Du hast es ja bis zum Hauptmann gebracht (nach deinem Tod), eine Militärkarriere, die eigentlich nur Akademikern vorbehalten war, aber in diesem Dritten Reich mit entsprechendem Einsatz und richtiger Gesinnung auch Nichtakademikern möglich war – also eine Möglichkeit zum Aufstieg jenseits muffiger Rechtsanwaltsstuben. War es also auch etwas Kalkül, das dich zur Wehrmacht trieb?

Wahrscheinlich waren deine Beweggründe eine Mischung aus allem: die Begeisterung für die“neue Zeit“, deine Abenteuerlust, die Aufstiegschancen und die Durchsetzung gegenüber deinem Vater. Und vielleicht auch noch ein weiterer Grund: Soldaten standen bei den Mädchen hoch im Kurs, Uniformen waren einfach „in“ - zumindest bei so jungen Mädchen wie Marga und ihren Freundinnen, sie hat es mir oft bestätigt. Sie hatte direkt Angst davor, dir ohne Uniform zu begegnen beim Baden. Ein Blick – und: die Faszination war, Gott sei Dank, auch ohne Uniform, in Badehose da.

Du wurdest 1934 „auf den Führer“ vereidigt, war dir da klar, dass mit dieser Eidesformel der Einsatz deines eigenen Lebens ausdrücklich gefordert wurde? „Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.“12

Du warst 18, als du diesen Eid geleistet hast, es waren noch Friedenszeiten, hast du darüber nachgedacht, WAS du hier geschworen hast, wenigstens einen Moment lang? Oder war das – im recht amüsanten Friedenssoldatenleben - nur eine unumgängliche Floskel für dich (wie meine Vereidigung als Lehrerin)? Was auch immer du sieben Jahre vor deinem Osteinsatz bei deinem Schwur gedacht hast – die geltenden Werte des soldatischen Lebens hattest du längst verinnerlicht.

Du hättest die Möglichkeit gehabt, den Krieg auf dem Kreiswehrersatzamt zu verbringen wie viele deiner Freunde, in der Nähe deiner Marga, aber du meldetest dich freiwillig zum Kriegseinsatz, du wolltest nicht die jungen Leute in den Krieg schicken und selbst in der relativ sicheren „Heimat“ sitzen, eine Haltung, die natürlich sehr moralisch ist, ich aber aus meiner Nachkriegssicht und als deine Tochter, die dich nicht kennen lernen durfte, für fragwürdig halte. Und während deines Frankreicheinsatzes wurde von deinem Kreiswehrersatzamt deine Rückversetzung angefordert und du hofftest, dass das nicht passiert, du wolltest gegen England kämpfen.

Papa, du wolltest das Abenteuer, die Frontbewährung - und wohl auch getreu deinem Eid Tapferkeit zeigen – und dich auch selbst bewähren. Deine Kommandanten lehnten die Rückversetzung ab – Marga war todtraurig, du warst erleichtert. Natürlich wärst du gern bei deiner Marga gewesen – aber wichtiger für dich waren deine soldatischen „Tugenden““ und deine Abenteuerlust.

War es so, Papa?

Unzählige Feldpostbriefe deiner Kameraden zeigen genau diese Haltung. So schreibt bspw. ein Gefreiter im September 39:“Wer heute als junger Mensch zu Hause ist, der muss sich ja direkt schämen(...“)13. Ein Obergefreiter jubelt nach einer Führerrede im Januar 40: „(...) besonders die Jungen freuen sich auf`s Losschlagen (...)“14. Und ein Hauptmann schreibt im Juni 40: „Gewiss, es wäre jedenfalls bequemer, den Krieg von der Heimat aus zu erleben, aber doch, ich würde mich schämen, wenn ich diesmal nicht auch dabei gewesen wäre (...)15.

Du wolltest, wie Tausende andere, „dabei“ sein, aber wobei eigentlich, Papa? Beim Abenteuer, beim Auslöschen des`“unerträglichen Versailler Vertrags“, beim Aufbau eines neuen Europas unter deutscher Vorherrschaft, ohne Juden, die hatte der „Führer“ ja schon in seiner Antrittsrede 33 der Vernichtung preisgegeben – was ihr alle gehört habt – und die Stufen dahin habt ihr alle mitbekommen. Deine Marga erzählt, dass plötzlich irgendwann zwei jüdische Mädchen aus ihrer Gymnasialklasse fehlten, sie meinte damals, sie wären umgezogen. Und als die Synagoge in ihrer Stadt brannte, sind alle hingerannt und haben zugeguckt, aber haben nicht verstanden, was los war. Und als nach und nach die beliebten jüdischen Geschäfte verschwanden, war`s einfach nur schade, dass sie aufgeben mussten. Keine Ahnung warum, so Marga.

Papa, du warst damals auch in dieser Stadt, ihr habt hier eure Jugendzeit verbracht, Marga und du. Du warst schon Soldat, deine Sicht der Dinge MUSS damals anders gewesen sein als Margas – aber ihr habt ja nie darüber gesprochen...

Das Wörtchen „muss“, das du auf deiner Seefahrt zum Ostfeldzug als „mächtig“ beschreibst, hatte tatsächlich Macht: mitgefangen - mitgehangen.

Jetzt hattest du keine Chance mehr, andere Entscheidungen zu treffen.

Kalender 11.9.1941

5.00 Uhr Weiterfahrt. Immer an Schwedens Küste entlang, große Wälder zur Linken. Feuerüberfall schwedischer Küstenbatterien auf ein Kriegsschiff draußen auf dem Meer. Herrliche Fahrt durch Fjorde, schöne, saubere Städte. Fahrt, dann Nachtruhe.

11.Sept. 1941-. Transport über See

Brief 11.9.1941

(...)Auch heute wieder herrliche Fahrt, schönes Wetter, das allerdings von einigen Regenschauern unterbrochen wurde. Herrliche Landstriche ziehen an uns vorüber.(…) An Bord hat man einen mordsmäßigen Appetit. Ich hab mir noch für deine Butter- und Fleischmarken Butter und Wurst gekauft, das kommt mir jetzt sehr gelegen.(…)

Papa,

wie oft hast du in deinen Briefen aus Frankreich und dem Balkan neben allem Soldateneinerlei, ´Frontabenteuer und -leid ´ auch begeistert all die neuen Eindrücke geschildert, die dir diese fremden Länder boten. Nie zuvor warst du dort gewesen, nie wärst du ohne die Wehrmacht dorthin gekommen. Deine zwei Urlaubsfahrten in den dreißiger Jahren waren Fahrradtouren an den Rhein und nach Süddeutschland mit einem Freund. Zwar schriebst du auch dort begeisterte Ansichtskarten an Marga, aber Auslandsaufenthalte waren für dich und die meisten deiner Kameraden völlig undenkbar. Lange vor dem Zeitalter des Massentourismus, wie wir ihn heute haben, bot euch das „Reisebüro Wehrmacht“16, so abwegig der Name auch angesichts eures Vernichtungskrieges klingen mag, die Gelegenheit, etwas von der Welt zu sehen. Und nicht nur deine, sondern unzählige Feldpostbriefe zeigen, wie sehr ihr auch dieses „Reisen“ zeitweise genießen konntet.

Kalender 12.9.1941

Früh 5.00Uhr unruhige See – hinein in den Bottnischen Meerbusen. Nachts fährt das Schiff durch.

12.9.41 Plata und Tübingen im Geleitzug hinter uns

Kalender 13.9,1941

Morgens schönes Wetter, Ankunft Hafen Vaasa, 10.30. Ausladen bis abends. 19.30 Marsch in die Stadt. Übernachten im Quartier, sehr nett. 22.00 im Bett (Sofa).

Brief 13.9.1941

(… )Heute an Land, Brief geht gleich mit dem Dampfer zurück, (… )Wir haben noch einen weiten Weg. Werden den Russen aber wohl noch kriegen, (…)

Ach Papa,

schwingt da ein leiser Zweifel mit, dass der Kampf gegen Russland doch nicht so schnell vorbei sein könnte? Eigentlich solltet ihr schon alle in neun Tagen im Raum Petsamo versammelt sein und am 25. September den raschen Durchstoß zur Bucht von Murmansk hinter euch bringen und den Gegner vernichtend schlagen.

Und nun siehst du den weiten Weg vor dir, Hunderte von Kilometern Fußmarsch in ein unbekanntes ödes Land und kannst dir vielleicht ausrechnen, dass dieser Plan nicht aufgehen kann. Aber ihr wart ja so verwöhnt durch die Blitzerfolge, dass euch wohl doch alles möglich erschien. Der schnelle Sieg über Polen, die Besetzung Norwegens, dann der unerwartet rasche Sieg über Frankreich, Erfolge in Afrika und auf dem Balkan – den deutschen Herrenmenschen schien ja alles zu gelingen, warum nicht auch der schnelle Sieg über Russland?

Am 22. Juni 41 hatte die Offensive“von Finnland bis zum Schwarzen Meer“ begonnen, der Ostfeldzug mit 152 Divisionen. Euer „Führer“ glaubte, der Feldzug im Osten dauere nicht länger als sechs Wochen.17

Was hast du wirklich damals gedacht?

Kalender 14.9.1941.

5.00 Uhr Wecken, 7.30 Abmarsch zum Verladebahnhof, Verladen auf finnischeWaggons, 11.30 Abfahrt Vaasa, eintönige, langweilige Landschaft. Nachts durchgefahren, Regen.

Kalender 15.9.1941

Früh aufgeweckt, sehr kalt, später Sonnenschein. Immer dieselbe Landschaft, Wälder, Wälder, Wälder. Nachts am Boden gepennt.

Papa,

das konnte man offensichtlich auch anders sehen. Ein Kommandierender General eines Lappland-Korps machte diese Fahrt auch 1941 – hat aber sicher nicht am Boden gepennt - und hat im Winter 42/43 ein Buch über die Front am Polarkreis geschrieben – wie hat er nur die Zeit dafür gehabt? Die Fahrt von Vaasa bis Rovaniemi beschreibt er so:“Wie eine verhaltene Symphonie klingen diese einsamen Wälder des Nordens, die glitzernden Seen, (usw. usw.) ...Glückseligkeit, traumverlorene Freude durchströmt unsere Seelen…“ 18 Ich erspare dir weitere Zitate, weil mir, und dir sicher auch, von diesen Romantizismen übel wird.

Kalendar 16.9.1941

Immer noch Wälder. 14.30 Ankunft Rovaniemi. Ausladen. 17.00 Abmarsch zum 4km nördlich gelegenen Quartier in einem Dorf., Schule belegt. Großer Krach zwischen Chef und Quartiermacher wegen schlechtem Biwakplatz.

Papa,

wusstest du, dass ihr es eurem Boss Schörner zu verdanken hattet, dass ihr nicht in Rovaniemi selbst Quartier beziehen durftet, er wollte mit allen Mitteln die Disziplin der Truppen heben, und dazu gehörte das Verbot, die kleine Stadt zu betreten,19 damit ihr gar nicht erst in Versuchung kamt, euch in irgendeiner Weise zu vergnügen – oder euch einen der begehrten Finnendolche zu besorgen. Ihr habt`s trotzdem versucht - in der Kiste mit deinen Briefen lag jedenfalls so ein Finnendolch mit den 5 olympischen Ringen und der braunen Lederscheide mit demElchskopf!!

Kalender 17.9.1941

Ortschaft Nähe Rovaniemi. Übung im Gelände, Arbeitsdienst. 16.00 Dv..K`deur General Schörner spricht zur Batterie zum bevorstehenden Einsatz.

Papa,

hat euer Chef euch da auch erzählt, dass alle Truppen 24 Stunden nach der Ankunft in Rovaniemi Exerzierdienst, Sprung- und Gefechtsdrill haben müssen, weil durch die langen Transporte die „Manneszucht bei einzelnen Einheiten so verludert“ seien, dass die Einsatzbereitschaft in Gefahr sei?

Dieser Chef, später betitelt als der „blutige Ferdinand“, als „letzter Tyrann von Athen“, als „Schrecken der Eismeerstraße“, als „Schlächter von Riga“, als „Kriegsverlängerer von Prag“ hat euch als ersten Tagesbefehl in Lappland verkündet: „Arktis ist nicht.“. Seine Führungsmaxime war „Kraft durch Furcht“ und „Gelobt sei, was die Truppe hart macht“.20 Und so hat er gehandelt. Nicht nur, dass er euch ohne entsprechende Ausrüstung und Nachschubregelung in die Eiswüste schickte gegen eine zahlenmäßig russische Übermacht, deren Nachschub über Murmansk auch dank der alliierten Lieferungen glänzend funktionierte, während eurer Nachschub überFinnland/Rovaniemi/Eismeerstraße dank der Hunderten von Kilometern und des arktischen Klimas (Nichtpassierbarkeit von Straßen und des Bottnischen Meerbusens) voraussehbar ganz schwierig sein würde und war.

Dein Kommandant Schörner zeichnete sich auch durch vielfach belegte psychopathische brutale Aktionen aus. So riss er bspw. bei Kriegsende flüchtenden Soldaten ihre Abzeichen ab und ließ sie erschießen, er richtete einen jungen Gefreiten im März 45 hin, der betrunken am Steuer seines Lasters eingeschlafen war, er ließ den Stadtkommandanten von Neiße im Januar 45 hinrichten, weil dieser die aussichtslose Verteidigung der Stadt verweigerte. Nach dem Krieg erhielt er – nach russischer Gefangenschaft - 41/2 Jahre Haft wegen Totschlags, bekam dann aber dank unseres Bundespräsidenten Heinrich Lübke in den 60ger Jahren eine angemessene Pension – und hat nie daran gezweifelt, dass er als Führungssoldat richtig gehandelt hat.21

Dieser ChefSchörner hat euch also bei Rovaniemi aufeuren Einsatz vorbereitet. Ich hätte gern gewusst, was er euch erzählt hat und wie du ihn erlebt hast.

Brief 17.9.1941

(…) Heute habe ich mal wieder die Möglichkeit, dir zu schreiben. Die Post wird hoffentlich noch einigermaßen schnell befördert werden. Mir wurde erzählt, dass sonst die Briefe bis zu 6 Wochen brauchen.Aber mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen wird auch diese Zeit überstanden, nicht wahr? (…) Lausig kalt ist es hier schon, haben unser dickes Winterzeug an, so übersteht man das. Viel schreiben von unserer hiesigen Umgebung kann ich nicht, später erzähle ich es dir. Zudem wird aus den Rundfunksendern in den nächsten Wochen einiges zu entnehmen sein. (…) Wenn du mal ein Paket schicken solltest, tue bitte Schnaps oder Cognac mit hinein, möglichst scharfen Kram gegen die Kälte. Davon kann man hier jeden Tag ¼ Liter brauchen, damit man nicht so leicht krank wird. (…)

Ach Papa;

die Rundfunksender werden höchst wenig oder gar nicht über euch berichten - du marschierst zu einem Nebenkriegsschauplatz, der in Eisstellungen verharrt, verharren muss. Und das interessiert niemanden. Und ich spüre Mitleid...

Kalender 18.9.1941

Ortschaft Nähe Rovaniemi. Batterieübung. Arbeitsdienst, Chef: allgemeiner Unterricht.

Kalender 19.9.1941

Ortschaft Nähe Rovaniemi. Pferde bewegen, Gefechtsdienst, Chef: Unterricht. Nachmittags dienstfrei, 17.00 Appell.

Kalender 20.9.1941

Quartier Nähe Rovaniemi. Pferde bewegen, Unterricht, Umzug, Sauna-Bad.

Kalender 21.9.1941

Arbeitsdienst, Sport, nachmittags dienstfrei. Abends Befehl für Abmarsch nächsten Tag.

Kalender 22.9.1941

5.45 marschbereit. Marsch auf der Eismeerstraße nordwärts, niedrige Wälder rechts und links der Straße (Polarkreis). Abends todmüde, viele Fußkranke, ich: Sehnenscheidenentzündung linkes Knie. Marschleistung: 51km

1941. Biwak an der Eismeerstraße

1941.Der Polarkreis wird überschritten

Kalender 23.9.1941

6.00 Uhr marschbereit, über Kalliovaara nach Koivisto, Quartier im Schuppen. Marschleistung 36 km.

Kalender 24.9.1941

5.00 marschbereit. Marschziel Sodankylä. Marschleistung 46 km.

Kalender 25.9.194

Rasttag, Pferdepflege. Ortschaft Sodankylä. Nettes Quartier( Radio), abends Omelett gegessen. 100 Finnmark erhalten, Wehrsoldzahlung. Brief an Marga.

Brief 25.9.1941

(…) Heute war Rasttag nach 147 km. Es war herrlich, mal wieder die Füßchen ausruhen zu können. Heute Nachmittag hab ich zwei Stunden gepennt, anschließend Strümpfe ausgewaschen und Saunabad. Morgen geht`s weiter. Hoffentlich kann ich diesen Brief unterwegs loswerden. (…)

Bald wird ja der Krieg vorbei sein, dann sind wir immer zusammen, Matz. Ich freu mich sehr auf ein ruhiges Leben und ein gemütliches Heim. Wir werden sehr glücklich werden.Um eins bitte ich dich: Bitte, bitte, lieber Matz, schenk mir dann all dein Vertrauen, ohne Vertrauen geht es nicht. Du schriebst mir von dem Abend, den die Batterie mit den Arbeitsmaiden veranstaltet hat. Sei dir gegenüber einmal ganz ehrlich, Matz. Wenn ich dir gleich davon erzählt hätte, daß ich als Tischherr fungieren mußte, es wäre doch bei dir zu Zweifeln gekommen. Wir waren ca 25 Unteroffiziere und 10 Obergefreite. Als die Maiden ihr Konzert beendet hatten, lud der Chef sie zu einem Imbiß ein. Die Tafeleinteilung war dann so geregelt, daß zur Unterhaltung abwechselnd Maid und Soldat gesetzt wurden. Es waren 17-18-jährige Mädchen. Es wurde gemeinsam gesungen, Vorträge gehalten und Trinksprüche losgelassen. Außerdem gab es einen Lichtbildervortrag vom Chef. Zum Schluss rückte die Führerin mit ihrem Haufen geschlossen wieder ab. Ein Pflichtabend für mich. Bitte verlieren wir über derlei Sachen keine Worte mehr. (… )Du weißt doch, mein Liebes, daß ich nur dich ganz fest liebe. Matz, bitte, die Sache ist nun erledigt, nicht mehr darüber schreiben (… )

Papa,

da marschierst du nun auf der Eismeerstraße gen Norden und musst dich mit Margas Eifersüchteleien auseinandersetzen. Ich weiß nicht, wie lange diese Batteriefeier her ist, wahrscheinlich war sie in Erlach. Und du hast ihr erst hinterher kurz davon erzählt – du kennst deine Marga und ihre oft düsteren Gedanken.

In den 31/2 Jahren bis zu eurer Verlobung 1939 gab es ein ständiges Auf und Ab in eurer Beziehung – du wolltest dich einfach noch nicht binden, feiertest die Feste, wie sie fielen, und Marga war dir einfach zu jung (4 Jahre jünger als du – sexuell konnte da gar nichts laufen, und darauf hast du ja auch Rücksicht genommen).

Ihr seid aber immer wieder nach kurzer Zeit zusammengekommen. Marga sagt noch heute: „Auch wenn er eine andere Freundin hatte, ich wusste immer: den werde ich heiraten.``

Und sie schrieb dir weiter, oft trotzig und schimpfend. Und du antwortetest und musstest die Briefe an ihre Freundin schicken, weil eure Beziehung natürlich vorihren Eltern geheimgehalten werden musste. Sie schwänzte Turnstunden, schürzte Freundinnenbesuche vor, um sich mit dir zu treffen - übrigens an denselbenPlätzen, an denen ich mich 16-jährig mit meinem Freund und späterem Ehemann traf....Zwei Jahre musstet ihr eure Beziehung verheimlichen, und als meine Oma, Margas Mutter, per Zufall von einer Nachbarin erfuhr, dass ihre Tochter händchenhaltend im Wald gesichtet wurde, rief sie: „Und ok noch mit een Soldat!“ (Marga hat mir das erzählt).

Für sie waren Soldaten wohl besonders schlimme Liebeskandidaten. Mag auch sein, dass ihre eigenen Erfahrungen mit Soldaten im 1. Weltkrieg so erschütternd waren, dass sie instinktiv abwehrte, wenn es um Soldaten ging: sie hatte ihren Bruder im 1.Weltkrieg unter dramatischen Umständen in Frankreich im Feldlazarett besucht, aber als sie ankam, war er gerade verstorben. Sie kam, 25-jährig, als weißhaarige Frau zurück. Sie konnte keine Kinder bekommen - ob aufgrund dieses Ereignisses, weiß ich nicht. Sie adoptierte Marga, die ihren Vater im ersten Weltkrieg verloren hatte und deren Mutter an Tuberkulose gestorben war, als Marga vier war. Marga hat einige Erinnerungen an diese Mama, aber wenig Erinnerungen an Trauer. Ihre Mutter war fortan die Frau des Bruders ihres Vaters, meine Oma, die eigentlich ja auch nicht meine Oma war, aber für mich die beste Oma aller Zeiten. Sie war einfach nur ein Geschenk für mich.

Du kennst sie ja, Papa, weißhaarig, als tüchtige Schneidermeisterin, die ihre Familie auch durch den Krieg hindurch brachte mit ihren Schneiderkünsten. Und euer Verhältnis war später, als sie dich kennen lernte, sehr innig. Aber zunächst einmal war da nur das helle Entsetzen, dass ihre kleine Marga mit einem Soldaten herumpoussierte. Marga bekam 4 Wochen Hausarrest, was sie heute mit Augenzwinkern erzählt, denn natürlich gelangen ihr Ausbrüche.

Marga 1935, 16-jährig, mit Zöpfen

Marga 1940, Hochzeitsjahr

Wärt ihr ohne Margas Hartnäckigkeit zusammengeblieben, Papa? - Ich frag das, weil ich ähnlich wie Marga an einer sehr frühen Liebe (diesmal allerdings schon aus Grundschulzeiten) festhielt, immer „das Licht am Ende des Tunnels“ sah und um diese Beziehung kämpfte und verlor. Das war ein Prozess von über 30 Jahren.

Ihr hattet diese Zeit nicht.

Marga und Gerd 1941

1941. Eismeerstraße

Kalender 26.9.1941

3.00 Uhr Wecken, 5.00 Uhr Abmarsch. Marschziel hinter Ortschaft Pekula. Nacht in Scheune. Marschleistung 42km.

Kalender 27.9.1941

6.00 Uhr Wecken, Abmarsch 10.00 Uhr, kurzer Marsch, nachmittags ins Zeltbiwak bei Km-Stein 184, Marschleistung 14km.

Kalender 28.9.1941

5.00 Uhr Wecken. Abmarsch nach Vuotso. Vorkommando der Abt. geführt. Zeltbiwak bei Vuotso. Marschleistung 37 km.

Papa,

während ihr noch die Eismeerstraße hoch marschiert, ist etwa eine Regimentsgruppe von eurer Division bereits in Petsamo – und kommt dort nicht weiter an die Liza-Front, weil die einzige Brücke, die von der Eismeerstraße zur Russenstraße führt, von einem Verband russischer Bomber an diesem Tag, dem 28.9., angegriffen wurde und sich das ostwärtige Ufer in einer Länge von einem Kilometer gelöst hat und mit Millionen Kubikmetern Lehmbrei das Flussbett verstopfte. Die Russenstraße konnte weder mit Versorgungsgütern, Munition Waffen benützt werden, noch konnten die Verwundeten von der Front über den Fluss gebracht werden. Die erste Aufgabe deiner Kameraden war also nicht der Marsch an die Front, sondern ein Brückenbau von 650m Länge.

1941. Brückenbau Prinz Eugen Brücke bei Parkkina

Habt ihr solche schlechten Nachrichten erfahren? Wusstet ihr überhaupt etwas über die militärische Lage in eurem Einsatzgebiet, bspw. über die absolute Luftüberlegenheit der Russen an dieser Front? Euer Flakschutz war äußerst dürftig. Auch auf unterstützende Flottenverbände konntet ihr nicht zurückgreifen. Die Ausgangsbasis der Russen war eurer haushoch überlegen. Wahrscheinlich hat man euch das nicht gesagt, und vielleicht ist es gut, dass ihr es nicht wusstet.

Kalender 29.9.1 941

Rasttag.Waffen-, Geräte-, Pferdepflege.

Brief 29.9.1941

(…) Heute ist Rasttag. Wir liegen in einem Zeltbiwak im Walde. Es ist Gott sei Dank trocken, die Kälte ist nicht so schlimm. (…) Es geht mir mir gesundheitlich gut, habe mir in der letzten Woche nur einige Wanzenstiche aus den hiesigen Wanzenbuden geholt, in denen wir das Glück hatten übernachten zu dürfen. Unangenehm! (…)

Hier ist das Gedicht von meinem Chef, das du dir wünschtest:

Der Bergsoldat

1.) Wer unrasiert und Füß`net g`woschen

wer nie nen Pfennig in der Toschen

wer sich schneuzt in seine Händ

weil er`s Toschentuch nicht kennt

und wer nie was recht g`mocht hoat

jo, dös ist der Bergsoldat.

2.) Wer ungeachtet, ungenannt

marschiert daher im fremden Land

wer an de Füeß hoat große Bloasen

wen unaufhörlich tröpfelt die Noasen

und wer nie g`nuog zu rauchen hoat

jo Freind, dös ist der Bergsoldat.

3.) Wer auf sein Muli richtig schaut

sich selber kaum woas z`essen traut

wem Hoar san g`wachsen bis ins Genack

und auf Noacht noch ploagt der Schnack

und wer nie woas z`reden hoat

des ist bestimmt der Bergsoldat.

4.) Wen der Muchel drückt sehr greislich (Muchel=Tornister)

weil die Sonne sticht so scheißlich

wer nen Durscht hat zum Verbrenne

und muß trotzdem weiterrenne

weil er nie koa Ruh net hoat

jo, jo, des ist der Bergsoldat.

5.) Doch wer überall bekannt

vom Norden bis nach Griechenland

wer überall wo`s brenzlig wird

zum Zuoschlag`n hin an Feind wird g`führt

der Führer selber g`soagt es hoat

allweil is dös der Bergsoldat.

(Verfasst von meinem Chef)

(…) Morgen geht`s weiter, marschieren, marschieren. (…)

Papa,

deine Uniformjacke mit dem gelben Edelweiß und deine Mütze hab ich hier zu Haus bei mir – du magst es mir verzeihen: in meinem Mini-Theaterfundus, es war sonst kein Platz in meiner Wohnung. (Deine Marga, die noch immer in dem großen Haus wohnt, das du kennst, übergab mir deine Uniform zusammen mit der Brief- und Fotokiste). Ich habe sie nie für Theaterzwecke gebraucht und könnte das auch nicht - und hab trotzdem das Gefühl, für mich ist deine Uniform in dieser Theater- Fundus-Umgebung richtig.

Für dich wird das schmerzlich sein, Papa, für dich war diese Uniform Ausdruck deiner Realität und mit großen Hoffnungen verbunden.

Eher durch Zufall bist du in diese 6. Edelweißdivision geraten, als Norddeutscher, und warst dann mit Leib und Seele dabei. Die Gebirgsjäger waren schon ganz besondere Soldaten, hart im Nehmen in jeder ausweglosen Situation – das war wenigstens ihr Ruf. Das Edelweiß war für euch so etwas wie ein Elitezeichen.

Das Gedicht deines Chefs zeichnet ein anderes Bild: Dieser Gebirgssoldat ist ein tumber Naturbursche, der im Auf und ab des Krieges stur seinen Weg geht. Und vom„Führer“ gern an klimatisch und geographisch exponierten Gebieten eingesetzt wird.

Du hast dieses Gedicht an Marga geschickt, auf der Eismeerstraße, und ich denke (hoffe), du hast es mit einigem Augenzwinkern geschickt.

Ihr hattet ja sogar einen“Gebirgsjägerzeichner“, den Major Albert Hohenester, der eure „Europa -Reisen“ karikaturistisch begleitete. „Nur kein Schema“ (DietlsWahlspruch) hieß bspw. eines seiner Bücher, mit dem Untertitel „Lachende Gebirgsjäger am Polarkreis“. 22 Du kennst dieses Buch sicherlich, Papa (1941 erschienen), es hat dieselbe tendenziöse Aussage wie das Gedicht deines Chefs: Gebirgsjäger sind tapfer, treuherzig, etwas blöd, aber offenbar sind all diese Kärntner, Tiroler etc. liebenswert, sie erdulden alles, wagen aber auch alles und sind sich immer treu, ihrem Führer natürlich auch. Ich kann über die„lachenden Gebirgsjäger am Polarkreis“ leider gar nicht lachen, Papa – zu sehr ist mir eure Situation da oben bewusst..

Mit wie viel Identifikation mit diesen Gebirgsjägern bist du als Norddeutscher in dieses unbekannte Land

gezogen?

Wenn ich andere „hehre“ Worte über die Edelweißdivisionen lese, wird mir angst und bange, dass du dich damit wahrscheinlich identifiziert hast.

General Hubert Lanz, später verantwortlich für unglaubliche Massaker der 1. Gebirgsdivision, sah den Gebirgsjäger so:

"Also steht er vor uns: kraftvoll und hart, wortkarg und zäh, mit kantigem Gesicht, selbst ein Stück Fels - der Kämpfer der Berge. Das Natürliche waltet im Leben und Treiben, in Ausbildung und Kampf des Gebirgsjägers. Eng verbunden sind Offizier und Mann. Aus solcher Kameradschaft erwächst ein eigenes Pflichtgefühl, die innere Treue. Gut ausgebildet, an Härte und Opfer gewöhnt, geht der Gebirgsjäger in den Krieg, der das 'Edelweiß zum Schrecken der Feinde' werden läßt. Höchste Leistungen zeichnen seinen Weg. Als das bittere Ende naht, geht die Gebirgstruppe, hart mitgenommen, aber ungebrochen im Rahmen des Heeres in die Heimat zurück. Ohne lautes Wort kehrt sie heim in ihre Berge, in den Schoß ihres Volkes, aus dem sie gekommen war. Sie gedenkt der toten Kameraden, die in fremder Erde ruhen, verbunden mit ihnen in der Einheit des Seins. (…) Mit Würde und Stolz trage, Gebirgsjäger, dein Edelweiß! Die herbe, schönste Blume deiner Berge bleibe Sinnbild deines Wesens, Ehrenzeichen besten deutschen Soldatentums im Krieg wie im Frieden.“23

In welchen schwülstigen „Sumpf“ bist du nur hineingeraten, Papa, bzw. hast du dich freiwillig hineinbegeben!

Kalender 30.9.1941

5.00 Uhr Wecken.. Abmarsch bei Kilometerstein 252. Biwak. Nacht in Straßenbaracke. 32 km.

Kalender 1.10.1941

Marsch nach Ivalo (Km 296). Wetter trocken. 44 km.

1941. Die ersten Spuren der Russen

Kommandobesprechung mit Oberst Jais

Kalender 2.10.1941

Rasttag. Pferdepflege, Waffen- und Gerätepflege.

Brief 2.10.1941

(...) Schnell einen Brief aus fernem Land. (…) Bin jetzt immer mit Krad voraus (Beiwagenmaschine), Quartier machen für unsere Abteilung. Aber da gibt`s janicht viel zu tun, da sind nur geeignete Biwakplätze und Wasserstellen zumTränken der Pferde auszukundschaften.. Wenigstens braucht man da nicht zu tippeln, aber kalt ist`s umso mehr. (…)

Wann werden wir uns wiedersehen? Ist der Krieg dann zu Ende? Da steht immer ein großes Fragezeichen vor mir. Aber einmal muss es ja ein Ende geben. Hauptsache ist, daß euch nichts passiert und ihr gesund bleibt. (…)

Papa,

an diesem Rasttag habt ihr sicher den Tagesbefehl eures „Führers“ gehört: „Zwei Erkenntnisse, Kameraden, werdet ihr unterdes gewonnen haben: 1. Dieser Gegner hatte sich für seinen Angriff militärisch in einem so enormen Ausmaße gerüstet, dass auch die stärksten Befürchtungen noch übertroffen worden sind. 2. Gnade Gott unserm Volk und der ganzen europäischen Welt, wenn dieser barbarische Feind seine Zehntausende von Panzern vor uns in Bewegung hätte setzen können! Ganz Europa wäre verloren gewesen. Denn dieser Feind besteht nicht aus Soldaten, sondern zum größten Teil aus Bestien!“(...)“In diesen dreieinhalb Monaten, meine Soldaten, ist nun aber endlich die Voraussetzung geschaffen worden zu dem letzten gewaltigen Hieb, der noch vor dem Einbruch des Winters diesen Gegner zerschmettern soll!“24

Und zu diesen „Bestien“ musst du nun hoch wandern und deine Siegesgewissheit, die du bei den letzten beiden Feldzügen hattest, hat deutliche Einbußen erlitten.

Kalender 3.10.1941

5.00 Uhr Abmarsch Ivalo. Biwak im Wald bei Kilometerstein 322. Regen, kalt. 26 km.

Kalender 4.10.1941

5.00 Uhr Abmarsch. Marsch bis Kilometerstein 361. Regen, kalt. Barackenlager. 29 km.

Kalender 5.10.1941

5.00 Abmarsch. Marsch bis Kilometer 403. Kalt. 52 km.

Kalender 6.10,1941

Rasttag. Erkundung von neuen Biwakplätzen.

Kalender 7.10.1941

7.00 Abmarsch. Marsch nach Kilometer 424. Regen, kalt. 21 km.

Kalender 8.10.1941

5.00 Uhr Abmarsch. Marsch nach Kilometer 446. Trocken, kalt. In Sauna geschlafen. 22 km.

1941. Über Nacht kam der Schnee

Lagebesprechung (links Gerd)

Kalender 9.10.1941

6.00 Uhr Abmarsch. Schnee, eisiger Wind.Straßenverstopfung, 8 Stunden im Schnee treten auf der Straße. 24.00 Uhr Ankunft auf Biwakplatz. Zeltbau imSchnee. Um 3.00 Uhr mit 22 Mann aufeinander im Zelt. 35km

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8 Andreas Weinberger, Das gelbe Edelweiß„ S. 127/128

9 Weinberger, s.o., S.222

10 Weinberger, s.o., S.221/222

11 Das andere Gesicht des Krieges, Deutsche Feldpostbriefe 1939–1945, hg. von Ortwin Buchbender und Reinhold Sterz, S. 25

12 Neitzel/Welzer, s.o., S.468

13 Das andere Gesicht des Krieges, s.o., S.44

14 Das andere Gesicht des Krieges, s.o., S.47

15 Das andere Gesicht des Krieges, s.o., S.59

16 Ebba D. Drolshagen, Der freundliche Feind, S. 52

17 Das andere Gesicht des Krieges, s.o., S.65

18 Das Buch eines Lappland-Korps, Front am Polarkreis, S.25

19 Ruef, Gebirgsjäger., s.o., S. 22

20 Spiegel 7, 9.2.1955, Der laute Kamerad

21 Die Zeit 37, 8.9.05, Der Bluthund ist zurück

22 Albert Hohenester, Nur kein Schema, Lachende Gebirgsjäger am Polarkreis, 1941, Zeichnungen, S.64+54

23 Prolog von General der Gebirgstruppe Hubert Lanz in: Die deutsche Gebirgstruppe 1935–1945, München 1989

24 Weinberger, s.o., S.252/53

Marsch auf der Eismeerstraße im Oktober 41

Trostlose Weite (Oktober 41) Marsch auf der Eismeerstraße

Kalender 10.10.1941

Herrichten des Biwaks. Schneegestöber. Bau von Windschutzhecken für die Pferde. Alles eingeschneit, ein Pferd tot. Nacht wieder Massengrab im Zelt.

Papa,

wenn ich deine Kalendereintragungen lese und deine Fotos sehe, packt mich die große Wut, die ich immer schon vorher latent spürte. Bedauern, Unverständnis und Verstehen-Wollen ist eine Seite auf dem langen Weg zu dir, die Wut ist von ganz anderem Kaliber, sie hat unmittelbar etwas mit mir zu tun. Na klar ist es zunächst mal die Wut auf die bodenlose Unvernunft deiner„Führer“, die dich an diese aussichtslose, eisige Front schickten. Und es ist auch eine Wut auf dich, du hast ja diesen ganzen Irrsinn voller Überzeugung mitgemacht/mitmachen müssen(?). Aber eigentlich ist es die Wut, dass ich auch heute so wenig Möglichkeiten sehe, den Irrsinn meiner Zeit, die du nicht kennst, Papa, zu beeinflussen. Ich hab, was du nicht wissen kannst, über 40 Jahre als Lehrerin gearbeitet, hab in meinem Winzbereich durch meine Art von Unterricht, durch Theater -, Tanz-, Politikprojekte meine diversen Schulen und manche(viele?) meiner SchülerInnen ein wenig verändert in Richtung selbstbestimmtem Leben. Aber nach wie vor gibt es Kriege, Ungerechtigkeiten, Armut - und die Drahtzieher sind außer den politischen, weltanschaulichen Machthabern vor allem die Finanzlobbys, die Banken. Und da blickt niemand durch.

Und das ist meine Wut: Ich sehe dich da hoch wandern in ein völlig menschenfeindliches Gebiet, sehe, dass du da untergehen wirst und sehe gleichzeitig, dass genau das gleiche Dilemma in veränderter Form heute und hier vorhanden ist –.

Euer Auftrag da oben war inzwischen nicht mehr Angriffe in Richtung Murmansk, sondern auf Weisung eures„Führers“, die Stellungen an de Liza und am Hals der Fischerhalbinsel zu halten – der schnelle Wintereinbruch führte jeden weiteren Angriff ad absurdum. Und so hast du in dieser Eiswüste den Rest deines jungen Lebens im Stellungskrieg verbracht, ohne dass sich irgend etwas geändert hatte – die Sinnlosigkeit deines Tuns macht mich wütend, weil Fragen nach dem Sinn meines Tuns auftauchen.

An diesem 10. Oktober feierten deine inzwischen im „Versammlungsraum“ Petsamo angekommenen Kameraden den „Kärntnertag“, (das Gedenken an den Kärntner Freiheitskampf (!)) - in Eis und Schneesturm. In deinem „Edelweiß“-Buch klingt das so:“(...) jener Geist von Kärnten gilt überall, wo junge deutsche Soldaten stehen. Neben dem General steht der Sieger vonNarvik. Die Jäger wenden keinen Blick. Er ist ihr Korpskommandeur geworden und für die Schauenden noch mehr: das fleischgewordene Zeichen des Aushaltens bis zum Letzten. Der General sagt es(...). Er spricht von der kommenden Pflicht. Die Augen der Offiziere und Jäger leuchten es ihm zu: Die Division wird dem Sieger von Narvik keine Enttäuschung werden. Wild faucht der Schneesturm. Aber noch lauter schallt das Sieg-Heil auf denFührer.“ 25

Du wirst in deinem nächtlichen „Massengrab“ andere Gedanken gehabt haben, Papa.

Kalender 11.10.1941

Saukalte Nacht, früh auf. Zwei Pferde tot. Schneegestöber. Schleppdachbau für Pferde aus Zweigen. Löhnungsappell.

Papa,