4,99 €
Der SPIEGEL-Jahresbestseller, der die Herzen unzähliger Menschen verzaubert hat. Der Weg zu Lebensfreude und Selbstliebe kann ganz einfach sein – wenn man sich auf eine kurze, aber berührende Reise in sein Innerstes begibt. Für jedes Alter und jede Zeit. „Alles was man braucht, um Ängste, Unsicherheit und Traurigkeit zu heilen und die innere Liebe und Geborgenheit zu finden." - Violetta Wer bin ich? Mit dieser Frage hat sich Molly noch nie beschäftigt. Doch dann wird sie auf eine Reise in ihr Innenleben mitgenommen, die alles bislang Gekannte auf den Kopf stellt. Während Molly anfängt, sich selbst in völlig neuem Licht zu sehen, kommt sie des Rätsels Lösung um ihre wahre Natur näher und näher ... Folge Molly auf ihrem Abenteuer voller Wunder, Freude und Selbsterkenntnis und tritt mit ihr gemeinsam durch das Tor zu deinem tiefsten, inneren Glück! Mit viel Feingefühl und Einfühlungsvermögen wirst du in kurzer Zeit zu dem magischen Ort geführt, der tief in dir ruht und nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Auf dem Weg schließt du Frieden mit deinen Gefühlen und erlebst die kraftvolle Macht deiner Gedanken. Einzigartig in dieser transformierenden Wirkung auf Leserinnen und Leser jeden Alters, befindet sich 'Mollys wundersame Reise' nicht nur seit über 100 Wochen an der Spitze der meistgewünschten und am häufigsten verschenkten Bücher in verschiedenen Kategorien, sondern ist auch ein SPIEGEL-Bestseller. Untermalt von den wunderschönen Illustrationen der Künstlerin Carole Isler, wird es ein unverzichtbarer Schatz in deinem Leben sein. „Nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, wusste ich, wieso meine Freundin sie als ihren ganz besonderen Schatz bezeichnet. Beim Lesen der magischen Story ist nicht nur das Herz von Molly gereinigt und verwandelt worden, sondern das gleiche Wunder ist auch in mir geschehen." - Kirsten Vollertsen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
MOLLY
BUCH EINS
Copyright © 2023
Butterfly Publishing - Anna Camilla Kupka
Zürich, Schweiz
Text: Dr. Anna Camilla Kupka
Illustrationen: Carole Isler
Cover: DeeDee Book Covers
Lektorat: Ursula Tanneberger
Alle Rechte vorbehalten.
Draußen regnet es in Strömen. Regentropfen trommeln gegen die Scheibe und im Hintergrund hört man den Donner anrollen. Molly liebt solch ein Wetter. Wenn es draußen regnet und stürmt, während man selbst drinnen im Warmen ist, scheint die Zeit langsamer voranzugehen und man kann sich ohne schlechtes Gewissen wie ein Igel einrollen. Molly hat es sich unter ihrer Decke gemütlich gemacht. Ein paar Minuten möchte sie noch lesen. Damit will sie versuchen, den Tag zu vergessen, an dem sie in der Schule mal wieder gehänselt wurde. Auch möchte sie nicht an den nächsten Morgen denken – an die Schulkameraden und die strengen Lehrer. Molly findet ihr Leben oft anstrengend. Mit ihrem Buch kann sie in eine schönere, bessere Welt eintauchen.
Dann muss sie irgendwann eingeschlafen sein, denn plötzlich findet Molly sich in einem riesigen Labor wieder, in dem es vor Geschäftigkeit nur so wimmelt. Sie schaut sich um und der Mund bleibt ihr offen stehen.
Überall sind Schläuche und Behältnisse aller Art, alles fließt, pulsiert, vibriert, klopft und schwingt. Teilchen flitzen durch die Gegend und werden, kaum angekommen, durch andere abgelöst. Es ist wie bei einem Staffellauf. Flüssigkeiten tosen durch Schläuche, verschwinden hierhin und dorthin, werden angesaugt und wieder ausgespuckt. Winzige rote und weiße Teilchen fechten einen Wettkampf aus, andere wiederum teilen sich immer und immer wieder und setzen sich neu zusammen. Waben formen sich und lösen sich wieder auf. In perfektem Zusammenspiel funktioniert alles im Takt. Kein Ton, keine Bewegung tanzt aus der Reihe. Molly ist fasziniert. Was herrscht hier für ein Hochbetrieb! Und doch fühlt sich die Umgebung irgendwie vertraut an – so, als sei sie schon immer hier gewesen. Auch wundert sie sich, dass sie keine Angst verspürt. Sonst ist sie nicht so furchtlos. Während sie ihre Eindrücke noch zu verstehen versucht, ertönt eine weiche Stimme in dem Raum.
„Guten Abend, Molly, herzlich willkommen.“ Molly schaut sich um, kann jedoch niemanden entdecken.
„Wo bin ich?“, fragt sie daher in den Raum hinein.
„Na, kannst du es dir denn nicht denken?“, fordert die Stimme sie heraus.
„Es mir denken? Natürlich nicht. So etwas wie hier habe ich in meinen wildesten Träumen noch nicht gesehen“, erwidert Molly aufgeregt. „Wie soll ich mir da denken können, wo ich bin? Und wer bist du?“
Sie hört ein helles Lachen. „Molly, ich gebe dir einen Tipp: Du bist immer ganz genau hier. Du kannst gar nicht woanders sein. Na, kommst du jetzt drauf?“
„Nein, immer noch nicht.“ Molly fängt an, ein wenig genervt zu sein. „Jetzt sag es mir endlich. Und sag mir vor allem, wer du bist!“
„Dies hier ist dein Körper, Molly“, gibt die Stimme schließlich nach. „Willkommen in deinem eigenen Körper, einem wahren Wunderwerk! Wer ich bin, dazu kommen wir später, eines nach dem anderen.”
Molly fällt die Kinnlade herunter. Dies ist ihr Körper? Diese Tausenden und Abertausenden von Abläufen, die herumflitzenden Teilchen, die pumpenden Säcke, die Geschäftigkeit, die ganze Arbeit, das alles ist in ihr drin und nur für sie da – Molly? Die Stimme scheint ihre Gedanken lesen zu können.
„Nicht nur Tausende und Abertausende von Vorgängen, sondern Millionen und Abermillionen von Vorgängen, jede Sekunde. Ob du wach bist oder schläfst, dich gut fühlst oder nicht so gut, all diese fleißigen Helferlein sind nur für dich da und arbeiten rund um die Uhr für dich, für niemanden sonst.“
Molly ist fassungslos. Wenn sie versuchen würde aufzumalen, was sie sieht, würden alle Stifte und Blätter dieser Welt nicht ausreichen, um dies wiederzugeben. Solch ein Gleichklang! Sie war mit ihren Eltern ein paar Mal im Orchester und mochte immer das Zusammenspiel der unterschiedlichen Musiker. Doch nie hätte sie sich vorstellen können, dass sie stets ein noch unfassbar größeres und faszinierendes Orchester in sich trägt, das ohne Unterlass und Pause nur für sie spielt! Und jetzt macht sie ein pumpendes Organ aus, das offensichtlich der Dirigent ist. Es scheint die Steuerzentrale zu sein, die das gesamte System am Leben hält und mit beruhigender Gleichmäßigkeit rote Flüssigkeit in ein schier endloses Netz von Schläuchen pumpt.
„Ist das etwa …“, fragt sie.
„Kannst du es dir denken ...?“, gibt die Stimme zurück.
Ja, diesmal kann sie es sich denken. Dies muss ihr Herz sein. Fasziniert schaut sie zu, wie es unermüdlich pumpt, ohne Unterlass. Tagaus und tagein, und das alles nur für sie. Molly kommt sich vor wie im Märchen. Sie fühlt sich plötzlich groß und bedeutungsvoll, wie eine Königin. Das ist ihr Reich! Und vor ein paar Minuten hat sie das noch nicht einmal gewusst! Natürlich wusste sie, dass sie einen Körper hat, aber so richtig bewusst hat sie ihn eigentlich nie wahrgenommen.
Plötzlich bekommt sie Angst. Sie ist doch nicht etwa tot? Ist sie gestorben und darf ihren Körper jetzt noch einmal sehen, bevor sie ihn verlassen muss? Das wäre schlimm. Gerade jetzt, wo sie anfängt, ihn zu schätzen und stolz auf ihn zu sein. Molly wird traurig. Sie möchte noch nicht sterben.
Aus dem Raum ertönt ein freundliches Lachen. „Nein, Molly, keine Sorge, du wirst noch lange nicht sterben, das hier ist lediglich ein Ehrenbesuch in deinem Körper. Alle deine Organe, Adern, Zellen sind so stolz und dankbar, dass du gekommen bist, um sie anzuschauen. Sie fühlen sich von dir gewürdigt und werden jetzt noch lieber als zuvor für dich arbeiten. Mit deinem Besuch spornst du sie an, so sehr freuen sie sich, dich zu Gast zu haben.“
Molly ist das ein wenig peinlich. Wirklich bewusst ist sie ja nicht hierhin gekommen und zudem ist sie ja erst 12 Jahre alt, sollte man da wirklich so viele Diener haben? Ihre Eltern haben sie immer zur Bescheidenheit erzogen. Und jetzt sieht es so aus, dass sie ein ganzes Reich in sich trägt. Das ist ein Gedanke, an den sie sich erst einmal gewöhnen muss. Aber so ganz allein wird sie sich von jetzt an sicherlich nicht mehr fühlen. Schließlich hat sie ja diese ganze faszinierende Welt ihres Körpers immer bei sich, die nur und ausschließlich für sie da ist. Vielleicht ist sie ja doch nicht nur ein Mädchen, sondern etwas viel, viel Größeres ...
Der Gedanke verwirrt sie. Molly mag es, wenn Ordnung in ihren Gedanken herrscht. Und jetzt versteht sie nicht: Wenn sie doch in ihrem Körper ist, dann kann sie ja gar nicht ihr Körper sein. Man kann ja nicht in etwas drin sein und gleichzeitig genau das sein. Entweder ist man in einem Bus oder man ist der Bus selber. Logisch, oder? Wer genau ist da in ihrem Körper? Wer ist sie?
„Das ist eine gute Frage“, kommt die gedankenlesende Stimme ihr zu Hilfe, „eine Frage, die die Menschen schon immer beschäftigt hat und die letztlich die einzig wichtige Frage ist. Um das herauszufinden, sind wir hier.“
Molly ist aufgeregt. Mit solchen Fragen hat sie sich noch nie beschäftigt. Aber nachdem diese Fragen jetzt schon aufgekommen sind, kann sie es kaum mehr abwarten, die Antworten so schnell wie möglich zu erhalten.
Die Stimme hat mal wieder ihre Gedanken gelesen. „Wir sind ja erst am Anfang der Reise, versuch noch ein bisschen Geduld zu haben.“ Und damit lässt sich Molly neugierig und auch mit einer gewissen Vorfreude in den nächsten Raum führen.
Während vorher alles zwar unendlich geschäftig, aber doch geordnet und strukturiert war, ist hier alles ganz anders. Eine riesige, wunderschöne Landschaft liegt vor ihr, eine Landschaft voll bunten Lebens, in den sattesten Farben. Saftige, grüne Wiesen dehnen sich aus so weit das Auge reicht, durchwebt von golden schimmernden Flüssen. Grashalme wiegen sich sanft im Wind und Blumen erstrahlen in den herrlichsten Farben. Es ist alles unendlich friedlich und ein schläfriges Summen und Surren liegt in der Luft, nur unterbrochen vom hellen Gesang der Vögel. Diese Farben, die Freude und Leichtigkeit sind das Schönste, was Molly je gesehen hat, und sie empfindet ein tiefes Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit.
Als sie näher kommt und genauer hinschaut, nimmt ihr Entzücken noch zu. Sie kann jetzt erkennen, wie die Landschaft entstanden ist und sich immer wieder erneuert: Die Flüsse werden von Feen mit ihren goldenen Haaren gewoben, die Luft von flatternden Schmetterlingen zum Tanzen gebracht und die Gärten von bunt gekleideten Kobolden bepflanzt, die sich in Vielfalt und Farbenfrohsinn zu überbieten suchen.
Molly möchte am liebsten sofort zu ihnen herüberlaufen und mit ihnen spielen, aber so ganz traut sie sich noch nicht. Nun fängt jedoch einer nach dem anderen an, zu ihr herüberzuschauen, bis sie ihr schließlich alle zugewandt sind. Alle scheinen sich zu freuen, sie zu sehen. Die Kobolde springen fröhlich auf und ab und winken Molly mit ihren bunten Hüten zu. Die Feen falten anmutig die Hände vor der Brust und verneigen sich vor ihr und die Schmetterlinge tanzen um ihren Kopf und singen ein Lied für sie. Molly lächelt voller Wärme, aber auch ein wenig verlegen zurück.
Sie möchte vor der Stimme mit ihren Fragen nicht dumm dastehen, aber schließlich hat sie Kobolde und Feen im wirklichen Leben noch nie gesehen und die Stimme macht offensichtlich keine Anstalten, ihr von sich aus etwas zu erklären. Daher sprudelt es schließlich aus ihr hervor: „Wer ist das alles? Was machen all diese Wesen hier? Und bitte frag mich nicht wieder, ob ich es mir denken kann. Ich habe nämlich keine Ahnung.“
Die Stimme kommt ihr lachend zur Hilfe: „Dies sind deine Freunde, die immer bei dir sind. Was du vor dir siehst, sind deine Gefühle.“
Molly guckt verdutzt. Sie versteht nur Bahnhof. Aber die Stimme erzählt unbeirrt weiter: „Die Schmetterlinge sind deine Leichtigkeit und deine Kreativität, die Kobolde deine Freude und dein Übermut, die Feen deine Anmut und deine Güte.“
Molly ist perplex. Nicht, dass sie sich niemals über ihre Gefühle Gedanken gemacht hätte, aber so hat sie sich ihre Gefühle ganz sicher nicht vorgestellt. Die Stimme unterbricht ihre Überlegungen: „Du gehst keinen Schritt im Leben, ohne dass diese bunten Gestalten bei dir sind. Mal meldet sich die eine und dann die andere lauter zu Wort, eine ist vorwitziger als die andere, aber sie sind immer da.“
Molly muss grinsen. Denn es stimmt schon: Wenn ihre Gefühle sich zu Wort melden, heischen sie regelrecht um ihre Aufmerksamkeit. Ganz schön anstrengend ist das manchmal. Meistens versucht Molly dann, sie wegzudrängen, da sie Wichtigeres zu tun hat, zum Beispiel ihre Freunde treffen oder Musik hören. Aber nun, da sie sieht, dass ihre Gefühle etwas so Freudiges und Buntes sind, nimmt sie sich vor, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Was sie in den letzten Minuten nur alles erfahren hat! Sie ist also nicht nur die Königin über das riesige Labor, ihren Körper, sondern offensichtlich auch noch über diese wunderschöne Landschaft mit ihren lustigen Einwohnern.
Molly verliert langsam ihre Schüchternheit und winkt den Feen, Kobolden und Schmetterlingen übermütig zu.
Sie schaut sich weiter um und sieht plötzlich etwas, das ihr einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Da ist ein riesiger, irgendwie unheimlicher Fels. Drohend und kantig ragt er empor und scheint alles Leben von sich abzuhalten. Um den Fels herum schlängelt sich ein ekliger, schleimiger Fluss mit hässlich quakenden braunen Fröschen darin, die modrige Luftblasen emporsteigen lassen. Damit bringen sie den zähen Schleim zum Blubbern, was den Fluss fast lebendig erscheinen lässt und ihn noch unheimlicher macht. Alles Leben scheint er zu verschlingen. Wie um das Bild abzurunden, liegt um den Fluss herum eine stählerne, dicke, scheinbar unzerbrechliche Eisenkette. Sie strahlt etwas Unüberwindliches aus. Molly weiß nicht wieso, aber ihr wird bei dem Anblick ganz schlecht vor Angst. Sie möchte vor der Stimme jedoch nicht wie ein Feigling dastehen und versucht, ihre aufkommende Panik zu unterdrücken. Um sich abzulenken, schaut sie wieder zu der schönen Landschaft hin, kann diese vor lauter Furcht aber nicht mehr sehen. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist stattdessen auf den grauen Felsen mit dem schleimigen Fluss und der stählernen Kette gerichtet und sie tut ihr Bestes, um ihr Grauen im Zaum zu halten. Doch dann kann sie nicht mehr an sich halten und ein lautes Schluchzen bricht aus ihr heraus: „Du sagst, das alles sind meine Gefühle? Die Kobolde, Feen und Schmetterlinge? Und was ist mit dem schleimigen Fluss? Was ist mit diesem fürchterlichen Berg und mit dieser grausigen, kalten Kette, was ist damit? Das sind doch keine Gefühle von mir, oder?“ Sie fängt an, herzergreifend zu weinen.
Die Stimme streicht sie sachte am Arm und legt sich wie eine warme Decke um sie. Sie lässt Molly weinen und wartet, bis die Tränenflut etwas nachgelassen hat. Dann sagt sie sanft, aber bestimmt: „Es ist alles gut, liebe Molly. Nichts ist so schlimm wie es aussieht. Es kann dir nichts passieren. Lass uns etwas näher herangehen. Ich möchte dir etwas Wichtiges zeigen.“ Bevor sie noch einen klaren Gedanken fassen kann merkt Molly schon, wie sie sich langsam dem Felsen nähert. Doch trotz der tröstenden Anwesenheit der Stimme läuft ihr weiterhin ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken und alles in ihr sträubt sich dagegen, weiterzugehen. Die Stimme bleibt jedoch beharrlich und ermuntert sie: „Komm, Molly, du wirst es nicht bereuen, vertraue mir.“ Zögerlich geht sie weiter.
Als sie näherkommen, erkennt Molly erstaunt, dass die Landschaft um den Berg herum keinesfalls so leblos ist, wie sie gedacht hat, sondern dass dort rege Aktivität herrscht. Krumme, traurig wirkende, schmutzige Gestalten tragen die Eisenkette, die sie zuvor gesehen hat, auf ihren Schultern und legen sie wieder und wieder um den Fluss herum, sodass die Absperrung zum Fluss und dem Berg stärker und stärker wird. Sie wirken äußerst unglücklich, aber Molly sieht niemanden, der sie zu diesem eigenartigen Verhalten zwingt. Kein Aufpasser, der schreit und seine Peitsche schwingt, nein, die Gestalten scheinen aus eigenem Antrieb zu handeln. Molly empfindet unendliches Mitleid mit diesen ausgezehrten Kreaturen und möchte sie am liebsten von ihrer Last befreien.
In diesem Augenblick bleiben sie alle unvermittelt stehen, drehen sich in Mollys Richtung und legen die Kette ab, die sogleich dünner und dünner wird. Die Geschöpfe setzen sich hin, wischen sich den Schweiß von der Stirn und erholen sich. Sie ruhen nun in der warmen Sonne und schauen Molly an.
Sobald die Sonne auf sie fällt, schmilzt der Schmutz, der vorher an ihnen haftete, und fließt wie warme Schokolade von ihnen ab. Die Gestalten räkeln und strecken sich und dabei brechen dicke Krusten ab, die wie alte Rinde von ihren Körpern fallen. Langsam verlieren sie alles Starre und stattdessen kommen wunderschöne, starke und agile Wesen zum Vorschein. Aufgerichtet und lebendig erblühen sie nun in ihrer vollen Kraft. Molly blickt sie voller Ehrfurcht an. Sie ist angesichts dieser puren Energie etwas eingeschüchtert und weiß nicht, warum alle auf einmal so anders wirken. Wie kann etwas so Hässliches plötzlich so schön und majestätisch werden? Sie sieht nun lauter unterschiedliche Gestalten. Zunächst sind dort wilde, bunte Drachen, die immer größer und farbenfroher werden und bunten Rauch auspusten. Ihrer Energie scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Daneben existieren als Gegenpol – aber nicht weniger imposant – stille, hellgraue elfengleiche Gestalten, mit edlen, fein gezeichneten Gesichtern. Ihre sanfte Energie ist ebenso spürbar und lebendig wie die der Drachen, nur ist sie eher nach innen gerichtet. Molly fühlt sich klein und unbedeutend neben dieser reinen Lebenskraft. Wie verblüfft ist sie da erst, als alle sie plötzlich anlächeln und sich vor ihr verneigen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll und schaut leicht beschämt auf den Boden. Dabei fällt ihr Blick auf die Eisenkette und sie bemerkt, dass sich diese mittlerweile zu einer dünnen, hell glänzenden Silberkette verwandelt hat. Die elfenhaften Wesen heben die Kette auf und legen sie sich als feinen Schmuck um Hals und Handgelenke, was ihre zarten Gelenke noch betont. Molly fühlt sich ziemlich unscheinbar neben dieser Anmut und blickt stattdessen zu dem schleimigen Fluss hin.
Nachdem die Kette weg ist, befindet sich nichts mehr zwischen ihr und dem Fluss. Plötzlich ist ihre Angst verschwunden, sie geht entschlossen zu dem Fluss herüber und schaut hinein. Erstaunt erkennt sie, dass die Frösche den Schleim unentwegt selbst produzieren, aber gleichzeitig darum kämpfen, nicht in ihm unterzugehen. Sie wirken verzweifelt. Was für ein trauriges und schier sinnloses Unterfangen. Molly schüttelt ratlos den Kopf. Was soll das nur alles? Gleichzeitig öffnet sich ihr Herz für die Frösche. Sie würde sie am liebsten einsammeln und sie von ihrer Qual erlösen.
Da beginnt der Schleim im Fluss zu verschwinden und die Frösche erholen sich langsam und atmen auf. Sie drehen sich alle in Mollys Richtung, lächeln sie an und auch sie verneigen sich tief vor ihr. Vor den Fröschen ist Molly nicht so schüchtern wie vor den Drachen und Elfen, also verneigt auch sie sich vor den Fröschen. Das scheint hier so üblich zu sein. Dabei beobachtet sie fasziniert, was jetzt passiert: Die Sonne fängt an, auch die Frösche zu wärmen und langsam fällt der Schleim von ihnen ab. Sie erstrahlen in den schönsten Farben, machen hohe, fröhliche Sprünge, schlagen Haken in der Luft und quaken aus voller Kehle. Jetzt empfindet Molly ihr Quaken auch nicht mehr als hässlich, vielmehr klingt es lebensfroh und vielfältig. Der Schleim ist jetzt fast ganz verschwunden und der Fluss wird klarer und klarer, bis er vor Mollys Augen so kristallklar und glänzend wird wie ein fein polierter Spiegel.
Molly kann den Blick kaum abwenden. Die wundersamen Verwandlungen haben sie vollkommen in ihren Bann gezogen. Aber langsam wird sie unruhig, denn eine Sache hat sie sich noch nicht genau angesehen: den Berg! Während sich die Landschaft um ihn herum mittlerweile in eine farbenfrohe Kulisse verwandelt hat, die vom bunten Feuer der Drachen noch zusätzlich in die unterschiedlichsten Farben getaucht wird, ragt der Berg unverändert steil und kalt empor. Trotzdem zieht er Molly wie magisch an und sie wagt sich langsam an ihn heran. Das hätte sie vor einigen Minuten noch nicht gedacht, dass sie jemals freiwillig zu diesem Berg gehen würde! Als sie auf den Berg zukommt, sieht sie diesmal keine Lebewesen, sondern hört von innen Geräusche. Der Berg scheint innen hohl zu sein, ähnlich wie ein Vulkan. Etwas zögerlich bleibt Molly stehen.
„Komm“, sagt die Stimme zu ihr, „lass uns hineinschauen.“
Jetzt ist Molly doch ganz froh, dass die Stimme noch bei ihr ist, denn so ganz hat sie ihren Mut noch nicht wiedergefunden. Zusammen mit der Stimme steigt sie also den Berg hinauf, der ihr jetzt gar nicht mehr so groß vorkommt. Oben angekommen, nimmt sie ihren ganzen Mut zusammen und schaut herunter in das Innere des Berges. Was sie dort sieht, bricht ihr fast das Herz: Eine kleine, ausgemergelte Gestalt gräbt Steine aus dem Boden aus und baut den Berg um sich selbst herum, höher und höher und enger und enger. Sie sperrt sich von der Landschaft draußen aus, während sie sich selbst einmauert. Es ist ein herzergreifendes, fürchterliches Unterfangen. Molly wird es ganz kalt.
Sie fragt die Stimme: „Was hat dieses kleine, unschuldige Wesen denn getan, dass es sich selber so bestraft?“
In diesem Moment schaut die Gestalt hoch und ihr kleines Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen wird von der Sonne beschienen.