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Manegolds Bühnentexte bereiten zugleich Unbehagen und Vergnügen. Sie erklären Sachverhalte, die man eigentlich gar nicht so genau verstehen will, und sind meistens eine virtuose Mischung aus Bundestagsrede, Ballade und Betroffenheitsbulimie. Nicht nur die Heimat als Wohnort oder Vaterland bekommt hier eine heiße Dusche. Denn Heimat kann auch Herkunft, Hort und Hafen sein, kann austeilen, sich festkrallen und prägen. Da scheitern Versuche romantischer Naturbeschreibungen aus dem burnout-bedingten Zwangsurlaub, da wird mal eben in 10 Minuten die Weltgeschichte geradegerückt oder zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Da wird der Nostalgie das Fell über die Ohren gezogen und der germanische Way of Life angeprangert. Ein periplanetanisches Hör-Buch über asoziale Primaten, die Arroganz der Dummen, über Maden, Würstchen, Heringskälber und die Unerträglichkeit des Seins. Ein satirisches Textinferno, das Lachen und Weinen macht – nur eben nichts dazwischen.
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Seitenzahl: 106
periplaneta
THOMAS MANEGOLD „Heimathiebe” 1. Auflage, November 2016, Periplaneta Berlin, Edition MundWerk
© 2016 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Bild: Marion Alexa Müller Projektassistenz: Laura Partikel Lektorat und Projektleitung: Sarah Strehle
print ISBN: 978-3-95996-035-9 epub ISBN: 978-3-95996-036-6E-Book-Version: 1.3
Thomas Manegold
Polemiken
Reime
Satiren
periplaneta
Den meisten Menschen ist Sarkasmus nicht geheuer, doch ist er der finale Ausweg für den Geist. Wenn im Sumpf der Dummheit guter Rat sehr teuer, gar unbezahlbar scheint und die Angst, bald unfreiwillig hinter ein verschlossenes Gemäuer zu gelangen, sich Bahn bricht, kippt das Bangen und die Verzweiflung in sardonisches Gelächter, Hohn und Spott.
Des wachen Geistes Feind war schon immer der Idiot. Vor allem jener, der sich für besonders schlau hält, der Wahrheitspächter und Nachplapperer, der Ochse, der den Flüsterern und Schreihälsen alles glaubt und dann erhobenen Hauptes im Passgang ins Schlachthaus einmarschiert. Dabei denkt der/die Ochs*in ungeniert, dass ihm/ihr ein eigener Gedanke durchs Gehirne geht. Jedoch kommt jener Geistesblitz von einem Bolzenschussgerät.
„Es ist nicht alles lustig, was lächerlich ist. Dennoch kann man darüber lachen“, sagt der Sardonist.
„Nicht alles, was ich verlautbare, ist die Meinung meines Schöpfers“, sagt der Protagonist.
Der Sarkast weiß, dass man immer übers Ziel hinausschießen muss, um zu treffen. Und dass die Kollateralschäden sich hinterher als die wichtigsten Trophäen entpuppen.
Der Common Sense ist nicht der gesellschaftliche Konsens, sondern genau das Gegenteil: der gesunde Menschenverstand.
Verstand ist nicht das Präteritum, sondern das Futur von Verstehen, wahrscheinlich sogar das Futur II: Der Zyniker ist nur ein Nihilist, der Verstand hat – verstanden hat, verstanden werden will – und deshalb um sich schießt, bis alle sich vor Lachen gekrümmt haben werden.
Nicht jeder Mensch, der Ironie nicht versteht, ist gleich ein Asperger mit Inselbegabung. Er könnte auch ein selbstgerechter Idiot sein. Und nichts, was in einem Buch steht, musst du persönlich nehmen. So arrogant und egozentrisch ist nicht einmal der Autor.
Dieses Buch ist Satire. Es ist also nicht alles wahr, was drinsteht, manches ist im Interesse der Wahrheit gelogen und einiges viel wahrer, als es sich zugetragen haben könnte.
Genieße dieses Buch einfach. Es gibt nämlich im Leben schlimmere Dinge, die dir im Halse steckenbleiben können, als ein Lachen.
Ich will in Schubladen denken können, endlich das Vorurteil erleben, das Trampelpfade asphaltieren kann und Worte ungeschehen macht, die ich nie begangen habe.
Ich will weisungsgemäß jene verurteilen, die glauben, dass sie fürs Töten in den Himmel kommen und man ihnen dort Frauen schenkt, die sie ungefragt zerficken dürfen. Und ich will einer von denen sein, die glauben, nie getötet zu haben und dass man sich für Geld alles kaufen kann – Frauen und Kinder zuerst.
Ich will Menschen trennen können wie Müll: die guten ins Kröpfchen, die schlechten in die gelben Fässer und auf die Deponie, fremde Moral zur Schau stellen vor alarmgesicherter Haustür in bunten Plastiktonnen.
Ich will denunzieren können, wie einst die gescheitelten Kinder des Dritten Reichs oder diese 283.333,333 Stasispitzel im Vierten(2) oder die Knöllchenschreiber und Gebühreneinzugsbataillone im Fünften.
Ich will small-talken, klein-reden, Scheiße labern und Korinthen kacken.
Ich will glauben, dass man Schweine essen kann, die glücklich gestorben sind.
Und ich will auch eine Erektion bekommen, wenn ich mich zusammen mit meinem frisch erworbenen Fair-Trade-Kaffee im Spiegel anschaue.
Ich will daran glauben, dass ich Eisbären rette, wenn ich weniger Gepäck in den Urlaub mitnehme.
Ich will auch so ein Aal werden, der sich für ein Krokodil hält, und im trüben Wasser nach dicken Fischen sucht.
Ich will ahnungs- und ahnenlos mit kinderhandgeklebten Schuhen durch Buchenwälder und Auen schwitzen und mahnend auf die Brandherde zeigen, wo die bösen Sachsen hausen und alzheimernd gegen das Vergessen anreden.
Ich will bei der CO2-neutralen Hausmüllvergasungsanlage einen behämmerten Ährenkranz niederlegen, während die Armee der Finsternis in meinem Namen im Mittelmeer Negerinnen und Neger ertränkt, die in den Lehrbüchern meiner noch tiefgefrorenen Kinder dann als Sonnenkönige wieder auferstehen werden.
Ich will konvertieren, endlich ein frommer Kapitalik werden, dessen heilige Pflicht es ist, ein Mal im Leben die Wall Street entlangzupilgern. In meinem Wohnzimmer soll ein Triptychon mit dem Glaskirchenpanorama von Frankfurt am Main über der mit veganen Daunen gefüllten Wombatbabyledercouch hängen.
Und über der Tür eine Ikone von Josef Ackermann, unserem Heiligen Vater, der für unser aller Rendite ohne Rückgrat auf einer Yacht am Kreuz des Südens gestorben ist.
Ich will werbungsgemäß drei Mal am Tag gen Westen beten, dort, wo das sagenumwobene Silicon Valley liegt, wo sie die Brüste unserer Frauen herstellen. Und die Geräte, mit denen wir sie orten können.
Ich will die zehn Gebote achten, die aus eben jenem Tal der Anuslotsen von den Propheten Bill und Steve auf zwei Tablets zu uns gebracht wurden:
1. Du sollst keine anderen Zuhälter neben uns haben!
2. Du sollst konsumieren!
3. Du sollst Vater und Mutter beerben!
4. Du sollst nicht wählen!
5. Du sollst nicht denken!
6. Du sollst nicht erröten!
7. Nimm, was du kriegen kannst!
8. Der Schwächere gibt nach!
9. Lass dich nicht beim Klauen erwischen!
10. Hol Dir Dein Fame!!!
Ich will die Fische aus den Dosen befreien und wieder ins Meer zurückbringen, den bleiernen Zeitungsenten auf den Grund folgen. Ich will Phrasen dreschen, daraus Brote für die Welt backen und sie Bernd nennen. Ein Haus erben, einen Baum kaufen und ein Kind beugen.
Ich will, dass mich dann am Ende meines Lebens Germanwings oder easyJet geradewegs ins Paradies fliegt, wo 72 willige Jungfrauen auf meinen hipsterbehaarten, McFit-gequälten, sonnenbebrillten, sonnenbebrüllten, viagragestählten White-Trash-Päderasten-Body warten.
Ich will glauben, dass mir dort bis in alle Ewigkeit die gebratenen Tauben und die frittierten Blinden in den Mund fliegen, weil der Himmel – auf Englisch SKY – auch nur ein Fernsehsender ist und das Jüngste Gericht eine Kochsendung.
Ich will ein aufrecht Kriechender sein, ein Mitesser, ein pan bulimia digitalis – ein Vorverdautes aufschlürfender, narkoleptischer Affe, der nichts mehr weiß und alles glaubt, was ihm in den Kopf geschüttet wird, der mit Vergessen beschäftigt ist, während er den Anderen beim Verrecken zuschaut.
Ich will das Gefühl haben, lebendig zu sein, während vor meinen Augen die ganze Welt stirbt.
Ich will mich geborgen fühlen, wenn die Gauckler zu Königen werden und die Ausgemerkelten sich auf Messers Schneide mit tief gespaltenen Zungen um Kopf und Kragen reden.
Ich will endlich vernünftig sein.
„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran!“ (Fehlfarben)
Der Osten ist schwer zugänglich. Er ist rechts vom Nabel der Welt, also rechts von uns. Während die Wikinger eher nach links über ihren Tellerrand schielten, zog es uns schon immer nach rechts. Rechts und Links sind überall auf der Welt relative Orientierungshilfen. Bei uns in Europa sind es absolute politische Grundbegriffe. Das liegt an den Folgen der Französischen Revolution. In der Nationalversammlung saßen die Linken nämlich links. Ob nun links von den Rechten oder links, wenn man zur Tür reinkam, weiß keiner mehr so genau. Jedenfalls waren die Rechten damals noch keine Nazis, sondern Royalisten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Bei der ersten Osterweiterung war die Welt noch eine Scheibe und drehte sich im Wesentlichen um das Mittelmeer, damals, als 410 Alarichs Goten und 50 Jahre später die Vandalen in Rom einmarschierten, was ja zur Konsequenz hatte, dass die Reichshauptstadt, also Rom, kurzerhand nach Konstantinopel verlegt wurde. Den IS gab es noch nicht und auch die Christen wurden gerade erst von Verfolgten zu Verfolgern, von Ermordeten zu Mördern. The Walking Deads der ersten Stunde sozusagen.
Danach teilte sich die Welt in ein oströmisches und ein weströmisches Reich auf, wobei es genau anders herum war als heute. Damals war der Westen im Zerfall begriffen und der Osten reich und sexy. Hat ihm aber nichts genützt, dem damaligen Osten. Heute heißt Konstantinopel nämlich Istanbul und hat eine Staatsreligion, die es damals noch nicht einmal gab.
Erst kurz nach 700 fand ein Hirte und Karawanenführer die Ein-Gott-Religion der Christen mit ihrem Jesus so interessant, dass er eine eigene gründete und beim Abschreiben der Satzung den Jesus zu einem Propheten degradierte. Daraus wurde dann eine ständige Bedrohung für Europa: der nahende Osten. Da wir Europäer nur leidlich zivilisiert waren, übernahmen wir schrittweise deren Art zu bauen, ihre Angewohnheit, Frauen nicht zu verbrennen, sondern einzusperren, ihre Art zu rechnen und ihre Art zu kochen. Jaja, alle Gewürze, außer Salz, haben wir von den Osmanen, Seldschuken oder Arabern bekommen und auch unsere Zahlen. Heute wäre niemand spontan in der Lage, seinen Monatslohn mit römischen Ziffern aufzuschreiben.
Die Muslime, die damals noch nicht so hießen, übernahmen von uns lediglich unsere Art, mit Andersdenkenden und Andersglaubenden umzugehen.
Etwas später übernahmen wir sogar deren grammatikfreie deutsche Sprache und ihre Bärte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Komischerweise schrieben und schreiben sich die Herrscher immer mit Blut in die Geschichtsbücher ein. Ihre Bedeutung und unser Grad der Verehrung werden schon immer an der Zahl der Toten gemessen, die unsere Helden zu verantworten haben. Das gilt bis heute. Bis auf eine schlecht rasierte Ausnahme, die es dann doch ein bisschen übertreiben musste.
Karl der Große, der um 800 als fahrender König durchs Land zog, den Deutschen eine Bildungsreform schenkte und eine Staatsverwaltung einführte, ist beispielsweise nur dafür bekannt, dass er die Westgoten und die Ostgoten im Frühmittelalter blutig wiedervereinigte und dann die Bayern, die heidnischen Sachsen unter Widukind, die Holländer, die Awaren und die Langobarden besiegte … und daraus das riesige Fränkische Reich mit Blut und Eisen zusammenschweißte. Hat ihm aber alles nix genützt. Der Franzosenkönig heißt heute Holland, Franken gehört jetzt zu Bayern, unser Staat ist weitgehend reprivatisiert und unsere Bildung … naja, seien wir mal ehrlich …
Den nächsten folgenschweren Ausflug Richtung Osten machte ein gewisser Marco Polo, der es ohne Schwert sehr weit in den Osten schaffte, und der dann die Seide, das Schießpulver und die Pest aus China mitbrachte. Als wir uns endlich davon erholt hatten, war erst mal Schluss mit Osten. Wir prügelten uns wieder untereinander.
Dass das Schießpulver schlussendlich weniger Menschen dahinraffte, als yersinia pestis, ist eine andere Geschichte.
Unterdessen versuchte ein geistig verwirrter Seefahrer, der vor allem durch sein Ei bekannt wurde, über den Westen in den Osten zu kommen und scheiterte an einer bis dahin still vor sich hinblühenden Landmasse. Nein, Kolumbus entdeckte Amerika nicht. Erstens waren mindestens die Wikinger vor ihm da, zweitens glaubte Kolumbus, er sei in Indien, weshalb die amerikanischen Ureinwohner bis heute Indianer genannt werden.
Der Italiener Amerigo Vespucci war der Erste, der Kolumbus’ Irrtum erkannte und von einem neuen Kontinent sprach. Deshalb wurde der Kontinent dann aus Versehen nach ihm benannt und nicht nach Kolumbus, der sich ja in Indien wähnte …
Was Kolumbus nicht schaffte, gelang 1498 Herrn da Gama. Der segelte vom Ende des Westens weiter nach Westen und kam dann in Indien an. Ein anderer Portugiese schaffte es 1522 dann sogar einmal rum. Da spätestens hätte man merken müssen, dass die Welt keine Scheibe ist. Hat man aber nicht. Während die Katholen tief im Westen und vor allem im Süden wüteten, machten die Osmanen, die ja im Grunde ihre Religion von den Katholen abgeschrieben hatten, deren erste Osterweiterung wieder rückgängig, indem sie über Konstantinopel herfielen.
Ins Land des Amerigo verbannte man unterdessen die fanatischsten Christen, die gierigsten Räuber und die schlimmsten Schwerverbrecher Europas – und ganz viele Wirtschaftsflüchtlinge, die dort bereits das übernächste Imperium gründeten, bevor die Deutschen mit ihrem nächsten überhaupt begonnen hatten … Aber das ist eine andere Geschichte.
1812 versuchte ein gewisser Napoleon seine eigene Osterweiterung. Nachdem er sich aus den Trümmern der ersten Republik ein Heer gezimmert hatte, fegte er – zack, zack – einmal quer durch Europa. Nur um dann in Russland im Schnee steckenzubleiben.
Kurz darauf kam in Preußen ein Mann an die Macht, dem Kaiser Wilhelm später beim Löffelabgeben sagen werden wird: „Es war mir eine Ehre, unter Ihnen Kaiser zu sein.“
Bismarck schlug die Franzosen vernichtend, weshalb die heute noch immer nicht mit uns reden, er ist außerdem daran Schuld, dass Österreich und Deutschland getrennte Wege gingen. Er ging als ein Hasser der Sozialdemokraten und als Konservativling in die Geschichte ein – und als der Einheitskanzler. Er schweißte das Deutschland noch mit Blut und Eisen zusammen, was später ein Kaiser Wilhelm der Zweite, ein paar Opportunisten und ein Österreicher zuschanden reiten sollten. Und, was sehr oft vergessen wird: Bismarck wollte nie in den Osten, weshalb es seinem Deutschland dann auch 40 Jahre lang relativ gutging. (Dass es Deutschland ohne Osten etwas später noch einmal 40 Jahre gutging, ist eine andere Geschichte …)