Midlife-Care - Susanne Esche-Belke - E-Book

Midlife-Care E-Book

Susanne Esche-Belke

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Beschreibung

Hormongesteuert? Klar! In der Lebensmitte bringen uns Östrogene, Progesteron und Co. ganz schön aus dem Takt - und viel zu oft wird dieses Ungleichgewicht nicht richtig diagnostiziert, geschweige denn behandelt. Dabei stellen sich Hormonveränderungen bereits mit Anfang 40 ein, wenn die Periode meist noch treue Begleiterin ist. In dieser Perimenopause können depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme und andere Symptome das Leben schwer machen, und auch während der eigentlichen Menopause werden viele Frauen nur ungenügend begleitet. Doch die Autorinnen wissen: Es gibt wirksame Strategien, um diese Phasen gesund und glücklich zu gestalten.

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Seitenzahl: 409

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorinnen

Titel

Impressum

Hinweis

Vorwort

1: Im Strudel der Hormone

Gerade war noch alles in Ordnung, jetzt erkennen Sie sich selbst nicht mehr wieder? Das Gefühl kennen wir leider nur zu gut!

Midlife-Care beginnt jetzt!

Wie Hormone Körper und Psyche steuern

2: Das Hormon-Karussell

Hormone regen an (und uns manchmal auf)

Die weiblichen Geschlechtshormone

Die Stresshormone

Die Stoffwechselhormone

Die Schilddrüsenhormone

Die Neurotransmitter

3: Hormone ausbalancieren – so geht’s

Fragebogen zum individuellen Befinden

Hormone ausbalancieren über die Hormone selber

Perimenopause – die Anfänge

SPECIAL: Myome

Perimenopause – mittendrin

Menopause

Mit Hormonen therapieren

Hormonersatztherapie (Hormone replacement therapy, HRT)

Phytoöstrogene und andere Maßnahmen

Bei Östrogendominanz zu Beginn der Perimenopause

Bei Östrogenmangel in der Perimenopause und Menopause

Vitamin D: der Undercover-Agent

Wann ist eine Hormonspiegel-Messung sinnvoll?

Hormone regulieren über Darm und Ernährung

Hormonregulation über den Darm

Hormonregulation durch die Ernährung

Gewicht balancieren

Hormone regulieren über Bewegung

Hormonyoga

Sex

Hormone regulieren über die Schilddrüse

T3, T4: Unsere Antreiber

T1 und T2, Calcitonin, Parathormon

Wenn die Schilddrüse die Notbremse zieht

Hashimoto-Thyreoiditis

Hormone regulieren über Nebennieren, Leber und Stressreduktion

Chronische Nebennierenrindenschwäche (NNRS)

Fragebogen: Wie sieht Ihr persönlicher Stresshormonlevel aus?

Chronobiologie – Schlafen auf Rezept

Leberentgiftung

4: Hormonmanipulation von außen

Endokrine Disruptoren (ED)

Epigenetik – von der Umwelt in die Gene

5: Selfcare

Fragebogen: Wie gut bin ich aufgestellt?

Body-Mind-Medizin

Beziehungen und Sexualität

Den Blick auf sich selbst verändern: Selbstmitgefühl

Fragebogen: Über wie viel Selbstmitgefühl verfüge ich?

Dank

Quellenverzeichnis

Register

Über dieses Buch

Erschöpfung, depressive Verstimmungen, Gewichtszunahme – einige Beschwerden bei Frauen ab vierzig sind oft hormonell begründet und werden nicht richtig therapiert. Entweder, weil man die Ursache nicht erkennt, oder, weil frau durch den Hormonwechsel nun einfach mal »durch muss«. Doch Wechseljahre sind keine Leidensjahre! Basierend auf neusten medizinischen Erkenntnissen und ärztlichem Insiderwissen, zeigen die Autorinnen neue Wege, um gelassen und gestärkt durch diese Zeit zu kommen.

Über die Autorinnen

Dr. med. Susanne Esche-Belke ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und verbindet seit 20 Jahren in Klinik und eigener Praxis schulmedizinisches Wissen mit den neuesten Erkenntnissen der Stress- und Integrativen Medizin. Ihr Schwerpunkt liegt in der ganzheitlichen Therapie weiblicher Hormon- und Immunstörungen.

Dr. med. Suzann Kirschner-Brouns ist Ärztin und Mediatorin. Als Medizinjournalistin und Buchautorin schreibt sie über Gesundheitsthemen. Unter anderem war sie Chefredakteurin einer gynäkologischen Fachzeitschrift und des Gesundheitsmagazins WOHL in DER SPIEGEL.

Zusammen haben die Autorinnen eine Plattform für Frauengesundheit gegründet:www.less-doctorsforbalance.de

Dr. med. Susanne Esche-BelkeDr. med. Suzann Kirschner-Brouns

MIDLIFECare

Wie wir die Lebensmitte meistern und die Kraft unserer Hormone nutzen

Originalausgabe

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Illustrationen Innenteil: Mira Schmidt

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Unter Verwendung eines Fotos von © Lichtpix Fotografie/Xandra Herdieckerhoff

E-Book-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8923-4

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Hinweis

Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, dass diese Lektüre kein Ersatz für einen Arztbesuch ist. Sprechen Sie lieber einmal zu viel als zu wenig mit Ihrem behandelnden Arzt. Das trifft vor allem dann zu, wenn Sie Ihre Beschwerden nicht einordnen können oder wenn neue Symptome auftreten. Die Gedanken und Methoden basieren auf den Meinungen und Erfahrungen der Autorinnen und sind nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Jede Leserin und jeder Leser ist für sein Tun und Lassen auch nach Lektüre dieses Buches selbst verantwortlich. Verlag und Autorinnen übernehmen für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Empfehlungen resultieren, keine Haftung.

Vorwort

Für manche Dinge im Leben gibt es die richtige Zeit.

Als Ärztinnen, Mütter, Ehefrauen, Partnerinnen, Freundinnen und Hormonexpertinnen in eigener Sache finden wir, dass diese Zeit jetzt da ist.

Die Lebensmitte von uns Frauen mit all ihren medizinischen Besonderheiten, persönlichen Herausforderungen und ungeahnten Chancen muss jetzt endlich ins rechte Licht gerückt werden. Und das möchten wir tun.

Wir möchten mit diesem Buch unseren Teil dazu beitragen, dass keine Frau ab vierzig mit ihren vorhandenen Beschwerden wieder nach Hause geschickt oder unzulänglich behandelt wird, weil nach landläufiger Meinung eine Frau, die noch ihre Regel bekommt, noch nicht in den Wechseljahren sein kann. Und natürlich muss auch jede Frau, die schon mittendrin ist, mit ihren Beschwerden gesehen werden und sich optimal aufgehoben fühlen dürfen.

Die Tatsache, dass hormonelle Störungen heute vermehrt sehr viele Jahre früher auftreten können als hinlänglich bekannt, halten wir für einen vernachlässigten Symptomenkomplex. In diesem Sinn ist Midlife-Care das erste Buch zur Prävention der Wechseljahre, das sich schon vor der Menopause mit den hormonellen Veränderungen beschäftigt und diese in einen großen Zusammenhang setzt (Schilddrüse, Stress, Darm, Ernährung, Geschlechtshormone, Umwelthormone).

Machen wir uns bewusst: Wir sind die erste Generation Frauen, die von den Erkenntnissen aus den sehr jungen Wissenschaften Epigenetik, Stressmedizin, Mikrobiomforschung und Ernährung als Medizin für unsere Gesundheit und unser Wohlergehen profitieren kann.

Darum haben wir für Sie in diesem Buch das neueste Wissen aus diesen aktuellen Forschungen zusammengetragen sowie Praxiserfahrungen im Umgang mit Tausenden Patientinnen, Wissenswertes aus Gesprächen, Interviews und Leserbriefen und auch unsere persönlichen Erlebnisse. Darüber hinaus beleuchten wir auch die Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse von uns Frauen in der Lebensmitte: Woran lohnt es sich festzuhalten, wie gelingt liebevolles Loslassen, was bedeutet Frausein heute? Welche Ziele und Träume möchten wir Frauen uns noch erfüllen, und wie kann die Umsetzung gelingen?

Es liegt uns wirklich am Herzen, dass Sie Ihre Innere Ärztin (wieder) aktivieren, um sich selbst, Ihre Töchter, Freundinnen und Kolleginnen gesund und stabil durch die Zeit der Hormonumstellung zu bringen.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, dass sich Ihr Leben schmerzfrei, energiegeladen, stressarm, erfüllend, ausgeglichen, schön, aufregend, sexy und glücklich anfühlen kann.

Susanne Esche-Belke & Suzann Kirschner-Brouns

1Im Strudel derHormone

Gerade war noch alles in Ordnung, jetzt erkennen Sie sich selbst nicht mehr wieder? Das Gefühl kennen wir leider nur zu gut!

Die Jahre der Hormonumstellung gleichen einer Achterbahnfahrt. Sie sind aufregend und schwindelerregend zugleich. Es geht hoch, es geht runter. Zwischendurch übersteht man den einen oder anderen Looping. In einem Moment ist man angespannt, im nächsten nervös und dann wieder erwartungsvoll. Das Herz rast, der Schweiß bricht einem aus, man gerät außer Atem. Spürt man dann wieder sicheren Boden unter den Füßen, vermischt sich Stolz mit Wehmut. Man ist stolz, weil man die Tour überstanden hat, und man ist zugleich wehmütig, dass sie vorüber ist. Aber Leben ist Wandel, und das ist spannend und voller bereichernder Erfahrungen. Von dem dänischen Philosophen Søren Kierkegaard stammt die Weisheit, dass das Leben vorwärts gelebt und rückwärts verstanden werden muss.

Genauso ist es uns ergangen. Wir haben viel über unseren weiblichen Körper verstanden, allerdings immer erst im Nachhinein. Erstaunlich, denn als Ärztinnen hätten wir zumindest aus medizinischer Sicht wissen müssen, welche »Frauenphase« in unseren Vierzigern auf uns zukommt. Schließlich haben wir während des Studiums Vorlesungen in der Frauenheilkunde besucht und auch nicht wenig Zeit in der Gynäkologie verbracht. Wir können also nicht leugnen, dass uns die Hormonregelkreise des weiblichen Zyklus vertraut sind. Wir wissen ganz genau, wann das eine der zwei wichtigen weiblichen Geschlechtshormone, das Östrogen, abfällt und wann das andere, das Progesteron, ansteigt. Darüber, wie sich Hormonschwankungen auf den Körper auswirken, muss uns niemand etwas erzählen.

Dachten wir zumindest. Aber glauben Sie uns, wir wurden eines Besseren belehrt! Und das, obwohl wir natürlich schon früher die Macht der Hormone am eigenen Leib zu spüren bekommen haben, wie jedes Mädchen und jede Frau. Ohne Übertreibung kann man sagen: Wir haben sie immer schon hautnah erlebt, nämlich sowohl an den Tagen vor der Regelblutung als auch kurz nach der Geburt unserer Kinder. Welche Frau hat nicht als »Nebenwirkung« der Pubertät ihre wachsenden Brüste stolz bestaunt, andererseits aber unter dem Ziehen im Unterleib oder an leichten bis schweren Kopfschmerzen an den Tagen vor den Tagen gelitten. Ersteres war dem Hormonschub zu verdanken, Letzteres dem Hormonabfall geschuldet. Als PMS (prämenstruelles Syndrom) sorgen die monatlichen Hormonschwankungen bei 80 Prozent aller Frauen für Bauchschmerzen, Wassereinlagerungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, depressive Verstimmungen und viele andere Symptome. Auf und ab ging es in dieser Hinsicht also wirklich immer schon.

Besonders bemerkbar machen sich Hormonschwankungen während der Schwangerschaften. Die Östrogen- und Progesteronspiegel sind monatelang natürlicherweise sehr hoch. Sie sorgen für die Durchblutung des Beckens, für das Wachstum von Gebärmutterschleimhaut, Brüsten und Plazenta zur Versorgung des Fötus. Nach der Geburt sinken die Hormonspiegel rasch wieder ab. Das führt bei fast allen Müttern im Wochenbett zwischen dem zweiten und zehnten Tag zu einer ziemlich paradoxen Niedergeschlagenheit. Man ist eigentlich wahnsinnig glücklich, und trotzdem hat man von einer Sekunde auf die nächste einen Heulkrampf. Auch diese Erfahrung kennen wir.

SKB: »Als mein Mann am zweiten oder dritten Tag nach der Geburt vor dem Bett stand und mich ansah, musste ich mit einem Mal out of the blue so heftig aus der Tiefe meines Körpers heraus schluchzen, dass nicht nur er, sondern vor allem auch ich selber mich sehr darüber wunderte, während mir weiter die Tränen die Wangen herunterliefen. Da habe ich verstanden, dass der Hormonabfall zu Recht den Namen Heultage oder auch Babyblues trägt.«

Die Bekanntschaft mit der Macht der weiblichen Hormone als Mädchen und junge Frauen war aber nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was später über viele Jahre zu unserem permanenten Begleiter wurde: eine geistige und körperliche Erschöpfung, abgrundtiefe Müdigkeit, grundlose Traurigkeit, depressive Verstimmungen, Unwohlsein, Kopfschmerzen und Phasen, in denen man fast manisch-euphorisch ist oder wie ein verliebter Teenager sehr anhänglich. Und das sind nur einige Symptome des sich dauerhaft verändernden Hormonspiegels in den Wechseljahren.

Moment mal, Wechseljahre? Mit Anfang, Mitte vierzig? Das soll wohl ein Scherz sein?!

Keinesfalls, denn der große Irrtum besteht darin, dass sich im Zeitraum verschätzt wird nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Weilnämlich Hormonveränderungen und entsprechende Symptome bereits eintreten können, wenn Frauen noch ihre Regel bekommen. Dass die Wechseljahre nicht erst mit fünfzig eintreten, bestätigt eine Studie, die 2017 im Fachjournal Reproduction von der Universitätsprofessorin Gita Mishra, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie und Biostatistik an der University of Queensland, Australien, und Direktorin der australischen Langzeitstudie für Frauengesundheit (Australian Longitudinal Study of Women’s Health, ALSWH), veröffentlicht wurde. Die Auswertung der Daten von mehr als 51 000 Frauen aus Europa, Asien und Australien zeigt: Wenn Mädchen früh (unter elf Jahren) ihre erste Monatsblutung bekommen, dann steigt das Risiko um 80 Prozent, dass bereits vor dem 44. Lebensjahr Beschwerden durch Hormonschwankungen auftreten. Hatten sie ihre erste Periode mit zwölf Jahren (in Deutschland liegt das Durchschnittsalter bei 12,5 Jahren), liegt das Risiko bei zwölf Prozent (mit 13 Jahren bei neun Prozent). Kinderlose Frauen haben zudem ein doppelt so hohes Risiko, mit Anfang bzw. Mitte vierzig in die Wechseljahre zu kommen.

Beschwerden, die durch Hormonveränderungen bedingt sind, werden bei vielen Frauen viel zu spät erkannt und therapiert. Es gibt zwar die medizinische Einteilung in vorzeitige Wechseljahre (vor dem 40. Lebensjahr), Perimenopause (Beginn der hormonellen Veränderung bis zur Menopause) und Postmenopause (51+), doch in unseren Köpfen – von uns Frauen selber als auch der uns behandelnden Therapeuten und Ärzte – steht unverrückbar die 50+. Diese Zahl gilt als das Alter, in dem Hitzewallungen und vor allem die Beschwerden, die weniger offensichtlich mit den veränderten Hormonspiegeln zusammenhängen, in den Fokus rücken. Logischerweise werden sie auch erst dann ernst genommen und behandelt. In der ersten Hälfte der Vierziger scheint die Veränderung der Hormonspiegel nicht existent.

Selbst wir als Medizinerinnen und auch die uns behandelnden Kollegen dachten da leider nicht viel anders. Mit Anfang bzw. Mitte vierzig sind wir deshalb von Pontius zu Pilatus gelaufen: zum Orthopäden wegen der neu auftretenden Rücken- und Gelenkschmerzen; zum Neurologen wegen des plötzlichen Schwindels und der Migräne; zum Kardiologen wegen des Herzrasens. Beim Dermatologen waren wir wegen der empfindlicheren Haut und erstmaliger Allergien. Und natürlich beim Gynäkologen wegen der verschwitzten, schlaflosen Nächte, des Haarausfalls, der trockenen Haut und der Lustlosigkeit auf Sex. Die vielen Kilos, die sich quasi über Nacht am Bauch und auf den Hüften eingenistet hatten, schauten wir genauso entgeistert an wie an manchen Tagen unsere Kollegen, Nachbarn und Kinder – unsere Männer sowieso: »Wer seid ihr? Was wollt ihr von uns? Lasst uns doch bitte einfach in Ruhe!«

Wenn wir uns an einen Namen nicht mehr erinnerten oder uns auch sonst auf nichts konzentrieren konnten, dachten wir an eine frühe Form von Alzheimer. Unsere Umgebung und zunehmend wir selbst hielten uns inzwischen für Hypochonder, wenn nicht gar für verrückt. Und als wäre das alles nicht schon herausfordernd genug, kam auch noch eine depressive Verstimmung hinzu, die wirklich bedrückend und teilweise tieftraurig war. Sie raubte uns quasi den letzten Rest an Power.

SEB: »Ich selbst hätte sehr viel dafür gegeben, wenn sich ein fachkundiger Kollege die Zeit genommen hätte, mir hormonelle Zusammenhänge zu erläutern und Wege aus dem Desaster aufzuzeigen. Dann hätte ich gewusst, dass hormonelle Veränderungen eben nicht mit der Menopause, also dem Ausbleiben der Regel um das 51. Lebensjahr einsetzen, sondern viel früher. Dann hätte ich verstanden, dass meine Schilddrüse die Notbremse zieht, meine Doppelbelastung als Mutter und Ärztin meine Nebennieren schwächt und das abendliche Glas Wein meine Östrogendominanz verstärkt. Ich wäre zumindest gewarnt gewesen, dass in dieser Lebensphase weniger mehr gewesen wäre. Stattdessen gab es von allem zu viel: zu hohe Mengen Östrogen und Cortisol im Blut, zu viel Stress, einen zu hohen Anspruch im Job und zu Hause, alles perfekt machen zu wollen. Es gab zu viel Druck, auch selbst gemachten, und natürlich hatte ich den Ehrgeiz, dabei noch blendend aussehen zu wollen, trotz des einen oder anderen Pfundes mehr auf den Hüften. Nur der Schlaf, der kam in dieser Zeit leider zu kurz.«

Wie so viele andere Frauen erwischte es uns beide kalt. Wir standen mitten im Leben, doch mit einem Mal (oder schleichend?) bestimmte das eigene körperliche und seelische Durcheinander unseren Alltag und wuchs sich zu einem einzigen großen Chaos aus. Wir wussten nur eins: Wir wollten unseren Körper zurück, wir wollten wieder klar denken können, wir wollten unserer Launen wieder Herr werden, wir wollten wieder schmerzfrei sein und uns des Lebens freuen. Auch sonst sollte bitte, bitte ALLES wieder so sein wie früher!

Auf die Frage an die Gynäkologin, ob die Hormone schuld sein könnten, antwortete diese: »Sehr unwahrscheinlich, dazu sind Sie eigentlich zu jung. Wir können einen Test machen, der sagt aber nicht viel aus. Und wenn, dann würde ich Ihnen trotzdem nicht zu einem Hormonersatz raten, das ist viel zu gefährlich. Durch diese Phase müssen Sie durch, das ist jetzt so, das gehört zum Älterwerden dazu.« – »Und wie lange geht das?« – »Frau Kollegin, nicht umsonst heißt es WechselJAHRE.«

SKB: »Ich erinnere mich noch gut an den strahlend blauen Frühlingstag und den blühenden Flieder vor der Praxis der Frauenärztin in München. Ich schaffte es gerade noch die Treppe aus dem ersten Stock hinunter auf die Straße, da schossen mir auch schon die Tränen in die Augen. Meine Nerven lagen blank. Bis die Familie nachmittags nach Hause kommen würde, blieben mir noch zwei Stunden. Nichts wie ab ins Bett, Decke über den Kopf, Handy in den Flugmodus, hoffen, dass dem Kind nichts passieren würde. Niemanden sehen, niemanden hören. Über den Artikel, der noch nicht fertig war, den ich aber bis zum nächsten Morgen an die Redaktion schicken musste, würde ich mir irgendwann Gedanken machen. Nur nicht jetzt.«

SEB: »Obwohl ich seit über 20 Jahren Ärztin bin, in fünf Ländern gearbeitet habe, von der Notaufnahme bis zur Intensivstation und neben vielen Fortbildungen sogar noch eine MBSR-Achtsamkeitsausbildung absolviert hatte, bin ich vollkommen unvorbereitet in das Hormonchaos hineingestolpert. Es hat mich mehr an den Rand meiner Kräfte gebracht als meine Facharztausbildung, die ich neben dem Haushalt und unseren drei kleinen Kindern ›locker‹ schaffte.

Im Nachhinein frage ich mich natürlich, wie das passieren konnte: Wie bin ich so offensichtlich – und doch unerkannt sowohl von mir selbst als auch von den Kollegen, bei denen ich aufgrund meiner Beschwerden Hilfe suchte – in diese Phase geraten? Ich war absolut ratlos, was mit mir, einer mitten im Leben stehenden Ärztin und Mutter, auf einmal passierte. Tatsache war: Meine psychische und körperliche Verfassung erlaubte es mir nicht mehr, meinen Alltag zu meistern.«

SKB: »Nach dem Besuch bei der Münchner Gynäkologin konsultierte ich noch zwei weitere Kollegen. Keiner stellte einen Zusammenhang zwischen meiner Verfassung und der Perimenopause her. Ich dachte, dass mich nach mehreren Umzügen und einer Scheidung die Lebensumstände einfach zu viel Kraft gekostet hatten und ich darum öfter erschöpft war. Allerdings handelte es sich um eine Müdigkeit, die mir neu war. Nicht die Muskeln waren erschöpft, sondern jede einzelne Zelle. Der Kopf fühlte sich flau an wie bei einem Kater, die Gelenke schmerzten an manchen Tagen so sehr, dass ich mich nur noch mit Hilfe von Tabletten durch den Alltag schleppen konnte. Wenn ich mit dem Hund um den See ging, dann benötigte ich für den Rückweg, bei dem die Strecke bergauf durch den Wald führte, drei Mal so lange wie für den Hinweg. Ich war außer Puste, die Beine versagten ihren Dienst, ich musste mich mehrmals auf umgekippten Baumstämmen ausruhen. Dann wieder fühlte ich mich wochenlang voller Kraft und hatte Energie wie ein junges Fohlen. Wenig später lag ich auf einer Matratze auf dem Dachboden, starrte auf die Fledermausnester in den Dachbalken und hörte den ganzen Tag apathisch Walgesänge. Wochenlang, wohlgemerkt! Arbeit, Familie und meine Ehe gingen den Bach runter.«

Wir selbst wussten also erschreckend wenig über diese Zeit. Und seitdem fällt uns auf, wie wenig Patientinnen, Leserinnen und auch Freundinnen und andere Frauen, denen wir begegnen, über ihren eigenen Körper und ihre Bedürfnisse wissen. Professionelle Hilfe von den Ärzten kommt wie gesagt darum meistens nicht rechtzeitig, weil Wechseljahresbeschwerden entweder etliche Lebensjahre später eingeordnet oder als natürlicher Alterungsprozess abgetan werden. Ist halt so: Die Kraft schwindet, die Haare auch, die Muskeln sowieso. Schmerzen? Wer hat denn keine Schmerzen in dem Alter, willkommen im Club. Im Gegensatz zu anderen Kulturen wird in unserer westlichen Welt leider wenig Gesundheitswissen von den Müttern an die Töchter weitergegeben. Über intime Dinge spricht man nicht. In der Familie und selbst unter Freundinnen herrscht oft das Credo: »Da musste ich selbst durch, also wird sie das doch wohl auch irgendwie schaffen.«

Dem möchten wir ein entschiedenes Nein entgegensetzen. Am liebsten würden wir es sogar herausschreien: NEIN! Keine Frau muss das allein »schaffen«. Wir leben schließlich nicht mehr im 19. oder 20. Jahrhundert, als (immer noch!) viele Funktionsweisen des menschlichen Körpers unerforscht waren. Man zieht heute keinen Zahn mehr ohne lokale Betäubung. Und man operiert kein Neugeborenes mehr zwar unter Narkose, aber ohne Schmerzmittel, wie man es noch bis in die Achtzigerjahre tat. Bis dahin ging man bei Neugeborenen nämlich davon aus, dass das Nervensystem noch nicht so weit entwickelt wäre, dass sie Schmerzen empfinden könnten. Man entfernt auch Frauen in der Menopause nicht mehr fast schon routinemäßig die Gebärmutter (fachsprachlich heißt das Hysterektomie), wie dies bis weit in die 2000er Jahre hinein selbst bei gutartigen Erkrankungen der Fall war. So lange ging man davon aus, dass die Gebärmutter nach dem Kinderkriegen nur noch ein unnützer Störfaktor wäre. Und wenn die Gebärmutter schon rausgenommen wurde, dann die Eierstöcke gleich mit. Welche Frau braucht mit fünfzig schließlich noch Eierstöcke? Laut Faktencheck der Bertelsmann-Stiftung besaß 2012 jede sechste Frau in Deutschland zwischen 18 und 79 Jahren keine Gebärmutter mehr. Männliche Gynäkologen waren übrigens nachgewiesenermaßen schneller mit dem Skalpell zur Hand als Frauenärztinnen …

Heute weiß man um die Wichtigkeit der Eierstöcke für die Hormonproduktion – selbst nach einer Hysterektomie. Wen wundert’s?

Uns kommen heute solche Geschichten geradezu skandalös und »mittelalterlich« vor. Aber es gibt noch unzählige weitere Beispiele dafür, dass die Medizin wie jeder andere gesellschaftliche, politische und kulturelle Bereich dem gerade aktuellen Wissens- und Forschungsstand unterliegt. Hinzu kommt das Selbstverständnis der Geschlechterrollen im Wandel der Zeit.

Darum erst recht unser NEIN.

Wir leben nämlich heute in einer historisch einzigartigen Situation. Angestoßen durch die Proteste um den Paragraphen 218 und zuletzt durch die Schlagkraft der #MeToo-Debatte besitzen wir Frauen hierzulande (endlich!) die Selbstbestimmung über unseren Körper sowie reale Chancen, für uns und unsere Bedürfnisse einzustehen. Das hat zur Folge, dass Frauen mit Mitte vierzig nicht in der Versenkung verschwinden wollen mit allem, was sie ausmacht und was sie zu bieten haben. Denn sie haben allerlei zu bieten, eine ganze Menge an Kompetenz, Wissen, Attraktivität sowie Beiträgen zum Bruttosozialprodukt, zur Kindererziehung und sonstigem gesellschaftlichen und sozialen Engagement. Das alles hört nicht plötzlich auf, nur weil ein paar Hormone sich verändern.

Darum schafft es das Thema inzwischen auch in angesehene Publikationen wie The New Yorker. In der Ausgabe vom 24. Juni 2019 hat die amerikanische Harvard-Absolventin und Schriftstellerin Sarah Manguso in einem mehrseitigen Essay Position bezogen zur Bedeutung der gesellschaftlichen, sozialen und marktwirtschaftlichen Kraft der Frau im besten Alter.

Wir werden in Kapitel 3 ausführlich auf die aktuelle Studienlage zum Thema weibliche Hormone eingehen und uns auch mit der heute differenzierten Einstellung zum Thema Hormonersatz beschäftigen. So viel nur vorab: Es hat auch in der Medizin ein Umdenken stattgefunden, das uns Frauen mehr in den Fokus rückt.

Noch aus einem anderen Grund ist die Zeit jetzt reif für ein Umdenken: Die durchschnittliche Lebenserwartung für uns Frauen lag vor 100 Jahren bei 52,5 Jahren, auch aufgrund der hohen Müttersterblichkeit im Kindbett. Das bedeutete, dass viel weniger Frauen zu Beginn des letzten Jahrhunderts ihre Wechseljahre erlebten. Seitdem ist die Lebenserwartung bei uns um fast 30 Jahre gestiegen, auf durchschnittlich 83 Jahre. Wir können also heute durchaus dankbar und demütig auf die uns mit großer Wahrscheinlichkeit zur Verfügung stehenden Jahre schauen.

Lassen wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen: Wir sind in der Geschichte der Menschheit in der sensationellen neuen Situation, dass wir uns als Frau mit vierzig oder fünfzig die Frage stellen können, wie wir die kommenden Jahre gestalten und verbringen möchten. Viele von uns sehnen sich nach Gesundheit, und in der Tat ist ein Zustand ohne Schmerzen und chronische Krankheit ein hohes Gut in dieser wichtigen und langen Lebensphase. Zumindest gegen Hormondysbalancen stehen wunderbare moderne Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, sodass dadurch verursachte Beschwerden in diesem Lebensabschnitt sehr wirkungsvoll gemildert werden können.

Wir haben also hervorragende gesellschaftliche Chancen und medizinische Möglichkeiten, diese Jahre gesund, glücklich, zufrieden und aktiv für unsere Träume und Ideen zu nutzen. In jeder Hinsicht können wir die Lebensphase der Hormonumstellung mit einem neuen Selbstbewusstsein beschreiten. Keine Frau muss heute noch irgendetwas – nämlich die langen Jahre der Hormonschwankungen – allein »schaffen«. Es gibt bahnbrechende Erkenntnisse aus der Epigenetik, der Stressmedizin, der Ernährungsmedizin und modernen Hormonersatz in Form von bioidentischen Hormonen. Wir müssen nichts mehr irgendwie durchleben und vor allem nicht durchleiden, und es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Wir sind überzeugt davon, dass wir Frauen die Wechseljahresbeschwerden positiver beeinflussen können, als uns das von der Medizin und auch der Gesellschaft bislang zugestanden wurde. Vor allem ist es sinnvoll, sich schon mit Ende dreißig, Anfang vierzig mit diesem Thema auseinanderzusetzen und sich präventiv, d. h. vorbeugend Hilfe zu holen. Seien Sie schlauer als wir! Fangen Sie jetzt an und nicht erst dann, wenn Sie schon monatelang auf dem Dachboden den Fledermäusen oder vor Ihrem Fenster den von den Bäumen segelnden Blättern zugeschaut haben. Und erst recht, falls Sie sich schon mitten im »Geschehen« befinden, denn auch dann gibt es noch viel Wertvolles und Hilfreiches für Körper und Seele zu wissen und anzuwenden.

Das kann gelingen, indem Sie Ihren Körper nicht wie einen enttäuschenden Liebhaber betrachten (und behandeln), der einen plötzlich im Stich lässt, sondern wie einen guten Freund oder eine gute Freundin, die vorübergehend in Schwierigkeiten geraten ist. Mit Wissen, Verständnis, Aufmerksamkeit und Wohlwollen kann man herausfinden, was einem gerade fehlt und was man braucht, wie z. B. eine gut verträgliche Therapie, bioidentische Hormone, Mineralien, Vitamine und Maßnahmen zur Stressreduktion.

Noch ein Aspekt ist interessant: Es heißt, dass die Jahre zwischen vierzig und fünfzig die Zeit sind, in der sich die Seele entwickeln will. Anders ausgedrückt: Es ist eine wichtige Zeit, zu sich selbst zu finden. Wer bin ich, wer will ich sein, was ist mir wichtig, welche Aufgabe habe ich hier auf Erden? Einige Frauen berichten, dass sie erst jetzt wieder an den Menschen anknüpfen, der sie einmal waren und den sie schmerzlich vermisst haben. Dringliche Aufgaben wie der Einstieg in den Beruf, die Gründung einer Familie, die Sicherung der Existenz usw. haben es über sehr viele Jahre erfordert, dass man im Außen funktioniert. Man hat erwachsene Rollen angenommen oder musste ihnen gerecht werden: die Mutterrolle, die Rolle der Partnerin, die Rolle der erwachsenen Tochter oder die der Kollegin. Aber wer bin ICH (noch) hinter all diesen Rollen?

Wir reden darum auch über Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl und Selbstverwirklichung. Das hört sich erst einmal sehr egoistisch an, aber glauben Sie uns, diese Themen haben mehr mit Stressreduktion und Gesundheit zu tun, als Sie vielleicht denken.

Nach wie vor wissen Frauen einfach zu wenig über hormonelle Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf ihren Körper, ihre Energie, Stimmung, Leistungsfähigkeit, Gesundheit oder ihr (oft leidiges Über-) Gewicht. Es ist aber eine Tatsache, dass Hintergrundwissen zu Gesundheitsthemen ungemein motivieren kann. Wenn man versteht, warum die eine Maßnahme Sinn macht oder die andere nur rausgeschmissenes Geld ist, setzt man eine Therapie oder Lebensstilveränderung viel konsequenter und leichter um. Die Maßnahmen für den Erhalt oder die Wiederherstellung der Gesundheit erscheinen dann logisch.

Wenn es gelingt, auch nur einen Teil davon in den Alltag zu integrieren, dann stehen Ihnen kraftvolle, gesunde und glückliche Jahre bevor und keine Hormonachterbahnzeit mit Hitzewallungen, Migräne, Osteoporose und Stimmungsschwankungen.

Darum möchten wir mit unserem Buch Klarheit in die unendlich vielen, teils widersprüchlichen Informationen bringen, die zurzeit über das Thema Hormone im Umlauf sind. Der Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen Disziplinen aus Schul- und Naturmedizin, der Psychologie sowie aus anderen Gesundheitssystemen wie der Traditionellen Chinesischen Medizin oder der Body-Mind-Medizin für die Wiederherstellung der Hormonbalance ist für uns selbstverständlich und wichtig, um alle Facetten und Bedürfnisse abzudecken.

Die Schulmedizin beruht als sogenannte evidenzbasierte Medizin auf dem nachweisbaren Ursache-Wirkung-Prinzip. Verschiedene Studiendesigns wie die zufällige Verteilung der Studienteilnehmer in einem sogenannten randomisierten Doppelblindversuch, bei dem weder der Patient noch der Arzt wissen, welches Medikament eingesetzt wird, sind objektiv – man könnte auch sagen fälschungssicher – und besitzen ein entsprechend hohes Ansehen in der Wissenschaft. Therapien, die nicht durch ein solch aufwändiges Studienprozedere gegangen sind, werden nicht zugelassen und meistens nicht von den Krankenkassen bezahlt. Das ist beim Einsatz von stark in den Körper oder die Psyche eingreifenden Medikamenten und hochtechnisierten Therapien gut und richtig. Da stehen wir als studierte Mediziner, die selbst randomisierte Studien durchgeführt haben, absolut dahinter.

Aus den vielen Jahren unserer Tätigkeit als Ärztin und Medizinjournalistin wissen wir aber auch, dass selbst in der evidenzbasierten Medizin die Studienlage nicht immer objektiv ist. Wirtschaftliche Interessen, Lobbyismus und anderes mehr fördern oder lenken die Entwicklung bestimmter Medikamente oder Therapien bzw. verhindern sie. Viele Medikamente werden zudem vorwiegend an gesunden, jungen Männern getestet und nicht an Frauen und Kindern. Darum weichen Dosierungen oder auch Nebenwirkungen nicht selten von den standardisierten Empfehlungen ab. Zudem wurde schon oft in der Geschichte der Pharmakologie ein Medikament kurz nach seiner Zulassung als Sensation in den Himmel gelobt, um dann später in seiner Anwendung wegen »unvorhergesehener« Nebenwirkungen eingeschränkt oder gar verboten zu werden. So wurde bis 1977 Diethylstilbestrol (DES) bei Hunderttausenden Frauen in der Frühschwangerschaft verabreicht zur Verhinderung einer Fehlgeburt. Später fand man heraus, dass es das Ungeborene schädigt und zu einem vermehrten Auftreten von Vaginalkrebs bei den Töchtern führt. Und auch gegenteilige Beispiele sind bekannt: So war es früher kontraindiziert, nach einem Herzinfarkt einen β-Blocker zu geben, ein Medikament, das u. a. die Herzfrequenz senkt. Heute wäre es ein Kunstfehler, dies nicht zu verschreiben.

Auch das Gegenteil ist bekannt: Präparate, deren Wirkung nicht durch harte Studien bewiesen werden kann, gelten als wertlos. Wer beispielsweise als Arzt bis vor einigen Jahren behauptete, dass sich der Verlauf chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa durch die Gabe von lebenden Bakterienstämmen, sogenannten Probiotika, sowie eine bakterienfreundliche Ernährung mit fermentierten Lebensmitteln positiv beeinflussen lässt, galt in Fachkreisen als Esoteriker. Da man den Mechanismus nicht durch eine randomisierte Doppelblindstudie nachweisen konnte, wurde der lindernde Effekt auf die Erkrankung, den man bei Tausenden Patienten sehr gut beobachten konnte, bestenfalls als Placeboeffekt, schlimmstenfalls als Quatsch abgetan. Bis man im Jahr 2003 mit einer neu entwickelten Technik alle Gene im menschlichen Körper entschlüsselte und damit die gesamte Wissenschaft auf den Kopf stellte. Eine Sensation! Wissenschaftler nutzten diese Technik später, um die Gesamtheit der Bakteriengene im menschlichen Körper zu identifizieren. 2014 war es dann so weit: Man stellte fest, dass im Darm über 100 Billionen »gute« Bakterien leben, die nicht nur unser Immunsystem stärken und gegen Entzündungen, Krebs und vieles mehr schützen, sondern auch unsere Psyche beeinflussen. Das seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt in allen Kulturen bekannte Wissen darüber, wie wichtig die Darmflora für unsere Gesundheit ist und dass man diese lebenden Bakterien gezielt »füttern« kann, gilt erst seit sechs Jahren (!) als bewiesen. Heute würde es kein Kollege mehr wagen, einen Mediziner zu verunglimpfen, der seinem Patienten ein Probiotikum verschreibt, z. B. um die Darmflora nach einer Antibiotikatherapie wieder aufzubauen oder um die Symptome bei CED zu mildern. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie zurückhaltend und demütig wir darin sein sollten, heilende Maßnahmen zu verurteilen, nur weil die entsprechende technische oder biochemische Nachweismethode (noch) nicht erfunden wurde.

Wir stellen Ihnen darum die neuesten evidenzbasierten Studien aus unterschiedlichen Disziplinen sowie Leitlinien und Beispiele aus der medizinischen Praxis inklusive wertvoller ärztlicher Insidertipps vor. Wir sprechen aber auch Maßnahmen an, die aus Erfahrung bei vielen Frauen zu einer Besserung der Beschwerden geführt haben oder sogar präventiv wirken. Ein Quellenverzeichnis finden Sie am Ende des Buches.

Midlife-Care beginnt jetzt!

Die mittlere Lebensspanne (middle age) ist definiert als die Lebensphase zwischen dem 40. und 55. Lebensjahr. Statistisch gesehen stellt sich bei den meisten Frauen der letzte Zyklus um das 51. Lebensjahr ein. Der Definition nach beginnt ein Jahr nach der letzten Periode die Menopause (also die Pause von der Menstruation, ein nicht ganz zutreffendes Wort. MenoENDE wäre richtiger). Spätestens dann spüren auch die Glücklichen unter den Frauen, die nicht unter Wechseljahresbeschwerden leiden, die Auswirkungen der hormonellen Veränderungen, logischerweise dadurch, dass sie ihre Tage nicht mehr bekommen.

Hormonveränderungen beginnen bei uns Frauen aber wie gesagt nicht erst mit Ende vierzig, sondern häufig schon fünf bis zehn Jahre früher. Zumindest hinsichtlich der Jahreszahlen spiegelt sich dies auch in den neuen Leitlinien von 2018 der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) wider. Hinsichtlich des Alters gilt als evidenzbasierte Empfehlung: »Die Peri- und Postmenopause bei über 45-jährigen Frauen sollen aufgrund klinischer Parameter diagnostiziert werden.« Und weiter: »Eine Bestimmung des FSH (follikelstimulierenden Hormons) zur Diagnose der Peri- und Postmenopause soll nur bei Frauen zwischen dem 40. und 45. Lebensjahr mit klimakterischen Symptomen (z. B. Hitzewallungen, Zyklusveränderungen) sowie bei Frauen unter 40 Jahren mit Hinweis auf vorzeitige Ovarialinsuffizienz erfolgen.«

Viele Frauen bemerken mit Anfang vierzig, dass sich ihr Körper oder/und ihre psychische Verfassung verändert. Ausgerechnet in der Rushhour des Lebens! Man hat eine Familie gegründet, ist eventuell in eine neue Stadt oder ein neues Zuhause gezogen, hat sich im Job etabliert, den Freundeskreis erweitert, kümmert sich um die Eltern, engagiert sich sozial, tut etwas für sein Aussehen und hat noch eine ganze Menge anderes um die Ohren. Kein Wunder also, dass man sich immer häufiger und vor allem schneller erschöpft fühlt. Die Lust auf den eigenen Mann lässt nach, die Freude auf den Urlaub ist getrübt, die Hose kneift, und auch sonst hat sich etwas ganz grundsätzlich auf die eigene Stimmung gelegt. Dabei ist das Leben so reichhaltig und voll geworden! Man könnte wirklich stolz auf sich sein. Jetzt innehalten und sich selber anerkennend auf die Schulter klopfen, das wäre eine gute Maßnahme, in vielen Situationen sogar die einzig sinnvolle. Stattdessen wird das Nervenkostüm immer dünner.

Doch das liegt – wenn eine organische oder psychische Krankheit ausgeschlossen ist – keineswegs an mangelndem Willen oder Organisationstalent, an nachlassendem Ehrgeiz oder daran, dass frau als Mutter oder Partnerin versagt. Sehr wahrscheinlich liegt es daran, dass sich gerade die Hormonspiegel selbstständig machen und zu handfesten Beschwerden führen, begleitet von irritierenden Gefühlen. Wer war dieser Körper noch mal, kann man ihm je wieder vertrauen?

»Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist. Ich bin nicht mehr ich selbst.« Vielleicht kommt Ihnen dieser Satz vertraut vor, weil schon wieder alle Muskeln wehtun oder Sie vor Kraftlosigkeit morgens nicht aus dem Bett kommen. Oder weil Ihnen plötzlich – natürlich in den unmöglichsten Situationen – die Luft ausgeht, so als hätte jemand mit einer Nadel in einen Luftballon gestochen. Auch wenn das zunächst kein wirklicher Trost ist, aber zwei Drittel aller Frauen zwischen vierzig und sechzig leiden unter leichten bis schweren Wechseljahressymptomen, nur ein Drittel bleibt beschwerdefrei. Stimmungsschwankungen, emotionale Labilität, Weinerlichkeit, ein schwaches Nervenkostüm – es gibt viele Umschreibungen dieses plötzlichen Zustands, in dem nichts mehr so ist, wie es vorher war. Der Fragebogen am Ende dieses Kapitels hilft Ihnen herauszufinden, wo Sie selbst gerade stehen. Weil die Beschwerden aber auch durch weitere Hormondysbalancen ausgelöst werden können wie durch eine Schilddrüsenunterfunktion oder durch eine Nebennierenerschöpfung als Folge von chronischem Stress, schauen wir uns diese Hormone ebenfalls an.

SKB: »Glücklicherweise habe ich nie im Job die Fassung verloren, aber mehr als einmal in anderen Situationen. Ich erinnere mich an ein Abendessen mit Freunden in einem Restaurant, bei dem mir mit einem Mal dicke Tränen die Wangen herunterliefen. Ich konnte mich nicht mehr beruhigen, sodass ich schließlich aufstand und mich unter den mitfühlenden Blicken der anderen Gäste auf die Toilette flüchtete. Wahrscheinlich dachten sie, wir hätten uns gestritten, aber nein! Der Anlass war sogar freudig: Bekannte hatten dem Sohn einer Freundin zum Abitur eine alte Goldmünze geschenkt, die sie bei ihrer Flucht aus dem Iran gerettet hatten. Es waren weder meine Bekannten, noch war es mein Kind, dennoch rührte mich diese Szene so derartig an, dass ich mich erst nach 20 Minuten wieder gefangen hatte und an den Tisch zurückkehren konnte. In anderen Momenten brachte mich ein einziges Wort meines Sohnes oder meiner Mutter oder die Reaktion einer Arbeitskollegin in eine ähnliche Lage. Ich finde es vollkommen in Ordnung, Emotionen zu zeigen. Ich schäme mich auch keineswegs für ein paar Tränen, aber wenn man so unvorhergesehen durch ein einzelnes Wort oder eine Geste von seinen Emotionen überwältigt wird, ist das schon sehr seltsam.«

Folgende Symptome können auftreten, und glauben Sie uns, wir selber haben so einiges davon durchmachen müssen. Und das wenige, das wir nicht persönlich kennengelernt haben, wurde uns zugetragen – firsthand sozusagen – durch Patientinnen, Freundinnen, in Interviews und Gesprächen, die wir in unserem beruflichen und privaten Umfeld geführt haben.

Symptome, die in der Perimenopause auftreten können:

Körperliche Symptome

Hitzewallungen

Energieverlust

Trockenes Auge (Kontaktlinsen werden schlechter vertragen)

Diffuse Muskel- und Gelenkschmerzen

Kopfschmerzen/Migräne

Verstärktes PMS

Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit

Nervosität

Haarausfall

Gewichtszunahme

Schlafstörungen

Nachlassende Libido

Trockene Scheide

Schmerzen beim Geschlechtsverkehr

Zunahme von Allergien und Asthma

Geistige/seelische Symptome

Stimmungsschwankungen (nahe am Wasser gebaut sein, schnelle Gereiztheit)

Melancholie und depressive Verstimmungen (innere Leere, Traurigkeit, Emotionslosigkeit, Freudlosigkeit)

Ängste

Keine Lust mehr auf Sex

Ausgebranntsein bis hin zur totalen Erschöpfung

Brain fog (diffuses Gefühl im Gehirn, man fühlt sich dizzy, neblig)

Keine(n) »Biss/Neugierde/Ehrgeiz/Ziele« mehr haben oder/und keine Energie, die Ziele umzusetzen

Verminderte Stressresistenz

Leistungsabfall (man ist nicht mehr so belastbar)

Innere Wut (u. U. mit permanenter Muskelanspannung, nächtlichem Zähneknirschen)

Beziehungsprobleme

Für das Auftreten der Beschwerden gibt es kein Drehbuch. Jede Frau – wie jeder Mann und jedes Kind – ist ein Individuum. Darum sind auch die Beschwerden individuell. Bei der einen Frau sind es rein körperliche Symptome wie Hitzewallungen und eine trockene Scheide, die andere leidet unter Stimmungsschwankungen und brain fog. Bei vielen wechseln die Symptome von heute auf morgen. Auch Kombinationen treten auf. Die Konzentration lässt z. B. nach. Wenn man seine Arbeit darum nicht rechtzeitig oder zufriedenstellend erledigen kann, führt das zu vermehrtem Stress. Als Folge liegen natürlich die Nerven blank. Oder man wacht nachts klatschnass auf, wechselt in manchen Nächten nicht nur einmal, sondern alle zwei Stunden das Nachthemd oder das Laken. Kein Wunder, wenn sich Schlafstörungen einstellen. Fehlender Schlaf oder eine schlechte Schlafqualität wiederum belasten das Immunsystem, die Infektionshäufigkeit nimmt zu.

Sehr rasch kämpft man an ziemlich vielen Fronten. Wie soll man da noch den Überblick behalten, vor allem, wenn sich von einer Sekunde auf die nächste profane Alltagsdinge so groß aufblasen, dass man vor ihnen steht wie vor der Eiger-Nordwand oder einem anderem Bergmassiv? Da steht man dann und blinzelt ungläubig und verzweifelt das Hindernis an, das gestern noch ein unschuldiger Einkaufszettel war, eine harmlose Telko oder eine Topfblume, die Wasser braucht. Rien ne va plus – nichts geht mehr. Zumindest nicht so gelassen und glücklich oder zufrieden, wie es einmal möglich war oder wie man es gerne (wieder) hätte. »Stell dich nicht so an, reiß dich zusammen«, denkt man halb verwundert und halb ärgerlich über sich selber oder bekommt diesen Satz leider nun auch immer öfter aus seinem näheren Umfeld zu hören.

Wenn man dann bei Ärzten keine Hilfe findet, wenn weder das Wellnesswochenende noch der Urlaub eine anhaltende Entspannung gebracht hat und jeder Morgen schon um 6.30 Uhr gelaufen ist, weil der Sohn oder die Tochter mit einer patzigen Antwort die Badezimmertür zuschlägt und man darüber so betrübt ist, als wäre gerade ein Haustier gestorben – spätestens dann beginnt das Gedankenkarussell: »Habe ich eine seltene chronische Erkrankung, die kein Arzt diagnostizieren kann?«

»Bin ich nicht mehr leistungsfähig, weil ich zu undiszipliniert geworden bin?«

»Habe ich ein Burnout?«

»Drehe ich jetzt völlig durch?«

Nein, wir können Sie beruhigen, Sie drehen überhaupt nicht durch, das ist alles vollkommen »normal«. Dabei möchten wir betonen, dass wir das Wort »normal« hier nur für Ursache und Wirkung verwenden, das heißt: Der Östrogenmangel kann Schlappmachen oder die Östrogendominanz zu Unruhe und Nervosität führen. »Normal« heißt wohlgemerkt nicht, dass Sie sich damit wohl oder übel arrangieren müssen.

Dabei geht es nicht darum, der biologischen Uhr ein Schnippchen schlagen zu wollen nach dem Motto »Fünfzig ist das neue Dreißig«. Auf diesen Jugendwahn wollen wir bewusst nicht aufspringen, denn er führt nicht nur zu einem Kampf gegen Windmühlen, sondern auch zu unendlichem Stress. Leben ist Wandel, Älterwerden ist schön, die ersten Lachfältchen um die Augen zeugen von viel Spaß und Freude im Leben, ein paar Kilos mehr auf den Hüften sehen attraktiv aus. Graue Haare kann man färben, wenn man möchte. Schummeln ist erlaubt. Aber wer mit fünfzig krampfhaft noch so aussehen will wie eine 30-Jährige oder meint, das zu müssen, huldigt einem verzerrten Frauenbild, das auf rein äußerlicher (vermeintlich jugendlicher) Schönheit basiert. Da wollen wir nicht mitmachen.

Stattdessen möchten wir alle Frauen in dieser Lebensphase darin unterstützen, diese Jahre trotz der Hormonveränderungen körperlich, psychisch und seelisch gesund und harmonisch erleben zu können. Die Betonung liegt hier auf gesund, vital, ausgeglichen, schön und friedlich – dieses Ziel sollte für alle Frauen »normal« sein dürfen!

Patientengeschichte: Perimenopause statt depressiver Verstimmung

Die promovierte Wissenschaftlerin Anna, 38 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder, kam mit folgenden Symptomen in meine Sprechstunde: Antriebsarmut, Schlafstörungen, nächtliches Schwitzen, ein unregelmäßiger Zyklus, Libidoverlust, Konzentrationsstörungen bei ihrer anspruchsvollen Arbeit sowie Ängste und depressive Verstimmungen. Inzwischen litten Arbeit und Partnerschaft unter den Beschwerden, sodass Anna sich in psychiatrische Behandlung begeben hatte und ein Antidepressivum einnahm. Trotzdem ging es ihr schlecht.

Meine Überlegung war, es könnte sich um einen verfrühten Wechseljahresanfang handeln. Die behandelnde Psychiaterin hielt meinen Verdacht für Unsinn, weil Anna »noch so jung« war, und es dauerte einige Zeit, um die Skepsis aufzulösen. Schließlich erklärte sich Anna damit einverstanden, dass wir ihren Hormonstatus testeten.

Die Laborwerte bestätigten meinen Verdacht: Die Progesteronwerte waren kaum nachweisbar, der Östrogenspiegel weit unter dem Normwert.

Wir starteten eine interdisziplinäre, ganzheitliche Therapie. Die Gynäkologin verschrieb Anna bioidentische Hormone (eine Östrogencreme und Progesteronkapseln) und DHEA (Dehydroepiandrosteron, der Hauptvorläufer der Sexualhormone, das sogenannte »Jungbrunnenhormon«) in geringen Mengen. Anna bekam zusätzlich Vitamin D und reduzierte den Zuckergehalt in ihrer Ernährung. In Absprache mit der Psychotherapeutin wurde die Dosis des Antidepressivums langsam bis auf null reduziert. Die Ängste und depressiven Verstimmungen arbeitete Anna mit ihrer Psychotherapeutin weiter in einer Gesprächstherapie auf.

Annas Zustand stabilisierte sich von Woche zu Woche. Unter regelmäßiger Progesterongabe am Abend besserten sich die Schlaf- und Konzentrationsstörungen deutlich. Ihre Nervosität ließ nach, und sie wurde insgesamt zufriedener und ausgeglichener.

Nach einem halben Jahr hatte sich ihr Gewicht sichtbar reduziert, die Beziehung war wieder im Lot, und sie sah sich in der Lage – und war darüber enorm glücklich –, eine Führungsposition anzunehmen.

Wenn Ihr Arzt Ihnen sagt: »Sie bekommen Ihre Regel ja noch. Da müssen wir Ihre Werte nicht messen, eine Blutabnahme ist vollkommen unsinnig, Sie haben nichts«, dann lassen Sie sich nicht abwimmeln. Die Beschwerden von Frauen sind real, und sie müssen ernst genommen werden. Wie bereits eingangs erwähnt, rät die DGGG in ihren Leitlinien zur Hormonbestimmung bei entsprechenden Beschwerden auch unter 45 Jahren.

SEB: »Als Allgemeinmedizinerin habe ich in den letzten Jahrzehnten immer wieder Patientinnen mit Problemen behandelt, die durch physische und emotionale Instabilität ausgelöst wurden. Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass sich viele Frauen in den Jahren der Perimenopause unwissend in einen emotionalen Erschöpfungszustand hineinmanövrieren. Oder keine Hilfe bekommen, weil die klassischen Laborwerte »in Ordnung«, also im Normbereich liegen. Hier lohnt es, ganz genau hinzuschauen, denn der einen Patientin geht es gut, wenn ihr Wert gerade eben im Normbereich liegt, der anderen aber nicht. Die noch als gesund geltenden Bereiche können bei einigen Laborwerten sehr weit gefasst sein. So kommt eventuell eine Patientin mit einer latenten Schilddrüsenunterfunktion, deren TSH-Wert noch in der klassischen Normwertobergrenze liegt, nicht aus dem Bett und ist depressiv. Eine andere Patientin mit dem gleichen Wert ist hingegen topfit. Meiner Erfahrung nach passt der Leidensdruck in vielen Fällen nicht zum Laborwert. Es ist deshalb wichtig, dass für die Therapie nicht nur eine Zahl auf einem Stück Papier berücksichtigt wird, sondern auch und vor allem der klinische Zustand der Patientin.«

Dabei ist die Beziehung zwischen Arzt oder Therapeut und Patientin von immenser Bedeutung. Frauen wünschen sich ein von Empathie und Respekt getragenes Verhältnis. Wegen der eng getakteten Sprechstunden und weil sich Ärzte immer mehr spezialisieren, gibt es jedoch kaum Gelegenheit, ausführlich und fachübergreifend über das individuelle Befinden zu sprechen. Die niedergelassenen Ärzte müssen heute innerhalb kürzester Zeit viele Patienten durch die Praxis schleusen. Für die »sprechende Medizin«, also ein Gespräch in entspannter Atmosphäre und mit genügend Zeit, damit die Patientin überhaupt von sich erzählen mag, wird immer noch zu wenig Budget seitens der Krankenkassen zur Verfügung gestellt.

Wir möchten hier keineswegs die Expertise unserer Kollegen und der vieler engagierter Therapeuten in Zweifel ziehen. Sie alle leisten mit großartigem Einsatz eine tolle Arbeit! Wir würden uns nur häufiger einen weiter gefassten Ansatz wünschen, der die evidenzbasierte Schulmedizin inklusive klassischer Labormedizin mit dem Wissen aus der Naturheilkunde und Psychologie sowie auch aus der Body-Mind-Medizin verbindet. Dadurch könnten auch die emotionalen und spirituellen Aspekte dieser Lebensphase besser berücksichtigt werden.

Das Abtun der Beschwerden von professioneller Seite lässt Patientinnen – und auch wir Ärztinnen sind Patientinnen – nicht selten frustriert und ratlos von einem Arztbesuch nach Hause zurückkehren. Genau das möchten wir Ihnen zukünftig ersparen. Sie sollen nicht mit Ihren Problemen allein gelassen werden. Sie sollen wissen, was in Ihrem Körper passiert, was Ihnen fehlt und was Sie brauchen.

Selbst ist die Frau, und Wissen ist Macht

Dafür ist Zugang zu Information und Wissen notwendig. Glücklicherweise haben wir Frauen diese Möglichkeit heute, zumindest wenn wir in einem offenen, freien Land leben. Anlässlich des Jahrestags Hundert Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland ist 2019 viel über die Rolle der Frau im Wandel der Gesellschaft geschrieben worden. Wir Frauen treffen heute freie Entscheidungen über unsere Ausbildung, unsere Arbeitsplatzwahl und Lebensform. Wir verfolgen selbstverständlich unsere Träume und müssen nicht mehr grundsätzlich um das Recht, z. B. Medizin zu studieren (wie hierzulande bis 1900) oder ein eigenes Bankkonto zu eröffnen (wie bis 1962) oder im Verein Fußball spielen zu dürfen (wie bis 1971), kämpfen. Auch verfügen wir nun per Gesetz quasi über unseren eigenen Körper. Selbst wenn es an der Gleichberechtigungsfront immer noch viel zu tun gibt (wir denken dabei an gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Führungspositionen bei gleicher Qualifikation, einen partnerschaftlichen Umgang in der Kindererziehung, auf Frauen abgestimmte Medikamente und vieles mehr), so machen wir alles in allem drei Kreuze, dass wir im Jahr 2020 leben.

Gesellschaftliche Diktate existieren immer noch, aber es werden weniger. Als ältere, etwas fülligere Frau wird man nicht mehr als »Matrone« bezeichnet, und mit blöden Sprüchenin den Umkleidekabinen der Fitnessstudios oder Witzen wie »Wechseljahre sind die Zeit, die Frau zu wechseln …« verdient sich heute ein alter weißer Mann keine Lorbeeren mehr, nicht einmal mehr unter seinesgleichen. Auch wenn dies stereotype Beispiele sind, deren Überwindung eigentlich nicht der Rede wert sein sollte, so zeigt die aktuelle Debatte, dass wir einen großen Schritt weiter sind.

Wir können wählen, ob wir uns für oder gegen eine berufliche Karriere entscheiden, ob wir ab einem bestimmten Zeitpunkt unsere Haare färben oder natürlich grau tragen wollen, ob wir unsere Füße in Highheels in Szene setzen oder in flachen Schuhen bequem durch die Gegend gehen möchten, ob der Rock bis über oder unter das Knie reichen soll. Wir können experimentierfreudige Jahre mit befriedigendem Sex erleben oder uns mit einem Buch oder einer Netflix-Serie ins Bett verkriechen. Wir können uns auch für beides entscheiden: Sex genießen und danach wochenlang nur uns selbst. Wir können loslassen und zufrieden sein mit dem, was wir im Leben erreicht haben, oder aber im Job noch einmal durchstarten. Wer das jetzt liest und sich dadurch zu sehr unter Druck gesetzt fühlt nach dem Motto höher, schneller, weiter, dem möchten wir sagen: Sie müssen gar nichts. Seien Sie gnädig mit sich. Alles ist erlaubt, unglaublich vieles ist möglich, aber keine Frau muss sich mehr irgendetwas beweisen.

Es ist darum auch keine Schande, wenn man seine Hormone nicht »im Griff« hat. Das hat nichts mit Schwäche zu tun. Deshalb sollte sich keine Frau mehr schämen müssen, wenn sie über ihre Befindlichkeiten spricht. Und keine Frau sollte mehr mit ihren real vorhandenen Symptomen aus einer Arztpraxis weggeschickt oder als überempfindlich abgestempelt werden.

Genau dieses Gefühl schildern uns nämlich immer wieder Frauen, auch jene, die sich über viele Jahre ein selbstbestimmtes Leben aufgebaut haben. Sie berichten von zutiefst demütigenden Situationen, in denen sie sich hilflos und unmündig fühlen, weil sie von der Medizin nicht ernst genommen werden. Trauen Sie sich, Ihren »Zustand« anzusprechen, denn es gibt viele Behandlungsmöglichkeiten! Denken Sie immer daran: Es geht sehr, sehr vielen Frauen genauso wie Ihnen!

SEB: »Die Gespräche mit meinen Patientinnen im Laufe der letzten Jahre haben mir einen ganz anderen Blick auf meinen Beruf und das Leben gegeben. Ich bin unendlich dankbar für die Offenheit und das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde. Ich stelle immer wieder fest, dass viele Kollegen bei der Behandlung von Patientinnen im Alter von fünfunddreißig aufwärts den Bereich der Hormone aus ihrer Behandlung völlig ausklammern. Mir erzählen Patientinnen, dass ihre behandelnden Ärzte die Hormonspiegel nicht im Labor untersuchen wollten mit der Begründung, dass die Werte sich zu oft ändern würden, die Krankenkassen die Kosten nicht erstatten würden oder sie noch ihren Zyklus hätten, sodass keine Hormonstörung vorliegen könnte. Aber bei so vielen Symptomen, die mir in der täglichen Praxis begegnen, müssen Hormone als Ursache in die Behandlungsstrategie miteinbezogen werden. So leiden viele Frauen mit Mitte dreißig schon jahrelang unter nicht diagnostizierten Schilddrüsenfunktionsstörungen. Diese werden oft erst entdeckt, wenn die Frauen wegen eines unerfüllten Kinderwunsches ein entsprechend spezialisiertes Zentrum aufsuchen.«

Wie Hormone Körper und Psyche steuern

Oft reicht ein Millionstel Gramm Hormon pro Liter Blut aus, um eine Reaktion zu erzeugen. Das kann auch ganz schnell gehen: Wenn man sich aufregt oder plötzlich in eine Stresssituation gerät, bringen uns die Hormone Adrenalin und Noradrenalin mir nichts dir nichts auf die Palme. Andere Hormone wie das Schilddrüsenhormon wirken erst nach Tagen.

1895 wurde Adrenalin als erstes Hormon isoliert. Seitdem sind circa 150 verschiedene Hormone in unserem Körper erforscht worden. Geschätzt wird aber, dass es weit mehr als tausend gibt. Sie werden vorwiegend in den sechs großen Hormondrüsen Hypothalamus, Hypophyse, Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse, Nebennieren und männlichen beziehungsweise weiblichen Geschlechtsdrüsen (Keimdrüsen) produziert. Und auch, was die wenigsten wissen, im Darm. Über das Blut gelangen sie zu den Zielzellen, stecken sich dort wie ein Schlüssel in das passende Schlüsselloch, den Rezeptor, und setzen die entsprechende Wirkung in Gang.

An oberster Stelle stehen Hypothalamus und Hypophyse, die beiden Hormondrüsen im Gehirn. Sie geben Hormone ab, die die anderen Hormondrüsen regulieren. So steuert beispielsweise das Thyreoidea stimulierende Hormon (TSH) die Hormonfreisetzung aus der Schilddrüse oder das follikelstimulierende Hormon (FSH) die Hormonproduktion in den Eierstöcken und Hoden. Außer in den Drüsen werden Hormone in kleineren Mengen auch in anderen Körpergeweben wie dem Fettgewebe, im Blut und Darm produziert.

Einige Hormone sind Gegenspieler, z. B. Insulin und Glukagon. Das heißt, ihre Wirkung bedingt sich gegenseitig. Ersteres senkt den Blutzucker, Letzteres hebt ihn an, sodass im günstigsten Fall der Blutzuckerspiegel ausgeglichen ist. Andere Hormone wirken wie Dominosteine: TRH aus dem Hypothalamus stimuliert die Hypophyse zur Freisetzung von TSH, und dieses wiederum bewirkt die Produktion von Schilddrüsenhormonen in der Schilddrüse. Hormone wie Östrogen und Progesteron arbeiten zusammen, im Falle einer Schwangerschaft lassen beide die Gebärmutterschleimhaut wachsen.