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Dies ist der zweite von drei Bänden mit den schönsten Erzählungen des 1853 in berlin verstorbenen Schriftstellers der Romantik. Enthalten sind folgende Erzählungen: Die wilde Engländerin Der Geheimnisvolle Die Gemälde Die Gesellschaft auf dem Lande Der Hexen-Sabbat Leben des berühmten Kaisers Abraham Tonelli Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben Die Geschichte von den Haimonskindern
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Seitenzahl: 1104
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Meine Erzählungen, Band 2
Ludwig Tieck
Inhalt:
Ludwig Tieck – Biografie und Bibliografie
Die wilde Engländerin
Der Geheimnisvolle
Die Gemälde
Die Gesellschaft auf dem Lande
Der Hexen-Sabbat
Leben des berühmten Kaisers Abraham Tonelli
Erster Abschnitt
Zweiter Abschnitt
Dritter Abschnitt
Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmunds Leben
Die Geschichte von den Haimonskindern
Kurze Vorerinnerung
Erstes Bild
Zweites Bild
Drittes Bild
Viertes Bild
Fünftes Bild
Sechstes Bild
Siebentes Bild
Achtes Bild
Neuntes Bild
Zehntes Bild
Eilftes Bild
Zwölftes Bild
Dreizehntes Bild
Vierzehntes Bild
Funfzehntes Bild
Sechzehntes Bild
Siebzehntes Bild
Achtzehntes Bild
Neunzehntes Bild
Zwanzigstes Bild
Meine Erzählungen, Band 2, L. Tieck
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849637675
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Dichter der romantischen Schule, geb. 31. Mai 1773 in Berlin, gest. daselbst 28. April 1853, Sohn eines Seilermeisters, besuchte seit 1782 das damals unter Gedikes Leitung stehende Friedrichswerdersche Gymnasium, wo er sich eng an Wackenroder anschloß, und studierte darauf in Halle, Göttingen und kurze Zeit in Erlangen Geschichte, Philologie, alte und neue Literatur. Nach Berlin zurückgekehrt, lebte er von dem Ertrag seiner schriftstellerischen Arbeiten, die er größtenteils im Verlag des Aufklärers Nicolai veröffentlichte. So erschienen in rascher Reihenfolge die Erzählungen und Romane: »Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten« (Berl. 1795, 2 Bde.), »William Lovell« (das. 1795–96, 3 Bde.; vgl. Haßler, L. Tiecks Jugendroman »William Lovell« und der »Paysan perverti« des Rétif de la Bretonne, Dissertation, Greifsw. 1903) und »Abdallah« (das. 1796), ferner Novellen meist satirischen Inhalts in der Sammlung »Straußfedern« (1795–98), worauf er, seinen Übergang zur eigentlichen Romantik vollziehend, die bald dramatisch-satirische, bald schlicht erzählende Bearbeitung alter Volkssagen und Märchen unternahm und unter dem Titel: »Volksmärchen von Peter Lebrecht« (das. 1797, 3 Bde.) veröffentlichte. Den größten Erfolg errangen unter diesen Dichtungen die unheimlich düstere Erzählung »Der blonde Eckert« und das phantastisch-satirische Drama »Der gestiefelte Kater«. Die Richtung, die in seinen Schriften immer deutlicher hervortrat, mußte ihn in schroffen Gegensatz zu Nicolai sowie zu Iffland, dem Leiter des Berliner Theaters, bringen, während die Romantiker ihn begeistert anpriesen als ein Genie, das Goethe ebenbürtig sei. Nachdem er sich 1798 in Hamburg mit einer Tochter des Predigers Alberti verheiratet hatte, verweilte er 1799–1800 in Jena, wo er zu den beiden Schlegel, Hardenberg (Novalis), Brentano, Fichte und Schelling in freundschaftliche Beziehungen trat, auch Goethe und Schiller kennen lernte, nahm 1801 mit Fr. v. Schlegel seinen Wohnsitz in Dresden und lebte seit 1802 meist auf dem Gute Ziebingen bei Frankfurt a. O., mit dessen Besitzern (erst v. Burgsdorff, dann Graf Finkenstein) er eng befreundet war. Doch unterbrach er diesen Aufenthalt durch längere Reisen nach Italien, wo er die deutschen Handschriften der vatikanischen Bibliothek studierte (1805), sowie nach Dresden, Wien und München (1808–10). Während dieses Zeitraums waren erschienen: »Franz Sternbalds Wanderungen« (Berl. 1798), ein die altdeutsche Kunst verherrlichender Roman, an dem auch sein Freund Wackenroder Anteil hatte, »Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Geschmack« (Jena 1799), und »Romantische Dichtungen« (das. 1799–1800, 2 Bde.) mit dem Trauerspiel »Leben und Tod der heil. Genoveva« (separat, Berl. 1820) sowie das nach einem alten Volksbuch gearbeitete Lustspiel »Kaiser Octavianus« (Jena 1804), weitschweifige Dichtungen, in denen das erzählende und namentlich das lyrische Element überwiegt, aber aus einem Gewirr mannigfaltigster metrischer Ausdrucksformen gelegentlich doch echte Schönheit hervorleuchtet (vgl. Ranftl, L. Tiecks »Genoveva« als romantische Dichtung betrachtet, Graz 1899). Von den zahlreichen Übersetzungen und Bearbeitungen fremder Werke, die T. damals veröffentlichte, seien erwähnt: die fehlerhaften »Minnelieder aus der schwäbischen Vorzeit« (Berl. 1803), die gelungene Verdeutschung des »Don Quichotte« von Cervantes (das. 1799–1804, 4 Bde.), die wertvolle Übersetzung einer Anzahl Shakespeare zugeschriebener, aber zweifelhafter Stücke u. d. T.: »Altenglisches Theater« (das. 1811, 2 Bde.) u. a. Auch gab er u. d. T.: »Phantasus« (Berl. 1812–17, 3 Bde.; 2. Ausg., das. 1844–45, 3 Bde.) eine Sammlung früherer Märchen und Schauspiele, vermehrt mit neuen Erzählungen und dem Märchenschauspiel »Fortunat«, heraus, welche die deutsche Lesewelt lebhaft für T. interessierte. Das Kriegsjahr 1813 sah den Dichter in Prag; nach dem Frieden unternahm er größere Reisen nach London und Paris, hauptsächlich im Interesse eines großen Hauptwerks über Shakespeare, das er leider nie vollendete. 1819 verließ er dauernd seine ländliche Einsamkeit und nahm seinen Wohnsitz in Dresden, wo nun die produktivste und wirkungsreichste Periode seines Dichterlebens begann. Trotz des Gegensatzes, in dem sich Tiecks geistige Vornehmheit zur Trivialität der Dresdener Belletristik befand, gelang es ihm, hauptsächlich durch seine fast allabendlich stattfindenden dramatischen Vorlesungen, in denen er sich als Meister in der Kunst des Vortrags bewährte, einen Kreis um sich zu sammeln, der seine Anschauungen von der Kunst als maßgebend anerkannte. Als Dramaturg des Hoftheaters (seit 1825) gewann er eine bedeutende Wirksamkeit, die ihm freilich durch Angriffe der Gegenpartei mannigfach verleidet wurde. In der Novellendichtung, der sich T. in dieser Dresdener Zeit vor allem widmete, leistete er zum Teil Vortreffliches; aber er bahnte auch jener bedenklichen Gesprächsnovellistik den Weg, in der das epische Element fast ganz hinter dem reflektierenden zurücktritt. Zu den bedeutendsten zählen: »Die Gemälde«, »Die Reisenden«, »Der Alte vom Berge«, »Die Gesellschaft auf dem Lande«, »Die Verlobung«, »Musikalische Leiden und Freuden«, »Des Lebens Überfluß« u. a. Unter den historischen haben »Der griechische Kaiser«, »Dichterleben«, »Der Tod des Dichters« und vor allen der großartig angelegte, leider unvollendete »Aufruhr in den Cevennen« Anspruch auf bleibende Bedeutung. In allen diesen Novellen befriedigt nicht nur meist die einfache Anmut der Darstellungsweise, sondern auch die Mannigfaltigkeit lebendiger und typischer Charaktere und der Tiefsinn der poetischen Idee. Sein letztes größeres Werk: »Vittoria Accorombona« (Bresl. 1840), entstand unter den Einwirkungen der neufranzösischen Romantik und hinterließ trotz der Farbenpracht einen überwiegend peinlichen Eindruck.
T. übernahm in Dresden auch die Herausgabe und Vollendung der von A. W. v. Schlegel begonnenen Shakespeare-Übertragung (Berl. 1825–33, 9 Bde.), doch hat er selber nur die Anmerkungen beigesteuert. Die Übersetzungen A. W. v. Schlegels (s. d.) wurden zum Teil mit eigenmächtigen Änderungen wieder abgedruckt, die übrigen Stücke übersetzten Tiecks Tochter Dorothea (geb. 1799) und Wolf Graf von Baudissin (s. d.). Diese beiden verdeutschten auch noch sechs weitere Stücke des alten englischen Theaters, die T. als »Shakespeares Vorschule« (Leipz. 1823–29, 2 Bde.) mit ausführlicher literarhistorischer Einleitung herausgab. Ebenso stammen aus dieser Zeit mehrere mit Einleitungen versehene Ausgaben von Werken deutscher Dichter, auf die er die Aufmerksamkeit von neuem hinlenken wollte. So hatte er schon 1817 eine Sammlung älterer Bühnenstücke u. d. T.: »Deutsches Theater« veröffentlicht (Berl., 2 Bde.). Dann gab er die hinterlassenen Schriften Heinrichs v. Kleist (Berl. 1821) heraus, denen die »Gesammelten Werke« desselben Dichters (das. 1826, 3 Bde.) folgten, ferner Schnabels Roman »Die Insel Felsenburg« (Bresl. 1827) und die »Gesammelten Schriften« von J. M. R. Lenz (Berl. 1828, 3 Bde.). Aus seiner dramaturgisch-kritischen Tätigkeit erwuchsen die wertvollen »Dramaturgischen Blätter« (Bresl. 1825–26, 2 Bde.; Bd. 3, Leipz. 1852; vollständige Ausg., das. 1852, 2 Tle.). 1837 verlor T. seine Frau, seine Tochter Dorothea starb 21. Febr. 1841. In demselben Jahre wurde er vom König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin berufen, wo er, durch Kränklichkeit zumeist an das Haus gefesselt, ein zwar ehrenvolles und sorgenfreies, aber im ganzen sehr resigniertes Alter verlebte. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Romantiker« (Bd. 17). Seine »Schriften« erschienen in 20 Bänden (Berl. 1828–46), seine »Kritischen Schriften« in 2 Bänden (Leipz. 1848), »Gesammelte Novellen« in 12 Bänden (Berl. 1852–54), »Nachgelassene Schriften« in 2 Bänden (Leipz. 1855). »Ausgewählte Werke« Tiecks gaben Welti (Stuttg. 1886–1888, 8 Bde.), Klee (mit Biographie, Einleitungen und Anmerkungen, Leipz. 1892, 3 Bde.) und Witkowski (mit Einleitung, das. 1903, 4 Bde.) heraus. Aus Tiecks Nachlaß, der sich in der Berliner Bibliothek befindet, veröffentlichte Bolte mehrere Übersetzungen englischer Dramen, unter andern »Mucedorus« (Berl. 1893). Die Ungleichheit von Tiecks Leistungen ist z. T. auf sein improvisatorisches Arbeiten zurückzuführen, das ihn selten zu reiner Ausgestaltung seiner geist-, phantasie- und lebensvollen Entwürfe gelangen ließ; die Gesamtheit seiner Schriften verrät deutlich die Weite und Größe seines Talents. R. Köpke, der T. in den letzten Berliner Jahren nahe stand, veröffentlichte eine ausführliche Biographie u. d. T.: »Ludwig T., Erinnerungen aus dem Leben etc.« (Leipz. 1855, 2 Bde.). Vgl. außerdem H. v. Friesen, Ludwig T., Erinnerungen (hauptsächlich aus der Dresdener Zeit, Wien 1871, 2 Bde.); »Briefe an Ludwig T.« (hrsg. von K. v. Holtei, Bresl. 1864, 4 Bde.); Ad. Stern, Ludwig T. in Dresden (in dem Werk »Zur Literatur der Gegenwart«, Leipz. 1880); Steiner, Ludwig T. und die Volksbücher (Berl. 1893); Garnier, Zur Entwicklungsgeschichte der Novellendichtung Tiecks (Gieß. 1899); Mießner, L. Tiecks Lyrik (Berl. 1902); Ederheimer, Jak. Böhmes Einfluß auf T. und Novalis (Heidelb. 1904); Koldewey, Wackenroder und sein Einfluß auf T. (Leipz. 1904); Günther, Romantische Kritik und Satire bei Ludwig T. (das. 1907). – Tiecks Schwester Sophie T., geb. 1775 in Berlin, verheiratete sich 1799 mit Aug. Ferd. Bernhardi (s. d.), von dem sie 1805 wieder geschieden wurde, lebte dann in Süddeutschland und mit ihren Brüdern, dem Dichter und dem Bildhauer, längere Zeit in Rom, später in Wien, München und Dresden. 1810 schloß sie eine zweite Ehe mit einem Esthländer, v. Knorring, dem sie in dessen Heimat folgte, und starb dort 1836. Sie hat außer Gedichten, z. B. dem Epos »Flore und Blanchefleur« (hrsg. von A. W. v. Schlegel, Berl. 1822), auch Schauspiele und einige Romane, wie »Evremont« (hrsg. von Ludw. T., das. 1836), geschrieben.
Es lebte in Northumberland ein reicher Gutsbesitzer mit seiner einzigen Tochter. Da sie eine reiche Erbin war, so wurde das wohlgebildete Mädchen von vielen jungen und ältern Leuten aus der vornehmen Welt aufgesucht, die sie zur Gattin wünschten. Sie war mit Allen freundlich, so wie aber die Rede auf diesen Gegenstand kam, so wie ihr einer von Liebe sprach, wendete sie sich von ihm mit großer Strenge ab, vermied seinen Umgang und war gegen ihn so kalt und gleichgültig, daß der beschämte Freier das Schloß des Vaters nicht wieder besuchte und sich gern aus der Gegend entfernte.
Florentine war groß und schlank, die Farbe ihres Gesichtes von dem reinsten Weiß, die seinen Lippen von frischer Röthe, und das Haar, das sie in kurzen Locken um Stirn und Nacken fliegen ließ, rabenschwarz; eben so dunkel waren die feingezogenen Augenbraunen, das braune Auge blickte Jeden heiter und freundlich an, verwandelte sich aber in den finstersten Ernst, wenn Jemand die gewöhnliche Höflichkeit in den Ton der Zärtlichkeit umstimmen wollte. Sie sah sich gern zu Pferde, ritt auch oft ohne Begleitung, die Einsamkeit schien ihr überhaupt lieber, als der Umgang selbst von interessanten Menschen. Die gewöhnlichen weiblichen Arbeiten vernachlässigte sie fast ganz und schien sie zu verachten, eben so kümmerte sie sich wenig um die unterhaltenden Bücher und kannte die Poeten, selbst die ihres Vaterlandes, fast gar nicht. Astronomie beschäftigte sie am meisten, und in der Nacht war sie fleißig auf dem Observatorium, welches der Vater ihr auf einem der Thürme des Schlosses hatte bauen lassen. Sie las die wichtigsten Werke dieser Wissenschaft und stand, der Instrumente wegen, und um sich in Briefen über schwere Fragen zu unterrichten, mit den berühmtesten Astronomen, auch des Auslandes, in Korrespondenz, denen sie in lateinischer Sprache schrieb, welche sie schon seit ihrer frühen Jugend mit großem Eifer erlernt hatte. Mathematik war ihr natürlich nicht fremd, und wie andre Mädchen sich in ihren Lieblingsdichtern und den geistreichen Darstellungen der Leidenschaft vertiefen, so saß sie am liebsten, welches ihr die schönsten Stunden waren, über sehr verwickelten algebraischen Aufgaben, suchte die schwierigsten zu lösen, und vergaß dann die Welt um sich her. Von diesen Studien wußten aber nur wenige Menschen, weil sie selber nie davon redete; der Vater hielt sein Versprechen, dieser Sonderbarkeit gegen Niemand zu erwähnen, und so geschah es, daß mancher Besucher sie für einfältig, unwissend und ungebildet hielt, wenn sie von dem, was im täglichen Leben gesprochen wird, so gar Nichts wußte, kein Buch kannte, sich für kein Gedicht, für keinen Roman interessirte; so wie sie im Gegentheil manchen ihrer Bewerber, manchen seinen Mann, der für hochgebildet galt, im Stillen verachtete, wenn er so oft, ohne sich deß zu schämen, über alle jene Gegenstände, in welchen sie erfahren war, die tiefste Unwissenheit verrieth.
Dieser Charakter wurde so wenig verstanden, daß man sie in der Gegend dort nur die schöne Wilde nannte. Die Frauen fürchteten sich vor der hohen edeln Gestalt und ihren dunkeln durchdringenden Augen, und wenn es irgend möglich war, vermied Florentine die weiblichen Gesellschaften ganz, deren Gespräche sie eigentlich nicht verstand, und deren Tugenden wie Fehler ihr auch so geringfügig schienen, daß sie von beiden keine Kenntniß nehmen mochte.
Der verständige Vater, der sein einziges Kind innig liebte, hatte schon längst im Stillen vielen Kummer darüber, daß er dieses schöne Wesen so wunderbar sich entwickeln und in seinen Eigenthümlichkeiten immer fester und sicherer werden sah. Er hatte immer gehofft, daß irgend einer der schönen und liebenswürdigen Jünglinge, die sich um sie bewarben, ihr Herz rühren und den starren Sinn brechen würde, aber je reizender die jungen Männer waren, je leichter sie durch ihre Eigenschaften andre Schönheiten gewannen, um so bestimmter und kälter wendete sich Florentine von ihnen ab und erklärte einmal ihrem Vater, diese Wesen seien eben so wenig Männer als Frauen und erschienen ihr wie eine Art von Sylphen oder Feen, von denen sie in ihrer Kindheit einmal hatte reden hören, und die die Natur recht eigentlich nur auf den Putz geschaffen habe, um mit ihnen die leichte Jugend einiger Närrinnen auszuschmücken. Nachher veralte freilich dieser Putz viel schlimmer, als ein alltägliches, grob gewebtes Kleid. Was früher, im Zustand der Neuheit, reize, sei abgetragen und vernutzt, abgeschmackt; dies scheine ihr die traurigste Verirrung der Menschen.
Der Gram des Vaters war noch gesteigert worden, als ein edler Mann, von reifen Jahren, auf Reisen gebildet, ernst und gesittet, sich um die Hand der schönen Tochter bewarb. Da Lord Falmouth schon die Art und Weise Florentinens kannte, so hütete er sich, ihr den zärtlichen Liebhaber darzustellen, was seinem festen männlichen Wesen schon von selber ziemlich fern war. Indessen hoffte er, sie an sich zu gewöhnen, und sich ihr nach und nach unentbehrlich zu machen, durch seine Ergebenheit und Aufmerksamkeit ihr starres Gemüth zu zähmen, und endlich, wenn sie von seiner unwandelbaren Treue und ächten ehrfurchtsvollen Liebe überzeugt sei, ihr Herz zu rühren. Florentine hörte auch den feinen Mann von seinen Reisen gern erzählen. Lust und Neigung, auch Verhältnisse hatten ihn in alle Länder, in alle Theile der Erde weit herum geführt. Er konnte ihr von dem Zustande der Menschen auch in den entferntesten Zonen anschauliche Berichte geben, er konnte ihr die Sitten und Gebräuche der wilden und halb gebildeten Völker malen, seine Schilderungen von den verschiedenen religiösen Secten waren ihr lehrreich, mit der größten Aufmerksamkeit hörte sie diese Berichte und verglich das Sonderbare der fremden Länder gern mit dem, was ihr als einheimisch vertraut war. Ihr klarer, freier Sinn ergötzte sich an diesen Erzählungen, weil durch diesen vielseitig unterrichteten Mann, der die Gabe des Vortrages in einem hohen Grade besaß, ihre Phantasie allenthalben wie zu Hause wurde. Was sie noch inniger an ihn schloß, war, daß er ebenfalls in Mathematik, Mechanik und Astronomie für gelehrt gelten konnte, die Schiffsbaukunst hatte er mit Vorliebe studirt, Seekarten hatte er auf seinen Reisen ausgearbeitet, und Florentine hörte in diesen Gebieten, wo sie schon einheimisch zu seyn glaubte, von ihm viel Neues, was ihre Wißbegierde mit brennendem Eifer auffaßte. Noch nie war ihr ein Mann so interessant gewesen; aber was dem Vater sonderbar auffiel, noch keinem war sie mit dieser schroffen Härte begegnet, wenn das Gespräch sich nur irgend von wissenschaftlichen Gegenständen entfernte und sich dem Tone freundschaftlicher Vertraulichkeit näherte. Der Lord, der über alle Verirrungen der Jugend und des schwärmenden Herzens hinweg zu seyn glaubte, und lange nur eine zarte, innige Liebe für das wunderbare Wesen empfunden hatte, ward durch die Erfahrung überrascht, daß eine brennende, heftige Leidenschaft immer ungestümer erwachte und ihn zu zerstören drohte, und mit solcher Gewalt und Tyrannei über alle Entschlüsse und Vorsätze siegte, wie er selbst in seiner stürmischen Jugend die Kraft der Liebe nicht erfahren hatte. Es war ihm unmöglich, in allen Stunden dieses verzehrende Feuer zu verbergen; aber so wie er nur ein Wort, einen freundlichen Blick wagte, zog sich Florentine verachtend zurück und begegnete allen seinen Gesprächen noch lange nachher mit dem feindseligsten Gemüthe. In einsamen Stunden war der Lord wohl der Verzweiflung hingegeben, weil er es mit der größten Bestimmtheit fühlte, daß sein inneres Wesen schon so mit seiner Leidenschaft und dem herben hochherzigen Wesen Florentinens verwachsen sei, daß eine Trennung von ihr ihm mehr als Tod schien, und doch mußte er alle Hoffnung aufgeben, sie jemals seinen Wünschen geneigt zu machen. Kam es ihm in vielen Augenblicken doch sogar vor, als ginge in der That das Schönste und Eigentümlichste in Florentinen zu Grunde, wenn sie sich entschließen könnte, als Gattin und Mutter in die gewöhnliche Bahn des Lebens zu treten: ihm war in solchen Momenten der Betrachtung, als dürfe er es selbst nicht wünschen. Dann erwachte wieder die ganze Kraft der Leidenschaft, welche ihm sagte, daß sein Gemüth für alle Zukunft hinaus keinen andern Wunsch mehr hegen könne, als nur den, sie zu besitzen. Je klarer, ruhiger sie war, um so verwirrter und aufgeregter fühlte er sich ihr gegenüber. Eine Stimmung, die sich verfinsternd über sein ganzes Sein ausbreitete, machte ihn oft den Tod wünschen, indem er das Leben verachtete und haßte.
Der Vater, der sein zerrissenes Wesen wohl bemerkte, suchte ihn nicht selten zu trösten. In einer vertraulichen Stunde sagte er dem tiefbekümmerten Lord: Freund, ich leide mit Ihnen, wenn ich sehe, daß Sie sich so verzehren. Auch Ihr Charakter, Alles, was in Ihnen schön und edel ist, muß in dieser Verwirrung zu Grunde gehn. Wüßte ich nur ein Mittel, Sie zu erheitern und zu zerstreuen, oder meinem unglücklichen verwilderten Kinde eine menschlichere Gemüthsstimmung zu geben!
Wie nur, antwortete der Lord, aus seiner Zerstreuung auffahrend, ist dieses hohe Gemüth, dieser starke Sinn zu dieser Härte und Schroffheit gelangt, die wilder jungfräulich als Diana und Minerva sich zeigt, da diese Bilder doch den höchsten Inbegriff der unverletzten Jungfräulichkeit darstellen sollten?
Der Vater nahm das Wort: so sehr ich auch durch Jahre der Beobachtung an die Art und Weise meiner Tochter gewöhnt seyn sollte, so erstaune ich doch oft von neuem, wenn ich ihr Wesen betrachte, das ich wohl zu verstehen glaube, das mir aber dennoch immer fremd bleibt. Schon in frühester Jugend war sie sehr ernst, und konnte sich nicht mit Puppen oder anderem kindischen Spielzeug beschäftigen. Auch Bücher, Erzählungen und Gedichte interessirten sie nicht. Durch einen wackern Pfarrer gerieth sie in die mathematischen Wissenschaften. Ihr Studium war unermüdet, und ich, der ich für diese Sachen nicht sonderlich Sinn habe, mußte sie bewundern, denn bald war sie ihrem Lehrer zu gelehrt geworden. Ein Professor aus Edinburg lebte lange in unserem Hause, da er aber, noch nicht alt, zu freundschaftlich und zärtlich wurde, mußte ich ihn auf ihr dringendes Verlangen wieder entfernen. Als der Sinn der reifenden Jungfrau erwachte und sich des Geheimnisses des Lebens bewußt wurde, ward sie so melancholisch, daß ich für ihre Gesundheit oder für ihren Verstand ernsthaft besorgt werden mußte. Es kommt sehr viel darauf an, in welchem Moment, unter welchen Umständen das junge Gemüth über die Bestimmung des Daseins, der Geschlechter und von den Verhältnissen des Lebens unterrichtet wird. Wir sprechen, schreiben so viel über Erziehung, die deutsche Nation soll ganze Bibliotheken darüber besitzen, aber der soll noch geboren werden, der über den sonderbaren Punkt Auskunft giebt, auf welche Art der unwissenden Unschuld jener Witz der Natur, die Sache, die zugleich heilig und gemein ist, auf die richtigste Weise beigebracht werden kann. Ich weiß wohl, daß manche Eltern und Lehrer roh und fast frech dabei zu Werke gehn und die Phantasie auf lange vergiften; schlimmer mag es freilich seyn, dem Zufall den Unterricht zu überlassen, dessen Bosheit sich dann wohl niedriger Menschen und Domestiken bedienen kann, die gemeine Lüsternheit zu wecken. Unter unserer Obhut und den Augen meiner züchtigen Gattin war das Mädchen nun groß geworden und über seine Jahre verständig. Ein anatomisches Buch unter den lateinischen Werken hatte sich zu ihr verirrt und ihre Wißbegier hatte sich des Inhalts bemeistert; denn daß ich die lüsternen und anstößigen Dichter ihr verbarg, werden Sie mir ohne meine Versicherung glauben. Meine Gemahlin war schon gestorben, als Florentine damals von jener tödtlichen Melancholie befallen wurde. Als sie nach vielem vergeblichen Zureden endlich den Muth faßte, sich mir etwas zu vertrauen, und mehr ihre Beschämung als ihr Wort sprach, sah ich nun wohl ein, daß sich ihr auf lange das Leben verfinstert hatte und die erste und feinste Blüthe des Daseins verduftet war. Der Zauber der Kindheit war dahin und ich hoffte, daß die Liebe und ihre Sehnsucht, der Rausch des Herzens eine neue frischere Blume hervortreiben würden, daß sie den Pfad finden solle, auf welchem die jungen Gemüther von selbst, im poetischen Leichtsinn und in süßer Trunkenheit, der Bestimmung des Lebens entgegen gehn und ganz der Forderung der Natur gemäß, erst tändeln, dann lieben, im Brautstande selig und als Mütter glücklich sind. Ich erfuhr aber zu meinem Schmerz, daß keine Erziehung, keine Ermahnung, keine noch so verständige und consequente Richtung etwas vermögen, wenn eine wahre Selbstständigkeit, ein Charakter, ein eigenthümliches Wesen sich aus seinem Innern nach nothwendigen Gesetzen entwickelt. Es wurde immer deutlicher, daß das junge kräftige Wesen nicht mit jenem poetischen Leichtsinn begabt war, der vielleicht nothwendig ist, um uns in unserer sonderbaren Existenz mit Leichtigkeit zurecht zu finden, daß sie sich durchaus nicht mit den Bedingungen des menschlichen Daseins versöhnen konnte, daß diese physischen Bedingnisse, die Abhängigkeit vom Irdischen sie immerdar beschämten und diese Scham in einen Groll gegen das Leben selbst verwandelten. So ist ihre Beschäftigung, ihr Studium gleichsam eine fortwährende Zerstreuung, um sich vor sich selbst zu verbergen. Ihr Zustand ist nichts andres, als eine wahre Gemüthskrankheit; wie wir denn so Alles nennen müssen, was sich nicht in jene bewußte und unbewußte Resignation fügen will, in der wir mit Tändeln, Passivität, Beschäftigung, Leiden und Freuden die seltsame Basis unseres Lebens vergessen, wo Lust und Scherz mit der Verwesung liebäugelt. Sind doch, wenn man sich dieser Stimmung hingiebt, auch Philosophie und Religion nur Zerstreuung; die wahre einzige Beruhigung giebt es nur im Tode.
Der Lord sah den Freund mit einem langen prüfenden Blicke an. Wenn es so ist, sagte er endlich, so hat sie vieles von diesem Krankheitsstoff vom Vater geerbt. Zum Glück, daß alle unsere Gefühle stärker sind, als diese finstern Stimmungen, und je natürlicher man fühlt, um so stärker. Oder auch wohl zu unserem Unglück. Denn es ist ja gewiß, daß, wenn ich diese Unruhe der Sehnsucht, diese Ahndungen, die aus dem Himmel selbst zu stammen wähnen, dieses Feuer, in welchem alles Leben mit seinen Kräften auflodert, nicht in ihren Armen mildern und verklären kann, ich der unglückseligste der Menschen bin. Das ist ja eben die Liebe, daß das einzige Wesen ganz aufgeht in meinem Herzen, daß ich ganz in ihm bin und mich fühle, und daß ich dennoch, um nicht zu vergehn, dieses Bewußtsein des Einzigen, Nahen durch die innigste Verbindung wieder in ein Fremderes mildern und sänftigen muß. In den Kindern wächst und blüht dann das Jugendgeheimniß wieder reizend und schön um uns her, und die Liebe des Gatten und Vaters erhebt unser sehnsüchtiges Herz alsdann zu einer andern Region, wo es sich wieder verklärt und erheitert.
Wir bemühen uns, erwiederte der Vater, das auszusprechen, was man immer nur andeuten kann. Wie wir fast Nichts im Leben vorher berechnen können, so ändert ein glücklicher Zufall, ohne unser Zuthun, vielleicht Alles.
Freilich sollen wir uns über Alles trösten und beruhigen, antwortete der Lord, so spricht man uns ja immer vor, und wenn wir es nicht können, sind wir Thoren, aber auch, wenn wir es vermögen, eben nichts Besseres. Das ist das Ende alles Tiefsinns.
Die Männer schieden von einander, und bald darauf ging der bekümmerte Vater auf das Zimmer seiner Tochter. Sie hatte sich eben zum Ausreiten angekleidet und drückte den grünen Hut mit den schwankenden Federn auf die schwarzen Locken. Als der Vater eintrat, setzte sich die große Gestalt, die ihn fast überragte, wieder zu ihm. Das Gespräch nahm bald eine Wendung, die nicht ungewöhnlich war. Liebster Vater, sagte sie endlich, lassen Sie mir meine Freiheit. Warum soll ich mich an irgend einen Mann, auch wenn er mir als Freund wohlgefällt, wegwerfen? Ist denn die Ehe wirklich die Bestimmung aller weiblichen Wesen? Ich glaube es nicht. Ich bin nur in der Lage glücklich, in welcher ich mich jetzt befinde. Der Himmel erhalte Sie mir nur lange; nachher muß ich selbst für mich sorgen, und nach meinem Tode kann das Vermögen, das zurückbleibt, manchem ärmern Verwandten zu Gute kommen. Auch mögen Sie, Liebster, schon über einen Theil, oder über so viel Sie wollen, Ihre Anordnung treffen; was ich brauche, wird mir immer bleiben. Wenn Sie wüßten, welches Grauen ich vor diesem Leben empfinde, wie ich es die meisten Menschen führen sehe, Sie würden niemals, auch nur mit einem Worte noch, in mich dringen. Wenn die Menschen freier und weniger Sklaven der Leidenschaft oder der Gewohnheit wären, sich nicht von Kleinigkeiten, Tand und dem nichtigen Flitter des Lebens beherrschen ließen, so möchte ich ein Kloster für Jungfrauen von meiner Gesinnung stiften.
Nach einigen Worten nahm sie Abschied, und der Vater sah mit Kummer und Freude der Heldengestalt nach, wie sie auf dem großen Rosse rasch über den Hügel hinritt, nur allein vom Lord Falmouth begleitet. Dieser fand sie heut schöner, als jemals, aber dennoch faßte er den Entschluß, sich schon morgen zu entfernen, um zu erfahren, ob er die Trennung ertragen, oder ob sie wohl sogar seine Leiden vermindern würde. Als sie im Walde waren und langsamer neben einander ritten, ließ er einige Winke von seinem Vorsatz fallen. Florentine war befremdet. Daß seine Abreise möglich sei, war ihr noch gar nicht beigekommen, so sehr hatte sie sich an seine Gesellschaft gewöhnt. Als Lord Falmouth hiervon Gelegenheit nahm, seine Wünsche nur aus der Ferne anzudeuten, brach sie kurz ab und fing ein anderes Gespräch an. So kamen sie nach verschiedenen Wendungen der Rede auf die Herrscher, welche in der Geschichte berühmt sind. Florentine sagte, indem sie sich auf den Rückweg begaben: von allen den Sterblichen, welche jemals den Scepter geführt haben, und von denen ich in meiner beschränkten Kenntniß etwas erfahren habe, hat Keiner so ganz meine Bewunderung und Liebe, wie unsere englische hochgesinnte Königin Elisabeth. Daß sie klug und vorsichtig gegen die größten Monarchen von Europa zu kämpfen hatte, ist es nicht, was zumeist meine Bewunderung erregt, auch nicht der feste Sinn, mit dem sie unter so vielen streitenden und mächtigen Parteien den Glauben aufrecht erhielt, der ihr der rechte dünkte, oder der ihrem klugen Ueberblick am meisten zu statten kam; nein, das hat ihr mein ganzes Herz erworben, daß sie unvermählt blieb, so dringend auch mehr als einmal die Veranlassung schien, daß sie sich gefangen geben sollte. Und herrlich ist es, daß ihr Auge nicht für die Vorzüge der Männer blind war, unter denen sie manchem ausgezeichneten großen Geiste ihr Vertrauen und ihre Freundschaft schenkte. Scheint es doch, als wenn ihr Wohlwollen für mehr als einen eine Richtung genommen habe, die Mancher wohl poetisch, romantisch oder leidenschaftlich nennen möchte. Doch wenn ihr Herz sich auch ganz den Eindrücken jener edeln oder schönen Geister hingeben konnte, so blieb darum doch ihr Sinn und ihre Freiheit unbewegt. Was einige elende Lästerer von ihr haben fabeln wollen, ist so gemein, daß es selbst meiner Verachtung zu niedrig dünkt. Aber freilich ist es wohl nur einer so großen Königin gegönnt, daß sie Freunde und vertraute Freunde haben darf, mit denen sie in glücklicher Freiheit lebt. Nur auf dieser hohen Stelle kann sie, ohne zu sehr zu kränken, jeden, der ihre Zärtlichkeit in Anspruch nehmen will, in die Bahn zurückweisen, die ihm und ihr geziemt. Eben dies war Elisabeths Glück und ihr Ruhm. –
Und Sie wollen abreisen? fragte Florentine, als sie dem Schlosse schon ziemlich nahe waren. – Ich muß und will, antwortete der Lord, und werde es auch thun, obgleich ich noch nicht weiß, wie ich werde leben können. Aber besser, es entscheide sich, wie es auch sei, als so den abwechselnden Foltern Preis gegeben zu seyn.
Freilich, antwortete sie mit flammenden Augen, muß ein verständiger, edler Mann, für den ich Sie immer gehalten habe, seine Kenntnisse, Gedanken, Erfahrungen, alle seine guten Eigenschaften aufopfern, um auch jene Reden zu führen, die man so oft von den männlichen Kindern hört. Sie spielen den Beleidigten, Gekränkten: und was habe ich Ihnen gethan? Was kann ich für Ihre Wünsche, die zu bilden ich Ihnen keine Veranlassung gab? Jene Wünsche, Seufzer, Artigkeiten und allen den Tand, der aus dem Munde unerfahrner Jünglinge mir so lästig gewesen ist! Der verständige, erfahrne Mann sollte mit diesen nicht in demselben ausgetretenen Geleise der Thorheit wandeln.
Falmouth sah sie fest und mit einem sonderbaren Blick an. Er konnte seinen Zorn nicht ganz zurückhalten. Ich fürchte, rief er aus, und der Himmel wende ab, was ich ahnde, ein Laffe, ein Nichtswürdiger wird diesen wilden Falken einmal zähmen, denn auch dem stolzesten Herzen schlägt endlich seine Stunde.
Sterben eher! rief sie mit dem heftigsten Ausdruck des Widerwillens. Sie selbst wollen mir es recht leicht machen, Ihre Abwesenheit zu ertragen. So leben Sie denn wohl!
Sie trieb das Pferd an, und Beide waren im höchsten Unmuth bald vor dem Schlosse angelangt. Er stieg ab, um ihr zu helfen, sie wendete sich mit dem Ausdruck des höchsten Unwillens, sie wollte sich eilig vom Pferde schwingen, und das Reitkleid blieb fest am Sattelbogen, ein Moment, und sie stand halb nackt vor dem Erstaunten. Mit einer Schnelligkeit, die unmöglich schien, rannte sie ins Haus und der Lord gab die Pferde ab und begab sich nachdenkend träumend in den Park.
Das Seltsamste, alle gewöhnliche Sitte Aufhebende, war für einen Augenblick dem sprödesten aller Wesen begegnet. Wußte Falmouth jetzt, so wie kein Anderer, wie schön sie sei, so konnte er auch darauf rechnen, daß sie ihn von diesem Moment, der wie ein Blitz vorüber geeilt war, für ihr ganzes Leben mehr als irgend einen andern Sterblichen hassen würde. Auf die sonderbarste Weise war ihm eine Gunst widerfahren, die sein Herz trunken machte, und die er sich doch so wenig aneignen durfte, daß ihm diese Begebenheit nur um so gewisser seinen Scheidebrief schrieb.
Er wollte sein Pferd fordern, denn es schien ihm unmöglich, sie heute wenigstens zu sehn, er wollte reisen, um vielleicht nach einigen Wochen wiederzukommen, als ihm der Vater Florentinens begegnete, der gekommen war, ihn aufzusuchen. Sie dürfen heute nicht fort, sagte dieser, meine Tochter ist krank, hat sich niedergelegt, wie die Dienerin sagt, unter Vergießung unzähliger Thränen: sie soll zittern, leichenblaß seyn und wie irre sprechen, doch will sie mich nicht zu sich lassen; den Arzt, der ein Fieber befürchtet, hat sie mit Heftigkeit von sich geschickt. Alle Vorhänge, die Fensterladen sind geschlossen, so in einsamer Finsterniß liegt sie schluchzend und entzieht sich jeder Hülfe wie jedem Trost.
Der Lord wich allen Fragen aus, was vorgefallen seyn könne, er gestand nur, daß es einen kleinen Streit gegeben, wie er sich schon oft zwischen ihnen ereignet habe, behandelte aber jenes Ereigniß, so wenig es diesem auch glich, wie das heiligste Geheimniß der Liebe. – So müssen Sie mir Gesellschaft leisten, fuhr der Vater fort; wenigstens jetzt noch nicht, bis meine Tochter wieder besser ist, an Ihre Abreise denken.
Florentine erschien an diesem Tage nicht, auch am folgenden ließ sie sich vor Niemand sehn, selbst die vertraute Dienerin durfte nicht zu ihr, jede Nahrung wies sie zurück. Der Arzt ward nicht vorgelassen. Am dritten Tage durfte ihr dieser, der sie nicht krank fand, etwas verschreiben; sie genoß nur Weniges.
So verging eine Woche. Der Vater, welcher fürchtete daß sie in dieser ihm unbegreiflichen Aufregung wahnsinnig werden könne, wollte eben zu ihr gehn, um sich, wenn es nöthig seyn sollte, mit Gewalt den Eingang in ihre Zimmer zu eröffnen, als sie selbst mit ziemlich heitrer Miene in die Bibliothek zu ihm trat. Der Vater umarmte sie mit einer Herzlichkeit und Freude, als wenn sie ihm nach einer tödtlichen Krankheit wieder geschenkt wäre.
Liebes Kind, fing der Vater nach einiger Zeit an, indem er sie genauer betrachtete, was war Dir nur in dieser Woche? Wie ist es Dir ergangen? Warum hast Du Dich mir entzogen? Wie konntest Du mir diesen Kummer machen, da ich jetzt wirklich sehe, daß Du nicht krank gewesen bist?
Er, der Lord, sagte sie erröthend, hat Ihnen Nichts erzählt? Sie wissen es wirklich nicht?
Weiß er, mein Freund, erwiederte der Vater, etwas von Dir, was Du mir verschweigen konntest?
Sie erzählte ihm kurz und eilig das Ereigniß, und beschloß dann mit den Worten: und nun bitte ich Sie, lieber Vater, sagen Sie ihm, daß ich ihn heirathen werde, ihn heirathen muß.
Wie? rief der erstaunte Vater; mein Kind, so sehr Du dadurch meinen innigsten Wunsch erfüllen würdest, so bitte ich Dich, ja ich beschwöre Dich, Dein Wort wieder zurückzunehmen. Mache Dich nicht, aus einer zarten Schaam, aus einem überspannten Gefühl, zeitlebens unglücklich. Du hast es hier mit keinem unbesonnenen Jünglinge zu thun, der sich für Deine Sprödigkeit vielleicht dadurch zu rächen suchte, daß er Dich durch Erzählung dieses Unfalls lächerlich machte: ein edler, ernster Mann ist der Lord, dessen Zartgefühl ihm selbst nicht erlaubt hat, mich, den Vater, zum Vertrauten zu machen.
Und wenn er der elendeste Laffe wäre, rief Florentine heftig aus, so müßte ich sterben, oder er müßte mein Gemahl werden. Wenn auch nie ein Wort über Falmouths Lippen geht, so ist es doch in seiner Erinnerung, in seinem Wesen, was nur mein Mann wissen darf. Er ist edel, er liebt mich –
Aber, rief der Vater, noch keinem Deiner vielen Freier bist Du so schnöde begegnet, jeden andern hast Du mehr ausgezeichnet. Du machst Dich elend, Dein Widerwille, Dein Haß gegen diesen Mann, der freilich kein Jüngling mehr ist, mußte einem Jeden auffallen, der Dich auch nicht so oft, nicht so aufmerksam beobachten konnte, als Dein Vater.
Sie umarmte den Allzubesorglichen, innig von seiner Liebe gerührt, da sie wußte, was es ihn kostete, ihr abzurathen. Wie er sie zärtlich an sich drückte, weinte sie heftig und erschüttert an seiner Brust, wich dann zurück und sagte unter Thränen: Ach, Liebster, jetzt erst, seit ich meinen Entschluß gefaßt habe, weiß ich es, daß ich ihn liebte. Ich liebte ihn, so wie er zum ersten Mal unser Haus betrat. Das Gefühl ängstigte mich eben, und ich wollte ihn dafür bestrafen, daß er mich mir selbst entwendet, daß er mich den Gefühlen untreu gemacht hatte, die ich für meine besten hielt. Wie gerührt war ich oft in der Einsamkeit, wenn ich mich seiner Blicke, seiner schönen Worte, seines tiefen Gefühls und seiner Schüchternheit erinnerte. Ich nahm mir vor, milder zu seyn; so wie ich aber seiner ansichtig wurde, gewann mein wilder Sinn wieder die Oberhand. Ja, es stachelte ein Etwas, eine Bosheit in meinem Herzen, daß ich nicht ruhen konnte, bis ich ihn recht grausam gemißhandelt hatte. Geweint habe ich einige Mal des Nachts über meine eigne Schlechtigkeit. Sagen Sie ihm das Alles, lieber Vater, denn noch kann ich es ihm selbst nicht entdecken, so sehr auch mein ganzes Herz umgewendet ist. Nur wird er, wenn wir verbunden sind, nicht meine Freude an meiner Beschäftigung stören, er wird mich nicht nach den großen Städten und in das Geschwätz der Weiber hineinschleppen. Wir werden gemeinschaftlich die Bücher lesen, die ich liebe, wie er bis jetzt that, und ich werde gewiß von ihm die Poesie lieben lernen. Neulich lauschte ich im Nebenzimmer, als er Ihnen mit seiner vollen, schönen Stimme die rührende Ballade vorsang. Alles erzählen Sie ihm, Liebster, und bitten Sie ihn, daß er allen Zorn gegen mich fahren lasse und mir die Qualen vergebe, die ich ihm zufügte.
Wie erstaunte Lord Falmouth, als ihm diese Botschaft wurde, wie entzückt war er, daß ihm dieses unvermuthete Glück werden sollte. Er ging mit dem Vater zu ihr hinüber. Sie trat ihm heiter entgegen, der Vater legte ihre Hände in einander und sie umarmte den Geliebten zuerst freiwillig und drückte, das Antlitz ganz Röthe, zuerst den Kuß auf den theuren Mund, der sie so schweigsam geschont. Sie wurden das glücklichste Paar in der Provinz und sahen schöne Kinder und wohlgebildete Enkel in einem langen, stets heitern Leben.
Nach einer kleinen Pause rief die Dichterin: Unnatürlich! der ganze Charakter des Frauenzimmers ist nur Chimäre! Ich glaube doch auch das Geschlecht zu kennen, aber eine solche Person wird niemals in der Natur gefunden werden. Und dazu finde ich die Geschichte selbst ungeziemlich, und mich wundert nur, wie sie uns Herr Mansfeld hat vortragen können.
Der alte träge Schwieger seufzte und erwiederte: ich nehme am meisten daran Theil, daß die gute Person in acht langen Tagen fast gar nichts gegessen hat, da kann ich mich am besten hineindenken, denn mich fängt auch an zu hungern, und noch werde ich hier auch nicht die kleinste Anstalt gewahr, diesem Uebelstand abzuhelfen.
Mansfeld sagte, die Blätter einwickelnd: ich kann mir diesen weiblichen Charakter sehr gut vorstellen und glaube auch an die Geschichte, als eine wahre. Aber schlimm ist es freilich, daß sich von unsern Freunden, die wir hier erwarten, noch gar Nichts bemerken läßt, denn außer dem Hunger und Durst, die wir erleiden müssen, ist, so fürchte ich, ein Gewitter im Anzüge. Die schwüle Hitze war fast unerträglich, jetzt ziehn elektrische Wolken auf und ein plötzlicher Wind weht stoßweise über das Feld, und treibt den Staub vor sich hin.
O weh! weh! wenn Sie wahr gesagt hatten, rief die Dichterin; ein Gewitter hier im Freien! Ich ängstige mich vor allen Gewittern, dazu, wenn Regen einbrechen sollte, würden meine Manuskripte verderben und auch mein Anzug, der sehr dünn und leicht und nur für die größte Sommerhitze eingerichtet ist.
Ich fürchte, fuhr Mansfeld fort, unser guter Freimund hat in seiner Zerstreuung es wieder einmal ganz vergessen, daß er uns hieher beordert hat, daß er ein Fest der Verlobung feiern will, daß er eine Tochter zur Verzweiflung bringt und uns hier in der Einsamkeit, wo in einer Meile kein Wirthshaus und Dorf, und kein Mensch zu errufen ist, den Elementen Preis giebt, daß wir hier in der Wildniß, so wie der ausgestoßene Lear, nach Herzenslust herumrasen können.
Himmel! rief die Sängerin, es fallen schon Tropfen! Es wird plötzlich kühl, der Wind weht stärker, das Gewitter kommt aus der Ebene herüber. Kann denn ein Mensch so abscheulich zerstreut seyn?
O dieser, antwortete Schwieger, sich verdrüßlich in der Landschaft umsehend, hat wohl schon andre, noch ärgere Dinge möglich gemacht. Aber in der That, es ist außer allem Spaß. Die Bäume hier werden uns vor Sturm und Gewitter nur wenig schützen können, auch muß man daran denken, daß es in diese am ersten einzuschlagen pflegt.
Jetzt erhob sich ein Sturm, die Bäume brauseten heftig, es wurde finster und große Tropfen fielen dicht und dichter, nur in Pausen vom Sturme wieder hinweg geweht. Das Haus ist verschlossen, die Grotte dort schützt uns nicht, aber hier im Kirschbaum werde ich eine Leiter gewahr, rief der junge Mann.
Mansfeld hob sie aus dem Baum und setzte sie an das Haus. Ich steige, rief er aus, auf den kleinen Balkon, vielleicht ist die Glasthür offen, so kann ich entweder von innen das Haus eröffnen, oder Ihr müßt mir nachklettern, und wir sind wenigstens gegen die Anfälle des Sturmes geschützt Er kletterte hinauf, ohngeachtet der Einwendungen, die die Dichterin erhob, Schwieger hielt ihm die Leiter. O weh! rief Mansfeld, als er oben auf dem kleinen und engen Altan eingepreßt stand, die Glasthüren sind nicht nur verschlossen, sondern sogar von innen die Laden vor, die gewiß auch verriegelt sind.
Unglück über Unglück! schrie der erzürnte Schwieger, ich bin schon ganz naß! – Und ich erst, seufzte die Sängerin, halb weinend; zu einfachen, vernünftigen Einrichtungen sollten doch die prosaischen Menschen wenigstens brauchbar seyn.
Hilft nichts! rief Schwieger, ich steige auch hinauf, halten Sie mir nur die Leiter, poetisches Kind, oben schlagen wir die Glasthür ein, und brechen die Laden in Stücken, daß wir wenigstens dort gegen das Ungewitter unterducken können.
Ein heftiger Donnerschlag krachte jetzt so gewaltig, zugleich mit dem blendenden Blitze, daß das Haus in seinen Fundamenten zu erschüttern schien. Schwieger setzte den Fuß, der schon auf der Leiter stand, erschreckt wieder auf die Erde, die Dame sank fast vor Entsetzen zu Boden und Mansfeld schien im Begriff, wieder herunterzusteigen, weil er in der ersten Betäubung wohl glauben mochte, der Blitz habe in das Haus geschlagen. Bleibt oben! rief Schwieger, als er sich wieder gesammelt hatte; da der Donner nicht das Haus eröffnet hat, so klettre ich hinauf, und wir schlagen lieber das ganze Zauberschloß zu Trümmern, als daß wir hier im Freien in dieser Sündfluth ersaufen. Halten Sie die Leiter, vortreffliche Freundin, damit ich nicht den Hals breche, und Sie mir dann nachsteigen können.
Die Freundin hatte vor Angst keine Sprache mehr. Schwieger war schon mit den Füßen auf dem zweiten Tritt, als sich hinter ihm ein lautes Fluchen erhob, und er zugleich einen so heftigen Schlag auf den Rücken empfand, daß er von der Leiter nieder auf den Boden hinstürzte.
Halt! halt! Donnerwetter! Spitzbuben! schrie der taube, alte Gärtner, indem er die Leiter wegriß und hinwarf: – komm, Kerl, rief er noch lauter, und ein Knecht trat hinzu, – den saubern Herrn da in den Stall eingesperrt, das Mamsellchen hier neben an; das ist eine schöne Wirthschaft! der dritte Patron kann da oben bleiben, den haben wir sicher genug.
Es half kein Widersprechen, kein Entgegenschreien von allen Seiten, der Alte war taub und nahm keine Vernunft an, der Knecht verstand nicht, wovon die Rede war, er war nur Zeuge des Einbruchs gewesen, dazu rauschte der Platzregen so gewaltig, der Donner brüllte so furchtbar, ein Hagelschlag fiel prasselnd nieder, so daß für Verständigung, Erörterung und seines Unterscheiden zwischen Einbruch und Einsteigen in das Haus eines Bekannten kein Raum und keine Zeit, noch weniger Begreifen sich fand. Als der taube Alte, wie er überzeugt war, seine Pflicht gethan hatte, sendete er den Knecht nach dem Dorfe hinab, um Polizei, Soldaten, oder die Bauerngerichte herbeizurufen und jene räuberischen Verbrecher der Gerechtigkeit zu überliefern. Wie er Alles vollbracht hatte, begab er sich in sein Häuschen, schloß sich ein und nahm ein Gebetbuch, um mit lauter Stimme ein Lied bei Gefahr des Gewitters abzusingen.
Als Schwieger sich besonnen hatte, betrachtete er den finstern Stall, so viel er es vermochte, und kletterte dann auf einige Balken, um aus einer kleinen Maueröffnung herauszuschauen. Ihm fast gegenüber stand Mansfeld, an das eiserne Geländer des Balkons geklemmt, von Regen und Sturm gegeißelt. Im kleinen Gemach, wo Brennholz aufbewahrt wurde, schaute sich die Sängerin ebenfalls um, und konnte eben ein kleines Gitter oder Sparrwerk erreichen, von wo sie von der andern Seite den bedrängten Mansfeld auf seiner Worte beobachten konnte.
Sapperment! rief Schwieger verdrüßlich: das ist eine schöne Invitation! Mansfeld! hat Sie der Teufel noch nicht geholt?
Noch nicht! erwiederte der junge Mann kläglich; aber die Sache wird und muß bald vor sich gehn.
O meine Herren, wimmerte die Dichterin, das gemahnt mich an die furchtbare Hochzeit der Nibelungen.
Sind Sie auch da? rief Schwieger von der Seite; Sie wollten ja die Wunder des Zauberschlosses kennen lernen: nun haben wir deren überlei!
So standen die betrübten Gesichter sich im Dreieck gegenüber, einander Leidensmienen zusendend, seufzend und laut klagend. Ich stehe hier, rief Mansfeld, halb lachend, halb verzweifelnd, noch unter einer verruchten Dachtraufe, die von oben aus einem Drachenhalse die Fluthen auf mich herabgießt. So weit ist noch nicht einmal die Kultur und Baukunst an dieses Zaubernest gedrungen, daß die Röhren an den Seiten den Platzregen hinabführen.
Sehen Sie denn Nichts, rief Schwieger hinauf, von unserm verwünschten Freunde?
Nein, rief Mansfeld zurück, er sitzt ruhig und sicher daheim in seiner angenehmen Stube. Wie der Knecht, der dem gefallnen Selbitz vom Thurm zuschreit, wie Pindarus vom Hügel dem verzweifelnden Cassius, wie die Schwester Anna, die nach den rettenden Brüdern ausschaut, so bin ich hier angepflöckt; rechts, links, von oben und von unten vom Regen umgeben, und nicht einmal Staub sehe ich aufsteigen, keine Heerde Schaafe, denn alle Wege schwimmen und alle vernünftige und unvernünftige Thiere sind unter Dach und Fach gekrochen.
O machen Sie keine Scherze! winselte und krächzte die Dichterin aus ihrem Gitter; denn wir sind ja in einer mehr als erbärmlichen Lage.
Die Desperation spricht ja nur aus mir! rief Mansfeld; was, in des Satans Namen, bleibt uns denn noch übrig, als die Zähne auf einander zu beißen und lustig zu seyn?
Ich könnte den alten Freimund, den Hasenfuß, erwürgen, wenn ich ihn hier hätte! rief Schwieger in wilder Bosheit.
Ja, antwortete Mansfeld, wenn der Sünder nur hier wäre, er sollte gewiß auch gewahr werden, was Ungewitter und Dachtraufen zu bedeuten haben! Aber, wie könnt Ihr da unten, Ihr sicher Geborgenen, nur die Frechheit haben, Euch zu beklagen, da ich eigentlich, so blank und baar hingestellt, für Euch Alle büße?
Schweigt, rief Schwieger, Ihr könnt doch noch Euer Elend sehn und nach Hülfe ausschaun; aber hier, der verfluchte, finstre Stall, dies feuchte Loch!
Und ich! wimmerte die Dichterin; Alles voll nassen Holzes hier, dumpfes Stroh und Hexel, oder was es seyn mag!
O Sie Allerglückseligste! rief Mansfeld hinunter; hätte ich nur nicht schon Halsschmerzen, so würde ich in lauten Tönen Ihr Glück besingen. Ich aber, der ich hier kaum stehen kann, viel weniger sitzen oder gar liegen! Schutt, Scherben, feuchte Erde, um mich nur, ohne von oben überschwemmt zu werden, ausstrecken zu können, wäre ja Wonne für mich. Und umschauen? Wie lange noch? Bald bricht die Nacht herein. Unser einziger Trost ist die Wache oder Polizei, die uns einstecken soll. O welche himmlische Freude, in einem Gefängniß zu sitzen! Giebt es nächst dem Olymp eine Seligkeit wie diese?
Aber Keiner, schrie Schwieger wild, hat Prügel bekommen, außer ich! Und welchen Schlag! So wie ihn etwa die alten Riesen mögen ausgetheilt haben! Himmelkreuzdon –
Schweigt! rief Mansfeld; es donnert ohne Euch schon genug. Ihr seid noch gar nicht zahm gemacht, nach drei Stunden werdet Ihr schon sanftere Arien singen. So gegen Sonnenaufgang wird aus dem Löwen wohl schon ein Lamm geworden seyn.
Das Unglück, klagte die Sängerin, das uns so unvermuthet überfallen hat, ist von so gemeiner Art, und trägt auch nicht eine Spur des Poetischen in sich.
Wie man's nimmt, antwortete Mansfeld; es kommt nur darauf an, wie man es genießt. Trocken und prosaisch ist es wahrlich nicht, aber höchst nüchtern: Ihr Delphin hat Sie doch wenigstens, den weiblichen Arion, aus den Fluthen hier außen ans Land geschafft.
Die Zähne klappern mir vor Frost, sagte die Dame.
Könnte man ihnen wenigstens was unterlegen, rief Schwieger, worauf sie tanzen, drücken und knarren könnten, und hätte uns der ungeschlachte Schuft nur wenigstens eine trockne Brodrinde mit hereingeworfen.
Ja, ja, sagte Mansfeld, ein Riese, ein Zauberschloß, Ihr dort in Ketten und Banden, ich auf diese schwindelnde Höhe hinaufgehext, wir alle Drei winselnd, fluchend, auf das Schicksal scheltend, auf unwahrscheinliche Hülfe hoffend, nach den Sternen seufzend, die diese Nacht wohl nicht scheinen werden.
Regnet es noch immer eben so stark, Ihr Hans Dampf von Windbeutel dort oben? schrie Schwieger.
Diese einzige Frage, antwortete Mansfeld, spricht Euer ganzes Glück und Eure ungeheuere Undankbarkeit aus. Wer so fragen kann, der sitzt ja in Abrahams Schooß. Aber so sehr ich der Verdammte bin, so muß ich doch der Wahrheit die Ehre geben und aussagen, daß der höllische Drache über mir schon gelinder und gelinder auf mich herniederspeit; heller wird die Finsterniß eben nicht, aber dünner: der Regen ist freilich noch eben so naß, aber etwas weniger wäßrig, man kann ihn nun doch schon mit Händen greifen, da er vor kurzem noch in Katarakten arbeitete. Ich werde als Wetterbeobachter ganz verdorben seyn; denn Ihr wißt, der Kapuziner, den man so für die Kinder kauft, kommt nur beim Sonnenschein heraus; mich und Euch werden sie aber mit Sonnenaufgang gerade ins Prison stecken.
Dummer Witz! rief Schwieger.
Begebt Euch einmal, antwortete Mansfeld, auf meinen Posten hierher und spielt und macht bessern, ich will Euch dann gern aus Euerm Souffleurloch da unten zuhören. – Halt! halt! ich sehe einen Wagen da unten, noch ziemlich weit: Ja, das müssen unsere göttlichen Freunde, der liebevolle Freimund muß es seyn.
Sollt' es möglich werden? rief Schwieger hoch erfreut.
Wenn es nur kein melancholischer Engländer ist, fuhr Mansfeld fort, der seine große Reise durch Europa macht und von Wind und Wetter keine Notiz nimmt. – Nein! nein! es sind keine Menschen oben auf dem Wagen: es scheint mir die Chaise unseres Freundes, und die neuen beiden muthigen Renner sind vorgespannt. Unsere Erlösung naht mit schnellen Schritten!
Schon kam der Wagen näher; er bog wirklich von der Landstraße ab und fuhr langsam den Hügel hinauf. Die muntern Pferde schnaubten, indem sie zur ziemlich steilen Anhöhe empor arbeiteten. Jetzt stand der Wagen oben, der alte Sebastian hielt, und Mansfeld schrie von seinem Balkon hinunter, so laut er es vermochte. Was giebt's denn da? fragte Freimund, indem er den Kopf aus dem Wagen in den Regen hinaussteckte, denn noch immer hielt der Regen an, wenn auch nicht mehr mit dem früheren Ungestüm Himmel! rief Mansfeld: will mich denn kein Mensch hier von meinem Pathmos oder Pontus herunternehmen, wo ich so viele klägliche Elegien habe singen müssen? Wie Simeon Stylites habe ich hier auf einem Beine, oder wie ein Storch auf seinem Neste stehen müssen.
Die Gesellschaft mußte im Regen aussteigen, weil der taube Alte sich nicht sehen ließ, um den Schuppen aufzuschließen. Freimund eilte, um nur mit dem Hausschlüssel das Zauberschloß zu öffnen. Im untern Saal fand er die Zimmerschlüssel, so wie jenen zum Balkon. Er eilte die Wendeltreppe hinauf, öffnete den obern Saal und dort die Thüre nach dem kleinen Altan, um nur den armen Märtyrer zuerst von seiner Qual zu erlösen. Dann wurde der taube Alte in seinem Häuschen aufgesucht; man schrie, lärmte und tobte so lange, bis er die Sache halb begriff und die Eingesperrten, so wie die neue Herrschaft, die er kaum noch kannte, um Vergebung bat.
Man hatte sich endlich im obern Saale versammelt; man saß, klagte, erzählte. Freimund hatte allerdings die ganze Abrede vergessen, erst spät war es ihm beigefallen, daß die Verlobung am heutigen Abend seyn sollte. Man war ausgefahren, aber Sturm und Gewitter hatten die Reisenden gezwungen, in einem Dorfe unterwegs zu rasten, um die Hefe des Wetters erst vorüber zu lassen. Das Nöthigste war, die so ganz Durchnäßten durch trockne Kleider und Wäsche zu erleichtern. Aber hier war guter Rath und Hülfe im eigentlichen Sinne theuer, denn da man bei heißem Wetter ausgefahren war, so hatte man nur einige Ueberröcke für die Rückkehr in der Nacht mitgenommen. Aus der Noth mußte, wie so oft, eine Tugend gemacht werden. Louise half im Nebenzimmer der Dichterin, deren Schmetterlingsflügel am meisten gelitten hatten, und die, vom Regen aufgeweicht, in ihren Hüllen fast durchsichtiger, als eine Ballettänzerin erschien. Sie kam in einem ganz zugeknöpften tuchenen Ueberröcke zurück. Schwieger zog einen Rockelor Freimunds an, und Mansfeld mußte einen Reisecapot der Mutter überwerfen.
Der Küchenwagen, der schon am frühesten Morgen hätte ausreisen sollen, war auch erst nach Mittage ausgesandt worden; als sich daher, da man etwas besser im Trocknen saß, nach der Anstrengung und dem schlechten Wetter die Begierde nach Speise und Trank meldete, wußte man sich noch weniger zu rathen. Mansfeld nahm von Zeit zu Zeit seinen vorigen Platz auf dem Wartthurme draußen wieder ein, konnte aber mit seinen scharfen Augen Nichts entdecken, um so weniger, da die Dämmerung anfing, die, bei dem schwarz bedeckten Himmel, bald zur Finsterniß zu werden drohte. Die Dichterin hatte ihre Papiere indessen auf den Lehnen der Stühle ausgebreitet, allein, als man die Manuscripte näher besichtigte, war Alles erloschen. Ja wohl, sagte Mansfeld, ist die schöne, feurige Poesie, der ganze Glückwunsch für Fräulein Louise, Amor und Hymen, Tanz und Brautfackel, Alles zu Wasser geworden; eine Novelle, die ich bei mir hatte, die wir lasen, die aber unsere Sappho für unanständig erklärte, ist ebenfalls mit ihren Sündern und Sünderinnen von dieser Sündfluth verschlungen worden. Und so naß es auch hergegangen ist, so sitzen wir dennoch nun völlig auf dem Trocknen, und haben Nichts zu beißen und zu brechen. Soll man ein Omen für die Vermählung daraus ziehn?
Louise sah ihn mit einem sehnsüchtigen, bittenden Blick an, als wenn dieses Unwetter mit seinen Unfällen Trost bringen könne, als wenn wirklich Sturm und Regen und die lächerliche Noth der Anwesenden jene Verlobung, vor welcher sie zitterte, rückgängig machen würde.
Die Unbehaglichkeit der bleichen, gelangweilten Gäste stieg immer höher, denn auch den jungen Mansfeld schien seine erzwungene Laune zu verlassen. Da es in der That finster wurde, mußte man an Licht denken, und weil die Wachskerzen sich ebenfalls auf dem ausbleibenden Küchenwagen befanden, so konnte man sich fürs erste nicht anders helfen, als die kleine Oellampe des tauben Gärwers anzuzünden, deren trüber Schein wenigstens zeigte, wie finster die Dämmerung des Saals war. Da man einmal angefangen hatte, sich genügsam einzurichten, so trieb die Noth bald zu dem Entschluß, noch mehr vom Haushalt des tauben Alten zu benutzen. Er war selbst aber nicht eingerichtet, und hatte auf die Ankunft, auf den Gehalt seiner neuen Herrschaft gewartet; er hatte darum weder Federvieh, noch geräuchertes und gepökeltes Fleisch herbeigeschafft; er lebte, so viel er konnte, bei seiner Tochter im Dorfe, das eine Stunde und mehr entfernt war. Man fand daher weder Schinken, noch Eier, Gemüse wurde im Garten noch nicht gebaut; auch hatte der Alte keine Butter in seinem Hause, das Obst war noch nicht reif, hätte auch wohl bei dem feuchten, erkältenden Wetter zu keiner sonderlichen Erquickung gereicht. Man war daher froh, als man im Schatz der Gärtnerhütte noch einige Kartoffeln vom vorigen Jahre fand; diese wurden schnell auf dem Heerde gesotten, oder gebraten und mit schwarzem Brodte vorgesetzt, zu welchen Gerichten das Salz die einzige Würze ausmachte.
So beim kärglichen Mahle sitzend, welches sich keiner am Mittage als Erquickung hatte denken können, um die dämmernde Lampe im Saale, in dem mehr große Schlagschatten, als Menschen zu seyn schienen, ward die Gesellschaft noch durch einen jungen Vetter vermehrt, der ohngeachtet des schlechten Wetters auf seinem Engländer herausgeritten war, um die Gesellschaft zu überraschen und am Fest und Schmause Theil zu nehmen.
Man erkannte sich etwas mühsam und Mansfeld sagte: Treten Sie heran, junger Herr und Freund, und helfen Sie uns auch feierlichst den Ankauf dieses wunderbaren Zauberschlosses begehn. Wie unpassend, fast gemein wäre die Sache, mit Wein, Torten, Pasteten, Ueppigkeit und Champagner die Besitzergreifung eines Feen- und Geisterreiches zu feiern, das thut jeder Wirth, der an seiner Kneipe den goldnen Esel oder Löwen neu hat überfirnissen lassen. Diese Schmausereien, das Gläseranklingen, diese Toasts und Trinksprüche, Thränen der Rührung und Glückwünsche, Umarmungen und Lippendrücken und Wangen mit den Lippen streicheln, alles dieses, meine Freunde, ist längst bei hunderttausend patriotischen Veranlassungen, bei Jubelgreisen und Ordensfabricationen, bei wohlthätigen Zwecken und silbernen Hochzeiten, bei Confirmationen, Hauskränzungen so genutzt, abgenutzt und vernutzt worden, daß kein Bauverständiger mehr aus diesem Schutt das edle Gebäude einer ächten Feierlichkeit aufführen mag. – Recht so, junger Einweihling, setzen Sie sich so, daß wenigstens die Spitze Ihrer Nase etwas von diesem Oelschimmer, um nicht das unanständige Wort Thranlampe zu gebrauchen, auffängt. – Sie sehn selbst, wie wenig man hier sieht, in diesem Reich der Schatten und der Unformen, in welchem alle unsere noch so trefflichen Formen verwandelt und entstellt werden. – Die hohe, eleusinische Weisheit unseres edeln Wirthes und Mystagogen hat uns dieses schauerliche, unterirdische Fest bereitet, hier in grauenhafter Dunkelheit, von Geistern, wir selbst Geist und Gespenst, magisch umgeben, die erste große mystische Zusammenkunft der privilegirten Zauberer, Magier, Hexen, Hexenmeister und Zauberinnen. – Ja, theurer, einzuweihender Jüngling, in den Ersten Grad, – denn ein einzuweichender und eingeweichter, platzregendurchgossener, sturmdurchwühlter, ärger als jemals Tamino es seyn konnte, sind Sie immer noch nicht, und werden auch zu diesem Ausschuß ausbündiger Mysterien, wie wir Drei hier sie heut überstanden, vielleicht nicht zugelassen werden, und auch wohl den großen Schlag als Tempelritter niemals empfangen, der unserem edelsten Schwieger heut zu Theil geworden – ja, um in meiner Rede fortzufahren – nehmen Sie, fassen Sie eine dieser mystischen, symbolischen Früchte, vom gemeinen Mann Kartoffel genannt, die unterirdisch reift, von keinem Lichte geküßt, das ächte Symbol dunkler Geheimnisse, der ächten englischen Maurerei, in der höhern Sprache Pataten, Patatoes genannt – nehmen Sie die überjährigen, hie und da schon auswachsenden und geheimnißvolle Warzen treibenden – brechen Sie die grüngrauen Knospen ab, lösen Sie die schwarze Hülle des todten Buchstabens, daß Ihnen der lichte, weiße, nährende Geist appetitlich entgegen schimmere. Nicht wahr, wie leicht wird die Hülle abgestreift? Wie bald dringen wir zur Wahrheit hindurch? – Aber, halt, mäßigen Sie sich – fahren Sie bei dem allgemeinen Mangel nicht so in das wenige aufgespeicherte Salz, in den Witz hinein, begnügen Sie sich, wie wir Aelteren alle hier, mit gezählten Körnern. Trinken Sie nun, wir haben es selbst dem Brunnen entschöpft, das klare, ungefälschte Wasser. Der alte Cyclop dort, das Symbol der rohen Natur, ja der bösen Kräfte, wollte uns seinen Branntwein anbieten, den wir Alle verschmähten. – Die Weihe ist vollbracht! Aufgezehrt ist Alles. So das Bild des goldnen Zeitalters wieder herstellend, wünschen wir uns Alle Glück, daß der Himmel es uns vergönnt hat, jenen immerdar beneideten Stand der Unschuld einmal persönlich zu erleben. Unser Großmeister, Schwieger, scharrt noch die Krumen des Brodtes zusammen, Sappho lächelt uns an, die Braut denkt unsrer ernsten Symbolik nach, die Mutter betrachtet mich mißtrauisch, der hohe Freimund verliert sich, wie so oft, in Gedanken und der neu eingeweihte Jüngling ist begeistert und hoher, tugendhafter Entschlüsse voll.
Das Letzte wird auch nöthig seyn, sagte Freimund. Unser Küchenwagen kommt wahrscheinlich gar nicht, oder zu spät, wir haben auf eine schöne Sommernacht gerechnet, in welcher spät, oder selbst mit der Frühe, einige dieser Herren zu Fuß oder auf einem Schiff zurück nach der Stadt gelangten; der Sturm, der Regen ist da, das Schiff ist also fort, zurückgehn ist unmöglich, unsre Chaise zu klein. Mein Bastian ist dumm, er taugt zu keinem solchen Auftrage, ich muß also den Vetter bitten, einen Wagen, sei er auch, wie er sei, aus dem Dorfe zu holen, damit unser Schwieger und Herr Mansfeld zurückfahren, denn wir können in unserm Wagen nur noch einen, vielleicht die Madame zurücknehmen, die so gütig hat seyn wollen, das heutige Fest im Voraus zu besingen.
Der junge Vetter verbeugte sich und ließ sich sein Pferd wieder vorführen. Herr von Dobern wird heut gewiß gar nicht kommen, fuhr der Vater fort; auch kann ich mich wirklich nicht entsinnen, ob ich ihm den Tag oder Abend bestimmt habe, denn ich hatte so viel andere und wichtige Geschäfte zu besorgen, daß diese Nebensachen meinem Gedächtnisse völlig entwichen sind.
Ei, freilich! sagte Schwieger, wer kann an Alles denken; gab es doch einmal einen Raufer, der so zu einem Duell eilte, daß er in der Zerstreuung sein Bein zu Hause ließ.
Wie denn das? fragte Freimund nachdenkend.
Es war sein hölzernes, antwortete Schwieger, welches er wirklich vergaß, und wie er an Ort und Stelle kam, mußten ihm die Secundanten erst einen Baumzweig unterbinden, damit er seine Stellung mit Festigkeit einnehmen konnte.
Duell? Gevatter! sagte Freimund wieder – mir däucht, als Student habe ich auf der Universität auch einmal ein Duell ausgesogen.
Du? lieber Mann, fragte die Gattin mit dem Ausdruck des größten Erstaunens.
Freilich ist es so! antwortete Schwieger, und wir können uns die Sache wohl bei dieser traulichen Nachtlampe erzählen. Doch, da fällt mir zuvor noch eine andere sonderbare Geschichte ein, die ich berichten will. Hast Du wohl schon je, lieber Gevatter, einen recht zerstreuten Menschen gekannt?
Ich denke nicht, sagte Freimund, und kann mich eben keines recht auffallenden Exemplars erinnern. Doch, mir fällt bei. Du selbst, lieber Freund, hast mehr wie einmal zu seltsamen Dingen durch Deine Abwesenheit Veranlassung gegeben.
Kann wohl seyn! erwiederte Schwieger trocken; meine Abwesenheit zum Beispiel, als ich zum Assessor examinirt werden sollte, es vergessen hatte und verreiset war, und die Herrn Examinatoren lange vergeblich warteten, und ich nachher alle Hände voll zu thun hatte, daß die Männer sich nur wieder mit mir einließen.