Morbus Dei - Thomas Manegold - E-Book

Morbus Dei E-Book

Thomas Manegold

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Beschreibung

Mit dieser Erkenntnis beladen schlagen sich die Protagonisten durch ihre kleinen Episoden, in denen sich das Leiden der Welt und unsere Ängste vor der Unendlichkeit spiegeln.Thomas Manegolds Geschichten haben etwas mit dem Alltagswahn gemeinsam: Sie haben Methode, sind verdammt nah dran und bewahren doch immer den Überblick. Alles scheint irgendwie verbunden, und sei es auch nur in seinem ganzen Elend, dem der Autor kein Mitleid entgegen bringen will. Schonungslos hält er drauf. Schließlich ist er ja nicht Gott. Aber wer ist das schon. Gott. und was weiß der wirklich. Er hat noch nicht mal die Bedienungsanleitung gelesen, sagt zumindest der Admin.Diese konzeptionelle Kurzgeschichtensammlung ist die mittlerweile vierte Veröffentlichung des periplanetaners und Kult- Autors Thomas Manegold. Er wirft immer gern ein kritisches und sarkastisch zwinkerndes Auge auf die alltägliche Abgründe und verbindet diese mit humorvoller Fiktion und anderen Metaebenen.

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Seitenzahl: 182

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„Gott ist eine literarische Erfindung“ Marcel Reich-Ranicki

Thomas Manegold: MORBUS DEI Ketzereien vom Rande des Universums

© Periplaneta - Verlag und Mediengruppe

Edition Periplaneta, Mai 2012

Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin

www.periplaneta.com

[email protected]

Erstveröffentlichung: © Periplaneta - Verlag und Mediengruppe

Edition Periplaneta, 2007

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, mechanische, elektronische oder fotografische Vervielfältigung, eine kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

E-Book-Version 2.2 , ISBN: 978-3-943876-00-0

Ungekürzte, digitale Version der Printausgabe (ISBN 978-3-940767-01-1) mit einem Bonustext.

Lektorat: Jasmin Bär, Marion Alexa Müller

Titelbild: Ernst Lang, http://de.wikipedia.org (creative commons licence)

Satz, Konvertierung: Thomas Manegold

Thomas Manegold

Morbus Dei

Ketzereien vom Rande des Universums

periplaneta

The Beginning

MORBUS DEI- Wie alles begann

Klaus am Nebentisch. Jeder Satz beginnt mit ich. Eine Frau sitzt ihm gegenüber, die Arme verschränkt in Höhe des Bauchnabels. Ihr Nicken grenzt an Hospitalismus. Sie freut sich über jede Minute, die er oder irgendwer mit ihr verbringt und will aber daheim schlafen. Allein. Deshalb nippt sie immer noch an dem selben kleinen Bier, während Klaus eben versucht, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Früher wäre da noch eine Wette mit dem Kumpel aus der Gang gewesen. Heute genügt die eigene innere Leere für jenen Akt der Verzweiflung.

*

Rücksichtslosigkeit. Sie ist angeboren. Statt aber dabei, wie früher, die Ellenbogen auszufahren, spreizen wir unser Gebein. Das Einfordern von Beachtung, Anerkennung und Streicheleinheiten ist eine Sucht, eine von Vielen. Sie ist, wie alle Süchte, destruktiv und hochgradig ansteckend. Sie zerstört Freundschaften und zerstampft die Überreste der Wahrhaftigkeit und sie ist hinterhältig, wenn sie auch schon mal im keuschen Kleid des Altruismus daherkommt. Menschen werden mit Problemen konfrontiert, die sie nicht geboren haben, werden bestraft, wenn sie sie lösen. Werden ihrer Güte beraubt, wenn man ihre Hilfsbereitschaft ausbeutet und sie dann fallen lässt.

Nun, ich habe es probiert. Erst mit Mitleid, dann mit Ignoranz. Und doch steigt der Groll immer wieder hoch. Ich ärgere mich über die Einfalt und über Eitelkeiten meiner Mitmenschen die vor Brutkästen knieend weinen, in denen sie ihre Probleme so lange bebrüten lassen, bis sie überlebensfähig sind. Dann nehmen sie ihre Zöglinge mit heim. Und lassen alle ihre Freunde daran teilhaben. Guzzi guzzi Guzzi... schau mal ... Indess der größte Brocken ist, dass sie alle auch mal in so einem Brutkasten saßen. Sie wurden zu einem aufrecht gehenden, krakeelenden Problem, das lärmt und die Welt zuscheißt, das über Leichen geht zumeist und gar empfindlich reagiert, wenn man ihm die Wahrheit sagt.

*

Klaus knödelt auf sie ein. Als wäre er den Stimmbruch auch so halbherzig angegangen, wie alles in seinem Leben. Immer auf dem Sprung und niemals wirklich die Erde für einen Moment verlassen. Wer will schon den Boden unter den Füßen verlieren? Die Welt als historischer Kompromiss. Als Zimmer ohne Ecken mit einem großen Fenster. Nie etwas riskiert. Nie wurde er erwischt, wobei auch? Wer immer den Schwanz einzieht, wenn es brenzlig wird, kommt nie zu spät. Er kommt nie. Und er ist noch stolz darauf, ihn sich niemals verbrannt zu haben, den Mund, meine ich. Das Leben als eine einsame Onanie hinter verschlossenen Türen, bei totaler Dunkelheit, damit die versteckten Kameras nicht zuschauen können. 

Sie reden über die Schulzeit, weil sein Notendurchschnitt sie vielleicht davon überzeugen könnte, sich hinzulegen. Bei totaler Dunkelheit und vier Bier würde er vielleicht sogar einen hochbekommen.

*

Penetranz ist eine Tugend. Das Tier in uns ist angehalten, Dinge zu wiederholen, die funktionieren und ihm ist nichts heilig, wenn es um die Belohnung geht. Deshalb mag ich Hunde, die keine Stöckchen holen wollen und nicht Platz machen. 

Wie weit gehst Du für Dein Futter? Bis zum Bauchnabel? 

Wie teilst Du Dein Leben ein? 1.Romantik und Beziehungen, 2. Job und Kariere 3. Mode und Einkaufen 4. Leben. Was für ein Witz ! Wir sind bereits fleischgewordene Kategorien...

Leben und Sein sollte sich nicht unterscheiden. Sein und Tun sollten eine Einheit bilden, egal ob ich Künstler bin oder für eine Bank arbeite. Statt aber den Broterwerb zur aufrechten Sache zu erklären, beginnt man mit den sogenannten Beziehungen zu taktieren, läßt sich mit Abfindungen den Arsch putzen und verkauft seine Seele für das allerneueste MustHave. Alles ist plötzlich Job und Karriere. Auch der Sex, die Klamotten und die Leichen im Keller.

Kluge Menschen sollten Nachsicht walten lassen im Angesicht des Leidens. Weil aber die Klügeren nachgeben, wird die Welt von den Dummen regiert. Der Kluge regiert einfach nicht, es ist ihm zu blöd :-) Vielleicht ist das ja der Fehler im System. Um Regieren zu können, muss man erst einmal sehr viel Bildung über sich ergehen lassen, ohne dabei das Denken anzufangen.

*

Klaus ist längst gegangen. Die Frau hat er mitgenommen. Ich klappe mein kleines Buch zu, trinke mein dunkles Bier aus und dabei schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Meine Güte. Wenn Gott uns wirklich nach seinem Ebenbilde geformt hat... oder eben wir ihn nach dem Unsrigen, dann geht es dem alten Mann richtig beschissen... Hier beginnt die Geschichte von MORBUS DEI, einer eigentümlichen Sammlung von Textwerk über die Gebrechen des alten Mannes, die sich in unserem Scheitern spiegeln. 

Und falls es Ihnen gefällt oder eines der FRAGmente Ihr Leben ein bisschen bereichert, dann bedanken Sie sich nicht bei mir, sondern bei Klaus.... Ich hoffe mal, die Frau musste nicht lange leiden. Man sollte ihr vielleicht mal sagen, dass es für eine gute Sache war.

Inthronisation 1.2

Das Leben ist zu kompliziert. Die Gleichberechtigung ist ferner denn je. Frauen haben kurze Röcke an und nichts drunter, Männer seit 200 Jahren immer zwei Hosen übereinander, ein kurze, eine lange. Frauen laufen bauchfrei herum, Männer müssen ihre Bäuche einziehen. So weit ist das gekommen.

DIE BLÖDEN UND DIE HENKER DER SCHLAUEN SIND DIE POPSTARS, NICHT DIE DENKER.

Nach dem Höhenflug kommt der Aufprall. Im unendlichen Kreislauf des wechselseitigen und gleichzeitigen Geboren- und Gestorbenwerdens prügelt sich der Mensch in die Leiden, die ihm jene Erfahrungen verheißen, die er braucht. Das ist wie Punktesammeln an der Tankstelle. Bei genügend Zuzahlung darf man ins nächste Level, und dann (vielleicht) ohne Mehrwertsteuer, Zahnersatz und Steuerhinterziehung, ohne Beamtenlaufbahn, ohne Wehrersatzamt und Lichtschutzfaktor 33, ohne H.I.V., Viagra, Leid und Elend, ohne Nebenbuhler, Überwachungskamera, Brainscan und Nötigung, ohne Mac Donalds, Massenschlachtung und elektrischen Stuhl, ohne Giftspritze, Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Dummheit, Bier und Dieter Bohlen, ohne koksende Friedmänner, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Scheidung und geschundene Kinder, ohne Vergewaltigung, Flugzeugabsturz, Atombombenabwurf, Ureinwohnervernichtung, ohne Heimatlosendeportation, Vergasung, Verleumdung, ohne Lüge, Scheiterhaufen, Klerus, Konsum, Sucht...

ohne Silikontitten

und ohne Schorsch Doppel U...

DIE BLÖDEN UND DIE HENKER DER SCHLAUEN SIND DIE POPSTARS, NICHT DIE DENKER.

Was machen wir mit der Realität? Wir essen sie auf, kauen auf ihr herum. Doch nachdem wir es alle irgendwann einmal zum unfreiwilligen Religionsstifter geschafft haben, ohne der Versuchung zu erliegen, uns quer durch die devote Anhängerschar zu vögeln, verharrt die Menschwerdung am Scheideweg. Der Begabung zur Vernunft ist nichts zu entgegnen. Begabung ist Verpflichtung. Die Gedankenmaschinerie zermalmt die von den Sinnen eingefangenen Dinge und Nichtdinge. Dem Heiligen ist dies verhasst, und dem Künstler ist es heilige Pflicht und Bedürfnis, daraus Neues zu erschaffen. Das Entfleuchen aus der Realität oder ihre Mehrung...

Öffne alle Sinne, lass Eindrücke zu, lass es fließen, sei Katalysator, lass das Neue einfach werden. Die Kunst ist nutz- und wertungsfreies Produkt dieses kreativen Prozesses, Verfallsbeschleunigung, Energieverschwendung, ein Ausdruck der Vermehrung von den Dingen, von denen wir selbst nur ein Teil sind, eine Erscheinungsform...

DIE BLÖDEN UND DIE HENKER DER SCHLAUEN SIND DIE POPSTARS, NICHT DIE DENKER.

Was machen wir mit der Realität? Wir essen sie auf, kauen auf ihr herum. Was dabei herauskommt, ist nichts, worauf wir stolz sein können: Verfallsbeschleunigung, Energieverschwendung, Scheiße... alles ist vergänglich.

Diagnose 1.3

sequence start: 1999.10.14.18.20 # sequence version: 1.3.5 # total running time: 06.34.06 # ego identity: Hannes B.

Der Fernseher spuckt sein lautes, flimmerndes Nichts in den toten Raum. Chipsgeruch. Abgestandene Luft. Eine Fliege kreist hektisch um die Energiesparbirne. Leere Worthülsen versuchen Dialoge zu bilden. Synthetische Streicher sollen die Dramatik herbeizaubern. Ich gebe mir Mühe, das alles nicht zu durchschauen, aber die Fassade will sich nicht offenbaren. Immer wieder drängt sich die Konstruktion aus lapidar primitiven Stützpfeilern oberflächlicher Unterhaltung durch die pergamentzarte Illusion einer Handlung.

Es gibt kein großes Theater mehr. Stattdessen Stepptanz der Ignoranten. Eine Horde neuer Hoffungen am Serienhimmel tritt die Reste der Dramaturgie eines schalen Schaustückes mit glasierten Füßen.

Das Flimmern ist immer und überall. Es ist das, was den Dingen Leben einhaucht, ja, sie erweckt, das Wahrhaftige zwischen Ikeaklappcouch und Multifunktionsglasvitrine.

Hätte man mir vor 500 Jahren gesagt, wir würden das Kreuz, was sie uns einst an die Wand und in unsere Köpfe hämmerten, gegen eine flimmernde, viereckige Kiste eintauschen, wäre ich wohl als Wahnsinniger in einem Haus hinter dem Wald gestorben, anstatt als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Ja, sie waren gründlich damals, haben die weisen Frauen und die Katharer ausgerottet. Heute nennen sie das Johannisfeuer und verbrennen Hausmüll statt Hexen. Nicht, weil sie das schändlich fänden, sondern weil es keine Hexen mehr gibt.

Jemand neben mir entzündet eine Kerze, ob wegen des akuten Bedürfnisses nach Romantik oder, um wenigstens der Fliege ein wenig Thrill zu bieten, ist mir entgangen. Ich beschließe, diesen Wink des Schicksals anzunehmen und mir ein Licht aufgehen zu lassen. In diesem Leben bin ich nämlich Drehbuchschreiber, einer von denen, die sich diese ganze Scheiße ausdenken, die man dann für die Mattscheibe zu einem Brei zusammenquirlt.

Früher war man bemüht um große Gesten, um Schärfe in der Sprache und in den Bildern. Heute sprechen die Kasperköpfe in Wortgruppen, haben statt Regisseuren und Dramaturgen nur noch Rechtsanwälte, die aufpassen, dass der Weichzeichner auch korrekt über Pickel und Falten gelegt ist. Seit es HDV gibt, sind auch die fickenden Frauen nach drei Uhr wieder alle unter vierzig.

Ich schreibe eine Geschichte, lasse meiner Phantasie freien Lauf, dann die Hälfte weg und meinen Agenten wissen, dass ich heute liefern werde. Den verstümmelten Rest meiner Schreiberei dezimiere ich final und verdiene 10 000 Euro. Das Wertvolle meines Miniaturdrehbuches schluckt der Reißwolf. Fragmentarische Streifen, dying culture, brennbar.

Ich wache wieder auf. Paralleluniversum. Folge 2139 ist gerade vorbei. In diesem Leben wäre ich gern Autor und bin Arbeiter. Neben mir sitzt eine Frau. Meine, sagt irgendein Papier. Ich besitze sie aber nicht. Not really. Nicht wirklich. Sie glaubt, dass ich das nicht weiß und benimmt sich entsprechend. Teilschuld, Vergleich, 50 zu 50 oder 60 zu 40 zu ihren Ungunsten. Ich belasse es dabei.

Die Kerze ist niedergebrannt und erloschen. Die Fliege hat sie aber rechtzeitig gefunden. Es ist Ruhe eingekehrt. Ich verlasse den Ort und das Flimmern. Ein „Wo willst Du hin?“ und keine Antwort.

Ich gehe auf die Straße. Das vor sich hinrülpsende Nachtleben findet mich kurz vor seinem vorherbestimmten Ende. Finale Grande im unkoordinierten Abgesang. Grölende Restbestände einer sperrzeitbedingten Nachtruhe. Aus den offenen Fenstern schwappt das lauwarme Flimmern auf die toten Gassen, reflektiert sich zaghaft im Asphalt und fließt in die Kanalisation.

Ich öffne eine Tür. Das murmelnde Geräusch wird schlagartig lauter. Schweiß. Knoblauchgranulat. Und der Geruch einer rattigen Frau. „Ja, einen Merlot, und bessere Musik.“ Zwanghaftes Lächeln als Reaktion auf einen Scherz, der keiner ist. Ab dem dritten Glas wird die Musik besser. Dann bin ich allein mit denen, die immer rausgefegt werden müssen und mit der Frau, die mich abkassieren will. Ich stelle sie vor die Wahl, mir noch ein Glas Wein zu bringen oder mich mitzunehmen. Sie antwortet mit einem Rechnungsbetrag. Ich höre mich “Stimmt so” sagen und stehe auf.

Draußen wartet der Nieselregen auf mein versteinertes Gesicht. Ich schließe die Augen. Da war es wieder, das Flimmern.

Ich zucke zusammen. Jemand hat mir einen Elektroschocker auf den Oberschenkel gerammt - nein, es ist nur das Handy. Vibrationsalarm. VIP-Melodie und ein bekannter Name auf dem Display. „Nein, es geht mir gut und es ist nichts... Ich dich auch.“ Einst sollte meine permanente Eifersucht ein Psychiater kurieren. Am Ende habe ich mich auf dieses Rückführungsexperiment eingelassen. Es bescherte mir Brandwunden, die aus dem Nichts erschienen, wie Stigmata. Doch eine Besserung trat nicht ein. Das flaue Gefühl im Magen blieb. Seitdem ich ihr nun Anlass zur Eifersucht gebe, kann ich mit der meinen besser umgehen.

Hinter der Glastür, an der ich mich festhalte, wird es dunkel, und die Frau, die mir keinen Wein mehr geben wollte, tritt zu mir in die Kälte. Sie sieht mich fragend an und grinst plötzlich. In ihren Augen flimmert ein wenig Angst.

„Wieso ein Scherz?“ höre ich mich sagen. Sie dreht sich um und läuft einfach los. Zielstrebig, ein wenig hektisch, in Richtung Unterführung. Ich höre mich lachen und beschließe den Rückzug. Bis vor die Haustür begleitet mich der hoffnungslose Glaube an ein Wunder, das mich rettet. Dann fällt die Tür ins Schloss.

Begrüßungskonversation. Ich mit schwerer Zunge, sie im Halbschlaf. „Morgen ist die Nacht rum“ folgt dem warmen Kuss auf meinen Hals. Ich drehe mich um, wohlwissend, dass die Umnachtung niemals enden wird.

Ich schließe die Augen. Da war es wieder.

Das Flimmern.

<CHATPROTOKOLL VRG GENESIS 4.0> Admin: „Hallo Gott!“ Gott: „Hallo Admin! Meine Menschen töten oder werden depressiv. Ich habe es mit der klassischen „Brot und Spiele“ - Nummer probiert, aber das hilft nicht. Sie verbieten sich sogar die Ersatzbefriedigungen, die sie sich selbst geschaffen haben.“ Admin: „Das ganze Leben ist ein einziges Spiel. Allerdings ist ihre Vorstellung von Spiel hoffnungslos verseucht. Ich sehe da keine Möglichkeit für eine Korrektur. Die Erlöservariante hast Du schon ein paar Mal probiert, wie ich sehe, und es war immer eine Katastrophe. /:kopfschüttel:/ Komet, Weltkrieg oder Seuche.“ Gott: „Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“ Admin: „Am Anfang war das kindliche Staunen, die unschuldige, schöpferische Phantasie. Doch irgendwann ist das scheinbar zweck- und ziellose Spielen für sie nur noch ein Ausdruck von Behinderung. Deine Erwachsenen spielen nicht. Sie praktizieren höchstens ein Kräftemessen nach festen Regeln, das Höher-Schneller-Weiter-Ding, einen Ersatz für Krieg, Treibjagd und Kreuzzug. Sie haben zudem eine Schwäche für leere Versprechungen, die sie Glück nennen, und sie lieben all jene Dinge, die ihr verkümmertes Selbstwertgefühl konservieren.“ Gott: „Aber irgendetwas scheint ihnen diese Messbarkeiten aufzuzwingen.“ Admin: „Niemand zwingt sie. Spiele sind eine Reflexion von Glaubenssätzen, für die eine Belohnung in Aussicht gestellt wird, und sie sind eine Form der subtilen Erniedrigung. Auch das modern gewordene Ballerspiel ist nichts anderes als ein Sich-Opfern für eine Aufwertung des Egos. Das wird nur noch von reinem Fernsehen unterboten!“ Gott: „Aber sie schaffen bereits gedankliche Welten, in denen sie vollkommen neue Persönlichkeiten sind!“ Admin: „Diese Rollenspiele sind Realitätsflucht, denn dabei identifizieren sich die Menschen mit Charakteren, die sie nicht sind, und sie gestalten Zukünfte, die nicht ihre Gegenwart kreuzen werden. Doch all das wäre noch zu verkraften. Nicht aber der Trend, sich mit zunehmendem Gleichklang nur noch etwas vorspielen zu lassen oder anderen beim Spielen zuzuschauen. Nichts anderes ist Fernsehen und nichts anderes ist die Ehe des Erstweltlers im dritten Jahrtausend.“ Gott: „Was soll ich Deiner Meinung nach tun?“ Admin: „Am besten, Du klickst auf den Button links unten :-)“ Gott: „Aber...“

</CHATPROTKOLL>

Terrorising 3

sequence start: 2007.06.22.03.43 # sequence version: 3.2.4 # total running time: 53.19.01 # ego identity: Thomas M.

Michael E. ist Schriftsteller. Nun werden Sie sicherlich denken, dass dem Manegold schon am Anfang der Stoff ausgeht und er von sich selbst in der dritten Person schreibt, so wie alle Schriftsteller es tun, wenn ihnen nichts mehr einfällt. Ich weiß, die Liste ist lang, reicht von Coelho bis Grass, doch wäre es mir eine Ehre, inmitten der Großen einen Platz zu finden, und sei es auch nur in so einer Liste. Ich würde in der Gegenwart von Richard Stark, einem alter Ego von Steven King, noch vor Ehrfurcht erschaudern, mich aber auch morgen noch einige jener Dinge nicht trauen, die Paulo, der Schöpfer des millionenfach gelesenen Alchimisten, inmitten seiner Midlifecrisis seinen Lesern gerade zumutet.

Michael ist wirklich ein Schriftsteller, ich bin nur ein kleiner Schreiber, der vor Ideen sprüht und den Funken hinterherschaut, sie nicht einfangen kann und meistens nur kalten, schwarzen Rauch und Späne hinterlässt. Michael weiß noch gar nichts von seiner Rolle und seinen Fähigkeiten. Er befindet sich gerade an der Schwelle vom Studierenden zum Exstudenten, und dort steht er wie angewurzelt, seit Jahren. Was tut so ein vom Bildungssystem verwöhnter und dann alleingelassener Mensch, dessen Intelligenz weder Autoritäten noch Drogen zu bändigen vermochten? Praktikum post mortem können wir ausschließen, denn ich sagte ja bereits, dass Michael ein intelligenter Mensch ist. Zudem ist er nicht so devot wie die diplomierten Dauerpraktikantinnen, die dann aus ihrer ehrenamtlichen Knechtschaft rausfliegen, wenn der Ganzkörpereinsatz nachlässt, oder wenn sie mit Ende dreißig keiner mehr bespringen will. Zwischen seinen wachen Augen, die von schwarzem, lockigem Haar und einem Axis-Of-Evil-Kinnbart umrahmt sind, schlummert also ein unglaubliches Potential an Hoffnungslosigkeit und Weltschmerz. Ich habe übrigens eine Glatze und trage keinen Bart, außer von Zeit zu Zeit diesen Sechstagekratzbaum. Sie könnten also sogar sehen, dass ich dieser Michael gar nicht sein kann. Und es gibt noch mehr Unterschiede. Ich schreibe diese Zeilen beispielsweise gerade mit einem Mac. Er dagegen sitzt meistens vor seinem alten, klapprigen PC und grübelt. Das virtuelle Blatt bleibt dabei aber leer. Früher teilten sich die Menschen in Schreiber und Analphabeten, heute in Onliner und Offliner. Michael E. weiß, dass man im Grunde nicht einmal mehr schreiben können muss, um Schreiber zu sein. Seitdem das Welterschaffen ein Kinderspiel ist, haben die Welten auch das Niveau und die Halbwertszeit von Sandburgen, die Dreijährige am Strand errichten, während ihre Eltern sich Hautkrebs zuziehen.

Michaels soziales Umfeld ist kürzlich an seinen Frauengeschichten zerbrochen. Eine blonde Philosophin und eine blinde Pianistin. Er konnte sich nicht entscheiden, und deshalb haben ihn beide verlassen. Der Bekanntenkreis hat sich aufgeteilt auf Pianistin und Philosophin. Er ging leer aus. Seitdem meidet er den Studentenstammtisch bei Hannes im Club. Nicht, weil er dort seine Ex treffen könnte, sondern weil sie die Einzige ist, die noch mit ihm redet. Jetzt besäuft sich Michael meistens an den Tagen, an denen außer dem Wirt keiner da ist. Hannes ist auch so ein verkappter Schriftsteller, hatte sich irgendwann vor Jahren von seiner Frau scheiden lassen, nachdem ihm ein Rückführungsexperiment seine früheren Leben offenbart und beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte. Verrückte Geschichte.

Michaels Bruder ist damals mit der Pianistin durchgebrannt, weil er nicht wusste, wie er es seinem älteren Zwilling erklären sollte. Der war dann ein paar Tage in der Klapsmühle, weil sein Arzt nicht glaubte, dass die Narben an seinen Händen und Füßen von den Vorlieben einer Verflossenen stammten. In der Geschlossenen traf er einen durchgeknallten Typen, der ihm erzählte, dass eines Tages jeder vor den Spiegel treten muss und dann die Masken fallen werden. Dieser schräge Vogel glaubte fest daran, dass die Welt eine Computersimulation sei, die man selbst füttert mit „Mind“ und „Energy“ und aus der man aussteigen könne.

Woher ich das weiß? Nein, ich war nicht dort. Michael hat es mir erzählt, als wir uns das erste Mal bei Hannes am Tresen trafen. Das war vor zwei Tagen- oder waren es drei? Ich bestellte gerade mein allerallerallerletztes Bier, und er kippte mir sein halbvolles Glas vor die Brust, worauf ich ihn vom Hocker kickte und Hannes beschwichtigend von einer Begebenheit erzählte, bei der seiner Kellnerin damals das Gleiche passiert war. In seinem Club (er legte Wert darauf, dass man ihn nicht als Kneipe bezeichnete) gingen damals die krassesten Typen ein und aus. Da konnte es schon mal passieren, dass einer austickt und eine Knarre zieht. Hannes war deshalb ein Meister im Zulabern von Psychopathen. Als wir dann merkten, dass wir alle drei verhinderte Schreiber waren, die vom Lauf der Welt um ihr Zeilenhonorar betrogen wurden, gab es eine Runde aufs Haus.

Als sich jeder mit einer weiteren Runde revanchiert hatte, tauschten wir unsere Frauengeschichten aus. Hannes hatte auch gerade was Neues am Start, wie er sagte, wusste aber nicht, wie er es seiner Bedienung erklären sollte, mit der er nicht nur das Trinkgeld teilte. Als ich dann Michaels Ex das erste Mal sah, war es bereits früh am Morgen. Sie ging kühl an uns beiden vorbei, setzte sich auf den Tresen und schwang ihre benetzten, langen Beine schwungvoll über das Tablett noch warmer Absinthgläser. Als ich registrierte, dass sie nichts unter ihrem Rock trug, außer eben dieser hauchdünnen Strumpfhose, schlabberte sie bereits Hannes ab und griff ihm dabei beherzt zwischen die Beine.

Ich kannte diesen Griff... kannte diese Zunge, die jetzt als Piercingwerbefläche über des Wirtes Amalgamfüllungen wetzte, ich kannte diesen phänomenalen Körper aus einer Zeit, als er noch nicht die Ex meines Saufkumpans war, und in diesem Moment wusste ich, dass auch wir Männer uns immer nur wie die Hunde selbst die Eier abschlecken. Wir tun es die ganze Zeit, gaukeln uns dabei andere Menschen vor, doch lecken wir uns nur selbst die Wunden, die wir uns mit eigener Hand zufügten, als Spielbälle jenes alten Mannes, der verzweifelt an seinem Joystick herumfingert, um ins nächste Level zu kommen. Frauen denken sicherlich in ähnlichen Situationen anders. Ich könnte mir vorstellen, dass sie beginnen, an die Windbestäubung zu glauben oder an autosexuelle Vermehrung und Dildos, denen sie autosuggestiv Männer andichten...

Die Welt ist ein einziger Beschiss und Liebe eine Illusion, weil man nur sich selbst umarmt, dreckige Spiegel ablutscht, bis man sich die Lippen aufschneidet oder Herpes bekommt. Im jenem Moment hatten alle Anwesenden in Hannes´ bläulich beleuchteten „Club“ dieselben Krankheiten.

Ich griff Michael in den Nacken, zog seinen Kopf an den meinen und drückte meinen Sechstagekratzbaum in sein Gesicht. Er wehrte sich nicht. Es war die Erlösung in einer Groteske, in der niemand der Looser sein wollte. Er hatte kein Zungenpiercing, und das war auch gut so.

In genau diesem Moment, als auch unsere Hände unter dem Tresen verschwanden, kamst Du herein und schriest mit brechender Stimme in den sonst leeren Raum: „Ist das der Sinn des Lebens?“ Nein, natürlich nicht! Der Sinn des Lebens ist, dass man lernt, vorher abzuschließen... denn mit Dir kam auch diejenige in den Club, die vor der Philosophin den Kneiper abschlabbern durfte.