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Der kontrollierte Absturz einer Sonde auf dem Mond sollte neben der Entdeckung von gefrorenem Wasser auch den Beweis antreten, ein bislang unbekanntes Metall aufzuspüren. Dies basiert auf den Erkenntnissen einer Jahrtausend alten Steinplatte, die der Sprachen- und Kulturwissenschaftler Thomas Martin in der Cheopspyramide fand und entschlüsselte. Das öffentlich getragene Projekt gerät für den Wissenschaftler zum Disaster - bis zu dem Tag, an dem eine mysteriöse Frau in seiner Wohnung auftaucht. Von diesem Moment an ändert sich alles für Thomas Martin. Aber nicht nur für ihn. Die Weltordnung gerät aus den Fugen und sämtliche Großmächte stehen sich bald feindlich gegenüber. Eine atomare Vernichtung scheint zunehmend wahrscheinlich, bis plötzlich ein fremdes Wesen auftaucht und alles verändert.
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Seitenzahl: 374
Vorwort
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Epilog
Nachwort
Es ist nicht meine Absicht, die in dem Buch genannten Länder an den Pranger zu stellen. Sie sind für mich Instrument, meine Geschichte für die Leser interessanter und greifbarer zu gestalten. Wenn Sie Parallelen zur heutigen Lage erkennen, so ist dies rein zufälliger Natur.
Vor vielen Tausend Jahren lebte in unserem Sonnensystem ein Volk, das im Vergleich zur menschlichen Rasse, technologisch weit überlegen war. Auch nachdem ihr Planet aufgehört hatte zu existieren, nannten sie sich immer noch voller Stolz das Volk der Malcorianer.
Vor einem Monat entsandte die ESA (European Space Agency) eine Sonde zum erdnahen Mondtrabanten. Thomas Martin, Sprachen- und Kulturwissenschaftler und darüber hinaus begeisterter Hobbyarchäologe, fieberte diesem Ereignis mit besonderem Interesse entgegen.
Der kontrollierte Absturz der 'Iceeyesonde' sollte zum Zweck haben, gefrorenes Wasser auf der Südpolseite des Mondes nachzuweisen. Für künftige bemannte Missionen von allergrößter Wichtigkeit. Damit wäre die Möglichkeit zur Errichtung eines zukünftigen, dauerhaften Außenpostens der Menschheit geschaffen. Das Eis könnte in seine chemischen Bestandteile zerlegt und in Sauerstoff oder Raketentreibstoff umgewandelt werden. Doch die Sonde sollte noch einen anderen Beweis erbringen: Mit weiteren Messinstrumenten ausgestattet sollte sie ein besonderes, bislang nie nachgewiesenes Metall mit dem Namen Roclam aufspüren.
Aufzeichnung Thomas Martin
Bis vor wenigen Wochen war ich noch verantwortlicher Leiter zur Aufspürung des Roclam-Metalls. Unter den Kollegen hatte ich einen Ruf zu verteidigen oder meine Glaubwürdigkeit für immer zu verlieren. Ich setzte alles für diese Mission auf eine Karte. Aber ich scheiterte. Das Eis auf dem Mond wurde zwar - wie vermutet - gefunden, doch das Metall konnte nicht nachgewiesen werden. Vor zwei Wochen zog ich deshalb die Konsequenz aus meinem Versagen, das mir in sämtlichen Boulevardblättern ununterbrochen vorgehalten wurde. Sie zerrissen mich regelrecht in der Luft. In beiderseitigem Einverständnis kündigte ich meine Stelle bei der ESA. Viele meiner Kollegen bedauerten meine Entscheidung, da ich doch derjenige war, der glaubte mit der Mission belegen zu können, dass die Menschheit ihre ersten Schritte in die Zivilisation einer außerirdischen Rasse zu verdanken hatte.
Diese Behauptung, die ich aufgrund einer jahrtausendalten Steinplatte in der Cheopspyramide gefunden hatte, galt es mit der 'Iceeyemission' zu belegen. Ich wollte den Beweis antreten, dass wir Menschen einst Kontakt mit einer außerirdischen Lebensform hatten. Es hätte die Sensation des Jahrtausends werden können. Heute war sie zu einem 'Dumme Jungen Streich' deklassiert worden. Natürlich stürzten sich die Medien auf das willkommene Fressen: des Versagens der Sonde. Aber bevor sie auch nur ein schlechtes Wort über die ESA-Organisation oder meinen kompetenten Kollegen in der Forschungsabteilung verlieren konnten, zog ich es vor, die alleinige Verantwortung über das Versagen der Instrumente auf mich zu nehmen. Vielleicht konnte ich mit meinem Rücktritt den Kollegen und auch der Organisation helfen, sie aus dem Visier des Kreuzfeuers der Medien zu nehmen.
Da die Jobangebote in meiner Branche doch recht überschaubar sind, werde ich auch in der nächsten Zeit nicht so schnell ein neues Angebot erhalten. Betrachtet man zudem die Tatsache, dass ich Steuergelder in Millionenhöhe 'verbrannt' hatte, reduzierten sich meine Chancen auf Null.
Auf die Unterstützung meiner von mir getrennt lebenden Frau kann und möchte ich mich ehrlicherweise auch nicht verlassen. Joan. Wie es ihr wohl gerade geht? Ziemlich armselig von mir, erst jetzt an sie zu denken.
Bringt wohl der Umstand mit, dass ich auf einmal so viel Zeit zum Nachdenken habe. Nein. Es wäre einfach nicht fair, sie mit meiner Person zu belasten. Mann! Reiß dich zusammen, Thomas! Wir leben getrennt! Und das schon ziemlich lange. Waren es nicht schon Monate?
Mit Joan wollte ich eine Familie gründen. Familie. Was wusste ich schon über Familie? Ich war ein Pflegekind, das in einer traditionsverbundenen, rüstigen Mittelstandfamilie groß wurde. Aufgewachsen im Großraum Karlsruhe. Dass ich nur ihr Pflegekind gewesen war, erzählte mir meine Mutter erst, als sie, durch den Krebs geschunden, auf ihrem Sterbebett lag. Nach ihrem Tod bin ich schnellstmöglich ins Ausland gegangen, um dort zunächst Archäologie zu studieren. Vor allen anderen Dingen brauchte ich erst einmal Abstand. Wie sehr ich damit meinen Pflegevater verletzt hatte, der mich in dieser schwierigen Zeit sicher gebraucht hätte, konnte ich mir damals nicht vorstellen. Zu jung und egozentrisch war ich wohl. Es tut mir leid Vater.
Meine Arbeit war für mich bis zuletzt der zentralste Punkt in meinem Leben gewesen. Ich konnte es Joan nicht einmal verübeln, dass sie sich von mir abgewandt hatte.
Leider kam meine Erkenntnis wie immer in sozialen Angelegenheiten reichlich spät. Unsere Ehe geriet ins Wanken. Und ich brauchte ein Ventil, das ich in meiner Flucht in die Arbeit gefunden hatte. Das ist offenbar das Einzige, was ich wirklich gut kann. Flüchten.
Heute stehe ich ganz alleine da, mit meiner Theorie, die ich für unwiderlegbar hielt.
»Tock, tock, tock!«
Seltsam, wer mochte jetzt noch bei einem verrückten Wissenschaftler anklopfen, der sich aus Angst vor der Öffentlichkeit nicht mehr aus seinem winzigen 2-Zimmer-Appartement in einem Vorort von Washington heraus traute? Ich wurde ja davor gewarnt, dass ich mit einigen penetranten Boulevardzeitschriften zu rechnen hatte. Sie alle suchten natürlich nach Antworten, weshalb Steuergelder in Millionenhöhe für mein Projekt verpulvert worden waren. Ich selbst zweifelte inzwischen an meinen eigenen Forschungen und Berechnungen, die ich damals auf so leichtfertige Art und Weise aufstellte. Diese Antwort blieb ich bis zum heutigen Tag schuldig. Ein Presseteam der ESA übernahm diese unbequeme Angelegenheit wenige Tage später, als feststand, dass die Sonde keine Signale mehr übermittelte. Das Team war speziell für Eventualitäten wie diese ausgebildet worden, um in erster Linie das Gesicht der ESA und das ihrer Mitarbeiter zu wahren. Dabei ging es weniger um mich. Sie gaben mir aber dadurch die Gelegenheit, meinen Schreibtisch zu räumen und den Vorsprung, um vor der Presse flüchten zu können.
»Tock, tock, tock!«
Hört sich drängender an. So waren sie sicher alle, diese Journalisten und Paparazzi. Ließen sie doch ihre Opfer erst wieder los, nachdem sie ihre Informationen und Bilder erhalten hatten. Wie Raubtiere, die ihre einmal umkreiste Beute nicht wieder ziehen ließen.
»Ich weiß, dass Sie hier sind, Herr Martin! Die Steuerzahler wollen von Ihnen wissen, was Sie mit Ihren Geldern angestellt haben! Herr Martin! Machen Sie auf!«
Einen Teufel werde ich tun! Was denkt sie sich denn?!
Aus der offiziellen Presseerklärung konnte man ohnehin alles entnehmen! Diese Person hatte wirklich Nerven. Nicht nur, dass sie mich ungeniert diffamierte, nein, sie trat mir auch noch fast die Tür dabei ein.
27 Minuten. Rekordverdächtig! Sie hatte wirklich lange ausgeharrt, ehe sie schließlich lauthals fluchend abzog.
Ein wenig erleichtert sah ich der Person mit einem Glas Cognac in der Hand von meinem Fenster im dritten Stock aus hinterher. Das Glas begleitete mich schon seit zwei Wochen auf Schritt und Tritt.
Draußen regnete es. Ein heranrasender, schwarzer Van hatte die Reporterin leicht angefahren. Fluchend wich sie ihm mit einem Sprung zur Seite aus und verschwand hinter der nächsten Häuserwand. Der Fahrer des Vans zögerte, bei dem Wetter auszusteigen, um seine Ware auszuliefern. Er wartete offensichtlich zusammen mit seinem Kollegen auf ein Nachlassen des Schauers.
»Tock, tock, tock!«
Wie aus heiterem Himmel klopfte es plötzlich erneut an meiner Haustür. Wie konnte das sein? Da war doch niemand am Hauseingang vorbeigelaufen? Das hatte ich genau beobachtet. Durch den Schreck ließ ich aus Versehen das Glas aus meiner Hand fallen. Der gute Cognac. Welche Verschwendung.
»Thomas! Machen Sie um Himmels willen die Tür auf! Wir müssen uns beeilen! Sie werden jeden Moment bemerken, dass ich bei Ihnen bin. Sie sind uns dicht auf den Fersen und werden nicht zögern, Ihre Wohnung zu stürmen!«, hörte ich die aufgebrachte Stimme einer weiblichen Person hinter meiner Wohnungstür rufen.
Seltsam, dachte ich zunächst. Was lassen sich diese Reporter noch alles einfallen, damit sie ein Interview von mir bekommen. Jetzt sprechen sie schon Latein mit mir und wollen mich mit einer peinlichen Agentennummer aus dem Häuschen locken.
»Bitte, Thomas Martin, lassen Sie mich rein! Es eilt, die Anderen sind gleich hier!«
»Welche Anderen? Und warum reden Sie mit mir in dieser Sprache? Warum sprechen Sie Latein?«
»Machen Sie auf, dann will ich Ihnen alles erklären!«, drängelte sie.
»Aha. Denken Sie, Sie wären die Erste, die mir mit so einer schalen Nummer daherkommt? Hauen Sie ab! Und lassen Sie sich in Zukunft gefälligst etwas Originelleres einfallen!«, antwortete ich gereizt.
»Sie lassen mir keine andere Wahl. Ich werde Ihnen zu gegebener Zeit alles erklären, aber erst, wenn wir in Sicherheit sind. Sie sind ein Sturkopf, der uns noch alle in Gefahr bringen wird. Dabei lagen Sie mit Ihren Forschungen doch genau richtig. Warum gaben Sie so schnell auf? Haben Sie mal darüber nachgedacht, dass Sie womöglich gar keine Fehler begangen haben, sondern, dass man Ihr Projekt etwa auch sabotiert haben könnte? Alles spricht doch dafür, dass es bewusst vertuscht wurde! Nur damit sich die Regierung intensiv und ohne Trubel mit Ihrem außergewöhnlichen Fund beschäftigen konnte!«
Während ich der Stimme gebannt zuhörte, wurde ich immer ungläubiger und staunte nicht schlecht, was die fremde Person zum Besten gab.
»Das ist nicht wahr! Woher nehmen Sie die Behauptung?«, widersprach ich. »Meine Instrumente konnten nicht funktionieren, da sie durch den überlagerten Impuls der eigenen Sondenfrequenz ausgefallen waren. Das Protokoll der Sonde wurde im Übrigen auch für die Presse freigegeben.
Noch etwas, Sie dunkle Verschwörungstheoretikerin:
Dieses Projekt war von öffentlichem Interesse und wurde auch größtenteils mit privaten Spenden aus der Bevölkerung finanziert. Wissen Sie auch, warum? Nein? Auch nicht? Weil das Interesse der Menschen an diesen Dingen schon immer existierte und weil ich davon überzeugt gewesen war, einen Hinweis auf den Ursprung unseres Daseins gefunden zu haben. Schon immer war es ein Bedürfnis der Menschen, zu wissen, wer sie sind, aber auch, wo alles seinen Anfang nahm. Eine Frage, mit der sich schon viele Wissenschaftler und Theologen auseinandergesetzt hatten. Ich wollte den Nachweis erbringen, indem ich die Indizien, die ich in der Cheopspyramide fand, dazu verwendete, ein Metall auf dem Mond aufzuspüren, das nach den Inschriften den Weg der 'Urväter' aufzeigen sollte.«
»Das mag stimmen, aber haben Sie auch das Protokoll...«
»Was ist mit dem Protokoll?«
»Haben Sie das Protokoll der Sonde mit eigenen Augen gelesen? Oder vertrauen sie allen so sorglos?«
»Ihnen zum Glück nicht. Ein wirklich schwacher Reportertrick.«
»Nehmen Sie nur mal für eine Sekunde an, Herr Martin, dass die Verantwortlichen Stellen Ihre Entdeckung aus militärischen und taktischen Gründen gegenüber anderen Staatengemeinschaften verheimlichen wollen, weil ...«
»Weil was?!«
»Weil Ihre Entdeckung viel zu kostbar wäre, um sie mit anderen zu teilen oder sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen?«, entgegnete die Stimme.
»Ach so, ich verstehe. Bestimmt sind in diesem Augenblick Regierungsbeamte auf dem Weg zu mir. Um mich über all diese wundersamen Dinge zu verhören, die Sie dort oben gefunden haben. Nicht wahr? Und Sie möchten natürlich von mir erfahren, woher ich all das wissen konnte, zumal sich meine Informationen nur auf einer alten Steintafel begründeten?«
»So ist es«, erhielt ich die ehrliche und trockene Antwort von der anderen Seite der Tür. Unwillkürlich zuckte ich bei dieser spontanen Antwort zusammen.
»So ein Unsinn! Das hätten die doch dann schon vor zwei Wochen tun können!«, widersprach ich.
»Ich dachte, Sie seien schlauer. Bei all der Mühe, die Sie sich bisweilen mit Ihrem Projekt gegeben haben. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen ist: Seit dieser Affäre werden Sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Offenbar möchte man in Erfahrung bringen, ob Sie irgendwelchen Kontakten nachgegangen sind. Da ich jedoch vor zwei Wochen noch nicht bei Ihnen war, haben sie sich lediglich darauf beschränkt Sie zu beobachten.«
»Was bilden Sie sich nur ein? Was hat das alles mit Ihnen zu tun? Warum sollte ich nach Ihnen gesucht haben? Ich kenn Sie doch gar nicht. Und hören Sie endlich auf, Latein mit mir zu sprechen. Das ist ja albern. Es reicht jetzt wirklich. Gehen Sie!«
»In diesem Augenblick werden sich die Männer vor dem Gebäude und auf dem Dach fragen, in welcher Beziehung Sie zu mir stehen.«
»Ja klar. Ich weiß jetzt immer noch genauso viel wie vorher, nämlich gar nichts. Nur, dass mir eine aufdringliche Person vor meiner Tür nachstellt, um mir Informationen auf absurde Art und Weise zu entlocken. Aber auch das wird sich aufklären lassen, wenn die genannten Herrschaften hier auftauchen sollten. Ich muss schon sagen: Das war bisher der interessanteste Beitrag, den ich gehört habe. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe!«
»Sie verstehen wohl noch immer nicht den Ernst der Lage. Das ist kein Scherz, Sie Starrkopf. Schauen Sie doch mal ganz unauffällig aus Ihrem Fenster. Los, machen Sie schon!«, forderte mich die Unbekannte mit Nachdruck auf.
Ich tat, was sie von mir verlangte, auch wenn ich es für ausgemachten Unsinn hielt. Vorsichtig näherte ich mich dem Fenster und schaute so unauffällig wie möglich hinunter auf die Straße. Dort unten standen inzwischen mehrere schwarze Vans. Ein Weiterer fuhr gerade vor. Ich war verwirrt und vernachlässigte dadurch meine Deckung. Für einen kurzen Moment war ich für alle, unten auf der Straße sichtbar. Es war offenbar das vereinbarte Zeichen der Beobachter, denn mit einem Mal stürmten aus den Vans unzählige schwarzgekleidete Personen. Jeder von ihnen hatte mindestens eine Pistole oder ein Maschinengewehr im Anschlag. Immer mehr von ihnen ergossen sich auf die Straße, um nach allen Richtungen auszuschwärmen.
»Was ist das? Was passiert da?«, stammelte ich.
Ich blieb wie angewurzelt stehen, unfähig zu einer Bewegung. Und es wurde immer unwirklicher.
Dicht hinter meinem Rücken hörte ich plötzlich wieder die fremde, lateinsprechende Stimme.
Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich konnte mich wieder bewegen und starrte direkt in das Gesicht einer hageren, weiblichen Person, die sich wie aus dem Nichts geschält, hinter meinem Rücken gestellt hatte. Einem Betrachter mussten sofort die glasklaren, grünen Augen auffallen, die weit mehr verrieten als nur blanke Schönheit.
Ihre rote Mähne verlieh ihrem schlanken, hochgewachsenen Körper die Grazie einer wilden Antilope.
Ich rang noch immer nach Atem, da mich ihr plötzliches Auftauchen doch sehr überraschte. Unwillkürlich sah ich zur Tür hinüber. Sie war nach wie vor fest verschlossen.
Davon zeugte der Riegel, den ich vor die Tür geschoben hatte.
»Wie sind Sie hier reingekommen?«, fragte ich fassungslos. Aber Sie grinste mich nur an und erwiderte:
»Ich sagte Ihnen doch, dass Sie mir keine Wahl lassen. Ich helfe Ihnen und Sie helfen mir. Alles andere erkläre ich Ihnen zu gegebener Zeit. Nur so viel: Ich benötige unbedingt Ihre Mithilfe. Und nein. Ich tue Ihnen nichts. Nichts Schlimmes auf jeden Fall. Das hätte ich sonst schon viel früher tun können. Also, was ist? Sie sind gleich hier!«, drängte sie.
Viele Eindrücke und Gefühle strömten gleichzeitig auf mich ein. Eine seltsame Eingebung in mir wollte, dass ich dieser Person vertraute. Oder war es nur reine Neugier, die mich dazu bewog, dieser Frau zuzuhören? Was dann jedoch folgen sollte, war für mich nur schwer in Worte zu fassen.
Irgendwie wurde ich dazu getrieben, dieser Frau - aus welchen Gründen auch immer - zu vertrauen. Neben ihrer bereits erwähnten roten Mähne und ihren smaragdgrünen Augen trug sie einen weißen, eng anliegenden Overall, der ihre schlanke Linie, ihren grazil wirkenden Körper sehr zu ihrem Vorteil betonte. Dazu trug sie ein paar weiße schlichte Trekkingschuhe. Es fehlten jedoch die üblichen Schnürsenkel. Das Einzige, was meine Sinne zusätzlich neben dem Aussehen der wundersamen Frau registrierten, waren zwei gleichaussehende, kuriose Armmanschetten.
Die Eine trug sie fest um ihren linken Unterarm, die Andere hielt sie in ihrer rechten Hand.
Blitzschnell war sie an mich herangetreten und versuchte, die Manschette ebenfalls an meinem linken Unterarm zu befestigen. Dazu öffnete sie, mehr ungeschickt als alles andere, meine Hemdsärmelknöpfe und begann währenddessen, wieder in Latein auf mich einzureden.
Offenbar kannte oder wollte sie nicht in einer anderen Sprache mit mir reden. Gleichzeitig hörte ich, wie sich im Treppenhaus hastiges Getrampel meiner Wohnung näherte.
Fenster klirrten ein Stockwerk unter mir. Ich riskierte einen zweiten Blick nach draußen. Die maskierten Männer kamen jetzt auch von der Feuerleiter zu uns herauf. Nur sehr langsam begriff ich, dass hier etwas Außergewöhnliches im Gange war. Für das massive Aufgebot war ich alleine doch wohl zu bedeutungslos. Oder ging es da nur um diese ominöse Frau, der ich mein Vertrauen schenken sollte? Auf das Dach konnten wir auch nicht mehr flüchten. Gerade stürmte ein Sonderkommando per Hubschrauber das Dach.
Unsere Lage schien sich von Sekunde zu Sekunde zu verschlechtern. Während all dieser auf mich einströmender Eindrücke bemerkte ich gar nicht, wie sehr ich die junge Frau dabei behinderte, mir die Manschette an meinem Arm anzulegen. Mir raste das Herz. Ich drehte mich unaufhörlich in alle Richtungen. Was tat die Frau da überhaupt. Und warum? Hatte Sie nichts Besseres zu tun? Holz splitterte.
Wie ein Kaninchen, das von einem Fuchs in die Ecke getrieben worden war, saßen wir in unserer eigenen Falle ohne jegliche Aussicht auf Flucht. Die Schritte wurden immer lauter. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust, so dass ich glaubte, es müsste jeden Moment zerspringen.
Die Unbekannte, der ich das Anbringen der Manschette so sehr erschwert hatte, war mit ihrer Arbeit fertig. Sie nickte zufrieden. Und ich wurde langsam, aber sicher wahnsinnig vor Aufregung. Draußen vermengten sich die Panikschreie der Anwohner mit denen der dunklen Schatten, die das Gebäude stürmten. Die geheimnisvolle Frau verbarrikadierte mit einem Stuhl und anderen Gegenständen die ohnehin schon verschlossene Tür. Schien sie jetzt völlig den Verstand verloren zu haben?
»Ihre Angst wird sich in wenigen Minuten legen. Sie werden einen kurzen, stechenden Schmerz verspüren. Danach geht es Ihnen aber gleich besser. Schon eine Idee, wo Sie hin transferiert werden möchten?«
Sie hatte ihre Worte noch nicht beendet, als ich plötzlich einen kurzen heftigen Schmerz unter der unterarmlangen Manschette verspürte. Nur wenige Sekunden später fing diese in den verschiedensten Farben an zu leuchten. Dann war der Spuk vorbei. Doch in dieser kurzen Zeit musste irgendetwas in meinem Körper vorgegangen sein. Ich spürte, wie ein entspannender Impulsstrom durch meine Adern zu fließen begann. Ich wurde ruhiger und konnte wieder klarer denken. Alle Eindrücke, die bisher auf mich eingeströmt waren, konnte ich plötzlich viel differenzierter aufnehmen. Während ich die Frau beobachtete, wie sie sämtliche Fenster und Türen verbaute, fragte ich sie mit unnatürlich ruhiger Stimme, wie wir den "Herrschaften" in schwarz entkommen wollten.
»Oh, das ging aber schnell. Scheint schon zu wirken. Sehr schön.« Und ohne auf meine Frage einzugehen, fragte sie erneut: »Schon überlegt, wo Sie hin möchten?«
»Soll das ein Scherz sein?«, erwiderte ich gelassen. »Ich glaube nicht, dass wir denen da draußen entwischen, falls wir das hier überhaupt überleben sollten.«
Im Nebenraum hörte ich die Fenster klirren. Nur Sekunden später machten sich die Fremden an der verschlossenen Schlafzimmertür zu schaffen. Auf einmal sah die übertriebene Reaktion der Frau, sämtliche Türen zu verbarrikadieren, gar nicht mehr so absurd aus. Trotzdem saßen wir in der Falle.
»Los! Da rein!«, schob sie mich in mein winziges Bad.
»Dort sind wir erst mal in Sicherheit. Zumindest können sie nur von einer Seite eindringen. Das Fenster dürfte zu klein für sie sein. Da kommt keiner durch.«
»Trotzdem; hier sitzen wir in der Falle«, bemerkte ich.
»Wir brauchen weder Fenster noch Türen.«
Kaum hatte sie die Badtür fest verschlossen, da hörte ich, wie meine Haustür gewaltsam aufgebrochen wurde. Die Wohnung wurde regelrecht von schwarzgekleideten Spezialeinheiten überschwemmt. So, zumindest dem Geschrei nach, zu urteilen.
»Versuchen Sie, sie irgendwie hinzuhalten, bis ich meine Einstellungen an Ihrer Manschette beendet habe«, bat sie mich.
»Ich glaube zwar nicht, dass die mit sich reden lassen, aber ich werde es versuchen.«
Dicht hinter der anderen Seite der Tür hörte ich eine Stimme.
»Mister Donato, wir haben das gesamte Gebäude umstellt. Die Wohnung der Zielperson ist gesichert. – Nein, noch nicht Sir. Sie haben sich in der Toilette eingeschlossen.«
Wie, um sicherzugehen, rüttelte die Person zur Kontrolle an der Türklinke.
»Ja, Sir. Unverzüglich, Mister Donato. So gut wie erledigt.«
Ich lauschte.
»Sie haben sicher mitgehört, Hr. Martin! Verkomplizieren Sie nicht alles und machen Sie die Tür auf. Ihnen und Ihrer Begleitung wird nichts geschehen.«
»Wer sind Sie und was wollen Sie von uns?«
»Nur mit Ihnen reden, Hr. Martin. Nur mit Ihnen reden.«
»Sehr nett von Ihnen, dass Sie uns nichts tun wollen.
Sagen Sie das mal meiner Inneneinrichtung. Mein Vertrauen in Sie ist jetzt schon empfindlich gestört. Dabei wurden wir uns nicht einmal vorgestellt.«
»Verzeihen Sie, ich bin es nicht gewohnt mit meinen Zielpersonen zu diskutieren. Ich habe den Auftrag bekommen, Sie ins Hauptquartier zu eskortieren. Wichtige Persönlichkeiten möchten dort mit Ihnen beiden sprechen. Sie sind ein sehr gefragter Mann und Ihre Begleitung im Übrigen auch. Ich würde auch gerne einmal die Hand von namhaften Politikern schütteln wollen. Diese Gelegenheit werden Sie beide schon bald erhalten, inklusive der Garantie eines Chefpostens Ihrer Wahl. Sie haben immens großes Glück, Hr. Martin. Wenn Sie dann also freundlicherweise die Tür öffnen könnten?«
»Sie meinen, man möchte mir auf einmal für mein Versagen danken? Ist es denn die Möglichkeit? Die Medien da draußen zerreißen mich seit Wochen und nun kommen irgendwelche Regierungsleute so mir nichts dir nichts und bieten mir einen Chefposten an? Wie komme ich zu dieser Ehre? Und wem darf ich eigentlich die Hand schütteln?«
»Wer sagt denn, dass Sie versagt haben?«
Sprachlos geworden über die Worte, die ich heute schon zum zweiten Mal gehört hatte, starrte ich fragend auf meine Begleiterin.
»Sie jetzt also auch? Woher wissen Sie, dass ich nicht versagt habe?!«
»Ich bin nicht autorisiert, mit Ihnen darüber zu sprechen. Machen Sie erst einmal auf. Den Rest können wir dann in Ruhe klären.«
Ich rüttelte an der Tür und tat, als ob ich sie öffnen wollte. Gleichzeitig fragte ich flüsternd die an meiner Manschette hantierende Frau.
»Und? Was jetzt? Irgend eine Idee?«
»Halten Sie sie noch ganz kurz hin. Ich bin gleich soweit.«
»Hr. Martin? Alles in Ordnung bei Ihnen da drin?«, meldete sich der fremde Eindringling.
»Alles in Ordnung.«
»Dann öffnen Sie doch jetzt liebenswerterweise diese Tür.«
»Sie lässt sich seltsamerweise nicht öffnen. Welch dummer Zufall aber auch. Ich schätze, wir müssen das Ganze auf ein anderes Mal verschieben, Mister Unbekannt. Ach ja, und richten Sie Ihren Leuten meine verbindlichsten Grüße aus. Ich bin nicht interessiert. Würden Sie das freundlicherweise für mich übernehmen?«
Ich erkannte mich gar nicht wieder. Woher nahm ich nur diese Zuversicht und unverschämte Art und Weise, diese bewaffneten Fremden so an der Nase herumzuführen?
»Los, brechen Sie die Tür auf, Sergeant!«, hörte ich die gleiche Stimme eiskalt sagen.
Vorbei. Wir hatten alle Karten ausgespielt. Was nun?
»Sind Sie bereit?«
Die geheimnisvolle Fremde erfasste meinen Arm. Augenblicklich verspürte ich ein Vibrieren, das sich durch meinen ganzen Körper ausbreitete.
Gleichzeitig hämmerte eine Horde testosterongesteuerter Agenten gegen die Badtür. Lange würde sie den Schlägen nicht mehr standhalten. Es blieben höchstens noch Sekunden. Nur interessierte mich das kein bisschen mehr. Was gerade mit mir geschah, sprengte meinen Horizont des Begreifens: Die Vibration hatte sich mit rasender Geschwindigkeit in meinem Körper ausgebreitet. Ich hatte die Lage nicht mehr unter Kontrolle.
Nein! Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.
Ich wurde selbst zum Zuschauer und konnte nichts tun. Ich fühlte mich, als würde ich jeden Augenblick auseinanderbrechen. Was hatte die Frau nur mit mir angestellt? Wollte sie mich umbringen? Ich konnte nicht einmal mehr schreien. Ich glaubte, den Verstand zu verlieren.
Das Letzte, was ich mit meinen Sinnen wahrnahm, war das Gefühl, als würde ich mich tatsächlich in meine einzelnen Bestandteile auflösen. In Billionen von Atomen, eingesaugt in das leuchtende Display meiner eben erst angelegt bekommenen Manschette. Vermutlich existierte ich nicht mehr in stofflicher Form, denn die Strecke, die ich zurückgelegt hatte, entzog sich gänzlich meinem Bewusstsein. Alles, woran ich mich danach wieder erinnern konnte, war, dass sich mein Körper genauso zusammensetzte, wie er sich zuvor für mich auf dramatische Art und Weise zersetzt hatte - nur in umgekehrter Reihenfolge.
Was musste in meiner Wohnung nur losgewesen sein, als man feststellte, dass wir nicht mehr anwesend waren? Wie war das Verschwinden zweier Personen zu erklären, die aus einem umstellten Raum unmöglich fliehen konnten?
Und wohin zum Teufel nochmal hatte es mich verschlagen? Was war das für ein dunkler Ort, an dem mich diese Frau gebracht hatte?
Ende Aufzeichnung Thomas Martin
Gerade eben hielt er sich noch mit einer Frau, verschanzt vor anderen Fremden, auf seiner Toilette auf und plötzlich befand sich alles um ihn herum in völliger Dunkelheit. Hier war es kühl und feucht. Verlor er vielleicht doch den Verstand? In seiner unmittelbaren Umgebung füllten Wassertropfen, dem Geräusch nach zu urteilen, eine bereits vorhandene Pfütze. Die Luft roch abgestanden und modrig. Thomas ertastete sein Umfeld mit ausgestreckten Händen. Eine Wand. Sie schien aus behauenem Stein zu sein. Und sie war mit unzähligen Ritzen und Rissen übersät.
Etwas oder jemand hatte den Stein also bearbeitet. Waren es vielleicht hieroglyphische Nachrichten? Zu dumm, dass er nichts sehen konnte. Es wäre zumindest eine Erklärung dafür gewesen, weshalb man ihn hierher, an diesen Ort gebracht hatte. Schließlich galt er als einer der besten Hieroglyphenleser der Welt. Hierher gebracht? War das die richtige Begriffsbezeichnung für das, was ihm gerade widerfahren war? Auf jeden Fall waren seine wissenschaftlichen Triebe erwacht. Aber wo war eigentlich diese geheimnisvolle Frau abgeblieben, die ihn hierher gebracht hatte? Sollte sie ihn nicht erst einmal aufklären und ganz nebenbei wortwörtlich Licht ins Dunkel bringen? Bis auf das stetige Tropfen war und blieb es totenstill.
Je länger er an Ort und Stelle verharrte und nichts dergleichen geschah, desto nervöser und unsicherer wurde er. Er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er völlig auf sich alleine gestellt war.
Thomas konzentrierte sich auf seine Umgebung und lauschte in die Stille hinein. Gab es da nicht etwas Brauchbares, das ihm weiterhalf? Einen Luftzug, dem er folgen konnte? Untypische Geräusche, vielleicht von Tieren verursacht? Nichts. Alles, was seine Ohren registrierten, war das stete Geräusch herabfallender Wassertropfen von der vermeintlichen Decke über ihm. Ein unheimliches und zugleich entsetzliches Geräusch, wenn man nur dieses eine hörte. Als befände er sich mitten in einer Höhle tief unter der Erde, wären da nicht diese seltsamen Wände mit ihren gleichmäßigen Einkerbungen. Wo war er nur? Wohin hatte ihn diese sonderbare Frau entführt? Er spürte, wie die Kälte Besitz von ihm ergriff. Gleichzeitig ärgerte er sich über die Frau, die ihn hierher gebracht hatte.
»Verflixt noch mal! Ihretwegen bin ich in diesem 'Loch' gelandet! Wie und warum zum Teufel nochmal?!«, fluchte er lauthals.
Was behauptete sie gleich nochmal? Seine Forschungen seien korrekt gewesen? Warum veranstaltete sie dann dieses ganze Theater? Anzeigen würde er sie! Am besten gleich, nachdem er hier herausgefunden hatte.
Er hatte ihre Spielchen satt. Das war ein klarer Fall von Freiheitsberaubung. Sein Zorn wuchs und verlieh ihm gleichzeitig neuen Tatendrang. Mutig tastete er sich an einer Wand entlang, vorbei an den Ritzen und Vertiefungen, die er beschloss, ein anderes Mal zu untersuchen. Sein aufbrausendes Verhalten hatte ihn leichtsinnig werden lassen, so dass er nicht bemerkt hatte, wie sich Wände und
Decke über ihm trichterförmig verjüngten. Die unzähligen Schürfwunden waren ihm jedoch völlig egal, solange er nur einen Ausgang dabei fand.
Inzwischen musste er sich in gebückter Haltung fortbewegen.
'Hoffentlich bleibt mir am Ende des Ganges noch genügend Platz, dass ich hindurch schlüpfen kann', dachte er sich.
Den Gedanken, er könnte sich in einer Höhle aufhalten, hatte er längst verworfen. Vielmehr musste er sich in einem Berg oder unter der Erde in einer Art Kammer befinden.
Immer wieder schrammte er seine Haut an den Wänden oder stieß sich den Kopf. Seine Kleider waren bereits hier und da aufgerissen. Warme Flüssigkeit an seinem Arm bahnte sich der Schwerkraft folgend den Weg des geringsten Widerstands. Offenbar musste er sich wohl stärker am Gestein verletzt haben, als er angenommen hatte, denn es war sein Blut, das er spürte.
»Sie müssten sich doch hier bestens auskennen?!«, erklang aus dem Nichts heraus dieselbe weibliche Stimme, die den Wissenschaftler überhaupt erst in diese unwirkliche Lage gebracht hatte.
»Wollen Sie sich denn nicht von meinem Geschenk helfen lassen?«, hörte er sie vor sich in lateinischer Sprache reden.
»Sie!«, reagierte Thomas mehr zornig als verwundert. »Was soll der Unfug! Lassen Sie das alberne Getue und holen Sie mich hier raus!«
»Ihr Verhalten ist wirklich äußerst merkwürdig. Warum nur spielen Sie den Ahnungslosen?«
»Was wissen Sie über mich!«
»Sie sind unbeherrscht. Ich nehme an, dass Sie ein wenig Zeit für sich benötigen. Das verstehe ich. Dann also bis später.«
Die Stimme vor ihm verstummte. Thomas spürte instinktiv, dass er wieder allein war. Zielstrebig kroch er weiter durch den Gang in eine Richtung, die ihn Stück für Stück nach oben führte. Mühselig.
»Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, sprach er sich laut Mut zu. Zuletzt schätzte Thomas den Gang auf etwas mehr als einen Meter Höhe und Breite. Aber er hatte es endlich geschafft. Das Ende war erreicht.
Froh darüber wieder aufrecht stehen zu können, fand er sich tastend immer noch in einem steinernen Gang gefangen. Er streckte und rieb sich seine durchgekühlten Gliedmaßen. Seine unzähligen Aufschürfungen spürte er schon lange nicht mehr. Sie waren im Moment nur nebensächlicher Natur.
Thomas fühlte sich wieder zuversichtlich. Es konnte nur ein Gang sein, der ihn zurück ans Tageslicht führen musste. Durch das ständige umsichtige Abtasten der Wände stellte er fest, dass der neue Gang nur in eine Richtung führte. Seltsamerweise drängte sich ihm in diesem Moment der Gedanke auf, schon einmal hier gewesen zu sein. Er schob ihn zunächst beiseite. Wichtiger war es, aus diesem Labyrinth hinauszufinden. Über die vielen W-Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten, konnte er sich später noch den Kopf zerbrechen. Zu allererst musste er den Ausgang finden. Wild entschlossen tastete er sich in der kühlen Feuchte des Ganges weiter. Seine Verwünschungen nahmen dabei wieder zunehmend groteske Auswüchse an.
Mittlerweile hatte er das Gefühl, schon eine halbe Ewigkeit hier unten festzusitzen, als ihn sein Instinkt darauf aufmerksam machte, dass sich die Luftverhältnisse merklich gebessert hatten. Die Feuchtigkeit an den Wänden verlor sich. Warme Luft strömte ihm dafür entgegen und beruhigte die Nerven des Hobbyarchäologen. Jetzt war er sich sicher, dem Ausgang ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Schon kurz darauf sah er in weiter Ferne erste Lichtreflexionen. Eine Leuchtquelle. Zielsicher steuerte er darauf zu. Je heller es wurde, desto schneller beschleunigte er seine Schritte.
»Baulampen!«, stellte er verblüfft fest. Es waren Baulampen, die den Gang in regelmäßigen Abständen ausleuchteten. Thomas war sofort klar geworden, dass man ihn an einen Ort gebracht hatte, an dem er schon einmal gewesen war. Nur sein Verstand weigerte sich noch, das zu akzeptieren.
»Das kann doch nicht wahr sein! Nein, das ist einfach unmöglich! Diese Entfernung! Wie? Nein, das kann definitiv nicht sein. Das wäre mindestens 10.000 km von meiner Wohnung entfernt!«, durchfuhr es ihn wie der Blitz.
Weit entfernte Geräusche drangen an sein Ohr. Aufmerksam lauschte er den noch weit entfernten, kaum wahrnehmbaren Worten einer weiblichen Stimme.
»Ladies&Gentleman, you see the chamber of Cheops, who reigns from 2620 until 2580 B.C.«
Thomas stockte der Atem. War das nicht einer dieser Vorträge, die von Touristenführern typischerweise benutzt wurden? Ein Vortrag über die alte Cheopspyramide?
»To build this pyramid, the slaves needed over 40 years and nobody knows, how the pyramid was built exactly...«
Hätte man in diesem Moment in das Gesicht des Wissenschaftlers blicken können, er hätte ein vollbesetztes Fußballstadion zum Lachen gebracht. Ratlos starrte er auf den feuchten Steinboden, während sich die Touristengruppe berichten ließ. Ehrfurchtvolles Murmeln hallte durch den Gang. Offenbar liefen sie ihm entgegen.
Als er schließlich aus seiner kleinen Schockstarre erwachte, stand eine völlig aufgebrachte Touristenführerin mit unheilvoller Miene vor ihm. So wie sie ihn anstarrte, wirkte sie keineswegs erstaunt oder erschrocken. Dachte sie etwa, er sei einer dieser Souvenirjäger, die Steine klopften und an anderer Stelle für viel Geld wieder verkauften? Thomas hatte schon mal davon gehört. Unbegründet, denn in diesem Moment redete sie völlig aufgebracht auf ihn ein. Sichtlich verärgert beschimpfte sie ihn in englischer Sprache, untersetzt mit einem starken französischen Akzent.
»Sind Sie verrückt, Mister? Alleine in den Gängen spazieren zu gehen?!«
»Ich habe mich verlaufen«, antwortete er verlegen.
»Ihr Touristen seid doch alle gleich!«, schrie sie ihn außer sich vor Wut an. Wildes Getuschel in der Gruppe. Ein kurzer, eiskalter Blick der Reiseführerin ließ sie augenblicklich verstummen. Dann sog sie die Luft scharf ein und entlud ihre prallgefüllten Lungen schreiend an den Hobbyarchäologen gewandt.
»Immer wollt ihr Leichtsinnigen etwas im Alleingang entdecken! Soll ich Ihnen etwas verraten? Sie wären nicht der Erste, der hier drin verhungert wäre, weil er nicht mehr herausgefunden hat! Haben Sie sich schon mal gefragt, was mit uns unterbezahlten Touristenführern passiert, wenn uns ein Indiana Jones für Arme verloren geht? Neben dem sehr hohen Bußgeld bekommen wir zusätzlich eine Freiheitsstrafe verpasst, die sich gewaschen hat. Ich finde es einfach lächerlich für die paar Kröten, die wir von euch als Entschädigung erhalten, in den Knast wandern zu müssen! Und dann das ständige Gejammer Ihrer Angehörigen im Ohr. Mann! Da seid ihr selbst dran schuld! Und all die ...«
Unauffällig mischte sich Thomas während seiner anhaltenden Standpauke unter die Menschengruppe und schob sich dabei immer weiter nach hinten. Der Reiseführerin schien das egal zu sein. Sie hatte sich regelrecht in Rage geredet und ließ ihren aufgestauten Zorn einfach an der ersten Reihe aus. Dadurch geriet die ganze Gruppe in Bewegung. Keiner wollte, mehr als unbedingt nötig, vorne bei der schreienden Furie stehen bleiben. Thomas hatte sich inzwischen bis ans Ende der Menschenmenge geschoben. Argwöhnisch wurde er dabei von einigen Umstehenden von Kopf bis Fuß gemustert, teils mit Respekt, teils mit aufgebrachtem Zorn. Andere wiederum flüsterten sich Dinge zu.
»Hey, der war doch vorhin gar nicht bei uns. Wie kommt der hier rein? Wir sind laut Aussage doch heute die Ersten, die die Pyramide betreten haben, oder?«
»Was weiß ich. Schau ihn dir doch an. Der sieht total durchzecht aus. Sicher hat er hier seinen Rausch ausgeschlafen, der Spinner.«
»Geht der Sicherheitsdienst denn abends nicht noch einmal durch? Streife laufen oder sowas in der Art?«
»Dahinten. Bitte! Ruhe!«, ermahnte sie die Reiseführerin. »Und deshalb möchte ich Sie ausdrücklich noch einmal darum bitten, nichts, absolut gar nichts, auf eigene Faust zu unternehmen. Ist das auch in der hinteren Reihe angekommen?«
Keiner der Anwesenden traute sich, etwas zu sagen.
»Ich werte das als ein JA. Gut, dann lassen Sie uns mal weitergehen. Und bleiben Sie bitte alle schön dicht beisammen.«
Als ob nichts geschehen wäre, nahm die Frau ihren geschichtlichen Faden wieder auf.
»Da hast du´s. Die Pyramide ist so verwinkelt, dass die Wärter ihn gestern wohl nicht auf ihrem Rundgang entdeckt haben. Der hat Glück gehabt, dass er da drin nicht verreckt ist.«
Thomas hatte das Gespräch der beiden unauffällig mit verfolgt. Die beiden schauten ihn teils fragend, teils angewidert an. Er roch es ja selbst, dass er nicht mehr der Frischeste war. Und seine Kleidung befand sich auch nicht gerade in einem tadellosen Zustand. Da er nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, grinste er die beiden einfach an und entfernte sich dann in die Richtung, aus der die Gruppe gekommen war. Er hinterließ zwei fragende Gesichter, die ihm fassungslos hinterher starrten.
»Hey, hast Du seinen Arm gesehen?«
»Was ist damit?«
»Siehst Du denn nicht, dass er verletzt ist? Er blutet am linken Unterarm. Da! Es tropft aus seinem seltsamen Armreif!«
Zur gleichen Zeit
»Baumann! Ich hatte Ihnen doch ausdrücklich einen Befehl erteilt! Wo sind die beiden Zielpersonen, die Sie mir versprochen hatten? Durch Ihre Inkompetenz sind uns zwei wichtige Personen durch die Lappen gegangen!«
»Aber Sir, Mr. Donato, ich verstehe nicht, wie ...«
»Benutzen Sie nicht meinen Namen auf dieser ungesicherten Leitung! Ich rate Ihnen, die Frau und den Wissenschaftler so schnell wie möglich aufzuspüren, bevor es jemand anderes tut.«
»Sir, ja, Sir. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass Herr Martin keine Kenntnis davon besitzt, was sich in der Gruft befand.«
»Beschäftigen Sie sich nicht mit Mutmaßungen, sondern schaffen Sie mir diese Personen her.
Und überlassen Sie mir das Denken. Haben Sie mich verstanden?«
»Sir, ja, Sir.«
Damit beendete der oberste Kommandeur einer geheimen amerikanischen Sicherheitseinrichtung das Telefonat mit seinem Untergebenen. Der sonst eher gelassene und verständnisvolle Donato Esteban, von allen nur 'Der Fels' genannt, weil ihn üblicherweise rein gar nichts aus der Ruhe bringen konnte, hatte sich während des Gesprächs nur schwer unter Kontrolle halten können. Es stand mehr als sonst üblich auf dem Spiel. Das stellte selbst die Nerven eines erfahrenen Kommandeurs, wie er es war, auf die Probe. Seit der Sprach- und Kulturwissenschaftler Thomas Martin jene Entdeckung gemacht hatte, stand er ohne Unterlass unter Strom. Er hatte die Vertuschung und aller im Vorfeld stattgefundenen Ereignisse sorgfältig planen müssen.
'Wenn er herausbekommen sollte, was wir mit Hilfe seines verlogenen Kollegen noch alles entdeckt haben, wird er uns auffliegen lassen. Dann wird jeder erfahren, was wir getan haben. Nein, wir stecken schon zu tief in dieser Sache drin, als dass wir uns von einem Hobbyarchäologen die Sache vermiesen lassen könnten. Zumindest wissen wir jetzt, dass uns unsere "GÄSTE" die Wahrheit erzählt haben und noch mindestens eine weitere Person von der Sache Bescheid weiß. Baumanns Team muss die beiden unbedingt ausfindig machen, oder aber ...'
»Sie hätten uns das machen lassen sollen.« Eine lateinsprechende Stimme unterbrach Donato in seinen Gedanken. Er hatte nicht bemerkt, dass sich in der Zwischenzeit eine männliche Person in das Büro eingeschlichen und sich auf einen der Besucherstühle gesetzt hatte. Ohne sich seine Verwunderung anmerken zu lassen, drehte sich Donato in seinem Sessel zu der Person um.
»Mr. Adamas. Sie belieben zu scherzen«, erwiderte Donato amüsiert. »Sehen Sie sich doch Ihre Kollegen an! Sie sind nicht mal in der Lage, einen Kaffee aus unserem Automaten herauszulassen.«
Mit einem süffisanten Lächeln verfolgte er das Geschehen durch seine gläserne Bürotür hindurch. Zwei unbeholfene Personen vor einem Kaffeeautomaten. Als der körperlich Stärkere von beiden anfing, den Automaten mit seinen Fäusten zu bearbeiten, eilte von der Seite ein Mitarbeiter herbei, der dem Hünen mit gezieltem Knopfdruck einen Kaffee anforderte.
»Immerhin wissen meine Begleiter und ich, mit wem wir es zu tun haben.«
Donatos Seitenhieb verpuffte wirkungslos im Raum.
»Woher wollen Sie das so genau wissen? Verschweigen Sie mir etwas? Los, heraus mit der Sprache oder meine Gastfreundschaft könnte ein jähes Ende finden!«
»Sie wollen mir drohen? Ha! Keine Chance«, gab sich der Besucher selbstsicher. »Wenn ich Ihnen nichts davon erzählt hätte, wüssten Sie bis heute nicht, was genau dieser Thomas Martin auf Luna entdeckt hat.«
»Ihnen mag es nur um Rache gehen, für uns aber steht die Sicherheit der gesamten Menschheit auf dem Spiel, Mr. Adamas.«
»Sind es nicht die Interessen Ihres Landes, die Sie da gerade mit der Sicherheit der Menschheit vertauschen?«, provozierte er den Kommandeur. »Sonst wüsste schließlich der gesamte Planet Bescheid. Oder etwa nicht? – Ich sagte Ihnen bereits, dass Sie mit dem Feuer spielen. Sie wissen nicht im Entferntesten, was diese Spezies mit uns gemacht hat.«
»Vor allem nicht, aus welchem Grund«, spielte Donato den Ball gekonnt zurück.
»Wir wurden zwangsumgesiedelt!«, schrie ihn Adamas unvermittelt an.
»Bleiben Sie doch ruhig mein Freund. Kennen Sie nicht das Sprichwort: Wer schreit, hat Unrecht?«
Donato schaute sein Gegenüber freundlich, aber bestimmt an. Adamas sog die Luft tief ein, ehe er darauf entgegnete.
»Wir sind die leidtragenden Nachkommen dieser Umsiedlungspolitik. Uns trifft keine Schuld! Was wollten Sie mit Ihrer Äußerung andeuten? Misstrauen Sie uns etwa? Alles, was wir Überlebenden einfordern, ist unser Recht! Nicht mehr und nicht weniger. Dazu benötigen wir Ihre Kooperation. Und Sie insbesondere die unsre, wenn Sie weiterhin Ihre Vormachtstellung auf dem Planeten wahren wollen«, antwortete Adamas in ruhigerem Ton.
»Eure Absichten sind tausende von Jahren alt. Seither hat sich sicher einiges verändert. – Ich fürchte, hier geht es um viel mehr als nur um eine Vormachtstellung. Eher um die Vermeidung eines Krieges, der die gesamte Welt ins Chaos stürzen könnte«, entgegnete Donato.
»Wie schon gesagt. Jeder verfolgt andere Absichten!«, antwortete Adamas.
»Dann kommen Sie jetzt Ihrem Angebot, uns zu helfen, nach, und sagen uns, wo wir den Wissenschaftler Thomas Martin samt dieser anderen Person finden können! Es wäre für unser beider Beziehung zuträglich. Ihrer Behauptung nach wissen Sie angeblich, mit wem wir es zu tun haben.«
»Es ist nur eine Vermutung.«
»Dann mal her damit!«, drängelte Donato.
Adamas kam nicht umhin, sich ein Grinsen zu verkneifen.
»Lassen Sie Ihre Männer dort suchen, wo alles begonnen hat.«
»Ist das alles?«, fragte Donato entnervt.
»Sie sind doch ein schlauer Mann. Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss zurück zu Ihrem einseitig erzählten, patriotischen Geschichtskursus.« Adamas stand auf und lief zur Tür.
»Und nehmen Sie Ihre beiden Clowns mit!«, schrie Donato zornig hinterher.
Zum zweiten Mal hatte er wegen des Mannes die Nerven verloren. Adamas zeigte sich davon gänzlich unbeeindruckt. Noch einmal blieb er in der Tür stehen, drehte sich um und schaute Donato mit gehässigem Blick an.
»Wie war das nochmal? Wer schreit, hat Unrecht, Kommandeur?« Die Tür flog zu.
Donato griff zum Hörer. Eine Stimme am anderen Ende der Leitung meldete sich pflichtbewusst:
»Sir?«
»Die Zielpersonen befinden sich auf dem Weg nach Ägypten. Verständigen Sie die Außenteams. Donato - Ende.«
Aufzeichnung Thomas Martin -Kairo-
Ich hatte die Cheopspyramide hinter mir gelassen und begab mich in die nahegelegene Stadt Kairo. Nach meinen Forschungsarbeiten hatte ich sie als gastfreundliche Stadt in Erinnerung behalten. In dieser Zeit schlief ich in einfachen Verhältnissen bei einem Oberaufseher namens Rashid. Er war für die Sicherheit der Ausgrabungen rund um die Pyramide zuständig gewesen. Wir lernten uns näher kennen, als ich mich mit ihm über das letzte verbliebene Weltwunder, der Cheopspyramide, unterhalten hatte. Damals erstaunte es mich, dass er über so viele Dinge im Inneren der Pyramide Bescheid wusste.
Wir führten dabei sehr interessante Gespräche, dass er mich schließlich zu sich nach Hause einlud. Schon bald waren wir wie zwei alte Freunde und Rashid bestand darauf, dass ich während meiner andauernden Arbeiten bei ihm übernachten sollte.
»So können wir uns ungestörter und länger unterhalten«, begründete Rashid seinen Vorschlag. Außerdem fühlte er sich in seiner Ehre verletzt, wenn ich seiner Bitte nicht nachgekommen wäre. Eine Situation, die mir äußerst unangenehm war. Eine überaus ehrenvolle Geste von ihm, die mich beeindruckte. Ein Oberaufseher mit Frau und fünf Kindern, der für westliche Maßstäbe in ärmlichen Verhältnissen wohnte, konnte nicht genügend Geld haben, um auch nur für eine weitere Person sorgen zu können. Doch sein Vorschlag, musste ich mireingestehen, kam mir dennoch sehr gelegen. Es war zwar nicht das Hotel, in dem ich meine Nächte verbrachte, aber so konnte ich zumindest dem ständigen Presserummel dezent aus dem Weg gehen. Immerhin maß man meiner Idee, außerirdische Artefakte nachzuweisen, großes Interesse bei. Man stelle sich nur mal vor, man könnte belegen, dass die Menschheit vor langer Zeit Besuch von einer fremden Intelligenz erhalten hatte. Eine Sensation. Nein! DIE Sensation schlechthin!
In dieser Zeit genoss ich es, einiges über die Kultur der Menschen in Ägypten erfahren zu haben. Eine angemessene Entlohnung für meine Unterbringung lehnten Rashid und seine Frau Damira immer wieder entschieden ab. Geschenke durften aber auch sie nicht ablehnen. Und so freuten sie sich, dass sie in ihrem Stall hinter dem Haus bald drei neue Nutztiere beherbergen durften.
Erst einmal musste ich unbedingt einen Weg finden, um an meine Forschungsunterlagen zu gelangen. Es musste einen Grund für diese höchst beunruhigenden Ereignisse geben, die mich hierher, an diesen Ort verschlagen hatten. Das Zentralarchiv der ESA würde mir sicher dabei behilflich sein, denn in meiner jetzigen Lage bewegte ich mich absolut im Nebel. Ohne Internetzugang würde ich nichts nachlesen können, was mir weiterhelfen konnte. Wie in einem "falschen Film" kam ich mir gerade vor oder wie der sprichwörtliche falsche Mann am falschen Ort.
Auch im Tal der Könige blieb die Zeit nicht still, so dass sich die Suche nach einem Internetcafé nicht schwer gestaltet hatte. Die Jugendlichen von heute, egal, wo man sich auf der Welt befand, schienen überall die gleichen Interessen zu haben. Es war mir nicht schwergefallen, von einem vorbeilaufenden, jungen Menschen eine zufriedenstellende Antwort zu erhalten.
Ich erkannte die Einrichtung schon von Weitem. Die ganze Fassade des Hauses war im Gegensatz zu den Nachbargebäuden auf ungewöhnliche Art und Weise bemalt. Offenbar wollte der Besitzer des Cafés die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Anders waren die überdimensionalen, gezeichneten Computer vor dem Hintergrund einer Erdkugel nicht zu erklären gewesen.