Mord im Sinn - Rhys Bowen - E-Book

Mord im Sinn E-Book

Rhys Bowen

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Beschreibung

Magische Kristallkugeln und nebulöse Ereignisse …
Der spannende Cosy Crime von Rhys Bowen

Als eine glamouröse Amerikanerin im beschaulichen walisischen Dorf Llanfair auftaucht und von faszinierenden spirituellen Kräften spricht, ist die Bar-Dame Betsy Edwards begeistert. Sofort nimmt sie eine Stelle im neu eröffneten New-Age-Center Sacred Grove an. Natürlich denken alle anderen Dorfbewohner – inklusive Constable Evan Evans –, dass Betsy den Verstand verloren hat. Die Bar-Dame hingegen kann es kaum erwarten, ihren sechsten Sinn zu entdecken und ist nur wenig überrascht, als in ihren Träumen Hinweise zum mysteriösen Verschwinden des Leiters vom Sacred Grove auftauchen. Evans hat das New-Age-Center schon länger im Blick und als Betsy Detektiv spielt, wird Evan bewusst, dass in diesem Fall nichts so ist, wie es scheint …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord im Sinn.

Alle Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Ein spannender Krimi, in dem auch der Humor nicht zu kurz kommt – fantastisch!“
„tolle Wendungen, einmalige Charaktere und eine spannende Handlung“
„Constable Evans ist endlich wieder zurück, ich konnte es kaum erwarten.“
„Es war wieder spannend mit Evans zu ermitteln und gerade seine skurrile Seite macht ihn derart liebenswert ...“
„schöner und sehr unterhaltsamer Wales-Krimi“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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MOBI

Seitenzahl: 382

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Über dieses E-Book

Als eine glamouröse Amerikanerin im beschaulichen walisischen Dorf Llanfair auftaucht und von faszinierenden spirituellen Kräften spricht, ist die Bar-Dame Betsy Edwards begeistert. Sofort nimmt sie eine Stelle im neu eröffneten New-Age-Center Sacred Grove an. Natürlich denken alle anderen Dorfbewohner – inklusive Constable Evan Evans –, dass Betsy den Verstand verloren hat. Die Bar-Dame hingegen kann es kaum erwarten, ihren sechsten Sinn zu entdecken und ist nur wenig überrascht, als in ihren Träumen Hinweise zum mysteriösen Verschwinden des Leiters vom Sacred Grove auftauchen. Evans hat das New-Age-Center schon länger im Blick und als Betsy Detektiv spielt, wird Evan bewusst, dass in diesem Fall nichts so ist, wie es scheint …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord im Sinn.

Alle Bände dieser Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Erstausgabe 2002 Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2022

Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-120-9

Copyright © 2002, Rhys Bowen. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Evans to Betsy

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin.

c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Mord im Sinn (ISBN: 978-3-96087-696-0).

Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Rolf E. Staerk, © Helen Hotson, © orxy Korrektorat: Martin Spieß

E-Book-Version 29.01.2025, 10:26:28.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mord im Sinn

Vorwort des Verlags

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord im Sinn von Rhys Bowen. Da wir uns stets bemühen, unseren Leser:innen ansprechende Produkte zu liefern, werden Cover sowie Inhalt stets optimiert und zeitgemäß angepasst. Es freut uns, dass du dieses Buch gekauft hast. Es gibt nichts Schöneres für die Autor:innen und uns, zu sehen, dass ein beständiges Interesse an ästhetisch wertvollen Produkten besteht.

Wir hoffen du hast genau so viel Spaß an dieser Neuauflage wie wir.

Dein dp-Team

Dieses Buch widme ich meinen zahlreichen Freunden in der Krimi-Community, mit besonderem Dank für die Unterstützung und den Zuspruch, und gewissen Damen, die dafür bekannt sind, viel Tee zu trinken, anrüchige Witze zu erzählen, lilafarbene Dinge zu tragen und toll umarmen zu können.

Und ich danke wie immer John, Clare und Jane – meiner wundervollen, familiären Kritikergruppe.

Das eindrucksvolle Anwesen namens Portmerion, Inspiration für den Sacred Grove in diesem Buch, war in seinem langen Leben schon einiges, vom Privathaus über das Set für den BBC-Kult-Klassiker The Prisoner bis zu einem legendären Hotel. Doch es war nie ein New-Age-Zentrum oder ein druidischer Tempel und wird es wohl auch nie sein.

Das Buch Der Weg des Druiden existiert nur in meiner Fantasie. Die darin enthaltenen Informationen sind aus verschiedenen Büchern und von Webseiten über die druidische Religion zusammengetragen und wurden durch Rhiannons eigene Lehren kreativ ergänzt. Daher erhebt es keinen Anspruch auf Korrektheit.

Vorwort

Wir sind eins mit der dunklen Erde.

Wir sind eins mit der Mutter

Mit Eiche und Eibe

Mit tiefen Seen und Quellen

Mit rauschenden Bächen und Klippen

Mit Wiesen und Wäldern

Mit Himmel und Sonne

Mit Hirsch und Adler

Mit Delfin und Wal

Mit den kreuchenden Wesen in der Dunkelheit.

Die Lebenskraft des Universums durchströmt uns alle.

Awen, Lebenskraft, Essenz, Seele,

Awen durchströmt uns.

Wir sind eins mit dem Universum.

Rhiannon, Der Weg des Druiden

Kapitel 1

„Llanfair.“ Der Fahrer las das ramponierte Schild am Rande der Straße laut vor. „Ich fand, an diesem Ort könnten wir anfangen.“ Er schaltete runter und der Jaguar bremste unter missmutigem Brummen. Ein Dorf kam in Sicht – kaum mehr als eine Ansammlung von Cottages, die sich an die steilen, grünen Wände des Gebirgspasses schmiegten.

Die Frau auf dem Beifahrersitz lehnte sich vor, um durch die Windschutzscheibe zu blicken. Es war nicht leicht, ihr genaues Alter abzuschätzen – das lange, glatte Haar und das fehlende Make-up ließen sie zusammen mit der Jeans und dem T-Shirt wie eine Teenagerin aussehen. Aber bei näherer Betrachtung musste sie schon über dreißig sein. Sie beobachtete die grauen Stein-Cottages, die Schafe auf den hohen Hängen, den Gebirgsbach, der über Felsen tanzte und unter der alten Steinbrücke hindurchfloss. „Es ist einen Versuch wert“, sagte sie. „Ist auf jeden Fall abgelegen genug. Kein Supermarkt, kein Videoverleih und keine Satellitenschüsseln auf den Dächern. Und es gibt einen echten Dorfpub, in dem sich die fröhlichen Einheimischen treffen.“

Der Jaguar wurde noch langsamer und schlich auf das quadratische, schwarz-weiße Fachwerkhaus zu. Ein pendelndes Schild an der Fassade verkündete, dass es sich um den Red Dragon handelte. „Ich sehe nicht allzu viele fröhliche Einheimische“, sagte er. „Dieser Ort wirkt verlassen. Wo sind denn alle?“

„Vielleicht ist das hier die walisische Version von Brigadoon. Sie kommen nur alle hundert Jahre raus.“ Sie lachte. „Oh, Moment mal. Da ist jemand.“ Eine junge Frau mit wilden, blonden Locken war aus dem Pub getreten. Sie machte sich hoffnungsvoll daran, die Tische im Freien abzuwischen, obwohl der Himmel bedeckt war und Regen versprach. Ein lauter Ruf von der anderen Straßenseite ließ sie aufschauen. Dort gab es eine Ladenreihe direkt gegenüber des Pubs. G. Evans, Cyggyd (das Wort „Metzger“ stand in sehr kleinen Lettern darunter), R. Evans, Milchprodukte, und dann, um das Evans-Monopol zu verhindern, T. Harris, Gemischtwarenladen (und Postnebenstelle).

Ein dicker Mann mit rotem Gesicht und blutbespritzter Schürze war aus der Metzgerei getreten und rief jetzt etwas, wobei er ein Fleischerbeil schwang. Die beiden Insassen des Wagens sahen sich verunsichert an, während er weiter mit dem Fleischerbeil wedelte und schrie.

„Fröhliche Einheimische?“ Er kicherte nervös.

Die junge Frau schien diese Tirade nicht zu beeindrucken. Sie warf ihre blonde Mähne zurück, rief ebenfalls etwas und der Metzer brach in lautes Gelächter aus. Er winkte ihr gutgelaunt mit dem Fleischerbeil und ging in seinen Laden zurück. Die junge Frau blickte zu dem Jaguar, dann wischte sie halbherzig den letzten Tisch ab und kehrte in den Pub zurück.

„Was zur Hölle hatte das zu bedeuten?“, fragte die Frau in dem Wagen. „War das Walisisch?“

„Ich glaube nicht, dass es Russisch war, Schatz. Wir sind mitten in Wales.“

„Aber mir war nicht klar, dass die Leute tatsächlich Walisisch sprechen! Ich dachte, das wäre eine dieser alten Sprachen, die man in Berkeley studiert. Du hättest mich warnen können. Dann hätte ich einen Intensivkurs belegen können. Das macht alles nur noch komplizierter.“

Er streckte die Hand aus und tätschelte ihr Knie. „Es wird alles gut. Sie alle sprechen auch Englisch, weißt du? Warum springst du nicht aus dem Auto und erkundest mal die Lage?“

„Willst du, dass ich mit einem Fleischerbeil zerhackt werde? Glaubst du, hier oben in den Bergen sind sie alle gewalttätig? Ich kann mir vorstellen, dass es hier viel Inzucht gibt.“

„Es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden.“ Er grinste, während er ihr einen sanften Schubs gab. „Und es war deine Idee, weißt du noch?“

„Unsere Idee. Wir haben das gemeinsam geplant.“

Er sah sie für einen langen Augenblick an. „Ich habe dich vermisst, Emmy.“

„Ich dich auch. Ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Ich bin verdammt eifersüchtig, weißt du?“

„Das musst du nicht sein.“

Ein älterer Mann in Leinenmütze und Tweedsakko kam schnellen Schrittes die Straße herunter und verschwand im Pub. Einige Frauen kamen vorbei, mit Einkaufskörben an den Armen und ins Gespräch vertieft. Sie trugen die britische Uniform für ungewisses Wetter: Plastikregenmäntel und ein Kopftuch über der grauen Dauerwelle. Sie hielten inne, um dem Wagen einen interessierten Blick zuzuwerfen, ehe sie sich an der Bushaltestelle niederließen.

„Ich sollte hier verschwinden“, sagte der Mann. „Man sollte mich nicht bemerken. Es gibt ein großes Hotel oben am Pass – du kannst es nicht verfehlen. Es sieht aus wie ein verdammt großes Schweizer Chalet – fürchterlich hässlich. Ich werde da oben auf dich warten, in Ordnung?“

„Alles klar. Gib mir etwa eine Stunde.“ Sie öffnete die Autotür und wurde von einer frischen, steifen Brise begrüßt. „Meine Güte, hier oben ist es eiskalt. Ich werde mir Thermounterwäsche kaufen müssen, wenn wir uns entschließen, dass dies der richtige Ort ist.“

„Fang im Pub an“, schlug er vor. „Immerhin wissen wir, dass dort jemand ist.“

Sie nickte. „Gute Idee. Ich könnte einen Drink vertragen.“ Ein Lächeln machte sich auf ihrem schmalen, ernsten Gesicht breit. „Drück mir die Daumen.“

„Viel Glück“, sagte er. „Das ist eine verrückte Idee, Emmy. Hoffentlich klappt es auch.“

Kapitel 2

Das große Auto fuhr die Straße hinauf. Emmy schob sich das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht, als sie die schwere Eichentür öffnete, und betrat den Red Dragon.

Sie kam in einen warmen und einladenden Raum. Eine lange, polierte Eichenbar zog sich beinahe über die ganze Länge der einen Wand, und der Deckenbalken aus demselben Holz war mit Hufeisen verziert. Ein Feuer brannte in dem riesigen Kamin am anderen Ende des Raumes. Die junge Frau mit dem wilden, blonden Haar stand hinter der Bar und unterhielt sich mit dem alten Mann und einigen jüngeren Männern in schlammbespritzten Arbeitsoveralls. Das leise Gemurmel der walisischen Unterhaltung erstarb in dem Moment, als sie die Fremde bemerkten.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“, fragte die junge Frau in trällerndem Englisch.

Emmy gesellte sich zu den Männern an der Bar. „Sicher. Welches Bier trinkt man hier in der Gegend?“

„Das wäre wohl Robinson’s“, antwortete die junge Frau. „Aber manche bevorzugen Guinness oder Brains, auch wenn das aus Südwales kommt. Ich weiß gar nicht, warum wir das auf Lager haben.“

„Dünn wie Wasser“, murmelte der alte Mann.

„Na gut. Dann nehme ich ein halbes Pint Robinson’s.“

Die Barfrau blickte zu den Männern. Sie schien sich eindeutig unbehaglich zu fühlen. „Es tut mir leid, aber Damen trinken üblicherweise in der Lounge, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Gehen Sie einfach durch, dann bringe ich Ihnen Ihre Bestellung.“

„Na gut.“ Emmy gelang ein Lächeln. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um Wellen zu schlagen. „Könnten Sie mir bitte den Weg zur Lounge weisen?“

„Gleich hinter diesem Durchgang dort.“

Emmy ging durch den offenen, bogenförmigen Durchgang und fand sich in einem deutlich kühleren Raum mit einigen polierten Holztischen und gepolsterten Ledersesseln wieder. Auch in diesem Raum gab es einen Kamin, aber es brannte kein Feuer. An einer Wand erstreckte sich eine lange Eichenbar. Emmy stellte amüsiert fest, dass es die Rückseite der Bar war, an der auch die Männer standen. Die junge Frau hatte sich umgedreht, um sie anzusehen.

„Dann haben Sie den Weg gefunden?“

„Ist das eine Art Gesetz in Wales?“, fragte Emmy. „Die Frauen in einem Schankraum und die Männer im anderen, meine ich.“

„Oh, nein“, sagte die Barfrau. „Nicht wirklich ein Gesetz. Aber es war schon immer so, nicht wahr? Und die Männer haben das Gefühl, sich nicht anständig unterhalten zu können, wenn Damen zugegen sind. Sie könnten unangemessene Ausdrücke verwenden oder mal einen Witz erzählen wollen.“

Emmy lächelte über diese seltsame Eigenart. „Dann sitzen die Damen alleine hier drüben und tauschen Strickmuster aus?“

„Um die Wahrheit zu sagen, die Damen kommen nicht oft allein in den Pub. Und wenn sie mit ihren Männern da sind, naja, dann setzen sie sich zusammen in die Lounge.“ Sie wandte sich dem älteren Mann zu, der an der Bar lehnte. „Nicht wahr, Charlie? Ich sagte, dass Frauen nicht oft alleine in den Pub kommen.“

„Sie kommen generell nicht oft her“, gab Charlie zurück, „weil sie üblicherweise zuhause sein müssen, um unser Abendessen zuzubereiten, während wir hier sind. Abgesehen davon schmeckt Bier den wenigsten Frauen. Meine Mair sagt, sie würde lieber Medizin trinken.“

Die Barfrau hatte erfolgreich das halbe Pint gezapft und stellte es vor Emmy ab. „Das wäre dann ein Pfund bitte, Miss.“

Emmy zog die Münze heraus und legte sie auf den Tresen. „Danke. Na dann, cheers. Wie sagt man ‚cheers‘ auf Walisisch?“

„Iyched da“, sagte Charlie und die anderen Männer im Chor.

„Yacky dah?“ Emmy versuchte es, aber sie stolperte über die Aussprache und brachte sie alle zum Lachen.

„Wir sollten sie nicht alleine in der kalten Lounge lassen“, bot einer der jüngeren Männer an. „Es schadet doch nichts, wenn sie herkommt und mit uns trinkt.“

Emmy bemerkte die hervortretenden Muskeln unter seinem abgetragenen T-Shirt und dem unordentlichen, dunklen Haar. Nicht schlecht, dachte sie. Dieser Auftrag könnte einige unerwartete Vorteile mit sich bringen.

„Harry würde das nicht gefallen“, sagte die Barfrau bestimmt. „Und abgesehen davon würde sie die Ausdrücke, die du manchmal verwendest, nicht hören wollen, Eimer-Barry – bei dem, was du manchmal von dir gibst, würde sie rot werden.“

„Ich? Wann habe ich je etwas gesagt, das dich erröten lassen würde, Betsy fach?“

„Na ja, ich bin das gewöhnt, nicht wahr? Ich muss dich dauernd ertragen.“

Sie wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln wieder Emmy zu. „Achten Sie nicht auf ihn, Miss.“

„Wie haben Sie ihn genannt?“, fragte Emmy fasziniert.

„Eimer-Barry, weil er eine Planierraupe fährt, mit dieser großen Schaufel vorne dran.“

„Eimer-Barry. Das gefällt mir.“

Die Männer lehnten jetzt alle an der Bar und beobachteten Emmy intensiv, während sie einen großen Schluck von ihrem Bier trank. Sie war versucht, das Glas in einem Zug zu leeren, so wie sie es im College gelernt hatte, aber es war wichtig, dass sie das richtige Bild von sich zeichnete. Sie trank einen Schluck, setzte das Glas ab und lächelte sie an. „Das ist gut“, sagte sie. „Lecker und vollmundig.“

„Dann mögen Sie Bier, ja?“, fragte Barry. „Trinkt man in Amerika Bier? Sie kommen doch aus Amerika, oder?“

„Genau. Pennsylvania. Und wir trinken dort gerne Bier, obwohl Sie es vermutlich für zu schwach und zu kalt halten würden.“

„Das ist sehr blasses Zeug und sprudelt wie Limonade. Ich habe mal eins getrunken. Bud – nicht wahr?“

Barry wandte sich an seinen Kumpel, der zustimmend nickte.

„Machen Sie hier Urlaub, Miss?“, fragte Charlie.

Emmy stellte amüsiert fest, dass es offensichtlich in Ordnung war, wenn die Männer sich durch die Bar mit ihr unterhielten – ganz wie das Gitter in einem Kloster, fand sie. „Eigentlich bin ich hier, um zu forschen“, sagte sie. „Ich studiere an der University of Pennsylvania und mache dort meinen Doktor in Psychologie. Und meine Doktorarbeit befasst sich mit übersinnlichen Fähigkeiten.“

„Abgefahren!“ Die Barfrau warf den Männern einen beeindruckten Blick zu.

Emmy hatte lange genug an dieser Rede gearbeitet, sodass ihr die Worte jetzt leicht von den Lippen kamen. Er wäre sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf. „Ich bin hier, weil die Kelten für ihre übersinnlichen Fähigkeiten bekannt waren.“

„Wie aus Teeblättern zu lesen, meinen Sie sowas?“ Die Barfrau lehnte sich erwartungsvoll vor.

„Ja, sowas in der Art. Die Zukunft voraussehen, prophetische Träume, Gefahren spüren – die alten Druiden besaßen angeblich alle diese Fähigkeiten.“

„Zu schade, dass meine alte Nain vor ein paar Jahren verstorben ist“, sagte die Barfrau.

„Meinten Sie neun?“ Emmy war verwirrt. Sie wusste, dass die Neun in der keltischen Mythologie eine bedeutende Zahl darstellte, aber ...

„Nain – oh, Verzeihung, ich meinte meine Großmutter. Nain ist die walisische Bezeichnung. Ich komme manchmal durcheinander.“

„Dann war Ihre Großmutter eine Hellseherin?“

„Oh, das war sie in der Tat, nicht wahr, Charlie?“ Betsy wandte sich dem älteren Mann zu. „Einige Male hat sie sogar den Derin Corff gesehen. Oder war es die Cannwyll Corff?“

„Was ist das?“ Emmy holte ihr Notizbuch heraus und kritzelte etwas hinein.

„Also, der Derin Corff ist der Totenvogel und die Cannwyll Corff ist die Totenkerze. Sie sind eigentlich dasselbe – man sieht sie, wenn jemandes Tod bevorsteht.“

„Faszinierend“, sagte Emmy. „Und Ihre Großmutter hat sie gesehen?“

„Oh ja, hat sie. Ich erinnere mich noch daran, wie ich eines Abends spät nach Hause kam, und sie zu uns sagte: ‚Huw Lloyd wird die Nacht nicht überstehen. Der Derin Corff saß auf dem Dach seines Schuppens.‘“

„Das war vermutlich nur der alte Hahn der Lloyds“, kommentierte Eimer-Barry und kicherte.

„Sei leise, Barry“, sagte Betsy und schlug ihm auf die Hand. „Was es auch immer war, sie behielt recht. Am Morgen war Huw von uns gegangen. Und das Ding, das sie auf dem Dach gesehen hatte, war auch fort.“ Sie erschauderte. „Ich bekomme noch immer eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Und sie verstand sich darauf, aus Teeblättern zu lesen. So war meine Nain.“

„Hat sie dir auch gesagt, dass du diesen Samstag mit einem gutaussehenden Kerl aus dem Dorf ausgehen wirst?“, fragte Barry und lehnte sich über den Tresen, bis sein Gesicht dicht vor ihrem war.

„Ja, aber Constable Evans hat mich noch nicht gefragt“, entgegnete Betsy lässig. „Obwohl ich ausreichend Andeutungen gemacht habe.“

Der ältere Mann kicherte. „Sie ist dir ebenbürtig, Junge.“

„Und sie verschwendet ihre Zeit damit, Evan Evans hinterher zu schmachten“, gab Barry mit einem Schnauben zurück.

„Warum soll das Zeitverschwendung sein?“ Betsy sah ihn herausfordernd an.

„Das weißt du ganz genau. Du hast zugelassen, dass Bronwen Price sich ihn angelt, oder nicht? Jetzt musst du ihn erst von ihr loseisen.“

„Das werden wir ja sehen, nicht wahr?“ Betsy zog ihren engen Pullover glatt. „Eines Tages bekomme ich meine Chance, und dann werde ich ihm zeigen, was er die ganze Zeit verpasst hat – selbst wenn ich dafür erst die verdammte Bronwen Price vom Berg stoßen muss!“

Die Männer lachten und Betsy fiel mit ein. Dann erinnerte sie sich daran, dass Emmy auf der anderen Seite der Bar stand und drehte sich wieder zu ihr. „Entschuldigen Sie, Miss. Machen Sie sich nichts daraus. Sie necken mich dauernd, weil ich mein Herz an unseren Dorfpolizisten verloren habe.“

„Daran ist doch nichts verkehrt“, sagte Emmy. „Erzählen Sie mir bitte von den hellseherischen Fähigkeiten Ihrer Großmutter, Betsy. So heißen Sie doch, oder?“

„Ganz recht, Miss. Betsy Edwards.“

„Hallo Betsy, ich bin Emmy.“ Sie streckte ihre Hand aus und Betsy ergriff sie unbeholfen. „Also, erzählen Sie von Ihrer Großmutter.“

„Na ja, sie war im ganzen Dorf bekannt dafür, das Zweite Gesicht zu haben, nicht wahr, Charlie?“

„War sie“, stimmte Charlie zu. „Wenn sie davon träumte, dass etwas geschehen würde, dann geschah es auch.“

„Fantastisch.“ Emmy strahlte sie an. „Sie haben nicht zufällig ihre Begabung geerbt?“

„Ich?“ Betsy lief rot an. „Oh nein, ich glaube nicht. Obwohl ...“

„Ja?“

„Ich weiß manchmal, dass das Telefon klingeln wird, kurz bevor jemand anruft. Solche Dinge.“

„Da haben wir’s. Sie haben vermutlich auch hellseherische Talente, aber Sie haben noch nie versucht, sie zu benutzen.“

„Ihre ‚Talente‘.“ Eimer Barry stieß seinen Kumpel an.

„Halt die Klappe, Barry“, sagte Betsy. „Wir führen hier eine ernste Unterhaltung. Sie glauben also, dass ich das Zweite Gesicht von meiner Großmutter geerbt haben könnte?“

„Es bleibt häufig in der Familie“, sagte Emmy. „Wird in der weiblichen Linie vererbt. Sie sind nicht zufällig ein siebtes Kind, oder?“

„Nein, ich bin Einzelkind. Und meine Mutter war ebenfalls Einzelkind.“

„Perfekt“, sagte Emmy. „Das ist die beste Voraussetzung: Einzige Tochter einer einzigen Tochter. Besser könnte es nicht sein.“

„Glauben Sie das wirklich?“, stammelte Betsy. „Meine Güte, aber das wäre ja toll, nicht wahr? Stellen Sie sich mal vor, dass ich wirklich in die Zukunft blicken könnte!“

„Du könntest deinen Vater wissen lassen, welches Pferd im Halb-drei-Rennen in Doncaster gewinnen wird.“ Barry stieß seinem stillen Kumpan erneut in die Seite.

„Wenn man solche Fähigkeiten hat, dann muss man damit Gutes tun“, sagte Betsy feierlich. „Nicht bei Pferdewetten gewinnen.“

Emmy blätterte in ihrem Notizbuch herum. „Lassen Sie mich bitte Ihren Namen und Ihre Telefonnummer notieren, ja? Ich würde mich gerne mit Ihnen treffen, um ein paar Versuche zu machen, wenn Sie dazu bereit wären.“

„Versuche?“ Betsy blickte besorgt zu Charlie.

„Wir müssen hellseherische Fähigkeiten unter kontrollierten Bedingungen testen ...“

„Ich gehe dafür nicht ins Krankenhaus“, sagte Betsy.

„Oh, nichts in der Art.“ Emmy lächelte. „Ich werde in einem Haus namens Sacred Grove arbeiten. Kennen Sie das?“

„Kann ich nicht behaupten“, sagte Betsy. „Ist das in Wales?“

„Das große Anwesen an der Küste bei Porthmadog, nicht wahr?“, warf Charlie ein.

„Das war mal das private Anwesen eines verrückten, englischen Lords. Tiggy oder so, hieß er nicht so?“, fragte Barry.

„Er hieß Bland-Tyghe“, sagte Charlie, „und man spricht es ‚tai‘, du ignoranter Trottel.“

Barry grinste. „Die sind doch alle verrückt, nicht wahr? Ist der alte Mann nicht immer in seinem Pyjama durchs Dorf gelaufen und hat Gedichte rezitiert?“

„Ich dachte, ich hätte gelesen, dass seine Tochter das Anwesen in eine Art Klinik oder Sanatorium umgewandelt hat“, sagte Charlie.

„Vermutlich eher eine Klapsmühle“, kommentierte Barry. „Pass bloß auf, Betsy. Wenn sie dich dort aufnehmen, lassen sie dich vielleicht nie wieder gehen.“

„Ich gehe sicher nicht in ein Irrenhaus“, sagte Betsy ängstlich.

„Nein, Sie verstehen das ganz falsch“, unterbrach Emmy hastig. „Es ist ein New-Age-Zentrum.“

„Ein New-Age-Zentrum?“, fragte Charlie. „Sowas wie ein Altersheim, meinen Sie?“

„New Age“, wiederholte Emmy. Diese Leute waren einfach perfekt. Völlig ahnungslos. „Die machen alle möglichen, tollen Dinge – alternative Medizin, hellseherische Forschung. Solche Sachen. Ich war noch nicht dort, aber ich stehe in Kontakt mit ihnen und es klingt, als hätten sie dort großartige Einrichtungen und tolles Personal.“ Sie lächelte Betsy hoffnungsvoll an. „Ich bin gerade erst hier angekommen. Ich muss mich erst einleben, aber dann können Sie und ich uns vielleicht mal dort unten umschauen. Dann sehen wir, ob Sie da gerne mitmachen würden, in Ordnung?“

„Na gut“, sagte Betsy. „Ich habe nichts dagegen, mir das mal anzusehen.“

„Ich mache mich besser auf den Weg“, sagte Emmy. „Ich habe viel zu tun. Ich muss noch in den anderen Dörfern nach Menschen mit hellseherischen Fähigkeiten suchen, und ich muss eine Unterkunft finden. Das Hotel ist zu teuer. Sie wissen nicht zufällig, ob es hier ein gutes Bed-and-Breakfast gibt, das nicht so schweineteuer ist?“

„Hier oben gibt es nicht viel Tourismus“, sagte Charlie. „Oben, wo die Farm der Morgans war, gibt es Ferien-Cottages, aber die sind auch nicht billig, wie ich hörte.“

„Ich hätte lieber irgendwo ein Zimmer, und jemanden, der mir Frühstück macht“, sagte Emmy. „Ich werde vermutlich ziemlich viel arbeiten.“

„Es gibt ein Zimmer, das frei wird“, sagte Betsy plötzlich. Sie warf den Männern einen aufgeregten Blick zu. „Ist doch so, oder? Wenn Evan Evans in dieses Cottage zieht, wird Mrs. Williams ein Zimmer frei haben.“

„Hat er wirklich beschlossen auszuziehen?“, fragte Charlie. „Ich weiß, dass er darüber nachdenkt, aber vielleicht entscheidet er sich im letzten Moment um, wenn ihm klar wird, wie gut Mrs. Williams für ihn gesorgt hat.“

„Wenn er sagt, dass er es tut, dann tut er es auch“, sagte Betsy entschlossen. „Wie auch immer, wir fragen ihn, wenn er das nächste Mal herkommt.“

„Großartig“, sagte Emmy. „Ich habe ja Ihre Telefonnummer, dann werde ich anrufen und mich erkundigen. Das wäre so praktisch, wenn ich ein Zimmer in Llanfair bekommen könnte.“ Sie sprach es Lan-fair aus.

„Es heißt Chlan-veyer“, sagte Betsy. „So sprechen wir das aus. Aber keine Sorge“, fügte sie hinzu. „Kein Fremder bekommt das richtig hin.“

„Chlan-veyer“, wiederholte Emmy. „Beim nächsten Mal mache ich es richtig. Sie müssen mich auf dem Laufenden halten, Betsy.“

„In Ordnung, Miss.“

„Nennen Sie mich Emmy.“ Sie schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich melde mich, Betsy.“

Sie war gerade durch den Türbogen in den Hauptraum der Bar getreten, als die Tür aufging und der Metzger hereinkam, jetzt ohne seine blutige Schürze. Er sah sich im Raum um und sein Blick fixierte Emmy. Als er einen walisischen Wortschwall ausstieß, trat Emmy hastig zur Seite. Sie hatte den fleischerbeilschwingenden Irren ganz vergessen, der ein Leben in diesem Dorf zur Gefahr machte.

Betsy antwortete ihm auf Walisisch und er entspannte sich, während er sich der Bar näherte.

„Entschuldigen Sie, Miss“, sagte Betsy, „aber Fleischer-Evans ist heute Morgen nicht in bester Stimmung. Er hat auf Manchester United gewettet, aber Liverpool hat gewonnen, wie ich gesagt habe.“

„Ein Fußballspiel?“ Emmy konnte sich das Lächeln nicht verkneifen.

„Mr. Evans findet, dass der Schiedsrichter unfair gepfiffen hat. Er hat dem besten Spieler von Manchester eine rote Karte gegeben, obwohl es gar kein Foul war“, sagte Betsy. „Aber jetzt wird er bezahlen, wie der Gentleman, der er ist.“

Fleischer-Evans lächelte verlegen. „Es bricht mir das Herz, ansehen zu müssen, wie ein hochklassiges Team wie Manchester United von einem Haufen Flegeln wie Liverpool geschlagen wird, das ist alles. Na ja, da kann man jetzt nichts machen, nicht wahr? Also machst du mir besser ein Pint Robinson’s, Betsy fach.“

Emmy schlüpfte aus dem Pub, während Betsy das Bier einschenkte. Sie eilte die Dorfstraße hinauf, an den beiden Reihen identischer Cottages vorbei, jedes mit einer Haustür in leuchtenden Farben, einem glänzenden Messing-Briefkasten und einer blitzblanken, weißen Türschwelle. Einige hatten Blumenkästen mit Frühlingsblumen an den Fenstern – gelbe Narzissen und blaue Hyazinthen als Farbspritzer vor dem grauen Stein. Alles sehr ordentlich, heiter und idyllisch hier, dachte sie. Völlig abgeschnitten von der echten Welt. Er würde ganz schön lachen, wenn sie ihm erzählte, dass sie noch nie etwas von New Age gehört hatten!

Sie kam an einem Schulhof vorbei, das Schulgebäude lag dahinter. Durch ein offenes Fenster hörte sie junge Stimmen im Chor Dinge aufsagen. Es klang verdächtig nach dem kleinen Einmaleins, wobei es natürlich auf Walisisch war. Nach der Schule kamen die beiden letzten Gebäude des Dorfes – zwei Kapellen. Sie standen einander zu beiden Seiten der Straße gegenüber, Spiegelbilder aus solidem, grauem Stein. Vor beiden standen Anschlagtafeln, die verkündeten, dass es sich um die Bethel-Kapelle und die Beulah-Kapelle handelte. Auf jeder Tafel stand ein Bibeltext. Auf der einen hieß es: „Wer da bittet, der empfängt“, während auf der anderen stand: „Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen.“

Emmy lächelte vor sich hin und ging weiter. Hier oben in der tiefsten Provinz war man wirklich ahnungslos. Vermutlich hatten sie noch nicht einmal realisiert, dass sich die beiden Passagen aus der Bibel widersprachen.

Das Hotel, von dem er ihr erzählt hatte, dominierte den Pass. Es war, wie er gesagt hatte, ein riesiges, abscheuliches Chalet im Zuckerbäckerstil mit Geranien in den Blumenkästen – an einem kahlen, walisischen Hang völlig fehl am Platz. Auf dem für sich stehenden Steinschild waren in goldenen Lettern die Worte Everest Inn eingemeißelt. Der Parkplatz dahinter war mit teuren Autos übersät, sodass der Jaguar gar nicht auffiel. Sie näherte sich dem Wagen und stieg ein.

Er sah erwartungsvoll auf. „Und?“

Sie strich sich das Haar zurück und ein breites Lächeln zog sich über ihr Gesicht. „Wir sind auf eine Goldader gestoßen. Sie ist einfach perfekt.“

Kapitel 3

Auszug aus Der Weg des Druiden, von Rhiannon

Wer sind die Druiden?

Für viele Außenstehende beschwört das Wort Druide das Bild eines bärtigen Herren in weißer Robe herauf, der an Mittsommernacht in Stonehenge ein Opfer darbietet. Dieses Bild spiegelt allerdings nicht die Wahrheit wider. Stonehenge wurde erbaut, lange bevor die ersten Kelten den Fuß auf britannischen Boden setzten, und es gab schon immer druidische Priesterinnen und Priester. Auch wenn Druiden geopfert haben, so waren sie nicht blutdürstig.

Wer waren die Druiden dann? Im goldenen Zeitalter der keltischen Spiritualität waren sie eine priesterliche Herrscherklasse, berieten Kriegsherren und sagten die Zukunft voraus. Sie waren die Hüter der Rituale, aber weit mehr als Priester. Sie waren verantwortlich für Politik, Opferrituale, Prophezeiungen und die Kontrolle der übernatürlichen Welt. Sie waren Lehrer und die Herren der mündlichen Überlieferung. Sie waren Philosophen, Schamanen, Mediziner und Richter. Sie wurden gefürchtet und verehrt.

Julius Caesar schrieb über sie: „Sie haben das Recht, ein Urteil zu fällen und über Lohn und Strafe zu entscheiden.“

Aus alten Schriften wissen wir, dass sie eine zwanzigjährige Ausbildung durchliefen, ehe sie vollständig als Priester anerkannt wurden.

Es gab drei Untergruppen von Druiden:

Barden fungierten als Poeten, Sänger, Musiker, Ahnenforscher und Historiker;

Ovaten waren Wahrsager und deuteten die Omen;

Druiden nannte man die Priester und Richter.

Caesar schrieb außerdem: „Sie wissen viel über die Sterne und die Bewegung am Himmel, über das Wesen der Dinge sowie die Mächte und die Gewalt der unsterblichen Götter, und diese Dinge lehren sie ihre Schüler.“

Auf viele Weisen ähnelten sie den hinduistischen Brahmanen und den chaldäischen Astronomen von Babylon. Damals wie heute waren sie die Brücke zwischen zwei Welten – der sichtbaren und der unsichtbaren.

„Bitte weinen Sie nicht, Mrs. Williams.“ Constable Evan Evans streckte unbeholfen eine Hand aus und tätschelte die breite Schulter seiner Vermieterin. Mit dieser Geste schluchzte die üppig gebaute Frau nur noch lauter in ihr Taschentuch.

„Es fühlt sich an, als würde ich meinen Sohn verlieren“, sagte sie. „Sie waren der Sohn, den ich nie hatte.“

„Ich ziehe ja nicht weit weg. Bloß auf die andere Straßenseite, nicht wahr? Und Sie können mich jeden Tag besuchen. Vielleicht komme ich sogar auf einen Tee vorbei, dann können wir uns unterhalten.“

„Aber es wird nicht dasselbe sein.“

„Kommen Sie schon.“

Er legte ihr zögerlich den Arm um die Schulter, so weit, wie er kam. „Es wurde doch Zeit, dass ich ausziehe, oder? Ich kann mich nicht mein ganzes Leben lang von Ihnen verwöhnen lassen. Ich muss lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.“

Mrs. Williams unternahm große Anstrengungen, um sich zusammenzureißen. Ein schweres, zitterndes Seufzen fuhr durch ihren Körper. „Ich schätze schon“, sagte sie. „Ich wusste, dass es eines Tages passieren musste.“

„Glauben Sie mir, ich bin auch nicht gerade begeistert“, sagte Evan. Er bückte sich um eine Pappkiste mit seinen Besitztümern vom Boden aufzuheben. „Selbst zu kochen, nachdem ich über ein Jahr lang Ihr gutes Essen gegessen habe – daran werde ich mich erst gewöhnen müssen. In einem Monat bin ich vermutlich nur noch ein Strich in der Landschaft.“

„Sie können jederzeit zum Abendessen herkommen, wenn Sie wollen. Das wissen Sie“, sagte Mrs. Williams.

„Ich weiß.“ Er lächelte sie liebevoll an. „Aber das ist nicht das Ziel, nicht wahr? Bronwen wird keine Verpflichtungen eingehen, ehe ich nicht erlebt habe, wie es ist, allein zu leben.“ Er hob die Kiste auf seine Schulter und ging die Treppe hinab. „Sie hat natürlich völlig recht damit. Ich bin von der Küche meiner Mutter zu Ihrer Küche gewechselt. Ich habe noch nie richtig allein gelebt. Wie soll ich eines Tages Ehemann und Vater sein, wenn ich mich nicht einmal um mich selbst kümmern kann?“

„Dann haben Sie sich also entschieden? Sie denken darüber nach, Bronwen Price zu heiraten und eine Familie zu gründen?“ Mrs. William hatte ihre Tränen vergessen. Sie eilte hinter ihm die Treppe hinunter. „Wir wissen natürlich alle, dass sie ihr den Hof machen, aber ...“

„Ich denke darüber nach“, sagte er. „Ich bin immer hin dreißig geworden, nicht wahr? Es wird Zeit, eine Familie zu gründen.“

„Sie hätten es schlechter treffen können, schätze ich“, sagte Mrs. Williams widerwillig.

„Schlechter? Ich glaube nicht, dass ich es hätte besser treffen können. Sie ist eine wundervolle Frau, oder nicht?“

„Das werde ich nicht bestreiten. Ein freundliches Mädchen. Und gescheit. Aber ein wenig zu ernst, wenn Sie mich fragen. Ein Mann braucht etwas Spaß in seinem Alltag. Muss ab und zu tanzen gehen. Sich nach einem harten Arbeitstag etwas gehen lassen.“

„Wollen Sie sagen, dass ich mich lieber mit Betsy treffen sollte?“ Er wusste genau, worauf sie anspielte. Sie hatte dieselbe, nicht allzu subtile Andeutung in regelmäßigen Abständen gemacht, seit er eingezogen war.

„Betsy Edwards? Bar-Betsy? Escob annwyl! Das will ich ganz und gar nicht sagen. Betsy ist zu flatterhaft, um eine vernünftige Ehefrau abzugeben. Sie brauchen eine gute Hausfrau, die gleichzeitig weiß, wie man Spaß hat.“

Sie griff an Evan vorbei und öffnete ihm die Haustür. Ein kalter Windstoß blätterte das Buch oben in der Kiste auf. „Na ja, ich weiß, dass Sie unsere Sharon nicht ausführen wollten, während Sie bei mir lebten. Das kann ich verstehen. Ein junger Mann braucht etwas Privatsphäre in seinem Liebesleben. Man kann nicht turteln, wenn die Großmutter des Mädchens alles begleitet. Aber jetzt werden Sie allein leben, warum führen Sie sie nicht aus – mit meinem Segen? Dann werden Sie schon sehen – eine wunderbare Köchin ist Sharon mittlerweile, und eine großartige Tänzerin.“

Evan war froh, dass er seiner Vermieterin den Rücken zugewandt hatte, sodass sie nicht sah, wie er ungewollt zusammenzuckte. Sharon, Mrs. Williams Enkelin, kicherte wie ein Schulmädchen, über alles, was er sagte. Und sie war zu enthusiastisch, ständig in seiner Nähe, und sie betatschte ihn ununterbrochen. Es war, als müsste man einen Bernhardinerwelpen abwehren.

„Ich bin mir sicher, dass sie eines Tages einen Mann sehr glücklich machen wird, Mrs. Williams“, sagte er, „aber Sie kennen mich. Ich bin ein ruhiger Kerl. Ich mache mir nicht viel aus Tanz und solchen Dingen. Bronwen passt sehr gut zu mir, vielen Dank.“

Er trat in den stürmischen Tag hinaus und hielt die Dinge oben auf dem Stapel fest, die der Wind an sich zu reißen drohte. Es sollte eigentlich Frühling sein, dachte er betrübt, und doch war die Spitze des Mount Snowdon seit der vergangenen Nacht wieder mit Schnee bedeckt. Er blickte den Berg hinauf, während er die Straße überquerte, aber der Gipfel war unter einer schweren Decke aus dunklen Wolken verborgen. Auf der anderen Straßenseite zog sich eine lange Reihe grauer Steincottages die Steigung hinauf, typisch für ein Bergarbeiterdorf. Evan stellte die Kiste vor der Tür der Nummer 28 ab. Das Einzige, was das Haus von der Nummer 26 und der 30 unterschied, war die rote Haustür. Solche absonderlichen Farbtupfer waren im ländlichen Wales verpönt. Die letzte Bewohnerin, eine Witwe namens Mrs. Howells, war wegen ihrer roten Haustür immer für flatterhaft gehalten worden. Sie hatte in ihren fünfzehn Jahren hier ansonsten keine Symptome von Exhibitionismus gezeigt, aber die einheimischen Frauen fanden es noch immer angemessen, von ihr als „Mrs. Howells aus Nummer achtundzwanzig, ihr wisst schon, die Flatterhafte mit der roten Tür“ zu sprechen.

Jetzt war sie zu ihrer Tochter gezogen, ausgerechnet nach Cardiff – ein weiteres Zeichen dafür, dass ihr Urteilsvermögen beeinträchtigt war. Evan hatte über die örtliche Gerüchteküche davon gehört, dass das Cottage frei werden würde, und hatte sich sofort gemeldet, um dort einzuziehen. Nicht, dass es viel Konkurrenz gegeben hätte. Die Bevölkerung von Llanfair wurde, wie in den meisten walisischen Dörfern, älter und schrumpfte. Seit die Schieferminen geschlossen waren, gab es keine Arbeit und für junge Leute keine Perspektive, außer als Bedienung oder Zimmermädchen in einem der nahen Hotels zu arbeiten.

Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn und drückte die Tür auf. Er nahm die Kiste und trat ein. Das feuchtkalte Gefühl eines leeren Hauses wurde ihm deutlich bewusst. Es war ganz anders als der warme, freundliche Flur von Mrs. Williams, zu dem er sehnsüchtig über die Straße hinweg zurückblickte. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er aus dem Haus ein Zuhause gemacht hatte. Bislang hatte er nur ein paar Pfannen, etwas nicht zusammenpassendes Porzellangeschirr, das er Bronwen zu verdanken hatte, einen Vinyl-Tisch, zwei Stühle aus dem Discount-Baumarkt in Bangor und ein Einzelbett. Kaum ein vielversprechender Start.

Evan trug die Kiste ins hintere Zimmer, das ihm als Wohn- und Esszimmer dienen würde, und stellte sie auf den Boden. Das braune, zerschlissene Linoleum ließ den Raum noch kälter und trister wirken. Ein Teppich würde eine seiner ersten Anschaffungen werden. Vielleicht würde er am Nachmittag nach Bangor oder Llandudno hinunterfahren, um eine schnelle Runde durch die Trödelläden zu drehen. Mit seinem Lohn als Police Constable konnte er es sich nicht leisten, all die Möbel, die er sich wünschte, auf einmal zu kaufen. Er rief sich in Erinnerung, dass es nur eine Übergangslösung war. Mit etwas Glück würde die Erlaubnis für den Wiederaufbau des alten Cottages des Schäfers im Nationalpark über dem Dorf durchgehen. Das war sein großer Traum, und er wartete seit Monaten geduldig, ohne auch nur ein Wort von den Nationalpark-Leuten gehört zu haben. Wenn er mit dem Bau seines eigenen Cottages fertig war, würde er es so einrichten können, wie er es sich wünschte – er korrigierte sich – so wie Bronwen es sich wünschte. Sie hatte schon ihre Bereitschaft signalisiert, dort zu leben, obwohl sie mit keinem Wort eine Hochzeit erwähnt hatte. Allerdings hatte er das auch nicht getan. Das Thema war noch immer ein Loch im Eis, das sie vorsichtig auf Schlittschuhen umkreisten.

Er wünschte sich, dass Bronwen da wäre, um ihm zu helfen. Aber sein Department bemühte gerade ein Sparprogramm und teilte ihn jedes zweite Wochenende zur Arbeit ein. Das hatte dazu geführt, dass er seinen Umzug an einem Dienstag erledigte, während Bronwen den Unterricht in der Dorfschule leitete. Evan packte eine Lampe aus und sah sich im Zimmer nach einem Ort dafür um. Dann stellte er sie, aus Ermangelung einer besseren Möglichkeit, auf den Kaminsims. Er wollte gerade wieder zu Mrs. Williams zurückkehren, als die Haustür aufging und Bronwen hereinstürmte.

„Bist ja noch nicht weit gekommen, was?“ Sie stand in der Tür und sah sich missbilligend um. Sie trug einen marineblauen Fischerpullover, der ihre Augen beinahe in derselben Farbe leuchten ließ, und ihre Wangen waren vom Wind gerötet. Strähnen aus aschblondem Haar waren ihrem langen Zopf entkommen und über ihr Gesicht geweht.

„Was machst du denn hier?“, fragte Evan und sein Gesicht erhellte sich. „Du hast doch nicht etwa deine Schüler alleingelassen, um mich zu besuchen, oder?“

Bronwen grinste. „Es ist gerade Mittagspause und ich habe zwei Mütter, die sich heute freiwillig um das Essen kümmern. Da dachte ich, ich komme kurz vorbei und schaue, wie du vorankommst.“ Sie schob die Haarsträhnen zurück und inspizierte das Zimmer. „Oh je. Ich hatte es nicht so trostlos in Erinnerung.“

„Das liegt daran, dass es bei deinem letzten Besuch noch mit Mrs. Howells Möbeln vollgestellt war. Und dieser Boden war unter einem Teppich versteckt“, sagte Evan. „Ich glaube, ein Teppich sollte eine meiner ersten Anschaffungen sein, was meinst du? Außerdem Töpfe und Pfannen, Stühle und Tische, ein Kleiderschrank, Kommoden – oh, und Nahrungsmittel.“

„Dann hat man dir eine Lohnerhöhung gegeben, ja?“

„Ich dachte, ich fahre heute Nachmittag nach Bangor runter, und sehe mich in den Second-Hand-Läden um. Das ist meine einzige Möglichkeit, um dieses Haus einzurichten.“

Bronwen nickte. „Und du solltest nicht viel Geld für Dinge ausgeben, die eines Tages nicht in das Cottage passen.“

„Wenn ich je die Genehmigung bekomme.“ Evan seufzte. „Da sitzt ein alter Kauz in der Verwaltung, der meint, dass alles, was zum Nationalpark gehört, der Wildnis überlassen werden sollte.“

Bronwen kam zu ihm und legte ihm die Arme um den Hals. „Sie wird durchgehen. Hab Geduld. Und in der Zwischenzeit sammelst du wertvolle Erfahrungen in Überlebenstechniken.“

„Bei dir klingt das, als würde ich zu Fuß die Antarktis durchqueren.“ Evan kicherte. „Bei meinen Kochkünsten werde ich natürlich recht bald verhungern.“

„Hör doch auf!“ Bronwen ließ ihn los und verpasste ihm eine spielerische Ohrfeige. „Du weißt ganz genau, dass du die Hälfte der Zeit bei mir essen wirst, und Mrs. Williams wird jeden Tag mit einer gebackenen Kleinigkeit vorbeischauen, nur um sicherzugehen ...“

„Sie hat mir schon angeboten, dass ich zum Abendessen kommen kann, wann immer ich möchte“, sagte Evan. „Aber ich werde stark bleiben und der Versuchung widerstehen. Und Essen zum Mitnehmen oder Tiefkühlkost kommen auch nicht in Frage. Ich habe das Kochbuch, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast, und ich werde kochen lernen. Du wirst schon sehen.“

„Ich bin sehr stolz auf dich“, sagte sie. „Ich erwarte meine Einladung zum Abendessen ins ...“

Sie wurde von Evans Piepser unterbrochen. Er nahm ihn von seinem Gürtel und zog eine Grimasse. „Ach nein, das hat mir noch gefehlt. Das Hauptquartier will mich am Telefon sprechen.“

„Das ist nicht fair“, sagte Bronwen wütend. „Erst nehmen sie dir die Hälfte deiner Wochenenden und geben dir stattdessen zwei nutzlose freie Wochentage, und dann rufen sie dich auch noch an deinem freien Tag an.“

„Ich bin Polizist, Bron“, sagte er. „Das gehört zum Beruf. Wenn es irgendwo einen Notfall gibt, sind freie Tage egal.“

„Aber ich bekomme dich kaum noch zu sehen“, sagte sie. „Ich bin die ganze Woche damit beschäftigt, Aufsätze zu benoten, und du arbeitest das ganze Wochenende. Die wunderschöne Wanderung über den Glyder Fach musste ich ganz allein machen.“

„Dafür gäbe es eine Lösung“, sagte Evan und legte einen Arm um sie. „Ich könnte den Versuch beenden, dieses Haus wohnlich zu machen, und stattdessen bei dir einziehen.“

„Oh ja, das würde bei den Einheimischen gut ankommen, nicht wahr?“ Bronwen lachte. „Stell dir nur vor, was das für eine Vorlage für die Sonntagspredigten der beiden Pastoren wäre. Abgesehen davon“, sie streckte die Hand aus und streichelte seine Wange, „tun wir das hier mit einem Ziel, nicht wahr?“ Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Ich muss gehen“, sagte sie. „Wenn ich nicht zurückkomme, werden die Kinder wild.“

Evan folgte ihr nach draußen und beobachtete, wie sie die Straße hinaufrannte, ehe er sich den Hügel hinab zu seiner kleinen Polizeinebenstelle begab.

„Oh, Constable Evans. Gut, dass wir Sie erreicht haben“, Megan, die Leiterin der Zentrale, ging ans Telefon. „Tut mir leid, Sie an Ihrem freien Tag zu stören, aber der Chief Inspector will mit Ihnen sprechen, und morgen früh ist er auf dem Weg zu einer Konferenz in Birmingham. Es geht alles um diese geplante Neuorganisation. Er hat eine Lösung gefunden, um Sie in eine ... sagen wir mal aufstrebendere Situation zu bringen.“

„Ist er jetzt da und kann mit mir sprechen?“

„Er hätte gern, dass Sie runterkommen um persönlich mit ihm zu sprechen. Ist das in Ordnung? Ich weiß, dass es Ihr freier Tag ist, aber ...“

„Ich bin in einer halben Stunde da“, sagte Evan.

Er legte auf und ging hinaus zu seiner alten Klapperkiste. Der Wagen sprang beim dritten Versuch an. Dorfpolizisten bekamen kein Polizeiauto. Bei Bedarf, wurde eine Streife aus Caernarfon als Unterstützung geschickt, deshalb nahm er seinen eigenen Wagen – der jetzt schon seit vielen Jahren seiner war. „Aufstrebend“ – was konnte das bedeuten? Und sie hatte dabei auch noch so mysteriös geklungen. Wusste sie mehr als er ... ging es vielleicht um eine Beförderung? Würde er endlich zu den Zivilfahndern wechseln? Er trat aufs Gas und der Motor protestierte heulend, als er vom Parkplatz herunterfuhr.

„Ah, Evans. Guter Mann.“ Das war Chief Inspector Merediths gängige Begrüßung, es sei denn, man hatte etwas falsch gemacht, dann hieß es nur: „Ah, Evans“, ohne das „guter Mann“. So wusste er schon mal, dass er keinen Ärger bekommen würde.

„Freut mich, dass Sie so schnell hergekommen sind.“ Auch das war Teil der gängigen Begrüßung. „Setzen Sie sich.“

Der Chief Inspector hatte wie üblich die Hemdsärmel hochgekrempelt und Evan fiel auf, dass der Raum angenehm warm war. Das Sparprogramm betraf offensichtlich nicht die Heizung.

„Wie läuft es denn oben in Llanfair?“ Der Chief Inspector sprach den Namen seltsam aus, unfähig seine Zunge zu dem doppelten „L“ zu bewegen, wie alle, die nicht Walisisch sprachen. Er stammte aus Nordwales, aber aus der Küstenstadt Llandudno, wo man sich schon immer für bessergestellt hielt, und wo Walisisch zu sprechen eine Seltenheit war.

„Oh, in etwa so wie immer, Sir.“ Evan ließ sich auf dem harten, hölzernen Besucherstuhl nieder und wünschte sich, der Chief Inspector würde sich das Geplauder sparen und zum Punkt kommen. Die Spannung brachte ihn fast um.

„Schon eine ganze Weile keine Leiche mehr, was? Sie müssen sich langweilen.“ Er lachte – vornehm und leise. Evan lächelte und war so weise, nichts dazu zu sagen. Er wusste, dass sein scheinbares Geschick für die Lösung von Mordfällen bei den hohen Tieren nicht immer gut angekommen war. Tatsächlich fragte er sich sogar, ob diese Erfolgsbilanz verhindert hatte, dass er für die Ausbildung zum Detective ausgewählt wurde.

„Ich nehme an, zu dieser Jahreszeit ist es da oben in Llanfair ziemlich ruhig, nicht wahr? Noch gibt es keine Touristen, die sich verlaufen, irgendwo feststecken oder ihre Schlüssel verlieren.“

„Ganz recht, Sir.“

Der Chief Inspector lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne. „Hören Sie, Evans. Sie wissen vermutlich, dass wir aus Colwyn Bay die Anweisung bekommen haben, die Ausgaben unserer Departments deutlich zu senken. Einer der Vorschläge war natürlich, die kleinen Nebenstationen zu schließen und unser Personal im Hauptquartier zusammenzuziehen.“

„Ich dachte, das hätte man früher schon versucht, Sir, bevor ich herkam. Ich dachte, man hätte festgestellt, dass ein Beamter vor Ort Verbrecher abschreckt.“ (Als ob das nicht längst jedem, der zumindest ein wenig Verstand besaß, klar geworden wäre, dachte er.)

„Richtig, aber die Bevölkerung in den Dörfern geht stetig zurück, nicht wahr? In einigen Jahren wird es dort nur noch Touristen geben – wie eine Nachahmung von Walt Disney, von dem Wales, wie es einmal existierte. Frühstückspensionen, Kunsthandwerks-Läden, auf alt getrimmte Schmieden – solche Sachen.“

„Noch lange nicht“, sagte Evan. „Wir müssen in Llanfair mehrere hundert Einwohner haben, und wir sind eines der kleineren Dörfer.“ Er sah den Chief Inspector direkt an. In seinem Magen braute sich ein flaues Gefühl zusammen. Er war voller Erwartung hergeeilt und hatte von den Möglichkeiten geträumt. Ihm gefiel die Richtung nicht, die das Gespräch eingeschlagen hatte. „Sie denken doch nicht darüber nach, die Station in Llanfair zu schließen, oder?“

„Nicht im Augenblick. Allerdings kann ich es mir nicht leisten, Beamte dort einzusetzen, wo sie nicht permanent gebraucht werden. Ich weiß, dass es Phasen gibt, in denen Sie da oben sehr beschäftigt sind. Ich weiß, dass es sogar einige größere Vorfälle gab, seit sie unserer Truppe beigetreten sind, und Ihre Präsenz war höchst ...“ Evan dachte, er würde „dienlich“ sagen, aber stattdessen fuhr er fort: „... wertvoll für eine schnelle Aufklärung. Andererseits“, er nahm ein Betriebsbuch in die Hand, „gibt es Tage, an denen Sie kaum mehr zu tun scheinen, als Anrufe entgegenzunehmen und Tee zu kochen.“

„Ganz so schlimm ist es nicht, Sir“, sagte Evan. „Ich hole meinen Papierkram nach, wenn es nichts zu tun gibt. Und ich kann mir vorstellen, dass es auch hier unten Tage gibt, an denen Sie sich nicht die Hacken ablaufen.“

Der Chief Inspector bekam ein Lächeln hin. Evan hielt die Spannung nicht länger aus. „Also, was planen Sie für mich?“, platzte er heraus.