Meine schönsten Erzählungen, Band 1 - Adalbert Stifter - E-Book

Meine schönsten Erzählungen, Band 1 E-Book

Adalbert Stifter

0,0

Beschreibung

Dies ist der erste von drei Sammelbänden mit den schönsten Erzählungen des österreichischen Autors und bedeutenden Vertreter des Biedermeiers. Enthalten sind die Werke: Abdias Bergkristall Brigitta Das alte Siegel Das Haidedorf Der beschriebene Tännling Der Condor

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 569

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Meine schönsten Erzählungen, Band 1

Adalbert Stifter

Inhalt:

Abdias

1. Esther

2. Deborah.

3. Ditha

Bergkristall

Brigitta

1. Steppenwanderung

2. Steppenhaus.

3. Steppenvergangenheit.

4. Steppengegenwart.

Das alte Siegel

1. Die Berghalde

2. Die Kirche von Sanct Peter

3. Das Lindenhäuschen

4. Das Eichenschloß

Das Haidedorf

1. Die Haide.

2. Das Haidehaus.

3. Das Haidedorf.

4. Der Haidebewohner.

Der beschriebene Tännling

1. Der graue Strauch

2. Der bunte Schlag

3. Der grüne Wald

4. Der dunkle Baum

Der Condor

1. Ein Nachtstück

2. Tagstück

3. Blumenstück

4. Fruchtstück

Meine schönsten Erzählungen 1, A. Stifter

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849636784

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Adalbert Stifter – Biografie und Bibliografie

Dichter und Schriftsteller, geb. 23. Okt. 1805 zu Oberplan im deutschen Böhmerwald, gest. 28. Jan. 1868 in Linz, studierte in Wien die Rechte, daneben Philosophie und Naturwissenschaften, ward Lehrer des Fürsten Richard Metternich und 1850 zum Schulrat für das Volksschulwesen Oberösterreichs ernannt. Als solcher nahm er seinen Wohnsitz in Linz, von wo aus er vielfach die Alpen, Italien etc. bereiste, ward 1865 pensioniert und zum Hofrat ernannt. In Linz (1902) sowie in seinem Geburtsort (1906) wurden ihm Denkmäler errichtet, ein weiteres ist für Wien geplant. Seine Idyllen und Novellen erschienen gesammelt unter den Titeln: »Studien« (Pest 1844–1850, 6 Bde. u. ö.) und »Bunte Steine« (das. 1852, 2 Bde. u. ö.). Namentlich die »Studien« erregten von ihrem Erscheinen an Teilnahme und selbst Enthusiasmus. Die unbedingte Hinwegwendung von allen Problemen und Tendenzen des Tages, der idyllische, fast quietistische Grundzug, die meisterhaften Details, namentlich die sinnigen Naturschilderungen, die seine, gleichmäßige Durchführung bilden einen so wohltuenden Gegensatz zur Tagesbelletristik, daß man darüber die Mängel der überwiegend kontemplativen, aller Leidenschaft und Tatkraft abgewandten, zur lebendigern Menschendarstellung daher unfähigen Natur des Autors übersah. Diese Mängel traten namentlich in den größern Romanen Stifters: »Der Nachsommer« (Pest 1857, 3 Bde.; 3. Aufl. 1877) und »Witiko« (das. 1864–67, 3 Bde.), hervor. Stifters Nachlaß (»Briefe«, Pest 1869, 3 Bde.; »Erzählungen«, das. 1869, 2 Bde.; 4. Aufl., Leipz. 1894; »Vermischte Schriften«, das. 1870, 2 Bde.) gab Aprent heraus. »Ausgewählte Werke« von ihm erschienen in 4 Bänden (Leipz. 1887; besorgt von Stößl, Berl. 1899, 7 Bde.). Eine kritische Ausgabe, besorgt von A. Sauer, erscheint in Prag (1904 ff., bisher 1 Bd.). Vgl. Emil Kuh, Zwei Dichter Österreichs. Franz Grillparzer, Adalbert S. (Preßb. 1872); Markus, Adalbert S., ein Denkmal (2. Aufl., Wien 1879); Sauer, Adalbert S. als Stilkünstler (in der »Festschrift des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen«, Prag 1902); Hein, Adalbert S., sein Leben und seine Werke (das. 1904); Kosch, Adalbert S., eine Studie (Leipz. 1905) und Adalbert S. und die Romantik (Prag 1905); Klaiber, Adalbert S. (Stuttg. 1905); »Aus Adalbert Stifters Briefen« (hrsg. von Dieterich, Leipz. 1906).

Abdias

1. Esther

Es gibt Menschen, auf welche eine solche Reihe Ungemach aus heiterm Himmel fällt, daß sie endlich da stehen und das hagelnde Gewitter über sich ergehen lassen: so wie es auch andere gibt, die das Glück mit solchem ausgesuchten Eigensinne heimsucht, daß es scheint, als kehrten sich in einem gegebenen Falle die Naturgesetze um, damit es nur zu ihrem Heile ausschlage.

Auf diesem Wege sind die Alten zu dem Begriffe des Fatums gekommen, wir zu dem milderen des Schicksals.

Aber es liegt auch wirklich etwas Schauderndes in der gelassenen Unschuld, womit die Naturgesetze wirken, daß uns ist, als lange ein unsichtbarer Arm aus der Wolke, und thue vor unsern Augen das Unbegreifliche. Denn heute kömmt mit derselben holden Miene Segen, und morgen geschieht das Entsetzliche. Und ist beides aus, dann ist in der Natur die Unbefangenheit, wie früher.

Dort, zum Beispiele, wallt ein Strom in schönem Silberspiegel, es fällt ein Knabe hinein, das Wasser kräuselt sich lieblich um seine Locken, er versinkt - und wieder nach einem Weilchen wallt der Silberspiegel, wie vorher. - - Dort reitet der Beduine zwischen der dunklen Wolke seines Himmels und dem gelben Sande seiner Wüste: da springt ein leichter glänzender Funke auf sein Haupt, er fühlt durch seine Nerven ein unbekanntes Rieseln, hört noch trunken den Wolkendonner in seine Ohren, und dann auf ewig nichts mehr.

Dieses war den Alten Fatum, furchtbar letzter starrer Grund des Geschehenden, über den man nicht hinaus sieht, und jenseits dessen auch nichts mehr ist, so daß ihm selber die Götter unterworfen sind: uns ist es Schicksal, also ein von einer höhern Macht Gesendetes, das wir empfangen sollen. Der Starke unterwirft sich auch ergeben, der Schwache stürmt mit Klagen darwider, und der Gemeine staunt dumpf, wenn das Ungeheure geschieht, oder er wird wahnwitzig und begeht Frevel.

Aber eigentlich mag es weder ein Fatum geben, als letzte Unvernunft des Seins, noch auch wird das Einzelne auf uns gesendet; sondern eine heitre Blumenkette hängt durch die Unendlichkeit des Alls und sendet ihren Schimmer in die Herzen - die Kette der Ursachen und Wirkungen - und in das Haupt des Menschen ward die schönste dieser Blumen geworfen, die Vernunft, das Auge der Seele, die Kette daran anzuknüpfen, und an ihr Blume um Blume, Glied um Glied hinab zu zählen bis zuletzt zu jener Hand, in der das Ende ruht. Und haben wir dereinstens recht gezählt, und können wir die Zählung überschauen: dann wird für uns kein Zufall mehr erscheinen, sondern Folgen, kein Unglück mehr, sondern nur Verschulden; denn die Lücken, die jetzt sind, erzeugen das Unerwartete, und der Mißbrauch das Unglückselige. Wohl zählt nun das menschliche Geschlecht schon aus einem Jahrtausende in das andere, aber von der großen Kette der Blumen sind nur erst einzelne Blätter aufgedeckt, noch fließt das Geschehen wie ein heiliges Räthsel an uns vorbei, noch zieht der Schmerz im Menschenherzen aus und ein - - ob er aber nicht zuletzt selber eine Blume in jener Kette ist? wer kann das ergründen? Wenn dann einer sagt, warum denn die Kette so groß ist, daß wir in Jahrtausenden erst einige Blätter aufgedeckt haben, die da duften, so antworten wir: So unermeßlich ist der Vorrath darum, damit ein jedes der kommenden Geschlechter etwas finden könne, - das kleine Aufgefundne ist schon ein großer herrlicher Reichthum, und immer größer immer herrlicher wird der Reichthum, je mehr da kommen, welche leben und enthüllen - und was noch erst die Woge aller Zukunft birgt, davon können wir wohl kaum das Tausendstel des Tausendstels ahnen. - - Wir wollen nicht weiter grübeln, wie es sei in diesen Dingen, sondern schlechthin von einem Manne erzählen, an dem sich manches davon darstellte, und von dem es ungewiß ist, ob sein Schicksal ein seltsameres Ding sei, oder sein Herz. Auf jeden Fall wird man durch Lebenswege wie der seine zur Frage angeregt: »warum nun dieses?« und man wird in ein düsteres Grübeln hinein gelockt über Vorsicht, Schicksal und letzten Grund aller Dinge.

Es ist der Jude Abdias, von dem ich erzählen will.

Wer vielleicht von ihm gehört hat, oder wer etwa gar noch die neunzigjährige gebückte Gestalt einst vor dem weißen Häuschen hat sitzen gesehen, sende ihm kein bitteres Gefühl nach - weder Fluch, noch Segen, er hat beides in seinem Leben reichlich geerndtet - sondern er halte sich in diesen Zeilen noch einmal sein Bild vor die Augen. Und auch derjenige, der nie etwas von diesem Manne gehört hat, folge uns, wenn es ihm gefällt, bis zu Ende, da wir sein Wesen einfach aufzustellen versucht haben, und dann urtheile er über den Juden Abdias, wie es ihm sein Herz nur immer eingibt.

Tief in den Wüsten innerhalb des Atlasses steht eine alte, aus der Geschichte verlorene Römerstadt. Sie ist nach und nach zusammengefallen, hat seit Jahrhunderten keinen Namen mehr, wie lange sie schon keine Bewohner hat, weiß man nicht mehr, der Europäer zeichnete sie bis auf die neueste Zeit nicht auf seine Karten, weil er von ihr nichts ahnete, und der Berber, wenn er auf seinem schnellen Rosse vorüber jagte, und das hängende Gemäuer stehen sah, dachte entweder gar nicht an dasselbe und an dessen Zweck, oder er fertigte die Unheimlichkeit seines Gemüthes mit ein paar abergläubischen Gedanken ab, bis das letzte Mauerstück aus seinem Gesichte, und der letzte Ton der Schakale, die darin hausten, aus seinem Ohre entschwunden war. Dann ritt er fröhlich weiter, und es umgab ihn nichts, als das einsame, bekannte, schöne, lieb gewordene Bild der Wüste. Dennoch lebten außer den Schakalen, der ganzen übrigen Welt unbekannt, auch noch andere Bewohner in den Ruinen. Es waren Kinder jenes Geschlechtes, welches das ausschließendste der Welt, starr blos auf einen einzigsten Punkt derselben hinweisend, doch in alle Länder der Menschen zerstreut ist, und von dem großen Meere gleichsam auch einige Tropfen in diese Abgelegenheit hinein verspritzt hatte. Düstre, schwarze, schmutzige Juden gingen wie Schatten in den Trümmern herum, gingen drinnen aus und ein, und wohnten drinnen mit dem Schakal, den sie manchmal fütterten. Es wußte niemand von ihnen, außer die anderen Glaubensbrüder, die draußen wohnten. Sie handelten mit Gold und Silber und mit andern Dingen von dem Lande Egypten herüber, auch mit verpesteten Lappen und Wollenzeugen, davon sie sich wohl selber zuweilen die Pest brachten und daran verschmachteten - aber der Sohn nahm dann mit Ergebung und Geduld den Stab seines Vaters, und wanderte und that, wie dieser gethan, harrend, was das Schicksal über ihn verhängen möge. Ward einmal einer von einem Kabilen erschlagen, und beraubt, so heulte der ganze Stamm, der in dem wüsten weiten Lande zerstreut war - und dann war es vorüber und vergessen, bis man etwa nach langer Zeit auch den Kabilen irgendwo erschlagen fand. So war dies Volk, und von ihm stammte Abdias her.

Durch einen römischen Triumphbogen hindurch an zwei Stämmen verdorrter Palmen vorbei gelangte man zu einem Mauerklumpen, dessen Zweck nicht mehr zu erkennen war - jetzt war es die Wohnung Arons, des Vaters des Abdias. Oben gingen Trümmer einer Wasserleitung darüber, unten lagen Stücke, die man gar nicht mehr erkannte, und man mußte sie übersteigen, um zu dem Loche in der Mauer zu gelangen, durch welches man in die Wohnung Arons hinein konnte. Innerhalb des ausgebrochenen Loches führten Stufen hinab, die Simse einer dorischen Ordnung waren, und in unbekannter Zeit aus unbekanntem zerstörenden Zufalle hierher gefunden hatten. Sie führten zu einer weitläufigen Wohnung hinunter, wie man sie unter dem Mauerklumpen und dem Schutte von Außen nicht vermuthet hätte. Es war eine Stube mit mehreren jener kleinen Gemächer umgeben, wie sie die Römer geliebt hatten, auf dem Boden aber war kein Estrich, oder Getäfel, oder Pflaster, oder Mosaik, sondern die nackte Erde, an den Wänden waren keine Gemälde oder Verzierungen, sondern die römischen Backsteine sahen heraus, und überall waren die vielen Päcke und Ballen und Krämereien verbreitet, daß man sah, mit welchen schlechten und mannigfaltigen Dingen der Jude Aron Handel trieb. Vorzüglich aber waren es Kleider und gerissene Lappen, die herab hingen, und die alle Farben und alle Alter hatten, und den Staub fast aller Länder von Afrika in sich trugen. Zum Sitzen und Lehnen waren Haufen alter Stoffe. Der Tisch und die andern Geräthe waren Steine, die man aus der alten Stadt zusammen getragen hatte. Hinter einem herabhängenden Busche von gelben und grauen Kaftanen war ein Loch in der Mauer, welches viel kleiner war, als das, welches die Stelle der Thür vertrat, und aus dem Finsterniß heraus sah, wie aus einer Grube im Schutte. Man meinte nicht, daß man da hinein gehen könne. Wenn man sich aber gleichwohl bückte und hindurch kroch, und wenn man den krummen Gang zurück gelegt hatte, der da folgte, so kam man wieder in ein Zimmer, um das mehrere andere waren. Auf dem Fußboden lag ein Teppich aus Persien und in den andern waren ähnliche oder gleiche, an den Wänden und in Nischen waren Polster, darüber Vorhänge, und daneben Tische von feinem Steine und Schalen und ein Bad. Hier saß Esther, Arons Weib. Ihr Leib ruhete auf dem Seidengewebe von Damaskus, und ihre Wange und ihre Schultern wurden geschmeichelt von dem weichsten und glühendsten aller Zeuge, dem gewebten Märchen aus Kaschemir, so wie es auch die Sultana in Stambul hat. Um sie waren ein paar Zofen, die schöne Tücher um die klugen schönen Stirnen hatten, und Perlen auf dem Busen trugen. Hieher trug Aron alles zusammen, was gut und den armen Sterblichen schmeichelnd und wohlthätig erscheint. Der Schmuck war auf den Tischen herum gelegt und auf den Wänden zerstreut. Das Licht sandten von oben herab mit Mirrhen verrankte Fenster, die manchmal der gelbe Wüstensand verschüttete, - aber wenn es Abend wurde und die Lampen brannten, dann glitzerte alles und funkelte und war hell und strahlenreich. Das größte Kleinod Arons außer dem Weibe Esther war ihr Sohn, ein Knabe, der auf dem Teppiche spielte, ein Knabe mit schwarzen rollenden Augenkugeln und mit der ganzen morgenländischen Schönheit seines Stammes ausgerüstet. Dieser Knabe war Abdias, der Jude, von dem ich erzählen wollte, jetzt eine weiche Blume, aus Esthers Busen hervorgeblüht. Aron war der reichste in der alten Römerstadt. Dies wußten die andern, die noch mit ihm da wohnten, sehr gut, da sie oft Genossen seiner Freuden waren, so wie er von ihnen auch alles wußte: aber nie ist ein Beispiel erhört worden, daß es der vorüber jagende Beduine erfuhr, oder der träge Bei im Harem: sondern über der todten Stadt hing schweigend das düstere Geheimniß, als würde nie ein anderer Ton in ihr gehört, als das Wehen des Windes, der sie mit Sand füllte, oder der kurze heiße Schrei des Raubthieres, wenn die glühende Mondesscheibe ober ihr stand, und auf sie nieder schien. Die Juden handelten unter den Stämmen herum, man ließ sie und fragte nicht viel um ihren Wohnort - und wenn einer ihrer andern Mitbewohner, ein Schakal, hinaus kam, so ward er erschlagen und in einen Graben geworfen. Auf seine zwei höchsten Güter häufte Aron alles, wovon er meinte, daß es ihnen gut sein könnte. - Und wenn er draußen gewesen war, wenn er geschlagen und von Wohnort zu Wohnort gestoßen worden war, und wenn er nun heim kam, und genoß, was die alten Könige des Volkes, vornehmlich jener Salomo, als die Freude des Lebens hielten, so empfand er eine recht schauerliche Wollust. - Und wenn ihm auch zuweilen war, als gäbe es noch andere Seligkeiten, die im Herzen sind, so meinte er, es sei ein Schmerz, den man fliehen müsse, und er floh ihn auch, nur daß er dachte, er wolle den Knaben Abdias eines Tages auf ein Kamehl setzen und ihn nach Kahira zu einem Arzte bringen, daß er weise würde, wie es die alten Propheten und Führer seines Geschlechtes gewesen. Aber auch aus dem ist wieder nichts geworden, weil es in Vergessenheit gerathen war. Der Knabe hatte also gar nichts, als daß er oft oben auf dem Schutte stand, und den weiten ungeheuren Himmel, den er sah, für den Mantelsaum Jehovas hielt, der einstens sogar auf der Welt gewesen war, um sie zu erschaffen, und sich ein Volk zu wählen, mit dem er aß, und mit dem er umging zur Freude seines Herzens. Aber Esther rief ihn wieder hinab, und legte ihm ein braunes Kleidchen an, dann ein gelbes, und wieder ein braunes. Sie legte ihm auch einen Schmuck an, und ließ die Schönheit der Perle um seine dunkle feine Haut dämmern, oder das Feuer des Demanten daneben funkeln - sie legte ein Band um seine Stirne, streichelte seine Haare, oder rieb die Gliedlein und das Angesicht mit weichen, feinen, wollenen Lappen - öfters kleideten sie ihn als Mädchen an, oder die Mutter salbte seine Augenbraunen, daß sie recht feine schwarze Linien über den glänzenden Augen waren, und hielt ihm den silbernen gefaßten Spiegel vor, daß er sich sähe. -

Nachdem die Jahre, eines nach dem andern vergangen waren, führte ihn der Vater Aron eines Tages hinaus in die vordere Stube, legte ihm einen zerrissenen Kaftan an, und sagte: »Sohn, Abdias, gehe nun in die Welt, und da der Mensch auf der Welt nichts hat, als was er sich erwirbt, und was er sich in jedem Augenblicke wieder erwerben kann, und da uns nichts sicher macht, als diese Fähigkeit des Erwerbens: so gehe hin und lerne es. Hier gebe ich dir ein Kamehl und eine Goldmünze, und bis Du nicht selber so viel erworben hast, davon ein einzelner Mensch sein Leben hinbringen kann, gebe ich dir nichts mehr, und wenn du ein untauglicher Mann wirst, so gebe ich dir auch nach meinem Tode nichts. Wenn du es thun willst, und nicht zu weit entfernt bist, so kannst du mich und deine Mutter in Zeiten besuchen - und wenn du so viel hast, davon ein Mensch leben kann, so komme zurück, ich gebe dir dazu, daß ein zweiter und mehrere andere auch zu leben vermögen, du kannst ein Weib bringen, und wir suchen euch in unserer Höhle noch einen Raum zu machen, darinnen zu wohnen und zu genießen was euch Jehova sendet. Jetzt, Sohn Abdias, sei gesegnet, gehe hin und verrathe nichts von dem Neste, in dem du aufgeäzet worden bist.«

So hatte Aron gesprochen, und den Sohn hinaus geführt zu den Palmen, wo das Kamehl lag. Dann segnete er ihn, und tastete mit seinen Händen auf dem lockigen Scheitel seines Hauptes. Esther lag drinnen auf dem Teppiche, schluchzte, und schlug mit den Händen den Boden. Abdias aber, da nun der Segen vorüber war, setzte sich auf das vor ihm liegende Kamehl, das sich, sobald es seine Last spürte, aufrichtete, und den Jüngling in die Höhe hob, und wie dieser das Fächeln der fremden wie aus der Ferne kommenden Luft empfand, so sah er noch einmal den Vater an, und ritt dann gehorsam von dannen.

Von nun an ertrug Abdias das Peitschen des Regens und Hagels in seinem Angesichte - er zog Land aus, Land ein, über Wässer und Ströme, aus einer Zeit in die andere - er kannte keine Sprache, und lernte sie alle, er hatte kein Geld, und erwarb sich dasselbe, um es in Klüften, die er wieder fand, zu verstecken, er hatte keine Wissenschaft, und konnte nichts, als, wenn er auf seinem hagern Kamehle saß, die feurigen Augen in die große ungeheure Leere um sich richten und sinnen, er lebte sehr dürftig, daß er oft nichts anders hatte, als eine Hand voll trockner Datteln, und doch war er so schön, wie einer jener himmlischen Boten gewesen ist, die einstens so oft in seinem Volke erschienen sind. So hat auch einmal jener Mohamed, wenn er Tage lang, Wochen lang allein war blos mit seinem Thiere in dem weiten Sande, die Gedanken gesonnen, die dann eine Flamme wurden und über den Erdkreis fegten. Sonst war Abdias ein Ding, das der blödeste Türke mit dem Fuße stoßen zu dürfen glaubte, und stieß. Er war hart und unerbittlich, wo es seinen Vortheil galt, er war hämisch gegen die Moslims und Christen - und wenn er des Nachts sich mitten in der Karawane auf den gelben Sand streckte, so legte er recht sanft sein Haupt auf den Hals seines Kamehles, und wenn er im Schlummer und Traume sein Schnaufen hörte, so war es ihm gut und freundlich, und wenn es irgend wo wund gedrückt wurde, versagte er sich das liebliche Wasser, wusch damit die kranke Stelle, und bestrich sie mit Balsam.

Ueber die Stätte war er gewandelt, wo die alte Handelskönigin Carthago gestanden war, den Nil hatte er gesehen, über den Euphrat und Tigris war er gegangen, aus dem Ganges hatte er getrunken - er hatte gedarbt und gewuchert, zusammen gerafft und gehütet - er hatte seine Eltern nicht ein einziges Mal besucht, weil er immer so weit weg gewesen war - - und nachdem fünfzehn Jahre vergangen waren, kam er wieder zum ersten Male in die verschollene Römerstadt. Er kam in der Nacht, er kam zu Fuße, weil man ihm sein Kamehl geraubt hatte, er war in ganz zerrissene Kleider gehüllt, und trug Stücke eines Pferdeaases in der Hand, um davon den Schakalen zuzuwerfen, daß er sie von seinem Leibe hielte. Auf diese Weise gelangte er zu dem römischen Triumphbogen und zu den zwei alten Palmenstämmen, die noch immer da standen, und in der Nacht schwarze Linien in den Himmel zogen. Er pochte an die aus Rohr geflochtene Thür, die dreifach vor dem Mauerloche war, das den Eingang bildete, er rief und nannte seinen Namen und den seines Vaters - und er mußte lange warten, bis ihn jemand hörte und den alten Juden weckte. Es standen alle in dem Hause auf, als sie hörten, wer gekommen sei, und Aron, als er durch die Thür mit ihm zuerst geredet hatte, öffnete dieselbe und ließ ihn ein. Abdias bath den Vater, daß er ihn in den Keller führe, und als er dort die Rohrthür hinter sich verschlossen hatte, zählte er ihm goldene Münzen aller Länder auf, die er sich erworben hatte, eine große Summe, die man kaum erwarten konnte. Aron sah ihm schweigend zu, bis er fertig war, dann schob er die Goldstücke auf dem Steine zusammen, und that sie wieder handvollweise in den ledernen Sack, in dem sie Abdias gebracht hatte, und legte den Sack seitwärts in ein Loch, das zwischen Marmorfrisen war. - - Dann, als bräche die Rinde plötzlich entzwei, oder als hätte er mit der Vaterfreude warten müssen, bis erst das Geschäft aus war, stürzte er gegen den Sohn, umarmte ihn, drückte ihn an sich, heulte, segnete, murmelte, betastete ihn, und benetzte sein Angesicht mit Thränen.

Abdias aber ging, da dies vorüber war, wieder in die Vorstube hinauf, warf sich auf einen Haufen Matten, die da lagen, und ließ den Quell seiner Augen rinnen - er rann so milde und süß; denn sein Leib war ermüdet bis zum Tode.

Der Vater aber ließ ihn von seinen Lumpen entkleiden, man legte seinen Körper in ein linderndes reinigendes Bad, rieb dann die Glieder mit köstlichen und heilsamen Salben, und kleidete ihn in ein Feierkleid. Dann wurde er in die inneren Zimmer gebracht, wo Esther auf den Polstern saß und geduldig wartete, bis ihn der Vater herein führen würde. Sie stand auf, da der Angekommene unter dem Vorhange des Zimmers herein ging - aber es war nicht mehr der süße weiche schöne Knabe, den sie einst so geliebt hatte, und dessen Wangen das so sanfte Kissen für ihre Lippen gewesen waren; sondern er war sehr dunkel geworden, das Antlitz härter und höher und die Augen viel feuriger -: aber auch er sah die Mutter an - sie war nicht minder eine andere geworden, und das unheimliche Spiel der Jahre zeigte sich in ihrem Angesichte. Sie nahm ihn, da er bis an ihre Seite vorwärts gekommen war, an ihr Herz, zog ihn gegen sich auf die Kissen, und drückte ihren Mund auf seine Wangen, seine Stirne, seinen Scheitel, auf seine Augen und auf seine Ohren.

Der alte Aron stand seitwärts mit gebücktem Haupte, und die Zofen saßen in dem Gemache daneben hinter gelbseidenen Vorhängen und flüsterten.

Von da an waren Freudenfeste durch drei Tage. Es wurden die Nachbarn herbeigerufen, das Kamehl, der Esel und der Hund des Hauses waren nicht vergessen, und für die Thiere der Wüste wurde ein Theil in die entfernten Gegenden der Trümmer hinaus gelegt; denn es reichten die Mauerstücke weit in der Ebene fort, und was die Menschen von ihnen übergelassen hatten, dazu kamen die Thiere, um Schutz zu suchen.

Als die Feste vorüber gegangen waren, und noch eine Zeit verflossen war, nahm Abdias aufs Neue Abschied von den Eltern; denn er reisete nach Balbek, um die schönäugige Deborah zu holen, die er dort gesehen, die er sich gemerkt hatte, und die mit all den Ihrigen zu seinem Stamme gehörte. Er reisete als Bettler, und kam nach zwei Monaten dort an. Zurück ging er als bewaffneter Türke mitten in einer großen Karawane, denn das Gut, das er mit sich führte, konnte er nicht in Klüften verstecken, und, konnte es, wenn es verloren ginge, nicht wieder erwerben. Damals war in allen Karawansereis die Rede von der Schönheit des reisenden Moslim und der noch größern seiner Sklavin; - aber die Rede, wie ein glänzender Strom gegen die Wüste, verlor sich allgemach, und nach einer Zeit dachte keiner mehr daran, wo die beiden hingekommen wären, und es redete keiner mehr davon. Sie aber waren in der Wohnung des alten Arons, es wurden in den Gewölben unter dem Schutte Zimmer gerichtet, die Vorhänge gezogen, und die Polster und Teppiche für Deborah gelegt.

Aron theilte mit dem Sohne sein Gut, wie er es versprochen hatte, und Abdias ging nun in die Länder hinaus, um Handel zu treiben.

Wie er einst gehorsam gewesen war, so trug er jetzt aus allen Orten zusammen, was nach seiner Meinung den Sinnen der Eltern wohl thun könnte, er demüthigte sich vor den eigensinnigen Grillen des Vaters und litt das vernunftlose Scheltwort der Mutter. - Als Aron alt und blöde geworden war, ging Abdias in schönen Kleidern, mit schimmernden und gut bereiteten Waffen, und er machte mit seinen Kaufgenossen draußen Einrichtungen, wie es die großen Handelsleute in Europa thun. Da die Eltern unmündige Kinder geworden waren, starben sie eines nach dem andern, und Abdias begrub sie unter den Steinen, die neben einem alten Römerknaufe lagen.

Von jetzt an war er allein in den Gewölben, die unter dem hochgethürmten Schutte neben dem Triumphbogen und den zwei Stämmen der verdorrten Palmen sind.

Nun reisete er immer weiter und weiter, Deborah saß mit ihren Mägden zu Hause und harrte seiner, er wurde draußen bekannter unter den Leuten, und zog die schimmernde Straße des Reichthums immer näher gegen die Wüste.

2. Deborah.

Als nach dem Tode Arons und Esthers einige Jahre vergangen waren, bereitete es sich allgemach vor, daß es nun anders werden sollte in dem Hause neben den Palmen. Das Glück und der Reichthum häuften sich immer mehr. Abdias war eifrig in seinem Werke, dehnte es immer weiter aus, und that den Thieren, den Sklaven und den Nachbarn Gutes. Aber sie haßten ihn dafür. Das Weib seines Herzens, welches er sich gewählt hatte, überschüttete er mit Gütern der Welt, und brachte ihr, obwohl sie unfruchtbar war, aus den Ländern die verschiedensten Dinge nach Hause. Da er aber einmal in Odessa krank geworden war, und die böse Seuche der Pocken geerbt hatte, die ihn ungestaltet und häßlich machten, verabscheute ihn Deborah, als er heim kam, und wandte sich auf immer von ihm ab; denn nur die Stimme, die sie gekannt hatte, hatte er nach Hause gebracht, nicht aber die Gestalt, - - und wenn sie auch oft auf den gewohnten Klang plötzlich hin sah - so kehrte sie sich doch stets wieder um, und ging aus dem Hause; sie hatte nur leibliche Augen empfangen um die Schönheit des Körpers zu sehen, nicht geistige, die des Herzens. Abdias hatte das einst nicht gewußt; denn als er sie in Balbeck erblickte, sah er auch nichts, als ihre große Schönheit, und da er fort war, trug er nichts mit, als die Erinnerung dieser Schönheit. Darum war für Deborah jetzt alles dahin. - Er aber, da er sah, wie es geworden war, ging in seine einsame Kammer, und schrieb dort den Scheidebrief, damit er fertig sei, wenn sie ihn begehre, die nun von ihm gehen würde, nachdem sie so viele Jahre bei ihm gewesen war. Allein sie begehrte ihn nicht, sondern lebte fort neben ihm, war ihm gehorsam, und blieb traurig, wenn die Sonne kam, und traurig, wenn die Sonne ging. Die Nachbarn aber belachten sein Angesicht, und sagten, das sei der Aussatzengel Jehovas, der über ihn gekommen wäre, und ihm sein Merkmal eingeprägt habe.

Er sagte nichts und die Zeit schleifte so hin.

Er reisete fort, wie früher, kam wieder heim, und reisete wieder fort. Den Reichthum suchte er auf allen Wegen, er trotzte ihn bald in glühendem Geize zusammen, bald verschwendete er ihn, und wenn er draußen unter den Menschen war, lud er alle Wollüste auf seinen Leib. - Dann kam er nach Hause und saß an manchem Nachmittage hinter dem hochgethürmten Schutte seines Hauses, den er gerne besuchte, neben der zerrissenen Aloe, und hielt sein bereits grau werdendes Haupt in beiden Händen. Er dachte, er sehne sich nach dem kalten feuchten Welttheile Europa, es wäre gut, wenn er wüßte, was dort die Weisen wissen, und wenn er lebte, wie dort die Edlen leben. - - Dann heftete er die Augen auf den Sand, der vor ihm dorrte und glizzerte - und blickte seitwärts, wenn der Schatten der traurigen Deborah um die Ecke einer Mauertrümmer ging, und sie ihn nicht fragte, was er sinne. - Aber es waren nur flatternde Gedanken, wie einem, der auf dem Atlas wandert, eine Schneeflocke vor dem Gesichte sinkt, die er nicht haschen kann.

Als man nach dem Gefechte weiter zog, und alle Tage das einsame Bild der Wüste war, dachte Abdias: wenn er nun den Bei tödtete, wenn er selber Bei würde, wenn er Sultan würde, wenn er die ganze Erde eroberte und unterwürfe - was es dann wäre? - es waren unbekannte Dinge und standen mit düsterm Winken in der Zukunft. - - Allein er wurde nicht Bei, sondern, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, auf jener ganzen Reise, die noch weit herum ging, schwebte schon ein trauriger dunkler Engel über ihm. Man war wieder in die blühenden Länder der Menschen gekommen, er hatte in vielen Richtungen zu gehen, er schloß sich bald an diese, bald an jene Karawane an, und öfters - wie es nun Menschen manchmal ist - wenn er so in der Ferne zog, fiel ihm plötzlich ein: wenn nur zu Hause kein Unglück geschehen ist - aber er strafte diese Gedanken immer wieder selber, indem er sagte: »Was kann denn zu Hause geschehen? zu Hause ist ja gar kein Unglück möglich.« - - Und er zog hierauf noch Oede aus Oede ein, hatte Geschäfte abzuthun und that sie mit Glück, sah manche Gegenden und Städte, und es waren mehrere Monate vergangen, bis er nach all den Kreislinien wieder einmal das Blau der Atlasberge schimmern sah, und hinter ihnen seine Heimath ahnete. Er zog ihr zu. Er ließ seine schönen Kleider in einem Dorfe, wo in einer Grotte eine Sinagoge war, und in einer schönen heitern Sternennacht lösete er sich von der letzten Karawane, mit der er gezogen war, ab, und wandte sich seitwärts gegen die Ebene, über die man zu den Bergen, und jenseits derselben zu der alten Römerstadt gelangen konnte. Da schwang sich der Engel von seinem Haupte; denn es war geschehen, was da sollte. Da Abdias nemlich als zerlumpter Mann auf dem Kamehle reisend ganz allein im Sande ritt, und sich bereits dem Ziele seiner Wanderung näherte, sah er eine schwache blaue Dunstschichte über der Geisterstadt stehen, gleichsam einen brütenden Wolkenschleier, wie sie oft ihr Phantom auf die Wüste werfen - allein er achtete nicht darauf, da auch der andere Himmel sich milchig zu beziehen anfing, und die heiße Sonne wie ein rothes trübes Auge oben stand, was in diesen Gegenden immer das Herannahen der Regenzeit bedeutet. Aber da er endlich zu den wohlbekannten Trümmern gelangte, und in die bewohnten Theile derselben einritt, sah er, daß man die zerstörte Stadt noch einmal zerstört hatte; denn die wenigen elenden Balken, die einst von weiten Landen herbei geschleppt und aufgerichtet worden waren, lagen herum gestreut, und rauchten - schmutzige Asche von Palmenblättern, den Dächern der Hütten, lag zwischen schwarzen von Feuer genäßten Steinen - er ritt schneller - und wie er zu dem Triumphbogen und den zwei verdorrten Palmenstämmen gekommen war, so sah er fremde Männer, welche Dinge aus seinem Hause trugen - ihre Maulthiere waren schon sehr bepackt, und aus dem Schlechten, was sie in den Händen hatten, erkannte er, daß es das letzte sei, was sie trugen. An den Palmenstämmen aber hielt Melek-Ben-Amar hoch zu Rosse und mehrere Männer waren um ihn. Als Abdias schnell sein Thier zum Niederknien gezwungen hatte, abstieg, gleichsam wie zu retten herbeilief und den Menschen erkannte, grinsete dieser mit dem Angesichte auf ihn herab und lächelte - Abdias mit dem unbeschreiblichsten inbrünstigsten Hohne und Hasse fletschte ihm auch die Zähne entgegen - aber er hatte jetzt nicht Zeit, sondern sprang an ihm vorbei in die vordere Stube, wo die alten Kleider lagen, um zu sehen - - aber hier waren etliche Nachbarn, die aus Schadengier herbei gelaufen waren, um sich zu weiden - - und wie diese jetzt den unvermuthet herbei gekommenen Abdias gewahr wurden, jubelten sie laut und schreiend, ergriffen ihn sogleich, schlugen ihn, spieen ihm ins Angesicht und riefen: »Da bist du nun - du bist es, du, du!! - - du hast dein eigen Nest beschmutzt, du hast dein eigen Nest verrathen und den Geiern gezeigt. Weil du in ihren eitlen Kleidern gegangen bist, haben sie's geargwohnt, der Grimm des Herrn hat dich gefunden und zermalmt, und uns mit dir. Du mußt ersetzen, was genommen ward, du mußt alles ersetzen, du mußt es zehnfach ersetzen, und mehr.«

Abdias, gegen so viele Hände unmächtig, ließ gewähren, und sagte kein Wort. Sie zerrten ihn wieder gegen die Thür, und wollten neuerdings schreien und ihn mißhandeln. Da kam der Abgesandte des Bei mit mehreren Soldaten herein und rief unter die Juden: »Laßt den Kaufmann fahren, sonst wird jeder von euch an einen Spieß gesteckt, so wie er hier steht. Was geht es euch an, daß er ein Hund ist; denn ihr seid es auch. - Wollt ihr fahren lassen, sag' ich?«

Darauf wichen sie zurück. Die Söldner Meleks durchsuchten nun Abdias Kleider, und nahmen ihm alles, was ihnen gefiel - er litt es sehr geduldig - dann sagte Melek zu ihm: »Du hast sehr übel gethan, Abdias-Ben-Aron, daß du in diesem Verstecke da Habe und Abgaben unterschlagen hast, wir könnten dich strafen, aber wir thun es nicht. Lebe wohl, edler Kaufmann, wenn du einmal des Weges in unsere Stadt bist, so besuche uns, wir werden dir die Pfänder deiner Schuldforderung zeigen, und dir die Zinsen bezahlen. - Jetzt gebt ihn frei, daß er wieder anschwelle und Früchte trage.«

Nach einem kleinen Weilchen Harrens aber ging er näher, hob es auf, und sah es an. Dann ohne es weg zu thun, begab er sich in das anstoßende Gemach, und sah lange und scharf gegen einen Winkel und die dort gefügten Steine, dann kam er heraus und sagte: »Ich habe es gedacht, ihr Thoren, ich habe euch also genug heraußen gelassen - o ihr siebenfachen Thoren!«

Dann fiel er auf die Knie nieder und betete: »Jehova, Lob, Preis und Ehre von nun an bis in Ewigkeit!«

Sodann ging er wieder zu Deborah, und legte das Kind zu ihr. Er griff mit dem Finger in ein Wasser, das in einem Näpfchen nicht weit von ihr stand, und netzte ihr die Lippen, weil kein einziger Mensch, keine Wehmutter, kein Diener und keine Magd in der ganzen Wohnung war. Und als er dies gethan hatte, sah er noch genauer auf sie hin, und streichelte, neben ihrem Haupte kauernd, ihre kranken, bereits alternden Züge - sie aber lächelte ihn seit fünf Jahren wieder zum ersten Male mit dem düsteren traurigen Antlitze an, als sei die alte Liebe neu zurück gekehrt - indeß sah wieder der häßliche Kopf eines Nachbars, der vielleicht die Gierde am wenigsten zähmen konnte, sogar bei dieser innern halbzerbrochenen Thür herein, aber er zog sich wieder zurück - Abdias achtete nicht darauf, es fiel ihm von den Augen herunter, wie dichte Schuppendecken, die darüber gelegen waren - es war ihm mitten in der Zerstörung nicht anders, als sei ihm das größte Glück auf Erden widerfahren - und wie er neben der Mutter auf dem nackten Boden saß, und wie er den kleinen wimmernden Wurm mit den Händen berührte, so wurde ihm in seinem Herzen, als fühle er drinnen bereits den Anfang des Heiles, das nie gekommen war, und von dem er nie gewußt hatte, wo er es denn suchen sollte - es war nun da, und um Unendliches süsser und linder als er sich es je gedacht. Deborah hielt seine Hand, und drückte sie und liebkoste sie - er sah sie zärtlich an - sie sagte zu ihm: »Abdias, du bist jetzt nicht mehr so häßlich, wie früher, sondern viel schöner.«

Und ihm zitterte das Herz im Leibe.

»Deborah,« sagte er, »es ist kein Mensch da, der dir etwas reichen könnte, hast du nicht vielleicht Hunger?«

»Nein, Hunger habe ich nicht,« antwortete sie, »aber Mattigkeit.«

»Warte, ich will dir etwas bringen,« sagte er, »das dich stärket, und ich will dir auch Nahrung reichen, die dir vielleicht doch abgeht, und ich will dein Lager besser bereiten.«

Dann stand er auf, und mußte sich erst ein wenig dehnen, ehe er fort gehen konnte; denn die Schmerzen waren während der kurzen Ruhe recht stark gekommen. Dann ging er hinaus und brachte von den schlechten Kleidern, die draußen lagen, einen Arm voll herein, und bereitete neben ihr ein besseres Lager, auf das er sie hinüberhob, dann deckte er noch sein von seinem Leibe warmes Oberkleid auf sie, weil er meinte, es friere sie; denn sie war so bleich. Sodann ging er zu dem Platze, wo die Zündsachen lagen, die dienten um Feuer anzufachen. Sie lagen unberührt dort, weil sie schlechte Dinge waren. Er zündete ein Kerzlein an, that es in die Hornlaterne, und stieg draußen über eine Treppe unter die Erde hinab, wo der Wein zu liegen pflegte. Er war aber aller herausgelassen und verschüttet. Aus einer kleinen Lacke, die auf der Erde stehen geblieben war, brachte er ein wenig in ein Gefäß. Dann holte er Wasser aus der Zisterne. Denn das in dem Näpfchen war schon sehr warm und auch etwas stinkend geworden, und mit dem Gemische von Wein und frischem Wasser benetzte er ihre Lippen und sagte, sie solle mit der Zunge das Naß nur wegnehmen und hinunter schlucken, es würde ihr für den Augenblick schon helfen. Als sie dies gethan, und mehreremale wiederholt hatte, stellte er die Gefäße mit Wein und Wasser wieder hin, und sagte, er wolle ihr nun auch Nahrung bereiten. Er suchte aus seinen herumgestreuten Reisesachen eine Büchse hervor, in der er stets den verdichteten Stoff einer guten Brühe mit sich führte. Dann ging er in die Küche hinaus, um etwa nach einem Blechgefäße zu schauen, das ihm dienen könnte. Und als er ein solches gefunden hatte, kam er wieder herein, that Wasser und den Stoff in dasselbe, zündete eine Weingeistflamme an, und stellte es auf einem Gestelle darüber. Er blieb bei dem Gefäße stehen, um zu merken, wie sich das Ganze auflösen würde. Deborah mußte jetzt viel wohler und ruhiger sein; denn wenn er hin blickte, sah er, daß sie über die Augen, mit welchen sie ihm zuschaute, öfter die Lieder herab fallen ließ, als wollte sie schlummern. In dem ganzen Hause war es sehr stille, weil alle Zofen und Diener fort gelaufen waren. Als sich sein Brühstoff in dem warmen Wasser vollends aufgelöst hatte, nahm er das Gefäß wieder weg, um alles ein wenig abkühlen zu lassen. Er kniete neben ihrem Angesichte nieder und saß nach Art der Morgenländer auf seine Füße.

»Deborah, bist du schläfrig?« sagte er.

»Ja sehr schläfrig,« antwortete sie.

Er hielt das Gefäß noch ein wenig zwischen den Händen, und da es gehörig lau geworden war, reichte er ihr den Trank, und sagte, sie solle schlürfen. Sie schlürfte. Es mußte ihr auch wohlgethan haben, denn sie sah noch einmal mit den schlaftrunkenen Augen gegen sein Angesicht, wie er so neben ihr saß, empor, und entschlummerte dann wirklich sanft und süß. Er blieb noch eine Weile sitzen und schaute hin. Das Kindlein mit den weiten Aermeln des Kaftans zugedeckt, schlummerte gut. Dann stand er auf und stellte das Gefäß bei Seite.

»Uram,« sagte er, »wo sind denn die andern?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Sklave, indem er im Näherkriechen inne hielt.

»Seid ihr denn nicht mit einander fortgelaufen?«

»Ja, aber es haben sich alle zerstreut. Und wie ich gehört habe, daß du zurück gekehrt bist, bin ich wieder gekommen, und habe gemeint, die andern werden auch schon da sein, weil du uns schützen wirst.«

»Nein, sie sind nicht da,« sagte Abdias, »kein einziger ist da. - - Knabe Uram,« fuhr er dann sehr sanft fort, »komme näher und höre, was ich dir sagen werde.«

Der Jüngling sprang empor, und starrte Abdias an. Dieser aber sprach: »Ich werde dir einen sehr schönen rothen Bund geben mit einem weißen Reigerbusche darauf, ich werde dich zum Aufseher über alle anderen machen, wenn du genau ausführest, was ich dir sage. Du mußt, so lange ich fort bin - denn ich werde ein wenig weg gehen - deine kranke Herrin und dieses Kind bewachen. Setze dich hierher auf diesen Erdhaufen - so - hier hast du ein Gewehr, es ist eine Pistole - so mußt du sie halten - -«

»Das weiß ich schon,« sagte der Knabe.

»Gut,« fuhr Abdias fort, »wenn nun einer herein kömmt, und die schlummernde Frau und das Kind anrühren will, so sag ihm, er solle gehen, sonst wirst du ihn tödten. Geht er nicht, so halte die Oeffnung gegen ihn, drücke an der eisernen Zunge und schieße ihn todt. Verstehst du alles?«

Uram nickte und setzte sich in der verlangten Stellung auf den Boden.

Abdias sah ihn noch ein Weilchen an, und ging dann den Griff der andern Pistole mit seiner Hand im Kaftane haltend durch den Gang in die äußere Stube hinaus. Es lag alles so herum gestreut, wie er es verlassen hatte, und kein Mensch war in der weitläufigen Höhle. Da er sich überall umgesehen hatte, beschloß er vollends hinaus zu gehen. Er mußte sich wegen der vielen Schmerzen in den Lenden noch einmal dehnen, und stieg dann über die Schwelle der Thür zu den Palmen hinaus. Es war hier wirklich ganz öde, wie er es voraus gedacht hatte; denn die Nachbarn mochten in ihre entfernten Behausungen, oder wohin es ihnen sonst gefallen hat, gegangen sein. Als er zu dem Sandhaufen kam, wo er mit den Lanzen geschlagen worden war, war das Kamehl nicht mehr da - sie hatten es sammt den Lumpen als Ersatz mitgenommen. Er bog um den Triumphbogen und abgelegene Trümmer herum, und als er auf den hohen Schutthaufen, der über seinem Hause lag, gekommen war, stieg er auf den noch höheren hinan, der sich hinter demselben befand, wo Sand und weitgedehnte Blöcke lagen, und eine große Umsicht auf alle Dinge und auf das Dämmerrund der Wüste sich eröffnete. Dort hob er einen Stein auf, und zog einen goldenen Ring unter demselben hervor. Dann stand er, und sah ein wenig herum. Die Sonne, welche früher ein trüber rother Gluthpunkt gewesen war, war nun gar nicht mehr sichtbar, sondern ein verschleierter grauer heißer Himmel stand über der Gegend. Wir würden in unsern Ländern eine solche Luft sehr heiß nennen, aber dort war sie im Vergleiche mit Tagen, wo die Sonne unausgesetzt nieder scheint, bedeutend kühler geworden. Abdias athmete sie wie eine Labung, und strich sich mit der flachen Hand ein parmal über die Seiten seines Körpers herab. Er schaute durch das schweigende Getrümmer, das unter ihm lag, und stieg dann hinab. Als er bei der zerrissenen Aloe war, begannen kleine Tropfen zu fallen, und was in diesem Erdstriche eine Seltenheit ist, ein grauer sanfter Landregen hing nach und nach über der ganzen ruhigen Ebene; denn auch das ist selten, daß die Regenzeit so stille, und ohne den heftigen Stürmen herannaht.

Abdias stieg auf der entgegengesetzten Seite, als er heraufgegangen war, hinab, wanderte durch allerlei wohlbekannte Irrgänge und Windungen der Trümmer und hatte ziemlich weit zu gehen, bis er das Ziel, wohin er wollte, erreichte, nehmlich die Wohnung des vorzüglichsten seiner Nachbarn, wo er glaubte, daß er auch einige andere antreffen würde. Wirklich waren mehrere da, und als sich das Gerücht verbreitete, er sei über die Schwelle des Gaal hineingegangen, kamen noch immer mehrere herbei.

Er sagte zu ihnen: »Wenn ich durch die schöneren Kleider, die ich trug, und durch den größeren Handel, den ich trieb, unsern Aufenthalt verrathen, die Plünderer hergelockt, und euch Schaden verursacht habe, so will ich auch denselben ersetzen, so gut ich kann. Ihr werdet nicht alles verloren haben; denn ihr seid weise, und habt Kleinodien geborgen. Bringet ein Papier oder Pergament und Dinte herbei. Ich habe manche Schuldforderungen draußen ausstehen, die mir meine Freunde bezahlen müssen, sobald die Zeit um ist. Ich werde sie euch hier aufschreiben, und werde die Erlaubniß dazu schreiben, daß ihr das Geld als euer Eigenthum einnehmen dürfet.«

»Wer weiß, ob es wahr ist, daß er etwas zu fordern hat,« sagte einer der Anwesenden.

»Wenn es nicht wahr ist,« antwortete Abdias, »so habt ihr mich immer hier, und könnt mich steinigen, oder sonst mit mir thun, was euch gefällt.«

»Er ist so weise wie Salomo,« sagten diejenigen, welche ihn heute am meisten verschimpft und verspottet hatten.

Und als er auf dem Pergamente eine lange Reihe aufgeschrieben, sie ihnen dargereicht, und sie alle gesagt hatten, daß sie einstweilen zufrieden sein wollen, bis er sich erholt habe und auch das Andere ersetzen kann, zog er den Ring aus seinem Kaftan hervor, und sagte: »Du hast eine Milcheselin, Gaal, wenn du mir dieselbe ablassen willst, so bin ich geneigt, dir diesen Ring dafür zu geben, der einen großen Werth hat.«

»Den Ring bist du als Ersatz schuldig, wir werden ihn dir nehmen,« riefen sogleich mehrere.

»Wenn ihr mir den Ring nehmt,« antwortete er, »so werde ich den Mund zuschließen, und euch in Zukunft niemals mehr sagen, wo ich Geld habe, wer mir etwas schuldig ist, wo ich im Handel etwas erworben habe, und ihr werdet nie mehr etwas von mir bekommen, das euch eueren Schaden vermindern könnte.«

»Das ist wahr,« sagte einer, »laßt ihm den Ring, und, Gaal, gib ihm die Eselin dafür.«

Den Ring hatten sie unterdessen angeschaut, und da sie erkannt hatten, daß er viel kostbarer sei, als der Preis der Eselin beträgt, sagte Gaal, er werde ihm die Eselin geben, wenn er zu dem Ringe noch ein Stück Geld hinzu legen könne.

»Ich kann nichts mehr hinzulegen,« antwortete Abdias, »denn sie haben mir alles genommen, wie ihr selber gesehen habt. Gib mir den Ring, ich werde ohne die Eselin fortgehen.«

»Lasse den Ring,« sagte Gaal, »ich werde dir die Eselin senden.«

»Nein,« antwortete Abdias, »du darfst sie mir nicht senden, sondern du mußt mir einen Riemen geben, an welchem ich sie fortführen werde. Oder gib den Ring.«

»Ich werde den Riemen und die Eselin geben,« sagte Gaal.

»Sogleich,« sagte Abdias.

»Sogleich,« antwortete Gaal. »Geh hinaus, Jephrem, und führe sie aus der Grube herauf, in welcher sie steht.«

Während der Diener ging, um die Eselin zu holen, fragte Abdias die Leute, ob sie keinen seiner Diener oder keine der Zofen seines Weibes gesehen haben; »denn,« sagte er, »sie sind alle fortgegangen.«

»Sind alle deine Diener fort?« fragte man, »nein, wir haben sie nicht gesehen.«

»Ist vielleicht eines davon bei dir, Gad, oder bei dir, Simon, oder bei einem andern?«

»Nein, nein, wir sind selber alle fortgelaufen, und haben nichts von ihnen gesehen.«

Indessen war Jephrem mit der Eselin gekommen, Abdias trat aus der Schwelle der Höhle Gaals heraus, man gab ihm den Riemen in die Hand, und er führte die Eselin über den Schutt davon. Aus den Fenstern steckten sich die Köpfe, und schauten ihm nach.

Aber sie hatte einer Pflege nicht mehr noth; denn da er außer Hause war, hatte sie nicht geschlummert, sondern sie war gestorben. Das unerfahrene Weib hatte sich, wie ein hilfloses Thier verblutet. Sie wußte es selber nicht, daß sie sterbe, sondern da ihr Abdias die stärkende Brühe gegeben hatte, that sie, wie eines, das recht ermüdet ist und sanft einschläft. Sie schlief auch ein, nur daß sie nicht mehr erwachte.

Als Abdias eintrat, war das Gemach noch immer einsam, es war auch hierher noch niemand zurück gekehrt. Uram, wie ein Bild aus dunklem Erze gegossen, saß an Deborahs Lager und wachte noch immer, Augen und Pistolen gegen die Thür gerichtet; sie aber lag, wie ein Bild von Wachs, bleich und schön und starr hinter ihm - und das Kind lag an ihrer Seite, schlummerte süß, und regte im Traume die kleinen Lippen, als sauge es. - - Abdias that einen furchtsamen Blick hin und schlich näher; - mit eins wurde ihm die Gefahr klar, und er dachte an das, worauf er früher vergessen hatte - er stieß aus Ueberraschung einen schwachen Schrei aus - dann aber nahm er das Oberkleid, das er früher auf sie gebreitet hatte, und andere Lappen, die da lagen, weg, um zu sehen: es war deutlich, auf was er nicht geachtet, und was sie gar nicht gewußt hatte. Er zupfte aus einem Kleide eine Faser heraus, die so fein und leichter war, als es eine Flaumfeder sein konnte, und hielt sie vor ihren Mund: - aber sie rührte sich nicht. Er legte die Hand auf ihr Herz; er fühlte es nicht. Er griff ihre nackten Arme an: sie begannen schon kühler zu werden. Er hatte bei Karawanen in Wüsten und im Hospitale Menschen sterben gesehen, und erkannte das Angesicht. Er stand auf, und ging in den nassen Kleidern, die an seinem Körper klebten, in der Stube herum. Der Knabe Uram blieb in gleicher Stellung auf dem Boden sitzen, und ließ die Augen den Bewegungen seines Herrn folgen. Dieser ging endlich in die Zimmer daneben, warf die nassen Kleider von seinem Leibe auf einen Haufen, und suchte sich aus den Dingen, die herum waren, einen Anzug zusammen. Dann ging er in die Vorderstube hinaus, nahm von der Eselin etwas Milch in eine Schale, trug die Milch herein, wickelte einen kleinen Lappen zusammen, that ihn in die Milch, daß er sich ansauge, und brachte ihn dann an den Mund des Kindes. Dieses saugte daran, wie es am Busen einer Mutter gethan hätte. Als es die Lippen immer schwächer regte, aufhörte, und wieder fortschlief, legte er es weg von der Seite der Mutter in ein Bettlein, das er aus Kleidern in eine Mauernische gemacht hatte. Dann setzte er sich auf eine Bank nieder, welche von Steinen gebildet wurde, die zufällig aus der Mauerecke hervorstanden. Wie er saß, flossen aus seinen Augen Thränen, wie geschmolzenes Erz. Es stand nehmlich Deborah vor ihm, wie er sie zuerst in Balbek gesehen hatte, da er zufällig an ihrem Hause vorüber ging, und das Gold des Abends nicht nur um die Zinnen ihres Hauses, sondern auch um die aller übrigen floß. Von einem weißen Mauerstücke flog ein Paradiesvogel auf, und tauchte sein Gefieder in die gelbe Glut. Wie er sie dann abgeholt hatte, wie sie von den Ihrigen über die Terasse herabgeleitet, gesegnet worden war, und wie er sie dann von allen Angehörigen weg genommen, und auf sein Kamehl gehoben hatte. - Jetzt wird sie bei ihrem verstorbenen Vater sein, und ihm erzählen, wie es bei Abdias gewesen ist.

Er blieb immerfort auf den Steinen sitzen, auf die er sich niedergelassen hatte. Es war in dem stillen Gemache niemand bei ihm als Uram, der ihm zuschaute.

Da endlich dieser Tag zur Neige ging und es in der Höhle allgemach so dunkel geworden war, daß man kaum mehr etwas sehen konnte, stand er auf und sagte: »Uram, lieber Knabe, lege diese Waffe weg, es ist hier niemand zu bewachen, sondern zünde die Hornlaterne an, gehe zu den Nachbarinnen und Klageweibern, sage ihnen, daß deine Herrin gestorben ist, und daß sie kommen sollen, um sie zu waschen, und mit andern Kleidern anzukleiden. Sage ihnen, daß ich noch zwei Goldstücke habe, die ich ihnen geben werde.«

Der Knabe legte die Pistole auf die lockere Erde, stand auf, suchte die Zündsachen auf dem ihm wohlbekannten Platze, zündete die Laterne an, die Abdias, als er aus dem Keller gekommen war, hingestellt hatte, und ging hinaus. Der Lichtstreifen der mitgenommenen Laterne zog sich durch den Gang davon, und es war hierinnen jetzt finsterer, als es früher gewesen ist, weil das Licht den Gegensatz erzeugt hatte. Abdias zündete sich nichts an, sondern suchte nach der Wange des Weibes, kniete nieder, und küßte sie zum Abschiede. Aber sie war jetzt schon kalt. Dann ging er zu dem Zündplatze, wo ein Stück einer Wachskerze lag, fachte dieselbe an, und leuchtete gegen das Weib. Das Angesicht war das nemliche, mit dem sie ihn angesehen hatte, als er ihr Labung gereicht, und mit dem sie dann eingeschlafen war. Er meinte, wenn er nur genauer hinschaute, so müßte er sehen, wie es sich regte, und die Brust sich im Athmen hebe. Aber es athmete nichts, und das Starren der todten Glieder dauerte fort. Auch das Kind regte sich nicht, als sei es gleichfalls gestorben. Er ging zu demselben hin, um darnach zu sehen. Aber es lag im tiefen Schlafe und sehr viele kleine Tröpflein standen auf der Stirne desselben. Er hatte es nemlich aus Uebervorsicht zu stark mit Tüchern bedeckt. Daher nahm er etwas davon weg, um die Hülle leichter zu machen. Während er dieses that, fiel sein langer Schatten von seinem Rücken weg über die Leiche des todten Weibes. Vielleicht schaute er auf das kleine Angesichtchen, ob er in demselben nicht Spuren von Zügen der Verstorbenen entdecken könnte. Aber er entdeckte sie nicht, denn das Kind war noch zu klein.

Als sie sich auch von der Leiche der Herrin aufgerichtet, und sich ein wenig beruhigt hatte, nahm er sie an der Hand und führte sie zu dem Kinde hin. Sie, die Augen immer auf ihn gerichtet, setzte sich neben demselben nieder, um es zu beschützen, und sie deckte sein Angesicht mit einem Tuche zu, damit es keine bezaubernden Augen anschauen könnten.

Die andern Leute, die herbei gekommen waren, riefen durch einander: »Ach der Jammer, - ach das Elend - ach das Unglück!«

Abdias aber schrie ihnen zu: »Laßt sie ruhen, die sie nichts angeht; - ihr aber, deren Beschäftigung diese Sache ist, klaget um sie, badet sie, salbet sie, und gebt ihr ihren Schmuck. - Aber sie hat keinen Schmuck mehr - nehmt nur von dem, was da herum liegt das Beste, und kleidet sie an, wie sie begraben werden soll.«

Diejenigen, die sich über sie gebeugt hatten, und sie an allen Stellen betasten wollten, gingen auseinander - aber die andern legten Hand an sie, um ihre Pflicht zu thun, derentwillen sie hergekommen waren. Abdias setzte sich in dem Schatten nieder, den der Menschenknäuel in die hintere Ecke warf; denn man hatte zwei alte Lampen angezündet, um zu Allem besser sehen zu können, was man zu thun hatte.

»Das ist ein verstockter Mann,« murmelten einige unter einander.

Die Todtenweiber hatten indessen die oberflächlichsten Kleider von der Leiche gethan, hoben sie dann auf, und trugen sie in das Gemach neben an, um sie vollends entkleiden zu können. Dann holten sie Wasser aus den von dem heutigen Regen angefüllten Zisternen, machten in der Küche Feuer, um es zu wärmen, thaten es dann in eine Wanne, und badeten und wuschen mit demselben den Leichnam, der noch nicht starr war, und namentlich in der Wärme des Wassers die Glieder aufgelöset hernieder hängen ließ. Als er rein war, legten sie ihn auf ein Tuch, und salbten ihn überall mit Salben, die sie zu diesem Zwecke mit sich herbei gebracht hatten. Dann rissen sie aus den offenen Schreinen und lasen von dem Boden auf, was da geblieben war, und kleideten die Leiche vollständig an. Was nach diesem Geschäfte von Hüllen noch übrig geblieben war, packten sie zusammen und trugen es nach Hause.

Die Leiche war wieder in das Gemach, in dem sie früher gewesen war, herausgetragen, und auf die Erde nieder gelegt worden. Deborah lag nun da, angekleidet wie das Weib eines armen Mannes. Es bildeten sich Gruppen, um in der Nacht zu wachen, die Todtenweiber waren auch wieder zurückgekehrt, manche Menschen gingen in den nächtlichen Trümmerwegen zu Abdias Höhle ab und zu, und in dem Vorgemache, das nach Auswärts führte, klagten und heulten die Weiber, die um Lohn herbeigekommen waren.

Am andern Tage begrub Abdias sein Weib in dem steinernen Grabe, und zahlte die zwei versprochenen Goldstücke.

Sie hatte wenig Glück in dieser Ehe gehabt, und als es angefangen hätte, mußte sie sterben.

Die Nachbarn segneten sie mit ihren Lippen in das Grab hinein, als dasselbe mit den nemlichen Steinen geschlossen wurde, unter denen Aron und Esther schliefen, und sagten: Abdias sei es eigentlich gewesen, der sie um das Leben gebracht habe.

3. Ditha

Als Deborah begraben worden war und sich der letzte Stein über ihrem Leibe zu dem Nachbarsteine gefügt hatte, gleichsam als lägen sie zufällig da, und bärgen nicht so kostbare Dinge, wie die Körper verstorbener Angehöriger, und da sie auch so schwer befunden worden waren und so fest auf einander lastend, daß keine etwa begierig schweifende Hiäne die Glieder auszuscharren vermochte: ging Abdias nach Hause, und stand vor dem kleinen Kinde. Mirtha hatte in einem anderen Gemache eine bessere und tiefere Mauernische ausgefunden. Sie war einstens mit Seide ausgefüttert und mit seidenen Polstern bedeckt gewesen. Esther hatte gerne das schöne Kind Abdias darauf gelegt, damit sich sein süßes Lächeln recht heiter von der schönen dunklen grünen Seide hervorhebe. Jetzt waren aber keine solchen Dinge in der Nische vorhanden; denn die Vorhänge und Ueberzüge aus Seide waren herabgerissen, und auf Saumthieren verpackt worden, die Kissen lagen allein da und waren zerfetzt, so daß das, womit sie gefüllt waren, ein zartes dünnes Gras, gleichsam das Haar der Wüste, heraus quoll, wie das Innere eines menschlichen Körpers. Mirtha zog dieses feine Gefüllsel gar heraus, lockerte es mit ihren Fingern auf, und polsterte damit den nackten von spitzigen Steinen unterbrochenen Boden der Nische. Dann suchte sie unter den herumliegenden Lumpen etwas zusammen, was sie darauf breitete, um das Kind auf dieses Bettlein legen zu können. Von Linnen war überhaupt wenig in der Wüste, und das Beste dieses Wenigen hatten die Reiter mitgenommen. Daher machte sie aus Wolle, aus andern Stoffen, ja aus seidenen Lappen, deren Farbe nicht mehr zu erkennen war, Windel, und legte sie auf einen Haufen neben die Nische. Da das neugeborne Mädchen auf diesem Bettlein schlief, war es, daß Abdias von dem Begräbnisse heim kam, und sich vor dasselbe hin stellte.

»Es ist so gut,« sagte er, »Mirtha; wir müssen nun weiter sorgen.«

Das dürre, schlechte Kamehl, auf welchem er gestern gekommen war, das er auf dem Sande vor seinem Hause gelassen hatte, hatte er ganz vergessen. Er erinnerte sich jetzt desselben und wollte darnach sehen. Es war zwar nicht mehr auf der Stelle, auf welcher es noch kniete, da Abdias die Pistolen heraus gerissen hatte, aber es war doch schon in dem Stalle. Der Knabe Uram hatte es dem Manne, der es gestern, gleichsam um sich für seinen Verlust ein wenig zu entschädigen, fortgeführt hatte, wieder genommen, er hatte es durch die Mauertrümmer fortgeführt, hatte es zu einer gelben Lacke, die er recht wohl wußte und die er niemanden andern gönnte, geführt, ließ es die ganze Lacke austrinken, damit das Wasser nicht, wenn wieder die heiße Sonne käme, verloren ginge, dann hatte er es in den Stall gebracht, nachdem er ihm noch zuvor das Geschirr und Riemzeug, welches noch auf ihm war, herabgenommen hatte. In dem Stalle fand es Abdias stehen. Es war das einzige, wo noch vor Kurzem mehrere und weit edlere und bessere gestanden waren. Es hatte ein wenig von dem durch die Plünderer herum gestreuten, halb versengten Heue vor sich, und fraß begierig von demselben. Abdias ließ etwas Mais, davon auch ein Vorrath da geblieben war, hinzugeben, und von der Höhle frischeres Heu holen. Dann sagte er zu Uram, den er in dem Stalle getroffen, und durch den er diese letzteren Dinge hatte besorgen lassen: »Uram, gehe noch heute, so lange die Sonne scheint, hinaus über den Sandkamm, und suche die Heerde, sie muß dort herum wo sein - und wenn du sie gefunden hast, so zeige dich dem Hirtenrichter und sage, daß er dir von dem Antheile des Einwohners Abdias einen mit dessen Namen gezeichneten Hammel gebe. Diesen nimm an den Strick, und führe ihn noch vor Abend hierher, daß wir ihn schlachten, etwas braten, und etwas durch Meersalz aufbewahren, damit wir so lange durchkommen, bis die Karawane, die morgen fortgehen wird, wieder zurückkehrt, und so viel mit bringt, daß wir das gewöhnliche Leben zum Theil wieder anfangen können. Wenn du die Heerde nicht bald findest, so suche nicht sehr lange, sondern kehre um und komme noch bei Tage nach Hause, daß wir um etwas anderes umsehen können. Hörst du? Hast du alles wohl verstanden?«

»Ja,« sagte der Knabe, »ich werde die Heerde schon finden.«

»Hast du aber auch etwas zu essen?« fragte Abdias.

»Ja, ich habe in der obern Stadt ein Täschchen voll Weizen genommen,« antwortete der Knabe.

»Nun gut,« sagte Abdias.