Meister Antifer's wunderbare Abenteuer: Abenteuerroman - Jules Verne - E-Book
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Meister Antifer's wunderbare Abenteuer: Abenteuerroman E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Jules Verne's 'Meister Antifer's wunderbare Abenteuer: Abenteuerroman' entführt die Leser auf eine faszinierende Reise in die Welt der Abenteuer und Entdeckungen. Der Roman präsentiert die Geschichte von Captain Antifer, der unerschrocken auf hoher See nach Reichtümern und Ruhm sucht. Verne's erzählerischer Stil ist geprägt von detaillierten Beschreibungen und packender Spannung, die den Leser in seinen Bann ziehen. In diesem Abenteuerroman gelingt es Verne, die Grenzen der Fantasie zu überschreiten und den Lesern ein episches Abenteuer zu bieten, das sie nicht so schnell vergessen werden. Mit seinem Meisterwerk 'Meister Antifer's wunderbare Abenteuer' zeigt Verne erneut sein Talent, literarische Welten zu erschaffen, die Leser aller Altersgruppen begeistern.

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Jules Verne

Meister Antifer's wunderbare Abenteuer: Abenteuerroman

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Inhaltsverzeichnis

Erster Theil.
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.
Zweiter Theil.
Erstes Capitel.
Zweites Capitel.
Drittes Capitel.
Viertes Capitel.
Fünftes Capitel.
Sechstes Capitel.
Siebentes Capitel.
Achtes Capitel.
Neuntes Capitel.
Zehntes Capitel.
Elftes Capitel.
Zwölftes Capitel.
Dreizehntes Capitel.
Vierzehntes Capitel.
Fünfzehntes Capitel.
Sechzehntes Capitel.

Erster Theil.

Erstes Capitel.

In dem ein unbekanntes Schiff mit unbekanntem Kapitän auf unbekanntem Meere nach einer unbekannten Insel sucht.

Inhaltsverzeichnis

Früh am Morgen – des 9. September 1831 – verließ der Kapitän seine Cajüte und begab sich nach dem erhöhten Hintertheile des Schiffes.

Schon zeigte sich im Osten die Sonne oder es erhob sich vielmehr der Widerschein davon über die tieferen Schichten der Atmosphäre, denn ihre Scheibe bewegte sich noch unter dem Horizonte hin. Ein langer leuchtender Streifen zog sich über das von leichtem Wellenschlag im Morgenwinde gekräuselte Meer.

Nach einer ruhigen Nacht versprach auch der Tag schön zu werden – einer jener Septembertage, deren sich die gemäßigte Zone zu Ende der warmen Jahreszeit häufiger zu erfreuen hat.

Der Kapitän setzte sein Fernrohr vor das rechte Auge und sachte damit den vor ihm liegenden Halbkreis ab bis weit hinaus, wo Himmel und Wasser verschmelzen. Das Fernrohr senkend, näherte er sich dann dem Steuermanne, einem Alten mit struppigem Barte, dessen lebhafter Blick unter blinzelndem Augenlide hervorblitzte.

»Wann hast Du Deine Wache angetreten? fragte er.

– Um vier Uhr, Kapitän.«

Die beiden Männer bedienten sich einer seltsamen rauhen Sprache, die kein andrer Europäer, weder ein Engländer, Franzose, Deutscher oder ein andrer, verstanden hätte, wenn er nicht die Stapelplätze des Morgenlandes besucht hatte. Es war eine Art türkischen, mit syrischen Lauten vermengten Jargons.

»Nichts Neues?

– Nichts, Kapitän.

– Seit heute früh war kein Schiff in Sicht?...

– Nur eines, ein großer Dreimaster, der unter dem Winde an uns vorbeilief. Ich habe da um vier Striche angeluvt, um von ihm so fern wie möglich zu bleiben.

– Das hast Du recht gemacht. Und nun?...«

Der Kapitän durchforschte den ganzen Horizont mit größter Aufmerksamkeit. Dann rief er plötzlich laut:

»Fertig zum Wenden!«

Die Leute der Wache sprangen auf. Das Steuer wurde umgelegt, die Schoten des Focksegels wurden nachgelassen, die übrigen Segel passend gedreht, und dabei wendete das Fahrzeug und setzte unter Backbordhalsen seinen Weg nach Nordwesten fort.

Es war eine Brigg-Goëlette von vierhundert Tonnen, eigentlich ein Handelsschiff, das man aber durch einige Veränderungen zu einer Lustyacht umgewandelt hatte. Unter dem Befehle des Kapitäns stand außer dem Obersteuermann eine Mannschaft von fünfzehn Köpfen, die für jedes Segelmanöver ausreichte und aus kräftigen Leuten bestand, deren aus Jacke und Mütze, langen Beinkleidern und hohen Stiefeln zusammengesetztes Costüm an das der Seeleute des Orients Europas erinnerte.

Weder am Achter der Brigg-Goëlette noch an der Schanzkleidung des Vordertheils war ein Name zu finden. Eine Flagge gab es nicht. Außerdem änderte das Schiff stets seinen Cours, wenn ein andres in seiner Nähe auftauchte, um nicht grüßen oder einen Gruß erwidern zu müssen.

War es ein Piratenschiff – deren gab es jener Zeit noch in den dortigen Gewässern – das vielleicht verfolgt zu werden fürchtete?... Nein. Man hätte an Bord vergeblich nach Waffen gesucht, und mit einer so schwachen Besatzung würde kein Schiff gewagt haben, sich den Gefahren einer solchen Bestimmung auszusetzen.

War es also ein Schmuggler, der sein betrügerisches Gewerbe längs des Ufers oder von einer Insel zur andern betrieb?... Auch das nicht, und der spitzfindigste Zollschnüssler hätte seinen Raum durchsuchen, seine Ladung umwälzen, seine Ballen sondieren, seine Kisten und Kasten durchwühlen können, ohne etwas Verdächtiges zu entdecken. Eigentlich führte es gar keine Ladung. Lebensmittel für mehrere Jahre, Tonnen mit Wein und Branntwein tief unten im Raume, und auf dem Hinterdeck unter dem Oberbau drei eichene, mit Bandeisen gut verwahrte Fässer... das war alles. Es blieb also Platz für den nöthigen Ballast, einen tüchtigen Ballast von Gußeisen, der dem Schiffe erlaubte, viel Segelwerk zu tragen.

Vielleicht denkt der Leser, jene drei Fässer hätten Pulver oder einen andern Explosivstoff enthalten....

Nein, offenbar nicht, denn man beobachtete hier keine der sonst unumgänglichen Vorsichtsmaßregeln beim Betreten des Raumes, in dem sie lagerten.

Uebrigens hätte keiner der Matrosen hierüber nähere Auskunft geben können, ebensowenig freilich über das Ziel der Brigg-Goëlette, noch über den Grund der sofortigen Coursveränderung, sobald ein andres Schiff in die Nähe kam, auch nicht über die Kreuz- und Querfahrten, die es nun bereits fünfzehn Monate lang machte, ja nicht einmal über die Gegend, wo es sich heute befand, da es bald mit vollen Segeln und bald vor nur wenig Leinwand einmal über ein Binnenmeer und dann wieder über den grenzenlosen Ocean hinglitt.

Während dieser unerklärlichen Fahrt war mehrfach hohes Land in Sicht gewesen, der Kapitän entfernte sich dann aber davon so schnell wie möglich. Einzelne Inseln, die gelegentlich signalisiert wurden, umsegelte er in großem Kreise. Eine Einsicht des Logbuchs hätte merkwürdige Coursveränderungen erkennen lassen, die weder durch Umspringen des Windes, noch durch den Zustand des Himmels gerechtfertigt schienen. Sie bildeten ein Geheimniß zwischen dem Kapitän – einem Sechsundvierzigjährigen mit borstigem Kopfhaar – und einer Persönlichkeit mit vornehmer Erscheinung, die eben jetzt aus der Treppenkappe hervortrat.

»Nichts?... fragte der Herr.

– Nichts, Excellenz...«, lautete die Antwort.

Eine Bewegung der Enttäuschung mit den Schultern beendete das, aus ganzen drei Wörtern bestehende Gespräch. Dann stieg der Herr, dem der Kapitän jenen Ehrentitel beigelegt hatte, wieder die Treppe hinunter und verschwand in seiner Cabine. Auf einem Divan ausgestreckt, schien er hier einer Art Schlafsucht zu verfallen. Und obwohl er sich nicht regte, als ob diese sein ganzes Sein und Wesen gefesselt hielte, schlief er doch nicht. Man fühlte vielmehr heraus, daß er unter dem Drucke einer fixen Idee stehen müsse.

Diese Persönlichkeit mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Seine hohe Gestalt, der mächtige Kopf, das üppige, schon ergrauende Haar, sein langer, über die Brust getheilt herabwallender Bart, die durch einen scharfen Blick belebten Augen, der stolze, doch offenbar bekümmerte, ja entmuthigte Gesichtsausdruck und die Würde seines Auftretens verriethen in ihm den Mann von hoher Herkunft. Sein Anzug war unmöglich zu erkennen. Ein weiter brauner Burnus, mit Schnurenbesatz und vielfarbigen Flittern an den Aermeln, verhüllte ihn von den Schultern bis zu den Füßen, und auf dem Kopfe trug er eine grünliche Mütze mit schwarzer Troddel.

Zwei Stunden später setzte ihm ein junger Bursche das Frühstück auf einem, am Fußboden der Cabine befestigten Tische vor. Den Fußboden selbst bedeckte ein dichter bunter Teppich mit etwas hervortretendem Blumenmuster. Kaum that er den verlockend angerichteten Speisen einigen Bescheid, außer dem frischen, duftenden Kaffee, den zwei silberne, sein ciselierte Tassen enthielten, dann wurde ihm ein Nargileh, aus dem wohlriechende Wölkchen aufstiegen, vorgesetzt, und er überließ sich, das Bernsteinmundstück zwischen den über einer blendenden Zahnreihe etwas geöffneten Lippen haltend, inmitten des milden Duftes des Latakieh wieder seiner gewohnten Träumerei.

So verfloß ein Theil des Tages, während die Brigg-Goëlette, von langer Dünung leicht geschaukelt, ihren unbestimmten Lauf über das Meer fortsetzte.

Gegen vier Uhr erhob sich Seine Excellenz, ging einige Male auf und ab, blieb einen Augenblick vor den halboffenen runden Lichtpforten stehen, ließ den Blick über den ganzen Horizont schweifen und machte dann vor einer Art Klappthüre Halt, die durch einen Teppich maskiert war. Diese Klappthür, die sich dadurch in Bewegung setzte, daß man mit dem Fuße gegen eine bestimmte Ecke derselben drückte, gewährte Zutritt zu dem unter dem Fußboden der Cabine befindlichen Laderaume.

Hier lagen dicht nebeneinander die schon erwähnten drei, mit Eisenreifen verwahrten Fässer. Ueber die Oeffnung gebeugt, starrte der Mann kurze Zeit hinunter, als ob der Anblick der Fässer ihn hypnotisierte. Dann richtete er sich auf und murmelte:

»Nein, nein... kein Zögern! Finde ich kein noch unentdecktes Eiland, wo ich sie unbemerkt verscharren kann, so ist es besser, sie werden ins Meer geworfen!«

Wieder schloß er die Klappthür, über die sich der Teppich niedersenkte, und dann bestieg er die Cajütentreppe und begab sich nach dem Oberdeck hinaus.

Es war jetzt Nachmittag um fünf Uhr. Ein Witterungswechsel war nicht eingetreten. Helle rundliche Wölkchen bedeckten den Himmel. Von leichter Brise kaum etwas geneigt, zog das Schiff unter Backbordhalsen dahin und ließ einen seinen Streifen Kielwasser hinter sich, der allmählich mit den niedrigen Wellen verschmolz.

Seine Excellenz durchlief mit dem Blicke langsam einen Theil des klaren, azurblauen Horizontes. Von dem Platze, den er einnahm, wäre eine nur mittelhohe Küste auf vierzehn bis fünfzehn Seemeilen hin gewiß sichtbar gewesen. Kein Profil zeichnete sich aber an der Linie, wo Himmel und Wasser zusammentrafen, ab.

Der Kapitän, der eben herantrat, wurde wie gewöhnlich empfangen mit der Frage:

»Nichts?..., und darauf lautete wie gewöhnlich die Antwort:

– Nichts, Excellenz.«.

Der vornehme Herr schwieg einige Minuten; dann setzte er sich auf eine Bank des Oberdecks, während der Kapitän hin und herging, und er immer einmal durch das Fernrohr blickte.

»Kapitän! rief er nach einer letzten Umschau über das Meer.

– Was steht Eurer Excellenz zu Befehl?

– Ich möchte genau wissen, wo wir uns jetzt befinden.«

Der Kapitän holte eine, in großem Maßstabe gehaltene Seekarte, die er auf dem Dahlbord entfaltete.

»Hier! antwortete er und wies mit einem Bleistifte nach der Durchschnittsstelle eines Breitengrades und eines Meridians.

– In welcher Entfernung von dieser Insel im Osten?

– Gegen zweiundzwanzig Seemeilen.

– Und von dem Lande da?...

– Etwa sechsundzwanzig.

– Auf dem Schiff weiß niemand, in welchem Gewässer wir jetzt segeln?

– Niemand, außer Ihnen und mir, Excellenz.

– Auch nicht, durch welches Meer wir überhaupt fahren?

– Wir kreuzen schon seit so langer Zeit nach rechts und nach links hin, daß das auch der beste Seemann nicht zu sagen wüßte.

– O, warum hindert mich ein Unstern, eine Insel zu finden, die den Nachforschungen der Seefahrer noch entgangen wäre, und wenn keine Insel, nur ein Eiland, nur einen Felsen, dessen Lage mir allein bekannt wäre! Ich hätte diese Schätze vergraben, und eine kurze Fahrt hätte genügt, sie wieder zu holen, wenn die Zeit dazu überhaupt jemals käme.«

Nach diesen halblaut gemurmelten Worten versank der Herr wieder in tiefes Schweigen und neigte sich über die Schanzkleidung hinaus. Hier starrte er in die klare Fluth, die so durchsichtig war, daß man bis auf achtzig Fuß hinunter deutlich sehen konnte; dann wendete er sich etwas heftig zurück.

»Nun wohl, rief er, hier ist der Abgrund, dem ich meine Reichthümer anvertrauen werde.

– Der sie aber niemals wieder herausgeben wird, Excellenz!

– So mögen sie lieber zu Grunde gehen, als in feindliche oder unwürdige Hände zu fallen!

– Wie es Ihnen beliebt.

– Wenn wir bis heute Abend in dieser Gegend nicht ein unbekanntes Eiland aufgefunden haben, werden die drei Fässer ins Meer geworfen.

– Ganz wie Sie befehlen!« erwiderte der Kapitän, der eben wieder mehr gegen den Wind anlaufen ließ.

Der große Herr begab sich hierauf nach dem äußersten Hintertheil und verfiel hier, sich auf den Dahlbord stützend, wieder in die träumerische Starrsucht, die er so häufig zeigte.

Die Sonne sank ziemlich schnell herab. Heute, am 9. September, also vierzehn Tage vor dem Herbstäquinoctium, sollte ihre Scheibe wenige Grade jenseits des Westpunktes verschwinden, das heißt an einer Stelle des Horizontes, die eben die Aufmerksamkeit des Kapitäns besonders auf sich gezogen hatte. Es schien ihm nämlich, als erhebe sich in dieser Richtung ein hohes Vorgebirge, das mit einem größeren Lande oder einer Insel zusammenhängen mochte. Und doch war das nicht anzunehmen, denn die Seekarte verzeichnete kein Land im Umkreise von fünfzehn bis zwanzig Meilen in diesen von Handelsschiffen vielfach befahrenen und daher allen Seeleuten wohlbekannten Gewässern. War es also ein isolierter Felsen, jene die Wasserfläche um mehrere Toisen überragende Klippe, die vielleicht jene, bisher vergeblich gesuchte verborgne Stelle bot, an der Seine Excellenz seine Schätze vergraben wollte? Die hydrographischen, in diesen Meeren besonders sorgfältigen Aufnahmen ließen nichts ähnliches annehmen.

Ein Eiland mit der dasselbe umtosenden Brandung, mit seinem Wasserstaub und Wirbeln hätte der Aufmerksamkeit der Seefahrer hier nicht entgehen können, und dann mußte sich seine Lage auf den Karten genau eingezeichnet finden. Nach der seinigen aber konnte der Kapitän versichern, daß sich nicht einmal eine einsame Klippe in dem Raume vorfand, den er weithin zu überblicken vermochte.

»Eine Täuschung!« dachte er, nachdem er das Fernrohr noch einmal dahin gerichtet und den betreffenden Punkt scharf ins Auge gefaßt hatte. In der That hätte er durch sein Glas die zarteste Linie erkennen müssen.

Eben jetzt – es war einige Minuten nach sechs Uhr – berührte der Sonnenball – zischead, wenn man den alten Iberiern glauben darf – den Rand des Horizonts. Beim Untergang wie beim Aufgang machte ihn die Refraction noch kurze Zeit sichtbar, wenn er sich noch oder wieder unter dem Horizonte befand. Das schräg auf die Wasserfläche fallende Licht schoß in schmalem Strahle weit von Westen bis nach Osten hinaus. Die letzten schwachen Wellen, die mehr Feuerbündeln glichen, flachten sich in der abflauenden Brise mehr und mehr ab. Dieser Schein erlosch sofort, als der obere Theil der Sonnenscheibe, kurz bevor er sich vom Horizonte losriß, seinen letzten grünen Strahl entsandte. Der Rumpf der Brigg-Goëlette färbte sich dunkler, während ihre höheren Segel noch im Purpurscheine des Abendlichtes erglänzten.

Gerade als der Vorhang der Dämmerung herabzusinken begann, ließ sich aus dem Takelwerk des Fockmastes eine Stimme vernehmen.

»Ohe!...

– Was giebt es? fragte der Kapitän.

– Land in Sicht vor Steuerbord!«

Ein Land in der Richtung, in welcher der Kapitän wenige Minuten vorher schwache Umrisse erkannt zu haben glaubte?... Er hätte sich also doch nicht getäuscht? Bei dem Rufe des Ausgucks waren die Leute von der Wache in die Wanten geklettert und blickten nach Westen hinaus. Mit dem Fernrohre am Riemen erklomm auch der Kapitän die Strickleiter des Großmastes, setzte sich reitend auf die Raae des Großsegels und suchte, das Glas vor dem Auge, den Horizont an der bezeichneten Stelle ab.

Der Ausguck hatte sich nicht getäuscht. In der Entfernung von sechs bis sieben Meilen tauchte ein Eiland auf, dessen Umrisse sich dunkel von der noch farbenglühenden Himmelswand abhoben. Man hätte es für eine Klippe von mäßiger Höhe halten können, deren Gipfel eine Wolke schwefliger Dünste umhüllte. Fünfzig Jahre später hätte jeder Seemann das für die Rauchsäule eines Dampfers angesehen.

Im Jahre 1831 aber dachte man noch gar nicht daran, daß die Oceane einmal von jenen gewaltigen Maschinen durchfurcht werden würden.

Der Kapitän hatte indeß kaum Zeit zu sehen, und noch weniger über das Gesehene nachzudenken.

Das signalisierte Land verschwand fast sofort im Nebeldunst des Abends. Doch – es war gesehen, deutlich gesehen worden. Hierüber konnte kein Zweifel bestehen.

Der Kapitän stieg wieder nach dem Oberdeck hinab, und der Herr, den dieser Zwischenfall aus seinem Hinbrüten erweckt hatte, gab ihm ein Zeichen, näher zu kommen.

Wieder entspann sich das gewöhnliche Zwiegespräch.

»Nun?...

.... Eure Excellenz...

– Ein Land in Sicht?

– Wenigstens ein Eiland.

– In welcher Entfernung?

– Etwa sechs Seemeilen im Westen.

– Und auf der Karte findet sich an dieser Stelle nichts?

– Gar nichts.

– Bist Du Deiner Sache sicher?

– Vollkommen!

– Das wäre also eine unbekannte Insel?

– Nach meiner Ansicht, ja.

– Ist das überhaupt glaubhaft?

– Warum nicht, Excellenz, wenn das Eiland erst neuerdings aufgetaucht wäre....

– Neuerdings?..

– Das ist leicht möglich, denn es schien mir von vulcanischen Dämpfen umhüllt. In dieser Gegend kommt es nicht so selten zu Umwälzungen, die sich durch Hebungen und Senkungen des Meeresbodens zeigen.

– Möchtest Du wahr sprechen, Kapitän! Ich könnte mir nichts besseres wünschen, als diese eben aus dem Meere aufgestiegenen Felsmassen! Diese würden noch niemand angehören.

– Oder, Excellenz, sie gehörten vielmehr dem ersten Besitzergreifer.

– Das wäre ich also.

– Jawohl, Sie, Excellenz.

– Laß gerade auf jenes Land zuhalten.

– Gerade... aber vorsichtig! erwiderte der Kapitän. Unsere Brigg-Goëlette liefe Gefahr zertrümmert zu werden, wenn etwa unterseeische Klippen weiter hinausreichten. Ich schlage vor, den Tag abzuwarten, um klar zu sehen und dann das Eiland anzulaufen....

– Gut, warten wir so lange, doch sorge, daß wir inzwischen näher herankommen.

– Zu Ihrem Befehl!«

Eine solche Vorsicht ist stets geboten. Ein Schiff darf sich nicht auf ihm unbekanntes, seichteres Wasser wagen. Bei der Annäherung an ein solches Land muß fortwährend die Sonde benützt werden, und in der Nacht gilt es doppelte Vorsicht.

Der hohe Herr zog sich nach seiner Cabine zurück, und wenn ihm der Schlummer auch sehr bald die Lider schloß, so brauchte ihn diesmal der Schiffsjunge gewiß nicht beim ersten Tagesgrauen zu wecken, er erschien jedenfalls schon vor Sonnenaufgang auf dem Oberdeck.

Der Kapitän selbst wollte das Oberdeck weder verlassen, noch dem Obersteuermann zumuthen, die ganze Nacht hindurch zu wachen. Jetzt wurde es allmählich dunkel und der Horizont verschwand mehr und mehr, während sein Durchmesser sich verkleinerte. Oben im Zenith mußten die letzten, von zerstreutem Licht erhellten Wölkchen bald erlöschen. Seit einer Stunde regte sich kaum ein Lufthauch. Man ließ nur die nothwendigen Segel stehen, um die Brigg-Goulette steuern und in der gewünschten Richtung halten zu können.

Inzwischen flammten am Himmel die ersten Sterne auf. Im Norden blinkte der Polarstern gleich einem unbeweglichen Auge ohne besondern Glanz hernieder, während der Arktur nahe dem Bogen des großen Bären flammte. Dem Polarstern gegenüber leuchtete das doppelte V der Cassiopeja. Weiter unten erschien die Capella, genau an der Stelle, wo sie am Tage vorher aufgegangen war und wo sie – nur mit vier Minuten Vorsprung, die durch den um ebensoviel kürzeren Sideraltag bedingt werden – sich am nächsten Tage erheben sollte. Auf der Oberfläche des eingeschlafenen Meeres herrschte jene unausdrückbare Stille, die sie mit Einbruch der Nacht umfängt.

Der Kapitän auf dem Vorderdeck verhielt sich eben so schweigsam, wie der Arm des Gangspills, auf den er sich stützte. Den Kopf unbewegt haltend, dachte er an nichts, als an den im Dämmerschein des Abends beobachteten Punkt in der Ferne. Leise Zweifel stiegen in ihm auf, Zweifel, die die Finsterniß nur noch drückender machten. Hatte er sich doch vielleicht durch eine Täuschung gefangen nehmen lassen? War wirklich ein neues Eiland an jener Stelle emporgestiegen? Ja... ganz gewiß. Diese von ihm hundertmal befahrne Seegegend kannte er ja ganz genau. Das Besteck hatte ihm seine Lage auf eine Seemeile genau angegeben und acht bis zehn Stunden trennten ihn von dem nächstgelegenen Lande. Doch wenn er sich nicht getäuscht hatte, wenn an dieser Stelle eine Insel aus der Tiefe des Meeres aufgestiegen war, konnte sie ja schon in Besitz genommen sein, wozu nur irgend ein Seefahrer seine Nationalflagge hätte aufzuziehen brauchen. Die Engländer, die Lumpensammler des Oceans, stöbern schnell genug jedes Stückchen Erde auf, das sich in den Fluthen spiegelt, und stecken es in ihren Quersack. Wenn auf dem Felsen jetzt ein Feuer aufleuchtete, bewies das seine schon stattgefundene Besitzergreifung. Der Klippenhausen könnte ja schon seit Wochen oder gar seit Monaten aufgestiegen, und dann würde er den Augen der Seeleute und dem Sextanten der Hydrographen gewiß nicht entgangen sein.

Beunruhigende Gedanken dieser Art erklären es wohl, daß der Kapitän den Morgen mit größter Ungeduld erwartete. Augenblicklich zeigte nichts mehr die Lage des Landes an, nicht einmal der Widerschein der Dämpfe, die es zu bedecken schienen und die ja mit dunklem Glanze schwach hätten durch die Nacht schimmern können. Aeußerlich lag auf Himmel und Wasser die gleiche tiefe Finsterniß.

Die Stunden verflossen. Schon hatten die Sterne rund um den Nordpol mit der sich drehenden Weltaxe den vierten Theil eines Kreises beschrieben.

Gegen vier Uhr drang in Ostnordost der erste bleiche Tagesschimmer herauf, als die Sonne noch einige Grade emporzusteigen hatte, um den Horizont zu berühren.

Sehr heller Beleuchtung bedurfte aber ein Seemann gar nicht, um die signalisierte Insel, wenn eine solche vorhanden war, wieder aufzufinden.

In diesem Moment trat der Herr aus der Treppenkappe und nahm auf dem Verdeck Platz, wo sich der Kapitän eben befand.

»Nun also... die Insel? begann er.

– Da ist sie, Excellenz, erklärte der Kapitän, der auf ein kaum zwei Seemeilen entferntes Felsengewirr hinwies.

– Wir wollen dort landen....

– Wie Sie befehlen.«

Zweites Capitel.

Worin einige unentbehrliche Erklärungen gegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

Der freundliche Leser möge nicht allzusehr erstaunen, wenn Mehemet Ali zu Anfang dieses Capitels auf der Scene erscheint. Von welcher Bedeutung der berühmte Pascha in der Geschichte der Levante auch ist, er wird in dieser Erzählung nur vorkommen in Folge der – übrigens unangenehmen – Beziehungen, in denen der Gründer des modernen Aegyptens mit der auf der Brigg-Goëlette eingeschifften Persönlichkeit gestanden hatte.

Jener Zeit hatte Mehemet Ali noch nicht begonnen, mit Hilfe der Armee seines Sohnes Ibrahim, Palästina und Syrien zu erobern, die dem Sultan Mahmud, dem Souverän der europäischen und der asiatischen Türkei, gehörten.

Im Gegentheil, der Sultan und der Pascha standen damals auf freundschaftlichstem Fuß miteinander, und dieser hatte jenem seine thatkräftigste Mitwirkung geliehen, um Morea zu unterwerfen und die Unabhängigkeitsbestrebungen des kleinen Königreichs Griechenland zu lähmen.

Einige Jahre hindurch verhielten sich Mehemet Ali und Ibrahim in ihrem Paschalik ganz ruhig. Das Vasallenverhältniß aber, in dem sie zu der Pforte standen, lastete schwer auf ihrem Ehrgeiz, und sie lauerten nur auf eine passende Gelegenheit, sich zu erleichtern und die seit Jahrhunderten eng angespannten Fesseln zu brechen.

In Aegypten lebte jener Zeit ein Mann, dessen von vielen Generationen auf seinem Haupte angesammeltes Vermögen zu den größten im Lande zählte. Dieser Mann wohnte in Kairo. Er nannte sich Kamylk-Pascha, und er war es, den der Kapitän der Brigg-Goëlette mit »Excellenz« anredete.

Ein durchwegs gebildeter Mann, war er vorzüglich in allen mathematischen Wissenszweigen und in deren praktischer und selbst phantastischer Ausnützung wohl erfahren. Stark angesteckt vom Orientalismus, war er vor allem aber von Herzen Ottomane, wenn auch Aegypter von Geburt. In der Ueberzeugung, daß gegenüber den Versuchen des abendländischen Europa zur Unterwerfung der Völker der Levante der Widerstand nachdrücklicher seitens des Sultans Mahmud,

als seitens Mehemet Ali's sein würde, warf er sich mit Leib und Seele in den Kampf.

Im Jahre 1780 in einer Soldatenfamilie geboren, zählte er kaum zwanzig Jahre, als er sich der Armee Djezzar's anschloß, wo er in Folge bewiesenen Muthes bald den Titel und Rang eines Pascha erlangte. Schon 1799 setzte er Freiheit, Vermögen und Leben auf's Spiel, als er sich gegen die Franzosen unter Führung Bonaparte's nebst den Generalen Kleber, Régnier, Lannes, Bon und Murat wie ein Löwe schlug. Nach der Schlacht bei El-Arisch mit den Türken gefangen, hätte er seine Freiheit erlangen können, wenn er das schriftliche Versprechen abgab, nicht ferner gegen die Truppen Frankreichs zu kämpfen. Doch entschlossen, bis an's Ende zu streiten, immer in der Hoffnung auf einen unwahrscheinlichen Glückswechsel und halsstarrig in Thaten wie in Gedanken, verweigerte er es, sein Ehrenwort zu verpfänden. Wirklich gelang es ihm, zu entfliehen, und später traf man ihn wüthender als je vorher bei allen Zusammenstößen, die in dem Conflict der beiden Rassen vorkamen.

Nach der Uebergabe von Jaffa, am 6. März, gehörte er zu denen, die in den Capitulations-Bedingungen freien Abzug zugesichert erhielten. Als die gegen viertausend Mann zählenden Gefangenen, Albanesen und Arnauten, Bonaparte vorgeführt wurden, zeigte sich dieser über die Gefangennahme keineswegs erfreut, denn er fürchtete, daß die Leute sich beeilen würden, die Truppen des Pascha von Saint-Jean d'Acre zu verstärken. Hier zeigte er auch schon, daß er zu den Eroberern gehörte, die vor nichts zurückschrecken, und gab Befehl, alle zu erschießen.

Dieses Mal bot man ihnen nicht, wie früher den Gefangenen von El-Arisch, an, sie unter der Bedingung, nicht wieder ins Feld zu ziehen, zurückzuschicken, man verurtheilte sie einfach zum Tode. So erlagen sie auf dem Strande, und die, die von den Kugeln verschont geblieben waren und glaubten, daß sie begnadigt seien, fanden noch zum größten Theile den Tod, als sie der Küste zueilten.

Kamylk-Pascha sollte freilich hier und auf diese Weise nicht umkommen. Er traf auf einige Männer, Franzosen – zu ihrer Ehre sei hier daran erinnert – die sich vor diesem schauerlichen Gemetzel, wenn es im Krieg vielleicht auch nicht zu umgehen war, entsetzten. Den braven Leuten gelang es, einzelne Gefangene zu retten. Einer davon war es, ein Seemann von der Handelsflotte, der in der Nacht in der Nähe der Klippen umherirrte, auf denen sich einzelne Unglückliche versteckt halten konnten, und der Kamylk-Pascha, welcher von einer Kugel schwer verwundet war, unter seinen Schutz nahm. Er brachte ihn nach einem sichern Orte, pflegte und heilte ihn in einer Weise, daß dieser ihm den erwiesenen Liebesdienst gewiß nie vergessen konnte. Wie er ihn später und unter welchen Verhältnissen wieder fand, das bildet den Inhalt dieser merkwürdigen und wahrhaftigen Erzählung.

Kurz, drei Monate später war Kamylk-Pascha wieder auf den Füßen.

Der Feldzug Bonaparte's war vor Saint-Jean d'Acre gescheitert. Unter dem Commando Abdallah's, des Paschas von Damaskus, hatte die türkische Armee am 4. April den Jordan überschritten, und auf der andern Seite kreuzte das englische Geschwader unter Sydney Smith in den Gewässern Syriens. Obgleich Bonaparte die Division Kleber mit Junot dahin gesendet und er sich sogar persönlich nach dem Kampfplatz begeben hatte, obgleich er die Türken in der Schlacht am Berge Tabor zermalmte, war es doch zu spät, als er eintraf, Saint-Jean d'Acre auf's neue zu bedrohen. Die Festung hatte eine Verstärkung von zwölftausend Mann erhalten. Vereinzelt trat die Pest auf. Am 20. Mai entschloß sich Bonaparte, die Belagerung aufzugeben.

Kamylk-Pascha glaubte jetzt nach Syrien zurückkehren zu dürfen. Sich nach Aegypten, nach dem jener Zeit tief erschütterten Lande, zu begeben, wäre die schlimmste Unklugheit gewesen. Er mußte warten, und Kamylk Pascha wartete volle fünf Jahre. Dank seinem großen Vermögen lebte er in verschiedenen Provinzen auf großem Fuße und geschützt gegen ägyptische Habgier.

In diese Zeit fiel das Auftreten des Sohnes eines einfachen Aga, dessen hoher Muth schon in der Schlacht von Abukir 1799 aufgefallen war. Mehemet Ali erfreute sich bereits eines solchen Einflusses, daß er die Mameluken zu bestimmen vermochte, sich gegen den Gouverneur Khosrew-Pascha zu erheben, sich gegen ihren Anführer aufzulehnen, Khurschid, den Nachfolger Khosrew's abzusetzen, und daß er es schließlich wagen konnte, sich mit Zustimmung der Hohen Pforte zum Vicekönig zu erklären.

Zwei Jahre vorher war Djezzar, der Beschützer Kamylk-Paschas, gestorben. Da dieser sich jetzt im Lande allein sah, glaubte er, durch seine Rückkehr nach Kairo keine weitere Gefahr zu laufen.

Er zählte jetzt siebenundzwanzig Jahre, und neuere Erbschaften, die ihm zufielen, hatten ihn zu einem der reichsten Männer Aegyptens gemacht. Einer Eheschließung mehr abhold, von wenig mittheilsamem Charakter und geneigt zu einem möglichst zurückgezogenen Leben, hatte er nur seine lebhafte Vorliebe für den Soldatenberuf bewahrt. In der Erwartung, daß sich schon noch Gelegenheit zur Bethätigung seiner Fähigkeiten bieten werde, wollte er der natürlichen Lebhaftigkeit seines Alters durch lange und weite Reisen genug thun.

Da Kamylk-Pascha keine directen Nachkommen hatte, entstand die Frage, wem sein ungeheures Vermögen einmal zufallen sollte, und hierbei konnte nur irgend ein Seitenverwandter in Betracht kommen.

Ein gewisser Murad, geboren 1786, also sechs Jahre später als er, war sein Vetter, mit dem er aber, da die politischen Ansichten der beiden Männer nicht übereinstimmten, gar nicht zusammentraf, obwohl Beide in Kairo wohnten.

Kamylk-Pascha huldigte den Interessen der Pforte, und hatte das, wie wir wissen, schon thatsächlich bewiesen. Murad dagegen bekämpfte den ottomanischen Einfluß in Worten und Werken und wurde zum eifrigsten Berather Mehemet Ali's bei dessen Unternehmungen gegen den Sultan Mahmud.

Dieser Murad, der einzige Verwandte Kamylk-Paschas, doch eben so arm, wie der andere reich, konnte auf das Vermögen seines Vetters nur rechnen, wenn es zwischen ihnen zu einer Aussöhnung kam. Das sollte aber nicht der Fall sein. Im Gegentheil höhlte die Gereiztheit, ja der Haß mit allen seinen tollen Folgen zwischen den beiden Mitgliedern dieser Familie einen immer tieferen Abgrund aus.

Achtzehn Jahre verliefen von 1806 bis 1824, während der die Regierung Mehemet Ali's durch keine äußeren Kriege gestört wurde. Dagegen mußte dieser gegen den zunehmenden Einfluß und das bedrohliche Auftreten der Mameluken, seiner Helfershelfer, ankämpfen, denen er früher den Thron zu verdanken hatte. Ein allgemeines Gemetzel, das 1811 in Aegypten stattfand, befreite ihn von dieser lästig gewordenen Miliz.

Seitdem genossen die Unterthanen das Vicekönigs lange Jahre der Ruhe, und dessen Verhältniß zu dem Divan gestaltete sich ganz vorzüglich – wenigstens dem Anscheine nach, denn der Sultan hegte mit Recht stets ein gewisses Mißtrauen gegen seinen Vasallen.

Kamylk-Pascha war gar oft dem Uebelwollen Murad's ausgesetzt. Gestützt auf die Beweise der Gunst und Theilnahme, die er vom Vicekönig erhielt, hörte er nicht auf, seinen Herrn gegen den reichen Aegypter einzunehmen. Er erinnerte ihn unaufhörlich daran, daß dieser ein Parteigänger Mahmud's, ein Freund der Türken sei, für die er sein Blut vergossen habe. Seiner Darstellung nach war er eine gefährliche Persönlichkeit, ein Mann, der überwacht werden mußte... vielleicht ein Spion.... Dieser enorme Reichthum in einer Hand bildete schon an sich eine Gefahr – kurz, er führte alles mögliche an, was nur die Begehrlichkeit eines grundsatz- und gewissenlosen Machthabers reizen konnte.

Kamylk-Pascha legte dem allen zunächst keinen Werth bei. Er lebte in Kairo völlig eingezogen, und es mußte schwierig sein, ihm eine Falle zu stellen, in die er gegangen wäre. Wenn er Aegypten verließ, so geschah das nur, um große Reisen zu unternehmen. Dann verbrachte er sein zielloses, durch stolze Gleichgiltigkeit gegen die Menschen gekennzeichnetes Leben auf einem ihm gehörigen Schiffe, das der um fünf Jahre jüngere und ihm unter allen Umständen ergebene Kapitän Zo seinen Launen gehorsam über die Meere Asiens, Afrikas und Europas führte.

Das legt die Frage nahe, ob er den französischen Seemann, der ihn einst aus dem mörderischen Kugelregen Bonaparte's rettete, vergessen hatte. Vergessen gewiß nicht, denn eines solchen Dienstes vergißt ja keiner. Belohnt hatte er denselben allen Anscheine nach aber auch noch nicht, ebensowenig hätte jemand zu sagen vermocht, ob Kamylk-Pascha das noch nachzuholen gedachte, wenn seine Ausflüge zur See ihn einmal in die französischen Gewässer brachten.

Etwa von 1812 ab konnte der reiche Aegypter sich jedoch nicht länger verhehlen, daß er während seines Aufenthalts in Kairo stets genau überwacht wurde. Mehrere geplante Reisen wurden ihm auf Befehl des Vicekönigs sogar direct untersagt. Infolge der Eingebungen seines Vetters erschien jetzt seine Freiheit ernstlich bedroht.

Im Jahre 1823 verheiratete sich dieser ihm übelgesinnte Verwandte unter Verhältnissen, die ihm auch keine besondre gesellschaftliche Stellung sicherten. Er hatte ein junges Fellahmädchen, fast eine Sclavin, zur Frau genommen. Es ist also nicht so verwunderlich, daß er seine heimlichen Hetzereien in der Hoffnung, Kamylk-Paschas Existenz zu ruinieren, fortsetzte, indem er den Einfluß benutzte, den er bei Mehemet Ali und dessen Sohn Ibrahim noch immer besaß.

Da begann für Aegypten eine kriegerische Periode, in der seine Waffen ruhmvoll glänzten. Griechenland hatte sich 1824 gegen den Sultan Mahmud erhoben, und dieser rief seine Vasallen zur Niederwerfung des Aufstandes zu Hilfe. Mit einer Flotte von hundertzwanzig Segeln begab sich Ibrahim nach Morea, wo er seine Streitkräfte ans Land setzte.

Jetzt bot sich Kamylk-Pascha Gelegenheit, seinem Leben wieder einigen Reiz zu verleihen, sich in gefährlichen – seit zwanzig Jahren ungeübten – Abenteuern neu zu stählen, und danach verlangte ihn desto mehr, als es sich um Aufrechthaltung der durch die Erhebung des Peloponnes bedrohten Rechte der Pforte handelte. Er wollte in die Armee Ibrahim's eintreten – man schlug es ihm ab. Er wollte als Officier unter den Truppen des Sultans dienen – auch hier sah er sich zurückgewiesen. Offenbar war das auf eine ihm feindliche Einwirkung zurückzuführen, der daran lag, den steinreichen Mann nicht aus dem Gesicht zu verlieren.

Der Unabhängigkeitskampf der Griechen sollte diesmal zum Vortheil der heldenhaften Nation ausfallen. Nach drei Jahren, während die Freiheitskämpfer von Ibrahim's Heeresmacht unmenschlich verfolgt wurden, zerstörte eine vereinigte englische, französische und russische Flotte die ottomanischen Kriegsschiffe in der Seeschlacht bei Navarin (1827), was den Vicekönig zwang, seine Schiffe und seine Truppen nach Aegypten heimzuführen. Ibrahim begab sich also mit Murad, der ihn begleitet hatte, wieder nach Kairo zurück.

Von diesem Tage ab verschlimmerte sich die Lage Kamylk-Paschas. Murad's Haß gegen ihn loderte nur noch mehr auf, als jenem 1829 von der jungen Fellah ein Sohn geboren wurde. Damit erhielt wohl die Familie einen Zuwachs, nicht aber deren Vermögen. Desto begehrenswerther erschienen Murad nun die Schätze seines Vetters. Der Vicekönig würde sich ja kaum weigern, zur Beraubung des Mannes die Hand zu leihen. Dergleichen Gefälligkeiten kommen nicht nur in Aegypten, sondern auch in Ländern mit weniger orientalischer Civilisation vor.

Der Sprößling Murad's erhielt – was der Leser gefälligst merken möge – den Namen Saouk.

Gegenüber dieser Lage der Dinge begriff Kamylk-Pascha, daß ihm nur übrig bliebe, sein Vermögen, das großentheils in Diamanten und andern Edelsteinen bestand, zusammenzuraffen und außerhalb Aegyptens in Sicherheit zu bringen. Das that er denn auch in ebenso kluger wie geschickter Weise mit Hilfe einiger in Alexandria ansässiger Ausländer, denen sich der Aegypter offen anvertraute. Er sollte nicht enttäuscht werden, und alles vollzog sich in erwünschter Heimlichkeit. Wer die Fremden waren und welcher Nation sie angehörten, das wußte nur Kamylk-Pascha ganz allein.

Drei doppelwandige und von eisernen Reisen umgebene Fässer, die ganz den Eimerfässern glichen, worin der spanische Wein versendet wird, hatten hingereicht, jene Schätze zu bergen. Diese wurden unbemerkt an Bord eines neapolitanischen Speronare geschafft, auf dem sich ihr Besitzer in Begleitung des Kapitän Zo, freilich unter vielerlei Gefahren, eingeschifft hatte, denn jener war von Kairo bis Alexandria verfolgt und seit seinem Eintreffen in dieser Stadt niemals aus dem Auge gelassen worden.

Fünf Tage darauf setzte der Speronare ihn im Hafen von Latakie ans Land, und von hier aus erreichte er Aleppo, den von ihm vorläufig erwählten Wohnsitz. In Syrien, das unter der Verwaltung seines alten Generals Abdallah, des derzeitigen Pascha von Saint-Jean d'Acre stand, hatte er von Murad ja nichts mehr zu fürchten. So kühn Mehemet Ali auch sein mochte, voraussichtlich konnte er ihm tief in einer Provinz, über die der Hohen Pforte alle Rechte zustanden, weder schaden, noch sich seiner Person bemächtigen.

Und doch sollte das vielleicht möglich werden.

Im Jahre 1830 nämlich brach Mehemet-Ali plötzlich alle Beziehungen zum türkischen Großherrn ab. Die Vasallenbande, die ihn an Mahmud fesselten, zu zerreißen, Syrien seinen ägyptischen Besitzungen einzuverleiben, vielleicht gar Beherrscher des ganzen Türkenreichs zu werden – solche Gedanken waren für den Ehrgeiz des Vicekönigs nicht zu hoch. Ein Vorwand war ja leicht genug gefunden.

Von den Beamten Mehemet Ali's bedrückte Fellahs hatten in Syrien unter Abdallah Schutz gesucht. Der Vicekönig verlangte die Auslieferung der Bauern. Der Pascha von Saint-Jean d'Acre verweigerte diese.

Mehemet Ali bestürmte den Sultan um die Ermächtigung, Abdallah mit Waffengewalt zu zwingen. Mahmud antwortete zunächst, daß jener die Fellahs als türkische Unterthanen dem Vicekönig von Aegypten nicht auszuliefern habe, bald darauf aber gab er, da es ihm darauf ankam, sich der Unterstützung Mehemet Ali's oder wenigstens dessen Neutralität beim Ausbrechen des Aufstandes des Paschas von Scutari zu sichern, die gewünschte Vollmacht.

Verschiedene Ereignisse, unter anderen das Auftreten der Cholera in den Hafenplätzen der Levante, verzögerten den Aufbruch Ibrahim's an der Spitze von zweiunddreißigtausend Mann und einer Flotte von zweiunddreißig Schiffen. Kamylk-Pascha erhielt damit Zeit, die ihm drohende Gefahr zu durchschauen, wenn die Aegypter wirklich in Syrien landeten.

Er war jetzt einundfünfzig Jahre alt, und einundfünfzig Jahre eines schwer bewegten Lebens bringen einen Mann schon nahe an die Schwelle des Greisenalters.

Ermüdet und entmuthigt, aller Illusionen beraubt und nur voll Verlangen nach der Ruhe, die er in der stillen Stadt Aleppo erhofft hatte, sollte ihm diese doch durch die Zeitereignisse nicht gewährt werden.

Es war vielleicht schon unklug von ihm, in Aleppo zu bleiben, als Ibrahim sich gegen Syrien in Bewegung setzte, obwohl es sich zu Anfang ja nur um eine Bestrafung des Pascha von Saint-Jean d'Acre handelte. Niemand wußte freilich, ob der Vicekönig nach Absetzung Abdallah's seine siegreiche Armee aufhalten, ob sich sein Ehrgeiz mit Züchtigung eines Schuldigen begnügen würde. Er konnte ja die Gelegenheit wahrnehmen, um Syrien, das langersehnte Ziel seiner Wünsche, zu erobern. Dann waren nach Saint-Jean d'Acre auch Damaskus, Sidon und Aleppo durch die Söldner Ibrahim's bedroht. Und diese Befürchtung lag nur allzunahe.

Diesmal faßte Kamylk-Pascha einen endgiltigen Entschluß. Wenn auch niemand seiner Person zu nahe zu treten drohte, so kam doch sein Vermögen, um das ihn Murad schon lange beneidete, in Gefahr, denn dieser Verwandte sachte es ihm ohne Zweifel mit Gewalt zu entreißen, wenn er auch dem Vicekönig einen großen Theil davon abtreten mußte.

Nun galt es also, diese Schätze verschwinden zu lassen, sie an einem so versteckten Ort unterzubringen, daß kein Mensch sie finden konnte. Dann konnte er den Verlauf der Ereignisse abwarten. Später, ob sich Kamylk-Pascha dann wider Willen genöthigt sah, das ihm so an's Herz gewachsene Morgenland zu verlassen, oder ob Syrien wieder so sicher wurde, daß er sich daselbst ohne Sorge niederlassen konnte, wollte er seinen Schatz wieder heben, wo er ihn verborgen hatte.

Der Kapitän Zo billigte den Plan Kamylk-Paschas und erbot sich zur Ausführung desselben in einer solchen Weise, daß jenes Geheimniß niemals entschleiert werden konnte. Jetzt wurde eine Brigg-Goëlette angekauft und mit einer aus den verschiedensten Elementen gewählten Mannschaft besetzt, mit Seeleuten, die keiner mit dem andern durch irgendwelche Bande verknüpft waren, nicht einmal durch das Band der gleichen Nationalität.

Die Fässer brachte man an Bord, ohne daß jemand von ihrem Inhalt etwas ahnen konnte. Am 13. April stach das Schiff, dem sich Kamylk-Pascha im Hafen von Latakie selbst mit anvertraute, nach seinem unbekannten Ziele in See.

Die Absicht des Pascha ging, wie bekannt, dahin, ein Eiland aufzufinden, dessen Lage niemand außer ihm selbst und dem Kapitän bekannt wäre. Die Besatzung mußte also so irre geleitet werden, daß keiner derselben über den von der Brigg-Goëlette verfolgten Cours klar bleiben konnte. Demnach verfuhr der Kapitän Zo seit fünfzehn Monaten, indem er die Richtung des Schiffes immer und immer wieder änderte. Niemand konnte wissen, ob er das Mittelmeer verlassen hatte, und wenn es so war, ob er wieder dahin zurückgekehrt war.

Ebenso unerkennbar blieb es, ob das Schiff die Meere des alten Continentes besucht hatte oder sich vielleicht gar auf einem solchen befand, als das neue Eiland entdeckt wurde. Jedenfalls war die Brigg-Goulette in sehr verschiedenen Klimaten, also in mehreren Zonen der Erde gewesen, so daß auch der erfahrenste Seemann nicht hätte bestimmen können, wo sie augenblicklich segelte. Für mehrere Jahre verproviantiert, war sie nur zur Einnahme von Wasser mehrere Male an's Land gegangen, doch ohne daß jemand erfuhr, an welchem Orte das geschah.

Kamylk-Pascha hatte also sehr lange umherkreuzen müssen, ehe er ein ihm passendes Eiland auffand, und endlich, als er schon den Entschluß faßte, seine Schätze ins Meer zu versenken, war das so ungeduldig gesuchte Stückchen Land in Sicht gekommen.

Dann kamen die Ereignisse, die sich an die Geschichte Aegyptens und Syriens knüpften und die hier im voraus erwähnt werden mußten. Später wird davon kaum noch die Rede sein, denn unsre Erzählung gewinnt einen weit mehr phantastischen Charakter, als man aus dem etwas ernsten Anfang schließen dürfte. Sie bedurfte aber einer sozusagen soliden Grundlage, und diese hat der Autor ihr gegeben – oder wenigstens zu geben versucht.

Drittes Capitel.

Worin das Eiland in einen diebessichern Geldschrank verwandelt wird.

Inhaltsverzeichnis

Der Kapitän Zo ertheilte dem Steuermann seine Befehle und ließ mehr Segel einziehen, um die Herrschaft über das Schiff zu behalten. Von Nordosten her wehte eine leichte Morgenbrise. Langsam näherte sich die Brigg-Goulette der kleinen Insel. Kam das Meer in heftigere Bewegung, so konnte sie am Fuße dieses Eilands sogar vorläufigen Schutz finden.

Während Kamylk-Pascha, auf die Regeling des Hintercastells gestützt, voller Spannung hinausblickte, segelte der Kapitän Zo nach Seemannsgebrauch vorsichtig näher an das Eiland heran, dessen Lage ihm seine Karten nicht angaben.

Das ist allemal gefährlich. Gerade bei ruhigem Wasser ohne Brandung kann man gar leicht auf verborgne Klippen stoßen; kein Zeichen weist darauf hin, wie man steuern soll. Hier schien die nächste Umgebung jedoch sehr klar zu sein, denn von Unterwasserklippen zeigte sich keine Spur. Der Oberbootsmann, der die Sonde nicht aus der Hand ließ, konnte nirgends eine schroffe Erhebung des Erdbodens entdecken.

In der Entfernung einer Seemeile und zur Zeit, wo die Sonne das Eiland von Osten nach Westen zu beleuchtete, nachdem sie über die Morgennebel aufgestiegen war, bot jenes etwa folgenden Anblick:

Es war nur ein Eiland, nichts weiter als das, und kein Staat hätte daran gedacht, es sich anzueignen, denn das lohnte sich kaum der Mühe – natürlich mit Ausnahme des Länderwucherers England. Ein untrüglicher Beweis dafür, daß diese Felsenanhäufung den Seefahrern und Hydrographen noch unbekannt war, daß es auch auf den neuesten Karten nicht eingezeichnet sein konnte, lag darin, daß Großbritannien daraus noch kein zweites Gibraltar gemacht hatte, um in dieser Gegend die Oberhand zu behalten. Ohne Zweifel lag es außerhalb der befahrnen Straßen und war gewiß erst neueren Ursprungs.

Im großen und ganzen bildete es ein ziemlich zusammenhängendes Hochplateau, dessen Umfang gegen dreihundert Toisen messen mochte und das aus einem Oval von hundertfünfzig Toisen in der Länge und von sechzig bis achtzig Toisen in der Breite bestand.

Es zeigte keine durcheinander geworfnen und übereinandergethürmten Felsmassen, die zuweilen den Gesetzen des Gleichgewichts zu spotten scheinen. Ohne Zweifel verdankte es seinen Ursprung vielmehr einer allmählichen Erhebung der Erdrinde und keinem plötzlichen Aufdringen aus der Tiefe. Seine Ränder waren weder ausgebuchtet, noch durch scharfe Vorsprünge gezähnt. Ohne irgendwelche Aehnlichkeit mit jenen seltsamen Muscheln, die die Natur zuweilen mit den phantastischten Formen ausstattet, zeigte das Eiland vielmehr die Regelmäßigkeit der obern Schale einer Auster oder des Rückenschildes einer Schildkröte. Dieses Schild zeigte sich in der Mitte etwas erhöht und stieg an der höchsten Stelle etwa hundertfünfzig Fuß über die Meeresfläche empor.

Von Bäumen oder sonstigen Erzeugnissen der Pflanzenwelt war darauf ebensowenig eine Spur zu entdecken, wie davon, daß es schon jemand besucht und untersucht hätte. In Berücksichtigung seiner noch von niemand festgestellten Lage und seiner »marmornen« Dürre, die jede etwaige Ansiedlung hier völlig ausschloß, hätte Kamylk-Pascha gar keinen bessern Platz finden können, dem er seine Schätze sichrer anvertrauen konnte.

»Wahrlich, das sieht aus, als ob es die Natur besonders dazu geschaffen hätte,« meinte der Kapitän Zo.

Inzwischen glitt die Brigg-Goëlette, immer mehr Segel bergend, ganz langsam näher, und in der Entfernung von nur einer Kabellänge wurde Befehl zum Ankerwerfen gegeben. Sofort sank der auf dem Krahnbalken liegende Anker herab, zog rasselnd die Kette durch die Klüsen nach und senkte sich bei zwanzig Faden Wasser in den Meeresgrund.

Die nächste Umgebung dieser Felsenmasse fiel also, auf dieser Seite wenigstens, sehr steil ab. Ein Schiff hätte sich ihm noch weiter nähern, ja vielleicht unmittelbar daran anlegen können, ohne auf Grund zu gerathen. Besser erschien es jedoch immer, sich in einiger Entfernung zu halten.

Als die Brigg-Goëlette von ihrem Anker festgehalten wurde, ließ der Obersteuermann die letzten Segel einziehen, und der Kapitän Zo begab sich nach dem Oberdeck.

»Soll ich das große Boot klar machen lassen, Excellenz? fragte er.

– Nein... nur die Jolle. Ich ziehe es vor, daß wir erst beide allein an's Land gehen.

– Wie Sie befehlen.«

Bald darauf saß der Kapitän mit zwei leichten Riemen in der Hand vorn und Kamylk-Pascha hinten in der Jolle. Nach kurzer Fahrt legten sie am Hintergrund eines kleinen Einschnittes an, wo eine Landung leicht zu bewerkstelligen war. Ein Dregganker wurde sorgfältig in einer Felsenspalte befestigt und seine Excellenz nahm von dem Eilande Besitz.

Bei dieser Gelegenheit wurde natürlich keine Flagge gehißt und kein Kanonenschuß abgefeuert. Es war ja kein Staat, der hier Fuß faßte, sondern ein Privatmann, der mit dem Gedanken landete, nach drei bis vier Stunden wieder abzusegeln.

Kamylk-Pascha und der Kapitän Zo überzeugten sich zuerst, daß die Steine des Vorlandes nicht auf sandigem Untergrund ruhten, sondern unter einem Winkel von dreißig bis sechzig Grad unmittelbar aus dem Meere aufstiegen. Seine Entstehung verdankte es also bestimmt einer submarinen Bodenerhebung.

Sie begannen ihre Untersuchung mit einem Rundgange und stießen dabei auf eine Art krystallisierten Quarz, der nirgends die Spuren einer Verletzung zeigte. An keinem Punkte war das Gestade vom Salzwasser des Meeres angenagt Auf der trocknen und krystallinischen Oberfläche fand sich keine andre Flüssigkeit, als etwas Wasser, das von den letzten Regenfällen in kleinen Vertiefungen zurückgeblieben war. Von Vegetation keine Spur, nicht einmal Flechten oder jene Seemoose, die anspruchslos genug sind, aus jedem von Winde dahingetriebenen Keime zwischen Felsenspalten aufzusprossen. Ebenso wenig gab es – lebende oder abgestorbene – Muschelthiere, nur da und dort etwas Vogelguano, von einigen Möwen und Seeschwalben herrührend, die in dieser Gegend das Thierleben allein vertraten.

Nach Umkreisung der Insel bestiegen Kamylk-Pascha und der Kapitän die Mittenerhebung des Eilands. Nirgends hatte das Ufer die Andeutung eines älteren oder neueren Besuchs verrathen, überall zeigte es eine sozusagen krystallinische Sauberkeit ohne Zerbröckelungen oder Fußspuren.

Oben angelangt, befanden sich die beiden Männer etwa hundertfünfzig Fuß über der Meeresfläche und betrachteten gespannt den Horizont, der sich jetzt vor ihren Blicken ausdehnte.

Auf der weiten, von den Strahlen der Sonne glitzernden Wasserfläche zeigte sich nirgends die Linie eines Landes. Dieses Eiland gehörte also nicht zu den Cycladen, wo man überall Gruppen von Attolls antrifft. Hier erhob sich nichts über die Wasserfläche. Auch nach einem Segel suchte der Kapitän Zo trotz Benützung des Fernrohrs vergeblich.

Das Meer war zur Zeit gänzlich verlassen, und die Brigg-Goëlette schien außer Gefahr, während der wenigen Stunden, die sie hier verankert liegen sollte, gesehen zu werden.

»Du bist Dir gewiß über unsre Position, heute, am 9. September? fragte Kamylk-Pascha noch einmal.

– Völlig gewiß, Excellenz, versicherte Kapitän Zo. Zu weiterer Sicherheit werde ich aber das Besteck noch einmal machen.

– Das ist wünschenswerth. Wie soll man aber erklären, daß dieses Eiland auf den Karten nicht eingetragen wurde?

– Weil es meiner Ansicht nach ganz neuerlicher Bildung ist. Jedenfalls muß es Ihnen genügen, daß es noch auf keiner Karte steht und wir es doch wiederfinden können, sobald Sie hierher zurückkehren wollen.

– Gewiß, Kapitän, wenn diese unruhigen Zeiten überstanden sind! Mir soll's nicht darauf ankommen, ob jener Schatz lange Jahre unter diesen Felsen begraben liegt. Hier ist er jedenfalls mehr in Sicherheit, als in meinem Hause in Aleppo, und hier kann mich weder der Vicekönig, noch sein Sohn Ibrahim oder der ehrlose Murad desselben berauben. Ehe Murad dieses Vermögen in die Hand fiele, hätt' ich es zehnmal lieber ins Meer versenkt!

– Ein bedauerliches letztes Hilfsmittel, antwortete Kapitän Zo, denn das Meer giebt nicht zurück, was sein Abgrund verschlungen hatte. Es ist also ein Glück, daß wir dieses Eiland auffanden. Es wird Ihre Reichthümer bewahren und sie getreulich wieder erstatten.

– Komm! sagte Kamylk-Pascha aufstehend. Die Sache muß schnell abgethan sein, und es ist besser, wenn unser Schiff ungesehen bleibt....

– Wie Sie befehlen.

– Niemand an Bord weiß, wo wir sind?

– Ich wiederhole Ihnen: Niemand, Excellenz.

– Auch nicht, in welchem Meere?

– Nicht, ob in einem der Alten oder der Neuen Welt. Seit fünfzehn Monaten durchkreuzen wir die Oceane, und in so langer Zeit kann ein Schiff weite Strecken zwischen den Continenten zurücklegen, ohne sich diesen nur zu nähern.«

Kamylk-Pascha und Kapitän Zo stiegen nach der kleinen Ufereinbiegung hinab, wo die Jolle sie erwartete.

Als sie schon einsteigen wollten, sagte der Kapitän:

»Und nach Erreichung Ihres Zweckes hier gedenken Eure Excellenz nach Syrien zu fahren?

– Zunächst ist das meine Absicht nicht. Vor der Heimkehr nach Aleppo möchte ich abwarten, daß die Truppen Ibrahim's die Provinz geräumt haben und das Land unter der Herrschaft Mahmud's seine Ruhe wiedergewonnen hat.

– Sie glauben nicht, daß es jemals mit den Besitzungen des Vicekönigs vereinigt werden könnte?

– Nein, beim Barte des Propheten, nein! rief Kamylk-Pascha, den diese Hypothese aus seinem gewohnten Phlegma aufrüttelte. Daß Syrien für einen Zeitraum, dessen Ende ich zu erleben hoffe, von Mehemet Ali annectiert werden könnte, ist ja möglich, denn Allah's Wege sind wunderbar. Daß es aber niemals wieder unter die dauernde Gewalt des Sultans käme... nein, das kann Allah nicht wollen!

– Wohin denken sich Eure Excellenz dann zurückzuziehen, wenn wir diese Meere verlassen?

– Nirgends... nirgends hin! Da meine Schätze zwischen den Felsen dieses Eilands in Sicherheit sind, mögen sie hier bleiben. Wir, Kapitän Zo, wir segeln weiter umher, wie seit so langer Zeit bis zum heutigen Tage!

– Wie Sie befehlen.«

Nach wenigen Minuten waren die beiden Männer an Bord zurück.

Gegen neun Uhr verschritt der Kapitän zu einer ersten Sonnenbeobachtung zur Bestimmung der Länge, d. h. der Ortszeit – eine Beobachtung, die durch eine zweite, wenn das Gestirn durch den Meridian ging, vervollständigt werden sollte und ihm damit die Breitenlage des Ortes geben würde.

Er ließ sich seinen Sextanten bringen, las die Sonnenhöhe ab und verfuhr, wie er Seiner Excellenz versprochen, bei dieser Aufnahme mit peinlichster Sorgsamkeit. Nach der Niederschrift des Resultats begab sich der Kapitän nach seiner Cabine, um die Berechnung der geographischen Lage des Eilands vorzunehmen.

Vorher hatte er noch Befehl ertheilt, die Schaluppe klar zu machen. Seine Leute sollten die im Raume verstauten drei Fässer in diese schaffen und gleichzeitig Spitzhauen, Schaufeln und eine reichliche Menge Cement mitnehmen.

Noch vor zehn Uhr war alles bereit. Sechs Matrosen nahmen unter Führung des Obersteuermanns in der Schaluppe Platz. Keiner von ihnen hatte die leiseste Vermuthung, was die Fässer enthielten und warum sie in diesem Erdenwinkel vergraben werden sollten. An unbedingten Gehorsam gewöhnt, arbeiteten sie gleich Maschinen, ohne nach dem Warum der Dinge zu fragen.

Kamylk-Pascha und Kapitän Zo setzten sich hinten in der Schaluppe nieder, und schon nach wenigen Ruderschlägen war das Eiland erreicht.

Zunächst handelte es sich nun um die Auswahl einer zur Aushöhlung geeigneten Stelle, die nicht zu niedrig liegen durfte, um dem Wogenanpralle bei den Aequinoctialstürmen entzogen zu bleiben, und nicht zu hoch, um einem Nachstürzen vorzubeugen. Diese Stelle fand sich nahe am Fuße eines steil abfallenden Felsblocks an einem nach Südosten hinausragenden Vorsprunge des Eilands.

Die Leute schifften die Fässer und die Werkzeuge aus. Dann begannen sie den Boden an der betreffenden Stelle zu bearbeiten.

Die Arbeit war schwer genug. Krystallisierter Quarz ist ein sehr harter Körper. Was die Spitzhauen davon absprengten, wurde gesammelt, um die Grube aufzufüllen, wenn die Fässer hineingesenkt waren. Es bedurfte zweier vollen Stunden, um eine Aushöhlung von fünf bis sechs Fuß Länge und gleicher Breite herzustellen – ein wirkliches Grab, worin der Schlummer eines Todten durch kein Sturmeswüthen gestört worden wäre.

Nachdenklich dreinschauend und von schmerzlicher Empfindung erfüllt, hielt sich Kamylk-Pascha etwas beiseite. Vielleicht fragte er sich, ob es für ihn nicht besser sei, sich neben seinen Schätzen gleich selbst zum ewigen Schlafe zu betten. Eine sichrere Zuflucht gegen die Ungerechtigkeit und Bosheit der Menschen hätte er ja nirgends finden können.

Nachdem die Fässer in die Grube hinabgelassen waren, betrachtete Kamylk-Pascha sie zum letzten Male. Seine Haltung dabei war so eigenthümlich, daß Kapitän Zo erwartete, er werde seine Befehle zurücknehmen, auf diese Absicht verzichten und mit seinen Schätzen wieder zu Schiffe gehen.

Doch nein; eine Handwegung bedeutete die Leute, ihre Arbeit fortzusetzen. Dann ließ der Kapitän die drei Fässer sorgsam nebeneinander lagern und durch Quarzbruchstücke, die in hydraulischen Kalk getaucht waren, fest verbinden. Das Ganze bildete bald eine so compacte Masse, wie das Felsengestein des Eilandes selbst. Darauf wurde die Grube vollends bis zum Rande mit durch Cement verkitteten Quarzstücken ausgefüllt. Hatten Wind und Regen dann die Oberfläche abgefegt und abgespült, so war es unmöglich, diese Stelle von ihrer Umgebung zu unterscheiden.

Nun sollte noch ein unzerstörbares Kennzeichen angebracht werden, um die Oertlichkeit genau wieder auffinden zu können. An der hinter der Grube lothrecht aufsteigenden Felsenwand brachte der Obersteuermann mittelst Meißels ein Monogramm an, von dem wir das genaue Facsimile hier wiedergeben:

Das waren verbunden die beiden K aus dem Namen Kamylk-Pascha's, in gleicher Weise, wie sich der Aegypter damit zu unterzeichnen pflegte.

Es lag nun kein Grund vor, den Aufenthalt hier noch auszudehnen. Der Panzerschrank der Grube trug sein Siegel. Wer hätte ihn an dieser Stelle entdecken, wer ihn aus diesem Versteck rauben können? Nein, er war jetzt in Sicherheit, und wenn Kamylk-Pascha und Kapitän Zo ihr Geheimniß mit ins Grab nahmen, so konnte das Ende der Welt herankommen, ohne daß es jemand entschleierte.

Der Obersteuermann ließ seine Leute sich wieder einschiffen, während seine Excellenz und der Kapitän auf einem Uferfelsen zurückblieben. Bald nachher kam die Schaluppe wieder und führte sie nach der Brigg-Goëlette, die unbeweglich vor Anker lag.

Es war jetzt elfdreiviertel Uhr. Am Himmel zeigte sich kein Wölkchen. Nach kaum einer Viertelstunde mußte die Sonne den Meridian erreichen. Der Kapitän ließ den Sextanten wieder holen, um die Mittagshöhe abzulesen. Daraus leitete er die Breitenlage des Ortes ab, deren er sich nun zur Längenbestimmung bediente, indem er den Stundenwinkel unter Zugrundelegung der ersten Beobachtung (um neun Uhr) berechnete. Dadurch erhielt er die Lage des Eilandes so genau, daß ihr höchstens der Fehler von einer halben Seemeile (circa 930 Meter) anhaften konnte.

Nach Beendigung seiner Arbeit wollte er sich eben auf das Deck begeben, als sich die Thüre seiner Cabine öffnete.

Kamylk-Pascha trat herein.

»Hast Du Dein Besteck vollendet? fragte er.

– Ja, Excellenz.

– Gieb es her.«

Der Kapitän reichte ihm ein Blatt Papier mit seinen Berechnungen.

Kamylk-Pascha durchmusterte es so aufmerksam, als wollte er seinem Gedächtniß die Lage des Eilandes einmeißeln.

»Du wirst dieses Papier sorgsamst aufbewahren, ermahnte er den Kapitän. Was aber das Logbuch betrifft, in das Du seit fünfzehn Monaten unsre Fahrten eingetragen hast...

– Das Journal, Excellenz, wird nie jemand zu Gesicht bekommen....

– Und um dessen ganz sicher zu sein, wirst Du es augenblicklich vernichten....

– Wie Sie befehlen, Excellenz.«

Der Kapitän ergriff das Logbuch mit den Aufzeichnungen über die verschiedenen Richtungen, denen die Brigg-Goulette in so vielen Meeren gefolgt war, zerriß es und verbrannte die Stücke an der Flamme einer Schiffslaterne.

Kamylk-Pascha und der Kapitän begaben sich hierauf nach dem Oberdeck und verweilten hier noch einen Theil des Tages.

Gegen fünf Uhr des Nachmittags stiegen am westlichen Horizonte Wolken heraus. Durch die schmalen Risse zwischen denselben schoß die versinkende Sonne ihre Strahlenbündel, die das Meer mit goldnen Flittern bedeckten.

Kapitän Zo erhob den Kopf, wie ein Seemann, dem das kommende Wetter nicht gefällt.

»Excellenz, sagte er, da droht eine tüchtige Brise, wenn nicht gar ein Sturm für die Nacht. Das Eiland bietet uns nicht genug Schutz, und ich möchte, eh' es zu dunkel wird, so ein Dutzend Meilen draußen sein....

– Es hält uns ja nichts mehr zurück, Kapitän, erwiderte Kamylk-Pascha.

– So lichten wir den Anker.

– Noch zum letzten Male: Du hast nicht nöthig, noch einmal die Höhe abzunehmen, um Länge und Breite zu bestimmen?

– Nein, Excellenz, ich bin meiner Sache so sicher wie des Umstandes, daß ich das Kind meiner Mutter bin.

– So fahren wir also ab.

– Nach Ihrem Befehl.«

Sofort wurden die nöthigen Vorbereitungen getroffen. Der Anker löste sich aus dem Grunde und stieg nach dem Krahnbalken hinaus. Die Segel wurden beigesetzt und ein Cours nach West ein Viertel Nord eingeschlagen.

Auf dem Hinterdeck stehend, starrte Kamylk-Pascha nach dem unbekannten Eiland, so lange das Abendlicht dessen Umrisse noch erkennen ließ. Dann verschwand der Felsenhaufen im Nebeldunst. Der reiche Aegypter wußte aber sicher, daß er ihn nach Belieben und gleichzeitig den ihm anvertrauten Schatz wiederfinden konnte, einen Schatz im Werthe von hundert Millionen Francs in Gold, Diamanten und andern Edelsteinen.

Viertes Capitel.

Worin Meister Antifer und der Rheder Gildas Tregomain, zwei einander sehr unähnliche Freunde, dem Leser vorgestellt werden.

Inhaltsverzeichnis

Jeden Sonnabend gegen acht Uhr abends wurde der Meister Antifer, der trotzdem seine kurze Pfeife, mehr einen Stummel, weiter schmauchte, erst blau und eine Stunde später purpurroth vor Ingrimm, nachdem er sich auf Kosten seines Freundes, des Schiffseigners Gildas Tregomain, weidlich ausgetobt hatte. Dieser Zornausbruch kam daher, daß er in einem alten Atlas, von dem eine Karte nach Mercator's planisphärischer Projection entworfen war, etwas nicht finden konnte, was er schon lange suchte.

»Verzwickte Breite!... rief er. Verteufelte Breite! Und wenn sie den Bratofen Belzebubs durchschnitte, ich muß ihr von einem Ende zum andern nachgehen!«

In Erwartung der Ausführung dieses Vorhabens kratzte Meister Antifer die genannte Breitenlinie einstweilen mit dem Fingernagel nach. Die ihm vorliegende Karte war auch mit Bleistiftpunkten übersäet und mit Zirkelstichen wie ein Kaffeesieb durchlöchert.

»24°59' nördl. B.«

so war die Breitenangabe, der Meister Antifer's Wuthausbrüche galten, angegeben auf einem Stück so vergilbtem Pergament, daß es mit einer alten spanischen Flagge hätte rivalisieren können.

Darunter stand, an einer Ecke des Pergaments, mit rother Tinte geschrieben:

»Meinem Jungen ausdrücklich anempfohlen, das niemals zu vergessen.«

Und Meister Antifer rief:

»Keine Angst, braver Mann und Vater, ich habe sie nicht vergessen und werde sie nie vergessen, Deine Breite! Und doch, den Segen meiner drei Taufpathen über mich, wenn ich weiß, wozu das nützen soll!«

An diesem Abend, dem des 23. Februar 1862, überließ sich Meister Antifer seinem gewohnten Wuthausbruche. Die Brust voller Sturm, fluchte er wie ein Mastwächter, dem ein Tau durch die Hände glitt, kante wüthend am Mundstück seiner Pfeife, die zwanzigmal ausging und zwanzigmal wieder in Brand gesetzt wurde, schleuderte den Atlas in einen Winkel, zertrümmerte eine große Muschel, die den Kaminsims schmückte, stieß mit dem Fuße auf, daß die Deckenbalken zitterten und schrie mit einer Stimme, die es gewöhnt war, das Rauschen des Sturmwinds zu übertönen und wobei er sich aus einem Pappstück ein Sprachrohr zusammenbog:

»Nanon!.. Enogate!«

Enogate und Nanon, die eine mit einer Strickarbeit, die andre nahe dem Küchenherde mit dem Plätteisen beschäftigt, hielten es nun für an der Zeit, diesem Aufruhr der häuslichen Elemente einen Dämpfer aufzusetzen.

Der Auftritt spielt in einem jener guten alten Häuser von Saint-Malo, die aus Granit erbaut sind. Seine Façade ist nach der Straße der Hautes-Salles gerichtet. Es besteht aus einem Erdgeschoß nebst zwei Stockwerken, jedes mit zwei Stuben, wovon das obere über den Rundgang auf dem Walle hinausragt Von diesem aus sieht man seine granitnen Mauern, die dick genug sind, den Geschossen früherer Zeit zu widerstehen, seine schmalen, eisenvergitterten Fenster. die massive Thür aus bestem Eichenholz mit Metallbeschlägen und einem Klopfer, den man bis Saint-Servan hört, wenn der Meister Antifer ihn handhabt, und endlich das von Luken durchbrochene Schieferdach, durch das manchmal das lange Fernrohr des in Ruhestand getretenen Seemanns hervorlugt. Dieses Haus, halb Casematte, halb Meierhof, nahe einer Ecke der die Stadt umschließenden Mauern, bietet eine herrliche, weite Aussicht, zur Rechten den Grand-Bey, eine Ecke von Cézembre, die Décolléspitze und das Cap Fréhel, – zur Linken den Hafendamm und den Molo, die Mündung der Rance, den Strand von Prieuré nahe Dinard, und den altersgrauen Dom von Saint-Servan.

Ehemals war Saint-Malo eine Insel, und vielleicht dachte der Meister Antifer mit Bedauern an die Zeit, wo er sich einen Inselbewohner nennen konnte.

Das alte Aaron ist aber einmal eine Halbinsel geworden, und er mußte sich wohl oder übel damit abfinden. Uebrigens hat man alles Recht, stolz zu sein, wenn man ein Kind dieser Stadt Armor's ist, die Frankreich so viele große Männer geschenkt hat, unter andern Duguay-Trouin, dessen Statue unser würdiger Seemann stets begrüßte, wenn er über den Square ging, Lamennais, obwohl dieser Schriftsteller jenen in keiner Weise interessierte, und Chateaubriand, von dem er nur das letzte Werk kannte. Hiermit meinen wir nur dessen bescheidnes und doch stolzes Grabmal auf dem Eiland des Grand-Bey, das den Namen des berühmten Autors trägt.

Der Meister Antifer (Pierre-Servan-Malo) war zur Zeit sechsundvierzig Jahre alt. Seit achtzehn Monaten hatte er sich vom Handwerk mit genügenden Ersparnissen zurückgezogen, um mit den Seinigen wenigstens sorgenlos leben zu können. Einige Tausend Francs Rente hatte ihm seine Dienstleistung auf zwei oder drei von ihm geführten Schiffen abgeworfen, deren Heimathafen stets Saint-Malo gewesen war. Diese Schiffe, dem Hause Le Baillif & Comp. gehörig, dienten der weiteren Küstenfahrt im Canal, in der Nord- und Ostsee und dem Mitteländischen Meere. Bevor er jene hohe Stellung erlangte, hatte sich Meister Antifer schon recht tüchtig in der Welt umgesehen. Eine Theerjacke von altem Schrot und Korn, war er unternehmend, hart gegen sich, wie gegen andre, trat überall schonungslos mit seiner Person ein und war von einer Zähigkeit, die vor keinem Hinderniß zurückbebte, von der Halsstarrigkeit des bretonischen Bretagners. Ob er es bedauerte, das Meer verlassen zu haben?... Wohl nicht, da er es ja im kräftigsten Mannesalter gethan hatte. – Ob seine Gesundheit diesen Entschluß beeinflußt hatte?... Gewiß nicht, denn er schien aus dem reinen Granit der armorikanischen Küsten gemeißelt zu sein.