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Der Abschluss der Krimi-Reihe Mordkommission Leipzig von Kirsten Wendt. Nichts ist für die Ewigkeit. Selbst der schönste Schein kann sich als dunkler Schatten entpuppen. Während die Suche nach zwei verschwundenen Kindern in Leipzig auf Hochtouren läuft, legt Kommissarin Nadja Mückenberg eine kurze Verschnaufpause als Leadsängerin ihrer Coverband ein. Die piekfeine Hochzeitsgesellschaft rund um Familie Bouillon, bei der Nadja und ihre Bandfreunde für Stimmung sorgen, erweist sich als missgünstiger Haufen. Der cholerische Vater des Bräutigams bricht plötzlich tot zusammen. Was zunächst wie ein Herzinfarkt aussieht, stellt sich als Giftmord heraus. Nadja Mückenberg muss unter Hochdruck den Täter entlarven, bevor sich die Gäste in alle Winde zerstreuen. Dabei macht sie eine Entdeckung, die der Moko Leipzig auf die richtige Spur im Fall der Kindesentführungen verhilft. Band 4 der Moko Leipzig: Mitgift Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme. Band 1: Rampensau von Marcus Hünnebeck Band 2: Hurenball von David Gray Band 3: Straßenköter von Stefan B. Meyer
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Seitenzahl: 138
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Inhaltsverzeichnis
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Moko Leipzig
Lesetipps
Kriminalroman
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Moko Leipzig
Kirsten Wendt erfüllte sich im Jahr 2012 ihren großen Traum vom Schreiben und wagte den Sprung in die Selbstständigkeit, nachdem sie zuvor als Vertrieblerin und Sekretärin tätig war. Seitdem verfasst sie Psychothriller, Liebesromane und Sachbücher.
Die gebürtige Nordfriesin hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Partner in Leipzig.
Nichts ist für die Ewigkeit. Selbst der schönste Schein kann sich als dunkler Schatten entpuppen.
Während die Suche nach zwei verschwundenen Kindern in Leipzig auf Hochtouren läuft, legt Kommissarin Nadja Mückenberg eine kurze Verschnaufpause als Leadsängerin ihrer Coverband ein. Die piekfeine Hochzeitsgesellschaft rund um Familie Bouillon, bei der Nadja und ihre Bandfreunde für Stimmung sorgen, erweist sich als missgünstiger Haufen. Der cholerische Vater des Bräutigams bricht plötzlich tot zusammen. Was zunächst wie ein Herzinfarkt aussieht, stellt sich als Giftmord heraus. Nadja Mückenberg muss unter Hochdruck den Täter entlarven, bevor sich die Gäste in alle Winde zerstreuen. Dabei macht sie eine Entdeckung, die der Moko Leipzig auf die richtige Spur im Fall der Kindesentführungen verhilft.
Band 4 der Moko Leipzig: ›Mitgift‹
Jedes Buch der vierteiligen Reihe behandelt einen eigenständigen Kriminalfall. Die Jagd nach dem Kindesentführer zieht sich über alle Bände, die im Wochenrhythmus erscheinen. Vier Leipziger Autoren geben vier Kommissaren der Leipziger Polizei eine Stimme.
Band 1: ›Rampensau‹ von Marcus Hünnebeck
Band 2: ›Hurenball‹ von David Gray
Band 3: ›Straßenköter‹ von Stefan B. Meyer
Mitgift - Mordkommission Leipzig Band 4
© 2018 Kirsten Wendt
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage, April 2018
Covergestaltung: Daniel Morawek und David Gray
unter Verwendung von einem Bild von Agentur Dreamstime
Lektorat: Elia van Scirouvsky
Herausgeber:
Kirsten Wendt c/o
Marcus Hünnebeck
Hegelstraße 11, 40789 Monheim
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren zulässig.
Alle in diesem Roman geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Nadja schielte möglichst unauffällig aufs Handy, das in ihrer Handtasche steckte. Das edle schwarze Teil lag auf ihrem Schoß, und die Kommissarin gab vor, nach irgendwas in der Tasche zu suchen – dabei hatte sie es nur zu sich hochgezogen, um aufs Smartphone zu schauen. Mitten in einer Dienstbesprechung war das zwar höchst unprofessionell, aber sie konnte ihre Neugierde nicht zügeln. Sie musste einfach wissen, ob Thomas sie tatsächlich schon wieder beschissen hatte, oder ob sie es sich einbildete, dass der Cocktailbarbesitzer es auf seine neue blutjunge Mitarbeiterin abgesehen hatte. Seit einem Dreivierteljahr waren Nadja Mückenberg und der Kneipier ein Paar, und die meiste Zeit ärgerte sie sich über ihn. Im Berufsleben hatte die toughe Polizistin die Zügel in der Hand, doch in Sachen Liebe griff sie regelmäßig ins Klo. Ihre turbulente On-Off-Beziehung raubte ihr den letzten Nerv.
Tatsächlich! Thomas war klar und deutlich auf einem Schnappschuss zu erkennen, das seine blöde Bardame vergangene Nacht auf Facebook gepostet hatte. Engumschlungen stehen die beiden am Tresen und machen miteinander rum. Nadja unterdrückte ein Wutschnauben, schloss die Klickschnalle ihrer Handtasche und ließ sie leise zu Boden gleiten. Sie blickte hoch, direkt in die Augen ihres Kollegen Hubertus Wilhelm Knabe, der sie aufmerksam beobachtete und dabei mit den Fingern knackte.
»Fertig?«, fragte er provokant und hob süffisant die Augenbrauen. »Privatmails alle gecheckt?«
Zu viert saß das Ermittlerteam im Büro des Chefs Starke zusammen: Nadja, Hubertus »Hubsi« Knabe, Maik Keller und Frank Starke standen unter enormem Druck. Zwei Kinder waren entführt worden, und die Öffentlichkeit erwartete eine schnelle Aufklärung seitens der eingerichteten Sonderkommission, für die mittlerweile die komplette Leipziger Mordkommission arbeitete.
»Erstens möchte ich dich bitten, das Fingerknacken zu lassen. Das ist eine unbewusste männliche Dominanzgeste, die du dir hier sparen kannst. Und zweitens wüsste ich nicht, was dich mein Handy angeht«, sagte Nadja und griff betont gelassen nach ihrem Kaffeebecher. »Außerdem war es nicht privat, sondern dienstlich. Zurück zum eigentlichen Thema: Wir sollten die Optionen überdenken, die sich uns stellen. Was meinst du, Frank? Ich habe dir ja bereits gestern gesagt, dass wir den Krankenpfleger noch nicht durchleuchtet haben. Obwohl seine Aussage für Böhmes Verhaftung eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Das müssen wir uns ankreiden.«
»Pfft«, machte Hubsi leise. »Unfassbar.«
Nadja wusste, was er dachte: Was für eine Schleimerin, sich beim Chef anzubiedern. Aber es spielte keine Rolle, was ihr junger Kollege von ihr hielt. Sie war dem Rookie des Teams intellektuell überlegen und vor allem wesentlich beherrschter als er. Nicht ohne Grund war sie innerhalb kürzester Zeit die Karriereleiter hochgeklettert. Damit kamen einige Leute nicht klar, insbesondere Männer suchten ständig nach dem Haar in der Suppe, wenn Frauen sie links überholten. Obendrein war sie aus Niedersachsen in die neuen Bundesländer gekommen. Als Frau aus dem Westen, die zweifelsohne eines Tages Starkes Job übernehmen würde, war sie Gegenwind gewohnt.
»Nadja hat recht. Wenn wir nicht bald die Mädchen finden, bekommen wir ernsthafte Probleme mit der Öffentlichkeit. Vom Polizeipräsidenten mal ganz abgesehen. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich ihm sagen soll. Erfährt der davon, dass wir den Pfleger außer Acht gelassen haben, wird er sehr ungehalten reagieren.« Starke rollte theatralisch mit den Augen und krempelte, während er weitersprach, die Hemdsärmel seines rot karierten Flanellhemds auf. »Wir müssen unsere Erkenntnisse noch mal klar definieren. Wo stehen wir? Was haben wir eventuell sonst noch übersehen? Leute, denkt nach! Nächste Woche müssen wir Ergebnisse liefern. Wir haben wegen der erfolgreichen Verhaftung des Mörders von Barthke und Bin Omar sicher das freie Wochenende verdient. Viele andere Soko-Mitglieder genießen diesen Luxus nicht. Aber am Montag sind unsere Lorbeeren bereits wieder verwelkt.«
Polizeipräsident Walther, intern nur PPK genannt, war ohnehin ein harter Knochen. Doch die beiden Kindesentführungen ließen ihn zur Höchstform auflaufen: Er wollte sie unbedingt vor seiner Pensionierung im nächsten Jahr aufgeklärt wissen, zumal er auf den Posten des Oberbürgermeisters scharf war. Er ließ Starke inzwischen mehrmals die Woche bei sich antanzen, um Druck zu machen.
»Maik und ich sind gestern auf einen ganz anderen Gedanken kommen«, sagte Knabe. »Wer sagt denn eigentlich, dass es sich um ein- und denselben Täter beziehungsweise eine bestimmte Tätergruppe handelt?«
»Sagt niemand«, meinte Starke. »Und weiter?«
Nadja bemerkte, dass Starke Knabe missmutig musterte. Was hatte das zu bedeuten? Hubertus rutschte auf seinem Stuhl unbehaglich hin und her, als hätte er ein schlechtes Gewissen.
»Es könnte auch ein Nachahmungstäter sein«, brachte Keller die neue Idee ins Spiel. »In diese Richtung haben wir zumindest noch gar nicht ermittelt.«
»Hm, ich weiß nicht.« Starke rieb sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn und blickte zu Nadja rüber, die sich vom Stuhl erhob und ihren grauen Kostümrock glattstrich.
»Vollkommen absurd«, sagte sie. »Die Mühe können wir uns sparen. Es liegt ja wohl auf der Hand, dass dem nicht so ist. Ein Nachahmer ist nicht am Werk.«
»Howgh, Häuptling Mückenberg hat gesprochen!«, ätzte Maik Keller kopfschüttelnd. »Wie kann man nur dermaßen arrogant sein! Schon mal was von Teamarbeit gehört?«
»Aber echt! Frank hat vorhin gesagt, wir sollen gründlich nachdenken. Nichts anderes tun wir. Oder hast du schlechte Laune, weil du noch nichts gefrühstückt hast?«, fuhr Hubertus Nadja an.
»Ich frühstücke nie, falls es dir entgangen sein sollte.«
Und zwar, weil sie sonst fett wurde und nicht mehr in Größe 36 passte, was eine ihrer größten Ängste war. Nur deshalb nahm sie bis zum Mittag bloß Kaffee zu sich, und nicht etwa, weil sie keinen Appetit auf leckere Croissants mit Butter verspürte. Anders konnte sie ihre Figur nicht halten, sondern ginge auseinander wie ein Hefekloß und würde eines Tages enden wie ihre Mutter, die nach ihrem Tod zu dick für einen Standardsarg gewesen war. Nadja wusste, dass sie zu eitel war und sich damit selbst im Wege stand, hätte das jedoch nie zugegeben und behielt diese Gedanken vor allem im Berufsleben für sich. Die Kollegen sollten ruhig denken, sie sei cool und beherrscht, obwohl sie in Wirklichkeit regelmäßig von Fressorgien und unkontrollierten Schreianfällen träumte.
»Und du hast deswegen jeden Morgen schlechte Laune. Lass die gefälligst nicht an uns aus. Es nervt gewaltig.«
»Ich habe keine schlechte Laune, sondern denke über unseren Fall nach. Muss ich ernsthaft darauf verweisen, was uns allen klar ist? Dass es nämlich unbestreitbare Ähnlichkeiten zwischen den beiden Mädchen gibt. Feine Gesichtszüge, blonde Haare. Zierliche Statur. Zufall?«
Betreten senkten die Männer die Köpfe, doch schon nach wenigen Sekunden legte Hubertus Knabe nach.
»Kann doch sein!«, sagte er sturköpfig.
»Hubsi, deine zickige Art strengt mich furchtbar an und ist nicht sachdienlich«, erklärte Nadja Mückenberg.
»Du bist ja so klug und hast die Weisheit mit Löffeln gefressen … Aber Sherlock kann sich auch mal irren!«
»Vielleicht hat ja auch jemand nachgeholfen, damit wir Böhme als Verdächtigen festhalten«, konterte sie, schürzte die Lippen und kniff die Augen zusammen. Einerseits fand sie es schmeichelhaft, dass man sie mit Sherlock Holmes verglich, andererseits war ihr durchaus bewusst, wie ironisch dieser Vergleich gemeint war – als sei sie ein Möchtegern-Sherlock und nicht tatsächlich spitzfindiger als der Rest des Teams.
»Ich möchte doch sehr bitten«, polterte Frank Starke und ließ seine Faust auf den Schreibtisch donnern. »Kriegt euch sofort wieder ein, okay?«
Erstaunt blickten die drei Kommissare in die Runde. Es kam selten vor, dass ihr Boss sauer wurde. Normalerweise musste er sich nicht darum kümmern, verbale Eskalationen im Präsidium zu verhindern, doch an diesem Tag lagen die Nerven offenbar bei allen blank. Sie nickten unisono und murmelten Entschuldigungen. Ob das an der Arbeitsüberlastung der vergangenen Wochen lag?
»Zum Beispiel der Pfleger«, fügte sie leise hinzu. »Er wusste ja, dass wir Böhme verdächtigen.«
»Schon gut, Leute«, erklärte Starke versöhnlicher. »Wir sind hier nicht im Kindergarten. Lasst uns also weitermachen, anstatt uns gegenseitig mit Vorwürfen zu überhäufen. Ist eh schon zu viel Mist in den letzten Wochen passiert, da sollten wir erst recht konstruktiv zusammenarbeiten. Maik, roll doch noch mal den Fall von vorn aus.«
Keller lächelte Starke zu und beugte sich konzentriert vor. »Der Inhaftierte hat zugegeben, dass Cindy Busch, unser erstes verschwundenes Mädchen, in der Wohnung gewesen sei. Der Verdächtige lebt dort mit seinem Vater zusammen, der nach einem Schlaganfall pflegebedürftig geworden ist. Eine Aussage konnte der Vater deshalb nicht tätigen. Betreut wird er von einem ambulanten Pflegedienst, und der zuständige Pfleger ist auch schon befragt worden. Aber er sagte aus, nichts bemerkt zu haben. Tja.«
»Ich schlage vor«, sagte Nadja, »ihm noch einmal auf den Zahn zu fühlen.«
»Dem Pfleger?«, hakte Hubertus nach. »Laut Protokoll war seine Befragung ausreichend.«
»Trotzdem. Ist nur so ein Gefühl. Ich glaube, den haben wir bisher noch nicht genug ins Visier genommen.«
»In Ordnung«, gab Starke sein Einverständnis. »Knöpft euch den Pfleger erneut vor. Irgendwo müssen wir ja ansetzen.«
»Ich werde das mit Hubsi machen. Wir erledigen das«, versuchte Keller die Aufgabe für sich und Knabe an Land zu ziehen, bevor Nadja ein Wort anbringen konnte, doch diese machte sich im Stuhl gerade und bat: »Kann ich das vielleicht übernehmen, Frank? Wäre mir wichtig.« Sie blätterte in ihren Unterlagen herum und suchte nach dem Namen der männlichen Pflegekraft. »Ah, hier. Wolfgang Hain heißt er.«
»Wir können aber auch bei ihm rumfahren, ist kein Ding.« Maik versuchte, den erneut aufsteigenden Ärger über die Kollegin zu unterdrücken. Gequält lächelnd presste er die Lippen zusammen.
»Nein, Nadja kümmert sich drum, zumal es sich um ihren Vorschlag handelte. Aber natürlich nicht allein. Ich habe allerdings keine Zeit und kann dich nicht begleiten. Zur Unterstützung könntest du Schupo Henner Baumann mitnehmen, der sollte Kapazitäten frei haben.«
»Okay. Dann sind wir hier erst mal fertig?«
»Ja. Viel Glück.«
Die blonde Frau verließ vor ihren Kollegen das Büro des Vorgesetzten und verschwand auf der Damentoilette, um dort in Ruhe auf ihrem Handy zu checken, welche Ausreden Thomas heute auf Lager hatte. Doch als sie die neuesten Nachrichten aufrufen wollte, war keine einzige von ihrem Freund zu sehen. Vermutlich lag er noch im Bett mit seiner billigen Affäre und hatte nicht eine Sekunde an Nadja gedacht. Als Barkeeper schlief er meistens tagsüber und war nachts wach. Ein weiterer Umstand, der gegen ihn sprach. Sie fragte sich mal wieder, was sie mit einem solchen Typen überhaupt wollte. Frustriert betätigte sie die Klospülung und ging zurück an die Arbeit.
»Sie haben da was an der Backe.« Nadja drehte sich vom Beifahrersitz nach links und wies mit dem Zeigefinger auf das Gesicht des Kollegen Baumann. »Gab es heute Mittag Eiersalat?«
Henner Baumann wischte sich mit der rechten Hand über die Wange. »Nein, Nudeln. Weg?«
»Nö«, antwortete sie und schaute wieder ungerührt auf die Straße. »Aber stört mich nicht.«
Baumann reckte das Gesicht zum Rückspiegel und bemühte sich, nicht die Kontrolle übers Steuer des Polizeiwagens zu verlieren. Er ärgerte sich über Mückenberg, weil sie ihm das Gefühl vermittelte, er sei ein unbeholfener Jüngling statt eines gestandenen und erfahrenen Polizisten, der beinahe doppelt so viele Dienstjahre wie sie auf dem Buckel hatte. Noch mehr ärgerte er sich allerdings über sich selbst. Die Mückenberg hatte etwas an sich, das ihn reizte. Als Mann reizte. Sie entsprach optisch genau dem Typ, auf den er stand, auch wenn er wusste, was er an seiner Frau Rosie hatte, und dass er sie nach all den Ehejahren nie betrügen würde. Na ja, fast nie.
Baumanns Sohn hätte Nadja Mückenberg eine Acht gegeben, vielleicht sogar eine Neun. Ihre halblangen, blonden Haare, die – obwohl vermutlich perfekt frisiert – immer ein bisschen verwuschelt aussahen, als sei sie gerade erst aufgewacht, konnten Männern jeden Alters den Verstand rauben; dessen war sich Henner sicher. Eine zeitlose Schönheit. Dazu ihre kurvige Figur und die eleganten Kostüme. Keine andere im Präsidium lief so rum, und die Kolleginnen zerrissen sich hinter ihrem Rücken das Maul über den übertriebenen Businesslook. Als Kommissarin wäre es wesentlich praktischer gewesen, in Jeans und Lederjacke rumzulaufen, doch Nadja kleidete sich wie eine Wirtschaftsmanagerin. Ihr größter Fehler in den Augen des großgewachsenen Schutzpolizisten war allerdings, dass sie die rechte Hand Frank Starkes war. Denn das erinnerte ihn daran, dass sich Starke mit großen Schritten der Pensionierung näherte. Und was für seinen Freund Frank galt, drohte auch ihm in nicht allzu ferner Zukunft. Sie gehörten zur alten Garde, und junge Frauen wie Mückenberg oder der zwielichtige Hubertus Knabe verdrängten sie.
Wieso durchschaute er den aufbrausenden Jüngling Hubertus Knabe eigentlich besser als Frank selbst? Spürte Frank so etwas wie väterliche Verantwortung für sein Team? Nach Baumanns Auffassung scheiterte Starke an der Qualität seiner Leute; er müsste dem Haufen mehr Druck machen. Schön und gut, als ausgleichender und bedachter Charakter zu gelten, aber damit kam er bei unruhigen Klugscheißern wie Knabe und dem Wessi Maik Keller nicht weit. Tja, die Mückenberg war auch ein Wessi, was unschwer zu erkennen war. Und trotzdem stand er leider eben auf sie, er war auch nur ein Mann.
Lächelnd schaute er zu ihr rüber. Wenn er sie schon an einem sonnigen Freitagnachmittag neben sich hatte, würde er das Beste draus machen. Scheiß auf die Prinzipien, man konnte es auch übertreiben.
»Ich hoffe, jetzt ist mein Gesicht wieder sauber.«
Ebenfalls milder gestimmt lächelte sie ihn an und scannte ihn nach Speiseresten ab.
»Sauber wie ein Babypopo.«
»Dann bin ich ja beruhigt. Nicht, dass Ihnen bei meinem Anblick noch schlecht wird.«
»Keine Sorge, ich kann einiges aushalten«, entgegnete sie grinsend und strich sich mit beiden Händen über den knielangen Rock, der etwas hochgerutscht war. Entweder er bildete es sich ein, oder sie flirtete tatsächlich mit ihm, wenn auch auf Sparflamme. Wie erfreulich!
Er räusperte sich und warf einen Blick auf das Navigationsgerät in der Mittelkonsole.
»Das Navi sagt, noch eine Viertelstunde bis zur Zentrale des ambulanten Pflegedienstes. Bis dahin können Sie mir ja verraten, wie Ihre Pläne fürs Wochenende aussehen. Was haben Sie vor – oder ist das zu neugierig?«
»Alles gut«, antwortete sie. »Ich habe morgen einen kleinen Auftritt im Schloss Brandis. Wissen Sie, dass ich in meiner Freizeit singe?«
»Gibt es irgendjemanden im Präsidium, der das nicht weiß?« Er warf ihr einen verschmitzten Blick zu, sie biss sich verlegen auf die Unterlippe.
»Echt? Hat sich das rumgesprochen?«
»Na klar. Leipzig ist ein Dorf, da bleibt rein gar nichts verborgen.«