Mitteilen – Zuhören – Verstehen -  - E-Book

Mitteilen – Zuhören – Verstehen E-Book

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Beschreibung

Kommunikation gilt als Schlüssel zu Bildung, Teilhabe und Inklusion. Sie ist die komplexeste und wichtigste Fähigkeit des Menschen und geschieht durch die Verarbeitung einer Summe visueller und akustischer Signale aus Mimik, Gestik, Körperhaltung und Sprache. Kommunikation ist kulturell geprägt, bildungs-, situations- und kontextabhängig und es finden geschlechtsbezogene Zuschreibungen statt. Kommunikation dient dem Informationsaustausch, enthält aber immer auch eine Beziehungsbotschaft.

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Schriftenreihe der Stiftung KBF

Herausgegeben von Hans – Peter Färber

Inhalt

Vorwort

Heidemarie Kurtscheid

Wertschätzung, Empathie und Authentizität – die Kraft der Personzentrierten Haltung in der professionellen Begegnung

Heinz Hinz

Grundbedürfnisse und Selbstwertgefühl als bedeutsame Merkmale für gelingende Kommunikationsprozesse

Jürgen Metter

Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg

Wolfgang Ehinger

Kooperative Gesprächsführung in der Schule

Gerrit Kaschuba

Wie Frauen und Männer kommunizieren – Mythen entwirren, erhellen, aufräumen

Anke Springer

Barrierefreie Kommunikation durch Leichte Sprache

Silvia Bender

„Ich erzähle dir die Welt“ – gelingende psychomotorische (Sprach-) Entwicklungsbegleitung

Julia Schellen

Sprachentwicklung und Unterstützte Kommunikation

Julia Schellen

Kern- und Randvokabular in der Unterstützten Kommunikation

Wolfgang Praschak

Wenn Lebensäußerungen meine Sprache sind – Prägestische Verständigung im tonischen Dialog

Christine Preißmann

Autismus und Kommunikation – Aus Betroffenensicht

Autorinnen und Autoren

Vorwort

Der Erfolg pädagogischer, therapeutischer oder pflegerischer Arbeit ist in einem hohen Maße abhängig von gelingender Kommunikation.

Das gilt in der Frühförderung, in Kindergärten, in Beratungsstellen, in der Jugendhilfe, in Schulen, an Ausbildungsstätten, in betreuten Wohngemeinschaften, in Tagesbetreuungsstellen und in Alten- und Pflegeeinrichtungen, um nur einige zu nennen. MitarbeiterInnen sozialer Einrichtungen sind dabei nicht nur ständig im Austausch mit betreuten Personen, sondern auch im Gespräch mit Angehörigen und im ständigen Kontakt mit KollegInnen unterschiedlicher Teams. Kommunikation ist also einerseits eine Voraussetzung unserer Arbeit und andererseits Medium dieser Arbeit. Häufig ist Kommunikation auch noch Ziel unserer professionellen Bemühungen.

Deshalb hat sich die 11. Fachtagung der KBF für Fachkräfte aus schul-, sozial-, heilpädagogischen, medizinisch-therapeutischen, psychologischen und pflegerischen Arbeitsfeldern unter dem Titel „Mitteilen – Zuhören – Verstehen“ mit den verschlungenen Wegen der Kommunikation befasst.

„Mitteilen – Zuhören – Verstehen“. Das klingt so, als wäre es ein Leichtes.

Und tatsächlich scheint sich die erste angeführte Fähigkeit, das Mitteilen, auch meist von allein zu ergeben: Schon lange vor dem Spracherwerb teilen sich Säuglinge durch Lautäußerungen und durch Strampeln der Arme und Beine mit. Die Entwicklung zur Begegnungsfähigkeit zeigt sich im ersten wechselseitigen Lächeln des Babys mit seiner Bezugsperson, in dem das Kind seine Selbstwirksamkeit erfährt. Nachdem dann der Spracherwerb gelungen ist, teilen wir uns bis ans Lebensende unserer Umgebung mit, egal ob wortreich oder eher einsilbig.

Auch das (Zu-) Hören, der zweite Begriff im Titel unserer Tagung und dieses Buches scheint uns etwas Selbstverständliches zu sein. Allerdings weist das Wort „Zuhören“ auf die Gerichtetheit des Hörens hin.

Beim dritten Wort „Verstehen“ stutzen wir vielleicht und müssen einräumen, dass wir nur verstehen, was in einer Sprache gesagt wird, derer wir mächtig sind. Und dann fällt uns vielleicht ein, dass uns zum Verständnis mancher Aussagen, beispielweise aus dem wissenschaftlichen Bereich, die notwendigen Vorkenntnisse fehlen. Aber – so meinen wir – im alltäglichen Bereich ist das Verstehen des Gehörten eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

„Die verschlungenen Wege der Kommunikation“ - Der Untertitel dieses Buches deutet auf Widerständigkeiten und Verwicklungen, aber auch auf Nähe und Intensität hin. „Verschlungenes“ weckt Neugier, lässt Spannung spüren, weckt sowohl Assoziationen an ein Labyrinth, in dem man sich verlaufen kann, als auch an Menschen, die sich umarmen.

„Verschlungenes“ kann Schwierigkeiten machen, kann verwirren, will entschlungen werden, den einzelnen Strängen muss nachgegangen werden, man möchte sie zum besseren Erkennen herauslösen, aber dann vielleicht auch wieder zusammenfügen.

„Verschlungenes“ zu lösen, kann ungeduldig machen, aber es kann auch eine reizvolle Aufgabe sein und Freude bereiten, den Knoten zu entwirren und wieder zu binden.

Das „Mitteilen“ kann durchaus auch ohne gesprochene Sprache geschehen. Vieles teilt sich über Körpersprache, Mimik und Gestik und Blickkontakt und Tonus mit. Wolfgang Praschak macht dies in seinem Beitrag über prägestische Verständigung deutlich. Diese Form von Kommunikation hat gerade in der Arbeit mit schwer behinderten Menschen eine besondere Bedeutung.

Wenn wir uns einem Menschen in direktem Gespräch mitteilen, müssen wir zuallererst sicher sein, dass er unsere Sprache spricht. Es schränkt meine Mitteilungsfähigkeit sehr weit ein, wenn ich einen Übersetzer brauche.

Manchmal können schon Hochsprache oder Dialekt oder auch zu komplizierte Formulierungen das Mitteilen – und vor allem das Verstehen – stark beeinträchtigen.

Kommunikationsfähigkeit ist ein zentrales Ziel der menschlichen Entwicklung. Meist verläuft diese Entwicklung reibungslos, Kinder entwickeln ihre Sprach- und Kommunikationsfähigkeit ganz automatisch. Manche Kinder brauchen aber Unterstützung in ihrer Entwicklung. Wie eine solche Unterstützung aussehen kann und welchen Prinzipien sie folgen muss, schildert Silvia Bender in ihrem Beitrag über die Bedingungen für eine gelingende Sprachentwicklungsförderung durch psychomotorische Sprachentwicklungsbegleitung. Hier wird deutlich, wie eng die Sprachentwicklung mit den motorischen Fähigkeiten von Kindern verknüpft ist.

Julia Schellen beschäftigt sich mit Kindern, die über keine oder schwer verständliche Lautsprache verfügen. Diese Kinder können – so ihre These – genauso Sprache erwerben wie Kinder ohne Beeinträchtigungen. Oftmals benötigen sie jedoch Unterstützung in Form eines speziell aufbereiteten sprachlichen Inputs und ein Modell im Umgang mit alternativen Kommunikationsformen oder -hilfen. Dies wird in den beiden Beiträgen zu unterschiedlichen Aspekten der Unterstützten Kommunikation deutlich.

Es macht in meinem Mich–Mitteilen einen Unterschied, ob ich ein geübter Sprecher bin oder nicht, ob meine Sprache einfach oder elaboriert ist.

Viel hängt davon ab, ob es mir gelingt, meine Gefühle in Worte zu fassen, also die den Sachverhalt begleitenden Emotionen auszudrücken. Ich sollte versuchen authentisch zu sein, echt zu sein, mich so zu zeigen, wie ich wirklich bin. Wirklich verstanden werden kann ich nur, wenn ich mich ohne Maske zeige. Um anderen offen und authentisch zu begegnen, brauche ich jedoch Vertrauen und Zutrauen in den Zuhörer / die Zuhörerin.

Dies betont Heidemarie Kurtscheid in ihrem Beitrag über die Kraft der Personzentrierten Haltung in der professionellen Begegnung. Wolfgang Ehinger wendet sich in seinem Aufsatz einer speziellen Gesprächssituation zu: dem Gespräch zwischen Eltern und Lehrern in der Schule. Auch er betont die Wichtigkeit einer kooperativen Grundhaltung für ein gelingendes Gespräch.

Wenn Menschen nach ihrer Gesprächskompetenz gefragt werden, behaupten viele: „Ich bin ein guter Zuhörer“. Fragt man ihre Gesprächspartner, sieht das Ergebnis ganz anders aus. Die meisten Menschen halten also sich selbst für gute Zuhörer, meinen aber, dass in ihrem Umfeld nur sehr wenige Menschen wirklich zuhören können. Zuhören will tatsächlich geübt und ganz bewusst getan werden. Wie dies – etwa in Mitarbeitergesprächen oder im Kontakt mit Angehörigen – gelingen kann, verdeutlicht Heinz Hinz in seinem Beitrag. Er betont die Bedeutung der Grundbedürfnisse im Kommunikationsprozess.

Gutes Zuhören braucht die innere Bereitschaft, sich auf den anderen einzulassen, es braucht Ruhe und ein bisschen Zeit. Ein guter Zuhörer ist bereit, sein eigenes Mitteilungsbedürfnis zurückzustellen und die ausgesprochenen oder unausgesprochenen Emotionen und nonverbalen Signale des Sprechers aufzunehmen; das heißt, er versucht, wirklich zu hören und zu verstehen, was der andere ihm sagen will. Jürgen Metter beschreibt die gewaltfreie Kommunikation nicht als Technik in der Kommunikation, sondern als eine innere Haltung dem Leben gegenüber, bei der es auf Achtsamkeit, Selbsteinfühlung und eine empathischen Grundhaltung den Mitmenschen gegenüber ankommt.

Christine Preißmann führt uns – aus Betroffenensicht – ein ganz besonderes Feld der Kommunikation vor Augen: Für Menschen mit Autismus stellt die Kommunikation mit anderen Menschen oft eine besondere Herausforderung dar. Neben anderen Auffälligkeiten finden sich bei betroffenen Menschen ganz zentrale Besonderheiten in der Kommunikation und im Kontaktverhalten, die dazu führen, dass Menschen mit Autismus oft Probleme haben, ihre Bedürfnisse zu benennen, zwanglose Kontakte zu führen oder Freundschaften zu knüpfen.

Gutes Zuhören ist die notwendige Voraussetzung zum Verstehen, aber dennoch keine Garantie dafür. Auch wenn zwei Menschen die gleiche Sprache sprechen und durchaus willens sind, sich zu verstehen, kann die Verwirklichung schwierig sein. Bei komplizierten Zusammenhängen ist das Verstehen abhängig vom Intellekt und Wissensstand. Einfache Sprache ermöglicht Menschen mit Lernschwierigkeiten an der gesellschaftlichen Kommunikation teilzunehmen. Anke Springer beschreibt in ihrem Aufsatz, wie barrierefreie Kommunikation mit Menschen mit Behinderungen gelingen kann und welchen Beitrag einfache Sprache zur sozialen Teilhabe leisten kann.

Verstehen ist auch abhängig von der Aufnahmefähigkeit, die wiederum abhängig ist von der momentanen Befindlichkeit, wie z. B. Wachheit oder Müdigkeit. Kulturelle Besonderheiten erleichtern oder erschweren das Verstehen, je nachdem, wie nah oder wie fremd mir das jeweilige Thema ist.

Vor allem hat das, was verstanden wird, fast eben so viel mit dem Zuhörer selbst wie mit der Aussage des Sprechers zu tun. Jeder hört und versteht zuerst einmal auf der Grundlage seiner eigenen Weltsicht und seiner eigenen Erfahrungen. Jeder hat eigene Konnotationen zu bestimmten Worten, man sagt das gleiche Wort oder den gleichen Satz und glaubt, das Gleiche zu meinen und tut es doch nicht. So denkt der eine bei dem Wort „Schnee“ an Urlaub und Snowboarden, der andere an Schneeschippen und an sein gebrochenes Handgelenk.

Wirklich verstehen, was der andere meint, braucht die Bereitschaft, sich auf die Sichtweise des anderen einzulassen und es braucht Empathiefähigkeit.

Nur wenn es mir gelingt mitzufühlen, kann ich wirklich verstehen, was der andere / die andere meint. Das gilt für jedes Gespräch, auch für vermeintlich völlig sachliche Themen. Es gibt keine Aussage ohne begleitende Emotion. Wie können wir die emotionale Tönung von Aussagen nicht nur leichter erkennen, sondern vor allem, wie können wir lernen, gut damit umzugehen? Die Beiträge in diesem Buch versuchen, auf diese und viele wichtige Fragen Antworten zu geben.

Kommunikationsfähigkeit gehört zum wichtigsten Handwerkszeug im sozialen Bereich und setzt einen lebenslangen Lernprozess voraus.

Sie ist auch abhängig vom sozialen Kontext und wird nicht selten auch als Machtinstrument missbraucht. Gerrit Kaschuba räumt in ihrem Beitrag mit einigen Mythen auf, die zur Kommunikation von Frauen und Männern existieren. Sie sensibilisiert damit auch gegenüber anderen Mythen zur Kommunikation.

Die drei Komponenten: Mitteilen, Zuhören, Verstehen, sind jede für sich betrachtet schon sehr komplex und anspruchsvoll. Damit aus diesen drei Strängen aber ein Gespräch, eine echte Kommunikation wird, müssen wir sie wieder miteinander verflechten. Für eine geglückte Verflechtung müssen die einzelnen Elemente positiven Erwartungen entsprechen.

Undeutliches Mitteilen, achtloses Zuhören und egozentrisches Verstehen lassen die Kommunikation scheitern, solch ein Gespräch ist im einfacheren Fall nur enttäuschend, im schlimmeren Fall führt es zu folgenschweren Missverständnissen und Fehlern. Auf alle Fälle macht so eine Kommunikation niemanden glücklich und belastet Beziehungen.

Kommunikation ist gelungen verschlungen, wenn Mitteilen, Zuhören und Verstehen miteinander verwoben sind, wenn der eine das Vertrauen und die Fähigkeit hat, sich offen und direkt mitteilen zu können und der andere zugewandt zuhört und sich um echtes Verständnis bemüht und der Zuhörer wiederum zeigt, dass er sich verstanden fühlt und wertschätzt, was der andere erwidert. Mitteilen, Zuhören, Verstehen liegen dann eng beieinander und sind in ständigem echtem Kontakt. So können Probleme entschärft oder sogar gelöst werden.

Gerade bei der Arbeit im sozialen Bereich ist es dringend notwendig, sich im verständlichen und authentischen Mitteilen, in gutem Zuhören und im Verstehen zu üben und zu lernen, sich auf die Sichtweise des Gegenübers einzulassen, den anderen / die andere zu respektieren.

Das bedeutet beileibe nicht, die Sichtweise des anderen immer als richtig anzuerkennen oder gar für sich selbst zu übernehmen, aber ich sollte verstehen, was der andere mir sagen will und versuchen, die Welt – wenigstens für einen Augenblick – aus seinen Augen zu sehen.

Gelungene Kommunikation bedeutet nicht nur die Bewältigung von schwierigen Themen, sondern sie kann Licht in den Alltag bringen und eine fröhliche Gelassenheit herstellen, die jeder Umgebung gut tut. Miteinander von Herzen lachen zu können ist dabei mindestens so wichtig, wie Problemlösungen zu finden.

Die 11. Fachtagung der KBF hatte das Ziel, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit einem breit gefächerten Programm Impulse zu geben und Anregungen für unterschiedliche Bereiche der Kommunikation zu bieten.

Wir freuen uns, mit diesem Buch, das eine Vielzahl der Tagungsbeiträge dokumentiert, die Reihe der KBF-Publikationen um einen Band erweitern zu können, der sich mit dem für das menschliche Miteinander so zentralen Thema Kommunikation auseinandersetzt.

Mössingen 2016

Hans-Peter Färber,

Thomas Seyfarth,

Annette Blunck,

Ellen Vahl-Seyfarth,

Joachim Leibfritz,

Gert Mohler

Heidemarie Kurtscheid

Wertschätzung, Empathie und Authentizität – die Kraft der Personzentrierten Haltung in der professionellen Begegnung

Der Personzentrierte Ansatz (person-centered-approach), wurde von dem amerikanischen Psychologen und Wissenschaftler Carl R. Rogers (1902–1987) in langjähriger psychologischer und pädagogischer Praxis entwickelt.

Rogers gilt als einer der herausragenden Vertreter der Humanistischen Psychologie; als Psychotherapeut und Hochschullehrer hat er in großem Umfang empirische Studien zur Erforschung des wirksamen Therapieprozesses betrieben; im Jahr 1987 war er für den Friedensnobelpreis nominiert.

„Wir glauben zuzuhören, aber es geschieht sehr selten mit wirklichem Verständnis und echter Einfühlung. Dennoch ist diese Art des Zuhörens eine der mächtigsten Kräfte der Veränderung, die ich kenne.“ (Rogers, 1983) Diese von Rogers formulierte Aussage ist eine bis in die heutige Zeit aktuelle und zutiefst wirksame Erfahrung, die Menschen in den verschiedenen Settings wie Psychotherapie, Beratung, Coaching oder Pädagogik (Schul- und Erwachsenenbildung) bestätigen können.

In umfangreichen empirisch belegten Untersuchungen erforschte Rogers die Wirkfaktoren erfolgreich verlaufender Therapie- und Beratungsverläufe (Rogers, (1961/1979; Kriz, 2003). In diesen übernehmen Klienten zunehmend selbst die Verantwortung für die Lösung eigener Probleme und Konflikte, wenn sie eine ermutigende Unterstützung erfahren: Der wesentliche Heilungsfaktor ist die real gelebte Beziehung, die ‚personale Begegnung‘ zwischen der beratenden Person und Ihrem Gegenüber (Schmidt, 2002).

Der Aufbau dieser Beziehung dient nicht als Mittel zum Zweck, beispielsweise um "Störungen" zu beseitigen oder Interventionen gezielt anzusetzen. Neuere Forschungsergebnisse bestätigen beispielsweise, dass weniger die Anwendung spezifischer Techniken, sondern in weit größerem Maße die gelebte Beziehung zwischen der beratenden Person und dem Klienten (der Klientin) den Beratungserfolg bestimmt. Dies bedeutet, dass konstruktive Veränderungsprozesse durch die vertrauensvolle Begegnung von Person-zu-Person erst ermöglicht werden.

Historische Entwicklung des Personzentrierten Ansatzes – Kurzskizzierung

Die empirische Erforschung der Wirkfaktoren von Therapie (ab 1940): In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts arbeitet Rogers als junger psychoanalytischer Psychologe in der Beratung von verhaltensauffälligen Kindern und deren Eltern. Er entwickelt zunehmend Kritik an der psychoanalytischen Arbeitsweise, die ihm zu „kalt“, „unnahbar“, zu „detektivisch“ und zu einseitig in der therapeutischen Beziehung erschien (Keil & Stumm, 2002).

Rogers beginnt nun mit der Erforschung der Wirkfaktoren von Therapie und veröffentlicht zum ersten Mal in der Therapiegeschichte den Wortlaut einer vollständigen von ihm durchgeführten Psychotherapie, was seinerzeit als ein Tabubruch galt und ihm kritisch vorgeworfen wurde – später haben dies die Vertreter anderer Psychotherapierichtungen ebenso aus Forschungsgründen getan (Hinz & Behr, 2002). Die Ergebnisse seiner Forschung zeigen, dass Wertschätzung, Empathie und Echtheit seitens der beratenden Person als notwendige Bedingungen für die Wirksamkeit des Beratungsprozesses zu sehen sind: Wenn Menschen eine ermutigende Unterstützung in einer vertrauensvollen Beziehung erfahren, übernehmen sie zunehmend selbst die Verantwortung für die Lösung eigener Probleme und Konflikte. „Heilungsfaktor“ ist die real gelebte Beziehung, die Begegnung zwischen der beratenden Person und Ihrem Gegenüber.

Nicht-direktive Phase (ca. 1940 -1950):

In dieser Phase zeichnet sich die deutliche Abgrenzung der personzentrierten Vorgehensweise von der analytischen und der direktiven Vorgehensweise und ihren spezifischen Menschenbildern ab: Rogers distanziert sich vom Menschenbild in der Psychoanalyse (Mensch ist bestimmt durch Triebimpulse) und dem Menschenbild des Behaviorismus (Mensch ist das Produkt allgemeingültiger Lernprozesse). Das sehr differenzierte Spiegeln von Gefühlen und Sichtweisen der PatientInnen („clarification of feelings“) bekommt in der personzentrierten Psychotherapie und Beratung einen hohen Stellenwert (Keil & Stumm, 2002). Beratende verzichten nun auf das vorschnelle und dirigierende Empfehlen von Lösungen und orientieren sich vielmehr an den individuellen Erfahrungen und Erkenntnissen ihrer PatientInnen.

Klientenzentrierte Phase (ca. 1950 – 1960):

Der therapeutische Fokus liegt nun auf der „Selbstexploration (des Klienten), seinem Selbstkonzept, phänomenalen Feld bzw. inneren Bezugsrahmen und den Bedeutungen, die mit den Gefühlen des Klienten verbunden sind“ (Keil & Stumm, 2002).

Zudem wird fortan im Rahmen der beraterisch-therapeutischen Begleitung nicht mehr von Patienten, sondern von „Klienten“ gesprochen, d.h. auch hier wird die Abkehr von einer störungsorientierten Haltung in der therapeutischen Beziehung hin zu einer dialogischen ressourcenorientierten Haltung in Achtung vor der Einzigartigkeit des Individuums deutlich.

Personcentered Approach – Personzentrierter Ansatz (ab 1960):

In dieser Phase wird über die unmittelbare empathische Bezugnahme auf die Erfahrungswelt des Klienten hinaus („reflection of feelings“) die Selbsteinbringung des Therapeuten, also die Echtheit bzw. Kongruenz als das wichtigste Element der personzentrierten Haltung erkannt. Durch den Einfluss von Eugene Gendlin, einem Mitarbeiter von Rogers an der University von Chicago, wird das „innere Gespür“ des Klienten vertiefend exploriert („experiencing“). (Keil & Stumm, 2002).

Über das therapeutische Einzelsetting hinaus war Rogers vielseitig aktiv wie beispielsweise in der Arbeit mit Großgruppen oder „Encounter“-Gruppen; er engagierte sich für den Frieden und führte „Encounter-Gruppen“ mit Protestanten und Katholiken aus Nordirland durch, um zu demonstrieren, dass ein Dialog und ein gegenseitiges Verstehen möglich ist“ (Hinz & Behr, 2002)

In der von Rogers 1959 erstellten „Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen“ (Rogers, 1959/1991) wird deutlich, dass sich der Ansatz nicht nur auf das therapeutisch-beraterische Setting bezieht, sondern eine umfassende Kommunikationstheorie für den Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen bietet: Es wird nun von dem „personzentriertem Ansatz“ gesprochen, der zudem in den professionellen Feldern von Erziehung und Pädagogik, Jugend- und Erwachsenenbildung, beruflicher Weiterbildung, Organisationsberatung, interkultureller Kommunikation, Mediation und vielen anderen mehr wirkungsvoll zum Tragen kommt. Zudem sei an dieser Stelle auf die aussagekräftigen Ergebnisse der „Wirksamkeitsprüfungen der Gesprächspsychotherapie“ von Inge Frohburg hingewiesen, die die hohe Wirksamkeit der personzentrierten Psychotherapie belegen (Frohburg, 2009).

Humanistisches Menschenbild und Philosophie

Rogers wurde 1946 zum Präsidenten der American Psychological Association (APA) gewählt – dem weltweit bedeutendsten psychologischen Wissenschaftsverband – und war als Sprecher der Humanistischen Psychologie, der sogenannten „Dritten Kraft“ in der Psychologie aktiv. (Hinz & Behr, 2002) Das Vertrauen in die Entwicklungsprozesse, das menschliche Streben nach Entfaltung und der Wunsch nach Selbstbestimmung sind die philosophischen Fundamente des Personzentrierten Ansatzes.

Der Mensch wird als einzigartige, eigenverantwortliche und selbstbestimmte, nach Entfaltung strebende Person gesehen (siehe auch Buber, Heidegger, Merleau-Ponty) – zugleich sucht und benötigt er als soziales Wesen Beachtung: In diesem Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Selbstverwirklichung (Autonomie) und dem Bedürfnis nach sozialer Beachtung entwickelt die Person ihre kulturelle Identität, die sie nur in der Begegnung und im kommunikativen Austausch mit anderen entwickeln und aufrechterhalten kann. (Quitmann,1996).

Der Personzentrierte Ansatz:

stellt den Menschen in den Mittelpunkt und vertraut auf seine Fähigkeiten

verzichtet daher bewusst auf "Expertengehabe", Techniken und "Rezepte"

ist ein Weg, Persönlichkeitsentwicklung durch personale Begegnung zu fördern

ist ressourcenorientiert

Merkmale einer Personzentrierten Beziehung – drei Dimensionen einer Haltung

Wertschätzung
(Akzeptanz, Positive Beachtung, Bedingungsfreies Akzeptieren)

Rogers erklärt die Bedeutung von Wertschätzung folgendermaßen: „eine Person zu schätzen, ungeachtet der verschiedenen Bewertungen, die man selbst ihren verschiedenen Verhaltensweisen gegenüber hat“ (Rogers, 1959/1991, S. 35). Damit ist die Bereitschaft gemeint, alles, was mir in einer anderen Person begegnet, anzunehmen, wie es ist und sich auf den subjektiv-emotionalen Anteil des Gesagten beziehen, wenngleich ich nicht unbedingt der gleichen Meinung sein muss. In einer wertschätzenden Haltung kann ich alle Äußerungen meines Gegenübers ohne Bewertung annehmen, weil sie Bestandteil von der Person sind – so, wie sie also ist.

Wertschätzung und emotionale Wärme äußern sich als eine Verhaltensbereitschaft und eine ausgedrückte Gefühlsqualität: BeraterInnen verhalten sich wohlwollend und zugewandt; sie nehmen alle Gefühle ihrer KlientInnen an, sind durch aufmerksames und konzentriertes Nachfragen aktiv beteiligt und zeigen sich warmherzig. Diese (aktive) Haltung wird stärker in der nichtsprachlichen Kommunikation ausgedrückt, also durch Mimik, Gestik, Stimmführung und Sprechweise, konkret durch den warmherzigen Blick oder den freundlichen Augenkontakt oder eine herzliche Tonlage.

Wertschätzung äußert sich im professionellen Setting wie folgt: Ich nehme die Person zunächst einmal so an, wie sie eben ist, mit allen ihren Stärken und Schwächen. Ich verzichte auf Bewertungen ihrer Gefühle, Gedanken und ihres Verhaltens wie z. B. auf moralisierende Ratschläge solcher Art: „Du hast da ein Problem mit Nähe und Distanz“; „Sie sollten Ihrem Kind öfter mal Grenzen setzen“ oder etwa: „Du hast doch nichts davon, wenn Du…“

Akzeptanz und Wertschätzung können unterschiedlich ausgedrückt werden durch:

intensives Zuhören und aktives Bemühen, zu verstehen – konzentriert sein

tröstende Berührungen (nur bei Zustimmung!)

andere fürsorgliche Maßnahmen, die nicht besitzergreifend sind

Die Wirkung wertschätzenden Verhaltens ist enorm:

Menschen lernen ”modellhaft”, sich selbst mehr zu akzeptieren.

Besonders mit sich selbst unzufriedene Personen oder Menschen, die vermehrt Ablehnung und Kritik von ihrer Umwelt erfahren, brauchen diese Haltung verstärkt, um sich freier entwickeln zu können.

Personen können durch diese Erfahrung mehr Selbst-Bewusstsein und Selbstwertgefühl entwickeln.

Empathie