Meredith - Christine Swientek - E-Book

Meredith E-Book

Christine Swientek

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Beschreibung

Meredith verlässt Europa, um sich an der Seite eines ihr kaum vertrauten Mannes ein neues Leben aufzubauen. Während der Überfahrt versucht sie, ihr bisheriges Leben mit Höhen und Tiefen in einem Tagebuch zu ordnen. Die Angst, in der neuen Heimat auch nach 30 Jahren noch wiedererkannt zu werden, bestimmt ihren Alltag. Ihr Fall ging damals mit Foto durch alle Medien. Trotz ihres neuen Künstlernamens ist sie für einen Menschen präsent. Der Hass verbindet beide. Sie hat mit dem Feuer gespielt und sich geoutet. Als nach Jahren eine Email eintrifft, die den Besuch ankündigt, muss sie handeln, um noch Zukunft zu haben. Ihr mörderischer Plan gelingt, aber das Schicksal lässt nicht mit sich spielen. Erzählt wird die Geschichte einer Frau, die Opfer und Täterin zugleich ist und deren traumatische familiäre Vorgeschichte ihr ganzes Leben prägt. Christine Swientek, erfolgreiche Autorin zahlreicher Sachbücher zu Frauenthemen (Adoption, abgebende Mütter, Alleinerziehende, Selbstmord, Alter u. a.), legt mit 'Meredith' ihren ersten Roman vor.

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Fordre niemand mein Schicksal zu hören

Roman

„Fordre niemand mein Schicksal zu hören …“

(Anfang eines Liedes aus dem Singspiel „Der alte Feldherr“ von Karl von Holtei, 1826). Büchmann: Geflügelte Worte, 2005, Nr. 185)

Inhaltsverzeichnis

I. Anne und Zorro

II. Meredith

III. Auf See

IV. Anne und Sophie

V. Gyula

I. Anne und Zorro

„Was ist denn überhaupt passiert?“ schrie Anne. „Was stellt ihr euch alle so an?“

„Was alles passiert ist, wird dir Herr Gebhardt später in aller Ruhe erzählen. Erstmal brauchen wir deine Version, und wir brauchen deine Kleidung.“

„Ich mache nichts mit, wenn ich nicht endlich erfahre, was los ist. Ich bin doch kein Stück Holz.“

„Nein, das bist du nicht, Anne. Also in groben Zügen. Ihr habt Fasching gefeiert, und diese Feier ist aus dem Ruder gelaufen. Drei Schüler blieben verschwunden und eine ist nach Tagen zurück. Du. Darüber sind wir froh und dankbar. Du warst vier Tage fort, und wir müssen wissen, wo du in dieser Zeit warst und was passiert ist. Deshalb sind wir beide hier, Frau Kriminalkommissarin Anklam und ich. Ich bin Ina Petersen. Ich arbeite bei der Polizei als Psychologin.“

„Was für ein Trara. Wer fehlt denn noch außer mir? Ich bin ja jetzt da, aber wer sind die beiden anderen?“

Die Frauen wechselten einen Blick und nickten sich zu.

„Noah aus der 13. und Miriam aus der 7.“

„Miri? Dieses kleine geile Flittchen? Ich glaub's nicht.“

„Wieso nennst du sie so?“

„Weil sie das ist. Schmeißt sich an jeden Mann ran, egal wie alt er ist und wie er aussieht. Fragen sie mal die Lehrer hier.

Die wissen schon gar nicht mehr, wo sie hinsehen sollen.

Und all die Schüler. Manche greifen zu und machen sich ihren Spaß mit ihr und manche drehen schon bei, wenn sie sie nur aus der Ferne sehen.“

„Und Noah?“

„Noah? Das ist einer der Vernünftigen. Einer der Großen.

Ist auch Sprecher. Ich weiß nicht, ob Miri sich an den rangetraut hat. Der hat so eine natürliche Abwehr gegen all die Weiber hier.“

„Hat er eine Freundin?“

„Hier im Internat nicht. Jedenfalls soweit ich weiß. Aber alles weiß man ja doch nicht. Der Park ist groß.“

Sie schwiegen.

„Anne, wir haben ein Band mitlaufen. Du hast es vielleicht schon gemerkt.“

„Nee, hab' ich nicht. Dürfen Sie das denn?“

„Wir dürfen es nicht nur, wir müssen es sogar. Wir müssen möglicherweise Straftaten aufklären, und da kommt es auf Genauigkeit an.“

„Okay. Und was passiert nun? Wo sind wir hier überhaupt?“

„Das ist eines der Besprechungszimmer im Neubau des Internats. Das steht uns zur Verfügung, so lange ...“

„So lange was?“

„So lange alles klar und deutlich verläuft.“

„Und wenn nicht?“

„Anne, das hier ist für uns ein Notbehelf. Deinetwegen.

Normalerweise würden wir diese Gespräche bei uns auf der Dienststelle führen.“

„Bei den Bullen? Ay, ist ja geil.“

„Daran ist nichts geil. Und wir sind keine Bullen, sondern Beamte, die hier sind um zu klären, was passiert ist und um möglicherweise weitere Schäden zu verhindern.“

„Entschuldigung. Gut. Aber was nun?“

„Als erstes möchte ich von dir wissen, wo du jetzt gerade herkommst.“

„Jetzt? Aus dem Wald.“

Die Kommissarin lachte. „So siehst du aber nicht aus.“

Anna sah an sich herunter, strich sich über die Kleidung und murmelte: „Stimmt. Alles sauber.“

Die Kommissarin hatte Annes irritierten Blick gesehen und fragte: „Sind das deine Sachen, die du da anhast?“

„Nein. Kenne ich nicht.“

Die beiden Frauen tauschten einen Blick. Ina machte Notizen.

„Du kommst also aus dem Wald. Aus welchem? Wo liegt er?“

Anne war verwirrt. In ihrem Gehirn schien es zu funken und zu flackern.

„Kann ich bitte etwas zu trinken haben? Dann kann ich mich besser konzentrieren.“

Sie bekam ein Glas und eine Flasche Wasser hingestellt. Sie machte einen geistesabwesenden Eindruck.

Ina schenkte das Glas voll und stellte die Flasche in das Waschbecken.

Anne trank gierig. „Noch mehr, bitte“, sagte sie. „Ich habe heute noch nichts getrunken.“

„Gut so? Also du kamst aus dem Wald. Bitte erzähle davon.

Wir wissen nur, dass du hier in der Einfahrt aufgetaucht bist.“

Anne überlegte und schüttelte sich. „Ich bin aufgewacht, weil ich fror. Ich lag unter Bäumen auf einer Wolldecke. Ich wusste nicht, wo ich bin. Und ich wusste auch nicht, wie ich dahingekommen war.“

„Hhm, und dann?“

„Neben mir lag eine weiße Plastiktüte. Die da!“ Sie zeigte neben die Tür. „Darin waren meine Faschingssachen.

Obendrauf ein Apfel und ein eingewickeltes Sandwich. Das habe ich beides gleich gegessen.“

„Wo sind die Reste?“

„Den Apfelgriebsch habe ich unter die Bäume geworfen, und die Folie habe ich zerknautscht in die Tüte gelegt.“

„Und danach?“

„Ich habe versucht, mich zu orientieren. Wald sieht ja überall egal aus. Entfernt hörte ich Autos fahren und bin in diese Richtung gegangen. Dann hörte ich Stimmen und dachte, dort kann man mir helfen.“

„Hattest du Schmerzen?“

„Schmerzen? Nee, wieso? Ich hab‘ nur gefroren.“

„Woher kamen die Stimmen?“

„Von einem Rastplatz. Also so ein Parkplatz neben der Straße. Dort standen ein paar Tische und Bänke und Papierkörbe. Da saß ein altes Ehepaar, das sich laut unterhielt und an einem anderen Tisch saß eine Frau allein. Die frühstückte. Ich habe mich an den Nebentisch gesetzt und überlegt, wie ich ein Gespräch anfangen soll.“

„An was für ein Gespräch dachtest du?“

„Ich wollte Hilfe. Und ich wollte wissen, wo ich bin und wie ich da wegkomme.“

„Und?“

„Sie hat angefangen. Sie hat gesagt, ich sähe recht verfroren aus, ob ich einen Schluck heißen Kaffee wolle. Sie hat mir aus ihrer Thermoskanne Kaffee in den Becher gegossen. Der war mit Milch, was ich nicht mag. Aber schön warm. Dann hat sie mich gefragt, woher ich gerade käme. Ich habe gesagt, dass ich mich beim Joggen im Wald verlaufen hätte, bis ich dann die Stimmen vom anderen Tisch gehört habe.

Und sie fragte noch, wo ich hinwolle, hier sei doch nichts.“

Anne schluckte.

„Wie lange bist du vom Aufwachen bis zur Parkbucht gegangen?“

„Keine Ahnung. Ich hab‘ doch keine Uhr!“ Dann schrie sie auf. „Wo ist mein Smartphone? Wo ist das? Wo hab‘ ich es verloren?“ Sie schluchzte.

„Dein Handy haben wir in der Villa gefunden. Wir haben es sichergestellt. Du bekommst es zurück, jetzt, wo du ja wieder da bist.“

Anne war fassungslos. „Was haben Sie damit gemacht. Sie haben kein Recht ...“

„Anne!“ Die Stimme der Kommissarin war scharf. „Du kannst sicher sein, dass wir unsere und deine Rechte kennen. Du warst weg. Du wurdest mehrere Tage vermisst.

Wir haben alle Daten ausgelesen, um Hinweise auf deinen Verbleib zu bekommen.“

Anne schluchzte.

„Alles ist in Ordnung“, sagte Ina. „Wir müssen in so einem Fall alle Möglichkeiten ausschöpfen. Ja, wir haben alles gelesen. Sei sicher, wir kennen die Kommunikation von Jugendlichen.“

„Anne, zurück zur Straße. Wie ging es mit der Frau weiter?“

„Sie hat mich gefragt, wo ich hinwolle, wo ich wohne und so. Und sie hat angeboten, mich mitzunehmen, wenn sie die gleiche Richtung hätte.“

„Hatte sie?“

„Ja, sie hat erst gesagt, sie könne mich bis zum Internat fahren, aber zwischendurch sah sie auf die Uhr und rief, sie sei schon zu spät, sie habe nicht aufgepasst, sie müsse sich beeilen, sie würde mich an der Abzweigung absetzen. Also unsere Straße hier vorne. Und dann stieg sie ins Gas. Vorher hatten wir ziemlich gebummelt.“

„Sie hat dich also hier oben abgesetzt? In welche Richtung fuhr sie weiter?“

Anne sah sie fragend an. „Also weiter. So wie wir gekommen sind.“

„Gut. Als du ausgestiegen bist, bist du dann gleich in unsere Straße eingebogen oder hast du den Fahrdamm überquert?“

„Ich bin erst mal über die Straße. Das weiß ich, weil ich warten musste, bis zwei Autos vorbei waren.“

„Gut, wie lange seid ihr etwa unterwegs gewesen?“

„Das weiß ich nicht. Erst gebummelt und dann gerast, und wir haben uns unterhalten.“

„Worüber?“

„Übers Internat. Ob es mir gefällt. Warum ich nicht bei den Eltern wohne. In welcher Klasse ich bin – kann ich bitte noch Wasser haben? – welches meine Lieblingsfächer sind, wie meine Zensuren sind. Na ja, alles was Erwachsene eben so fragen. Wenn man Schüler ist, fällt ihnen doch nichts Anderes ein.“

„Was war es für ein Wagen?“

„Ich glaube, ein Golf. Aber ich kenn' mich nicht so aus in dieser Billigklasse.“

Die beiden Frauen tauschten einen Blick. Ina schrieb.

„Welche Farbe?“

„Grau. Schmutziggrau.“

„Erzähl bitte, wie die Frau aussah.“

„Ist das denn wichtig?“

„Anne, was wir fragen, kann alles wichtig sein. Aber vielleicht auch nicht. Das wissen wir vorher nicht. Zehn Prozent kann man gebrauchen, neunzig Prozent kann man verwerfen. Also, wie sah sie aus? Beschreib sie so genau du kannst.“

„Also, sie hatte ein echt geiles Teil an. Eine Jacke, Blouson.

Ganz bunt. Wie aus lauter bunten Stoffquadraten zusammengesetzt. Reißverschluss, Bündchen alle schwarz.“

„Oh, da hast du aber genau hingesehen.“

„Ja, ich dachte, das muss ich mir merken. So einen will ich auch. Schwarze Jeans, Schuhe weiß ich nicht.“

„Und alles außer Kleidung?“

„Außer? Ach so. Sie hatte dunkle Haare, kurz, und eine runde Brille. Augen hab‘ ich nicht drauf geachtet.“

„War sie geschminkt? Trug sie Schmuck?“

„Ja, Lippenstift. Ziemlich rot. Schmuck habe ich nicht gesehen, der Blouson war bis oben zu.“

„Ringe?“

„Ringe … links hatte sie einen goldenen Doppelring, ohne Stein.“

„Doppelring? Meinst du Witwenring?“

„Keine Ahnung, habe ich noch nie gehört.“

„Ihre Stimme?“

„Stimme? Normal. So wie Sie beide. Ich meine, nicht so kreischig wie meine Mutter. Ach ja, sie lutschte ständig Eukalyptusbonbons. Die kenne ich. Die kann ich nicht ausstehen.

Die gab es früher bei uns bei Erkältung und Halsweh.“

„Sieh mal, wir haben hier eine Straßenkarte. Vielleicht hilft die uns weiter.“

„Wieso das denn? Glauben Sie, die Frau hat mich entführt?“

„Hat sie? Nein, Anne, wir wollen herausfinden, wo sie dich aufgesammelt hat. Dann können wir feststellen, wo du im Wald ausgesetzt worden bist und was da in der Nähe ist.“

„Ausgesetzt? Ich glaub' ich spinne.“

„Du glaubst, dass wir spinnen. Mag sein. Aber dann sag uns mal bitte, wie du dort auf die Decke unter den Bäumen gekommen bist. Apropos Decke, wo ist die?“

„Die hab‘ ich zusammengelegt und in die Plastiktüte getan.“

„Gut, das sehen wir uns gleich an. Also: Hier ist das Internat, hier die kleine Straße dran vorbei, die hier an diesem Gehöft endet. Klar?“

Anne nickte.

„Dann haben wir hier die Abzweigung, an der die Frau dich rausgelassen hat. Du sagst, dass du den Fahrdamm nach dem Aussteigen überquert hast. Ja?“

„Ja, ist so.“

„Gut, dann ist sie in diese Richtung weitergefahren, zur Stadt also, und ihr seid aus dieser Richtung gekommen.

Dann brauchen wir nur zu sehen, wo es Parkbuchten mit Bänken gibt. So viele werden es hier in der Gegend nicht sein.“

Die Kommissarin fuhr langsam mit einem Stift die Straße entlang, die beiden anderen beugten sich über die Karte.

„Hier ist nix und nix“, sagte die Kommissarin. „Kann es sein, dass ihr länger als eine halbe Stunde gefahren seid?“

„Kann sein.“

„Länger als eine Stunde?“

„Weiß ich nicht.“

„Hier ist achtzig erlaubt. Erst ist sie gebummelt, vielleicht fünfzig, denn ist sie gerast, also achtzig oder mehr. Durchschnitt? Bei einer Stunde? Sechzig Kilometer entfernt?“

Sie fuhr langsam mit dem Stift weiter. „Hier ist eine. Aber die liegt an der falschen Straßenseite. Oder habt ihr auf dem Weg zum Auto die Straße überquert?“

Anne schüttelte den Kopf.

„Hier! Da ist die nächste. Gib mir mal bitte die Lupe. Erlengrund. Hast du das schon mal gehört?“

„Nein.“

„Das sind etwa sechzig Kilometer bis zur Abzweigung.

Und die nächste?“

„Die liegen meistens fünfzig Kilometer voneinander entfernt“, sagte Ina. „Jedenfalls hier in dieser Gegend. Hier ist ja schon Ausflugsverkehr.“

„Ich hab‘ sie. Ja, vielleicht nochmal fünfzig oder sechzig Kilometer. Sieh mal, Anne, hier ist die eine, da die andere und von der aus müsstet ihr über eine Stunde unterwegs gewesen sein bei Eurem Tempo. Kommt das hin?“

„Ich weiß nicht. Kann sein. Ich habe ohne mein Smartphone einfach kein Zeitgefühl.“

„Was hat das mit dem Smartphone zu tun?“

„Na, da guckt man doch ständig drauf. Im Unterricht, beim Sport, beim Laufen ...“

„O je“, sagte die Kommissarin, und Ina lachte.

„Das haben wir jetzt alles vermerkt. Überleg mal bitte, was dir sonst noch zum Wald, zu der Parkbucht, der Frau, dem Auto einfällt.“

„Sie hatte ein gutes Parfüm. Und am Handschuhfach pappte so eine blöde Christophorus-Plakette. Rund, silbern, wie alle. Als ob es was hilft, wenn man fährt wie gesengte Sau.“

„Stimmt. Kannst du das Parfüm benennen?“

„Nein, kenne ich nicht. So eines hatte meine Mutter noch nicht. Die mag eher das schrille.“

„Wenn dir noch was einfällt ...“

„Was interessiert Sie denn so an dieser Frau?“

„Sie ist die Erste, die dich sozusagen lebend nach vier Tagen wiedergesehen hat. Vielleicht hat sie uns noch Beobachtungen mitzuteilen? Wir werden versuchen, sie zu finden. Hast du auf das Autokennzeichen geachtet?“

„Wie denn, wenn man an der Seite ein und aussteigt?“

„Du hast recht, Anne, aber bitte versuche, einen anderen Ton anzuschlagen. Wir sind auf deiner Seite. Wir müssen etwas aufklären, wovon wir nicht wissen, was es ist. Auf alle Fälle bei dir die Entführung. Und zwei Menschen fehlen uns noch.“

Anne lachte schrill: „Wieso Entführung? Woher wollen Sie das denn wissen? Sie haben mich ja noch gar nicht gefragt.“

„Du hast wieder recht. Aber wir sagen dir jetzt erst mal, wie wir weiter verfahren. Wir bitten dich, deine Garderobe zu wechseln. Deine eigene liegt da hinten auf dem Stuhl. Deine Hausmutter hat sie herausgesucht. Alles, was du anhast, ziehst du aus und legst es auf die Folie auf dem großen Tisch. Wir werden jedes Teil einzeln in speziellen Beuteln verschließen. Sie kommen in die Kriminaltechnik. Und wir fahren jetzt gleich zu Frau Dr. Kaufmann in die Praxis. Sie ist Gynäkologin. Sie wird dich untersuchen.“

„Wie bitte? Was soll ich? Mich ausziehen? Hier? Und was soll ich bei einer Gynäkologin? Meine Mutter würde das nie erlauben.“

„Deine Mutter weiß Bescheid. Hast du schon mal was von Spurensicherung gehört? Siehst du, das machen wir im Moment. Die Kleidung, woher stammt sie, wer hat sie angefasst? Und die Frauenärztin muss untersuchen, was … was dir passiert ist.“

„Mir ist nichts passiert. Ich will das nicht. Sie können mich nicht zwingen! Wir leben in einer Demokratie!“

Anne heulte laut.

„Doch, Anne, wir können dich leider zwingen. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Wenn du hier nicht mitspielst, bringen wir dich wegen der Kleider auf unser Kommissariat und zur Untersuchung in die Universitätsklinik. Notfalls kriegst du eine Beruhigungsspritze.“

Anne schrie auf.

„Beruhige dich. Hier ist so ziemlich alles schiefgelaufen, Anne“, sagte Ina. „Du bist für uns die einzige – wie soll ich sagen – Überlebende. Zwei fehlen noch. Wir wissen nicht, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind. Wir suchen krampfhaft nach Hinweisen. Wirklich, du bist die einzige Hilfe, zumal du ja auch völlig nüchtern wirkst. Bitte, tu es. Vielleicht können wir noch Schlimmes verhüten. Bitte!“

„Ich war doch gar nicht mit den beiden zusammen …“

„Ja, das ist beunruhigend. Denn sonst würden sie genauso unverletzt vor uns stehen.“

„Gut. Ich zieh' mich aus. Aber Sie drehen sich um.“

Anne zog sich aus und legte die Kleidungsstücke auf die Folie. Dann sagte sie: „Ich bin fertig. Was nun?“

„Frau Anklam packt alles sorgsam ein, und dann fahren wir los. Wir brauchen bei der Ärztin nicht zu warten.“

„Du hast geweint?“ fragte die Ärztin. „Geht es dir nicht gut?“

„Nein, nicht, wenn ich hier untersucht werden soll.“

„Ach so. Warst du schon mal bei einer Frauenärztin?“

„Nein.“

„Hattest du schon mal Geschlechtsverkehr?“

„Nein.“

„Sieh mal, ich helfe dir beim Ausziehen. Meine Assistentin wird dabei sein. Das ist Vorschrift. deine beiden Begleiterinnen warten im Nebenzimmer. Okay?“

Anne schnüffelte, bekam ein Papiertuch und ließ alles mit sich geschehen. Erst den ganzen Körper ansehen, mit den Fingern über die Haut – am liebsten hätte sie geschrien, das sei eine Entweihung. So anfassen dürfe sie nur Zorro, und sie wolle, dass sie die Erinnerung unverfälscht bewahren könne.

Aber die Ärztin war nicht zärtlich, sondern professionell und vorsichtig. „Du hast eine wunderbar gepflegte Haut“,

sage sie. Dann diktierte sie: keine Hämatome, keine Wunden, tadellos gepflegte Haut ohne Einschränkungen … „Und nun hilft meine Assistentin dir auf den Stuhl.“

Anne versank vor Scham. Aber bevor sie protestieren konnte, sagte die Ärztin freundlich:

„Bei dir ist alles in Ordnung.“ Dann diktierte sie weiter, und als Anne wieder angezogen war, bat sie Ina und Frau Anklam herein,

„Alles okay“, sage sie, „Entwarnung. Tadellos gepflegte Haut, keinerlei Beschädigungen.“

Anne sah, wie die beiden Frauen einen Blick tauschten und durchatmeten.

Im Auto fragte Ina: „Hast du Hunger? Wir könnten was vertragen. Im Internat sind die Essenszeiten vorbei. Da vorne ist ein kleines Restaurant.“

Sie aßen in aller Ruhe. Anne hatte einen Riesenhunger. So ein Sandwich hält nicht lange vor. Es war eines von Zorros Spezialitäten gewesen mit gesalzener Butter, Gurke, Tomate. Er hatte es mit der Gesundheit.

„Ich würde mich gerne ausruhen“, sagte sie im Internat.

„Ich bin müde. Ich will in mein Bett.“

„Ein bisschen musst du uns noch zur Verfügung stehen.

Über Nacht bleibst du heute erst mal auf der Krankenstation.“

Anne machte wieder Theater. Was das alle solle, und sie wolle nicht … Ina setzte sich neben sie.

„Wir können dich noch nicht mit deinen Mitschülern zusammenbringen. Wir brauchen von dir unverfälschte Aussagen. Wenn du erst mal mit anderen redest, gerät alles durcheinander.“

„Also gut. Was wollen Sie wissen?“

„Den Anfang. Wie war es auf der Fete, wer war da, was geschah dort – alles was dir spontan einfällt, bitte.“

„Als wir um acht ankamen, war es langweilig. Es war noch nichts los. Das ist in Discos genauso. Dort geht die Sause erst nach Mitternacht los. Aber wir hatten alle Hunger. Wir haben alles abgeräumt, was Noah hingestellt hatte. Mehr gab es nicht. Zwanzig Leute hatten in einer halben Stunde alles aufgefressen, und Noah wusste nicht weiter. Wir waren im Internat alle nicht zum Abendessen gewesen, weil wir uns fertigmachen mussten. Also das war die erste Panne. Die Mucke? Ich weiß nicht, es riss uns nichts hoch.

Noah hatte als Besonderheit in Endlosschleife „Dirty dancing“ mitlaufen, also einen Zusammenschnitt von einem „Dirty dancing“-festival in Amerika. Aber da muss man schon angetörnt sein, sonst ist es wie Gymnastikstunde in der Schule. Also haben wir mit Trinken angefangen.“

„Was gab es?“

„Alles! Whisky, Wodka, Gin, Klaren, Bier, gleich ein Stapel … Kästen, na ja Wasser auch. Und irgendwann kam Noah mit Wein an. Nicht sehr glücklich. Er hatte sich vertan. Wir waren zu viele.“

„Wie viele?“

„Weiß ich nicht, jedenfalls viele, die nicht auf Gebhardts Erlaubnisliste standen.“

„Wer stand nicht drauf?“

„Alle unter der Neunten.“

„Also du auch nicht?“

„Nee. Zu jung! Ha, ich bin vierzehn!“

„Mit ordentlich Alkohol kann man dann auch Dirty dancing tanzen. Irgendwann stand ein Mann hinter mir und sagte: 'Na, so alleine macht es doch keinen Spaß?'“

„Kanntest du ihn?“

„Nein. Der war zu alt für unsere Schule. Wir hatten uns alle toll verkleidet, aber wenn man sich kennt … Den kannte ich nicht.“

„Als was ging er?“

„Zorro! Kennen Sie? Alles schwarz, schwarze Maske, schwarzer Umhang. Echt gut.“

„Und du?“

„Ich ging als Zigeunerin. Das darf man heute nicht mehr sagen, aber ich kann ja nicht sagen als Sinti-Frau.“

„Wie sah deine Verkleidung aus?“

„Sie können in die Tüte gucken …“

„Die ist im Moment bei der Spurensicherung. Du kriegst aber alles zurück.“

„Spuren! Pah, das ist alles frisch gewesen.“

„Also erzähl.“

„Ich hatte eine schwarze Zigeunerperücke auf. Langes schwarzes Haar, durcheinander. Darüber ein rotes Tuch.

Dasselbe Rot wie die Larve – also die Maske. Dann ein buntes Brusttuch, hinten verknotet und einen weiten bunten Rock mit Zipfeln und Glöckchen.“

„Selbst genäht?“

„Nee, so was haben wir nicht in der Schule. Ich habe es als Gesamt aus dem Internet. War nicht billig.“

Nein, und dein Internat auch nicht, dachte die Kommissarin.

„Beine? Füße?“

„Beine nackig, Füße Sandalen.“

„Das ist alles in der Tüte?“

„Nein, die Sandalen habe ich abgeworfen. Dirty dancing geht besser barfuß. Und die Perücke habe ich irgendwann abgelegt. Das war eine Bullenhitze unter dem vielen Haar.“

„Da blieb von deiner Verkleidung nicht viel übrig.“

„Nee, nur am Körper.“

„Und Zorro?“

„Der schwitzte nicht. Der trank auch nur ein Bier und dann Wasser. Er müsse noch nach Hause und möglichst mit Führerschein.“

„Das ist sehr vernünftig.“

„Ja und dann kippte es auf einmal.“

Die beiden Frauen horchten auf, Ina machte Notizen.

„Da kamen auf einmal lauter Chaoten rein. Ohne Verkleidung, so wie gerade von der Straße. Bestimmt an die zwanzig. Alles Männer. Deutsche und ein paar Ausländer.“

„Woher weißt du das?“

„Na also! Sie haben gesprochen! Und gegrölt! Und das hört sich dann sehr unterschiedlich an!“

„Was wollten sie?“

„Alkohol und Mädchen.“

„Wurden die Mädchen nicht von euren Jungs beschützt?

Von ihren Tanzpartnern?“

„Ich weiß nicht. Es war sehr chaotisch, und ich bekam es mit der Angst. Zorro nahm mich um die Schultern und sagte, wir sollten in den Park gehen. Hier sei es sowieso zu heiß.“

„Wie spät war es zu diesem Zeitpunkt?“

„Keine Ahnung. Mein Handy war schon irgendwo, und ich dachte auch gar nicht mehr daran. Am Ausgang gab es Gedränge. Türken oder solche wollten mit Gewalt rein, tatschten mich an und sagten, ich solle dableiben. Zorro hat sie an die Seite geschoben und mich in den Park gebracht. Es war sehr kalt gegenüber drinnen, und überall lagen sie an den Büschen und knutschten. Und mehr.“

„Was ist mehr?“

„Ach, Sie wissen doch schon. Bumsen, ficken, Geschlechtsverkehr, rammeln ...“

„Waren es Mitschüler?“

„So genau habe ich nicht hingesehen. Es war sehr peinlich.

Zorro sagte, wir sollten ein paar Schritte zum Auslüften und Auskühlen gehen. Er legte mir seinen Umhang um, aber ich hatte nackte Beine und Füße, und der Rock und das Brusttuch halfen nicht viel.“

„Mehr hattest du nicht an?“

„Doch, 'n Slip.“

„Und BH?“

„Nein, das ging nicht, da hätte man die Träger gesehen.“

„Saß das Brusttuch fest?“

„Geht so, es wurde immer lockerer. Das war nicht gut.“

Die beiden Frauen sahen auf Annes Brüste und dachten beide dasselbe.

„Wie ging es weiter?“

„Rein wollte ich nicht mehr, zu heiß und zu laut, und dann die Chaoten. Und draußen fror ich wie in der Arktis.“

„Also?“

„Zorro schlug vor, wir könnten uns ein bisschen in sein Auto setzen. Und das taten wir. Er half mir noch mit den Beinen rein, weil ich echt vor dem Kollabieren stand.“

„Wieso?“

„Alkohol. Alles durcheinander.“

„Was hat Zorro mit dir gemacht, als ihr im Auto wart?“

„Ich weiß, was Sie denken. Das denken Sie, seit Sie mich gesehen haben. Dabei hat die Gynäkologin doch Entwarnung gegeben.“

„Stimmt, aber es gibt ja auch noch andere Tätigkeiten.“

„Ja, stimmt auch. Als erstes hat er meine Kotze weggewischt. Das war sicher sehr erotisch. Ich hatte aus seiner Wasserflasche einen Schluck genommen, und da kam mir alles hoch. Saure Gurken, Bouletten, Chips, Tomaten. Ich habe mir die Seele aus dem Leib gekotzt.“

„Ins Auto?“

„Nein, ich habe es gerade noch geschafft, die Tür aufzustoßen. Das ging alles ins Gras. Danach war ich fix und fertig.“

„Was hat Zorro gemacht?“

„Er hat mir den Kopf gehalten, bis alles raus war. Dann nochmal Wasser zum Magenspülen, sagte er, da kam dann nochmal alles Mögliche.“

„Und dann?“

„Zorro hat gesagt, ich soll mich anlehnen, tief durchatmen und an was Schönes denken. Und dann hat er mich sauber geputzt.“

„Wie hat er das gemacht?“

„Papiertücher mit Mineralwasser. Vorsichtig über mein Gesicht, meinen Hals und alles, was vollgesaut war.“

„Hast du was ausgezogen?“

„Nee, dazu war ich zu kaputt. Und auf dem Rock saß ich.“

„Und das Brusttuch?“

„Das hat er ein bisschen abgetupft, das hat nicht so viel abgekriegt. Und dann bin ich abgeschmiert.“

Wer das glaubt, dachten beide und sahen sich an: Ein Mann in einer solchen Situation muss zu den Heiligen gehören.

„Von der Fete hast du nichts mehr mitbekommen?“

„Nein, nur von weitem das Gegröle.“

„Wie lange habt ihr im Auto gesessen?“

„Keine Ahnung. Ich war weg. Als ich aufwachte, lag ich auf einem breiten Bett, und es stank. Ich hatte wohl nochmal gekotzt. Und … ich hatte unter mich gemacht.“

„Das hört sich nach einer fulminanten Alkoholvergiftung an. Davon konnten deine Mitschüler auch ein Lied singen.

Einige sangen im Krankenhaus. Warst du alleine im Bett?“

„Ja.“

„Konntest du alleine aufstehen?“

„Äh ja, nein, konnte ich nicht. Ich habe gerufen, weil ich nicht wusste, wo ich bin, und da kam ein Mann ganz in schwarz. Ich dachte, ich bin tot und soll beerdigt werden.

Ich schrie. 'Hallo Zigeunermädchen‘, sagte er. ‚Da bist du ja wieder. Ich bin Zorro, kennst du mich noch?' Nein, ich kannte ihn nicht. Er hatte ja auf der Fete eine Maske auf. Er hat dann alles nacheinander vom gestrigen Abend erzählt, bis zum Kotzen in seinem Auto. Er meinte, ich könne aufstehen, es würde nicht gut riechen. Ich solle duschen. Aber ich konnte nicht laufen. Mir knickten die Beine weg. Er hat mich fortgetragen.“

„Was hattest zu an?“

„Meinen roten Slip.“

„Mehr nicht?“

„Nein. Er hat mich in die Dusche gestellt, und ich sollte mich an den Armaturen festhalten, damit ich nicht umfalle.

Er hat mich dann abgeduscht.“

„Das hört sich sehr sorgsam an. Und dann abtrocknen und anziehen?“

„Nein, er hat mir angeboten zu baden. Er hatte eine große Wanne. So wie ich sie liebe. Zu Hause haben wir auch so eine, aber im Internat nur duschen. Ich habe sofort ja gesagt.

Er hat mir in die Wanne geholfen. Das war traumhaft. Im warmen Wasser liegen nach diesem Chaos.“

„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Ina. „Ich bade auch lieber als zu duschen. Was hat Zorro gemacht, als du in der Wanne warst?“

„Er hat mein vollgedrecktes Bett frisch bezogen, und dann hat er Frühstück gemacht. Aus der Wanne hat er mir geholfen, ich war noch sehr klapprig und dann hat er mich abgetrocknet und mir einen Slip und ein T-Shirt angezogen. Wir haben gefrühstückt. Er richtig, aber ich habe erst mal nur dünnen Tee und Toastbrot bekommen, damit mein Magen sich beruhigt. Und dann hat er mich wieder ins Bett gebracht und zugedeckt. Und ich bin sofort eingeschlafen.“

„Anne, ich muss dir ehrlich sagen, dass sich das alles fast zu schön anhört. Ein fremder Mann, der sich um dich kümmert, nackt, der dich bei all seinen Tätigkeiten anfasst – und er ist nicht übergriffig geworden?“

„Was heißt das? Zorro hat nichts gegen meinen Willen gemacht. Er hat mich vorher immer gefragt. Ich durfte nein sagen, ich durfte gehen, er würde mich fahren, aber ...“

„Aber was?“

„Ich war so schwach, und mir ging es doch gut.“ (Besser als im Internat und besser als bei meiner Mutter, dachte sie.)

„Ich hätte aufstehen und aus der Tür gehen können.“

(Außer an den Tagen, an denen er mich gefesselt hat. Aber das war nicht immer, und er hat mir den Sinn erklärt.)

„Wir machen für heute Schluss, Anne, auch wir sind müde.

Aber wir sind wahnsinnig froh, dass du zurück bist und dir nichts passiert ist.“

(Und dass ich noch Jungfrau bin, das ist doch das einzige, das euch wirklich interessiert. Jeder Mann ein Schänder ...)

Sie wurde auf die Krankenstation gebracht, geschlossene Abteilung. Die Krankenschwester freute sich, brachte Essen, Trinken, noch Vorräte für die Nacht und bat sie, eine kleine Tablette von ihr anzunehmen, damit sie nach diesem Tage eine ruhige Nacht hätte.

(Und du auch, oder? Es war dieselbe, die Zorro ihr am zweiten Abend gegeben hatte, damit sie zur Ruhe käme).

Sie lag im weißen Bett, im weißen Zimmer, gegenüber eine große Fotografie vom Meer. Sie dachte an Zorro, seine Küsse, an seine Hände, und dann schlief sie ein.

Sie wachte von einer Männerstimme auf. Sie war so benebelt, dass sie nicht ausmachen konnte, wer in der Tür stand.

„Anne, ich bin Arne Gebhardt. Du kennst mich vom Internat. Ich habe Schwester Monika gebeten, eben dazuzukommen. Bist du wach genug für ein kurzes Gespräch?“

„Jaja, machen Sie mal.“

Sie setzte sich auf und griff nach der Wasserflasche. Gebhardt zog sich einen Stuhl heran.

„Du hast den ganzen Tag mit der Kripo zusammengesessen. Da wollte ich nicht stören. Ich will dich eben informieren und deine Meinung hören. Wir sind unglaublich froh, dass du heil und in Ordnung wieder aufgetaucht bist. Wir waren auch um dich in allergrößter Sorge. Wie geht es dir?“

„Mir? Mir geht es gut. Alles okay. Mir ist nichts passiert.

Wenn ich nicht mein Handy auf der Fete verloren hätte, hätte ich angerufen.“ (Hätte ich nicht. Warum auch?)

„Die Faschingsfete im Haus von Noahs Eltern ist völlig aus dem Ruder gelaufen. In jeder Beziehung. Noah scheint ab irgendeinem Zeitpunkt den Überblick verloren zu haben.

Was kannst du dazu sagen?“

Anne erzählte ihm das Gleiche wie den Beamtinnen der Kripo – vor allem, dass sie offenbar früh genug den Absprung bekommen hatte, gerade als eine Gruppe Chaoten ankam.

„Ich weiß nicht, wie es dort weiterging“, sagte sie. „Aber wenn die alle so weiter gesoffen haben ...“

„Haben sie wohl. Und mit den jungen Männern kamen auch die Drogen. Ich mache es kurz, damit du weiterschlafen kannst. Das Haus von Noahs Eltern ist verwüstet. Sie sind von ihrer Reise zurückgekommen, und sind … und sind ...“

Er wandte sich ab. Schwester Monika gab ihm ein Glas Wasser.

„Das sind aber nur Sachschäden“, sagte er, um Fassung bemüht. „Der Schaden an Menschen ist ungleich größer.

Zwölf Schüler mussten mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus. Zehn sind inzwischen zu den Eltern entlassen. Zwei Jüngere werden noch behandelt. Vier Schülerinnen wurden vergewaltigt, soweit wir wissen, jeweils nur von einem Mann. Ich sage 'nur'.“ Er schluckte. „Zwei Mädchen wurden Opfer von Gruppenvergewaltigungen. Unterstufenschülerinnen. Sie sind noch im Krankenhaus. Wer ...“

Anne, die über die Restfete nie nachgedacht hatte, war schockiert. Sie hatte die Anfänge miterlebt, als sie mit Zorro das Haus verließ und durch den Park zu seinem Auto ging.

Aber für das, was Gebhardt erzählte, fehlte die Anschauung. Und ich war gerettet, dachte sie. Zorro hat mich früh genug aus der Gefahrenzone gebracht. Ich habe mit ihm im Auge des Taifuns gelebt.

„Wer ist es denn? Ich meine, welche Mädchen?“

„Das kann ich dir natürlich nicht sagen. Ich kann nicht die Persönlichkeitsrechte der Mädchen verletzen. Du würdest auch nicht wollen, dass so etwas über dich bekannt würde.“

Anne nickte. Das weiß inzwischen doch sowieso jeder. Und ich in zwei Tagen auch. Klar.

„Wer waren die Männer?“

„Das wissen wir nicht. Irgendjemand hat nach Mitternacht die Polizei angerufen. Die kamen erst mal zu zweit, und als sie sahen, was los ist, haben sie Verstärkung angefordert. In der Zwischenzeit sind fast alle Männer verschwunden, die nicht zur Schule gehörten. Nur zwei haben sie im Haus im Schlafzimmer angetroffen. Tiefschlaf. Hagelvoll. Ein Deutscher und ein Asylant. Die beiden sind noch in Gewahrsam, glaube ich.“

„Scheiße“, sagte Anne. „Was ist denn nun mit den vergewaltigten Mädchen? Ich meine wegen … also wegen … es kann doch sein, dass sie schwanger geworden sind.“

„Ja, leider. Sie haben nach den Untersuchungen alle die Pille für danach bekommen. Mit Einwilligung der Eltern.

Aber ...“

Er sprach nicht weiter. Er war völlig zerstört. Anne fand, dass er aussah wie ein alter ungepflegter Mann. Dabei war er einer der jüngeren Lehrer und sah immer noch ganz schnuckelig aus.

Er seufzte tief, trank noch Wasser und sagte dann: „Als du wieder aufgetaucht bist, dachten wir alle, dass Noah und Miriam nachkämen. Wir dachten, ihr seid alle zusammen abgehauen.“

Anne schüttelte den Kopf.

„Ja, ich hab‘ es schon gehört. Wir sind natürlich alle riesig froh, dass du da bist und offenbar geht es dir ja auch gut.

Ich will nichts fragen, das tut die Kripo schon. Ich habe gehört, dass du sehr gut kooperierst, Anne. Hast du irgendeine Idee – und sei sie noch so abwegig – wo Noah und Miri geblieben sein könnten? Wochenendhaus? Campingwagen?“

„Nein, nichts.“

„Sind die beiden ein Paar?“

„Das glaube ich nicht. Dazu ist Noah viel zu vernünftig.“

„Das glaube ich auch. Anne, wenn dir irgendetwas einfällt, auch eine Bemerkung, eine Beobachtung, dann lass es uns bitte wissen, ja? Ich lass dich jetzt schlafen. Ich muss mich auch etwas ausruhen. Die Tage waren hart, und wer weiß, was noch auf uns zukommt.“

Vier Stunden später wusste er es. Sein Computer gab ein Zeichen. Er sprang auf. Als er die E-Mail gelesen hatte, wusste er, dass es für ihn und für die Schule keine Hoffnung mehr gab. 'Miri neben dem Felsenturm. Bin nicht schuld.

Konnte sie nicht retten. Noah.'

Kolleginnen, Vorstand, Polizei. Er war nicht mitgegangen.

Er wusste, dass er den Fund einer toten Schülerin nicht verkraften würde.

Schwester Monika weckte Anna.

„Es ist elf, bitte stehe auf. Frühstück steht nebenan. Die Psychologin ist schon eingetroffen.“

Anne war müde, und Schwester Monika sah auch nicht taufrisch aus.

Als Anne ins Besprechungszimmer kam, war sie verwundert, nur die Psychologin vorzufinden.

„Frau Anklam kann heute nicht. Sie ist … sie muss … ach, setz dich doch. Wasser?“

Was ist denn hier los? dachte Anne. Irgendwie haben die alle einen Faschingsfetenblues.

„Geht es dir gut? Hast du gut geschlafen? Hast du Frühstück bekommen ...“

„Ja, alles gut. Aber was ist denn überhaupt los? Hat es wieder einen Tsunami gegeben? Oder eine andre Katastrophe?“

„Ja, Anne, eine andere Katastrophe. Ich bin beauftragt, dir mitzuteilen ...“

Sie schwieg. Sie waren alle benachrichtigt worden. Sie waren so schockiert, dass sie eine Pause einlegen mussten; sich besinnen, überlegen, wie es weitergehen solle. Frau Anklam wurde in die Ermittlungen eingebunden, Frau Petersen sollte sich alleine um Anne kümmern. Deren Aussagen standen im Wesentlichen, und zu Noah und Miriam hatte sie glaubhaft nichts sagen können.

Sie seufzte tief, trank einen Schluck Wasser und begann von vorne: „Ich bin beauftragt, dir mitzuteilen, dass Miriam gefunden wurde. Sie ist tot.“

Anne starrte sie an.

„Nein, das glaub ich nicht. Das kann nicht sein. Wo war sie denn, und wer hat sie gefunden?“

„Noah hat nachts eine mail an Herrn Gebhardt geschickt mit genauen Angaben.“

„Welchen? Wo? Was hat er damit zu tun? Doch nicht Noah!

Das glaub ich alles nicht.“

„Wir wissen nichts Genaues. Irgendwas muss mit Miri passiert sein. Noah hat sie nicht retten können und hat sie neben dem Felsenturm abgelegt. Du kennst den?“

Anne nickte geistesabwesend.

„Und wo ist Noah?“

„Das wissen wir nicht. Wahrscheinlich im Ausland irgendwo.“

„Der ist einfach abgehauen?“

„Ja, das scheint so.“

„Aber warum? Er hat Miri doch bestimmt nichts getan.

Noah doch nicht!“

„Wahrscheinlich hat er den Kopf verloren. Du hast ja erzählt, dass ihm die Fete schon zu Beginn entglitten ist, weil er nicht mit so vielen Leuten gerechnet hat. Und wer weiß, was er im Hause selber noch alles miterlebt hat, was er nicht mehr in den Griff bekam. Und dann muss irgendetwas mit Miri passiert sein.“

Anne warf sich über den Tisch und schluchzte.

Ina Petersen schob ihr eine Packung Taschentücher hin und wartete. Nach einiger Zeit setzte sich Anne gerade hin und sagte:

„Sie müssen mich jetzt alles fragen. Vielleicht fällt mir ja noch was ein. Aber Miri habe ich überhaupt nicht gesehen.

Ich weiß doch auch nicht … und wie soll es jetzt weitergehen? Auch hier im Internat. Wissen es denn die Anderen schon? Was sollen wir nur tun?“

Sie weinte wieder.

„Im Moment können wir nichts tun, Anne. Im Internat wissen alle Bescheid und sind so schockiert wie du. Ich möchte heute gerne mit dir das Gespräch von gestern weiterführen, falls du kannst.“

„Wo ist Miri jetzt?“

„Sie ist im gerichtsmedizinischen Institut.“

„Und was passiert nun?“

„Die Kripo ermittelt. Sie sind mit großem Mitarbeiterstab vor Ort, am Felsenturm, in der Villa von Noahs Eltern und hier im Internat. dich haben wir schon befragt. Frau Anklam arbeitet jetzt mit ihren Kollegen zusammen. Sie brauchten alle Kräfte, die sie zusammenziehen konnten.“

„Und was wollen Sie jetzt noch von mir wissen?“ fragte Anne.

„Ich möchte wissen, was in den vier Tagen geschehen ist, in denen du in der Gewalt dieses Zorro warst.“

„Wieso Gewalt? Er hat mir doch nichts getan. Die Frauenärztin hat es Ihnen doch bestätigt.“

„Es geht um mehr, Anne! Dieser Mann hat dich entführt und dich dann vier Tage lang gefangen gehalten. Und zum Schluss hat er dich im Wald ausgesetzt … als hilflose Person.“

Anne kreischte los. „Was für ein Unsinn. Wieso hat er mich denn entführt …?“

„Anne, bitte komm' runter. Wir klären die ganze Angelegenheit jetzt Schritt für Schritt, ja? Wieso ich von Entführung spreche? Was war es denn sonst? Er hat dich nach draußen begleitet, als alles chaotisch wurde, und dann hat er dich in seine Wohnung oder sein Haus gebracht.“

„Zorro hat mich gerettet! Sie wissen doch, was den anderen Mädchen passiert ist. Wir haben gerade noch den Absprung bekommen. Was hätte er denn sonst machen sollen?“

„Er hätte dich zum Internat fahren müssen und nicht Gottweißwohin.“

Anne lachte schrill: „Na, das hätte dort aber Theater gegeben.“

„Sicher, aber das Theater, das es dann gab, war ungleich schlimmer. Du warst tagelang vermisst!“

Anne grinste: „Und als ich wiederkam, haben sich alle gefreut! Vier Stunden zu spät gibt's Ärger, vier Tage zu spät Freude.“

Ina Petersen lächelte. „Stimmt, aber vergiss nicht, wie es für diejenigen ist, die für dich verantwortlich sind. Das zum Thema Entführung. Und falls du gleich weiterfragst: ob Gewalt oder nicht, dieser Zorro hat dich gefangen gehalten.“

„Hat er nicht! Ich hätte jederzeit abhauen können.“

„Und warum hast du es nicht getan?“

Anne starrte die Psychologin an. „Ja, warum denn? Und außerdem wusste ich doch nicht, wo die Tür ist.“

„Anne!! Bitte nimm dieses Gespräch ernst. Du kennst den tragischen Hintergrund. Hier ist keine Zeit für Albernheiten!“

„Tut mir leid. War nicht albern. Ich wusste es wirklich nicht.“

„Hast du denn mal gesucht? Hast du Zorro gefragt?“

„Nein, warum sollte ich?“

Ina kam ein abwegiger Verdacht.

„Wolltest du vielleicht gar nicht fort? Hast du dich bei dem Zorro wohlgefühlt?“

„Klar. Wohler als zu Hause und im Internat. Warum sollte ich wegwollen? Zorro hat mich schließlich nicht angebunden (… außer an zwei Abenden). Wenn ich eine Tür gesucht hätte, hätte ich sie bestimmt gefunden.“

Ina Petersen brauchte eine Pause. Sie überlegte, wie es damals mit den Entführungsopfern und Geiseln war, die sich nach einiger Zeit mit ihren Entführern anfreundeten und sich mit ihren Ideen identifizierten. Das Stockholm-Syndrom. Aber danach hörte es sich bei Anne nicht an. Ich muss die Strategie wechseln, dachte sie.

„Sei doch so gut und zeichne mir mal den Grundriss der Wohnung auf, damit ich mir ein Bild machen kann, wenn du erzählst.“

Sie schob Papier und Stifte über den Tisch. „Und erkläre es bitte gleich beim Aufzeichnen.“

Anne drehte das Papier hin und her, setzte mit dem Stift an und sagte: „Ich glaube, das kann ich nicht. Es war auch so verwinkelt.“

„Probier es mit dem Zimmer, in dem du dich vor allem aufgehalten hast.“

Anne zeichnete ein Quadrat, „hier stand das große Bett, auf dem ich lag, links und rechts kleine Regalbretter, gegenüber ein langer Spiegel … mehr nicht.“

„Wo war die Tür?“

„Eine richtige Tür gab es nicht. Es war eine Wand, die ganz aufgefaltet wurde. Die war immer offen.“

„Zeichne sie bitte ein. Gut so. Und dann weiter. Was kam hinter dieser Tür?“

Anne zögerte und fuchtelte mit dem Stift herum. „Also man kam in das große Zimmer. Von dem ging alles ab. Hier rechts irgendwie das Bad, daneben ein Extra-WC und dann eben mein Zimmer. So ungefähr.“

Armer Architekt, dachte Petersen, so nehmen Bewohner deine Künste wahr.

„Gut. Nun versuch mal, das große Zimmer zu skizzieren.

Wo stand was?“

Anne gab sich sichtbar Mühe. In der Mitte der Tisch, zwei Stühle an den Breitseiten. Rechts dahinter eine Miniküchenzeile mit allen Geräten und links Zorros Liege.

„Und wo war das Fenster?“

Anne überlegte. „Weiß ich nicht so genau. Kann sein, dass es neben dem Tisch war, an der Schmalseite. Da hing ein schöner heller Vorhang.“

„Und der war immer zugezogen?“

„Ja. Sonst hätte ich vielleicht gesehen, ob es ein Fenster war oder nicht.“

Und du hättest rausgucken und sehen können, wo Zorro dich gefangen hielt, dachte sie. Und du hättest vielleicht Leute vorbeigehen sehen, die dich wiederum am Fenster … o, mein Gott.

„Hast du Geräusche von Nachbarwohnungen oder von unten und oben gehört?“

„Nein, nie. Ich glaube, so was gab es nicht.“

„Du glaubst, dass es ein alleinstehendes Haus war?“

„Weiß ich nicht. Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

„Du warst von Montag bis Freitag bei diesem Mann. Was habt ihr die ganze Zeit gemacht?“

„Na, bestimmt nicht, was Sie denken“, spottete Anne.

„Du weißt nicht, was ich denke. Aber von dir möchte ich Fakten. Fang mal ganz vorne an.“

„Vorne? Da war die Party. Alles Weitere wissen Sie schon.

Das war der Montag. Vom Dienstag habe ich Ihnen auch schon erzählt. Da habe ich den ganzen Tag im Bett gelegen, weil es mir so schlecht ging. Und ich war auch sehr müde.“

„Dann bleiben Mittwoch, Donnerstag und Freitag.“

„Den Freitag können Sie in die Tonne treten, von dem weiß ich nichts! Gar nichts! Außer, dass ich im Wald aufgewacht bin und mich zur Straße durchkämpfte.“

Wie abenteuerlich, dachte Petersen. Durchkämpfte, durch hundert Meter schütteren deutschen Wald, durch den man den Autoverkehr hören konnte. Sie war sich immer sicherer, dass diese ganze Sache für Anne ein tolles Abenteuer gewesen war. Wie lange wäre es wohl gegangen? Immerhin hatte sie sich nicht alleine auf den Weg gemacht. Dieser Zorro hatte sie unter irgendeinen Stoff gesetzt und sie draußen abgelegt. So als ob er sie loswerden wollte. Beinahe hätte sie gelacht. Sie sah Anne plötzlich mit ganz anderen Augen. Vielleicht bist du wirklich kein Opfer, sondern ein kleines Biest. Voll in der Pubertät, und jetzt nichts wie rein ins Leben.

„Ja, stimmt. Darüber haben wir ja auch schon gesprochen.

Die Kindesaussetzung im Wald wie bei Hänsel und Gretel.

Aber da war es der Vater, der unterm Pantoffel seiner neuen Frau stand, die ihre Stiefkinder loswerden wollte. Eine gern beschriebene Konstellation. Aber bei dir war es ein wildfremder Mann. Nun zu Mittwoch und Donnerstag. Am besten du hangelst dich durch die Tage vom Aufwachen an.

Hat Zorro dich geweckt?“

„Nein. Ich habe immer ausgeschlafen. Ich bin meist aufgewacht vom Klappern. Geschirr und die Tastatur seines Laptops. Und vom Radio, das lief leise. Aber wenn ich ins Zimmer kam, schaltete er es aus.“

Damit du nicht die Durchsagen hörst, in denen nach drei Internatsschülern gesucht wurde, dachte Petersen.

„Ich bin dann erst aufs Klo und dann in die Badewanne.“

„Jeden Tag?“

„Hmh. Dreimal. War toll. Eine große Wanne, Wasser bis zum Hals und viel Schaum.“ (Und Zorros Waschlappenkreisen. Und Abtrocknen. Und Eincremen und Anziehen.

Aber das brauchst du wirklich nicht zu wissen.)

Damit Petersen nicht diesbezüglich weiterfragte, fuhr sie fort: „Und dann gab es Frühstück. Zorro hatte aufgedeckt.

Wir saßen uns gegenüber. Es war immer alles frisch und lecker.“

„Wann hat er denn mal eingekauft? Für zwei Personen braucht man doch eine ganze Menge!“ … falls die Entführung nicht geplant und gut vorbereitet war. Toast, Eier, Äpfel, Kaffee, Milch … kann man bevorraten.

„Keine Ahnung. Ich habe ja viel geschlafen. Vielleicht war er mal zwischendrin eine Stunde fort“

Um die Psychologin zu ärgern, sage Anne lachend: „Vor und nach dem Frühstück hat er mich immer geküsst. Er war wirklich gut!“

„Hattest du Vergleiche?“

„Na klar! Aber dieses Geknutsche im Internat, dieses feuchte Gesabbel … da war Zorro schon eine andere Nummer.“

Ina Petersen lächelte. Sie dachte an ihre eigene Pubertät. Es ändert sich wenig bis gar nichts, dachte sie.

„Wie ging es weiter? Worüber habt ihr euch unterhalten?“

„Vormittags haben wir uns über das Internat unterhalten, über meine Eltern, über meine Zukunftspläne, was ich vorhabe für später, Ehe, Kinder. Er hat immer sehr interessiert zugehört. Dann habe ich Mittagsschlaf gemacht. Dann gab es Kaffee. Dann haben wir was gespielt. Dann gab es Abendessen und dann ...“

„Was dann?“

„Dann hat Zorro ...“ Anne lachte ihr kreischiges Lachen.

„Dann kam die Sexualerziehung.“

Also doch, dachte Ina Petersen. Irgendwann musste es doch kommen.

„Woraus bestand die?“

„Vor allem hat Zorro mir erzählt, was ich von Männern erwarten kann. Verlangen kann. Er hat gesagt, Männer seien alle egoistisch. Die würden sich einfach nehmen, was sie wollen. Notfalls mit Gewalt. Als Frau hätte ich Anspruch auf Fürsorge und Höflichkeit und Zärtlichkeit. Wenn ich die nicht bekäme, sollte ich die Kerle zum Teufel jagen.“

„Das hat er wirklich so gesagt? Hat er selber sich denn darangehalten?“

„Klar, hab‘ ich doch schon erzählt. Er war immer hilfsbereit und nie … wie haben Sie das noch genannt? … übergriffig.“

(Leider nicht, er hätte gerne mal ein wenig mehr … nur Küsse und Badewanne …) „Erstaunlich“, sagte die Psychologin. „Du scheinst wirklich an eine Sonderausstattung Mann geraten zu sein. Was noch?“

„An einem Abend hat er mir ...“ Anne kicherte … „da hat er mir Pornos gezeigt. Erst einen harten, damit ich weiß, wie manche Männer mit Frauen umgehen, und danach einen Softporno. Der war echt süß.“

O, mein Gott, dachte Ina Petersen. Irgendwie liege ich völlig falsch. Irgendetwas stimmt an der Sache nicht. Entweder der Kerl hatte eine Superklatsche oder Anne lügt hier, dass sich gleich die Fußbodenbretter durchbiegen. Aber wenn das alles so war, scheint der Zorro die Sache ja wohl auch genossen zu haben. Warum hat er sie sich dann vom Hals geschafft? Ach ja, er hörte Radio. Er war informiert über die Suche. Wie weit weg vom Internat waren die beiden denn?

Bei der Hinfahrt war Anne anscheinend bewusstlos vom Alkohol und bei der Rückfahrt … dieser bekloppten Aussetzung …

„Wenn ihr Pornos geguckt habt, hat Zorro sich dann zu dir ins Bett gelegt?“

„Sie können es wohl auch nicht lassen, oder? Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Welche Geheimnisse erwarten Sie denn? Ich finde es jetzt echt ätzend!“

„Hat er oder hat er nicht, Anne?“

„Ja, er hat! Ich lag unter der Decke und er darauf. Schräg.

Neben mir. Zufrieden?“

„Ja, ich bin zufrieden.“

„Und er hat mir erklärt, was wir sahen, hard and soft. Und wir haben geknutscht und gelacht. Er hat mir mal ins Ohr geflüstert: 'Ich bin deine Königin der Nacht' Darüber habe ich so gelacht, dass ich mich verschluckt habe. Ich habe ihn dann geküsst und ihm ins Ohr geflüstert 'Wohl eher mein König der Nacht.' Da lachte er und sagte: 'Wer weiß'. Er war wirklich sehr süß!“

Und jetzt läuft hier irgendwo ein verkappter Sexualstraftäter herum, der verklemmt nicht zum Zuge kommt und sich junge Mädchen auf fragwürdigen Partys herauspickt. Die Badewannenstory dürfte auch nur ein Teil der Wahrheit sein, und diese ständige Müdigkeit … „Hat Zorro dir irgendwelche Drogen gegeben? Pillen? Oder hat er dir was in den Saft geschüttet?“

„Nee. Warum sollte er. Wir waren immer ganz klar. Alle beide. Er hat auch mal gesagt, dass er Drogen ablehnt, als ich übers Internat gesprochen habe.“

„Hantiert ihr hier mit Drogen?“

„Na klar. Irgendjemand hat immer was. Wir probieren halt rum. Ich habe für mich noch nichts Passendes gefunden. Ich bin nicht gerne benebelt. Ich brauche eher was, was mich high macht. Lebendig. Lustig. Aktiv. Ich würde gerne mal so richtig aufgedreht sein. Aber so was gab es bisher hier nicht.“

„Anne, ich fasse mal zusammen. Ihr beide hattet friedliche Tage miteinander. Zorro hat dich gut versorgt. Er hat dich geküsst, was du mochtest, ist aber nie lästig geworden. Er hat dir Pornos gezeigt und erklärt, wurde davon aber offensichtlich nicht angeregt ...“

Anne lachte.

„Er hat sich als deine Königin der Nacht … äh … vorgestellt, während er nachts bei dir im Bett lag. Du fandest 'König' angemessener. Ihr habt gelacht und geschmust, am nächsten Morgen gab es wieder Frühstück, und am Freitag hat er dich ausgesetzt. Mit Lunchpaket. Habe ich es so richtig wiedergegeben? Fehlt was?“

Anne grinste. „Nee, toll. War wie in der Schule. Gebt eine Kurzfassung der Geschichte. Maximal eine halbe Seite.“

Petersen lachte. „Ja, das kenne ich auch noch. Möchtest du noch was sagen? Anne, gab es irgendetwas, was dir seltsam vorkam? Gab es Aggressives? Abstoßendes? Hat er dir Angst gemacht? Ich frage dich das, weil ich schließlich für die Polizei arbeite.“

„Nee, da war nichts.“ (Die Fesselung brauchst du nicht zu wissen. Ich habe sowieso schon zu viel erzählt.)

„Anne, es ist ernst. Ich habe die Vorstellung, dass hier jetzt ein Mann herumläuft, der junge Mädchen einfängt, sie in sein Haus mitnimmt und ...“

„Da brauchen Sie sich bei Zorro keine Sorgen zu machen“,

unterbrach Anne. „Bei dem haben Mädchen es besser als zu Hause. Ich wäre gerne länger bei ihm geblieben.“

Ina Petersen blieb der Mund offenstehen. Was mögen diese Kinder für Elternhäuser haben, dass ein Entführer und Geiselnehmer mit drei Mahlzeiten am Tag und Pornoangebot als das Nonplusultra erlebt wird?

„Ich lasse dir meine Karte hier. Wenn dir noch was einfällt ...“

„Ich weiß, dann rufe ich Sie an. Das kenne ich aus den Krimis.“

„Anne, bitte nimm es ernst. Dir ist bei diesem Mann nichts passiert. Aber wer weiß, wie er mit anderen Mädchen umgeht. Du hast Verantwortung, verstehst du? Verantwortung!!“

Diese Faschingsfete war ein Einschnitt ins Leben vieler.

Vielleicht aller.

Die Bilanz: ein verwüstetes Haus, das von Noahs Eltern aufgegeben wurde. Sie waren nach Hause gerufen worden und fanden ihr Heim als Trümmerlandschaft vor. Zerstörte Möbel, zerfetzte Bilder, zerdeppertes Porzellan, herausgerissene Kleidung, ein Weinkeller in Scherben, herabgerissene Gardinen, eingetretene Türen … Sie wateten im Unrat. Und sie konnten es nicht glauben. Ab und zu fand sich ein Gegenstand, den sie wiedererkannten.

Dann wussten sie, sie waren in ihrem Heim. Der Safe hatte widerstanden, alles andere nicht. Es schien, als habe sich eine Horde kriegsmüder Plünderer über ihr Hab und Gut hergemacht.

Es fehlten Bilder, Originale, natürlich fehlte der gesamte Schmuck.

Noahs Eltern waren wie Somnambule durch die Räume gegangen, durch ihr Eigentum gewatet. Sie hatten sich hier und da etwas herausgezogen, das sie behalten wollten, und danach hatten sie eine Entrümpelungsfirma beauftragt. Als alles besenrein war, gingen Handwerker durch die Räume, listeten auf, was reparaturbedürftig war, gaben Angebote ab und wurden tätig. Danach stand das Haus zum Verkauf.

Über die Gartenanlage und den einst gepflegten Park war im wahrsten Sinne des Wortes Gras gewachsen.

Dass ihr Sohn verschwunden war, sahen sie als Konsequenz an. Mir noch einmal unter die Augen zu treten, wird er nicht überleben, soll der Vater gesagt haben, und die Mutter schwieg dazu.

Sie zogen aus der Gegend fort, das Haus wurde weit unter Wert versteigert. Zwei Existenzen waren vernichtet.

Vernichtet war auch Gebhardts Existenz. Er musste gehen.

Fristlos. Die Lehrerkollegen standen hinter ihm, es hätte ihnen allen ebenso ergehen können. Fehler geschehen nun mal. Aber der Vorstand und die Geschäftsleitung des Internats hatten dazu eine andere Meinung. Wo er blieb, wusste niemand. Sein Fehler war vor allem seine Vertrauensseligkeit. Vertrauen in die Schüler war eines der Gebote des Hauses. Aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Weltweit bekannte Weisheit.

Fehler Nummer eins: Er hatte nicht mit Noahs Eltern Rücksprache gehalten, als dieser mit der Faschingsidee in seinem Elternhaus zu ihm kam. Hätte er es getan, hätte er erfahren, dass sich diese auf Reisen und nicht daheim befanden, die Fete also nicht beaufsichtigen konnten. Sie hätten – so ließen sie es später verlauten – so eine Feier auch nie erlaubt. Und Noah wusste es.

Fehler Nummer zwei: Er hatte keinen Kontrollbesuch gemacht. Einfach mal vorbeifahren und gucken. Notfalls verkleidet, damit seine Schüler sich nicht kontrolliert fühlten.

In diesem Fall hätte er um 22 oder 23 Uhr den ganzen Horror beenden können, bevor er richtig begann. Denn um diese Zeit trafen „Externe“ ein, Noahs Freunde aus der Stadt, die weitere Freunde mitbrachten und rund ein halbes Dutzend junge Männer aus der Asylunterkunft, die immer wussten, wo was los war und sich unter die Besucher mischten zu einem Zeitpunkt, zu dem niemand mehr so recht den Überblick hatte. Und wenn es jemandem spanisch vorkam, dass plötzlich junge Männer ohne Kostüm, ohne deutsche Sprache, dafür mit Drogen in Haus und Garten auftauchten, hätte es wohl keine Einwände gegeben. Das hatten alle in vielen Unterrichtsstunden gelernt, dass man Fremden gegenüber freundlich und nachsichtig ist. Und außerdem hatten manche schlicht Angst vor den dunklen Männern mit den gutturalen Stimmen und dem aggressiven Verhalten gehabt.

Fehler Nummer drei: Gebhardt hatte nicht auf die Frühheimkehrer gehört. Er hatte Stellung bezogen in der Pförtnerloge, vor sich die Liste mit den genehmigten Namen, insgesamt 32, und war erstaunt, dass einige Schüler schon vor Mitternacht heimkehrten. Dass er nicht auf ihre schlecht gelaunten und wütenden Kommentare hörte, lag vor allem daran, dass Schüler ankamen, die keine Genehmigung für die Teilnahme an der Faschingsfete hatten. Alle unterhalb der neunten Klasse. Es gab Diskussionen und lautstarke Auseinandersetzungen, und so nahm er nicht wahr, dass sie von zu viel Lärm, von plötzlich zu viel unverkleideten Männern, von Drogen, von Ausländern, von Krawall, von sexuellen Übergriffen berichteten. Er war einfach stinksauer gewesen und hatte eine Extraliste derjenigen angelegt, die ohne Ausgangsgenehmigung ankamen.

Dass sie nur die Spitze des Eisbergs waren, ahnte er. Aber trotzdem war ihm nicht eingefallen, einen Kontrollgang zu machen. Vielleicht hatte er auch seinen nicht Posten verlassen wollen. Irgendwer musste die Schüler hereinlassen … und in seinem Hinterkopf sahen Noahs anwesende Eltern nach dem Rechten. Als gegen zwei Uhr die Polizei in Internat auftauchte, war er wie vom Donner gerührt. Er war erschlagen. Er konnte es nicht glauben. Er wusste, was diese Vorkommnisse für seine Karriere bedeuteten.

Fehler Nummer vier: Er trommelte nicht sofort noch in der Nacht alle verfügbaren Kollegen zusammen, um den hausinternen Schaden zu inventarisieren. Wer ist alles da? Wer ist in welchem gesundheitlichen Zustand? Wer fehlt? Wo waren diejenigen, die nicht da waren …?

In den Zimmern und auf den Korridoren herrschte Chaos und Panik. Manche Schüler lagen nicht ansprechbar in ihren Betten, manche kotzten ins Treppenhaus. Mädchen liefen heulend und kreischend durchs Haus, und das ganze garniert und illustriert durch die Reste von Verkleidungen und Bemalungen. Einige Mädchen waren unter der verheulten Schminke zunächst nicht wiederzuerkennen.

Gebhardt geriet in Panik. Er schrie herum. Er versuchte, die Schüler in ihre Abteilungen zu scheuchen. Er rief den Hausarzt und die Krankenschwester an, die die Krankenstation unter sich hatte, aus unerfindlichen Gründen aber nicht im Hause war.

Noch bevor es hell wurde, erschien noch einmal die Polizei, alarmiert vom Arzt, dem die Drogenmischungen nicht geheuer waren und der sich mit Hilfe der durchsetzungsfähigen Polizei schnellstmöglich Abtransport in die umliegenden Krankenhäuser versprach. Auf ihn alleine hatte man nicht gehört. Drogen im Internat seien schließlich nichts Neues.

So nach und nach erschienen übermüdete und fassungslose Kollegen. Eltern riefen an, die Mütter hysterisch, die Väter voller Wut.

Die Lehrerkollegen ergriffen die Initiative und sortierten die Schnaps- und Drogenleichen. Die Guten ins Bettchen, die Schlechten entweder auf die Krankenstation oder in den Krankenwagen.

Gebhardts Liste der Heimgekehrten war ob der Ereignisse nicht mehr aktualisiert worden. Auf die Schnelle war nicht feststellbar, wer fehlte. Es waren Osterferien, und viele waren bei ihren Eltern.

Irgendwer kam auf die Idee, nicht nur das Häuflein der Zurückgekommenen zu inspizieren, sondern sich mit einem Kollegen an den Tatort zu begeben. Dort fanden sie die Reste. Die Reste von Mahlzeiten vor und nach dem Verzehr.

Die Reste von Getränken der edelsten (Weinkeller) und härtesten Gangart. Die Reste von Drogen und Drogenbesteck.

Und sie fanden die Reste … von Schülern. Nicht ansprechbar auf irgendwelchen Betten, zu zweit, zu viert, geschlechtsgemischt. In Ecken, hinterm Sofa, in der Küche, im vollgekotzten und verstopften Klo – unten Gäste, oben Familie. In der Badewanne lag einer. Und das schlimmste, nachdem sie Polizei und Krankenwagen in die Villa von Noahs Eltern beordert und einen Gang durch Teile des verwüsteten Gartens gemacht hatten … sie fanden im Gebüsch zwei fast nackte Mädchen, die weinten, bluteten, und nur bedingt Auskunft geben konnten. Alter: 13 und 14. Unterstufe, ohne Genehmigung anwesend.

Ab 10 Uhr wurde alles zusammengetrommelt, was auch nur irgend erreichbar war. Wie viele Leute schon wieder Urlaub machen, sagte einer. Stiftungsbeirat, Vorstand, Schulleitung, Schulpsychologe … alle standen unter Schock, wenn nicht schon im Internat, so doch spätestens nach Begehung von Noahs Elternhaus.

Der Schulleiter befahl dem Hausmeister, die Villa zu sichern, die Türen mit Schlössern, die Fenster mit Scheiben zu versehen. Immerhin, sagte der bei Rückkehr, sei das Dach noch heil. Er bot von sich aus an, mit einigen älteren Schülern zusammen das Allerschlimmste im Garten zusammenzuschieben. Im Haus wolle er nichts ordnen, er wolle nicht des Diebstahls bezichtigt werden, falls was fehle. (Es fehlte viel.)

Das war am Dienstag nach Ostern. Ab Mittag begann das große Zählen im Internat: Wer ist im Haus? Wo? Wer in welchem Krankenhaus? Schwierig, da eines sich von der schieren Anzahl von Notzugängen überfordert gefühlt hatte und Kinder in andere Kliniken vermittelte. Wen hatte die Polizei mitgenommen? Wer war im Osterurlaub bei den Eltern?

Es war ein schwieriges Unterfangen. Fast vollzählig waren die Kleinen. Sieben Jahrgänge zu etwa zwanzig Schülern, abzüglich Externe, zuzüglich Feriengäste. Am Mittwochmorgen stand fest, dass drei Schüler fehlten: Anne, Noah und Miri. Anne kam zwei Tage später – scheinbar unangetastet –; über die beiden anderen herrschte große Besorgnis.

Noahs Eltern waren verständigt, aber noch nicht eingetroffen – außerdem … Noah war volljährig, was sollte man da tun? Auch Miris Eltern wussten Bescheid, waren aber unabkömmlich.

So konzentrierte sich die geballte Ladung des Interesses auf Anne, zumal sie zunächst nicht glaubten, dass diese mit dem Verschwinden der anderen zwei nichts zu tun hatte.

Sie dachten, sie seien zu dritt abgehauen.

Bis dann … die Bombe einschlug und alles vernichtete: Miri neben dem Felsenturm unter Laub. Bin nicht schuld, konnte sie nicht retten. Noah.

Noch vor Tagesanbruch machten sich vier Kripobeamte mit einem Suchhund und dem Schulleiter auf zum Felsenturm.

Der Hund war nicht vonnöten gewesen. Miri lag da, knapp bekleidet, grotesk verschmierte Schminke, mit offenen Augen und weit offenem Mund. Es war ein Horroranblick, der selbst die abgebrühten Kriminalbeamten schockierte. Wie in einem Horrorfilm von Edgar Wallace, flüsterte einer.

Staatsanwalt, Gerichtsmedizin, Leichenwagen. Es nahm den ganzen Vormittag in Anspruch. Als der Schulleiter zurückkam, berief er eine Gesamtkonferenz ein – noch ohne Schüler –, informierte und fügte hinzu: Und damit sind wir erledigt.

Er behielt Recht. Die Ferienkinder blieben gleich zu Hause, die Krankenhauskinder wurden in ihre Heimatspitäler verlegt, Mädchen wurden fast vollzählig aus der Schule genommen, und die ältesten Schüler, 13. Klasse, volljährig, kündigten. Sie wollten auf ihren Abi-Zeugnissen nicht dieses Internat im Kopfbogen stehen haben. Blieben etwa sechzig Interne und eine Handvoll Externe. Es hagelte Abmeldungen für das kommende Schuljahr, und Anmeldungen blieben komplett aus.