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In 'Mistris Lee' von Achim von Arnim wird die Geschichte von Elisabeth Lee erzählt, einer mysteriösen und faszinierenden Figur, die in einer Geistererzählung des 18. Jahrhunderts gefangen ist. Von Arnim, ein bedeutender Vertreter der deutschen Romantik, kombiniert in diesem Werk historische Fakten mit übernatürlichen Elementen und schafft so eine fesselnde Erzählung, die den Leser in eine Welt voller Mysterien und Geheimnisse entführt. Sein poetischer und bildhafter Schreibstil verleiht der Geschichte eine besondere Atmosphäre und macht 'Mistris Lee' zu einem einzigartigen Meisterwerk der Romantikliteratur.
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Seitenzahl: 44
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Books
Ich überzeuge mich jeden Tag, den ich in den Gerichtshöfen zubringe, daß die Engländer einen Naturtrieb, eine reine Begeisterung zum Gesetzgeben haben; wir Deutsche, in denen die besten Tätigkeiten selten zu einer allgemein geltenden Form gelangen, sollten uns von ihnen die Gesetzgeber, wie die französischen Mamsellen aus Neufchâtel oder wie die Kastraten aus Neapel, erkaufen, haben wir doch dazu die fleißigen Bergleute, die mit ihrem Bergleder die Gänge der Unterwelt durchkriechen, um alles dazu nötige Erz an die ungeduldige Sonne zu bringen. Selbst das flüchtige Vergnügen, das sonst wie eine Feder in der Luft schon von dem Gewichte einer Fliege umschlagen kann, muß sich die strenge Form einer großen, bürgerlichen Ordnung gefallen lassen, wenn es in England geduldet werden will; die Langeweile, die sich sonst wohl verschweigen, aber nicht verbergen läßt, läßt sich auf diesem Wege sehr gut dahinter verstecken. Der Zeremonienmeister in den Bädern, die ängstliche Übereinstimmung im Erscheinen der jüngsten Leute fällt dem Fremden sehr auf, der sie, nach dieser strengen Erziehung zu Hause, im Auslande wie im Tummelplatze ihres Mutwillens gesehen. Sah ich doch in der katholischen Kirche zu Dresden junge Lords ihre schmutzigen, gestiefelten Beine auf das Pult für die Gesangbücher legen, bis endlich die riesenhaften, graugelben Kirchendiener sie mit ihren Stäben berührten. Damit vergleiche man das Gesetz bei der großen italienischen Oper in London, nur Männern in Schuh und Strümpfen und im Rock den Eingang in das Parterre zu gestatten. Welche Umständlichkeiten für einen Fremden, der sich den ganzen Tag zum Sehen befleißigt und abends noch auf sich selbst sehen muß. Zu dem Gesehenwerden der Zuschauer ist das Opernhaus auch viel besser eingerichtet als zum Sehen; die Dekorationen sind meist abgerieben, das Haus so wie im Innern so von außen ohne bedeutende Verzierung, aber zahlreiche Lichter besternen die Logen, und die schönen Frauen wie Sternbilder ruhen im Kreise umher, und die Engländer von Welt, als eine schiffahrende Nation, kennen alle diese Sternbilder, weil sie teils durch ihre Schönheit, teils durch ihre Männer öffentliche Charaktere sind; manche sind auch öffentlich selbst und finden sich wie gefallene Sternschnuppen im Parterre.
Heute trat fast mitten im Stück – es wurde «Die schöne Müllerin» gegeben – noch eine neue Schönheit hervor, wie einer von den Sternen, deren Licht noch nicht angekommen ist; das erregte die Aufmerksamkeit, als würden die Siegskanonen in Hydepark gelöst; sei die Stimme der Sängerin noch so eindringend, die Zudringlichkeit der Neugierde ist stärker, die Liebe, ach die Liebe hat sie so weit gebracht. Die lächelnd eintretende Frau war etwas stark, aber ohne Beschwerde, Fülle ohne Überfluß, ohne jugendlich zu sein doch noch jung, die Haut sehr klar und schön gefärbt, die Augen etwas tief und verwirrt, ihr Haar blond und künstlich gelockt, aber sehr dick; sie trug einen roten Schal. Das sah ich alles genau an, und um nicht immer wieder hinzusehen, drehte ich ihr den Rücken zu und ließ mich von dem anziehenden Sange aufzehren. Ich durstete am Ende des Stücks, als wär es ein heißer Tag gewesen; ich eilte fort, aber im sogenannten Kneifsaale, wo das Vorfahren der Wagen erwartet wird, stopfte es sich, und der Strudel riß mich endlich ganz dicht auf die vielbeschaute Schöne hin; was so viele sehnlich gesucht, das trat mir wie ein Hindernis entgegen. So unangenehm mir dies Drängen war, sie schien sehr behaglich dabei. Ich machte einen Engländer meiner Bekanntschaft, der ihr recht fest in die Augen sah, aufmerksam auf sie; ich erschrak, als er mir fast laut sagte: «Kennen Sie noch nicht die berühmte, schöne Mistris Lee?» Engländer lassen sich nur sehr selten zum ganz leisen Sprechen herab, wie sie sich auch nur selten zum Schreien erheben; was aber das Wort berühmt anlangt, so heißt es dort meist nichts mehr, als daß es mehrmals in den Zeitungen gestanden, wie bei gewissen deutschen Gelehrten, und dann meinen sie, daß es die ganze Welt wissen müßte. Ich fragte ihn deswegen im Scherz, ob es nicht die Schwester von Lukas Cranachs Eva sei? sie hätten Familienähnlichkeit miteinander. – «Unmöglich», meinte er, «kein Mensch in England hat das je vermutet, das muß in ausländischen Blättern gestanden haben.» – Ich lachte und ging mit ihm durch manche Hand der Versuchung, weil ich die Gewohnheit habe, die Musik, die in meinem Kopfe lustwandelt, vor mir hinzusingen, was in ganz London abends nur ein Betrunkener tut. Wir traten in Neubondstraße ins Kaffeehaus und setzten uns zusammen in eine Bucht und tranken einige Gläser Nigus; da kamen wir notwendig auf die schöne Frau, er wußte ihre Geschichte sehr umständlich von ihren Entführern, ich will sie im Auszuge ihm nacherzählen: