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Endlich ein Heiratsantrag! Cristina schwebt auf Wolke sieben, bis sie erfährt, dass Rafael nur eine Vernunftehe eingehen will. An Liebe glaubt der Millionär nicht. Also muss Cristina ihn überzeugen und setzt ihre schärfsten Waffen ein: üppige Rundungen und viel Köpfchen …
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Seitenzahl: 172
IMPRESSUM
Mit Charme und ganz viel Gefühl erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2008 by Cathy Williams Originaltitel: „Rafael’s Suitable Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA, Band 311 Übersetzung: Marianne Wienert
Umschlagsmotive: Kwangmoo / Depositphotos, AndreYanush / DPMARKET
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2022
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751514859
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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An einem Wintertag, an dem die meisten Autofahrer lieber mit der Bahn als mit dem Auto reisten, stieg Rafael Rocchi in seinen schwarzen Ferrari. Er benutzte ihn viel zu selten, und wozu hatte er den teuren Schlitten, wenn er die meiste Zeit nur in der Garage stand? Die Fahrt von London zur Villa seiner Mutter im nordwestlich gelegenen Lake District war genau das Richtige nach der anstrengenden Woche im Büro. Nirgends entspannte er sich besser als am Lenkrad des rassigen Sportwagens – es gab ihm ein Gefühl der Befreiung, das er in seinem streng programmierten Alltag vermisste. Seit dem Tod seines Vaters vor acht Jahren leitete Rafael das Rocchi-Imperium im Alleingang. Das war keine leichte Aufgabe – stimulierend und überaus erfüllend, aber keineswegs entspannend.
Sowie er die City hinter sich gelassen hatte, beschleunigte er das Tempo. Nach dem heftigen Schneefall der letzten Tage war die Landschaft immer noch in eine dicke weiße Decke gehüllt. Jetzt schneite es nicht mehr. Die Fahrbahn war geräumt, wenn auch etwas glatt, was Rafael bei der hervorragenden Straßenlage des schweren Wagens jedoch nicht allzu sehr beunruhigte. Nach einer Weile stellte er sein Handy ab und legte eine CD ein, um den Klängen klassischer Musik zu lauschen. Nicht einen Moment kam es ihm in den Sinn, dass ein schnelles Auto und vereiste Straßen eine gefährliche Kombination ergaben. Er war überzeugt, den Ferrari ebenso unter Kontrolle zu haben wie sein übriges Leben, privat oder beruflich. Obwohl er erst sechsunddreißig war, galt er in der Geschäftswelt bereits als Legende, berühmt und berüchtigt für außergewöhnliches Flair und kaltblütige Entscheidungen.
Manchmal kam ihm der Verdacht, dass er auch den Frauen so etwas wie Furcht einflößte. Doch daran gab es seiner Ansicht nach nichts auszusetzen. Gesunder Respekt konnte nie schaden, ganz im Gegenteil. Es trug dazu bei, den Ablauf einer Beziehung von vornherein festzulegen – insofern man bei sechsmonatigen Affären überhaupt von Beziehungen reden konnte. Seine Mutter war anderer Meinung und machte daraus kein Geheimnis, genauso wenig wie aus ihren Bekehrungsversuchen. Zu denen gehörte zweifellos auch diese Party heute Abend. Ihre Behauptung, es handele sich um eine spontane Idee für ein zwangloses Beisammensein mit Nachbarn und Freunden, glaubte er nicht eine Minute. Bei über hundert Gästen konnte von spontan kaum die Rede sein.
Nein, sie beabsichtigte wieder einmal, ihren Sohn unter die Haube zu bringen, obwohl er schon hundertmal versucht hatte, sie davon abzubringen. Sein Leben gefiel ihm so, wie es war, aber das wollte ihr nicht in den Kopf. Im Grunde war Maria Rocchi immer noch die traditionelle Italienerin, die mit zweiundzwanzig geheiratet hatte und kurz danach mit ihrem Mann nach England auswanderte. Natürlich ging es ihr gegen den Strich, dass ihr Sohn und einziges Kind mit sechsunddreißig weder an Ehefrau noch an Nachwuchs dachte. Mehr als ein Kind hatte ihr das Schicksal nicht vergönnt.
Rafael liebte und achtete seine Mutter, auch wenn sie ihm ab und zu auf die Nerven ging. Nicht zuletzt darum war er ihrer Einladung – oder genauer gesagt, ihrem Befehl – gefolgt. Schon jetzt wusste er, dass er sich auf der Party zu Tode langweilen und das auserwählte Mädchen ihm nicht gefallen würde. Maria hatte nie verstanden, dass es ihm bei Frauen nur auf zwei Dinge ankam: Sie mussten schön sein, vorzugsweise blond und gertenschlank, und durften nichts Dauerhaftes im Sinn haben.
Mit derlei Betrachtungen beschäftigt, nahm Rafael eine Biegung in der zweispurigen Landstraße etwas zu schnell. Im nächsten Moment trat er hart auf die Bremse. Der Ferrari hielt mit quietschenden Reifen knapp zwei Meter hinter einem leeren Mini-Cooper, der mit der Nase in einer Schneewehe am Straßenrand steckte.
Wütend riss er die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Was hatte sich der Fahrer dabei gedacht, mitten in der Kurve stehen zu bleiben? Und wo war er überhaupt?
Plötzlich erhob sich jemand hinter dem Mini und starrte ihm verdutzt entgegen. Natürlich eine Frau!
„Was zum Teufel … Sind Sie verletzt?“
Die Fahrerin blinzelte und machte zögernd ein paar Schritte.
„Nun?“
Sie sagte kein Wort. War sie stumm?
„Ich sollte meinen Wagen zur Seite fahren“, informierte er sie knapp. „Sonst passiert womöglich noch ein Unfall.“
Da er auch diesmal keine Antwort bekam, wandte er sich schulterzuckend ab, um den Ferrari aus der Gefahrenzone zu entfernen. Als er sich umdrehte, war die Frau verschwunden.
Mit wachsender Gereiztheit kam Rafael zu dem Mini zurück und entdeckte sie auf beiden Knien im Schnee, wo sie mit einem eingeschalteten Handy als Taschenlampe nach etwas suchte. Als sie ihn hörte, sah sie auf.
„Ich … Es tut mir leid … Sind Sie okay?“, stammelte sie.
Rafael musterte die zusammengekauerte Gestalt. „Ist Ihnen eigentlich klar, wie gefährlich es ist, ein Auto hier stehen zu lassen?“, fragte er schließlich.
Widerstrebend richtete sie sich auf. „Ich habe versucht, es von hier wegzubringen, aber es ging nicht.“ Nervös kaute sie an der Unterlippe.
Jetzt, wo sie vor ihm stand, stellte er fest, dass sie höchstens ein Meter sechzig und ausgesprochen rundlich war. Seine Laune wurde noch schlechter. Wäre sie groß und schlank gewesen, hätte er seinen ganzen Charme eingesetzt, aber so … Verdrossen krauste er die Stirn.
„Und da lassen Sie es einfach, wo es ist, und kriechen im Schnee umher.“ Geduld gehörte nicht zu Rafaels herausragenden Tugenden, und langsam war sie am Ende.
„Aber nicht zum Vergnügen! Ich … ich suche nach meiner Kontaktlinse. Sie ist mir herausgefallen, als ich mir die Augen gerieben habe. Ich bin nämlich schon stundenlang unterwegs. Wenn ich morgen früh nicht nach London zurück müsste, wäre ich mit dem Zug gekommen. Aber dann hätte ich jemanden aufwecken müssen, um mich zum Bahnhof zu bringen. Und das wollte ich nicht, weil ich es unhöflich finde. Übrigens …“ Sie streckte dem Fremden eine Hand entgegen. „Wir haben uns noch gar nicht begrüßt.“
Er war der attraktivste Mann, dem sie jemals begegnet war. Sehr groß, bestimmt eins neunzig. Das schwarze Haar trug er aus der Stirn gekämmt, sodass nichts von den markanten Gesichtszügen ablenkte. Dass er im Moment ausgesprochen unfreundlich aussah, hielt Cristina nicht davon ab, ihn anzulächeln.
Rafael ignorierte die kleine Hand. „Ich kümmere mich um Ihr Auto“, verkündete er schroff. „Danach kommen Sie besser mit mir. Ich nehme an, wir haben das gleiche Ziel, diese Straße führt nur zu einem Haus.“
„Oh … Das brauchen Sie wirklich nicht!“, protestierte sie ein wenig atemlos.
„Ich weiß. Aber die Verantwortung, dass Sie unterwegs noch einen Unfall bauen, weil Sie nichts sehen, nehme ich lieber nicht auf mich.“ Damit setzte er sich ans Lenkrad des Minis und manövrierte den Wagen mühelos aus dem Schnee, um ihn etwas weiter entfernt am Straßenrand zu parken. Cristina sah gebannt zu – was ihr in einer halben Stunde nicht gelungen war, schaffte er in wenigen Minuten.
„Das war genial“, meinte sie beeindruckt, als er zurückkam.
„Übertreiben Sie nicht. Zumindest ist der Karren jetzt aus dem Weg.“
„Ich kann auch selbst fahren. Ich stecke immer eine Reservebrille ein, weil mir von den Kontaktlinsen manchmal die Augen wehtun. Tragen Sie auch welche?“
„Wie bitte?“
„Schon gut.“ Cristina dachte an den bevorstehenden Abend und seufzte.
„Was ist?“ Ungeduldig öffnete Rafael die Beifahrertür des Ferraris. Worauf wartete sie? Ein eisiger Wind wehte, und noch mehr Schnee lag in der Luft.
„Nichts, nur …“
„Nur was?“
Mit einer mutlosen Geste zeigte sie auf ihre Gestalt. „So, wie ich aussehe, kann ich mich nirgends blicken lassen.“ Sie kannte ihre Gastgeberin nur flüchtig, sie war ihr ein- oder zweimal bei ihren Eltern in Italien begegnet. Maria Rocchi schien eine nette Person zu sein, aber in diesem Zustand konnte sie ihr trotzdem nicht gegenübertreten. Beim Herumkriechen hatte sie sich schmutzig gemacht, ihr Kleid war nass und die Strumpfhose zerrissen. Von der Frisur ganz zu schweigen! Ihr lockiges Haar war von Natur widerspenstig und selbst unter normalen Umständen schwer zu bändigen, aber jetzt sah es aus wie eine Löwenmähne nach einem Elektroschock. Nein, so präsentierte man sich nicht auf einer Gesellschaft – was sollte die Frau von ihr denken?
„Reden Sie keinen Unsinn! Mir ist kalt, und ich habe keine Lust, noch länger herumzustehen. Warum holen Sie nicht lieber Ihr Gepäck? Wenn es Sie erleichtert, bringe ich Sie nach der Ankunft in eins der Gästezimmer, wo Sie sich frisch machen oder umziehen können, was auch immer …“
„Im Ernst?“ Cristinas Bewunderung stieg ins Grenzenlose. Der Mann hatte für alles eine Lösung. Erst der Mini, jetzt das Problem ihrer Erscheinung … Besonders freundlich war er zwar nicht gerade, doch das konnte sie ihm kaum verübeln. Ihretwegen wäre es um ein Haar zu einem Unfall gekommen, und der Schreck saß ihm natürlich immer noch in den Gliedern.
Sie lief zu ihrem Auto, um Reisetasche und Mantel zu holen, während Rafael ungeduldig auf die Armbanduhr schaute. Die Party war wahrscheinlich bereits in vollem Gange.
„Vielen Dank, Sie sind wirklich sehr nett.“ Noch ganz außer Atem hielt Cristina ihm Tasche und Mantel entgegen, die Rafael kommentarlos im Kofferraum verstaute. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn jemand das letzte Mal nett genannt hatte – und offen gesagt legte er keinen Wert auf das Kompliment. Er half ihr beim Einsteigen, setzte sich ans Steuer, und sie fuhren los.
„Kennen Sie das Haus?“, fragte sie nach einer Weile. „Ich meine, weil Sie die Gästezimmer erwähnt haben.“
Offenbar wusste sie nicht, wer er war. Rafael beschloss, es vorerst dabei zu belassen. „Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen“, sagte er, das Thema wechselnd, und bemerkte, wie sie errötete.
„Oh, wie unhöflich von mir! Ich bitte vielmals um Verzeihung. Nach allem, was Sie für mich tun! Cristina … Ich meine, so heiße ich. Normalerweise habe ich bessere Manieren, nur …“ Verlegen schwieg sie und sah zur Seite. Wie immer redete sie ohne Punkt und Komma. Wann würde sie endlich lernen, sich wie eine erwachsene Frau zu benehmen? Am besten fing sie sofort damit an.
Der gute Vorsatz hielt jedoch nur ein paar Minuten, dann schwatzte sie erneut munter drauf los. Von klein auf an männliche Gesellschaft gewohnt – sie kam aus einem wohlhabenden italienischen Elternhaus –, schüchterte auch dieser fantastisch aussehende Fremde sie nicht ein. Ihr unkompliziertes Naturell und ein kontaktfreudiges, vertrauensvolles Wesen brachten es mit sich, dass sie in ihren Mitmenschen stets nur die guten Seiten sah. Und da ihre Erfahrung mit Männern rein platonischer Natur war, fehlte ihr auch die zynische Haltung, die mit Liebeskummer oder gebrochenem Herzen Hand in Hand geht. Auch jetzt noch, im Alter von vierundzwanzig, sah sie das Leben durch eine rosarote Brille.
„Und wie heißen Sie?“, erkundigte sie sich neugierig nach einer Weile.
„Rafael.“
„Wie kommt es, dass Sie mit Maria Rocchi bekannt sind?“
„Weshalb zerbrechen Sie sich eigentlich den Kopf darüber, wie Sie aussehen? Haben Sie eine Ahnung von dem Gedränge, das uns auf der Party erwartet?“, wich er ihrer Frage aus.
„N…nein, und das tut auch nichts zur Sache. Ich kann nur den Gedanken nicht ertragen, einem Raum voller Leute in diesem Aufzug gegenüberzutreten.“ Sie betrachtete ihre Fingernägel und seufzte. „Die Maniküre war auch für die Katz.“
Dabei hatte sie sich solche Mühe mit ihrem Äußeren gegeben. Cristina lebte noch nicht lange in London, daher war die Einladung zu Marias Party eine nette Überraschung gewesen, für die sie sich besonders sorgfältig zurechtgemacht hatte. So, wie Mom und Dad es von ihr erwarten würden.
Cristina wusste, dass sie die elterlichen Hoffnungen nicht wirklich erfüllte. Trotz aller Bemühungen war es ihrer Mutter nicht gelungen, eine junge Dame aus ihr zu machen – im Gegensatz zu ihren zwei älteren Schwestern. Beide waren wunderschön, selbstsicher und charmant und inzwischen erfolgreich verheiratet. Die perfekten Ehefrauen und ebenso perfekte Mütter …
Sie dagegen war schon als Kind ein Wildfang gewesen, der mit den Nachbarjungen Fußball spielte oder im Garten umhertollte. An hübschen Kleidern, Make-up und dergleichen hatte sie nie Interesse gezeigt. Später entdeckte sie dann ihre Begeisterung für alles, was wuchs. Von da an verbrachte sie jede freie Stunde mit dem Gärtner des elterlichen Anwesens, um ihm über Bäume, Sträucher und Blumen Löcher in den Bauch zu fragen. Bis ihre Mutter sich eines Tages damit abfand, dass aus dem Nesthäkchen der Familie keine junge Dame werden würde.
Cristina seufzte. „Was habe ich mir nur dabei gedacht, im Schnee nach einer Kontaktlinse zu suchen?“, überlegte sie laut.
„Das frage ich mich auch“, erwiderte Rafael trocken.
Niedergeschlagen inspizierte sie ihre Knie. „Die Strumpfhose ist auch hinüber. Sie haben nicht zufällig irgendwo ein Paar herumliegen, oder?“
Rafael drehte den Kopf und sah, dass sie feixte – anscheinend besaß sie Sinn für Humor. Dennoch, auf weitere Details über den Zustand ihrer Garderobe konnte er verzichten.
„Strumpfhosen gehören im Allgemeinen nicht zu meinem Gepäck. Vielleicht hat meine … Vielleicht findet sich ein Paar bei Maria.“
„Maria hat bestimmt eine ganze Schublade voll, nur sind wir leider unterschiedlich gebaut. Sie ist groß und elegant, und ich … äh … ich habe die Figur meines Vaters geerbt. Meine zwei Schwestern sind das genaue Gegenteil von mir: groß, schlank und mit superlangen Beinen.“
„Sind Sie neidisch?“
„Neidisch!“ Ihr Lachen klang so herzhaft, dass Rafael fast Lust bekam, einzustimmen. „Kein bisschen. Ich liebe meine Schwestern über alles, aber um nichts in der Welt würde ich mit ihnen tauschen. Sie sind erst Anfang dreißig, und ich habe schon fünf Nichten und Neffen. Und dann die vielen Partys, die Theaterbesuche und so weiter, für die sie sich andauernd zurechtmachen müssen … Ihre Ehemänner sind Unternehmer und erwarten natürlich, dass ihre Frauen stets tadellos aussehen. Können Sie sich vorstellen, was es heißt, niemals ohne Make-up das Haus zu verlassen?“
Da Rafaels diverse Freundinnen nicht einmal das Schlafzimmer ohne Make-up verließen, fiel ihm das nicht schwer.
Es war bereits Nacht, als sie ihr Ziel, ein stattliches Landhaus aus blassgelbem Sandstein, erreichten. Mit den hoch aufragenden Schornsteinen und den hell erleuchteten Fenstern bot es einen imposanten Anblick. Rafael wartete unwillkürlich auf den Ausruf von Bewunderung, mit dem keine seiner Freundinnen bisher gespart hatte.
Er kam nicht. Cristina schenkte dem Haus nur einen flüchtigen Blick, bevor sie erneut an ihrem Kleid herumzupfte.
„So viele Autos!“ Nervös betrachtete sie den Innenhof mit der breiten Einfahrt, wo ein Fahrzeug neben dem anderen stand. „Und das bei dem Wetter.“
„Daran sind die Leute hier gewöhnt. Wir Londoner sind eher verweichlicht.“
„Sie leben in London?“
Er nickte, wobei er auf einen Seitenweg zur Rückseite des Hauses zusteuerte.
„Ich dachte, Sie stammen aus der Gegend. Weil Sie sich so gut auskennen, meine ich“, fügte sie vage hinzu.
Rafael stellte den Motor ab. „Vielleicht sollte ich Ihnen mitteilen, dass Maria meine Mutter ist.“ Er drehte sich zu ihr.
„Wirklich?“ Einen Moment betrachtete sie ihn schweigend. Maria Rocchi war liebenswürdig und kein bisschen hochnäsig, also musste das, trotz seiner brüsken Art, auch auf ihn zutreffen. Wie hieß es doch gleich? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm …
Begeistert strahlte sie ihn an. „Ihre Mutter ist eine wundervolle Frau.“
„Es freut mich, dass Sie so denken. Wenigstens darin sind wir einer Meinung.“ Damit stieg er aus und half ihr aus dem Wagen. Ein Hausangestellter eilte herbei, um das Gepäck aus dem Kofferraum zu holen, während Rafael seiner selbst auferlegten Rolle als Retter in der Not nachkam und Cristina ins Hausinnere bugsierte. Bisher hatte er sie nur im fahlen Licht der Winternacht und der unzureichenden Innenbeleuchtung des Ferraris gesehen. Darum überraschte ihn ihr Anblick einigermaßen, als sie den Flur betraten. Sie war hübscher, als er vermutet hatte.
Gewiss, eine Schönheit konnte man sie nicht nennen, dafür war sie zu … nun ja, etwas zu rund. Aber ihr Gesicht hatte etwas ausgesprochen Anziehendes, es strahlte Wärme und Offenheit aus. Und selbst ihre offensichtliche Nervosität täuschte nicht darüber hinweg, dass sie anscheinend gern und oft lachte.
Außerdem hatte sie wunderschöne Augen, groß und braun und glänzend. Wie ein zutraulicher kleiner Cockerspaniel, ging es ihm durch den Kopf.
Er räusperte sich. „Kommen Sie!“, sagte er eher abrupt.
Sie gingen durch einen endlosen Gang, vorbei an unzähligen Türen. Vom vorderen Teil des Hauses vernahm man gedämpft die Stimmen und das Gelächter der Gäste. Bald darauf erreichten sie einen Seitenflügel, wo Rafael die Tür zu einem der Gästezimmer öffnete und Cristina hineinschob. Sie blieb stehen und sah beklommen zu ihm auf.
„Was ist?“ Ungeduldig musterte er sie von Kopf bis Fuß.
„Ich weiß, ich bin eine Nervensäge, nur …“ Sie errötete bis an die Haarwurzeln, als sie seinen Blick erhaschte, dann stammelte sie: „Ich … Ich … Meine Figur ist nicht perfekt, aber …“ Sie sagte sich, dass ein Mann wie Rafael seine Zeit bestimmt nicht mit der Inspektion von Frauen verschwendete, die fast ebenso breit wie hoch waren.
„Ich hab schon zig Diäten ausprobiert“, fuhr sie kleinlaut fort, als die Stille andauerte. „Aber immer umsonst. Wie gesagt, mein Vater und ich, wir haben die gleiche Figur.“ Sie versuchte zu lachen, was nicht so recht glückte.
„Ihr Kleid hat einen Riss.“
„Was? Um Himmels willen! Wo denn?“
Sie lehnte sich vor, um nachzusehen, doch Rafael war schneller: Im nächsten Moment kniete er vor ihr, griff nach dem Saum des lose geschnittenen Seidenkleids und hielt den dünnen Stoff in die Höhe, wobei seine Hand Cristinas Bein streifte. Deprimiert betrachtete sie die schadhafte Stelle, spürte aber gleichzeitig bei der flüchtigen Berührung ein eigenartiges Prickeln auf der Haut.
„Was soll ich bloß tun?“, seufzte sie.
„Haben Sie nichts anderes dabei?“, staunte Rafael und stand auf.
„Nur meine Jeans, einen Pullover und Gummistiefel, für den Fall, dass die Zeit zu einem Spaziergang durch Marias Gärten reicht. Landschaftsgestaltung ist eins meiner Hobbys, eigentlich mehr als ein Hobby, geradezu eine Obsession. Selbst die einfallslosesten Menschen haben manchmal die genialsten Ideen, und ich lasse mir keine Gelegenheit zur Inspiration entgehen. Neulich war ich … Aber ich komme ins Faseln, bitte entschuldigen Sie. Um auf Ihre Frage zu antworten – Nein, ich habe nichts dabei, das sich für eine Party eignet.“
Rafael schwieg. Eine Frau, die nur das Allernotwendigste einpackte, war ihm noch nie begegnet. Nach einer Weile schlug er mürrisch vor: „Ich kann ja mal in Mutters Garderobe nachschauen. Sie hat genug Sachen, um halb England einzukleiden.“
„Aber sie ist doch viel größer als ich. Und dünner!“, rief sie ihm nach, als er mit langen Schritten davoneilte. Sich zu bemitleiden, war nicht Cristinas Art, und sie kämpfte auch jetzt tapfer dagegen an.
Zehn Minuten später beäugte sie misstrauisch die Kleider auf seinem Arm: Alle waren viel zu bunt und zu auffallend für jemanden mit ihrer Figur!
„Da wären wir. Los, ziehen Sie sich aus! Ich habe nicht viel Zeit.“
„W…was?“
„Sie sollen sich ausziehen und die Sachen anprobieren.“
„Ich kann mich doch nicht … Ich meine, mit Ihnen im Raum …“
Er lachte. „Sie sind nicht die Erste, das versichere ich Ihnen.“
Vernichtend sah sie ihn an, nahm die Kleider und verschwand im Bad.
Einen Moment überlegte Rafael, ob er gehen sollte. Schließlich hatte er seine Pflicht getan, der Rest war ihre Angelegenheit. Aber dann wartete er doch. Und als sie endlich zurückkam, blieb ihm im ersten Moment die Spucke weg.
Sie war bedeutend schlanker, als er vermutet hatte. Sicher, da waren ein paar Pfunde zu viel, aber genau an den richtigen Stellen. Ihre Taille war schmal, das Dekolleté dafür umso üppiger. Und ihre Haut schimmerte in dem für Südländer typischen warmen Goldton, den das ärmellose Kleid aus fliederfarbenem Stretchmaterial wundervoll zur Geltung brachte. Zum ersten Mal in seinem Leben fiel ihm außer dem üblichen „sehr hübsch“ nichts ein. Er zog sich aus der Klemme, indem er die Tür öffnete und beiseitetrat, um ihr den Vortritt zu lassen.
„Vielen Dank.“ Als sie an ihm vorbeiging, blieb sie plötzlich stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn impulsiv auf die Wange.