Merchandise of Power - Felix Brahm - E-Book

Merchandise of Power E-Book

Felix Brahm

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Beschreibung

Waffen sind keine gewöhnlichen Handelsartikel. Als Gewaltmittel ist ihr Transfer stets ein Politikum, sie sind ein »Merchandise of Power«, das Machtverhältnisse verschiebt. Im vorkolonialen Ostafrika wuchs der Handel mit Feuerwaffen und Pulver seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rasant. Felix Brahm rekonstruiert die Geschichte dieses neuen Waffenmarktes und zeigt auf, wie über den Waffenhandel globale und lokale Entwicklungen miteinander verflochten waren. Feuerwaffen wirkten in Ostafrika als Triebkraft eines gewaltvollen Globalisierungsprozesses, vor allem durch ihre Einführung in das Karawanenwesen, das Sklavereigeschäft und die kommerzielle Elefantenjagd. Aufbauend auf vorkolonialen Praktiken, wurde die Kontrolle des Waffenhandels zu einem mächtigen Instrument deutscher und britischer Fremdherrschaft in der Region. Nominiert für die Shortlist des Carl Erdmann Preises 2023

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Felix Brahm

Merchandise of Power

Der Waffenhandel zwischen Europa und Ostafrika (1850–1919)

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Waffen sind keine gewöhnlichen Handelsartikel. Als Gewaltmittel ist ihr Transfer stets ein Politikum, sie sind ein »Merchandise of Power«, das Machtverhältnisse verschiebt. Im vorkolonialen Ostafrika wuchs der Handel mit Feuerwaffen und Pulver seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rasant. Felix Brahm rekonstruiert die Geschichte dieses neuen Waffenmarktes und zeigt auf, wie über den Waffenhandel globale und lokale Entwicklungen miteinander verflochten waren. Feuerwaffen wirkten in Ostafrika als Triebkraft eines gewaltvollen Globalisierungsprozesses, vor allem durch ihre Einführung in das Karawanenwesen, das Sklavereigeschäft und die kommerzielle Elefantenjagd. Aufbauend auf vorkolonialen Praktiken, wurde die Kontrolle des Waffenhandels zu einem mächtigen Instrument deutscher und britischer Fremdherrschaft in der Region.

Vita

Felix Brahm, PD Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld.

Übersicht

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

1.

Einleitung

Feuerwaffen in Afrika: Entwicklung eines Forschungsgegenstands

Gewehre als globales Handelsgut

Technologie und das soziale Leben der Feuerwaffe

Waffengewalt und Waffenkontrolle

Vertrauens- und Loyalitätsbeziehungen

Moralisierung des Waffenhandels

Quellen

Hinweis zu Eigennamen, Maßen und Währungen

2.

Die Entstehung eines neuen Waffenmarktes

2.1

Nordwesteuropa

Technologische Modernisierung und Ausverkauf der Arsenale

Lokale Spezialisierung auf außereuropäische Märkte

2.2

Sansibar

Globalisierung als kommerzielle und politische Strategie

Ausdifferenzierung des Waffenmarktes

2.3

Ostafrikanisches Festland

Verbreitung und Gebrauch von Feuerwaffen

Transformation des Karawanenwesens

Flexibilisierung der Elefantenjagd

Männlichkeiten und Geschlechterverhältnis

Expansion des Sklavenhandels

Zwischenfazit

3.

Politische Herausforderung in vorkolonialer Zeit

3.1

Feuerwaffen und Kriegsführung

3.2

Machtfrage Pulver: Mirambo und der Sultan von Sansibar

3.3

Buganda: Waffenprivileg und das Wissen der Missionare

Zwischenfazit

4.

Akteure des Waffengeschäfts

4.1

Feuerwaffen und Handelsfrontier: Hamed bin Mohamed el Murjebi

Verwandtschaftliche Bande

Waffengeschenke

Feuerwaffen als Droh- und Gewaltmittel

Feuerwaffen und Selbstrepräsentation

Herrschaft im östlichen Kongo

Männliche Kontaktsituationen

Kooperation mit Europäern

4.2

Charles Stokes: Waffenhandel zwischen den Fronten

Vom Missionar zum Waffenhändler

Karawanenführer und Go-Between

Im Dienst der Deutschen

Konfrontation mit Briten und Belgiern

4.3

Justus Strandes: Privater Waffenhandel und koloniale Interessen

Karriere aus der Provinz

Pulverhandel und das Vertrauen des Sultans

Loyalitätskonflikt

Vom Hoflieferanten des Sultans zum Ausrüster des Reichskommissars

Zwischenfazit

5.

Koloniales Waffenregime

5.1

Lokaler Widerstand und imperiale Kooperation

Rebellion an der Küste und Blockade des Waffenimports

Waffenkontrolle und Antisklaverei-Diskurs

Das Brüsseler Abkommen von 1890

5.2

Waffenpolitik und koloniale Gesellschaft

Waffenhandel als Regierungsmonopol

Technologische Herabsetzung und Privilegierung

Maji-Maji – Kugeln zu Wasser!

5.3

Kontinuitäten und Grenzen imperialer Waffenkontrolle

Exkurs: Waffenhandelskontrolle an der Somaliküste

Revision der Brüsseler Akte – vor und nach dem Ersten Weltkrieg

Zwischenfazit

6.

Schlussfazit

7.

Quellen und Literatur

7.1

Archivquellen

7.2

Gedruckte Quellen

7.3

Literatur

7.4

Online-Ressourcen

Abbildungen

Dank

Personenregister

2.Die Entstehung eines neuen Waffenmarktes

Der Waffenhandel globalisierte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts rasant, und Feuerwaffen erreichten nun beinahe alle besiedelten Gebiete der Erde. Diese Entwicklung hatte mehrere Vorbedingungen: zunächst die allgemeine Ausdehnung des Welthandels, die durch eine Verbesserung von Transport- und Kommunikationsmitteln begünstigt und durch die von Großbritannien forcierte Freihandelspolitik angetrieben war. Großbritannien öffnete seine kolonialen Märkte für Drittstaaten und erzwang die Öffnung weiterer außereuropäischer Märkte. In diesem Zuge entstand ein dichtes Netz bilateraler Handelsverträge auf Basis der Meistbegünstigtenklausel.67 Eine dichte Folge von Modernisierungen europäischer und nordamerikanischer Arsenale schuf seit den 1860er Jahren zudem ein großes Angebot an Secondhand-Waffen für den Exporthandel. Das traditionelle Büchsenmachergewerbe richtete sich angesichts einer zunehmenden Industrialisierung militärischer Kleinwaffenproduktion stärker als zuvor auf die Herstellung preisgünstiger Gewehrmodelle für außereuropäische Märkte aus. Zu einer Expansion des globalen Waffenhandels konnte es aber nur kommen, weil zugleich vielerorts auf lokaler Ebene eine steigende Nachfrage nach Feuerwaffen entstand – eine Entwicklung, die es im Fall von Ostafrika zu erforschen gilt.

Möchte man die Globalisierung des Waffenhandels im 19. Jahrhundert verstehen, ist es notwendig, an die Ränder der großen Imperien zu schauen, wo einzelne Orte wie Penang, Singapur und Aden zu bedeutenden Umschlagplätzen avancierten.68 Auch Sansibar, das hier im Mittelpunkt des Interesses steht, entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem weltregionalen Zentrum des Handels mit Feuerwaffen. In den Worten eines Vertreters der Hamburger Kaufmannschaft war Sansibar sogar »fast der hauptsächliche Markt der Welt für alte militärische Feuerwaffen«.69

Am Beispiel Ostafrikas untersucht dieses Kapitel die Entstehung eines neuen weltregionalen Marktes für Feuerwaffen. Es folgt dafür der sich herausbildenden Haupthandelsroute von Nordwesteuropa über Sansibar bis zum ostafrikanischen Festland. Der Fokus liegt zunächst auf den zwei wichtigsten europäischen Produktionsorten von Kleinwaffen, Birmingham und Lüttich (Liège). Im Anschluss richtet sich der Blick auf Sansibar, das sich im Zuge einer gezielten Globalisierungspolitik der omanisch-sansibarischen Sultane zu einem Knotenpunkt entwickelte, an dem Handelsrouten von regionaler und globaler Reichweite in Verbindung traten. Schließlich rückt das ostafrikanische Festland in den Mittelpunkt des Interesses. Hier wird nicht nur die Verbreitung von Feuerwaffen nachvollzogen, sondern auch nach Prozessen der technologischen Aneignung, der Integration von Feuerwaffen in verschiedene Gebrauchskontexte und nach ihrem entstehenden sozialen Leben gefragt. Damit werden Faktoren der Nachfrage herausgearbeitet und zugleich beleuchtet, wie die Verbreitung von Feuerwaffen ökonomische und soziale Beziehungen auf lokaler Ebene beeinflusste.

2.1Nordwesteuropa

Feuerwaffen veränderten sich im Zeitraum dieser Untersuchung stark. Ihr technologischer Wandel war in den Zentren ihrer Produktion in Europa und Nordamerika durch zahlreiche kleine Innovationsschritte geprägt. Die technologischen Prinzipien waren dabei meist schon länger bekannt, vielmehr mussten Schwierigkeiten ihrer Umsetzung gelöst und Anreize zur Investition geschaffen werden. Vor allem die Entwicklung von Feuerwaffen für den militärischen Gebrauch trat in Europa seit dem Krimkrieg (1853–1856) in eine neue Phase ein und war ab den 1860er Jahren von einem regelrechten technologischen arms race zwischen England, Frankreich und Deutschland geprägt. Die wahrgenommene waffentechnische Überlegenheit Preußens durch das Hinterladergewehr löste nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 eine Modernisierungswelle europäischer Militärarsenale aus.70 In produktionstechnischer Hinsicht spielte die Umstellung auf maschinengefertigte, austauschbare Teile eine große Rolle, die zuerst in den USA entwickelt und anschließend in Europa übernommen wurde. Die Herstellung von Jagdgewehren und Prunkwaffen sowie die Produktion für außereuropäische Märkte blieben dagegen Sektoren des herkömmlichen Büchsenmachergewerbes.

Technologische Modernisierung und Ausverkauf der Arsenale

Drei waffentechnische Entwicklungen sind im Rahmen dieser Studie besonders relevant: erstens die Optimierung von Gewehren mit gezogenen Läufen (rifles), bei denen der Gewehrlauf Führungsrillen aufwies. Aufgrund einer (früher) längeren Ladezeit, eines größeren Wartungsbedarfs und höherer Produktionskosten waren gezogene Läufe bis in die 1850er Jahre lediglich bei einigen Jagdgewehrmodellen üblich gewesen. Vorausgesetzt, passende Munition wurde verwendet, erhöhten die neu entwickelten Gewehre mit gezogenem Lauf (wie das »Minié« und das »Enfield Pattern« 1853) gegenüber Musketen mit glattem Lauf (wie das »Brown Bess« und das »Charleville«)71 durch den Drall des Projektils dessen Flugweite und Treffgenauigkeit erheblich. Während Musketen auf etwa 80 bis 100 Meter letale Wunden schlagen konnten, hatten Vorderladergewehre mit gezogenen Läufen eine effektive Reichweite von mindestens 200 Metern. Die neuen Gewehre mit gezogenen Läufen wurden außerdem überwiegend mit Perkussionsschloss versehen, bei denen ein Zündhütchen die Treibladung auslöste.72 Das Perkussionsschloss erwies sich als zuverlässiger als das übliche Steinschloss (Flintlock), bei dem Flintsteine die notwendigen Funken zur Zündung des Pulvers in der Gewehrpfanne schlugen. Mit diesen Entwicklungen wurde das Vorderladergewehr für den militärischen Einsatz optimiert.73

Eine zweite, noch einschneidendere Entwicklung folgte ab den 1860er Jahren74 mit der industriellen Produktion von Hinterladergewehren (Chassepot, Dreyse, Gras, Martini-Henry, Snider-Enfield, Springfield, Mauser 77), das hinter dem Rohr geladen wurde und bei dem Patronen (zunächst Papier- und ab der zweiten Hälfte der 1860er Jahre Metallpatronen) zum Einsatz kamen. Das aufwendige Laden des Gewehres über das Laufende, das selbst bei routinierten Schützen mindestens 15 Sekunden beansprucht hatte, entfiel, und die Patronen enthielten bereits die Geschosse und die passende Menge an Pulver. So konnte eine deutlich höhere Schussfrequenz erzielt und das Nachladen einfacher in knieender oder liegender Position durchgeführt werden, ohne die Deckung aufgeben zu müssen.75 Ein potentieller Nachteil des Hinterladergewehrs lag darin, dass seine Verwendung nur mit den passenden Patronen möglich war. Ging der Nachschub derselben aus, wurde das Gewehr nutzlos – mit losem Pulver und notfalls selbst hergestellten Kugeln konnte ein Hinterladergewehr nicht mehr verwendet werden.

Drittens wurde ab den 1880er Jahren die Schussfrequenz von Hinterladern noch einmal deutlich gesteigert: zunächst im Zuge der Einführung halbautomatischer Repetiergewehre und Revolver (Browning, Lebel, Lee-Enfield, Mannlicher, Mauser, Winchester) und dann noch einmal in dramatischer Weise durch die Weiterentwicklung von Maschinengewehren (Gatling, Maxim, Nordenfelt). Rauchfreies Pulver erhöhte die Reichweite und Sicherheit der Hinterlader- und Maschinengewehre sowie die Beständigkeit ihrer Munition in humidem Klima.

Die Einführung der Perkussionsgewehre mit gezogenen Läufen in den 1850er Jahren sowie die Umstellung auf Hinterladergewehre (besonders zwischen 1866 und 1875) führten jeweils zu einem großen Angebot von Secondhand-Waffen auf dem europäischen und nordamerikanischen Markt – erst von Flintlock-Musketen und dann von Perkussionsgewehren mit gezogenem Lauf. Dass Gewehre aus den Arsenalen für den Export abverkauft wurden, war bis zum Ende des Untersuchungszeitraums eine übliche Praxis, die jedoch kaum erforscht ist.76 Ausgemusterte Waffen wurden zwischen europäischen Ländern sowie zwischen Europa und Nordamerika gehandelt, ihre größten Absatzmärkte entstanden jedoch in Afrika, Lateinamerika und Asien. Ganz überwiegend waren es private Unternehmen, meist Zwischenhändler und Reedereien, die bei Auktionen Bestände von Militärarsenalen en gros aufkauften.77 So erwarben beispielsweise belgische Zwischenhändler 1862 100.000 obsolete österreichische Musketen, um sie in Lüttich überarbeiten zu lassen und auf dem Exportmarkt abzusetzen.78 Die Hamburger Reederei Wm. O’Swald & Co. erwarb nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ausgemusterte französische Springfield-Gewehre US-amerikanischen Ursprungs, um sie in modifizierter Form in Ostafrika zu veräußern.79 In Frankreich gelangten 1893 600.000 ausrangierte Militärgewehre auf den Markt – nach Protesten belgischer Produzenten, die Dumpingpreise befürchteten, wurde diese große Menge obsoleter Waffen in kleineren Tranchen an einzelne Zwischenhändler verkauft.80 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde erstmals eine generelle Beschränkung des Handels mit ausgemusterten Militärwaffen auf internationaler Ebene diskutiert, ein generelles Verbot jedoch verworfen (siehe ausführlich Kap. 5.3).

Wie weiter unten noch beleuchtet wird, produzierten Waffenschmiedewerkstätten in Nordwesteuropa aber seit langem auch Modelle speziell für außereuropäische Märkte. Besonders die Standorte Birmingham und Lüttich stellten Gewehre für den afrikanischen Markt her und hatten mit der Produktion für außereuropäische Märkte ihr Angebot schon früh differenziert; in stärkerem Maße als zuvor verband sich diese Produktion nun aber mit der Überarbeitung ausrangierter Militärgewehre und der Verwendung ihrer Einzelteile.

Auffällig ist, dass die meisten Regionen Afrikas die waffentechnologische Modernisierung Europas und Nordamerikas nur sehr eingeschränkt nachvollzogen – hinsichtlich von Perkussionsgewehren mit gezogenen Läufen teilweise, im Fall Ostafrikas durchaus, hinsichtlich von Hinterladergewehren nur mit wenigen Ausnahmen.81 Ein Grund dafür lag in dem deutlich höheren Preis der neuen Gewehre, bei parallelem Angebot günstiger älterer Modelle. In der Zeitspanne von 1845 bis 1865 rangierte beispielsweise der Preis der in Birmingham hergestellten »African Muskets« zwischen 0,33 und 0,66 £ (ca. 1,65 $ bis 3,30 $).82 Demgegenüber lagen die Preise für neue Militärgewehre deutlich höher: bei 3,18 £ (ca. 15,90 $) für ein Vorderladergewehr mit gezogenem Lauf (Modell 1853) oder 4,42 £ (ca. 22,10 $) für ein Lancaster-Karabiner mit ovaler Bohrung und Bajonett.83 Wie im Folgenden noch gezeigt wird, spielten aber auch andere Gründe eine Rolle, nicht zuletzt die Eignung älterer Technologie in spezifischen lokalen Gebrauchskontexten. In der Kolonialzeit kam dann noch ein weiterer, entscheidender Faktor hinzu: Mit dem Brüsseler Abkommen von 1890 wurde der Handel neuerer Waffensysteme einschließlich Perkussionsgewehre mit gezogenen Läufen sowie Hinterlader und Repetiergewehre, die für die Eroberung kolonialer Gebiete eine militärisch entscheidende Rolle spielten,84 für große Teile des afrikanischen Kontinents grundsätzlich verboten (vgl. Kap. 5.1). Der waffentechnologische Abstand zwischen Europa und Afrika wurde damit auch politisch fixiert.

Lokale Spezialisierung auf außereuropäische Märkte

Während die industrielle Produktion von Gewehren auf der Grundlage austauschbarer Teile seit der Mitte der 1850er Jahre zunahm, konzentrerte sich das traditionelle Büchsenmachergewerbe neben der Herstellung von Jagdgewehren und Prunkwaffen stärker auf die Produktion für außereuropäische Märkte. Diese Entwicklung lässt sich an zwei der wichtigsten europäischen Standorte der Gewehrproduktion, Birmingham in den West Midlands und Lüttich in Wallonien, nachvollziehen.

Birminghams Produktion für außereuropäische Märkte reichte bis ins 17. Jahrhundert zurück. Der Handel von Waffen in Westafrika und die Produktion für die East India Company waren wichtige Faktoren für die Entwicklung des Büchsenmachergewerbes in der Stadt und ihres Umlands.85 Während London vor allem höherpreisige Märkte bediente, produzierte Birmingham preisgünstigere Waffen, was nicht zuletzt durch die vorteilhafte geographische Lage der Stadt für diesen Industriezweig, die Verfügbarkeit günstigerer Arbeitskräfte und die Einführung eines Verlagssystems möglich war.86 Nur in Ausnahmefällen wurden alle Arbeitsschritte der Gewehrproduktion in einer Werkstatt durchgeführt. In der Regel wurden die einzelnen Teile in separaten Werkstätten in Handarbeit produziert; erst danach wurde die Waffe endgefertigt.87 Auch Lüttich produzierte seit dem 17. Jahrhundert speziell für außereuropäische Märkte, sowohl für den Verkauf an Native Americans in Nordamerika als auch für den lateinamerikanischen und den afrikanischen Markt, unter anderem auch im Auftrag der portugiesischen Kolonialmacht.88 Einen starken Aufschwung erlebte die Waffenproduktion im Raum Lüttich nach der Unabhängigkeit Belgiens und im Zuge des Amerikanischen Bürgerkriegs.89

Interessanterweise lässt sich festzustellen, dass beide Standorte, Birmingham und Lüttich, parallel den Schritt zur industriellen Produktion gingen, indem sich einzelne Produzenten zu größeren Unternehmen zusammenschlossen und auf eine maschinenbasierte, standardisierte Produktion umstellten, um Großaufträge des Militärs bedienen zu können.90 Demgegenüber blieb die Herstellung von Musketen für den afrikanischen Markt bis in die 1950er Jahre fast unverändert und mechanisierte sich kaum.91 Man kann insofern von einer Diversifizierung der Produktion am gleichen Standort sprechen, der vor dem Hintergrund einer Auseinanderentwicklung weltregionaler Waffenmärkte zu verstehen ist.

Die traditionellen Büchsenmacher boten für unterschiedliche Weltregionen verschiedene Waffentypen an, wie die Werbeanzeige eines Konsortiums von Büchsenmachern in Lüttich beispielhaft verdeutlicht (Abb. 1).

Abb. 1:Werbeanzeige der Fabrique d’Armes Unies de Liège S.A., 1920er Jahre92

Unterschiede lagen nicht nur im Waffentypus, sondern auch im Preis und der Qualität des verwendeten Rohmaterials: So wurde für Musketen für den afrikanischen Markt in Birmingham regelmäßig eine geringere Eisenqualität für die Läufe, und für die Schäfte ausschließlich günstigeres und eigentlich wenig geeignetes Buchenholz statt des teureren Walnussholzes verwendet.93

Nach Information des Waffenherstellers John Goodman produzierte Birmingham in den 1860er Jahren ca. 100.000 bis 150.000 Gewehre jährlich für den afrikanischen, besonders den westafrikanischen Markt – sogenannte »African Muskets«.94 In Lüttich war der Umfang der Produktion von Waffen speziell für den afrikanischen Markt zunächst deutlich geringer und schwankte in den frühen 1860er Jahren zwischen 13.000 und 55.000 jährlich,95 stieg dann aber nach offizieller Statistik auf über 88.000 produzierte Gewehre (1881) an.96 Für den tatsächlichen Import von Gewehren in Afrika sind diese Zahlen jedoch nur bedingt aussagekräftig, denn erstens wurden nicht nur »African Muskets« in Afrika gehandelt, und zweitens gelangten Gewehre dieser niedrigsten Qualitätsstufe auch auf andere außereuropäische Märkte. Außerdem beruhen die Angaben allein auf den Statistiken der jeweiligen Beschussämter. Grundsätzlich musste in Birmingham wie auch in Lüttich jeder produzierte Gewehrlauf einer Beschussprüfung unterzogen werden. War der Gewehrlauf jedoch importiert oder stammte er von einer ausrangierten Militärwaffe, die bereits über ein Prüfsiegel verfügte, musste der Gewehrlauf nicht zwangsläufig zur erneuten Prüfung vorgelegt werden und gelangte damit auch nicht in die Statistik der Beschussämter.

Dennoch ist klar, dass sich Birmingham mit einer zunehmenden Konkurrenz Lüttichs im afrikanischen Waffengeschäft konfrontiert sah. Insgesamt konnte Lüttich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Anteil am Welthandel mit Kleinwaffen gegenüber englischen Produktionsstätten, die früher einen Weltmarktanteil von über 50 Prozent gehabt hatten, auf bis zu 65 Prozent im Jahr 1907 ausbauen.97 Den Grund dafür sahen Birminghamer Produzenten vor allem darin, dass Lüttich günstiger und flexibler produzieren konnte.98 Zumindest mit Blick auf Ostafrika war dies jedoch nicht der einzige Grund für den höheren Anteil, den Lüttich am dortigen Waffenimportmarkt gewann. Die Produzenten in Lüttich sicherten sich auch dadurch einen Vorteil gegenüber Birmingham, dass sie in stärkerem Maße auf den Umbau ausrangierter Militärgewehre und die Verwendung ihrer Einzelteile setzten.99 Zudem bevorzugten Hamburger Importeure, die in den 1870er Jahren die Marktführerschaft im Waffenimport Ostafrikas übernahmen (vgl. Kap. 2.2), Lüttich gegenüber Birmingham aufgrund der günstigeren Verkehrslage der wallonischen Stadt mit ihrer Anbindung an den Hafen von Antwerpen.

Zugleich ist auch eine stärkere Verflechtung beider Produktionsstandorte festzustellen, als dies manch zeitgenössischem Beobachter lieb war. So übernahmen Waffenschmieden in Lüttich zeitweise sogar britische Regierungsaufträge,100 und Birminghamer Produzenten lieferten in großer Zahl Gewehrläufe, die dann in Lüttich weiterverarbeitet wurden.101 Dies hatte zum einen den Hintergrund günstigerer Produktionskosten in Lüttich, zum anderen war dies für Produzenten in Lüttich eine Möglichkeit, auf legalem Weg Gewehre mit dem auf außereuropäischen Märkten begehrten »Tower«-Prüfsiegel führen zu können.102 Wie noch gezeigt werden soll, waren mit »Tower« gestempelte Gewehre auch in Ostafrika sehr gefragt. Nimmt man die Verwendung von Teilen ausrangierter Militärgewehre hinzu, lässt sich bei der Mehrzahl der Gewehre, die den afrikanischen Markt erreichten, kaum von einem einzelnen Herkunftsort sprechen – allenfalls von einem Ort, an dem diese aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt oder modifiziert wurden.

2.2Sansibar

Globalisierung als kommerzielle und politische Strategie

Die Ostküste Afrikas stand schon seit dem Altertum in engem wirtschaftlichen Kontakt mit Anrainerregionen des Indischen Ozeans.103 Die Handelsbeziehungen wurden – und werden bis heute – durch Monsunwinde begünstigt, die zweimal im Jahr die Richtung wechseln. Dies ermöglichte schon früh einen transregionalen Küstenhandel und erleichterte später auch die überseeische Schifffahrt.104

Im 19. Jahrhundert erlangte das Sultanat Sansibar eine politische Vormachtstellung an der ostafrikanischen Küste, und Sansibar-Stadt avancierte zur Drehscheibe des expandierenden Fernhandels der Region. Dies war das Ergebnis einer längeren Entwicklung: Dem Sultanat von Oman war es im späten 17. Jahrhundert gelungen, die Portugiesen an der ostafrikanischen Küste in südliche Richtung zurückzudrängen – die ostafrikanischen Stadtstaaten, die von omanischen Gouverneuren verwaltet wurden, erlangten in der Folgezeit jedoch weitgehende Unabhängigkeit. Erst im frühen 19. Jahrhundert unternahm der omanische Sultan Said bin Sultan den Versuch, die Region wieder unter hegemoniale Kontrolle zu bringen.105 Sansibar diente ihm als Stützpunkt der Wiedereroberung. Der sansibarische Archipel mit seiner Hauptinsel Unguja bot hierfür geographische und topographische Vorteile: eine schützende Insellage, geringe Distanz zum Festland, natürliche Anlandemöglichkeiten und eine gute Trinkwasserversorgung.106 Ab den späten 1820er Jahren hielt sich Said bin Sultan immer häufiger in Sansibar auf und verlegte 1840 sogar seinen Regierungssitz von Muscat hierher. Die Herrschaft Saids in Ostafrika erstreckte sich vor allem auf die Küstenstädte, in die er Statthalter (wālī, Swahili: liwali) einsetzte. Nach seinem Tod 1856 wurde Sansibar durch Reichsteilung zu einem eigenen Sultanat unter der Führung der Al-Said-Dynastie, blieb Muscat gegenüber aber noch subsidienpflichtig.107

Die Politik Saids bin Sultan in Ostafrika stand in engem Zusammenhang mit der britischen Imperialpolitik. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten die Briten ihre Herrschaft auf dem indischen Subkontinent ausgedehnt, und nach den Napoleonischen Kriegen war Großbritannien zur stärksten Seemacht im Indischen Ozean aufgestiegen. Auch auf der Arabischen Halbinsel übten die Briten zunehmend Einfluss aus. Der politischen Bevormundung und der Abhängigkeit vom britisch dominierten Handel mit Indien zu entgehen, können als maßgebliche Beweggründe Saids bin Sultan gelten, seinen politischen und kommerziellen Aktionsraum an die ostafrikanische Küste zu verlagern, also an die Peripherie der britischen Einflusszone.108

Dort versprach vor allem der Fernhandel mit Elfenbein und Kopal109 kommerziellen Gewinn, und obendrein eigneten sich die Inseln des sansibarischen Archipels zur Kultivierung von Kokospalmen, Nelken und anderer cash crops. Said und seine Nachfolger Majid bin Said (1856–1870) und Barghash bin Said (1870–1888) beförderten gezielt die Ausdehnung der Handelsbeziehungen Sansibars über den Indischen Ozean hinaus. Mit der Globalisierung des ostafrikanischen Handels bot sich für sie die Möglichkeit, durch die Erhebung von Importzöllen an dem sich verdichtenden Welthandel teilzuhaben. Wie später noch deutlich wird (vgl. Kap. 4.3), versuchten die Sultane über ihre Handelskontakte außerdem, politische Beziehungen zu konkurrierenden Mächten des britischen Empires aufzubauen.

Said bin Sultan begann bereits in den 1830er Jahren damit, Sansibar-Stadt als Fernhandelsort auszubauen. Er tolerierte die Ausübung fremder Konfessionen und war darum bemüht, Rechtssicherheit für ausländische Kaufleute zu schaffen. Fernhändler mussten in Sansibar keinen Ausfuhrzoll entrichten, und bald entfielen Hafen- und Liegegebühren. Nach Abschluss eines Handels- und Freundschaftsvertrags lag der Einfuhrzoll für Kaufleute der meistbegünstigten Nationen bei pauschal 5 Prozent. Den ersten dieser Verträge schloss der Sultan 1833 mit den USA ab, es folgten 1839 und 1844 Verträge mit England respektive Frankreich sowie 1859 mit den deutschen Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck.110

Die Handels- und Freundschaftsverträge ermächtigten die unterzeichnenden Staaten auch dazu, Konsulate einzurichten, und sicherten ihren Untertanen das Recht auf Erwerb von Eigentum zu. Allerdings durften Handelsniederlassungen nur in Sansibar selbst eröffnet werden, nicht an der Festlandküste, wo Europäern und Amerikanern ein direkter Fernhandel mit den einträglichsten Exportartikeln untersagt blieb. Der Sultan etablierte Monopole unter anderem auf Elfenbein und Kopal, was bedeutete, dass diese Waren über den Hafen von Sansibar laufen mussten und dabei eine festgelegte Abgabe fällig wurde. Die Handelsbedingungen in Sansibar blieben dennoch so attraktiv, dass sich hier neben arabischen, persischen und indischen in den folgenden Jahrzehnten auch US-amerikanische, französische, britische und deutsche Kaufleute niederließen.111 In Sansibar-Stadt entstand ein überwiegend aus Stein gebautes Ausländerviertel.112

Dem Umzug des Hofes Saids bin Sultan nach Sansibar folgend, etablierte sich auf den Hauptinseln Unguja und Pemba ab den 1840er Jahren eine landbesitzende omanisch-sansibarische Oberschicht, die sich auf die Plantagenproduktion von cash crops, vor allem Nelken und Kokos, spezialisierte. Der große Bedarf an Arbeitskräften auf den sansibarischen Plantagen wurde durch Versklavte gedeckt, die überwiegend aus dem Gebiet der afrikanischen Großen Seen nach Sansibar verschleppt wurden.113 Auch Lastentransporte wurden von versklavten Arbeitskräften durchgeführt und in wohlhabenden Häusern war es üblich, Sklaven als Hausdienerschaft einzusetzen. Auch die europäischen Faktoreien in Sansibar nutzten die Arbeitskraft von Versklavten, indem sie diese von ihren Besitzern mieteten.114 Während der Besitz von Sklaven für Untertanen des Sultans erlaubt blieb, war der Sklavenhandel durch britische Verträge mit dem Sultan in mehreren Schritten beschränkt und bereits 1845 auf einen schmalen Korridor zwischen der Küste und Sansibar begrenzt worden. Allerdings setzten die Briten ihre Abolitionspolitik in der Region erst ab den 1860er Jahren auch tatsächlich um – auf Praktiken der Sklavenhandelskontrolle baute (wie später in Kap. 5.1 noch gezeigt wird) auch die interimperiale Kontrolle der Waffeneinfuhr auf. 1873 wurde der seewärtige Sklavenhandel in der Region durch einen britisch-sansibarischen Vertrag vollständig untersagt.115

In Konkurrenz zum sansibarischen Fernhandel stand jener im portugiesischen Mosambik, der jedoch aufgrund politischer Unruhen auf dem Festland seit den 1810er Jahren an Bedeutung verloren hatte.116 Demgegenüber stieg die Handelstätigkeit in Sansibar in den späten 1850er Jahren stark an117 und hatte im Jahr 1860 einen geschätzten Gesamtwert der Ein- und Ausfuhren von 4.000.000 $. Nach einem kurzzeitigen Einbruch des Handels infolge des Amerikanischen Bürgerkriegs und der Nachfolgekonflikte um die Herrschaft in Unyanyembe erholte sich dieser rasch wieder, und europäische, besonders hamburgische Kaufleute übernahmen dauerhaft größere Anteile des sansibarischen Fernhandels von den US-Amerikanern.118 Den europäischen Handel begünstigte auch die Eröffnung des Suezkanals 1869, mit der sich die Reisezeit zwischen Europa und Ostafrika von etwa drei auf anderthalb Monate verkürzte. Zur gleichen Zeit wurde Ostafrika in die ersten regelmäßigen Liniendienste mit Dampfschiffen integriert, was neue Möglichkeiten für den Stückguttransport eröffnete und auch die Kommunikation beschleunigte.119

Zu den wichtigsten Exportgütern Sansibars gehörten Elfenbein, Kopal, Nelken, Kauris, Orseille, Häute (sowohl von Rindern als auch von Wildtieren), Kopra, Sesamsaat, Sisal, Tropenholz und Zucker.120 Der Großteil dieser Produkte stammte aus Sansibar sowie den küstennahen Gebieten des Festlandes. Die wichtigste Ausnahme hiervon bildete das Elfenbein: Um profitabel zu bleiben, musste es in wechselnden, teilweise weit im Inland liegenden Regionen Ost- und Zentralafrikas erworben werden.121 Der hohe Preis für das ostafrikanische Elfenbein auf dem Weltmarkt war neben der Nachfrage an versklavten Arbeitskräften an der Küste der wichtigste ökonomische Faktor für die Expansion des Karawanenwesens in Ostafrika.

Den ostafrikanischen Import dominierten Baumwolltextilien, Glasperlen, Gewehre und Pulver, Messingdraht, Roheisen sowie ein breites Sortiment diverser Manufakturwaren. Die meisten dieser Güter waren sowohl in küstennahen Regionen als auch im Landesinneren Ostafrikas gefragt. Die Importwaren gelangten vor allem aus Indien, Nordamerika und Europa nach Sansibar, wobei der Anteil des europäischen Imports nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg deutlich anstieg, und in den 1870er Jahren gewann das norddeutsche Hamburg eine führende Position im sansibarischen Importgeschäft.122 Feuerwaffen und Pulver rangierten unter den Importgütern nach Wert häufig an dritter Stelle – unabhängig von ihrer noch zu schildernden strukturellen Bedeutung für das Karawanenwesen und die Elefantenjagd (vgl. Kap. 2.3) waren sie damit auch von unmittelbarem kommerziellem Interesse für die Importeure.

Der Sultan von Sansibar baute eine eigene militärische und zivile Flotte auf, und seinen Seglern war es möglich, Ziele in Nordamerika und Europa anzulaufen. Die gelegentlichen Fahrten dorthin, wie in den Jahren um 1840 nach New York und London und später nach Marseille und Hamburg, dienten politischen und kommerziellen Interessen,123 blieben ökonomisch jedoch wenig bedeutend. Besonders Barghash bin Said verfolgte in den späten 1870er und 1880er Jahren eine prestigeträchtige Modernisierungspolitik, zu der nicht nur eine Erweiterung seiner Handelsflotte um Dampfschiffe und eine Vergrößerung von Armee und Polizei gehörten, sondern auch Infrastrukturprojekte, vor allem in Sansibar-Stadt: Elektrifizierung, Gasbeleuchtung und Wasserversorgung sowie ein Ausbau des Transport- und Fernmeldewesens.124 Als Vorbild dürfte Barghash die Modernisierungspolitik der ägyptischen Khediven sowie die städtebaulichen Maßnahmen in Bombay gedient haben, die er aus seiner Exilzeit während der Regentschaft seines Bruders Majid kannte. Die Modernisierungspolitik Barghashs führte zu einer weiteren Steigerung europäischer Importe, besonders aus Deutschland.125

Infolge der kolonialen Herrschaftsetablierung der Briten und Deutschen in der Region Ende der 1880er Jahre, in deren Zuge Sansibar zum britischen Protektorat wurde, verlor Sansibar seine herausragende Stellung als Hauptumschlagplatz des ostafrikanischen Fernhandels. Sansibar-Stadt blieb zwar ein bedeutender regionaler Handelsplatz, doch den Kolonialverwaltungen Deutsch- und Britisch-Ostafrikas gelang es, den Fernhandel weitgehend nach Dar es Salaam respektive Mombasa umzulenken, die zu Tiefwasserhäfen ausgebaut wurden.

Doch zunächst entstand, begünstigt durch die Politik des Sultans, in Sansibar ein Knotenpunkt des globalen Handels, der Migranten aus vier Kontinenten anzog: Kaufleute aus Indien, Arabien, Persien, Europa und Nordamerika ebenso wie Plantagenbesitzer aus dem Oman, Karawanenunternehmer, Schiffsführer und Träger vom ostafrikanischen Festland und Kleinunternehmer und Arbeitssuchende aus Madagaskar und von den Komoren.126 Fragt man nach der kommerziellen Interaktion dieser Marktteilnehmer sehr unterschiedlicher Herkunft, ist auffällig, dass lediglich die Gruppe der indischen Kaufleute mit allen anderen in direktem Kontakt stand.127

Kaufleute indischer Herkunft waren bereits seit mehreren Jahrhunderten in Ostafrika aktiv, begannen allerdings erst im 19. Jahrhundert, sich hier auch dauerhaft niederzulassen.128