Mord in der Schickeria - Walter Bachmeier - E-Book

Mord in der Schickeria E-Book

Walter Bachmeier

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Beschreibung

Eine neue Inspektorin ermittelt im Salzburger Land Inmitten der sommerlichen Alpenidylle wird bei den Krimmler Wasserfällen eine Leiche gefunden. Obwohl Inspektorin Tina Gründlich eigentlich noch Urlaub hätte und den Tag mit ihren beiden Kindern verbringen wollte, nimmt sie die Ermittlungen auf. Bei dem Toten handelt es sich um Rudolf von Gratz, einen der reichsten Bordellbesitzer des Salzburger Landes. Tina und ihr Kollege Sigi recherchieren im Rotlichtmilieu. Doch Rudi hatte viele Feinde. Wollte sich vielleicht eine seiner Angestellten an ihm rächen? Oder trachtete ein Konkurrent ihm nach dem Geschäft? Vor Tina tun sich moralische Abgründe auf. Und um den Mörder zu finden, muss sie sich in dem von Männern beherrschten Milieu beweisen. Von Walter Bachmeier sind bei Midnight by Ullstein erschienen: Mord in der Schickeria (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 1) Mord an der Salzach (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 2) Mord in der Alpenvilla (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 3) Mord im Pinzgau (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 4) Mord in der Berghütte (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 5) Mord am Wildkogel (Ein-Tina-Gründlich-Krimi 6) Affären, Alpen, Apfelstrudel (Chefinspektor Egger Fall 1) Berge, Brotzeit, Bauernherbst (Chefinspektor Egger Fall 2) Koppeln, Kühe, Kaseralm (Chefinspektor Egger Fall 3) Morde, Matsch, Marillenknödel (Chefinspektor Egger Fall 4) Diebe, Dörfer, Dampfnudeln (Chefinspektor Egger Fall 5) Gauner, Glühwein, Geigenklänge (Chefinspektor Egger Fall 6)

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Der AutorWalter Bachmeier, geboren 1957 in Karlsruhe, wuchs in Münchsmünster in der Hallertau auf. Nach seiner Ausbildung zum Koch begann er unter dem Pseudonym zu schreiben. Sein erstes Werk war ein Kochbuch, das sehr erfolgreich verkauft wurde. Dies gab ihm den Ansporn, seinen Beruf aufzugeben und weiter zu schreiben. Im Laufe der Jahre entstanden so mehrere Erzählungen, Kinderbücher und Artikel in verschiedenen Tageszeitungen. Seit etwa 2012 widmet er sich voll und ganz der Literatur. Immer wieder finden in seinen Büchern auch Erlebnisse aus seinem Leben Platz.

Das BuchEine neue Inspektorin ermittelt im Salzburger Land  Inmitten der sommerlichen Alpenidylle wird bei den Krimmler Wasserfällen eine Leiche gefunden. Obwohl Inspektorin Tina Gründlich eigentlich noch Urlaub hätte und den Tag mit ihren beiden Kindern verbringen wollte, nimmt sie die Ermittlungen auf. Bei dem Toten handelt es sich um Rudolf von Gratz, einen der reichsten Bordellbesitzer des Salzburger Landes. Tina und ihr Kollege Sigi recherchieren im Rotlichtmilieu. Doch Rudi hatte viele Feinde. Wollte sich vielleicht eine seiner Angestellten an ihm rächen? Oder trachtete ein Konkurrent ihm nach dem Geschäft? Vor Tina tun sich moralische Abgründe auf. Und um den Mörder zu finden, muss sie sich in dem von Männern beherrschten Milieu beweisen.

Walter Bachmeier

Mord in der Schickeria - Gründlich ermittelt

Ein Alpenkrimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

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Kapitel 1

Es war heiß an diesem Samstagnachmittag. Die Sonne brannte vom stahlblauen Himmel, an dem kein einziges Wölkchen hing. Von den kühlenden Winden, die hier sonst durchs Tal zogen, war nichts zu spüren. Die Luft stand über den Wiesen, von denen ein angenehmer Duft nach frisch gemähtem Gras und Kräutern aufstieg. Hoch oben kreiste ein Adlerpaar, das vermutlich irgendwo in der Nähe seinen Horst hatte. Man sah die beiden kaum, nur zwei schwarze Punkte, die sich im Kreis bewegten und ab und zu einen Laut ausstießen. Aus der Ferne hörte man das donnernde Rauschen der Krimmler Wasserfälle, die dort seit Millionen von Jahren ihren Weg von den Gletschern der Venedigergruppe zunächst als kleines Rinnsal suchten, dann, gespeist von zahlreichen Bächen und Quellen, als Krimmler Ache aus einer Höhe von dreihundertachtzig Metern herunterstürzten.

Wenn man den Blick in nördliche Richtung wandte, sah man über dem Wildkogel vier, fünf, nein, sechs Bartgeier kreisen. Sie flogen weitaus tiefer als die Adler. Augenscheinlich war dort oben ein Schaf oder eine Kuh abgestürzt, denn schon bald gingen die Geier in den Sinkflug über und waren vom Krimmler Achental aus nicht mehr zu sehen. Das kleine Einfamilienhaus, das mit inzwischen angegrautem Lärchenholz verkleidet war, stand in Wenns, einem Ortsteil von Bramberg am Wildkogel. Es war umgeben von einem schön angelegten Garten mit vielen Obstbäumen und Blumenrabatten, die zeigten, dass sie von den Händen einer Blumenliebhaberin gepflegt wurden. Der Rasen war frisch geschnitten und die Hecken um den Garten umgaben ihn blickdicht. Ein schmaler Weg, abgegrenzt durch eine niedere Buchshecke und mit grüngrauem Schotter belegt, führte in eine Ecke des Gartens. Dort zierte ein großer schmiedeeiserner Rosenbogen, an dem rote Kletterrosen hochrankten, den Eingang in eine natürliche Laube aus Goldregen.

Aus dem kleinen Anbau neben dem Haus drangen Musik und der fröhliche Gesang einer jungen Frau. Don’t let me down von den Beatles klang laut und aufmunternd heraus. Untermalt wurde die Musik von einem seltsamen Geräusch. Es hörte sich an wie ein immer wiederkehrendes Schleifen und Schaben. Der Anbau, man erkannte es an der Größe, war eigentlich als Garage gedacht. Jedoch war das Tor zugemauert und durch eine Stahltür ersetzt worden, die nun weit offen stand. Die junge Frau in der zur Werkstatt umfunktionierten Garage sang laut und inbrünstig. Das Schleifen hörte auf und es waren nur noch ihre Stimme und die Musik zu hören. Nach einer kurzen Pause setzte das Schleifen und Schaben wieder ein.

Tina trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. Fesch wird er wieder dachte sie, als sie den alten Gusseisenstuhl von Weitem ansah. Sie nahm den Bogen Sandpapier, den sie gekauft hatte, um den Rost abzuschleifen, der sich auf dem Rahmen des Gartenstuhls gebildet hatte. Der Stuhl war Teil einer kleinen Sitzgruppe, die sie sich gemeinsam mit ihrem Mann gekauft hatte, als sie noch verheiratet waren: Da ist noch ein wenig Rost. Der muss auch noch weg Sie riss ein kleines Stück von dem Bogen und schliff den noch vorhandenen Rost weg. Fesch muss er werden! Genauso fesch wie der andere, dachte sie. Na ja, fesch ist etwas anderes, überlegte sie, als ihr einfiel, dass am ersten Stuhl, den sie bereits fertig im Garten stehen hatte, noch eine Farbträne vorhanden war. Daran waren aber nur die Kinder schuld, die sie abgelenkt hatten, weil sie wieder mal ein Eis haben wollten.

Noch einmal trat sie einen Schritt zurück und ging um den Stuhl herum, der auf einem Tisch stand, den sie sich selbst zusammengebastelt hatte. Er bestand lediglich aus zwei Holzböcken, auf die sie einen Schalungsdeckel gelegt hatte. An der Rückenlehne fiel ihr ein Fleck auf. Noch einmal begann sie, mit dem feinkörnigen Papier den noch übrigen Rost wegzuschleifen. Zufrieden trat sie wieder zurück und begutachtete ihr Werk. Sie legte das Sandpapier beiseite und ging zu dem Regal, das sich an der Rückwand der kleinen Werkstatt befand. Von dort nahm sie eine Dose schwarzer Farbe und einen Pinsel, den sie schon benutzt hatte. Er war zwar sauber, aber trotzdem noch etwas steif. Sie versuchte, ihn wieder weich zu bekommen, indem sie ihn ein paar Mal auf die Werkbank schlug. Nichts. Den kann ich wegschmeißen!, Einen neuen Pinsel hatte sie sich unlängst gekauft, denn damit hatte sie gerechnet. An diesem war allerdings noch die Plastikschutzhülle, die sie jetzt mühsam herunterpulte. »Glumpert!«, schimpfte sie. »Muss man denn alles in Plastik verpacken?«

Nachdem sie die Farbdose mit einem Schraubenzieher geöffnet hatte, rührte sie die Farbe darin mit einem kleinen Holzstöckchen durch. Vorsichtig tupfte sie den Pinsel in die Dose und begann damit, die Lehne zu streichen. Erst ein Grundanstrich, dann trocknen lassen. Erst danach der finale Anstrich! So hatte es ihr der Nachbar erklärt. Also begann sie damit, den Pinsel nur leicht über die Lehne des Stuhles zu ziehen. Dabei sang sie wieder aus voller Kehle: »Don’t let me down.«

Sie hörte nicht die Kinderstimme, die von der Tür her vernehmbar war: »Mama! Mama! Telefon!«

Die Stimme wurde lauter: »Mama! Herrschaftszeitn noch mal, Mama!«

Wieder reagierte sie nicht, denn die Musik war zu laut.

Schließlich zupfte sie jemand an dem weißen Papieroverall, den sie sich besorgt hatte. Erschrocken ließ sie den Pinsel sinken und blickte nach unten. Vor ihr stand Kathi, ihre achtjährige Tochter, und hielt ihr das Mobilteil des Telefons hin. Kathi schrie beinahe, als Tina sie fragte: »Was ist los?«

»Der Herr Hofrat! Er ist am Telefon! Er will dich sprechen.«

Tina wischte sich die Hände an ihrem Overall ab, ging zu ihrer kleinen Stereoanlage und schaltete sie aus. Dann nahm sie Kathi das Telefon ab und hielt es an ihr Ohr. Da ihr schon schwante, was nun passieren würde, widersprach sie, ohne abzuwarten: »Naa! Des kummt gar ned infrag! Du brauchst gar ned weiter redn! Erstens is Samstog, oiso Wochenend, und zwoatens hab i no a ganze Woch Urlaub!«

»Aber Tinakind. Was regst dich so auf? Du waast doch gar ned, was i von dir will.«

»Du brauchst es auch goar ned song. I hob naa gsogt und dabei bleibt’s!«, antwortete sie kategorisch.

Die Stimme des Mannes am anderen Ende versuchte, sie zu beruhigen: »Schau, Tina. Du bist doch unser Beste. I brauch di. Du musst a goar ned weg vo dahoam!«

»Ja, i bin dahoam und i hab Urlaub.«

»Ja, scho, aber …«

»Kruzinesa! Naa, naa und no amoi naa!«

»A geh, Tina. Sei ned so feinzig«, bettelte Hofrat Steiger am anderen Ende.

Hofrat Ernst Steiger war Tinas Vorgesetzter in der Direktion Salzburg. Die beiden verstanden sich gut, was sich auch auf ihre Zusammenarbeit auswirkte. Seit Tinas Scheidung machte er ihr Avancen, denn auch er war geschieden und Tina war aus seiner Sicht die richtige Frau für ihn.

»Sog amoi, kapierst des iatz ned? Ich hob meine Kinder vasprochn, mit eahna heit nach Ferleiten in den Wildtierpark zu foahrn. I konn meine Kinder ned scho wieder enttäuschn! Mir verbringan unser Zeit eh scho vü zu seltn mitanand!«

»Des konnst du doch später aa no!«

»Naa, hob i gsagt«, antwortete sie energisch, »naa, und dabei bleibt’s aa!«

»Tina. Du derfst dir aa wos wünschn!«

»An wos hättst dabei denkcht?«, fragte sie schelmisch.

»Wia wars mit am Omdessen?«

»Im Stiftskeller?«

»No ja, ned grad im Stiftskeller, aber …«

»Dann vergiss es sofurt wieder.«

»Tina, du bist aber zaach. Muass es denn so ein teirer Ladn sein?«

Tina schnaufte tief durch. Jetzt hab ich wohl einen Fehler gemacht, dachte sie. »Im Stiftskeller und ois Unterstützung kriag i an Siegfried«, verlangte sie laut. Tina wusste, dass Ernst Siegfried nicht leiden konnte, was wahrscheinlich daran lag, dass sie mit Siegfried mehr als nur Freundschaft verband.

»Den Ladurner? Waast du, wos du da von mir verlangst?«

»Ja. I waas des. I waas aba aa, dass du des ned gern siechst, wenn da Sigi und i zsammarbatn! Oiso? Wos is?«

Ernst schnaufte laut und hörbar: »Na guat, wenn’s denn sei muass? Aber den Stiftskeller? Do drüber soitn mia no amoi redn!«

»Den Stiftskeller und an Sigi. Sunst vergiss es sofurt.«

Ernst zögerte und Tina wusste das zu nutzen: »Wenn du ned wüst?« Sie legte auf und beendete damit das Gespräch. Kurz darauf klingelte das Telefon wieder. Tina war klar, dass es Ernst war, der anrief. Sie nahm das Gespräch entgegen: »Und wos is? Host as dir überlegt?«

»Des ist Erpressung. Da stehn mindestens fünf Joahr drauf. Wegen der Schwere des Verbrechens. Aber guat, du sollst dein Willn hom. An Sigi und den Stiftskeller.«

Tina grinste vor sich hin. »Oiso? Wos is passiert? Wo muass i hin?«

Erleichtert antwortete ihr Ernst: »Noch Krimml, zu de Wasserwunderwelten. Durt auf dem Parkplatz is a männliche Leich gefundn wurn. Furchtboar zuagricht, wie mir gsagt wurn is. Mach di aufs Schlimmste gfasst.«

»Wann kummt da Sigi?«

»I schick ihn sofurt los. Er müsst oiso in ungefähr zwaa Stundn bei dir sein.«

»Gut, sag ihm, dass i am Tatort bin.«

»Mach ich.«

Tina legte auf und blickte achselzuckend zu Kathi hinunter. »Tuat mir lad, i muass oarbeitn.«

Kathi war offenbar sehr enttäuscht, denn ihr standen Tränen in den Augen: »Ach, Mama. Du hast dir aber auch einen blöden Beruf ausgsucht. Ausgerechnet heit, wo wir doch …«

Tina versuchte, wann immer es ging, mit den Kindern im heimischen Dialekt zu sprechen. Leider gelang ihr das nicht immer, aber andererseits war es doch gut, mit ihnen Hochdeutsch, also in der Schriftsprache, zu reden. Dies wirkte sich natürlich auch in ihren Deutschnoten aus, was die Lehrer sehr begrüßten. Auch im Berufsleben wandte Tina lieber die hochdeutsche Sprache an, wobei sie aber durch ihren Akzent nicht immer vermeiden konnte, dass die Leute wussten, woher sie eigentlich kam.

Tina strich Kathi über den Kopf: »Ich kann doch auch nichts dafür, meine Kleine. Aber wir holen das sicher bald nach.«

»Was holen wir nach?«, kam es von der Tür.

Tina sah hoch. Dort stand Thomas, ihr zwölfjähriger Sohn. »Ach, Tommy. Ich muss arbeiten. Da ist wieder etwas passiert und ich werde gebraucht.«

»Kann das nicht Onkel Sigi machen?«

»Doch, kann er. Er kommt auch her.«

Die Gesichter der Kinder erhellten sich. »Sigi kommt? Er kommt zu uns?«

»Ja, er kommt. In etwa zwei Stunden müsste er da sein.«

»Das ist doch prima!«, freute sich Tommy. »Dann kann ja er mit uns …«

»Nein, kann er nicht. Wir müssen arbeiten.«

»Aber übernachten tut er schon bei uns?«, fragte Kathi vorsichtig.

»Ja, ich denke schon.«

Kathi hob die Schultern. »Na, wenigstens etwas.«

Tina zog die Haube, die ihre Haare schützen sollte, vom Kopf und schlüpfte danach aus dem Overall. Sie fuhr mit der Hand durch ihre schwarzen gelockten Haare, damit sie ein wenig geordneter über die Schultern fielen. Den Pinsel steckte sie in eine Dose mit Terpentin, um ihn später wieder benutzen zu können. Auf die Farbdose drückte sie den Deckel, bis sie hörbar geschlossen war. Etwas mitleidig sah sie den Stuhl an und verabschiedete sich von ihm: »Servus, Stuhl. Ich komm später noch einmal. Aber versuch ja nicht, wieder zu rosten.«

Kathi lachte: »Mama. Du redest ja mit dem Stuhl. Bist du jetzt plemplem?« Tina schob Kathi aus der Werkstatt und Tommy folgte ihnen. Als die drei das Haus betraten, fragte Tommy vorsichtig: »Du, Mama? Was gibt es denn heute zu essen? Ich meine, wenn du nicht da bist, dann könnten Kathi und ich doch …«

»Die Käsekrainer im Kühlschrank warm machen und essen«, unterbrach ihn Tina.

»Eigentlich dachte ich an die Germknödel im Gefrierschrank«, erwiderte Tommy.

»Die Käsekrainer tun’s auch«, widersprach ihm Tina und ging in ihr Schlafzimmer, um sich dort frische Wäsche zu holen. Sie war der Meinung, dass sie unausstehlich nach Lösemittel und Farbe stank. Deshalb wollte sie unbedingt noch unter die Dusche, bevor sie nach Krimml fuhr.

Kapitel 2

Als sie mit dem Duschen fertig war, ging Tina wieder ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Sie wählte das dunkelblaue Kostüm und eine hellblaue Bluse, denn sie wusste aus Erfahrung, dass diese Kleidung eine besondere Wirkung auf andere Leute ausübte. Dass sie beinahe wie eine Uniform aussah, war wahrscheinlich, was diesen Effekt hervorrief. Außerdem, so wusste sie, war die blaue Farbe gut geeignet, anderen Menschen so etwas wie eine vertrauenswürdige Ausstrahlung zu zeigen. Sie besah sich noch einmal im Spiegel, drehte sich ein wenig und begutachtete ihr Aussehen. Auf Schminke verzichtete sie bewusst, denn sie fühlte sich damit unwohl und irgendwie maskiert. Zufrieden mit sich ging sie in die Küche, wo ihre Kinder auf sie warteten: »Na, ihr beiden? Kommt ihr ohne mich klar? Ihr stellt auch nichts an, während ich nicht da bin?«

»Klar, Mama«, antworteten sie unisono.

Tina nahm den Autoschlüssel vom Brett und ging hinaus. Auf der Straße stieg sie in ihren Wagen, den sie aus Salzburg mitgebracht hatte. Es war zwar ein Dienstfahrzeug, aber ihr Privatwagen hatte sie ausgerechnet in dem Moment im Stich gelassen, als sie nach Hause fahren wollte, um ihren wohlverdienten Urlaub anzutreten. Natürlich war es keine Frage, dass sie das Dienstfahrzeug auch in ihrer Freizeit nutzen durfte. Sie fuhr los und überquerte bald die noch junge Salzach, die wild schäumend unter der Brücke hindurchfloss. Kurz darauf führte sie der Weg über eine weitere Brücke, unter der die Zillertalbahn auf ihren Schmalspurgleisen dahinfuhr. Da Tina das Fenster geöffnet hatte, hörte sie, wie die Bahn langsam von der Haltestelle Bramberg losfuhr. Ihr Vater hatte ihr einmal erklärt, was die Geräusche, die die Lok von sich gab, bedeuteten: »Helfts ma, helfts ma. Helfts ma. Geht scho besser, geht scho besser, geht scho besser«, immer schneller und schneller. Tina hatte aber jetzt keine Zeit und Muße, der Lok zuzuhören. Sie musste weiter. Jetzt noch die Unterführung unter der Gerlosstraße, rechts hinauf auf dieselbe und dann Richtung Krimml.

Nach etwa einer halben Stunde war sie am Parkplatz. Die Schranke, die normalerweise eine Einfahrt erst nach dem Drücken eines Knopfes zuließ, war geöffnet. So konnte sie ungehindert durchfahren. Schon von Weitem erkannte sie über die Köpfe der Neugierigen hinweg das weiße Zelt, das augenscheinlich am Tatort aufgestellt worden war. Sie fuhr direkt dorthin, und als ein paar neugierige Gaffer den Weg versperrten, drückte sie den Schalter für das Signal. Prompt sprangen die Leute erschrocken zur Seite und sie konnte ungehindert bis an das Zelt heranfahren. Sie hielt an und stieg aus. Ein eifriger uniformierter Beamter trat heran und hielt ihr die Tür auf: »Bitte, Frau Major«, bat er.

Sie sah ihn freundlich an: »Danke, Herr Hutterer.«

Sie kannte ihn aus früheren Fällen und schätzte die zuvorkommende Art und Weise, wie er mit Menschen umging. Sie begab sich zum Eingang des Zeltes, wohin ihr Hutterer nacheilte. Er hielt ihr die Zeltplane hoch: »Ich würde mir das an Ihrer Stelle nicht antun, Frau Major. Der sieht ganz unappetitlich aus«, flüsterte er ihr zu.

»So?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wir werden sehen.« Sie bückte sich leicht und ging in das Innere des Zeltes, wo sie den Gerichtsmediziner vorfand, der sich über einen menschlichen Körper beugte, der mit einem weißen Tuch notdürftig bedeckt war. »Hallo, Otto«, begrüßte sie ihn.

Er deckte schnell die Leiche zu und sah zu ihr hoch: »Hallo, Tina. Hat es dich erwischt? Ich dachte, du hast Urlaub?«

»Hab ich auch. Aber Ernst meinte, ich solle doch den Fall übernehmen.«

»Wie hat er dich rumgekriegt?«

»Mit einem Abendessen im Stiftskeller.«

»Kommt Sigi denn auch?«

»Ja, das war meine zweite Bedingung.«

Otto lachte: »Dann wird der Fall wohl bald gelöst sein.«

Tina zeigte auf das Tuch und fragte: »Kann ich mal sehen?«

Otto bemerkte verlegen: »Ich glaube, das ist keine so gute Idee.«

»So schlimm?«

»Viel schlimmer.«

»Was hat man mit ihm gemacht?«

»Lies meinen Bericht, das ist besser.«

Tina wurde energisch und ordnete an: »Jetzt zieh mal das verdammte Tuch weg. Ich will ihn sehen.«

Otto bückte sich, während er meinte: »Wie du willst, ich hab dich gewarnt.«

Er zog das Tuch vom Körper des Toten, so dass Tina alles sehen konnte. Im selben Moment hielt sie sich die Hand vor den Mund und rannte hinaus. Bei der Buchenhecke blieb sie stehen und übergab sich.

»Na sauber«, dachte sie, als sie die Spritzer am Rock sah. Wieder und wieder würgte es sie, bis nichts mehr kam als grünliche, schleimige Flüssigkeit. Der Magen schmerzte bereits von den Krämpfen und sie beugte sich tiefer und tiefer. Irgendjemand klopfte ihr auf die Schulter. Sie drehte sich um und erkannte Hutterer, der ihr eine Flasche Wasser reichte:

»Hier, damit geht’s besser.«

»Danke.«

Sie nahm die Flasche, setzte sie an, und während sie trank, meinte Hutterer: »Ich hab Sie ja gewarnt.«

»Jaja, schon gut«, antwortete sie hustend. »Schicken Sie mal die Neugierigen weg. Die behindern uns bei der Arbeit.« Dabei zeigte sie auf die Menschen, die sich um das Zelt geschart hatten.

Hutterer ging hinüber und verscheuchte zusammen mit einem Kollegen die Leute.

Tina machte sich auf den Weg zurück zum Zelt, vermied es aber, noch einmal hineinzugehen. Sie winkte einen Mann von der Spurensicherung zu sich: »Haben wir Zeugen? Ich meine, wer hat ihn gefunden?«

Der Mann zeigte auf ein älteres Ehepaar, das sich unweit von ihnen befand.

Tina ging zu ihnen: »Sie haben den Toten gefunden?«

Der Mann schwieg nur und die Frau brach in Tränen aus: »Ja, wir waren die Ersten, die auf den Parkplatz gefahren sind. Wir wollten unser Auto hier im Schatten abstellen und da haben wir ihn … Mein Gott, der arme Mann!« Sie blickte Tina mit verweinten Augen an: »Sagen Sie, wer tut so etwas? Was ist das für ein Mensch? Schlimm genug, dass man ihn umgebracht hat, aber dann auch noch …«

Tina zuckte mit den Schultern: »Wir wissen das auch noch nicht. Aber wir werden ihn schon fassen.«

»Hoffentlich!«

»Hat man Ihre Aussage schon aufgenommen?«

»Ja«, antwortete der Mann »Wir haben unsere Daten schon abgegeben. Der junge Mann da drüben im weißen Overall hat alles aufgeschrieben.« Er zeigte auf den Beamten der Spurensicherung, den Tina zuvor angesprochen hatte.

Tina war zufrieden: »Gut, Sie können dann gehen.«

Die beiden gingen zu einem Fahrzeug, stiegen ein und verließen den Parkplatz. Tina sah sich um und musste feststellen, dass sich ein paar Fotografen immer noch in der Nähe aufhielten. Sie ging zu ihnen und positionierte sich vor einem: »Was erwarten Sie zu sehen?«

»Na ja, das eine oder andere Bild wird schon dabei herauskommen.«

»Da kommt nichts heraus, denn Sie verschwinden hier auf der Stelle! Sie behindern unsere Arbeit.«

»Schon mal was von Pressefreiheit gehört?«, widersprach der Fotograf.

»Verschwinden Sie auf der Stelle!« Tina zeigte zur Ausfahrt, die sich ein paar Hundert Meter entfernt befand.

Der Mann packte seine Ausrüstung zusammen und maulte noch: »So eine hübsche Frau und dabei so grantig.«

»Verschwinden Sie, aber schnell!«

Otto kam aus dem Zelt: »So, Tina. Was willst du jetzt wissen?«

»Dasselbe wie sonst auch. Wann ist er gestorben? Wie ist er gestorben? Ist der Tatort hier? Wer ist der Mann?«

Otto sah sie lange an: »Also ermordet wurde er letzte Nacht, etwa um null Uhr. Er ist verblutet, nachdem man ihm sein bestes Stück abgeschnitten hat. Der Tatort ist nicht hier, sondern er wurde nur hier abgelegt. Seinen Namen wissen wir nicht – noch nicht.«

»Was heißt noch nicht?«

»Vielleicht ist er ja schon mal auffällig geworden und wir haben seine Fingerabdrücke.«

»Wann bekomme ich die Ergebnisse?«

»Du weißt doch, erst nach der Obduktion.« Er zeigte auf das Zelt: »Ich bin so weit fertig. Kann ich ihn wegbringen lassen?«

»Nein, noch nicht. Ich warte noch auf Sigi.«

»Bin schon da«, hörte sie plötzlich eine bekannte Stimme hinter sich.

Sie drehte sich um und blieb wie erstarrt stehen. »Sigi! Wie siehst du denn aus?«

»Gefällt’s dir?«, fragte er und strich sich über sein Kinn, das bis vor kurzem noch ein Vollbart geziert hatte.

»Nein! Das gefällt mir nicht!«

Er zuckte mit den Schultern: »Schade. Ich dachte, es wäre an der Zeit, mich wieder unmaskiert zu zeigen. Aber ich kann das ändern. Dir zuliebe lass ich ihn wieder wachsen!«

»Wieso bist du eigentlich schon hier? Ernstl hat mir gesagt, dass du zwei Stunden brauchst, um herzukommen.«

»Hab ich ja auch, aber ich bin schon weg gewesen, als er dich anrief.«

Tina sah ihn mit fragenden Augen an. »Dann hat er also gewusst, dass …«

»Reg dich nicht auf. Natürlich hat er das gewusst, schließlich war es ja meine Idee, dich zu holen.«

»Du hast ihm also gesagt, dass …? Ich bring ihn um! Dieser Mistkerl hat mich reinglegt!« Tina war außer sich vor Zorn.

»Nun komm mal wieder runter.« Er fasste sie an beiden Ellbogen: »Erzähl mir lieber, was wir hier haben.«

»Du weißt doch ohnehin schon alles! Eine männliche Leiche, furchtbar zugerichtet und hier abgelegt.«

»Furchtbar zugerichtet? Das will ich sehen!« Sigi ging auf das Zelt zu und wollte die Plane öffnen.

Otto kam im selben Moment heraus. »Du willst da rein? Ich hab Tina gewarnt, und das tu ich bei dir auch. Lass es lieber.«

»Was ist passiert?«

»Ich will mal so sagen. Wenn er das überlebt hätte, könnte er nie wieder pimpern.«

Sigi sah ihn befremdlich an. »Wie meinst du das? Was soll das heißen?«

»Na ja, man hat ihm sein Pimperl abgeschnitten und in den Mund gesteckt.«

»Daran ist er gestorben?«

»Gestorben würde ich das nicht nennen. Er ist verreckt. Elendig verblutet. Es könnte aber auch sein, dass er an seinem Pimperl erstickt ist, aber das kann ich euch erst nach der Obduktion sagen.«

»Na sauber. Da hat wohl einer seine Rachegelüste ausgelebt?«

»Oder eine, es könnt auch eine Frau gewesen sein.«

»Gut, dann könnt ihr ihn wegbringen«, ordnete Sigi an.

»Den Bericht schick ich euch dann.«

»An Tinas Mailadresse, bitte.« Sigi wandte sich wieder Tina zu: »Für uns beide gibt es jetzt wohl nichts mehr zu tun hier?«

»Ich glaube nicht. Fahren wir nach Hause?«

»Zu dir?«

Sie lachte ihn an. »Wohin sonst? Die Kinder freuen sich schon auf dich!«

Spitzbübisch lächelnd meinte er: »Nur die Kinder?«

»Na ja, ich vielleicht auch – ein bisschen.«

Sie gingen zu ihren Autos, stiegen ein und fuhren nach Bramberg. Tina fuhr voraus und Sigi folgte ihr mit etwas Abstand. Tina beobachtete ihn durch den Rückspiegel, sie freute sich schon auf einen gemeinsamen Nachmittag mit ihm. Als sie an Tinas Haus ankamen, standen die Kinder bereits in der Haustür.

»Sigi, Sigi«, riefen sie, als sein Wagen um die Ecke bog.

Tina hatte soeben das Fahrzeug abgestellt und stieg aus. Sigi stellte sein Auto hinter ihrem ab und tat es ihr gleich.

Sofort liefen Tommy und Kathi auf ihn zu. Sie begrüßten ihn überschwänglich: »Sigi! Schön, dass du uns mal wieder besuchst. Hast du uns auch was mitgebracht? Gehen wir heute Nachmittag schwimmen oder fährst du mit uns nach Ferleiten?«

Kathi klammerte sich an seinem Arm fest: »Sigi? Wie lange bleibst du bei uns?«

Tina sah dem Treiben belustigt zu. Dann aber fiel ihr etwas auf: »Sagt mal, was habt ihr beiden denn gemacht, als ich nicht hier war?«

»Wieso fragst du?«, antwortete Tommy.

»Schaut euch doch mal an. Ihr seid ja voller Farbe!«

Tommy winkte lässig ab: »Ach, das? Das geht beim Waschen sicher wieder raus.«

»Ich hab aber etwas anderes gefragt.«

»Wir haben eine Überraschung für dich gemacht.«

Tina wurde misstrauisch. »Was für eine Überraschung?«

»Na, du musstest doch weg und du hast noch so viel Arbeit gehabt, da dachten wir uns, dass wir dir vielleicht ein wenig helfen.«

Tina warf Tommy einen verzweifelten Blick zu und fragte: »Was habt ihr gemacht? Ihr habt doch wohl nicht den Stuhl …?«

»Doch, Mama! Der ist ganz toll geworden. Komm mit, den musst du dir anschauen!« Kathi packte sie bei der Hand und zog sie zur Werkstatt. Sigi folgte ihnen langsam.

Als Tina hineinging, schlug sie die Hand vor den Mund: »Um Gottes willen, Kinder. Das darf doch nicht wahr sein. Die ganze Arbeit!«

»Gefällt er dir nicht?«, fragte Kathi enttäuscht.

»Do … doch schon, aber etwas eigenwillig, findest du nicht?«, fragte Tina Sigi.

Sigi ging zu dem Stuhl und betrachtete ihn von allen Seiten. Er schien Sigi zu gefallen: »Doch, er hat etwas. Das ist etwas ganz Besonderes. Ein richtiges Kunstwerk!

Hundertwasser würde vor Neid erblassen.«

Tina konnte ihr Entsetzen kaum verbergen: »Aber ich hatte mir das anders vorgestellt. Blaue Füße, rote Lehne und gelbe Sitzfläche? Eigentlich hätte er schwarz sein sollen.«

Sigi lachte: »Schwarze Stühle hat doch jeder. Das hier ist ein besonderer Stuhl!«

Tommy sah Tina triumphierend an. »Siehst du? Sigi gefällt er!«

Tina ergab sich ihrem Schicksal. »Na gut. Dann bleibt er eben so, wie er ist. Er passt dann zwar nicht zu dem anderen Stuhl und dem Tisch, aber was soll’s?«

Sigi nahm die Kinder bei der Hand, bückte sich hinunter und flüsterte ihnen etwas zu. Sie riefen plötzlich: »Prima Idee! Sigi, du bist der Beste!«

Tina fragte vorsichtig: »Was hast du ihnen gesagt?«

Tommy ergriff das Wort: »Sigi hat gesagt, dass wir den anderen Stuhl und den Tisch genauso bunt anstreichen sollen, dann passen sie zusammen.«

Tina verschränkte die Arme und sah Sigi vorwurfsvoll an: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«

Sigi strahlte sie an: »Und ob!«

Die Kinder forderte er auf: »Kommt, wir fangen gleich damit an!«

»Ich hol schon mal den anderen Stuhl«, freute sich Tommy und rannte in den Garten.

»Zieh du den Overall an!«, befahl Tina Sigi. »Sonst sind deine Klamotten hin.«

»Jawohl, Frau Major«, meinte er grinsend.

»Was soll ich anziehen?«, fragte Kathi.

»Bleib, wie du bist. Deine Sachen muss ich ohnehin wegwerfen.«

Tommy kam mit dem Stuhl herein: »Wo soll ich den jetzt hinstellen?«, fragte er Sigi. Dieser hatte sich soeben den Overall übergestreift und nahm ihm den Stuhl ab.

»Den stellen wir erst mal auf den Boden und den anderen …« Er sah sich suchend um. »Ah ja, da.« Dabei zeigte er auf einen freien Platz in der Ecke der Werkstatt. Er nahm den Stuhl, musste aber gleich feststellen, dass die Farbe noch nicht trocken war.

»Nimm dir bitte Handschuhe«, bat Tina und zeigte auf das Regal. Sigi putzte sich die Hände am Overall ab und nahm ein Paar Handschuhe, die er sich sofort überzog.

Tommy hatte einstweilen den schwarzen Stuhl auf den Tisch gestellt und besah ihn sich fachmännisch von allen Seiten: »Da müssen wir aber noch was wegschleifen«, meinte er fachmännisch und zeigte auf die Farbträne.

»Dann werden wir das gleich mal machen«, stimmte Sigi zu.

»Ich geh schon mal ins Haus«, bemerkte Tina und ging hinaus.

Zunächst lief sie ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Die Spritzer am Rock waren bereits eingetrocknet, so dass sie keine Möglichkeit sah, sie wieder herauszubekommen. Der ist wohl hin, musste sie sich eingestehen. Aus ihrem Kleiderschrank nahm sie eine ältere Jeans und einen leichten Pulli, den sie sich auch gleich überstreifte. Danach ging sie in die Küche. Vor Schreck erstarrt blieb sie stehen. Um Gottes willen. Wie sieht es denn hier aus? Auf der Anrichte lagen ein paar Schachteln, in denen ganz offensichtlich keine Käsekrainer, sondern Germknödel eingefroren waren. Auf dem Tisch stand benutztes Geschirr und Besteck, daneben Gläser mit Farbresten dran.

Tina drehte sich um und rannte hinaus in die Werkstatt: »Was habt ihr da drinnen angestellt? Was habt ihr gegessen? Doch sicher nicht die Käsekrainer, wie ausgemacht?«

Tommy sah sie an: »Ach, Käsekrainer, die sind doch langweilig. Ich hab für Kathi und mich die Germknödel aufgetaut.«

Tina stemmte beide Fäuste in die Hüften: »Germknödel? Wieso Germknödel? Das hatten wir aber anders besprochen!«

»Na gut, jetzt ist es auch zu spät«, meinte sie, »aber den Dreck in der Küche räumt ihr weg.«

»Wie schaut’s aus? Von dem Gerede übers Essen krieg ich Hunger. Gibt es hier auch etwas zu essen für einen Maler und Anstreicher?«, fragte Sigi und grinste sie an.

»Na, klar doch. Käsekrainer!«

»Käsekrainer? Prima. So etwas Gutes habe ich schon lange nicht mehr bekommen!«

»Ich geh dann mal rein und mach sie warm.« Tina drehte sich um und ging ins Haus zurück. Sie stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd und legte die Würste hinein. Es dauerte nicht lange, da kam auch Sigi in die Küche. Er trat hinter sie, legte seinen Arm um ihre Hüften und küsste sie auf den Hals.

»Nicht jetzt. Die Kinder«, versuchte sie ihn abzuwehren.

»Die haben draußen genug zu tun. Die kommen so schnell nicht herein.«

»Trotzdem.«

Er ließ sie los und setzte sich an den Tisch: »Hast du schon in deinem Computer nachgesehen, ob die Mail von Otto da ist?«

»Nein, habe ich nicht. So schnell sind die auch wieder nicht.«

Bald waren die Würste heiß. Tina nahm sie aus dem Topf und legte sie auf Teller. Diese stellte sie auf den Tisch, brachte noch ein paar Scheiben Brot und setzte sich zu Sigi.

»Was glaubst du, wer der Tote ist?«, fragte er sie kauend.

»Erinnere mich jetzt bloß nicht daran. Ich esse gerade!«

Er sprang auf: »Apropos Essen. Ich komm gleich wieder!« Er rannte aus der Küche und nach draußen. Kurz darauf kam er mit einer Tüte zurück, die die Aufschrift einer Metzgerei trug. Er stellte sie vor Tina auf den Tisch und zeigte darauf: »Unser Abendessen!«

Neugierig erhob sich Tina halb und zog ein wenig an einem Henkel: »Was ist da drin?«

»Hab ich doch gesagt. Unser Abendessen.«

Sie griff hinein und zog ein kleines Päckchen heraus. Sie wickelte es aus und sah ihn erstaunt an: »Du spinnst doch – Rostbraten?«

»Das wird Zwiebelrostbraten.«

»Das kostet doch einen Haufen Geld!«

»Für euch ist mir nichts zu teuer.«

»Aber, ich kann doch …«

»Ich weiß, dass du das nicht braten kannst. Aber wofür hast du mich?«

Tina wickelte das Fleisch wieder ein und legte es in den Kühlschrank. Als sie die Käsekrainer verzehrt hatten, half ihr Sigi noch aufzuräumen. Die Teller und die Gläser, die die Kinder hatten stehen lassen, beließ Tina aber dort, wo sie waren.

»Schauen wir mal raus, was die beiden so treiben?«

»Ja, gehen wir.«

Schon als sie das Haus verließen, hörten sie die Kinder in der Werkstatt laut lachen und kichern. Mit einem unguten Gefühl im Bauch rannte Tina dorthin. Als sie die Tür öffnete, sah sie die Bescherung: »Kinder! Seid ihr närrisch gworden? Was in aller Welt treibt ihr hier?«

Sigi, der ihr gefolgt war, hielt sich den Bauch vor Lachen: »Toll ihr zwei! Das habt ihr prima hingekriegt!«

Tina sah ihn böse an: »Du findest das auch noch gut? Schau dir mal die Sauerei an. Die ganze Werkstatt ist voll Farbe – und die beiden? Schau sie mal an. Wie zwei Clowns sehen sie aus!«

»Das ist doch schön«, antwortete er immer noch lachend.

Tommy sah Tina schuldbewusst an: »Aber wir haben doch nur …«

»Ihr habt was? Ihr geht jetzt sofort ins Haus und macht euch sauber.«

Als die beiden sichtlich betrübt die Werkstatt verließen, sah ihnen Tina nach: »Halt! Hiergeblieben! Erst die Schuhe ausziehen. So geht ihr mir nicht ins Haus.«

Die beiden hatten so viel Farbe an den Schuhsohlen, dass sie eine deutliche Spur auf dem Boden der Werkstatt hinterließen. Nur widerwillig zogen sie die Schuhe aus und gingen auf Strümpfen ins Haus.

Sigi nahm Tina an den Schultern. »Du bist viel zu streng zu ihnen. Lass ihnen doch auch mal ein bisschen Spaß.«

»Streng? Ich und streng? Ich bin viel zu nachsichtig. Schau dich doch mal um. Das dauert eine Ewigkeit, bis ich das alles wieder sauber habe. Das Einzige, was hier nicht voller Farbe ist, ist der Stuhl.«

»Nun komm mal wieder runter. Gehen wir ins Haus und schauen nach, was uns Otto geschickt hat.«

Er schob sie aus der Tür hinaus in den Garten. Unwillig ließ sie sich von ihm zum Haus führen. Als sie hineinkamen, ging Tina gleich zu ihrem kleinen Büro, das sich am Ende des Flurs befand. Sie schaltete ihren Computer an und wartete, bis er hochgefahren war. Dann las sie die E-Mails, die im Laufe des Tages eingetroffen waren. Tatsächlich war auch eine von Otto dabei. Tina öffnete die Anhänge und druckte sie sofort aus. Sigi nahm die ersten Dokumente aus dem Drucker und warf einen Blick darauf. Anerkennend pfiff er zwischen den Zähnen durch: »Da schau her! Den Herrn kennen wir doch?«

Er hielt das Blatt Tina hin, die es überrascht ansah: »Der schöne Rudi. Rudolf von Gratz. Wer hätte das gedacht?«

»Na ja, irgendwann erwischt es jeden mal«, antwortete Sigi lapidar.

Tina überflog die Daten, die auf dem Blatt standen, und legte es beiseite: »Was steht im Bericht?«, fragte sie Sigi.

»Nicht gerade appetitlich, würde ich sagen.«

»Na, los, lies schon vor!«

»Wie du willst. Also hier steht, dass das Opfer an beiden Händen und Füßen mit Lederbändern gefesselt war, als man ihm den Penis abschnitt. Er lebte zu diesem Zeitpunkt noch. Danach hat man ihm den abgeschnittenen Penis in den Mund gesteckt. Auch da lebte er noch.« Er sah Tina an: »Furchtbar, findest du nicht?«

»Er hat es verdient«, gab sie zur Antwort.

Sigi las weiter: »Man ließ ihn liegen, bis er an seiner Verletzung, hervorgerufen durch die Durchtrennung der Arteria profunda penis im Schwellkörper verblutete.« Sigi sah Tina wieder an: »Das muss man sich einmal vorstellen. Wer auch immer dafür verantwortlich ist, muss ein Tier sein!«

Tina stupste ihn an: »Weiter, lies weiter!«

»Der Körper des Toten weist Leichenflecken auf, die darauf schließen lassen, dass er noch länger an derselben Stelle lag, ehe er an den Fundort verbracht wurde.« Sigi setzte sich auf den Stuhl, der in Tinas Büro stand. Er hielt das Blatt vor sich und starrte darauf. »Also so einen Tod wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.«

Tina stupste ihn wieder an: »Weiter, komm, schlaf nicht. Da steht doch mehr!«

»Ja, du hast recht. Also, da steht noch, dass man anhand der Spurenlage und des Gewichts des Opfers darauf schließen muss, dass es sich bei dem Täter oder der Täterin um einen kräftigen Mann oder auch eine sehr kräftige Frau handelt. Das Gewicht des Opfers betrug noch vierundachtzig Kilogramm.«

»Ja? Und was noch?«, drängte Tina.

»Nichts weiter. Nur noch ein paar medizinische Details und Fachausdrücke, mit denen ich nichts anfangen kann.«

»Tatwaffe? Steht da nichts über die Tatwaffe?«

»Doch, das habe ich doch glatt überlesen. Also hier steht, dass es sich bei der Tatwaffe um einen sehr scharfen Gegenstand handeln muss. Infrage käme ein Skalpell oder Ähnliches.«

»Wurden irgendwelche Gegenstände bei ihm gefunden? Ich denke an einen Ring oder so?«

»Nein, davon steht hier nichts. Nur dass am Ringfinger seiner rechten Hand der Abdruck eines Ringes zu sehen ist.«

»Der Bericht von der Spurensicherung ist augenscheinlich mehr als mager«, meinte Tina und hielt das einzelne Blatt hoch.

Sigi legte die Unterlagen beiseite und stand auf: »Gehen wir rüber ins Wohnzimmer? Ich denke, wir haben da so einiges zu eruieren.« Tina ging vor und Sigi folgte ihr.

Im Wohnzimmer setzten sie sich auf die Couch. Sigi lehnte sich zurück und begann, laut nachzudenken: »Wer hat ein Interesse daran, dass er tot ist?«

Tina hob die Schultern: »Ich weiß nicht? Ein Konkurrent, ein enttäuschter Kunde? Eines seiner Mädchen?«

»Wer profitiert davon?«

»Du meinst, wer jetzt seine Etablissements übernimmt?«

»Ja, und natürlich seine Mädchen. Die sind unter Freunden etliche Zehntausend wert.«

Tina drehte sich zu Sigi: »Warum ist er ausgerechnet hier abgelegt worden? Warum auf dem Parkplatz in Krimml?«

»Vielleicht gibt es einen persönlichen Bezug?«

Tina stand auf: »Mir fällt da etwas ein. Komm mit.« Sie ging zurück in ihr Büro und tippte am Computer die Adresse der Webseite der Gerlosstraße ein. Als die Seite erschien, klickte sie auf dem linken Frame eine Stelle an. Sofort erschien ein Bild, das augenscheinlich von einer Webcam gemacht wurde. Das Bild bewegte sich über die Wasserfälle und weiter nach rechts, bis der Parkplatz, auf dem das Opfer gefunden worden war, auftauchte. »Da! Da hinten. Siehst du das Weiße? Ist das nicht das Zelt der SpuSi?«

Sigi beugte sich nach vorne und blickte auf einen weißen Fleck, der sich nicht bewegte: »Könnte sein. Du könntest recht haben. Ich ruf sie gleich mal an.« Sigi zog sein Handy aus der Jackentasche und wählte eine Kurzrufnummer. Kurz darauf meldete sich jemand und Sigi sagte: »Hallo, Jochen, Sigi hier. Seid ihr noch auf dem Parkplatz?«

»Ja, wir sind noch im Zelt. Unseren vorläufigen Bericht habt ihr bereits?«

»Ja, der liegt uns vor. Tu mir mal einen Gefallen. Geh mal aus dem Zelt raus und winke ein wenig.«

»Wozu soll das gut sein?«

»Frag nicht, tu es einfach.«

Während Sigi telefonierte, bewegte sich die Webcam immer weiter und zeigte durch einen Schwenk die Einfahrt zum Parkplatz, danach die Busparkplätze und schließlich das Zelt, vor dem ein Mann stand und heftig winkte. Er war zwar sehr klein, aber dennoch als Mensch zu erkennen.

»Du kannst wieder reingehen. Danke dir, du hast uns sehr geholfen«, bedankte sich Sigi, ehe er das Gespräch beendete.

Der Mann, der soeben noch auf dem Bild zu sehen gewesen war, war beim nächsten Schwenk der Kamera verschwunden.

»Das ist es«, freute sich Sigi. »Tina, du bist ein Genie!« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie.

»Warum ist Mama ein Genie?«, fragte eine helle Kinderstimme hinter ihm.

Sigi drehte sich um und sah erstaunt auf Kathi, die dort stand: »Weil deine Mama alles weiß und alles kann. Deshalb ist sie ein Genie.«

»Dann weiß sie sicher, wie ich das wegbekomme?« Kathi streckte ihm beide Hände hin, die immer noch voll Farbe waren.

»Wartest du bitte in der Küche? Ich komm gleich, dann machen wir das.«

»Ja, gut.« Kathi drehte sich um und ging.

Tina strahlte ihn an. »Was sagst du jetzt?«

»Dass wir die Farbe sicher wegbekommen.«

»Nein, das meine ich doch nicht.«

»Ach, du meinst das mit der Webcam?«

»Genau. Wenn die das aufzeichnen, haben wir doch die Möglichkeit, zu sehen, wer den schönen Rudi dort abgeladen hat.«

»Da gibt es nur ein paar kleine Probleme.«

»Welche Probleme? Was meinst du damit?«

»Ich meine, dass wir die Aufzeichnung sicher nicht so einfach bekommen werden, und dann, das darfst du nicht vergessen, war es stockdunkel. Ob man da etwas erkennen kann, ist fraglich.«

»Vorausgesetzt …«

»Vorausgesetzt was?«

»Vorausgesetzt, die Kamera läuft nachts auch.« Sigi klatschte in die Hände. »Ich hab jetzt gusto auf eine Tasse Kaffee.«

»Ich mach uns welchen.«

Tina verließ das Büro und ging in die Küche. Dort saß mit hoffnungsvollem Blick Kathi. Sie reckte Sigi die Hände entgegen: »Machen wir das jetzt weg?«

Er strich ihr über den Kopf: »Natürlich. Komm, wir gehen in die Werkstatt.«

Kathi nahm seine Hand und sie gingen gemeinsam hinüber. Tina bereitete einstweilen die Kaffeemaschine vor und schaltete sie ein. Sie kramte in den Schränken, denn sie wollte zum Kaffee ein paar Kekse auf den Tisch stellen.

Zwar hatte sie selbst keinen Hunger, aber sie kannte Sigi nur zu gut und wusste, dass er dazu nicht Nein sagen würde. Sie öffnete Schrank für Schrank, fand aber nichts.

»Wo sind die bloß? Ich hab doch erst kürzlich welche gekauft. Wo hab ich die nur hingetan?«, murmelte sie und suchte weiter, aber ohne Ergebnis. Schließlich fiel ihr etwas ein: »Tommy! Tommy, wo steckst du?«

Tommy kam von oben, wo sich sein Zimmer befand, herunter. »Was gibt’s Mama?«

»Wo sind meine Kekse? Ich hab doch erst kürzlich welche gekauft.«

»Die hab ich gegessen.«

»Ach so? Das ist ja gut. Das ist sehr gut. Ich finde es äußerst nett von dir, meine Kekse ungefragt zu essen. Was mach ich jetzt?«

Tommy zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht?«

Tina zog ihre Geldbörse heraus. »Hier hast du fünf Euro. Du fährst jetzt rüber nach Bramberg und holst eine Packung Kekse. Das Geld zieh ich dir vom Taschengeld ab!«

»Muss das jetzt sein?«

»Ja, es muss, schließlich bist du schuld, dass wir keine mehr haben, weil du sie alle aufgegessen hast. Fahr los – und keine Widerrede!«

Vor sich hin maulend verließ Tommy das Haus und fuhr mit seinem Fahrrad nach Bramberg.

Inzwischen war der Kaffee fertig. Sigi und Kathi kamen ins Haus.

»Das riecht aber lecker«, meinte Sigi, nachdem er sich die Luft mit der Hand zugefächelt hatte.

Kathi erklomm die Eckbank und fragte Tina: »Krieg ich einen heißen Kakao?«

»Ja, ich mach dir einen.«

»Und Kekse dazu?«, fragte Kathi nach.

»Ja, und auch Kekse dazu, wenn dein Bruder zurück ist.« Tina stellte Tassen und die Kaffeekanne auf den Tisch. Für Kathi kochte sie den Kakao und setzte sich dann zu ihnen.

Sigi sah sie fragend an: »Und jetzt?«

»Was und jetzt?«

»Ich meine, wie machen wir in unserem Fall weiter? Was schlägst du vor?«

»Zunächst, denke ich, sollten wir mal rausbekommen, wer Interesse an Rudis Tod hat.«

»Du hast recht, bei wem fangen wir an?«

»In seinen Etablissements, denke ich?«

»Gut, wer fährt wohin?«

»Also ich würde vorschlagen, dass du die Salzburger Nachtklubs übernimmst und ich kümmere mich um die in Zell und in Kitz.«

»Was ist mit dem in Kaprun?«, fragte Sigi.

»Das Puff? Das übernimmst am besten du. Ich denke, es kommt nicht so gut, wenn ich als Frau dort reinspaziere.«

Kathi trank einen Schluck aus ihrer Tasse und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Mama? Was ist ein Puff?«, fragte sie mit einem neugierigen Blick aus ihren rehbraunen Augen.

Tina musste lachen, nahm die Frage aber trotzdem ernst: »Ein Puff? Na ja, weißt du …«

Sie kam augenscheinlich in Erklärungsnot, deshalb übernahm Sigi die Antwort: »Also ein Puff, das ist so etwas wie ein Freizeitpark. Weißt du? Da gehen Männer hin, denen es zu Hause langweilig ist.«

»Was machen die dann dort?«

»Man könnte sagen, dass sie so etwas wie Sport treiben.«

»Also so etwas wie ein Fitnesscenter?«

Sigi grinste Tina an: »Ja, so könnte man es auch nennen.«

Tommy kam herein und stellte die angeforderte Schachtel mit Keksen auf den Tisch. »Dafür bekomme ich aber auch welche«, meinte er fordernd.

»Nur unter einer Voraussetzung, nämlich, dass du mir versprichst, nicht mehr, ohne zu fragen, an unsere Vorräte zu gehen!«

»Ja, versprochen«, antwortete er missmutig. »Kann ich auch einen Kakao haben?«, fragte er dann vorsichtig.

Tina zeigte zum Ofen. »Da drüben steht er. Schenk dir selbst ein.«

Tommy holte sich eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kakao. Kathi nahm die Keksschachtel und riss sie auf.

Sigi sah Tina an: »Wann legen wir los?«

»Ich würde vorschlagen, nach dem Abendessen.«

»Gut, dann muss ich wenigstens nicht mit leerem Magen da hin.«

»Haben wir eigentlich die Liste mit Rudis Vorstrafen?«

»Wozu denn das?«

»Vielleicht findet sich da ein Motiv?«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Klappern wir erst seine Klubs ab. Ich denke, einer seiner Geschäftsführer ist gierig geworden. Den müssen wir finden.«

»Hätte er Rudi nicht besser erschossen? Nein, das wäre vielleicht zu schnell gegangen. Der Tathergang scheint mir doch eher so eine Art Racheakt zu sein.«

»Du könntest recht haben. Mir ist aber immer noch schleierhaft, wieso die Leiche hier abgelegt wurde.«

»Wo ist sein Auto?«

»Du meinst, da wo sein Auto ist, muss sein letzter Aufenthaltsort sein?«

»Ist doch logisch, oder?«

Sigi nahm die Schachtel mit den Keksen und holte einen heraus. Genüsslich biss er hinein und bot dann an: »Ich ruf nachher mal in Salzburg an. Vielleicht wissen die ja bereits etwas.«

»Hoffentlich ist da jemand auf die Idee gekommen, Rudis Auto zu suchen.«

»Ganz blöd sind die ja auch nicht.«

»Eigentlich könnten die in Salzburg die Nachtklubs übernehmen, dann brauchst du nicht extra rüberfahren.«

»Gut, dann teilen wir uns die in Kitz und Zell.«

»Aber du fährst nach Kaprun.«

»Was machst du mit den Kindern einstweilen?«

»Dasselbe wie sonst auch. Ich ruf die Annamirl an, die macht das schon.«

»Wir brauchen die Annamirl nicht. Wir können schon selbst auf uns aufpassen«, reklamierte Tommy.

Tina lachte: »Ja, das kenn ich. Fernsehen bis zum Umfallen und dann noch nicht ins Bett gehen.«

»Was ist jetzt mit unserem Stuhl?«, fragte Kathi.

»Den lassen wir erst mal stehen. Ich mach ihn fertig, wenn der Fall abgeschlossen ist.«

Unvermittelt fragte Sigi: »Was ist mit dem Video? Wer kümmert sich darum?«

»Das kannst du machen. Wir werten es dann gemeinsam aus.«

Sigi stand auf: »Ich ruf jetzt mal in Salzburg an.« Er ging hinaus und nahm das schnurlose Telefon. Tina hörte ihn reden: »Ernst? Wurde Rudis Wagen schon gefunden? Wie? Ihr habt noch gar nicht nach ihm suchen lassen? Bitte veranlass‹ das. Wie? Welchen Wagen? Also das müsst ihr schon in der Zulassungsstelle erfragen. Du rufst mich an?« Er legte wieder auf und kam in die Küche. »Das ist nicht zu fassen. Die sind noch nicht mal auf die Idee gekommen, das Auto zu suchen. Nicht mal den Wagentyp haben sie.«

Tina erwiderte: »Wenn man nicht alles selber macht.«

»Personalmangel haben sie, hat er gesagt. Wenn ich das schon höre.«

»Was ist mit den Salzburger Nachtklubs?«

Sigi fasste sich an die Stirn: »Das habe ich vollkommen vergessen. Ich ruf nachher noch mal an.«

Nun fasste auch Tina in die Keksschachtel und kramte darin herum: »Verflixt noch mal. Wer hat die Schokokekse gegessen?«

Sigi grinste sie an und zeigte ihr den Schokokeks, den er soeben aus der Schachtel genommen hatte. »Meinst du so einen?«

»Ja.«

Tina griff danach, aber Sigi zog die Hand weg. Genüsslich schob er sich den Keks in den Mund: »Du weißt offenbar, was gut ist.«

Sie winkte ab: »Egal. Ich muss ohnehin auf meine Figur achten.«

»Ich fahre jetzt nach Krimml, die Aufzeichnung holen.« Sigi stand auf und ging hinaus.

»Und wir räumen den Tisch ab«, ordnete Tina an.

»Muss das denn sein?«, protestierte Tommy.

»Es muss. Außerdem musst du die Sauerei, die ihr hinterlassen habt, auch noch beseitigen.«

»Manno. Immer ich«, maulte er.

»Kathi wird dir schon dabei helfen.«

Er streckte die Hände in die Luft: »Schau mal, ich hab noch Farbe an den Fingern. Da kann ich nichts anfassen.«

»Dann mach sie sauber.«

»Wie denn?«

»Frag deine Schwester, die hat es schließlich auch geschafft.«

Während sie den Tisch abräumten und das Geschirr in die Spülmaschine stellten, schweiften Tinas Gedanken zurück zum Fundort. Warum, verflixt noch mal, hat man den Toten hier abgelegt? Welche Beziehung hat der Täter zu Krimml? Nein, welche Beziehung gibt es überhaupt nach hier? Lebt der Täter hier? Vielleicht war der Täter doch eine Frau. Was hat Otto geschrieben? Ein kräftiger Mann? Rudi wog noch vierundachtzig Kilo. Das wäre ganz schön schwer für eine Frau. Nein. Zwei Frauen! Es müssen zwei Frauen gewesen sein! Als sie mit dem Einräumen fertig waren, setzte sich Tina wieder an den Küchentisch.

Sie stützte den Kopf in beide Hände und überlegte weiter: Ich gehe mal davon aus, dass es zwei Frauen waren. Es müssen Frauen gewesen sein. Wer übernimmt jetzt das Geschäft? Einer der Geschäftsführer? Seine Frau? War er überhaupt verheiratet? Der fehlende Ring an seiner Hand! Ein Ehering oder eher ein Siegelring?

Das Telefon unterbrach ihren Gedankengang. Tommy lief hin und brachte ihr das Mobilteil. »Hier, Mama, der Herr Hofrat.«

Tina nahm den Hörer und fragte: »Ja? Was gibt es?«

»Wir haben das Auto.«

»Das ging aber schnell«, staunte sie. »Und, wo ist es?«

»Halt dich fest. Es steht in Neukirchen.«

»Neukirchen? Hier bei uns? Wo genau?«

»Am Supermarkt. Nicht weit von der Neukirchner Polizeidienststelle.«

»Ach? Deshalb ging es so schnell?«

»Ja, Dienstgruppenleiter Hutterer wusste, wo es steht. Es war ihm aufgefallen, denn so ein Auto steht nicht alle Tage dort.«

»Was ist es denn für ein Wagen?«

»Ein Ford Mustang. Ein roter Ford Mustang.«

»Das ist gut. Schickst du jemanden von der Spurensicherung dorthin?«

»Schon erledigt. Wie weit seid ihr?«

»Wir sind noch ganz am Anfang. Sigi holt gerade das Video mit der Aufzeichnung vom Parkplatz.«

»Wertet ihr das selber aus oder sollen wir das machen?«

»Wir erledigen das schon. Ich melde mich, falls es Probleme damit geben sollte.«

»Gut, dann macht das.«

»Ich habe noch eine Bitte.«

»Die wäre?«

»Könntet ihr die Salzburger Etablissements vom schönen Rudi aufsuchen und dort ermitteln?«

»Was braucht ihr denn?«

»Na ja, ein paar Details halt. Wer der Nachfolger von Rudi sein wird, ob die Mädchen was wissen, wer Rudi umgebracht haben könnte, und so weiter. Das Übliche eben.«

»Ist gut. Soll ich den Baumgartner schicken?«

»Den Paul? Ja, warum nicht? Der hat doch Erfahrung damit. Er war ja mal bei der Sitte.«

»Gut, ist notiert. Sonst noch was?«

»Nein, vorerst nicht. Wir melden uns, sobald wir was Handfestes haben.« Tina legte auf.

Im selben Moment kam jemand zur Haustür herein. Es war Sigi. »Ich hab es.«

»Was hast du?«

»Das Video auf DVD.« Er kam in die Küche und zeigte auf das Telefon: »Du hast telefoniert?«

»Ja. Was dagegen?«

»Mit wem?«

»Mit Ernstl. Er hat angerufen. Sie haben den Wagen von Rudi. Er steht in Neukirchen.«

»Etwa ein roter Mustang?«

»Ja, woher weißt du das?«

»Mir ist ein Abschleppwagen entgegengekommen. Da war so einer drauf.«

»Das kann schon sein, Ernstl hat mir gesagt, dass er die Spurensicherung schon hingeschickt hat.«

Sigi hielt ihr die DVD hin: »Hier, steck sie mal in deinen Computer. Mal sehen, ob etwas zu erkennen ist.«

Tina nahm sie und ging damit in ihr Büro. Dort legte sie die DVD in das Laufwerk und versuchte, das Video abzuspielen. Zunächst war nichts Auffälliges zu erkennen, es war der normale Tagesverlauf zu sehen.

»Spul mal nach vorne. Das hier ist der Nachmittag. Wir brauchen die Nachtaufnahme.«