Mord im Goldfischglas - Anne Gard - E-Book

Mord im Goldfischglas E-Book

Anne Gard

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Beschreibung

Während ihrer jahrzehntelangen Ehe mit einem gewalttätigen Mann war der einzige Trost von Bäuerin Wally die Liebe zu Maximilian von Rosenburg. Nun liegt ihr Gatte kopfüber im Aquarium und Wallys Zukunft mit Maximilian steht nichts mehr im Weg. Fast nichts, denn leider ist ihr Angebeteter glücklich verheiratet und Wally hat sich nur in ihren romantischen Tagträumen ein gemeinsames Leben an seiner Seite vorgestellt. Wally muss sich also etwas einfallen lassen. Dann gibt es eine weitere Leiche am idyllischen Schliersee. Hängen die beiden Todesfälle zusammen? Ein kniffliger Fall für den vom Feuer entstellten Kommissar aus München, der weder feinfühlig noch freundlich ist, und für seine engelsgleiche Kollegin. Gemeinsam müssen sie klären, ob die Bäuerin eine eiskalte Mörderin ist. Tristan, der den Glauben an die Liebe verloren hat, und Isolde, die ihn retten will, weil sie trotz seiner groben Art sein goldenes Herz sieht.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Impressum:

Mord im Goldfischglas

Romance Alliance Love Shot Nr. 15

Von Anne Gard

Alle Rechte vorbehalten. Die Weiterverbreitung dieses Textes in elektronischer und anderer Form, auch von Auszügen oder Übersetzungen, ist nur mit schriftlicher Erlaubnis der Autorin gestattet.

1. Auflage, Oktober 2019

© Anne Gard – alle Rechte vorbehalten Gard, Anne. Mord im Goldfischglas. Romance Alliance Love Shot 15.

Herausgeberin: Katherine Collins

Kontakt: siehe Impressum

Lektorat: Jessica Weber

Covergestaltung: Anne Gards Bildmaterial von Pixabay unter Verwendung einer Vorlage von C.S.

Mord im Goldfischglas: Während ihrer jahrzehntelangen Ehe mit einem gewalttätigen Mann war der einzige Trost von Bäuerin Wally die Liebe zu Maximilian von Rosenburg. Nun liegt ihr Gatte kopfüber im Aquarium und Wallys Zukunft mit Maximilian steht nichts mehr im Weg. Fast nichts, denn leider ist ihr Angebeteter glücklich verheiratet und Wally hat sich nur in ihren romantischen Tagträumen ein gemeinsames Leben an seiner Seite vorgestellt. Wally muss sich also etwas einfallen lassen.

Dann gibt es eine weitere Leiche am idyllischen Schliersee. Hängen die beiden Todesfälle zusammen? Ein kniffliger Fall für den vom Feuer entstellten Kommissar aus München, der weder feinfühlig noch freundlich ist, und für seine engelsgleiche Kollegin. Gemeinsam müssen sie klären, ob die Bäuerin eine eiskalte Mörderin ist. Tristan, der den Glauben an die Liebe verloren hat, und Isolde, die ihn retten will, weil sie trotz seiner groben Art sein goldenes Herz sieht.

Romance Alliance Love Shots

Einfach mal wegträumen! Lesehappen mit Herz.

Unsere Love Shots sind ein praktisches Kurzformat von etwa 100 – 150 Seiten in unterschiedlichsten Romance-Genres: historisch, Cosy Crime, Gay Romance, Contemporary, Romantasy etc. zum kleinen Preis von € 2,99. Maximale Abwechslung und maximaler Lesespaß! Appetitliche Lesehappen für zwischendurch, ob auf Reisen, auf dem Weg zur Arbeit oder daheim auf der Couch.

Über die Autorin

Anne Gard glaubt an die Liebe. Da man aber auch die Liebe oft mit Humor nehmen sollte, schreibt sie freche Frauenromane mit einer Prise Komik und einem Augenzwinkern. Mit »Mord im Goldfischglas« veröffentlicht sie ihren ersten Cosy Crime.

Nach ihrem Umzug nach Deutschland erlag die Amerikanerin sofort dem Zauber der deutschen Sprache. Sie arbeitete viele Jahre im Personalwesen und lebt nun mit ihren Kindern im Alpenvorland, direkt vor den Toren Münchens. Sie ist Mitglied der Autorengruppe »Romance Alliance - Bücher mit Herz«. Mit der neuen Reihe der Love Shots bietet die Romance Alliance eine vielfältige Auswahl an Liebesgeschichten im Kurzroman-Format, die sich speziell für unterwegs eignen.

Von Anne Gard sind außerdem erschienen:

»Liebe auf den letzten Klick«, Forever by Ullstein, eBook

»Lizzy sucht die Liebe«, Romance Alliance Love Shot, DP Digital Publishers, eBook und Hörbuch

»Doppelt verliebt hält besser«, DP Digital Publishers, eBook und Print.

Impressum

Siehe letzte Seite

Kapitel 1

Die Sehnsucht im Kaffeehaferl

Das Leben hatte Wally mehr zugemutet, als sie es je für möglich gehalten hätte, wobei sie sich nicht selten die Frage stellte, ob diese traurige Tatsache dem Schicksal zuzuschreiben sei oder ihren eigenen Fehlentscheidungen. Fehlentscheidungen gab es so einige in ihrem Leben, gute Entscheidungen dagegen nicht allzu viele. Eine oder zwei und die betrafen eher Nichtigkeiten.

Eine Tasse Kaffee in der Hand, den Blick auf den Gemüse- und Kräutergarten des Höllhofes gerichtet, der schmerzlich eine Bäuerin mit grünem Daumen vermisste, saß sie am Frühstückstisch und dachte nach. Über ihr Leben, über den Hof, über Quirin und über Marianne.

Quirin war ihr Mann, Marianne war ihre beste Freundin, besser gesagt, ihre beste Freundin gewesen, damals, vor vielen Jahren auf der Landwirtschaftsschule.

Bei dem Gedanken, dass seit ihrer Schulzeit schon vierunddreißig Jahre verstrichen waren, entwich ihr über zu viel Vergangenheit und zu wenig Zukunft ein Stöhnen, insbesondere über die Tatsache, nicht glücklich und stolz auf diese Vergangenheit zurückschauen zu können.

Marianne dagegen hatte allen Grund, glücklich und stolz sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft zu blicken. Auch wenn Wally sich dafür schämte, so war sie doch immer neidisch auf ihre Schulfreundin gewesen. Während Wally sich im Buttermachen und in der Kleintierhaltung abmühte, angelte sich die hübsche Marianne ohne große Anstrengung den Schulrektor, was ihr nicht nur Bestnoten, sondern auch eine romantische Hochzeit samt anschließendem sorgenfreien Leben bescherte.

Wally dagegen war schon als junge Frau nicht hübsch gewesen. Und jetzt war sie es erst recht nicht – mit fünfzig Jahren und nach einem mühseligen Arbeitsleben auf dem Bauernhof.

Die schmalen, eng zusammenstehenden Augen, die wulstigen Lippen des zu kleinen Mundes und die Hakennase hatten ihr in Kindertagen den Spitznamen ›Staubsauger-Fresse‹ beschert. Damit wollten die Kinder ihr auf uncharmante Art erklären, ihr Gesicht sehe aus, als hätte sie es in den Schlauch eines Staubsaugers gesteckt, wodurch es auf unansehnliche Weise aus der Form geraten war.

Wally nahm einen weiteren Schluck aus ihrem Kaffeehaferl. Eigentlich sollte sie keinen Kaffee trinken. Ihre Nase und ihre Wangen waren von einem Spinnennetz rot-blauer Äderchen überzogen. Eine Folge der Arbeit im Freien – zu viel Sonne im Sommer, zu starke Temperaturschwankungen im Winter. Trank sie heißen Kaffee, was sie gern tat, wurde die Rötung noch intensiver.

Müde wanderte ihr Blick hinaus durchs Fenster. Sie ließ ihn umherschweifen, sah aber weder die Weide voller Kühe, den beachtlichen Hof unweit des schönen Schliersees, die modernen Stallungen, den neuen Traktor, der vor der Scheune stand, noch die beiden Mercedes, die die Auffahrt säumten. Sie sah eine Vergangenheit voller Arbeit und Mühsal eines bäuerlichen Lebens - und mit dieser Vergangenheit kamen die Fragen.

Wie wäre ihr Leben verlaufen, wäre sie hübsch genug gewesen, um einen Mann wie den stattlichen Schulrektor auf sich aufmerksam zu machen? Venedig hätte sie dann sicher schon längst besucht. Sie würde regelmäßig im Restaurant speisen, anstatt tagtäglich am Schürherd der alten Bauernküche zu stehen. Und sie würde vielleicht sogar einer sportlichen Aktivität nachgehen, anstatt schon früh morgens im Stall zu schuften. Tennis oder Golf. Auf jeden Fall eine Sportart, die von Eleganz und Stil zeugte. Und überhaupt – wozu um vier Uhr morgens aufstehen? Nein, ihren Tag würde sie erst um acht oder neun Uhr mit einer schönen Tasse Kaffee und dem Lesen der Zeitung beginnen. Allerdings hatte der Schulrektor sie nie interessiert. Marianne konnte ihn also getrost behalten.

Ihr Herz hatte sie längst einem anderen Mann geschenkt.

»Morgn!«, kam es im mürrischen Ton von der gegenüberliegenden Ecke der bullig warmen Wohnküche, als Quirin den Raum betrat und sie unsanft aus ihren Gedanken riss.

›Unsanft – ja, das trifft auf Quirin zu‹, dachte Wally, während sie müde in ihre heiße Kaffeetasse schnaufte und ihn keines Blickes würdigte. Wozu sollte sie ihn ansehen? Sie wusste auch so, dass Quirin weit davon entfernt war, ein stattlicher Schulrektor zu sein.

»Und? Bist imma no beleidigt?«, knurrte Quirin. Wally zuckte nur mit den Schultern, während sie eine Strähne ihres borstigen Haares zurück in den Dutt steckte.

Sie hatte ihm oft genug erklärt, wie wichtig ihr die Reise nach Venedig gewesen wäre. Schließlich wird man nicht jeden Tag fünfzig Jahre alt. Sie träumte schon so lange von Venedig. Verliebt in einer Gondel sitzen, eng aneinander gekuschelt die romantische Stimmung des Canal Grande mit seinen Palästen auf sich wirken lassen. Verstohlene Küsse, warme Haut, den Zauber des Verliebtseins spüren. Sich der Glückseligkeit hingeben, den Mann gefunden zu haben, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte.

»Maximilian«, hauchte sie in ihr Kaffeehaferl.

»Wos moanst?«, hakte Quirin nach und begutachtete sie strengen Blickes. Wally schwieg. Was sollte sie ihm auch sagen? Dass sie Venedig mit Maximilian erleben wollte? Und dass sie genau das tat, jeden Tag in ihrem Kopfkino, während sie die Kühe melkte, das Heu einfuhr, die Äpfel erntete oder ihren lieblosen Gatten befriedigte?

»Maximilian? Meinst den von Rosenburg? Der schicke Herr Von und Zu, der an protzigen Porsche fährt und mit seiner zwanzig Jahr jüngeren Frau auf dem großen Gutshof am Tegernsee wohnt? Ham die vielen Geburtstagskerzen a no deine letzten Gehirnzellen verbrennt?«

Ja – genau das würde Quirin sagen, würde sie ihm jetzt die Wahrheit erzählen. Also schwieg sie und Quirin fragte auch nicht nach, wessen Namen sie gerade in ihr Haferl gemurmelt hatte. Weil es ihm egal war. Wie alles, was sie tat.

Kapitel 2

Spieglein, Spieglein an der Wand

»Essen«, rief Tristans Mutter schon zum dritten Mal hoch in sein Zimmer, aber er rührte sich nicht.

Er stand vor dem Spiegel und zauderte mit sich selbst. Wie so oft, wenn er seinem Abbild gegenüberstand. Warum konnte er nicht zum Durchschnitt gehören? Zu der Art Durchschnitt, die keinen bleibenden Eindruck hinterließ. An die sich niemand erinnern konnte, kaum war derjenige wieder aus dem Moment der Begegnung verschwunden.

Jeden Morgen bestellte Tristan sich beim Bäcker einen heißen Coffee to go. Wie sehr er sich wünschte, dass es in den Augen der Verkäuferin keinen Funken des Wiedererkennens gäbe. Dass die anderen Kunden keine Notiz von ihm nähmen. Dass er durch die Straßen Münchens laufen könnte, ohne dass sich jemand nach ihm umdrehte. Dass seine Mutter nicht mit dieser Mischung aus Traurigkeit und Ablehnung geradewegs durch ihn hindurchsah. So viele Wünsche und kein einziger würde sich erfüllen.

Letztendlich spielten all die Menschen, die aus ihm eine Kuriosität machten, keine Rolle. Es gab etwas, was ihn von allen anderen unterschied. Dieses unbändige Feuer, das sein Inneres erhellte, viel mehr noch, sein Inneres lichterloh brennen ließ.

Er spürte das Feuer in sich, so sehr, wie er es an jenem schicksalsträchtigen Tag auf seiner Haut gespürt hatte. Äußerlich hatte es ihn entstellt. Innerlich ein Begehren nach mehr erweckt. Selbst wenn er nicht wusste, nach wem oder was er sich verzehrte, machte dieses Begehren ihn zu etwas Besonderem.

Dieses Begehren und die Hoffnung, dass es irgendwann doch gestillt werden könnte, ließen die Folgen des Tages, der sein Leben verändert hatte, beinahe vergessen. Beinahe, denn an manchen Tagen – oder war es gar öfter als an manchen Tagen, vielleicht sogar täglich – machte er seiner Mutter Vorwürfe, ihn seit diesem Tag nicht mehr geliebt zu haben. Dann jedoch schaltete sich die Vernunft wieder ein, denn wer könnte so ein hässliches Monster schon lieben?

»Tristan!«, hallte es ungeduldig hoch in sein Zimmer.

»Ich komme schon«, antwortete er ruhig.

Er wollte nicht mit seinem Schicksal hadern. Als gern gemiedener Außenseiter hatte er viel Zeit gehabt, sich mit dem Schulstoff und später mit dem Studium zu beschäftigen. Zensuren machen keinen Unterschied zwischen schön und hässlich.

Er hatte sich leicht getan in Mathematik und Physik, aber ganz besonders hatten ihn Fächer wie Ethik, Religion und Psychologie interessiert.

Die Religion hätte ihm ein Anker sein können, ein Wegweiser, aber dann konnte er dieser seltsamen Faszination für das Böse nicht mehr widerstehen.

Geschichten über Vergewaltiger, Betrüger und Diebe erregten immer mehr seine Aufmerksamkeit. Seine größte Schwäche galt jedoch den Mördern.

Er selbst wollte töten. Seine Mutter. Dafür, dass sie ihn als Fünfjährigen allein gelassen hatte. Wo immer sie damals gewesen war, es hatte viel zu lange gedauert, bis sie zurückgekommen war. Er hatte einen Knall gehört und sich im Schrank versteckt. Und dann vernahm er das Knistern, spürte die Hitze. Diese unbändige Höllenhitze, die seine Haut versengte und seine Knochen schmelzen ließ.

Man suchte erst nach ihm, nachdem seine Mutter den Feuerwehrmännern begegnet war und ihnen von ihrem kleinen Jungen erzählt hatte.

Erneut durchsuchten die Feuerwehrleute die Wohnung und fanden den Jungen schwerverletzt im Schrank, die Trainingsjacke aus Polyacryl auf die Haut geschweißt, die Jeans durchnässt vom Löschwasser. Kurz bevor die Flammen ihn getötet hätten, hatte ein Feuerwehrmann den Schlauch auf den Schrank gerichtet. Nicht ahnend, dass sich ein kleiner Junge darin versteckte. Auch diesen Mann wollte Tristan töten.

Ja, Tristan verspürte eine Faszination für das Böse. Aber Tag für Tag unterdrückte er den Wunsch, sich für sein unglückliches Leben zu rächen. Das gelang ihm am besten im Kampf gegen das, was auch in ihm verborgen war. Er war gut in seinem Job, denn wer wäre für die Mordermittlung besser geeignet als ein Mann, der das Böse in sich trug und daher nur allzu gut wusste, wie ein Mörder tickte.

Er wandte den Blick vom Spiegel ab, entledigte sich der Krawatte und des Hemdes, schlüpfte in seinen Jogginganzug und humpelte hinunter ins Esszimmer. An diesem Tag machten ihm die deformierten Knochen wieder ganz besonders zu schaffen.

»Da bist du ja endlich. Ich stehe stundenlang in der Küche und du siehst es nicht mal als notwendig an, pünktlich zum Abendessen zu erscheinen.«

»Danke, Mama«, sagte Tristan und umarmte seine Mutter.

Sanft lächelte er sie an, während sie spröde zurückwich.

»Danke für was?«, fragte sie argwöhnisch.

»Ohne dich wäre ich nie in den Polizeidienst eingetreten.«

»Dann ist’s ja gut. Und jetzt setz dich hin. Es gibt Rouladen und danach einen Schokopudding.«

Schokoladenpudding war ihre Antwort auf alle Fragen, ihr Trost in Stunden so dunkel wie die Schokolade selbst.

»Wir haben ihn überführt«, berichtete Tristan. »Er sitzt bereits in Untersuchungshaft.«

An diesem Tag hatte er den Vergewaltiger und Mörder einer 16-Jährigen verhaftet.

»Gut gemacht!«, lobte ihn seine Mutter. »Deswegen habe ich dich Tristan genannt. Ich habe immer gewusst, dass du eines Tages ein Held sein wirst.«

Ihre Worte hätten ihm Trost schenken können, aber sie sagte sie ohne emotionale Regung, ohne Wärme in den Augen, ohne jegliche Überzeugungskraft. Sie senkte den Blick, während Tristan sie nüchtern betrachtete und wie einen seiner Verdächtigen analysierte.

Sie war eine schlechte Lügnerin. Bisher hatte er jeden Fall aufgeklärt und auch seine Mutter war ein offenes Buch für ihn. Letztendlich wünschte sie sich ein Leben befreit von ihren Sünden. Ohne ihren Sohn, der sie tagtäglich daran erinnerte, was für eine schlechte Mutter sie an jenem Tag vor dreißig Jahren gewesen war. Von wegen ›Die Zeit heilt alle Wunden‹. Er erinnerte sich an viele Nächte, in denen er allein gelassen worden war. Ganz besonders natürlich an diese eine.

Kapitel 3

Träume sind Schäume … oder doch nicht?

»Des Leben hat mi überganga«, sagte Maria mit trauriger Stimme. »Einfach vergessen.«

Maria war schon auf dem Gehöft gewesen, als Wally als junges Mädel drei Bauernhöfe weiter gewohnt hatte. Ihre Eltern hatten ihren Hof verloren, durften aber weiterhin im kleinen Austragshäusl wohnen, das für frühere Altbauern als Wohnstätte nach der Hofübergabe errichtet worden war. Ab und zu vermieteten sie ein Zimmer an Touristen, die am idyllischen Schliersee urlaubten, um sich ein kleines Zubrot zu verdienen.

Aber das war vor langer Zeit. Nun war Wally Bäuerin des großen Höllhofes.

»Was redst denn da für an Unsinn?«, fragte Maria. »Dir gehts doch gut. Du bist gsund und munter. Schau dir nur den Zappe an. Seit seinem Schlaganfall hat er nimma alle Latten am Zaun. Abgsehen davon gehts dir finanziell guat und deine Kinder san scho ausm Haus.«

»Ist des ois, was ich vom Leben erwarten soll? Alle Latten am Zaun, Geld und dass die Kinder auszogen san?«

»Ich wär damit zufrieden.«

»I aber ned.«

Wally stöhnte. In ihrem Leben gab es keine Liebe, keinen liebenden Ehemann, nur Tag für Tag die gleiche Routine, die gleichen Alltagsprobleme. Die gleiche Traurigkeit. Diese ewige Düsternis, der sie nur durch ihre Träume entkam. Träume von Maximilian.

Aber selbst die wurden irgendwann zur Routine. Immer wieder neue Phantasien, neue Anreize auszudenken, war auf Dauer ermüdend. Schließlich wurde ihre Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach dem Gefühl warmer Haut, nach leidenschaftlichen Küssen und sanfter Umarmung nie gestillt. Auch wenn sie mit ganzem Herzen davon träumte, spürte sie weder seine Haut noch seine Hände, seine Lippen, egal wie sehr sie es versuchte.

Anfangs hatte es ihr genügt, sich ein Leben als seine Ehefrau vorzustellen, ohne seine Zärtlichkeiten in der Wirklichkeit zu spüren. In letzter Zeit jedoch vermochten diese Träume sie immer weniger zu befriedigen. Und das ängstigte sie. Was, wenn ihre Tagträume gänzlich an Wirkung verlieren würden? Was bliebe ihr dann? Nur der Sprung von der Autobahnbrücke hoch über dem Mühltal. Denn wie hieß es so treffend: ›Der Tod ist das Ende aller Not!‹ Jawohl!

Als könnte Maria ihre Gedanken lesen, nahm sie ihre Hand, rau von der harten Arbeit auf dem Hof. »Tu nix Unüberlegtes. Sei dankbar für des, was’d hast. Ich hätt mir einen Mann gwünscht. Und Kinda. Von Geld will ich gar ned erst reden. Ich kenn dich schon vui zu lange. Du wolltst imma mehr. Aber mir san vom gleichen Schlag, du und i. Mehr gibts für uns beide ned und du bist vom Leben scho reich genug beschenkt worden. Lass es guat sein, Wally.«

Maria kannte sie immer noch am besten und nur sie durfte so mit ihr reden. Möglicherweise hatte sie ja recht und sie sollte sich ihre Worte zu Herzen nehmen – dankbar sein für ihre gesunden Kinder und die finanzielle Sicherheit.

Aber dann, eines sonnigen Tages, erinnerte sich das Leben an sie, indem es ihr den Franzl schickte. Er stand vor ihrer Tür, einen Packen Briefe in der Hand, obenauf ein eierschalenfarbenes Kuvert, der Absender mit geschnörkelter Schrift geschrieben: Maximilian von Rosenburg.

Ehrfürchtig nahm Wally den Brief in die Hand und traute sich den ganzen lieben Tag lang nicht, ihn zu öffnen. Womöglich enthielt er nur eine belanglose Mitteilung, selbst wenn sie nicht wusste, was Maximilian ihr Belangloses mitteilen sollte, und dann wäre dieser schöne Tag ein trauriger Tag.

»Mach ihn auf«, ermunterte sie Maria.

»Später«, versicherte sie ihr. Wenn sie den Brief so lange wie möglich ungeöffnet mit sich herumtrug, konnte sie in ihrem Wolkenkuckucksheim die schönsten Gedanken zum Leben erwecken.

Stunde um Stunde bewahrte sie ihn unter ihrem Büstenhalter, ganz nah an ihrem Herzen. Erst am Abend, als sie mit Maria die Brotzeit vorbereitete, legte sie ihn auf den Küchentisch. Ehrfürchtig starrten Wally und Maria den Brief an. Just in dem Moment kam Quirin herein.

»Wos gibts zum Essen?«, fragte er mürrisch. Schon im gleichen Moment stürzte er sich auf den ungeöffneten Brief. Mit einem Küchenmesser schlitzte er ihn auf barbarische Weise auf.

»Ned!«, schrie Wally, aber da war es schon zu spät. Ihr blutete das Herz über diese Schändung.

»O leck!«, rief Quirin aus. »Der Maxl feiert sechzigsten Geburtstag. Ja – auch an ihm gehn de Jahr ned spurlos vorüber!« Seine hämische Lache ließ Wally frösteln. Achtlos warf er den Brief zurück auf den Küchentisch. »I geh ins Wirtshaus.«

»Und das Abendessen?«, fragte Wally. »Ich hab doch extra eine Sülzen gemacht.«

»Gibs der Stasi, die freut sich.«

Stasi war ihr Jagdhund.

Wally stöhnte erschöpft. Das Fleisch durch den Wolf zu drehen und alles bis zur gewünschten Konsistenz einzukochen, war viel Arbeit gewesen. Aber was hatte sie auch erwartet? Ein Lob? Von Quirin?

»Da lachst sogar du, gell Stasi?«

Stasi schenkte ihr einen aufmerksamen Blick aus treuen Hundeaugen und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Wally, ein breites Lächeln auf ihren Lefzen zu sehen.

»Dann essen wir beide eben allein, Maria.« Wally holte zwei große Portionen Sülze und zwei Glas dunkles Bier, setzte sich auf die Eckbank und lies es sich schmecken, während sie den Brief sorgsam vor sich ausbreitete und die Knicke glättete, die Quirin verursacht hatte. In schweigender Eintracht saßen die Frauen nebeneinander.

»Jetzt lies scho!«, ermunterte Maria sie. Wally legte die Gabel beiseite. Langsam und still las sie die Zeilen, um jeden Buchstaben, jedes Wort gebührend auszukosten.

»Jetzt machst es aber gar spannend«, moserte Maria. »Sag scho – was steht drin?«

»Quirin hat recht«, erklärte Wally mit klopfendem Herzen. »Zu Maximilians sechzigsten Geburtstag wirds ein großes Fest geben und Quirin und ich san eingeladen.« Wally presste den Brief an ihre Brust. Lächelnd lehnte sie sich zurück.

»So gut kennt ihr den Maximilian, dass er euch zu seinem Geburtstag einlodt?«, hakte Maria nach und konnte ihr Erstaunen nicht verbergen. Quirin war ein Bauer, Wally seine Bäuerin und Maximilian ein Gutsherr adligen Geschlechts. Ihre Frage war berechtigt.

»Ich war auf der Landwirtschaftsschule und hab ein Praktikum auf seinem Gutshof gmacht. Es war mein erster Tag. Ich sollt die Melkanlage bedienen. Aber du kennst mich ja, Maria. Ich stell mich doch immer so ungschickt an. Manchmal bin ich halt eine richtig dumme Urschel.«

Die Magd nickte zustimmend, was Wally nun doch irritierte. Sie hatte gehofft, Maria würde ihr widersprechen. Wenn nicht aus Überzeugung, dann aus Höflichkeit, schließlich war sie die Bäuerin und Maria die Magd.

»Der Schlauch von der Melkmaschine löste sich und spritzte mich über und über mit roher Milli voll. Da kam Maximilian in den Stall und ich dacht mir - jetzt ist’s aus. Er wird mich rauswerfen. Verdient hätt ich es. Seine Milch zu verschütten! Aber Maximilian war ned wütend. Er lachte sogar über mein Missgeschick.« Wally hielt einen Moment inne. Allein bei dieser Erinnerung spürte sie die Wärme seiner Haut, als er ihr den Schlauch aus der Hand genommen hatte. ›So musst du des machen, Mädel‹, sagte er und dann zeigte er mir, wie man die Maschine bedient. Er war so geduldig.«

Und auch liebevoll, fügte sie im Geiste hinzu.

»Und nach dem Praktikum«, fuhr sie mit einem Lächeln fort, »hat er mich eingestellt. Es war das schenste Jahr meines Lebens. Aber dann bin i schwanger geworden. Nachm Dorffest. Quirin hatte ganz schön gsoffen.« Wally machte eine Pause. Sie brauchte Zeit, aus der Vergangenheit wieder zurückzukehren.

»Damals war er noch mit Astrid zusammen«, erzählte sie weiter. »Aber die Astrid, die hat ihn ned gewollt. So war das immer. Die Mistmatz hat immer bekommen, was sie wollt, und dann wollt sie es nimma. Sie hat den Quirin einfach stehenglassen. Ich seh sie noch vor mir, als wärs gestern gewesen. Er wollt sie küssen, da hat sie ihm eine gewatscht. Ich hab sie ned verstanden. Damals ned und heute auch ned. Er war doch ihr fester Freund. Auf jeden Fall wurde Quirin dann ganz schön zündig. Er war grob zu ihr, packte sie am Haar und zog ihren Kopf nach hinten. Dabei war er vorher nie grob zu ihr gewesen.«

Wally schwieg einen Augenblick und auch Maria sagte nichts. Wally dachte darüber nach – und Maria vermutlich auch, wenn sie ihre Miene richtig deutete -, dass Quirin niemals grob zu Astrid gewesen war, Grobheit aber in seiner Ehe mit ihr auf der Tagesordnung stand. Körperlich wie verbal.

»Quirin küsste sie wie ein Wilder und hat sie vor alle Leut angrapscht«, fuhr Wally fort. »Sie hat sich gwehrt, was Quirin noch wütender gmacht hat. ›Wenn du jetzt gehst, brauchst nimmer kommen‹, hat er ihr an den Kopf geworfen. Was Astrid Wurst war. Sie hat sich einfach umgedreht und is ganga, ohne sich ein einziges Mal nach ihm umzusehen.« Wally schwieg.

»Ja - und dann?«, drängte Maria sie weiterzuerzählen.

»Sie hat ned amal mitbekommen, dass er mich packte und abbusselte. Ich stand die ganze Zeit ja neben Astrid und Quirin. Ich wusst gar ned, wos da grad passiert.«

Betroffen schaute Maria die Wally an.

»Er hat sich doch nie für mich interessiert, imma nur für die Astrid – für meine fesche, gschnappige Schwester. Aber plötzlich wollt er mich. Und es war mir egal warum und erst recht, dass es der Freund meiner Schwester war. Endlich hat mich ein Mann angeschaut. Ja, und dann bin ich am gleichen Abend schwanger geworden.«

Mit Schaudern tauchten die Einzelheiten dieser Sommernacht vor ihrem inneren Auge auf.

Quirin war nicht die Art liebevoller Mann, den man sich für die erste sexuelle Erfahrung wünscht. Wally war noch Jungfrau gewesen. Es blieb bei dieser einzigen Nacht am Waldesrand, aber seine Eltern zwangen ihn, Wally zu heiraten. Das ganze Dorf hatte mitbekommen, wie er sich ihrer geradezu bedient hatte, es wurde sogar der Vorwurf einer Vergewaltigung laut. Die Hochzeit sollte dem Gerede ein Ende bereiten.

»Wally, denk nimma drüber nach. Der Herrgott hats so gewollt.«

»Hat er das? Hat der Herrgott gewollt, dass ich den Quirin heirate und ned den Maximilian?«

Maria entfleuchte ein hämisches Lachen. »Als hätte der Maximilian dir einen Heiratsantrag gemacht!«, spottete sie.

Dann verstummte Maria. Offenbar hatte sie erkannt, dass die Worte ernst gemeint gewesen waren.

Mit wütendem Schwung erhob sich Wally vom Esstisch, während sie Maria erbost taxierte. Sie ärgerte sich über die unangebrachte Vertraulichkeit zwischen ihnen, an der sie selbst Schuld trug, mehr noch aber ärgerte sie sich über die Respektlosigkeit ihres Dienstpersonals.

Sie klemmte sich die Einladung unter den Arm und verließ die Stube. Sie versuchte, nicht mehr an Maria und ihre Worte zu denken, sondern sich auf das zu freuen, was vor ihr lag. Eine Nacht mit Maximilian. Dank seiner Einladung war er mehr denn je präsent in ihrem Leben.

Wally putzte sich die Zähne, schlüpfte in ihr Nachthemd und zog die Vorhänge zu. Im Schein der Nachttischlampe las sie Maximilians Einladung immer und immer wieder, aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Anstatt von ihrem Liebsten zu träumen, ärgerte sie sich doch tatsächlich immer noch über Marias Worte.

Wie unrecht ihre Magd doch hatte! Maximilian hätte ihr ganz sicher einen Antrag gemacht, wenn sie nur mehr Zeit in seiner Nähe hätte verbringen können.

Aber dann hatte Quirin sich zwischen sie und Maximilian gestellt. Sonst wäre sie schon längst Frau von Rosenburg. Er hätte sie näher kennengelernt und ihre inneren Werte erkannt. Ihr Äußeres hätte keine Rolle mehr gespielt. Maximilian war ein guter Mensch. Ein feiner Mensch. Er hätte sie geliebt, weil er ihr Herz gesehen hätte. Und wie viel Liebe sie ihm erst hätte geben können. Er wäre glücklich geworden mit ihr als seine Ehefrau.

Aber Quirin hatte sich ihrem Glück in den Weg gestellt. Das durfte nicht noch einmal passieren.

Kapitel 4

Die Pflichten einer Bäuerin

Erschrocken erwachte Wally aus ihrem Schlaf. Gerade noch hatte sie etwas Wundervolles von Maximilian geträumt. Was genau, wusste sie nicht mehr, nur dass es wundervoll gewesen war. Wie immer, wenn sie von ihm träumte.

Was sie wohl geweckt hatte? Verschlafen richtete sie sich auf und schaltete die Nachttischlampe an. Ein Geräusch auf dem Flur ließ ihr den Atem stocken.

»Kruzitürken!«, fluchte Quirin.

Er war gegen die Kommode oder gegen einen Türrahmen gestoßen.

Ein erneutes Poltern, dann fiel etwas zu Boden. Das Geräusch von berstendem Glas ließ sie erschrocken aufschreien. Sofort legte sie die Hand auf ihren Mund. Nur nicht Quirins Aufmerksamkeit erregen.

Eines der Bilder, die auf der Kommode standen, war wohl zu Boden gefallen. Fotos ihrer Kinder. Aber nicht der Gedanke über Quirins Unachtsamkeit gegenüber ihren gemeinsamen Erinnerungen ließ sie schaudern, viel mehr war es die Furcht vor den kommenden.

Quirin hatte getrunken. Alkohol machte ihn maßlos. Dann redete er zu viel, pöbelte zu viel, schimpfte und fluchte zu viel. All das könnte sie ertragen, wenn er dann nicht auch noch zu viele Hände hätte. Hände, die sie schlugen, die sie bedrängten, die mit grober Gewalt von ihr Besitz nahmen, auch wenn er sie schon längst nicht mehr begehrte.

Die Tür wurde aufgestoßen, krachend schlug sie gegen die Wand.

»Du bist also no wach«, lallte Quirin. »Dann leg dich scho mal hin. Zeit, dass du wieder mal deinen ehelichen Pflichten nochkummst, du alte Schachtel.«

Er war noch nicht mal an ihrem Bett, trotzdem roch sie den Rauch, den Alkohol, den Wirtshausduft und seinen Schweiß. Ihr ekelte vor seinem Geruch. Selbst ohne Rauch, Alkohol oder Schweiß. Selbst wenn er frisch geduscht neben ihr im Ehebett lag. Schwankend trat Quirin an sie heran, zeitgleich streifte er ungelenk die Riemen seiner Lederhose herab. Dann stand er vor ihr, in seiner ganzen Hässlichkeit, und ließ seine Hose zu Boden gleiten. Erschrocken zog sie die Decke bis unters Kinn. Als würde ihr das etwas nutzen.

»Jetzt zier dich ned so! Will dich doch eh kein anderer haben! Sonst hätt i di schon längst los, du oide Schäsen!«

»Quirin, ich bitt dich!«, flehte ihn Wally mit eindringlicher, aber leiser Stimme an. Das Dienstpersonal hatte über die Jahre schon viel zu viel mitbekommen. Selbst in solchen Augenblicken dachte Wally an den guten Ruf der Familie.

»Du bist zu nix zu gebrauchen. Du bist ein absoluter Loser, wie man heitzutag auf Neideitsch sagt. In der Küche, auf’m Hof, als Muatter und Ehefrau, aber vor allem im Bett. Wurscht. Für heut Nacht tust es schon.«

»Quirin, bitte, ned.« Wally wusste, ihr Flehen reizte ihn nur mehr. Ihre Hilflosigkeit stachelte ihn an. Trotzdem hatte sie jedes Mal die Hoffnung, an sein Mitgefühl appellieren zu können. Aber auch dieses Mal lachte er nur hämisch. Stolpernd und mit unkontrolliertem Schwung warf er sich auf sie. Seine Hand knetete ihr Fleisch, vor Schmerz schrie sie auf.

»Du blöde Kuh!«, beschwerte sich Quirin. »Meine Ohren!« Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck rollte er sich zur Seite, da raschelte es plötzlich unter seinem Gewicht.

Wally schnürte es die Kehle zu vor Angst. Er hatte die Einladung entdeckt. Sie hatte sie an ihr Herz gedrückt und immer wieder gelesen und dann war sie mit der Einladung in der Hand eingeschlafen. Wie dumm sie war! Quirin hatte recht. Sie war zu nichts zu gebrauchen. Sie hasste sich dafür, dass Maximilians unschuldiges, reinweißes Büttenpapier erneut Quirins grobschlächtigen Händen ausgeliefert war.

Quirin warf einen Blick auf seine Errungenschaft.

»Gib die Einladung wieder her!«, forderte sie ihn in ungewohnt forschem Ton auf.

Zuerst lag nur ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen, aber schon beutelte ein wildes Lachen seinen dürren, von harter Arbeit ausgemergelten Körper.

»Ja, da schau her, die Wally! Wenn eine alte Hütten brennt, dann brennts gscheid!« Er klatschte sich auf die Oberschenkel vor Lachen. Von einer Sekunde auf die andere jedoch erlosch sein Grinsen. »Du meinst doch ned im Ernst, dass der Maxl sich für dich interessiert, du damische Gretel? Hast du das geglaubt? Das sieht dir wieder ähnlich! Nein, Wally – es geht einzig und allein um mich. Mir zwei, der Maxl und ich, wir machen ein großes Gschäft miteinander. Einen Bio-Handel. Aber vom Geschäft hast du ja genauso wenig Ahnung wie vom Hof oder von der Hauswirtschaft oder von meinem harten Ständer, der dich jetzt gleich durchbohren wird, bis du um Gnade winselst!«

Achtlos warf er die Einladung auf das Bett und packte Wally bei den Schultern. Schon lagen seine bierfeuchten Lippen auf ihrem Hals. Er begann zu saugen, zu lecken, sogar zu beißen. Die Bisse wurden tiefer, der Schmerz unerträglich, aber größer als diese Pein war die Angst, er könne Maximilians wunderschöner Einladung Knicke und Risse zufügen, das Papier schlimmer schänden als er sie je schänden könnte.

Mit einer Hand versuchte Wally ihn abzuwehren, mit der anderen tastete sie nach der Einladung.

Er schob ihr Nachthemd hoch, so dass ihr Busen frei lag. Er quetschte und drückte ihre Brust, während seine Zähne unablässig ihrem Hals Bisse zufügten. Ihre Hand irrte in hektischer Verzweiflung über die Decke, aber sie konnte die Einladung nicht ertasten. Sie würde einen Blick riskieren müssen, was gleichzeitig bedeutete, den Hals so zu drehen, dass Quirin dieses empfindliche Körperteil noch intensiver malträtieren könnte. Aber ihr blieb keine andere Wahl.

Sie drehte den Kopf weg und er biss zu wie ein blutgieriger Vampir. Wally schrie auf, aber nicht nur vor Schmerz, sondern vor Erleichterung, das Objekt ihrer Begierde endlich in Händen zu halten. Nichts könnte jetzt ihr Glück noch trüben, nicht mal Quirins Allmacht in ihrem Bett. So dachte sie zumindest, bis Quirin unerwartet von ihr abließ und sie mit finsterem Blick taxierte. Plötzlich wich die Lüsternheit in seinen Augen der puren Schadenfreude und als er Luft holte, fröstelte Wally bei dem Gedanken, was er ihr mitteilen würde.

»So hast du dir das also gedacht. Dass du mich zu Maxls Feier begleitest. Da hast dich aber geschnitten! So einen Drutschn nehme ich ganz sicher nicht mit. Blamierst mich bloß. Du bleibst schön daheim!« Er riss ihr die Einladung aus der Hand.

»Nicht, Quirin, ich bitt dich inständig! Gib mir die Einladung zurück!«

Er könnte alles mit ihr machen, wenn er ihr nur diesen Traum ließe. Den Traum von Maximilian, von einer glücklichen Ehe, von diesem glänzenden Fest an Maxls Seite.

Wally schloss die Augen und versank in ihrer Welt, einem Paralleluniversum, in dem Quirin nicht existierte.

Dreißig Jahre waren Maxl und sie schon verheiratet und um diesen Freudentag zu feiern, hatten sie den Festsaal des Guts mit viel Liebe und Aufwand geschmückt. Die Einladung, auf teurem Büttenpapier geschrieben, in ebenso teuren Büttenpapierkuverts verpackt, hatten sie schon vor Monaten verschickt und fast alle Gäste hatten zugesagt. Zum Glück bot das Gut genügend Platz, eine so große Feier ihnen zu Ehren im gebührenden Rahmen abzuhalten.

Selbstverständlich war der Herr Pfarrer da, um das glückliche Ehepaar in einer würdigen Messe zu segnen. Ihre Kinder waren auch gekommen, um sie zu ehren.

Die Gäste trugen Tracht, wie auch das Ehepaar selbst. Maximilians Einstecktuch hatte die gleiche Farbe wie ihre Dirndlschürze.

Nach der Messe gab es einen Sektempfang. Dann wurde an einer langen, mit weißen Damasttischdecken drapierten Tafel gespeist – Bio-Rind und allerlei Gemüse aus dem hofeigenen ökologischen Anbau.

Das Silber glänzte, das Kristallglas glitzerte und die Kronleuchter brachten das Ganze noch mehr zum Strahlen. Und diese wunderschönen Blumen. Wie sie Blumen liebte!

Da überreichte Maximilian ihr eine einzelne, perfekt gewachsene rote Rose. Er hatte nicht vergessen, dass dies ihre Lieblingsblume war. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und sie verschmolzen in einem nicht endenden Kuss …

Als Maria sie fand, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Notarzt zu rufen. Auch wenn Wally ihr dies in der Vergangenheit mehr als nur einmal untersagt hatte.

Kapitel 5

Von Helden und Engerln

Dagmar begleitete Isolde zu ihrem Stuhl. Die beiden Frauen waren beste Freundinnen seit Grundschultagen. Obwohl Isolde das schönste Mädchen der ganzen Klasse, ja, der ganzen Schule gewesen war und nun die schönste Frau des ganzen Polizeipräsidiums München, stand diese Tatsache nie zwischen den beiden Frauen.

Auch Dagmar liebte es, Isolde wie ein goldenes, aber verletzliches Wesen von einem anderen Stern zu behandeln, von dem man Probleme oder Belastungen des normalen Lebens fernhalten musste.

Den Menschen fiel es schwer, ihre Aufmerksamkeit von diesem leuchtenden Engerl abzuwenden. Manch einer befürchtete, der Verlockung nicht widerstehen zu können, ihren zartgliedrigen Körper zu berühren, ihre Haut schimmernd wie samten-weiße Milch zu streicheln oder das goldblonde Haar durch die Finger rieseln zu lassen. Weich legte es sich auf ihre Schultern. Es lockte sich ihren wohlgeformten Körper hinab, von den runden, festen Brüsten bis zur schmalen Taille, und verführte nicht nur die Männer, diesen Umhang der Jungfräulichkeit zu lüften, um dem darunter verborgenem elfenartigen Wesen näher zu kommen.

Unnötig zu erwähnen, dass Isoldes Zähne perfekt, ihre Beine lang waren und ihre Haltung grazil wie die einer Ballerina. Obendrein hatte sie ein sanftes Wesen, das ihr noch mehr die Aura der Zerbrechlichkeit und Reinheit verlieh.

»Jetzt erzähl mal«, forderte Dagmar sie auf. »Wie gefällt es dir als Frau Kriminalbeamtin?«

Obwohl Isolde absolut nicht dem Klischee einer Polizistin entsprach, hatte sie schon vor Bestehen der Aufnahmeprüfung gewusst, dass ihr Wunsch Realität werden würde. Isolde bekam immer, was sie wollte. Um ihre Träume und Ziele zu verwirklichen, benötigte sie nicht einmal eine besondere Willenskraft oder große Ausdauer.

Den Aufnahmetest hatte sie dann auch mit Leichtigkeit geschafft. Schönen Menschen fällt vieles in den Schoß, was sich weniger Gesegnete erst hart erkämpfen müssen. Das wusste auch Dagmar, trotzdem war sie nie eifersüchtig auf ihre Freundin.

Selbst jetzt nicht, als sie hinter ihr stand und ehrfürchtig ihr langes Haar in Händen hielt. Mit unverhohlener Verehrung betrachtete sie Isolde, während diese ihr eigenes Spiegelbild nur unverwandt musterte.

Trotz all der Vorteile, die ihr Aussehen mit sich brachte, langweilte Isolde sich bei ihrem eigenen Anblick, wie auch bei dem Blick in ihr Inneres. Wo war die Aufregung, der Kampf, die Jagd, wenn man alles stets auf dem silbernen Tablett serviert bekam?

Sie hatte das Gefühl, äußerlich mit einer perfekten Hülle beschenkt worden zu sein, innerlich aber aufgrund fehlender Herausforderung abzustumpfen. Aber womöglich litt sie unter einer falschen Wahrnehmung. Vielleicht war sie tatsächlich nicht mehr als eine leere Hülle, die sich auch dann nicht mit Charakter füllen würde, wenn sie irgendwelche Abenteuer zu bestehen hätte. Vielleicht war sie ja durch und durch einfach nur langweilig. Allerdings verstand sie dann nicht, warum sie sich nach mehr sehnte, warum sie Angst hatte, an der Leere, der Langeweile, der Monotonie zugrunde zu gehen, wenn doch genau diese Langeweile und Monotonie ihrem Wesen entsprachen.

Nach dem Abitur war Isolde noch unschlüssig gewesen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte, aber sie wollte einen Beruf ergreifen, der sie an ihre Grenzen bringen würde und ihrem Leben das besondere Etwas verleihen könnte. So hatte sie sich für den Polizeidienst entschieden. Sie wollte dorthin, wo ihre heile Welt die heißersehnten Risse bekäme, die den aalglatten Wänden ihrer Seele Charakter verleihen würden. In die Mordkommission.

Kurz nach ihrem Dienstantritt hatte sie bereits von Tristan Sauerwein gehört, der mit seiner Zielstrebigkeit und seinem klaren Verstand trotz seines jungen Alters von fünfunddreißig Jahren bereits eine beachtliche Zahl an Mordfällen gelöst hatte.

»Bist du jetzt in dem Team, in das du wolltest?«, fragte Dagmar. Isolde nickte.

»Und? Ist dieser Kommissar tatsächlich so hässlich, wie du gehört hattest?«

»Er ist ein brillanter Profiler und Kriminalbeamter, sein Äußeres nehme ich nicht wahr. Na ja – nicht mehr. Ich gebe zu, dass ich bei unserer ersten Begegnung ganz schön geschockt war.«

Zwar tuschelte man hinter vorgehaltener Hand über sein entstelltes Gesicht, aber als Isolde ihm in den weitläufigen Gängen des Präsidiums über den Weg gelaufen war, erschrak sie, wie abstoßend hässlich er tatsächlich war. So hässlich, dass ihre Augen schnellstens Erholung von seinem Anblick gesucht und verschämt zu Boden geblickt hatten.

Und trotzdem war Tristan seitdem immer in ihrem Kopf. Obwohl er dank seiner dick vernarbten Gesichtshaut, seines schütteren Haars und seines Hinkens gebrechlich wirkte, erkannte sie in ihm einen Helden.

In ihren einsamen Nächten sah sie sein Gesicht vor sich. Wenn sie ihren Körper liebkoste, war er nicht nur ein Held, sondern IHR Held.

Irritierte es sie, dass sie zum Höhepunkt kam, während sie von ihm phantasierte? Manchmal. Aber meist schob sie diese Gedanken unbeachtet zur Seite. Ihr Äußeres gefiel ihr nicht, ihr Inneres auch nicht, aber ihrem Herzen zu widersprechen wagte sie nicht. Ihr Herz durfte sein, wie es war, durfte lieben und begehren, wen es wollte.

»Ich muss gestehen, er hat eine besondere Ausstrahlung.

---ENDE DER LESEPROBE---